Budgetdienst - Anfragebeantwortungen 07.09.2023

Einkommensentwicklung seit Beginn der COVID-19-Krise

Anfragebeantwortung des Budgetdienstes

Übersicht

Die vorliegende Analyse auf Anfrage des Abgeordneten Andreas Hanger (ÖVP) untersucht die Entwicklung der real verfügbaren Haus­halts­ein­kommen im Zeit­raum 2019 bis 2024. Dabei wird die reale Ein­kommens­entwicklung in den unterschiedlichen Bereichen der Ein­kommens­verteilung analysiert und die Verteilungs­wirkung der umgesetzten Unter­stützungs­maßnahmen dar­gestellt. Weiters wird die Ein­kommens­entwicklung in Österreich in einen Vergleich mit den Mitglied­staaten der EU gestellt. Außerdem zeigt die Analyse die Verteilung der Abgaben­belastungen auf Erwerbs- und Pensions­einkommen sowie der Transfer­leistungen im österreichischen Abgaben- und Transfer­system.

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BD - Einkommensentwicklung seit Beginn der COVID-19-Krise / PDF, 2 MB

Kurzfassung

Wirkung der Unterstützungsmaßnahmen

Seit dem Ausbruch der COVID‑19-Krise im Frühjahr 2020 wurden zahlreiche Maß­nahmen beschlossen, welche die Haushaltseinkommen zusätzlich zu den automati­schen Stabilisatoren zu Lasten steigender Budget­defizite stützten. Das Gesamt­­volumen der einkommens­stärkenden Entlastungs­maßnahmen beläuft sich im Betrach­tungs­zeitraum 2020 bis 2024 auf 45,7 Mrd. EUR bzw. durch­schnittlich auf 2,1 % des BIP pro Jahr. Rund 63 % des Volumens entfallen auf einnahmen­seitige Maßnahmen, wie insbesondere die Ökosoziale Steuer­reform (ÖSSR) und die Abgeltung der kalten Progression. Mit etwa 22 % ist nur knapp ein Viertel des Entlastungs­volumens ziel­­gerichtet auf Haus­halte mit geringem Ein­kommen ausgerichtet. Allerdings profitieren Haus­halte mit geringem Ein­kommen auch von den breit angelegten Maßnahmen, wie etwa dem Klima­bonus oder den steuerlichen Maßnahmen. Rund 70 % des Ent­las­tungs­volumens im gesamten Betrachtungs­­zeitraum resultieren aus permanent wirksamen Maßnahmen.

Über den gesamten Betrachtungs­zeitraum 2020 bis 2024 entfällt ein über­proportio­naler Anteil des Entlastungs­volumens auf die oberen Einkommens­dezile (z. B. 14 % auf das oberste Zehntel) und ein unter­proportionaler Anteil auf die unteren Einkom­mens­dezile (z. B. 6 % auf das unterste Zehntel). Der Anteil der mittleren Einkom­mens­dezile am Entlastungs­volumen ist mit rd. 10 % in etwa proportional. In Relation zum Ein­kommen ist die Wirkung der Maßnahmen hingegen im gesamten Betrach­tungs­­zeitraum in den unteren Einkommens­bereichen am höchsten, sodass die Maß­­nahmen insgesamt progressiv ausgestaltet sind. Im ersten Einkommens­dezil liegt die durch­schnittliche relative Ent­lastung zwischen 3,8 % (2021) und 12,7 % (2022) des verfügbaren Einkommens, im zehnten Dezil zwischen 1,3 % (2020 und 2021) und 5,1 % (2024).

Einkommensentwicklung seit 2019

Im Hauptszenario des Budget­dienstes sind die verfügbaren Haushalts­einkommen real (inflations­bereinigt) mit Ausnahme des Jahres 2023 im gesamten Betrachtungs­zeit­raum bis 2024 im Durch­schnitt über alle Haushalte höher als im Vorkrisen­jahr 2019. Für das Jahr 2024 wird auf Basis der aktuellen Prognose des WIFO ein deutlicher Anstieg der Einkommen erwartet, was neben den Entlastungs­maßnahmen (z. B. Abgeltung der kalten Progression) vor allem an der stark an vergangene Inflations­­raten geknüpften Erhöhung der Löhne und der staatlichen Transfer­leistungen (z. B. Pensionen) liegt. Dies führt dazu, dass es in Phasen sinkender Inflations­raten tendenziell zu realen Einkommens­gewinnen kommt, während in Phasen steigender Inflations­raten, wie dies etwa 2022 und 2023 der Fall war, ein gegen­läufiger Effekt auftritt.

Während das Hauptszenario des Budget­dienstes für die Einkommens­entwicklung in Österreich auf einer Mikro­simulation auf Grundlage der EU‑SILC-Daten und der aktuellen Prognose des WIFO basiert, müssen für den internationalen Vergleich der Einkom­mens­entwicklung aggregierte Daten aus der Volkswirtschaftlichen Gesamt­rechnung (VGR) und der diesbezüglichen Prognose der Europäischen Kommission (EK) herangezogen werden. Auf Basis dieser Daten ergibt sich eine insgesamt etwas ungünstigere Entwicklung der durch­schnittlich real verfügbaren Einkommen der Haus­halte in Österreich. Gemäß den Daten der VGR liegt das real verfügbare Einkom­men pro Kopf im Zeit­raum 2020 bis 2023 unter dem Niveau von 2019 und erst 2024 wieder knapp darüber. Der Hauptgrund für diesen Unterschied zum Hauptszenario des Budget­dienstes ist die Entwicklung der Vermögens­­einkommen (insbesondere Gewinn­ausschüttungen), welche sich gemäß VGR seit 2019 in Österreich deutlich negativ entwickelt haben. Diese sind in den EU-SILC-Daten stark untererfasst, sodass ihre Entwicklung einen wesentlich geringeren Einfluss auf die Ergebnisse im Haupt­­szenario hat. Ohne Berücksichtigung der Vermögens­einkommen sind die realen Einkommen gemäß VGR im gesamten Betrachtungs­zeitraum höher als im Jahr 2019.

Einkommensentwicklung in unterschiedlichen Segmenten der Einkommensverteilung

Die durch­schnittliche Entwicklung der verfügbaren Einkommen unterscheidet sich zwischen den einzelnen Bereichen der Einkommens­verteilung. In den unteren beiden Einkommens­dezilen stiegen die durch­schnittlich verfügbaren Einkommen nominell stärker als die Verbraucher­preise. Somit sind die real verfügbaren Einkommen in diesen Dezilen im gesamten Betrachtungs­zeitraum im Durch­schnitt höher als im Vorkrisen­jahr 2019. Dies ist im Wesentlichen auf die umgesetzten Unterstützungs­maßnahmen zurück­zuführen, die vor allem in den unteren Bereichen der Einkom­mensverteilung zu signifikanten relativen Einkommens­­zuwächsen geführt haben. In den mittleren und oberen Einkommens­dezilen liegt das geschätzte real verfügbare Einkommen insbesondere 2023 und teil­weise auch 2022 unter dem Vorkrisen­niveau von 2019. Im Jahr 2024 werden aus derzeitiger Sicht die hohen prognostizierten realen Einkommens­zuwächse und das Fort­bestehen der Maßnahmen dann dazu führen, dass die realen Einkommen auch in diesen Einkommens­segmenten wieder über dem Niveau von 2019 liegen werden.

Bei einer Betrachtung der Haushalte in den unteren drei Einkommens­dezilen zeigt sich, dass die real verfügbaren Einkommen bei Haushalten, deren Einkommen über­wiegend aus einem Pensions­bezug besteht, im gesamten Betrachtungs­zeitraum über dem Niveau von 2019 liegen. Bei Haus­halten mit überwiegend Erwerbs­ein­kommen ist dies mit Ausnahme des Jahres 2023 ebenso der Fall. Das real verfügbare Einkommen von Haus­halten, deren Einkommen überwiegend aus Transfer­leistungen besteht, liegt 2023 deutlich unter dem Niveau von 2019 und 2024 nur gering­fügig darüber. Bei einer Aufteilung nach Familien­form weisen Paar­­haushalte ohne Kinder in den unteren drei Einkommens­dezilen die schwächste Einkommens­entwicklung auf. Die günstigste Entwicklung besteht bei Paaren mit Kindern. Ihr real verfügbares Einkommen liegt im gesamten Betrachtungs­zeitraum über dem Niveau von 2019, im Jahr 2024 sogar deutlich um 6,3 %.

Bei der vorgenommenen Analyse der Einkommens­entwicklung in unterschiedlichen Bereichen der Ein­kommens­verteilung ist zu berücksichtigen, dass es sich um Durch­­schnitts­werte handelt und die Ein­kommens­veränderungen einzelner Haus­halte deutlich größer ausfallen können. Zudem kann aus den realen Ein­kommens­zuwächsen in den unteren Dezilen nicht geschlossen werden, dass diese Ein­kommens­anstiege durch­schnittlich zum Ausgleich der inflations­bedingten Ausgaben­zuwächse aus­reichen. Da in den unteren Einkommens­bereichen die Konsum­ausgaben der Haus­halte im Durch­schnitt höher sind als die Einkommen (negative Sparquote), ist beispielsweise zur Kosten­abdeckung von 10 % teureren Konsum­gütern eine nominelle Einkommens­steigerung um mehr als 10 % notwendig. Diese Frage­stellung stand im Fokus der im Vorjahr vom Budget­dienst veröffentlichten Anfrage­be­antwortung zur Verteilungs­wirkung der drei Maßnahmen­pakete zum Teuerungs­­ausgleich.

Einkommensentwicklung im internationalen Vergleich

Der internationale Vergleich zur Entwicklung der real verfügbaren Haushalts­ein­kom­men wird auf Grund­lage von Daten aus der Volkswirtschaftlichen Gesamt­­rechnung durchgeführt. Diese sind bereits bis 2022 verfügbar, zusätzlich liegen Prognose­­werte der EK bis 2024 vor. Insgesamt zeigt sich, dass Länder mit starken Preis­­steigerungen auch starke nominelle Einkommens­­zuwächse verzeichneten (z. B. Ungarn, Polen), während in Ländern mit geringen Preis­steigerungen auch die nominell verfügbaren Einkommen in deutlich geringeren Ausmaß stiegen (z. B. Spanien, Finnland).

Im EU-Schnitt sind die real verfügbaren Einkommen pro Kopf im Zeit­raum 2019 bis 2022 um 1,6 % gestiegen. Österreich zählt dabei zu den Ländern mit einem Rückgang (‑1,7 %), weil die Gesamt­summe der Einkommen weniger stark gewachsen ist als die Bevölkerung. Negativ auf die Einkommen wirkten in diesem Zeitraum die stark gesunkenen Vermögens­einkommen. Einen stärkeren Rück­gang bei den verfügbaren Ein­kommen pro Kopf weist in diesem Zeitraum Spanien auf (‑5,1 %), zu moderaten Rückgängen kam es in Belgien (‑0,4 %) und Italien (‑0,3 %). Den stärksten Zuwachs bei den realen Einkommen pro Kopf unter den Mitgliedstaaten verzeichnete Ungarn (+8,9 %), zu moderaten Einkommens­zuwächsen kam es etwa in Frankreich (+1,9 %) und Deutschland (+1,0 %). Um vom Effekt der volatilen und mit einer größeren Unsicherheit behafteten Vermögens­einkommen zu abstrahieren, kann auch die Entwicklung der verfügbaren Einkommen ohne Vermögens­einkommen betrachtet werden. Das Wachstum der real verfügbaren Einkommen pro Kopf war in diesem Fall in Österreich von 2019 bis 2022 mit +2,4 % deutlich positiv und lag über dem EU‑Schnitt (+2,1 %). In Spanien ist auch in diesem Szenario die Entwicklung mit ‑4,9 % deutlich negativ.

Gemäß der Frühjahrs­prognose der EK liegen die real verfügbaren Einkommen pro Kopf (inkl. Vermögens­­einkommen) in Österreich im Jahr 2024 inflationsbereinigt um 1,1 % über den Vergleichs­wert aus 2019. Dies entspricht im Zeitraum 2019 bis 2024 der Entwicklung in Deutschland, für 6 Mitglied­staaten wird in der Prognose ein geringeres Wachstum ausgewiesen und für 17 Mitglied­­staaten ein höheres. Der Haupt­grund für die unter­durchschnittliche Entwicklung in Österreich sind wiederum die Vermögens­einkommen. Ohne Vermögens­einkommen ist die Entwicklung Österreichs im internationalen Vergleich auch im Zeitraum bis 2024 deutlich besser. Pro Kopf liegen die verfügbaren Haushalts­einkommen dann inflations­bereinigt um 5,3 % über dem Vorkrisen­wert aus dem Jahr 2019, womit sich Österreich im Mittel­feld der EU-Mitgliedstaaten befindet.

Entwicklung ausgewählter Verteilungsmaße

Die Entwicklung des Gini-Koeffizienten und der Armuts­gefährdungsquote kann für Österreich aus den für das Hauptszenario des Budget­dienstes verwendeten Daten bis 2024 ermittelt werden. Für den internationalen Vergleich muss auf eine Auswertung von Eurostat zurückgegriffen werden, die allerdings nur bis zum Einkommens­jahr 2021 verfügbar ist.

Der Gini-Koeffizient zur Verteilung der verfügbaren Einkommen ist in Österreich im internationalen Vergleich eher niedrig, d. h. Österreich zählt zu jenen Ländern mit einer geringen Einkommens­ungleichheit. Im Betrachtungs­zeitraum weist der Gini-Koeffizient nur geringe Änderungen auf. Die umgesetzten Unterstützungs­maßnahmen bewirken aufgrund ihrer progressiven Ausgestaltung einen leichten Rückgang des Gini-Koeffizienten. Beim inter­nationalen Vergleich zählt Österreich jedoch zu den Ländern mit einem zwischen 2019 und 2021 leicht steigenden Gini-Koeffizienten, aktuellere Daten liegen zum internationalen Vergleich der Verteilungs­maße nicht vor. Dieser Anstieg ist jedoch statistisch nicht signifikant, was auch bei den Veränderun­gen in den anderen Länder meist der Fall sein dürfte.

Die Armuts­gefährdungs­quote ist in Österreich im internationalen Vergleich ebenfalls eher niedrig. Die gesetzten Maßnahmen zur Einkommens­­erhöhung dämpfen die Armuts­gefährdungs­quote leicht, wobei der stärkste Effekt durch die Anti-Teuerungs­pakte im Jahr 2022 ausgelöst wird. Auch bei diesem Verteilungs­maß zählt Österreich zu jenen Ländern, für die ein leichter Anstieg zwischen 2019 und 2021 ausgewiesen wird, welcher allerdings ebenfalls statistisch nicht signifikant ist.

Verteilung der Abgaben und Transfers

Das Abgaben- und Transfer­system bewirkt insgesamt eine Umverteilung von hohen zu niedrigen Einkommen. Dies spiegelt sich in der Zusammen­setzung der verfügbaren Haushalts­einkommen in den unterschiedlichen Bereichen der Einkommens­verteilung wider. Der durchschnittliche Anteil der Erwerbs­einkommen (netto) am gesamten verfügbaren Haushalts­einkommen liegt im Jahr 2023 bei 65 %. Nach Einkommens­dezilen steigt dieser Anteil von 33 % im ersten Dezil auf 76 % im zehnten Dezil an. Auf die Pensions­einkommen (netto) entfällt ein durchschnittlicher Anteil am ver­fügbaren Einkommen von 23 %, wobei der Anteil im zweiten und dritten Dezil mit etwa 35 % am höchsten ist und danach auf 14 % im zehnten Dezil zurückgeht. Der Anteil der verschiedenen Transferleistungen (z. B. Sozialhilfe, Arbeitslosen­geld, Familien­leistungen) am verfügbaren Einkommen ist in den unteren Einkommens­­dezilen deutlich höher als in den oberen und mittleren Dezilen. Der Anteil der Vermögens­einkommen ist hingegen in den oberen Dezilen am höchsten, wobei diese in den für die Auswertung heran­gezogenen EU‑SILC‑Daten deutlich untererfasst sind.

Bei einer Gegen­über­stellung der Abgaben­belastung aus den vom Einkommen abhängigen Abgaben und den staatlichen Transfer­leistungen zeigt sich, dass im Jahr 2023 bei 45 % der Haushalte die bezogenen Transfer­leistungen höher waren als die geleisteten Abgaben. Dieser Anteil ist mit dem Einkommen stark rückläufig und liegt im ersten Dezil bei 80 % und im zehnten Dezil bei 21 %. Die Steuerbelastung aus den vom Konsum abhängigen Abgaben und die staatlichen Ausgaben für Sach­­leistungen bleiben bei dieser Analyse unberücksichtigt, sodass nur ein Teil­aspekt der staatlichen Umverteilung dargestellt wird. Während die vom Konsum abhängigen Abgaben tendenziell eine regressive Wirkung aufweisen, tragen die öffentlichen Sach­­leistungen maßgeblich zur staatlichen Umverteilung bei.