Budgetdienst - Anfragebeantwortungen

Senkung der Sozialversicherungsabgaben und integrierter Steuertarif

Analyse vom 9. Juli 2019

Überblick

Der Abg. Mag. Bruno Rossmann (JETZT) ersuchte den Budgetdienst um eine Kurzstudie zum Entlastungspotenzial bei den Sozialversicherungsabgaben und zu den Verteilungswirkungen, die sich bei der Einführung eines vorgegebenen integrierten Tarifs für Einkommensteuer und Sozialversicherungsbeiträge ergeben würden. Mithilfe eines Mikrosimulationsmodells wurden die Auswirkungen einer Senkung der Krankenversicherungsbeiträge sowie mehrerer Varianten eines integrierten Stufentarifs und eines integrierten linear progressiven Tarifs simuliert und dazu Verteilungsmaße ermittelt.

Die vollständige Analyse zum Download:

BD - Anfragebeantwortung zur Senkung der Sozialversicherungsabgaben und zu einem integrierten Steuertarif / PDF, 2632 KB

Für die Berechnungen in der vorliegenden Anfragebeantwortung des Budgetdienstes wird das EUROMOD‑Mikrosimulationsmodell herangezogen, das wesentliche Teile des österreichischen Steuer- und Transfersystems abbildet und mit Hilfe statistischer Daten zur Einkommens- und Haushaltsstruktur der Bevölkerung die Analyse von Änderungen im Steuer- und Transfersystem ermöglicht. Die Fragestellungen und die Annahmen zu den Tarifen beruhen auf der Anfrage des Abg. Mag. Bruno Rossmann. Für die Kurzstudie wird das Jahr 2020 als Reformjahr angenommen, bei den für die Simulationen verwendeten EU‑SILC‑Daten (Welle 2016) werden daher insbesondere die Einkommensdaten um Lohn- bzw. Preissteigerungen für die Jahre bis 2020 fortgeschrieben.

Senkung der Sozialversicherungsbeiträge

In der Fragestellung ist ein hypothetisches Reformszenario mit einer angestrebten Senkung der Sozialversicherungsbeiträge (SV-Beiträge) vorgegeben, die zu einem Entlastungsvolumen von insgesamt 700 Mio. EUR führen soll. Dies wird in der Modellrechnung über eine Reduktion des Krankenversicherungsbeitrags um 3,87 %‑Punkte bis zu einem monatlichen Bruttoeinkommen von 1.011 EUR umgesetzt, sodass für ArbeitnehmerInnen in diesem Einkommensbereich der Krankenversicherungsbeitrag gänzlich entfällt. Auch für die übrigen Erwerbsgruppen (z.B. Selbständige und PensionistInnen) erfolgt eine Reduktion der Krankenversicherungsbeiträge (KV-Beiträge) im gleichen Ausmaß. Damit ergibt sich eine maximale Senkung der KV‑Beiträge von rd. 39 EUR pro Monat (14 mal) beziehungsweise 548 EUR pro Jahr. Zwischen einem Bruttoeinkommen von 1.011 EUR und 2.022 EUR (entspricht der valorisierten Grenze für verringerte Arbeitslosenversicherungsbeiträge) reduziert sich die Entlastung linear auf 0 EUR. Auch in diesem Bereich kommt es damit zu einer niedrigeren durchschnittlichen Belastung. Die Entlastungswirkung ist für das unterste Äquivalenzeinkommensdezil am größten. Hier kommt es zu einem Anstieg des verfügbaren Äquivalenzeinkommens um 1,4 %, in Absolutbeträgen entfällt auf das zweite Dezil mit insgesamt 110 Mio. EUR (16 %) der größte Anteil. Da teilweise auch in Haushalten mit hohem Gesamteinkommen Mitglieder mit einem niedrigeren Einkommen leben, werden in allen Dezilen der Verteilung einzelne Haushalte entlastet, der Anteil am Entlastungsvolumen reduziert sich jedoch kontinuierlich auf 4,3 % im obersten Dezil der Verteilung. Der Gini‑Koeffizient für das verfügbare Haushaltsäquivalenzeinkommen fällt durch die Reform von 0,259 auf 0,257, diese führt demnach zu einer gleicheren Einkommensverteilung. Durch die Senkung der KV‑Beiträge erhöhen sich die Anreize für eine Beschäftigungsaufnahme bis zu einem Bruttomonatseinkommen iHv 2.022 EUR, sodass auch die Aufnahme von Teilzeitarbeit attraktiver wird. Zugleich steigt jedoch die Grenzbelastung im Bereich ab einem Bruttomonatseinkommen iHv 1.011 EUR, wodurch die Anreize zur Ausweitung des Arbeitsangebots abnehmen, weil Einkommenszuwächse höher als bisher besteuert werden.

Integrierter Tarif für Einkommensteuer und Sozialversicherungsbeiträge

Ein integrierter Tarif basiert auf einer einheitlichen Bemessungsgrundlage und einem gemeinsamen Tarif für SV-Beiträge und die Einkommensteuer. Die Einführung eines integrierten Tarifs würde zu einem erheblichen Umbau des Beitragsrechts in der Sozialversicherung und im Einkommensteuerrecht führen und die Umsetzung würde die Berücksichtigung zahlreicher (verfassungs)rechtlicher Aspekte wie beispielsweise auch des Vertrauensschutzes erforderlich machen, auf die in dieser Kurzstudie nur am Rande hingewiesen werden kann. Die durchgeführten Simulationen dienen vielmehr dazu, die Unterschiede in der Tarifstruktur und die damit einhergehenden Anreiz- und Verteilungswirkungen herauszuarbeiten. Der hier simulierte integrierte Tarif sieht für die Einhebung der SV-Beiträge und der Einkommensteuer eine einheitliche Bemessungsgrundlage und einen gemeinsamen Tarif vor, der sich auf die Jahreseinkommen bezieht. Dabei unterscheidet sich die Vorgehensweise zur Ermittlung der Bemessungsgrundlage deutlich von der derzeit gültigen Rechtslage, unter der etwa die monatlichen Bruttoentgelte die Bemessungsgrundlage für die SV‑Beiträge bilden, die Höhe der SV‑Beiträge durch die Höchstbeitragsgrundlage begrenzt wird und die SV‑Beiträge zur Ermittlung der Bemessungsgrundlage für die Einkommensteuer in Abzug gebracht werden. Außerdem wird die Besteuerung der Sonderzahlungen (v.a. das 13. und 14. Monatsgehalt) in den allgemeinen Tarif integriert, die Geringfügigkeitsgrenze wird jedoch beibehalten, um eine Schlechterstellung geringfügig Beschäftigter zu vermeiden.

Entsprechend der Anfrage wird zunächst ein insgesamt aufkommensneutraler integrierter Stufentarif simuliert, der in der untersten Steuerstufe einen Grenzsteuersatz von 10 % aufweist, bei 11.000 EUR auf 25 %, bei 17.000 EUR auf 35 %, bei 30.000 EUR auf 45 % und bei 59.000 EUR auf 55 % ansteigt. Bei Einkommen unter der Geringfügigkeitsgrenze iHv 6.365 EUR fällt auch im integrierten Tarif keine Steuer an. Insgesamt fällt dieser Tarif damit progressiver aus als die derzeit gültige Gesamtabgabe aus SV-Beiträgen und Einkommensteuer, die Grenzsteuersätze des integrierten Stufentarifs weisen jedoch einen einfacheren und stets steigenden Verlauf auf. Ab der Geringfügigkeitsgrenze bis zu einem jährlichen Bruttoeinkommen iHv 70.000 EUR kommt es bei ArbeitnehmerInnen zu einer Erhöhung der Nettoeinkommen, die bei einem Single‑Haushalt ohne Kinder jährlich zwischen 200 EUR und 1.400 EUR ausmacht. Selbständige, die derzeit höhere Beiträge zahlen, werden aufgrund der nun einheitlichen Abgabensätze deutlich stärker und bis zu höheren Jahreseinkünften entlastet, während es bei PensionistInnen zu einer Mehrbelastung kommt, weil sie derzeit unter anderem keine Pensionsversicherungsbeiträge bezahlen. Diese Mehrbelastung wird jedoch bei niedrigen Bruttopensionen bis jährlich 15.000 EUR im simulierten Tarif durch eine Erhöhung des Pensionistenabsetzbetrages ausgeglichen.

Im Gegensatz zum Stufentarif steigen bei einem insgesamt ebenfalls aufkommensneutralen linear progressiven integrierten Tarif die Grenzsteuersätze zwischen dem unteren Grenzwert von 6.365 EUR und dem oberen Grenzwert von 41.700 EUR linear an. In den Bereichen unter bzw. über diesen Grenzwerten ist die Tarifstruktur gleich wie beim integrierten Stufentarif, allerdings kommt der Spitzengrenzsteuersatz von 55 % beim linear progressiven Tarif bereits ab einem deutlich niedrigeren Einkommen zur Anwendung. Dies ist auf die durchschnittlich niedrigeren Grenzsteuersätze im linearen Segment des Steuertarifs zurückzuführen, wodurch zur Erreichung der Aufkommensneutralität ein früheres Einsetzen des Spitzengrenzsteuersatzes erforderlich wird.

Verteilungswirkungen des integrierten Tarifs

Hinsichtlich der Verteilungswirkung kommt es bei einer Einführung des beschriebenen integrierten Stufentarifs in den ersten neun Einkommensdezilen im Durchschnitt zu einer Entlastung. Am stärksten fällt diese mit einem Anstieg des durchschnittlichen verfügbaren Haushaltsäquivalenzeinkommens um 5,9 % im 1. Dezil und um 3,1 % im 2. Dezil aus. Die Finanzierung der Entlastung der übrigen Dezile erfolgt vor allem durch eine Mehrbelastung der obersten Einkommen. Im 10. Dezil sinkt das durchschnittliche verfügbare Äquivalenzeinkommen um 3,9 %, in Absolutbeträgen wird dieses Dezil mit insgesamt 1,5 Mrd. EUR zusätzlich belastet. Die Verteilungswirkung innerhalb der einzelnen Dezile schwankt jedoch erheblich. Insgesamt ergibt sich zwischen den einzelnen Haushalten ein Umverteilungsvolumen iHv 3,7 Mrd. EUR. Der Gini‑Koeffizient reduziert sich gegenüber dem Status quo von 0,259 um 3,9 % auf 0,249, die Reform führt demnach zu einer gleicheren Verteilung der verfügbaren Äquivalenzeinkommen. Für die Verteilungswirkung zeigt sich beim integrierten linear progressiven Tarif ein ähnliches Bild wie beim integrierten Stufentarif, insgesamt wirkt der integrierte linear progressive Tarif jedoch etwas stärker umverteilend. Dies spiegelt sich auch in einem stärkeren Rückgang des Gini‑Koeffizienten um 5,9 % auf 0,244 wider. Die Umverteilungswirkung der Reformszenarien wird auch durch das in der Anfrage gewünschte Ersetzen des Familienbonus durch eine allgemeine Erhöhung der Familienbeihilfe verstärkt. Eine frühere Anfragebeantwortung des Budgetdienstes zur Verteilungswirkung des Familienbonus und alternativer Förderungsmodelle zeigt, dass dies insbesondere in den ersten drei Dezilen zu einer Entlastung führen würde, während das durchschnittliche Äquivalenzeinkommen ab dem 5. Dezil mit dem Familienbonus höher ausfällt.

In den Szenarien ohne Beibehaltung der im Mikrosimulationsmodell enthaltenen Frei- und Absetzbeträge (z.B. Verkehrsabsetzbetrag, Alleinverdiener- und Alleinerzieherabsetzbetrag, Werbungskostenpauschale) können die frei werdenden Mittel verwendet werden, um höhere Grenzen für die Steuerstufen zu implementieren. Im Allgemeinen fällt die Entlastungswirkung dadurch in den unteren sechs Dezilen etwas schwächer aus, während Haushalte ab dem 8. Dezil gegenüber den ursprünglichen Szenarien tendenziell gewinnen. Dies ist darauf zurückzuführen, dass die oberen Einkommen besonders stark von der Anhebung der Tarifstufen profitieren, wohingegen beispielsweise Einkommen unterhalb der ersten Tarifstufe stärker belastet werden.

Ein einheitlicher integrierter Tarif für ArbeitnehmerInnen, Selbständige und PensionistInnen führt wegen der verschiedenen Beitragssätze zur Sozialversicherung im Status quo zu deutlichen Verschiebungen der Steuerlast zwischen diesen Gruppen. So steigt etwa bei Einführung des integrierten Stufentarifs die Abgabenlast für PensionistInnen um insgesamt 2,3 Mrd. EUR an, während die Selbständigen mit 1,1 Mrd. EUR und die ArbeitnehmerInnen mit 1,2 Mrd. EUR entlastet werden. In einem zusätzlichen Szenario werden daher die Beitragssätze von Selbständigen und PensionistInnen so angepasst, dass die Umstellung auf den integrierten Stufentarif auch innerhalb der jeweiligen Beitragsgruppe weitgehend aufkommensneutral gestaltet wird. Die Einkommensteuer auf die Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit wird dazu bis zur Höchstbeitragsgrundlage iHv 74.359 EUR um 7 %‑Punkte erhöht und auf die Pensionseinkommen um 7 %‑Punkte verringert. Die Verteilungswirkung für dieses angepasste Szenario weist im Durchschnitt zwar eine relativ ähnlich Struktur wie für den ursprünglichen integrierten Tarif auf, durch die Anpassung kommt es jedoch zu einer deutlich gleichmäßigeren Entlastung bzw. Belastung der Haushalte innerhalb der einzelnen Einkommensdezile.