Budgetdienst - Analysen auf Anfrage 18.08.2021

Steuerliche Berücksichtigung fiktiver Eigenkapitalzinsen

Überblick

Die Abgeordnete Karin Doppelbauer ersuchte den Budgetdienst um eine Kurz­studie zur steuerlichen Abzugs­fähigkeit von fiktiven Eigenkapital­zinsen. Diese stellt eine Möglichkeit dar, die steuerliche Bevorzugung von Fremd­kapital bei der Unternehmens­finanzierung zu vermeiden und die Eigenkapital-quoten zu erhöhen. Die Analyse des Budgetdienstes fokussiert auf die Erfahrungen aus in der EU eingesetzten Modellen und zeigt die unterschiedlichen Gestaltungs­optionen auf, die sich in den fiskalischen Wirkungen und den begünstigten Branchen und Unternehmens­typen unterscheiden.

Die vollständige Anfragebeantwortung zum Download:

BD - Anfragebeantwortung zur steuerlichen Berücksichtigung fiktiver Eigenkapitalzinsen / PDF, 671 KB

BD - Anfragebeantwortung zur steuerlichen Berücksichtigung fiktiver Eigenkapitalzinsen_BF / PDF, 1016 KB

Kurzfassung

Die Abgeordnete Karin Doppelbauer ersuchte den Budgetdienst um eine Studie zur steuerlichen Abzugs­fähigkeit von fiktiven Eigenkapital­zinsen. Sie weist dabei auf die oft geringe Eigenkapital­ausstattung österreichischer Unternehmen sowie auf die unterschiedliche Besteuerung von Fremd- und Eigenkapital im österreichischen Steuersystem hin.

Fiktive Eigenkapitalzinsen zum Ausgleich des Debt Bias traditioneller Steuersysteme

Bei einer Fremdkapitalfinanzierung können die anfallenden Zinsen als Betriebs­ausgaben abgezogen werden und sie mindern daher den steuerlichen Gewinn. Die Zinsen als Erträge des Fremd­kapitals werden nur beim:bei der Kapitalgeber:in als Einkommen besteuert. Die Erträge des Eigenkapitals werden demgegenüber sowohl auf Ebene des Unternehmens als auch in Form von Dividenden oder Kapital­entnahmen bei den Eigentümer:innen besteuert. Dies schafft einen Steuervorteil zugunsten einer Fremd­kapital­finanzierung, der als sogenannter "Debt Bias" bezeichnet wird. Eine Möglichkeit, um den Debt Bias auszugleichen, stellt die Absetzbarkeit fiktiver Eigenkapitalzinsen dar. Darunter versteht man den rechnerischen Ansatz von Zinsen auf das Eigen­kapital, die vom steuerbaren Gewinn in Abzug gebracht werden. 

Studien und internationale Beispiele zeigen, dass fiktive Eigenkapital­zinsen sowohl in der Steuer­literatur als auch in der Praxis grundsätzlich als taugliches Mittel angesehen werden, um den Debt Bias zu reduzieren und die Eigen­kapital­ausstattung zu verbessern. Die positiven Effekte hängen jedoch wesentlich von der konkreten Ausgestaltung ab.

Internationale Modelle und daraus ableitbare Erfahrungen

In der EU bestehen Regelungen zur Abzugs­fähigkeit von fiktiven Eigenkapital­zinsen aktuell in Belgien, Italien, Malta, Polen, Portugal und Zypern. Allerdings hat sich dabei kein einheitliches Modell herausgebildet. Die Europäische Kommission will im 1. Quartal 2022 einen Legislativ­vorschlag unterbreiten, um die Bevorzugung von Fremd­kapital zu beseitigen. 

Das belgische Modell wurde 2006 eingeführt, mehrmals geändert und ab 2018 mit einem Anti-Missbrauchs-Rahmen versehen. Ab dem Veranlagungsjahr 2018 wurde vom Gesamt­kapital als Bemessungs­grundlage auf ein Eigenkapital­zuwachs­system umgestellt. Dem Modell wird in mehreren Studien eine positive Wirkung auf Eigen­kapital­bildung und makroökonomische Faktoren attestiert. Mit der Umstellung auf das Eigenkapital­zuwachs­system wurde der Fiskaleffekt laut verfügbaren Schätzungen deutlich reduziert. Italien hat ein auf dem Eigenkapital­zuwachs basiertes System, das seit 2011 einigen Änderungen unterzogen wurde, vor allem wurden Anti-Missbrauchs­bestimmungen eingeführt. Einzelne Studien attestieren ebenfalls positive Effekte auf die Eigenkapital­quote. In Portugal wurde die Abzugsfähigkeit von fiktiven Eigenkapital­zinsen 2008 eingeführt und seither mehrfach novelliert. Ursprünglich richtete sich das Steuerregime an Start-Ups sowie Klein- und Mittelbetriebe und gilt seit dem Veranlagungs­jahr 2017 mit einer Deckelung für alle Unternehmen.

Die konkreten Motivationslagen (z. B. Attraktivierung des Standorts für internationales Kapital, Förderung von Neu­gründungen) haben sich maßgeblich auf die Ausgestaltung ausgewirkt. Davon waren auch die stark unterschiedlichen budgetären Auswirkungen abhängig, je nachdem ob das gesamte Eigenkapital oder nur der Zuwachs, ein niedrigerer oder höherer Zinssatz oder ein Deckel für die Abzugs­fähigkeit herangezogen wurden. 

Österreichische Regelung (2000-2003) und aktuelle Studien für Österreich

Die Steuerreform 2000 schuf eine ertragsteuerliche Sonder­regelung für fiktive Eigenkapital­zinsen auf den Eigenkapital­zuwachs, die bereits Ende 2003 wieder außer Kraft gesetzt wurde. Das BMF führte als Gründe für die Abschaffung die Komplexität der Regelung und den damit verbundenen hohen Verwaltungs­aufwand an. Gemäß einer parlamentarischen Anfrage­beantwortung des BMF vom Dezember 2020 soll nunmehr ein praktikableres Modell umgesetzt werden, das auf den jeweiligen Eigenkapital­bestand abstellt.

Zwei kürzlich erschienene Studien von ECO Austria im Auftrag des BMF und von Petutschnig im Auftrag der Arbeiter­kammer bewerten anhand von Modell­annahmen den fiskalischen Effekt. Bei einer Einbeziehung des gesamten Eigenkapitals und ohne Deckelung der Abzugs­möglichkeit von fiktiven Eigenkapital­zinsen errechnen beide Studien einen Entlastungs­effekt bei der Körperschaft­steuer für das Jahr 2018 von rd. 1,3 Mrd. EUR. Die Ergebnisse sind aber aufgrund der unterschiedlichen Methoden nicht unmittelbar vergleichbar. Bei der von ECO Austria angenommenen Deckelung des Abzugsbetrages mit 250.000 EUR (25 % von 1 Mio. EUR) reduziert sich die Entlastung auf jährlich 720 Mio. EUR.

Gestaltungsoptionen

Wesentliche konzeptionelle Eckpfeiler bei der fiktiven Eigenkapital­verzinsung sind die einbezogenen Unternehmen, die Bezugs­basis (gesamtes allenfalls angepasstes Eigenkapital versus Eigenkapital­zuwachs), die Höhe des Zinssatzes, eine etwaige Deckelung der Abzugs­fähigkeit und der Steuer­entlastungs­effekt für Unternehmen bzw. der gesamte daraus resultierende Fiskal­effekt. Durch die konkrete Ausgestaltung wird festgelegt, welche Unternehmen tendenziell eher profitieren werden. So wirkt eine Deckelung der Absetzbarkeit eher zugunsten von KMU oder begünstigt die Anrechnung fiktiver Eigenkapitalzinsen auf das gesamte Eigenkapital eher kapitalstarker Unternehmen bzw. Branchen.

Eine Analyse der Eigenkapitalquoten zeigt deutliche Branchen­unterschiede auf. Die höchsten Eigenkapital­anteile finden sich bei der Erbringung von freiberuflichen Dienst­leistungen (Median: 42,6 %) sowie im Bergbau (36,9 %), die niedrigsten in der Beherbergung und der Gastronomie (12,5 %). Hinsichtlich der Unternehmens­größe ergibt sich kein einheitliches Bild, größere Unternehmen verfügen jedoch absolut über mehr Eigenkapital und haben tendenziell auch eine etwas höhere Eigenkapital­quote. Auch innerhalb der Branchen weisen die Unternehmen eine starke Bandbreite auf. 

Eine im Europäischen Rat eingesetzte Gruppe "Verhaltenskodex Unternehmensbesteuerung" beurteilt die steuerlichen Maßnahmen danach, ob diese schädliche Auswirkungen aufweisen. Potenziell schädlich sind etwa Regelungen, die gemessen an den üblicherweise im betreffenden Mitgliedstaat geltenden Besteuerungs­niveaus eine deutlich niedrigere Effektiv­besteuerung bewirken oder keine ausreichenden Missbrauchs­regeln aufweisen. Neue Modelle oder jüngst erfolgte Änderungen umfassen daher jeweils auch Regeln zur Verhinderung strategischer Steuer­planungen und Missbrauch, vor allem in Zusammenhang mit der Verlagerung von Kapital in Unternehmen in einer Konzernstruktur.  

Transparenz in Entscheidungsfindung und Vollzug

Ein konkretes Modell bedarf der legistischen Umsetzung in Form einer Novelle zum Körperschaft- und gegebenenfalls zum Einkommen­steuer­gesetz. Eine rechtzeitig vor Beschluss­fassung vorgelegte Wirkungsorientierte Folgen­abschätzung durch das BMF wäre ein wesentlicher Input für die parlamentarische Debatte. Kern einer solchen Wirkungsorientierten Folgen­abschätzung wäre die möglichst genaue Offenlegung der mit der Reform konkret angestrebten Zielsetzungen. Die Höhe des fiskalischen Effekts hängt stark von der konkreten Ausgestaltung ab. Dieser ist auch in Zusammenhang mit anderen Steuer­maßnahmen im Bereich der Körperschaftsteuer bzw. unternehmens­relevanten Einkommen­steuer zu beurteilen, wie etwa der angedachten Körperschaft­steuer­senkung auf 21 %. Ein umfassendes Begutachtungs­verfahren eines Ministerial­entwurfs würde im Hinblick auf die unterschiedlichen Ausgestaltungs­möglichkeiten und die notwendigen technischen Erfordernisse ein breites Feedback ermöglichen, um die konzeptionelle, rechtliche und technische Qualität der Regierungsvorlage zu optimieren.