Dokumente zur Entstehung der Reichsratsbibliothek

Erfahren Sie mehr über unsere Anfänge als Parlamentsbibliothek.

"…zu einer Bibliothek des Reichsrathes vollkommen geeignet…"

Mit der Allerhöchsten kaiserlichen Entschließung vom 11. Mai 1869 ist endlich jener Formalakt vollzogen, der aus der Bibliothek des Staatsrats die des Reichsrats, der Volksvertretung der cisleithanischen Hälfte der Donaumonarchie, werden lässt.

Kaiser Franz Joseph I. entspricht damit dem dringenden Wunsch der Abgeordneten, repräsentiert durch den Reichsratspräsidenten Moriz von Kaiserfeld, nach einer adäquaten eigenständigen Informationsversorgung und legt so den Grundstein für die 150-jährige Geschichte der Parlamentsbibliothek, die, wie sich zeigen wird, auf das Engste mit der Entwicklung der österreichischen Demokratie, des Parlamentarismus und seiner Verwaltung verbunden sein wird.

Ein Parlament ohne Bibliothek?

Der Reichsrat verfügt in seiner ersten Session von 1861 bis 1865 über keine eigenständige Informationseinrichtung. Erst während der zweiten Session richtet der Reichsratspräsident Moriz von Kaiserfeld ein auf den 15. Juni 1868 datiertes Handschreiben an den Ministerpräsidenten Fürst Carl Wilhelm Auersperg in dem er betont, dass "der Abgang einer Bibliothek, welche den Mitgliedern des Reichsrathes zu jeder Zeit zugänglich ist, [...] von denselben wiederholt tief gefühlt" worden ist.

Zu diesem Zwecke bittet er um Übergabe der Bibliothek des aufgelösten Staatsrats an den Reichsrat, da "die Aufgabe, welche dem Staatsrathe durch das Statut vom 26. Feber 1861 R.G.B. [RGBl.] No 22 gestellt war [ihn annehmen lässt], dass die Werke, welche den Bestand der Bibliothek bilden, diese nunmehr zu einer Bibliothek des Reichsrathes vollkommen geeignet machen."

Der Charakter des Ausgangsbestands

Der Bestand der Bibliothek des Staatsrats umfasst zur Zeit der Übernahme rund 6.000 Bände, die in einem Katalog verzeichnet sind, der sowohl eine Gliederung nach Autoren als auch eine Aufteilung nach Materien beinhaltet.

 Allerdings bietet er keine exakte Bestandsaufnahme, da selbst der Bibliothekar des Staatsrats und schließlich erste Leiter der Bibliothek des Reichsrats, Franz J. Koch, nicht über den genauen Bücherbestand Bescheid weiß: Er spricht von einer "muthmäßlichen Höhe von 6.000 Bänden".

 Bereits in diesem Bestand gibt es eine große Anzahl an Gesetzessammlungen sowie wichtige Werke aus unterschiedlichen Wissensbereichen.

Die Philosophie ist bspw. mit "Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre" von Immanuel Kant vertreten; im Bereich der Ökonomie liegt u. a. das zweibändige Werk von Adam Smith "Über die Quellen des Volkswohlstandes" vor, und auf dem Gebiet des Völkerrechts das von Grotius auf Lateinisch verfasste fünfbändige Werk "De jure belli ac pacis cum commentariis Cocceji".

Zusätzlich zu den staatswissenschaftlichen Bereichen sind "Neben- und Hilfswissenschaften (Enzyklopädien, Lexika, Geschichte, Topographien, Landkarten, Schematismen) vertreten". Nach Meinung des Bibliotheksleiters waren "alle inländischen juristischen und staatswissenschaftlichen Zeitschriften vertreten, die ausländischen Fachzeitschriften allerdings fehlten".

Neue Funktion, vorerst geringes Budget

Aus Sicht des Bibliotheksdirektors Franz J. Koch ist die Bibliothek unterbudgetiert. Von den 500 fl. (Florentiner Gulden) pro Jahr entfallen bereits 150 fl. auf Abonnements und 160 fl. auf Buchbindearbeiten. Für den Ankauf neuer Werke bleiben so lediglich 190 fl. übrig. Ein mittleres Sachbuch kostet zu dieser Zeit etwa 1,5 fl. Damit ist jährlich nur die Anschaffung von durchschnittlich 120 Büchern möglich. Bereits der nächste Leiter der Bibliothek, Johann Vincenz Goehlert, wird das Budget auf 1.500 fl. erhöhen können und so schon 1870 die Büchersammlung auf zirka 8.000 bis 10.000 Bände steigern.

Das administrative und organisatorische Bemühen um die Bibliothek nimmt nach dem Erfolg des 11. Mai 1869 kein Ende. Unter anderem muss die Bibliothek vorerst in den Räumen des ehemaligen Staatsrats, nunmehr des Ministerratspräsidiums, in der Bankgasse 10 verbleiben, da im provisorischen Gebäude für das Abgeordnetenhaus, der sogenannten "Bretterbude" am Schottentor, nicht ausreichend Platz für eine Bibliothek vorhanden ist.

Lektüreempfehlungen zur Bibliotheksgeschichte

  • Czerny, W.F.: Die Entwicklung der österreichischen Parlamentsadministration. In: Schambeck (Hg.), Österreichs Parlamentarismus – Werden und System, Berlin 1986 Zum Suchportal
  • Dietrich-Schulz, E./Megner, K.: Die österreichische Parlamentsbibliothek. In: ABI-Technik 16, 1996, Nr. 2, S. 133-140. Zum Suchportal
  • Dietrich-Schulz, E.: Die österreichische Parlamentsbibliothek im Wandel. In: Mitteilungen der VÖB 56, 2003, Nr. 2, S. 54-63. Zum Suchportal
  • Pech, C.: Nur was sich ändert, bleibt! Die österreichische Parlamentsbibliothek im Wandel der Zeit 1869-2002. Wien 2002. Zum Suchportal
  • Schefbeck, G.: Parlamentsverwaltung auf dem Weg zur Autonomie. In: Brüche und Kontinuitäten 1933–1938–1945. Wien 2013. Zum Suchportal