Bereits im November 1918 hatten sich die politischen Parteien auf Vorschlag Karl Renners, des ersten Staatskanzlers der Republik, auf die Grundlagen der neuen Verfassung geeinigt. Sie sollte Deutschösterreich als parlamentarische Republik, Bundesstaat und Rechtsstaat organisieren. Das waren auch die Vorgaben an die Beamten der Staatskanzlei, die unter der Leitung des Wiener Universitätsprofessors Hans Kelsen ab 1919 an Verfassungsentwürfen arbeiteten. Kelsen beschrieb das 1960 anschaulich in der einzigen Filmaufnahme, die von ihm existiert.
Ausgangspunkt für die Arbeiten an der neuen Verfassung waren die Gesetze über Staatsgewalt und Regierungsform von Oktober und November 1918. Dazu kamen weitere Gesetze, wie das Grundgesetz über die richterliche Gewalt, die Änderungen des Gesetzes über die grundlegenden Einrichtungen der Staatsgewalt sowie die Gesetze über die Volksvertretung und die Staatsregierung. Die Grundsätze, die hier festgelegt wurden, finden sich fast zur Gänze im B-VG 1920 wieder.
Offen waren vor allem die Fragen hinsichtlich des Staatsoberhaupts, der parlamentarischen Demokratie und der Volksgesetzgebung, der Grundrechte und der bundesstaatlichen Organisation Österreichs.
Für alle diese Themen konnte man auf verschiedene internationale Vorbilder ebenso wie auf Erfahrungen und nicht verwirklichte Reformvorschläge aus der Zeit der Habsburgermonarchie zurückgreifen. Besondere Bedeutung kam der Verfassung des Deutschen Reichs vom 31. Juli 1919 (auch Weimarer Reichsverfassung genannt) zu. Der Grund dafür war nicht bloß der Wunsch, Österreich auf den „Anschluss“ an das Deutsche Reich vorzubereiten. Vielmehr waren in Deutschland öffentliche Diskussionen über Demokratie, politische Parteien und den Reichspräsidenten geführt worden, die international sehr viel Aufmerksamkeit erregt hatten.
In Österreich stand zur Debatte, ob das Staatsoberhaupt vom Volk oder dem Parlament gewählt werden sollte. Die Volkswahl wurde nach dem Vorbild der Weimarer Reichsverfassung als Gegengewicht zum Parlament verstanden. Das Staatsoberhaupt sollte die Staatseinheit gegenüber der Parteienvielfalt im Parlament zum Ausdruck bringen und über starke Rechte verfügen. Diesem Vorschlag stand die Sozialdemokratie skeptisch gegenüber.
Bereits im Herbst 1918 hatte man sich auf ein starkes Parlament verständigt. Offen war aber unter anderem, wie die Verbindung Parlament-WählerInnen organisiert werden sollte. Die Sozialdemokratie sprach sich für sehr kurze Gesetzgebungsperioden (etwa zwei Jahre) aus, um eine starke Rückkopplung mit den Bürgern und Bürgerinnen zu garantieren. Die Christlichsozialen favorisierten eine sechsjährige Periode in Kombination mit der Möglichkeit, Volksentscheide über Gesetze herbeizuführen.
Alle Parteien waren sich darin einig, dass die Länder vor allem aufgrund ihrer Rolle bei der Staatsbildung auch weiterhin eine wichtige Stellung haben sollten. Umstritten war jedoch, wie weit die Selbständigkeit der Länder reichen sollte, wie die Kompetenzen zwischen Bund und Ländern genau aufgeteilt und Konflikte gelöst werden sollten.
Besondere Bedeutung kam zudem den Friedensverhandlungen in Paris zu. Mit der Unterzeichnung des Staatsvertrags von St. Germain am 10. September 1919 wurde das Staatsgebiet Österreichs festgelegt und der neue Staat zur Eigenständigkeit verpflichtet. Ab diesem Zeitpunkt war klar, dass sich die politischen Parteien auch in der Verfassungsfrage festlegen mussten.