Die Beschwerde sei zulässig: Weil sich der Sachverhalt vor dem Ausscheiden der Russischen Föderation aus der EMRK am 16. September 2022 ereignet habe, sei der Gerichtshof für die Entscheidung dieses Falles zuständig. Daran ändere auch der Umstand nichts, dass die Regierung der Russischen Föderation nicht an dem Verfahren teilgenommen habe.
Die Beschwerde sei auch begründet: Nach der Rechtsprechung des EGMR umfasse Art. 3 des 1. ZP zur EMRK auch subjektive Rechte, einschließlich des Rechts zu wählen und des Rechts bei Wahlen zu kandidieren. Diese Rechte seien jedoch nicht absolut. Vielmehr bestehe Raum für implizit geltende Beschränkungen, und genössen die Vertragsstaaten einen weiten Beurteilungsspielraum. Diese könnten sich zur Rechtfertigung einer Einschränkung auf ein Ziel stützen, das angesichts der Umstände des Einzelfalls mit dem Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit und den allgemeinen Zielen der EMRK vereinbar sei. Bei der Beurteilung von Einschränkungen des passiven Wahlrechts sei der EGMR zurückhaltender als bei solchen des aktiven Wahlrechts. Zwar hätten die Staaten einen großen Beurteilungsspielraum bei der Festlegung der allgemeinen Wahlvoraussetzungen, jedoch erfordere das Prinzip der Wirksamkeit der Rechte, dass das Verfahren zur Feststellung der Wahlberechtigung hinreichende Garantien enthalte, um willkürliche Entscheidungen zu vermeiden.
In diesem Fall sei dem Beschwerdeführer nur sechs Tage nach Bestätigung seiner Kandidatur für die Wahl zur Staatsduma das passive Wahlrecht entzogen worden, was mit der Unterstützung Alexei Navalnys durch seine Demonstrationsteilnahme und die Ermutigung anderer, es ihm gleichzutun, begründet worden sei.
Die Teilnahme an einer friedlichen Versammlung sei ein von Art. 11 EMRK gewährleistetes Recht. Der Gerichtshof habe bereits entschieden, dass die Verurteilung des Beschwerdeführers für die Ausübung dieses Rechts gegen diese Bestimmung verstoße (vgl. EGMR 27.6.2024, 52263/21, Golikov ua. gg. Russland). Daher könne die Ausübung des Rechts auf Versammlungsfreiheit nicht als Grundlage für eine Strafe, einschließlich des Entzugs des passiven Wahlrechts, herangezogen werden. Dies umso mehr, als das dem Beschwerdeführer vorgeworfene Verhalten lediglich darin bestanden habe, andere Personen zu ermutigen, sich dieser Demonstration anzuschließen.
Der Entzug des passiven Wahlrechts des Beschwerdeführers sei daher willkürlich erfolgt und habe diesen in seinen von Art. 3 des 1. ZP zur EMRK gewährleisteten Rechten verletzt (vgl. demgegenüber die Judikaturauswertungen zu EGMR 18.5.2021, 63772/16, Galan gg. Italien; 25.7.2024, 42221/18, Ždanoka gg. Lettland [Nr. 2]).
Das vom Beschwerdeführer zur Verletzung von Art. 18 EMRK erstattete Vorbringen überschneide sich mit dem auf Grundlage von Art. 3 des 1. ZP zur EMRK dargelegten. Angesichts der festgestellten Verletzung des Art. 3 des 1. ZP zur EMRK bestehe kein Anlass, die Zulässigkeit oder Begründetheit der Beschwerde auch aus der Perspektive von Art. 18 EMRK zu prüfen.
Vgl. zu diesem Verfahren die Pressemitteilung (in englischer Sprache) und den Volltext der Entscheidung (in französischer Sprache).