Fachinfos - Fachdossiers 20.10.2025

Spannungsfelder zwischen Landschafts-, Natur- und Umweltschutz

Was macht die Komplexität dieses Themenfelds aus?

Am 22.10.2025 findet eine Enquete des Bundesrats zum Thema "Landschafts-, Natur- und Umweltschutz im Spannungsfeld von Bodennutzung, Bodenverbrauch und Energiegewinnung" statt. Dabei stellen Experten aus Wissenschaft und (politischer) Praxis ihre spezifischen Blickwinkel auf das Themenfeld vor. 

Dieses erweist sich als besonders komplex, weil es durch eine Vielzahl an Spannungsfeldern zwischen Gesellschaft, Natur, Umwelt und Wirtschaft geprägt ist. In diesem Fachdossier zeichnet der Rechts-, Legislativ- und Wissenschaftliche Dienst (RLW) wesentliche Gründe für diese Komplexität nach. Außerdem wird anhand von Beispielen gezeigt, wie die angesprochenen Spannungsfelder besser verstanden und die Wissensgrundlagen für politische Entscheidungen verbreitert werden können.

Welche Spannungsfelder können im Zusammenspiel von Gesellschaft, Natur, Umwelt und Wirtschaft entstehen?

Als Spannungsfelder werden in vorliegendem Text Situationen und Konstellationen verstanden, in denen unterschiedliche Akteurinnen und Akteure mit (scheinbar) widersprüchlichen Interessen aufeinandertreffen. Dadurch kann es zu Konflikten bzw. Spannungen kommen, die politische Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger bei der Suche nach Lösungen vor besondere Herausforderungen stellen.

Aktuell wird im gegenständlichen Themenfeld vor allem über mögliche oder scheinbare Widersprüche zwischen den folgenden Bereichen diskutiert:

Wie komplex die Phänomene sind, welche diesen Spannungsfeldern zugeordnet werden können, zeigt sich schon alleine darin, wie unterschiedlich sich politische Akteurinnen und Akteure – je nach Interessen und Schwerpunkten – diesen annähern. Für Außenstehende ist es daher oft schwer zu erkennen, auf welche Zusammenhänge vorgeschlagene Lösungen primär abzielen. Hat z. B. ein bestimmtes Maßnahmenpaket zum Ziel, …

  • ... den Schutz von Natur und/oder Umwelt zu verbessern (z. B. Erhalt von Biodiversität und Artenvielfalt oder Schutz des Klimas),
  • ... Auswirkungen bestimmter Entwicklungen auf die Gesellschaft und deren Zusammenhalt (z. B. Verteilungsgerechtigkeit oder Auswirkungen auf die Gesundheit) zu steuern,
  • ... die wirtschaftliche Entwicklung zu beeinflussen (z. B. das Bruttoinlandsprodukt eines Landes, die Ernährungssicherheit eines Teils der Gesellschaft oder die Existenz von Arbeitsplätzen),
  • ... oder den Erhalt oder die Weiterentwicklung der Kultur bzw. Identität, die einer Gesellschaft zugeschrieben wird (z. B. deren Kulturlandschaft und/oder damit in Zusammenhang stehende touristische Ausrichtung), zu forcieren?
  • Oder werden mehrere dieser Bereiche gleichzeitig adressiert?

Diese Liste ist keineswegs umfassend, sie deutet nur exemplarisch auf unterschiedliche Motivationslagen hinter politischen Entscheidungsfindungen in diesem Bereich hin. Den Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträgern obliegt es, zwischen unterschiedlichen damit in Zusammenhang stehenden Interessen zu vermitteln. 

Am Beispiel der Schaffung von Grünräumen im urbanen Raum kann deutlich werden, wie ein und dasselbe Maßnahmenpaket sowohl unterschiedliche Interessen bedienen als auch Spannungsfelder erzeugen kann: Grundlegendes Ziel dahinter ist es, den Bewohnerinnen und Bewohnern von Städten den Umgang mit extremen Hitzetagen zu erleichtern (siehe dazu z. B. das Forschungsprojekt Urban Heat Equality). Jene, die entsprechende Maßnahmen (z. B. die Schaffung von Parks, die Begrünung von Gebäuden, o. ä.) befürworten, betonen die positiven Auswirkungen auf die Gesundheit von Menschen, die im unmittelbaren Umfeld begrünter Räume leben. Außerdem wird der Erhalt der Biodiversität genauso gefördert wie z. B. die Attraktivität und damit der Wert begrünter Gebäude. Dementsprechend kann z. B. eine Förderung der Begrünung von Gebäuden auf unterschiedliche als positiv wahrgenommene Wirkungen abzielen. Welche davon im Zentrum eines beschlossenen Maßnahmenpakets stehen, hängt oft auch vom sogenannten Framing durch die verantwortlichen Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger ab. Treten nun allerdings auch noch Akteurinnen und Akteure auf, die Argumente gegen die Schaffung von Grünräumen ins Treffen führen (z. B. weil sie die Gefahr einer "grünen Gentrifizierung" sehen; siehe dazu z. B. Cucca 2023), steigert das die Herausforderung für politische Entscheidungsfindungen um ein Vielfaches.

Für eine analytische Betrachtung von möglichen Spannungen und vom Umgang politischer Akteurinnen und Akteure mit selbigen, ist eine Differenzierung nach Motivationslagen durchaus zielführend. Wie anhand des Beispiels allerdings offensichtlich wird, ist dies für politische Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger oft gar nicht notwendig, werden idealerweise doch mehrere Interessen gleichzeitig bzw. überschneidend adressiert. Dementsprechend gilt der im Zentrum stehende Politikbereich auch als Paradebeispiel einer Querschnittsmaterie, deren Probleme auf Basis verschränkten Handelns – also über Sektoren und politische Ebenen hinweg (mehr dazu siehe unten) – zu lösen sind.

Welche Aspekte sind in der analytischen Betrachtung zu beachten?

Die Analyse von Spannungsfeldern kann sich von Fall zu Fall unterschiedlich stark entweder auf Risiken konzentrieren, sich vermehrt potenziellen Lösungsansätzen widmen, mögliche Chancen identifizieren oder mehrere Aspekte davon gleichzeitig in den Blick nehmen. Unabhängig von der entsprechenden Ausrichtung oder Gewichtung scheint jedoch in einer Hinsicht Konsens zu bestehen: Es bedarf vernetzten Denkens, um sich sowohl gegenwärtigen als auch zu erwartenden Herausforderungen zu stellen (siehe z. B. den Bericht Interconnected Disaster Risks 2025 des UNU Institute for Environment and Human Security).

In diesem Abschnitt wird mit Bezug auf die Enquete des Bundesrats auf bestimmte Aspekte verwiesen, welche im Zentrum tiefergehender analytischer Betrachtungen stehen (können). Daran anschließend werden ausgewählte analytische Herangehensweisen sowie Institutionen und Organisationen (in Österreich) genannt, die diese Herangehensweisen im Rahmen ihrer wissenschaftlichen oder politischen Tätigkeit anwenden. 

Probleme in oben genannten Spannungsfeldern, die auf politischem Wege einer Lösung zugeführt werden sollen, betreffen häufig sowohl mehrere Bereiche oder Sektoren als auch mehrere politische Ebenen. Beobachtende (genauso wie politische Akteurinnen und Akteure) müssen also die Notwendigkeit bzw. Möglichkeit unterschiedlicher Arten von Politikkoordination mit bedenken (siehe z. B. Guy 2018). Diese sind …

  • … die sogenannte horizontale Koordination auf ein und derselben Regierungsebene, aber über unterschiedliche Sektoren hinweg (z. B. zw. unterschiedlichen Ministerien auf Bundesebene, zwischen unterschiedlichen Landesrätinnen und -räten auf Landesebene, aber auch zwischen Vertreterinnen und Vertretern unterschiedlicher Sektoren), 
  • … die sogenannte vertikale Koordination innerhalb bestimmter Sektoren, aber aufgrund unterschiedlicher Zuständigkeiten über politische Ebenen hinweg (z. B. zwischen Verantwortlichen auf lokaler, Landes-, Bundes- und EU-Ebene),
  • …  oder sogar – wenn bestimmte Herausforderungen gleichzeitig nach horizontaler und vertikaler Koordination verlangen  – die sogenannte diagonale Koordination.

Dementsprechend groß und komplex wird der Umfang der für die Analyse relevanten Akteurinnen und Akteure, Konstellationen und Verhältnisse. Neben der Frage, welche Teile von Gesellschaft, Natur, Umwelt und Wirtschaft betroffen sind, stellt sich in diesem Zusammenhang vor allem auch die Frage, wer diese vertritt (Politik, Unternehmen, Interessenvertretungen, Nicht-Regierungsorganisationen, etc.). Daher ist auch die Produktion, Bereitstellung und Verbreitung von entsprechendem Wissen sehr divers und speist sich aus unterschiedlichsten Disziplinen der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften, der Naturwissenschaften und der Technik.

Wie können Spannungsfelder zwischen Gesellschaft, Natur, Umwelt und Wirtschaft besser verstanden werden?

Da also Wissen aus mehreren Bereichen gefordert ist, liegt die Notwendigkeit von inter- sowie transdisziplinärer Wissensproduktion nahe. (Anm.: Bei Letzterem geht es darum, dass "Forschende […] mit nichtakademischen Akteur:innen an Lösungen [arbeiten]."; siehe die folgende Abhandlung des FWF Österreichischer Wissenschaftsfonds zu „Neue Horizonte für die Forschung: Die Bedeutung transdisziplinärer Ansätze“v, 2024). 

In den Wissenschaften nimmt die Entwicklung von und Befassung mit Konzepten zu, die im Zuge der Beschäftigung mit oben angesprochenen Spannungsfeldern zumindest einen dieser beiden Ansprüche erfüllen. Diese stehen in enger Verbindung mit den Begriffen Soziale Ökologie (siehe z. B. Sozial-ökologische Transformationen), Umweltgerechtigkeit (siehe z. B. Environmental Justice Factsheet vom Center for Sustainable Systems; Umweltgerechtigkeit), Bioökonomie (siehe z. B. Über Bioökonomie) oder Co-Benefits (siehe z. B. Co-Benefits; Co‑Benefits: Klima und Gesundheit). Diese Liste ist bei Weitem nicht als vollständiger Überblick über den aktuellen wissenschaftlichen State of the Art zu verstehen. Dennoch gibt sie einen guten Einblick in aktuelle wissenschaftliche Entwicklungen, die ganz zentral für neue Erkenntnisse betreffend jener Themen- und Spannungsfelder verantwortlich sind, die bei der Enquete des Bundesrats diskutiert werden. 

Wer stellt in Österreich Wissen in diesen Bereichen zur Verfügung?

In Österreich gibt es eine Vielzahl an Institutionen und Organisationen, die sich mit diesen Konzepten und dahinter stehenden Fragen auseinandersetzen. Allen voran widmen sich Universitäten schwerpunktmäßig diesem Bereich, so z. B. die BOKU – Universität der Nachhaltigkeit und des Lebens insgesamt oder spezifische Institute der BOKU, wie das Institut für Soziale Ökologie, das Zentrum für Umweltgeschichte oder das Zentrum für Bioökonomie. Auch die Universität Wien mit ihrem Forschungsverbund Umwelt und Klima kann hier genannt werden, genauso wie andere renommierte Forschungsinstitutionen wie z. B. Joanneum Research in Graz oder das International Institute for Applied Systems Analysis (IIASA) in Laxenburg.

Andere Organisationen forschen ebenfalls selbst mit Fokus auf besagte Schwerpunkte oder sind in der Förderung und Vernetzung von entsprechender Forschung aktiv. Dazu gehören allen voran das Austrian Panel on Climate Change (APCC) (in Anlehnung an das international agierende Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC); Anm.) im Climate Change Centre Austria (CCCA) oder das Umweltbundesamt. Außerdem dürfen Forschungsinstitute oder Think Tanks wie Ökosoziales Forum Österreich & Europa, KONTEXT Institut für Klimafragen oder ECO Austria nicht vergessen werden. Vor allem an der Schnittstelle von Wissenschaft, Politik und Gesellschaft relevant sind in diesem Zusammenhang außerdem Interessenvertretungen, wie der Umweltdachverband, der Naturschutzbund oder die Landwirtschaftskammer. Auf deren Webseiten können regelmäßig Standpunkte o. ä. zu oben angesprochenen Spannungsfeldern eingesehen werden.

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