Fachinfos - Judikaturauswertungen 07.02.2023

Verweigerung verlangter Beweiserhebungen: Begründungspflicht erfüllt

Die Bundesministerin für Justiz hat ihre Weigerung, mehreren Verlangen auf Durchführung von Beweiserhebungen und Übermittlung der Ergebnisse nachzukommen, hinreichend begründet (07. Februar 2023)

VfGH 2.12.2022, UA 92-93/2022

Der Verfassungsgerichtshof (VfGH) wies zwei Anträge eines Viertels der Mitglieder des ÖVP-Korruptions-Untersuchungsausschuss (UsA) auf Durchführung von Erhebungen und Übermittlung der daraus resultierenden Ergebnisse mit der Begründung ab, vor dem Hintergrund der unzureichenden Begründung der entsprechenden Verlangen im UsA habe die Bundesministerin für Justiz (BMJ) als informationspflichtiges Organ hinreichend begründet, dass die begehrten Beweiserhebungen nicht im Zusammenhang mit dem Untersuchungsgegenstand stünden und sie deshalb von deren Durchführung (samt Übermittlung der daraus gewonnen Ergebnisse) Abstand genommen habe.

Sachverhalt

Ein Viertel der Mitglieder des UsA verlangte im Jänner 2022 von der BMJ die Durchführung von Beweiserhebungen und die Übermittlung der daraus gewonnenen Ergebnisse an den UsA. Inhaltlich ging es dabei um Korrespondenzen zwischen MMag. Thomas Schmid, dem früheren Generalsekretär im Finanzministerium, und Personen mit einem Naheverhältnis zur SPÖ und FPÖ. Die BMJ verweigerte die Durchführung dieser Erhebungen und die Übermittlung der Ergebnisse unter Hinweis auf deren Unmöglichkeit wegen fehlender Ressourcen. Es wurde ein Konsultationsverfahren eingeleitet. Am 21. Juni 2022 entschied der VfGH auf Antrag eines Viertels der Mitglieder des UsA zum ersten Mal in dieser Sache, dass die BMJ nicht verpflichtet war, den Verlangen nachzukommen. Er begründete dies damit, dass ihre Vorlagepflicht wegen des laufenden Konsultationsverfahrens gemäß § 58 VO-UA gehemmt war (siehe dazu Fachinfos - Judikaturauswertungen).

Nach einer im Anschluss an diese Entscheidung des VfGH gestellten neuerlichen Aufforderung durch die Minderheit im UsA, die Erhebungen durchzuführen und die Ergebnisse zu übermitteln, wies der VfGH einen wiederum gestellten entsprechenden Antrag gemäß Art. 138b Abs. 1 Z 4 B-VG mit Beschluss vom 25. August 2022 wegen fehlender Rechtsgrundlage bzw. nicht hinreichender Bestimmtheit des Prozessgegenstandes zurück (siehe dazu Fachinfos – Judikaturauswertungen).

Am 15. September 2022 wurde die BMJ gemäß § 27 Abs. 4 VO-UA wiederum aufgefordert, den Verlangen vom 26. Jänner 2022 zu entsprechen. Mit Schreiben vom 3. Oktober 2022 teilte die BMJ dem UsA mit, der Aufforderung könne nicht entsprochen werden. Gegen diese Weigerung brachten vier Abgeordnete sodann einen Antrag gemäß Art. 138b Abs. 1 Z 4 B-VG beim VfGH ein.

Entscheidung des Verfassungs­gerichtshofs

Der VfGH wies den zulässigen Antrag ab. Zur Begründung führte der VfGH unter Hinweis auf seine bisherige Rechtsprechung zunächst formelhaft an, Art. 53 Abs. 3 BVG verpflichte unter anderem die Organe des Bundes, dem Ersuchen eines UsA um Beweiserhebungen im Zusammenhang mit dem Gegenstand der Untersuchung Folge zu leisten. Die Beurteilung, ob diese Verpflichtung im Einzelfall gegeben sei, obliege zunächst dem informationspflichtigen Organ; entscheide dieses, der Verpflichtung nicht nachzukommen, treffe es eine Behauptungs- und eine auf die einzelnen Beweiserhebungen bezogene, substantiierte Begründungspflicht für die fehlende (potentielle) abstrakte Relevanz der nicht durchgeführten Erhebungen, der gegenüber dem Untersuchungsausschuss nachzukommen sei.

Der VfGH könne angerufen werden, um unterschiedliche Auffassungen hinsichtlich der Rechtmäßigkeit dieser gegenüber dem Untersuchungsausschuss (nunmehr) vorgebrachten Begründung zu klären. Das vorlagepflichtige Organ könne – so auch bereits die bisherige Judikatur des VfGH – die Tätigkeit des UsA dabei nicht dadurch verzögern, dass es Gründe für die Verweigerung der Durchführung der begehrten Beweiserhebungen ohne jede Einschränkung auch nach einer bereits vom VfGH ausgesprochenen Vorlageverpflichtung (erstmals) gegenüber dem UsA vorbringe. Habe der VfGH einmal die Verpflichtung zur Vorlage von Akten und Unterlagen ausgesprochen, könne das vorlagepflichtige Organ seine Weigerung – vom Fall des Art. 53 Abs. 4 B-VG abgesehen – nicht mehr unter Berufung auf Ausnahmetatbestände begründen, die ihre Grundlage in Art. 53 B-VG haben.

Die Entscheidung des VfGH setze einen vorherigen wechselseitigen Kommunikationsprozess voraus, weshalb auch ein Nachschieben von Begründungen im verfassungsgerichtlichen Verfahren nicht möglich sei; der VfGH prüfe lediglich, ob und inwieweit den Begründungspflichten bis zum Ende der (Nach-)Frist gemäß § 27 Abs. 4 VO-UA entsprochen worden sei und gegebenenfalls, ob die jeweilige Begründung zutreffend sei.

Zudem wiederholte der VfGH aus seiner bisherigen Rechtsprechung, dass die Anforderungen an die beiderseitigen Begründungspflichten davon abhängen, ob die verlangten Akten und Unterlagen bzw. Beweiserhebungen offenkundig im Umfang bzw. im Zusammenhang mit dem Untersuchungsgegenstand stünden oder nicht. Zwar träfen ein informationspflichtiges Organ grundsätzlich höhere Begründungsanforderungen als einen UsA bzw. eine Minderheit in diesem; sei die (potentielle) abstrakte Relevanz einer ergänzenden Beweisanforderung für den Untersuchungsgegenstand aber nicht offenkundig, so seien auch die Anforderungen an die Begründungstiefe durch das informationspflichtige Organ herabgesetzt.

Im vorliegenden Fall sei die abstrakte Relevanz der begehrten Beweiserhebungen für den Untersuchungsgegenstand in diesem Sinne nicht offenkundig; dennoch könne nicht völlig ausgeschlossen werden, dass auch die Kommunikation von nicht mit der ÖVP verbundenen Personen auf Grund besonderer Konstellationen eine (potentielle) abstrakte Relevanz für den Untersuchungsgegenstand haben könne. Dies berechtige die Minderheit allerdings nicht, die Auswertung des Datenbestands auf Korrespondenzen „mit Bezug zu“ bzw. „unter Beteiligung von“ über fünfzig namentlich genannten Personen zu verlangen, die der SPÖ und der FPÖ zuzurechnen seien bzw. gewesen seien. Vielmehr wäre es diesfalls der Minderheit übertragen gewesen, eine nähere Begründung dafür zu geben, dass die begehrten Beweiserhebungen im Zusammenhang mit dem Untersuchungsgegenstand liegen. Ergänzende Beweisanforderungen bezögen sich auf „bestimmte Beweismittel“ und damit einen konkret umschriebenen Vorgang im Rahmen der Verwaltung; diese Bestimmtheitsanforderung solle bloße Erkundungsbeweise und „Bepackungen“ ausschließen. Die Minderheit im UsA habe in ihren Verlangen zwar einzelne Behauptungen aufgestellt, diese aber nicht derart präzisiert, dass sie es erlaubt hätten, einen Zusammenhang mit dem Untersuchungsgegenstand herzustellen.

Zusammenfassend habe die BMJ gegenüber dem UsA somit hinreichend begründet, dass die begehrten Beweiserhebungen nicht im Zusammenhang mit dem Untersuchungsgegenstand stünden und sie deshalb von deren Durchführung (samt Übermittlung der daraus gewonnenen Ergebnisse) Abstand genommen habe.

Vgl. zu diesem Verfahren die Pressemitteilung und den Volltext der Entscheidung.