Mit Festlegung des Wahltermins für die Nationalratswahl am 29. September 2024 wurden der Stichtag und daran anknüpfende Fristen festgelegt (siehe dazu das Fachdossier "Wie sieht der Fahrplan bis zu den Wahlen aus?"). Damit wurden auch die Fristen für die Einbringung der Wahlvorschläge bestimmt. Das sind jene Listen, auf denen die wahlwerbenden Parteien ihre Kandidat:innen nominieren, die sie in den Nationalrat schicken wollen. Für die Erstellung der Wahlvorschläge selbst gibt es kaum rechtliche Vorgaben. Das Fachdossier geht unter anderem der Frage nach, welche Vorgehensweisen die verschiedenen Parteien bei der Erstellung ihrer Wahlvorschläge wählen. Die Reihung der Kandidat:innen auf einer Wahlliste beeinflusst nämlich die Erfolgsaussichten, also die Wahrscheinlichkeit, mit der die Kandidat:innen nach der Wahl tatsächlich ein Mandat im Nationalrat erhalten.
Wie erstellen Parteien ihre Wahllisten?
Wozu braucht es überhaupt Wahlvorschläge?
Die Grundsätze des Wahlrechts in Österreich sind im Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) festgelegt. Demnach gibt es zwei Arten von Wahlen: Persönlichkeitswahlen, bei denen die Wahlberechtigten einen Kandidaten bzw. eine Kandidatin direkt wählen (etwa bei der Wahl des Bundespräsidenten bzw. der Bundespräsidentin), und Listenwahlen, bei denen die wahlwerbenden Parteien jeweils mit einer Liste von Kandidat:innen antreten.
Nationalratswahlen finden nach dem Listenwahlrecht statt, d. h. auf dem Stimmzettel selbst muss eine wahlwerbende Partei gewählt werden, die vorab ihre Kandidat:innenlisten eingereicht hat. Darüber hinaus können aber bis zu drei Vorzugsstimmen für die Kandidat:innen der gewählten Partei vergeben werden, und zwar je eine für die Regionalparteiliste, eine für die Landesparteiliste und eine für die Bundesparteiliste. Die Stimmen, die eine Partei erhält, werden dann nach dem Verhältniswahlrecht in Mandate umgewandelt: Je mehr Stimmen eine Partei bekommt, desto mehr gelistete Kandidat:innen erhalten ein Mandat im Nationalrat (siehe auch das Fachdossier "Wie führt der Weg zum Nationalratsmandat?").
Um kandidieren zu können, müssen die wahlwerbenden Parteien zumindest einen Landeswahlvorschlag (der zumindest eine Regionalparteiliste zu enthalten hat) einbringen. Darüber hinaus kann auch ein Wahlvorschlag für die bundesweite Kandidatur eingebracht werden. Für die Erstellung dieser Wahllisten gibt es in Österreich nur sehr wenige Vorgaben, die primär formelle Voraussetzungen betreffen. So müssen für den Landeswahlvorschlag etwa die Unterschriften von wenigstens drei Nationalratsabgeordneten oder aber (je nach Bundesland unterschiedlich viele) Unterstützungserklärungen seitens der Wahlberechtigten gesammelt werden (§ 42 (2) NRWO). Damit eine Wahlpartei im gesamten Bundesgebiet antreten und einen Bundeswahlvorschlag einreichen kann, sind insgesamt 2.600 Unterstützungserklärungen nötig. Außerdem kann ein:e Kandidat:in nicht in mehreren Wahlkreisen der gleichen Ebene kandidieren, sehr wohl aber vertikal (z. B. auf der Bundes- und auf einer Landesparteiliste). Hat ein:e Kandidat:in nach der Wahl auf zwei Listen Anspruch auf ein Mandat, muss er bzw. sie binnen 48 Stunden nach der letzten Verlautbarung des Wahlergebnisses bei der Bundeswahlbehörde schriftlich erklären, welches Mandat er bzw. sie annimmt (§ 109 NRWO). Diese Entscheidung bestimmt auch, welche:r Kandidat:in auf der anderen Liste nachrückt und ein Mandat erhält. Damit kann innerhalb einer Partei bis zuletzt Einfluss auf die Zusammensetzung des Nationalrates genommen werden.
Obwohl die Erstellung der Wahlvorschläge in der Regel innerparteilich erfolgt, lassen sich in der Praxis gewisse Elemente ausmachen, mit denen Parteien versuchen, eine möglichst vielfältige Vertretung der Bevölkerung und ihrer Interessen zu gewährleisten. So nominieren sie in der Regel Kandidat:innen aus allen Bundesländern und bemühen sich zudem um eine Repräsentation unterschiedlicher Berufs- und Altersgruppen. Darüber hinaus haben manche Parteien Frauenquoten oder ein Reißverschlusssystem eingeführt, um die Repräsentation von Frauen in der Politik zu erhöhen. Sie können außerdem bewusst Frauen auf vorderen, aussichtsreichen Listenplätzen positionieren. Das erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass Frauen gewählt werden, da die vorderen Plätze in der Regel sicherer sind (Jenny 2018).
Die Erstellung von Wahllisten kann von einer Partei demnach auch strategisch genutzt werden. Eine Mehrfachnominierung von Kandidat:innen auf mehreren Ebenen kann beispielsweise sicherstellen, dass sie auch dann eine Chance auf ein Mandat haben, wenn sie auf einer Ebene nicht gewählt werden. Durch eine ausgewogene Verteilung von Listenplätzen können auch interne Konflikte minimiert und die verschiedenen Flügel und Interessengruppen innerhalb der Partei berücksichtigt werden. Auch können Wahllisten als Korrektiv dienen: Um sicherzustellen, dass die intern vorgegebene Frauenquote eingehalten wird, kann die Bundesparteiliste beispielweise als Ausgleich herangezogen werden, wenn die Landesparteilisten überwiegend mit Männern besetzt sind. Durch gezielte Platzierung von Kandidatinnen auf der Bundesliste können Parteien so ihre Quotenregelungen erfüllen und eine vielfältigere Vertretung sicherstellen (Jenny 2018).
Einführung der Vorzugsstimmen
Ab 1992 wurde die Möglichkeit ausgebaut, dass Wähler:innen durch Vorzugsstimmen direkten Einfluss auf die Auswahl der Kandidat:innen nehmen können. Die Reform des Vorzugsstimmensystems im Jahr 2013 machte die direkte Umreihung von Kandidat:innen durch eine bestimmte Anzahl an Vorzugsstimmen möglich. Für die Regionalwahlliste beträgt dieser Anteil 14 Prozent der Stimmen für die Partei, für die Landesparteiliste Vorzugsstimmen in der Höhe der Wahlzahl oder 10 Prozent der auf die Partei entfallenen Stimmen, und für die Bundesparteiliste 7 Prozent (§§ 98 (3), 102 (3) und 108 (2) NRWO). In der Praxis erweisen sich diese Hürden aber als sehr hoch und die Umreihung von Kandidat:innen bleibt die Ausnahme (Perlot & Filzmaier 2023). Neben der direkten Einflussnahme durch die Wähler:innen haben Vorzugsstimmen aber auch eine wichtige Mobilisierungsfunktion für die Parteien, indem der direkte und unmittelbare Kontakt zu den Bürger:innen die Stimmabgabe für eine Partei motivieren kann. Dies gilt auch, wenn z. B. Kandidat:innen viele Vorzugsstimmen erhalten, ihr erzieltes Mandat aber gar nicht antreten, weil sie z. B. eine Spitzenfunktion in der Landespolitik innehaben und diese auch nach der Wahl weiterhin ausüben wollen. Außerdem gelten Vorzugsstimmen als Maßstab für den Zuspruch der Wähler:innen zu den aufgestellten Spitzenkandidat:innen.
Wie erstellen die einzelnen Parteien ihre Wahlvorschläge?
Die Erstellung von Wahllisten durch die einzelnen Parteien wird meist durch die jeweiligen Statuten geregelt. Diese können Kriterien zur Wählbarkeit, Kandidatur, Quotenregelungen, Auswahlprozesse oder die Einbeziehung von Mitgliedern und Nicht-Mitgliedern enthalten (Jenny 2018). Im Folgenden wird die Praxis der Listenerstellung der Parteien dargestellt, die aktuell im Nationalrat vertreten sind.
ÖVP
Die Kandidat:innenaufstellung der ÖVP wird im Bundespartei-Organisationsstatut geregelt. Auf Regionalwahlkreisebene erfolgt die Auswahl durch die Landesparteien, die die Aufstellung und Reihung der Kandidat:innen auf Basis einer Vorwahl (dem sogenannten Vorwahlregulativ) beschließen. Kandidat:innen für die Landeswahlliste werden vom jeweiligen Landesparteivorstand im Einvernehmen mit dem Bundesparteiobmann bzw. der Bundesparteiobfrau nominiert, der:die über ein Vetorecht verfügt. Auf Bundesebene beschließt der Bundesparteiobmann bzw. die Bundesparteiobfrau die Aufstellung und Reihung der Kandidat:innen. Laut Statut soll die Auswahl der Kandidat:innen so erfolgen, dass ein möglichst ausgewogenes Verhältnis zwischen Frauen und Männern in allen Gremien erreicht werden kann. Auf allen Ebenen ist das Reißverschlusssystem anzuwenden.
SPÖ
Laut Organisationsstatut der SPÖ ist die Auswahl aller Kandidat:innen für die Nationalratswahl unter Beteiligung der Mitglieder der SPÖ in demokratischer und transparenter Weise (etwa durch Vorwahlen oder Kandidat:innenpräsentationen) durchzuführen. Die Vorschläge für die Regional- und Landeswahlkreise werden im Einvernehmen mit den Landesorganisationen an den Bundesparteivorstand übermittelt. Diese sowie die Bundeswahlvorschläge werden dann vom Bundesparteirat aufgrund eines Antrages des Bundesparteivorstandes beschlossen. Das Organisationsstatut der SPÖ schreibt ferner die Geschlechterparität bei der Erstellung von Kandidat:innenlisten vor, wobei jeweils mindestens 40 Prozent Frauen und mindestens 40 Prozent Männer auf den Listen vertreten sein müssen. Auf allen Ebenen gilt das Reißverschlussprinzip. Außerdem sollen bei der Erstellung der Wahlvorschlägen auch Vertreter:innen der Jugend bedacht werden, damit diese Aufgaben im Interesse der Sozialdemokratie wahrnehmen können (§ 26 (1)).
FPÖ
Gemäß den Satzungen werden Regionalwahlkreis- und Landeswahlkreisvorschläge der FPÖ für die Nationalratswahl von den jeweiligen Landesparteien erstellt und sodann vom Bundesparteivorstand im Einvernehmen mit den Landesparteien beschlossen. Die Bundeslisten werden vom Bundesparteivorstand erstellt.
Die Grünen
Laut den Statuten der Grünen bestätigt der Bundeskongress die in den Bundesländern gewählten Kandidat:innen für die Landes- bzw. Regionalwahllisten. Der Bundeswahlvorschlag wird vom gesamten Bundeskongress beschlossen. Dieser muss in der Aufstellung die im Statut vorgesehene Geschlechterparität einhalten: Übersteigt der im Wahlvorschlag implizierte Männeranteil 50 Prozent, so ist die Wahl abzubrechen und eine neue "Nominierungsfrist zur Kandidatur für die weiteren Plätze wieder zu öffnen" (Statuten der Grünen, § 8.9.e.).
NEOS
Die Erstellung der Bundeswahlliste der NEOS wird in der Satzung geregelt und findet aufgrund eines dreistufigen Vorwahlverfahrens statt, in dem nacheinander Nichtmitglieder, der Erweiterte Vorstand und die Mitgliederversammlung über jene Kandidat:innen abstimmen, die zum Vorwahlverfahren zugelassen wurden. Die erreichten (gewichteten) Vertrauenspunkte aus den drei Stufen werden addiert und die Reihenfolge der Listenplätze verbindlich festgelegt. Die Landeswahllisten werden nach dem gleichen Verfahren ermittelt, allerdings mit manchen prozeduralen Abweichungen. Die Erstellung der Regionalwahllisten obliegt dem jeweiligen Landesteam. Auf allen Ebenen der Listenerstellung soll auf eine geschlechterausgewogene Zusammensetzung geachtet werden.
Wie analysiert die Wissenschaft die Erstellung von Wahllisten?
Die Erstellung von Wahllisten wird wissenschaftlich nur sehr punktuell behandelt. Allgemeine Aussagen zu identifizieren ist dementsprechend schwierig. Das hängt aber vor allem auch mit der Individualität jedes Wahlsystems zusammen. Wahllisten, wie man sie aus politischen Systemen mit Verhältniswahlrecht kennt (wie in Österreich die Wahlen von Parlamenten, Gemeinderäten sowie der österreichischen Mitglieder des Europäischen Parlaments; siehe: Häufige Fragen zu Wahlen | Parlament Österreich), existieren in politischen Systemen mit Mehrheitswahlrecht gar nicht. Dort muss eine Partei darauf achten, dass eine Person für sie antritt, die im entsprechenden Wahlkreis die Chance hat, die meisten (relative Mehrheitswahl) oder sogar mindestens die Hälfte aller abgegebenen Stimmen (absolute Mehrheitswahl) zu erhalten. Denn nur dann bekommt er oder sie ein Mandat. Davon abgesehen spielt es aber zum Beispiel auch eine Rolle, ob nur eine Wahlliste auf einer politischen Ebene oder, wie im Bundesstaat Österreich, sich ergänzende Wahllisten auf mehreren Ebenen erstellt werden müssen (siehe oben). Zur Erstellung der Wahlvorschläge in Österreich gibt es bis dato jedoch nur sehr wenig Literatur.
In einer vergleichenden Studie mehrerer Systeme mit Verhältniswahlrecht untersuchten Meserve u. a. (2018), welche Charakteristika von Politiker:innen (v. a. Geschlecht) wesentlichen Einfluss auf die Erstellung von Wahllisten haben. Als zentralen Faktor identifizierten die Politikwissenschaftler:innen letzten Endes eindeutig die Dauer der Amtszeit von Politiker:innen. Je länger ein:e Politiker:in im Amt ist, desto größer die Chance, (erneut) auf der Liste zu stehen. In eine ähnliche Richtung gehen die Ergebnisse einer Untersuchung der Aktivitäten von Abgeordneten im Unterhaus des niederländischen Parlaments: Louwerse und Van Vonno (2022) ziehen den Schluss, dass Abgeordnete, die in Bezug auf Reden, Anträge und Anfragen aktiv(er) sind, größere Chancen haben, (weiter oben) auf der Wahlliste ihrer Partei platziert zu werden. Beide Studien bestätigen die Annahme, dass die bestehende Praxis von Listenerstellungen in erster Linie bestehende Verhältnisse reproduziert und manifestiert (im Falle der Studie von Meserve u. a. betrifft das vor allem die Überrepräsentation von Männern).
Parteien argumentieren oft, dass inklusivere Formen der Listenerstellung derartigen Mechanismen entgegenwirken könnten. Ein Trend in diese Richtung lässt sich laut den Politikwissenschaftlern Pamies und Cordero (2023) auch feststellen: immer mehr Parteien setzen auf Vorwahlen. Dabei wird der Kreis jener Menschen, die ein Mitspracherecht bei der Erstellung von Wahllisten erhalten, mehr oder weniger umfassend vergrößert. Die Herangehensweisen diesbezüglich können sehr unterschiedlich sein und entweder Bürger:innen generell oder (potenzielle) Parteimitglieder ansprechen. Der angeführten Studie zufolge liegt der Hauptgrund für diesen Trend in Zeiten der Entfremdung von Parteien aber vor allem in der Hoffnung, mehr Menschen an die eigene Partei zu binden.
Quellenauswahl
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Cox, Gary W./Jon H. Fiva/Daniel M. Smith u. a. (2021), Moral hazard in electoral teams: List rank and campaign effort, Journal of Public Economics 200/104457.
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Ennser-Jedenastik, Laurenz/Wolfgang C. Müller (2014), The selection of party leaders in Austria: Channeling ambition effectively, in: Pilet, Jean-Benoit/William Cross (Hrsg.), The selection of political party leaders in contemporary parliamentary democracies, S. 62–75.
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Jenny, Marcelo (2018), Austria. Tradition and innovation in legislative candidate selection, in: Coller, Xavier/Guillermo Cordero/Antonio M. Jaime-Castillo (Hrsg.), The selection of politicians in times of crisis, S. 31–47.
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Louwerse, Tom/Cynthia Van Vonno (2018), Moving up or down: parliamentary activity and candidate selection, The Journal of Legislative Studies 28/2, S. 216–242.
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Meserve, Stephen A./Daniel Pemstein/William T. Bernhard (2020), Gender, Incumbency and Party List Nominations, British Journal of Political Science 50/1, S. 1–15.
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Pamies, Carles/Guillermo Cordero (2023), Choosing among the chosen? Electoral lists and party primaries in Europe, Journal of Contemporary European Studies 32/1, S. 96–109.
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Perlot, Flooh/Peter Filzmaier (2023), Wahlrecht, in: Praprotnik, Katrin/Flooh Perlot (Hrsg.), Das Politische System Österreichs. Basiswissen und Forschungseinblicke, S. 357–390.
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Praprotnik, Katrin/Flooh Perlot (Hrsg.) (2023), Das Politische System Österreichs. Basiswissen und Forschungseinblicke.