Fachinfos - Fachdossiers 19.07.2024

Wie führt der Weg zum Nationalratsmandat?

Dieses Fachdossier wurde am 10.09.2019 erstveröffentlicht und am 19.07.2024 aus Anlass der bevorstehenden Neuwahl am 29. September 2024 aktualisiert.

Am 29. September 2024 findet die Nationalratswahl in Österreich statt. Die Bewerber:innen können über drei Ebenen in den Nationalrat einziehen. Die Wähler:innen bestätigen mit der Wahl einer Partei deren Bewerber:innen wie auf den Regional- und Landesparteilisten und auf der Bundesparteiliste gereiht oder versuchen, mit bis zu max. drei Vorzugsstimmen auf die jeweilige Reihung Einfluss zu nehmen. Bisher haben die Vorzugsstimmen nur zu wenigen Umreihungen bzw. Mandatszuteilungen geführt. In erster Linie gelten sie als Maßstab für den Zuspruch der Wähler:innen zu den von den wahlwerbenden Parteien (siehe dazu auch das Fachdossier "Wie erstellen Parteien ihre Wahllisten?").

Mandatsermittlung auf drei Ebenen

Das Kreuz, das die Wähler:innen am Stimmzettel bei einer "Liste" machen, wird dreimal gezählt, denn die Mandatszuteilung erfolgt stufenweise auf drei Ebenen. Zunächst bekommen die wahlwerbenden Parteien, sofern sie die Landeswahlzahl erreichen, Direktmandate in den 39 Regionalwahlkreisen (erstes Ermittlungsverfahren). Die Landeswahlzahl erhält man, wenn man die Summe der im Landeswahlkreis (gültig) abgegebenen Stimmen durch die im Landeswahlkreis zur Verteilung gelangenden Mandate teilt. Auf Landesebene erhält jede wahlwerbende Partei so viele Mandate, wie die Landeswahlzahl in der Summe der für sie abgegebenen gültigen Stimmen (Parteisumme) enthalten ist, abzüglich allenfalls der im ersten Ermittlungsverfahren erzielten Mandate (zweites Ermittlungsverfahren). Die im ersten und zweiten Gang noch nicht verteilten Mandate (Restmandate) kommen in einem dritten Ermittlungsverfahren auf Bundesebene zur Verteilung. Dafür sind jeweils die bundesweit für eine Partei (gültig) abgegebenen Stimmen Ausgangspunkt. Personen dürfen in allen drei Ebenen gleichzeitig kandidieren, aber nur jeweils auf einem Regional-, Landes- und Bundeswahlkreisvorschlag einer Partei. Im zweiten und dritten Ermittlungsverfahren kommen nur jene Parteien zum Zug, die entweder ein regionales Mandat oder bundesweit mindestens 4% der gültig abgegebenen Stimmen erzielt haben.

Wahlkreise

Bereits Art. 26 Abs. 2 Bundes-Verfassungsgesetz 1920, BGBl 1920/1, teilte für die Wahl des Nationalrats das Bundesgebiet "innerhalb der Landesgrenzen in räumlich geschlossene Wahlkreise" ein und sah damit eine "wahlkreisweise Repräsentation" der (wahlwerbenden) Parteien vor. Die Nationalrats-Wahlordnung 1923, BGBl 1923/367, kannte noch 25 Wahlkreise. Erst mit der Nationalrats-Wahlordnung – NRWO 1971, BGBl 1970/391, wurden neun, den Landesgrenzen entsprechende, Landeswahlkreise festgelegt. Der Ebene der Bundesländer als der "historisch gewachsenen Ebene des politischen Systems" fügte die NRWO 1992 die Ebene der Regionalwahlkreise hinzu, um "durch wesentlich kleinere Wahlkreise (den) persönlichen Kontakt zwischen Wählern und Gewählten (zu verbessern)". Mit einem neuen dritten Ermittlungsverfahren auf Bundesebene sollte zudem dem Grundsatz des Verhältniswahlrechts, allen Parteien eine verhältnismäßige, d.h. der ziffernmäßigen Stärke entsprechende Vertretung zu sichern, mehr als bisher entsprochen werden (Regierungsvorlage 180 d.B., 18. GP.).

Zuteilung der Mandate an die Wahlkreise

Die Anzahl der Mandate wird nach der jeweiligen Staatsbürgerzahl (österr. Staatsbürger:innen mit Hauptwohnsitz im Inland und am Stichtag der Volkszählung in der Wählerevidenz eingetragene Auslandsösterreicher:innen) den einzelnen Landes- bzw. den Regionalwahlkreisen per Verordnung der Bundesministerin bzw. des Bundesministers für Inneres zugeordnet. Die aktuelle Zuteilung der 183 Nationalratsmandate auf die neun Landeswahlkreise respektive die weitere Unterteilung auf die 39 Regionalwahlkreise gemäß der letzten Volkszählung vom 31. Oktober 2021 ergibt sich aus VO BGBl II 2023/180. Die nachfolgende Grafik zeigt die Verteilung der maximal zu vergebenden Mandate pro Bundesland.

Quelle: § 4 NRWO 1992 und BMI, Stand 19.07.2024, eigene Darstellung. 

Lose Listen

Die Wahlvorschläge der wahlwerbenden Parteien müssen die für diese Wahlkreise aufgestellten Kandidatinnen und Kandidaten mit klarem Reihungshinweis (Nummerierung) enthalten. Diese Reihung auf der "Parteiliste" ist für die Zuteilung der Mandate maßgeblich, außer ein:e Bewerber:in erreicht ausreichend viele Vorzugsstimmen, um in der Parteiliste vorgereiht zu werden. Die Schwelle dafür liegt auf Regionalwahlkreis-Ebene bei 14 %, auf Landeswahlkreis-Ebene bei 10 % und auf Bundeswahlkreis-Ebene bei 7 % der für die Partei abgegebenen Stimmen. Im Fall, dass mehrere Bewerber:innen diese Schwelle überspringen, wird wiederum nach der Anzahl der erreichten Vorzugsstimmen gereiht.

Stimmzettel und Information der Wähler:innen

Der amtliche Stimmzettel für die Nationalratswahl ermöglicht den Wähler:innen, für die gewählte "Liste" ein Kreuz zu machen und maximal drei Kandidat:innen dieser Partei, also in jeder Wahlkreisebene, eine Vorzugsstimme zu vergeben. Die Bewerber:innen des Regionalwahlkreises sind auf dem Stimmzettel namentlich angeführt, die Vorzugsstimme kann durch Ankreuzen vergeben werden. Die Vorzugsstimme auf Landes- und Bundeswahlkreisebene wird durch Eintragen des Namens oder der Reihungsnummer der Bewerberin bzw. des Bewerbers im dafür vorgesehenen Feld vergeben. Gemäß NRWO sind die Wähler:innen jedenfalls wie folgt über die Wahlvorschläge zu informieren:

NRWO Wer? Wo? Was? Wann?
§ 49 Abs. 6 Landeswahlbehörde „ortsüblich“ Regional- und Landesparteilisten* spätestens am 52. Tag vor dem Wahltag
§ 106 Abs. 6 Bundeswahlbehörde Internet**, Amtstafel Bundesparteilisten* spätestens am 44. Tag vor dem Wahltag
§ 54 Gemeinde- bzw. Sprengelwahlbehörde Wahllokal Bundes-, Landes- und Regionalparteilisten* Wahltag
§ 57 Abs. 4 Gemeinde- bzw. Sprengelwahlbehörde Wahlzelle Regional- und Landesparteiliste* Wahltag

*Bewerber:innen mit Reihungsnummer, Name, Geburtsjahr, Beruf und Wohnort sowie allfälliger akademischer Grad. Bei akademischen Graden von Bewerber:innen ist ausschließlich die jeweilige Eintragung im Zentralen Wählerregister (ZeWaeR) maßgeblich.

**Der Innenausschuss hat sich 2013 für eine benutzerfreundliche Präsentation der Bewerber:innen ausgesprochen (AB 2213 d.B., 24. GP). Der Verfassungsausschuss hat sich für "eine größtmögliche Übersichtlichkeit und gute Lesbarkeit der Namen sowie der dazu gehörenden Daten" sowie eine "barrierefreie" Darstellung ausgesprochen (AB 2381 d.B., 24. GP).

Bedeutung der Regionalwahlkreise

Die Wahlkampagnen der Parteien sind stark auf die Spitzenkandidatinnen und -kandidaten konzentriert. Ein großer Teil der anderen Kandidat:innen bleibt in den Kampagnen und in der medialen Berichterstattung anonym. Sie treten in erster Linie in direkten Kontakt mit den Wählerinnen und Wählern vor Ort. Zum Teil gelingt es über die sozialen Medien, einen erweiterten Kreis von Wählerinnen und Wählern zu erreichen.

Mandate auf Regional-, Landes- und Bundesebene

Bei Einführung der Regionalwahlkreise 1992 lautete die Prognose, dass rund 90 der 183 Mandate auf der regionalen Ebene, also in den kleinen Wahlkreisen, zur Verteilung kommen werden. Wie die ab 1995 im Internet publizierten "Mandatsspiegel" zu den Nationalratswahlen zeigen, gab es beträchtliche Schwankungen. Die nachfolgende Grafik zeigt, wie viele Mandate in den konkreten Regional- und Landeswahlkreisen und im Bundeswahlkreis den Parteien zugeteilt wurden. Dabei zeigt sich, dass die Maximalzahl der Mandate pro Bundesland nie ausgeschöpft wird.

Tendenziell nimmt die Anzahl der Regionalwahlkreise, in denen keine wahlwerbende Partei ein Mandat erreicht, zu. Die in kleineren Wahlkreisen notwendigen Stimmen zur Erreichung eines Grundmandats werden nur von Groß- bzw. Mittelparteien erzielt. Auch kommt es auf die Anzahl der Parteien an, die den Einzug in den Nationalrat schaffen.

Quelle: Eigene Berechnung auf Basis der Mandatsspiegel des BMI, Stand 19.07.2024, eigene Darstellung.

Bedeutung der Vorzugsstimmen

Die erfolgreiche Vergabe von Vorzugsstimmen setzt also nicht nur das Wissen der Wähler:innen voraus, welche Kandidatinnen und Kandidaten im eigenen Regional- und Landeswahlkreis sowie im Bundeswahlkreis aufgestellt sind, sondern auch, dass die gewählte Partei in den jeweiligen Wahlkreisen ein Mandat erzielt (sowie natürlich dass der bzw. die Bevorzugte die Schwelle für die Vorreihung erreicht). So hält Stein (2011) etwa fest, dass von 1994 bis 2008 zwar insgesamt 95 Bewerber:innen die Voraussetzungen für eine Umreihung im ersten Ermittlungsverfahren erfüllt hätten, aber nur teilweise Direktmandate erzielen konnten, weil auf ihre Partei im jeweiligen Regionalwahlkreis kein Mandat entfallen ist.

Die Liste der Abgeordneten, die seit 1994 aufgrund der Vorzugsstimmen-Regelungen der NRWO in den Nationalrat gekommen sind, ist kurz: Gerhart Bruckmann (ÖVP) 1999, Franz Glaser (ÖVP) 2002, Martina Diesner-Wais (ÖVP) 2013 sowie Christoph Stark (ÖVP) und Dominik Schrott (ÖVP) 2017. Alle diese Vorzugsstimmenmandate wurden auf Regionalwahlkreisebene erzielt.

Wie zuletzt die Vorzugsstimmenzählungen zur NRW 2013, zur NRW 2017 und zur NRW 2019 zeigten, erreichen in erster Linie die auf der Bundesparteiliste Erstgereihten herausragende und maßgebliche Ergebnisse. Die Vorzugsstimmenvergabe ist damit in den meisten Fällen ein Spiegelbild der Wahlkampagnen der wahlwerbenden Parteien, die auf die jeweiligen Spitzenkandidatinnen und -kandidaten ausgerichtet sind.

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