Stellungnahme zu Ministerialentwurf
Stellungnahme zu dem Ministerialentwurf betreffend Bundesgesetz, mit dem das Gesetz über das Bundesamt zur Korruptionsprävention und Korruptionsbekämpfung geändert wird
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Inhalt
Stellungnahme zur „Ermittlungs- und Beschwerdestelle Misshandlungsvorwürfe“
Stellungnahme des Netzwerks kritische Polizeiforschung Österreich zum Ministerialentwurf betreffend des Bundesgesetzes, mit dem das Gesetz über das Bundesamt zur Korruptionsprävention und Korruptionsbekämpfung (BAK-G) geändert wird
Das Netzwerk unterstützt grundsätzlich die Einrichtung einer „"Ermittlungs- und Beschwerdestelle Misshandlungsvorwürfe“ (im Weiteren Ermittlungsstelle genannt) für den Zweck der bundesweiten Ermittlung und Aufklärung von Misshandlungsvorwürfen (gegen Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes, Bedienstete des Bundes, sonstige Bedienstete der Direktion Staatschutz und Nachrichtendienst, sowie Bedienstete des Bundesministerium für Inneres oder diesem nachgeordnete Dienststellen, die zur Ausübung von Befehls- und Zwangsgewalt ermächtigt sind).
Der derzeit in Begutachtung befindliche Ministerialentwurf entspricht jedoch nicht unseren Anforderungen an eine solche Ermittlungsstelle. Im Folgenden wird auf die einzelnen Kritikpunkte eingegangen:
• Obwohl von einer unabhängigen Ermittlungsstelle gesprochen wird, ist die Unabhängigkeit keineswegs gegeben: Durch die Ansiedlung am BAK und eine weitere Einbindung des Innenministeriums im geplanten Beirat der Ermittlungsstelle, ist die Anscheinsbefangenheit gegeben. Die Unabhängigkeit ist für einen echten Zugang für Betroffene zur Beschwerdestelle unabdingbar. Gerade Personen, die von der Polizei misshandelt worden sind oder auf andere Weise nicht rechtskonform behandelt worden sind und deren Vertrauen in die Institution daher in vielen Fällen gebrochen sein wird, haben verständlicherweise oft kein Interesse, sich im Zuge der Beschwerde wieder mit derselben Institution auseinander zu setzen, von der ihnen Unrecht angetan wurde.
• Der Umfang der abgedeckten Vorfälle ist zu schmal angesetzt, die Breite von Misshandlungsvorwürfen wird nicht abgedeckt – es wird bloß ein eingeschränkter Aufgabenbereich behandelt, jedoch nicht etwa Verstöße gegen das Verbotsgesetz, eine Dienstverweigerung (Nicht-Aufnehmen von Anzeigen, etc.) oder Beleidigungen/Drohungen. Der abgesteckte Aufgabenbereich umfasst: 1. vorsätzliche strafbare Handlungen gegen Leib und Leben im Rahmen einer dienstlichen Tätigkeit ohne Zusammenhang mit der Ausübung unmittelbarer Zwangsgewalt (§ 4 Abs 5 Z 1 BAK-G), 2. strafbare Handlungen gegen Leib und Leben, die auf eine augenscheinlich unverhältnismäßige Ausübung unmittelbarer Zwangsgewalt (§§ 4 bis 6 Waffengebrauchsgesetz 1969) zurückzuführen sind (§ 4 Abs 5 Z 2 BAK-G) und 3. unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Rahmen einer dienstlichen Tätigkeit (§ 4 Abs 5 Z 3 BAK-G).
• In Fällen, bei denen die Beschwerdestelle als unzuständig angesehen wird, ist davon auszugehen, dass die Beschwerde an die üblichen Sicherheitsbehörden (Polizei) weitergeleitet wird, mit potenziell nachteiligen Folgen für die Hinweisgeber*innen. Um dies niederschwelliger zu gestalten und die nachteiligen Folgen zu minimieren und zugleich Probleme im Polizeibetrieb umfassend adressieren zu können, sollte daher jedes rechtswidrige Verhalten der Sicherheitsbehörden von der Beschwerdestelle aufgegriffen werden können.
• Derzeit ist lediglich von einer „Aufklärung“ vermeintlicher Misshandlungsvorwürfe die Rede, nicht jedoch von einer breiteren Bekämpfung und Prävention polizeilicher Übergriffe und/oder Fehlverhaltens im Dienst (vgl. Korruptionsbekämpfungsgesetz). Dies wäre in jedem Fall notwendig, da somit auch Vorbeugung und Aufklärung im Vorfeld geleistet werden kann, um polizeiliches Fehlverhalten im Vorfeld zu minimieren bzw. verhindern.
• Wir urgieren weiters dringend die Einführung einer Kennzeichnungspflicht für betroffene polizeiliche Bedienstete, da die Ermittlungsstelle sonst nur erschwert ihrer Pflicht nachgehen kann. Eine für alle beteiligten Personen ersichtliche Kennzeichnung der individuellen Beamt:innen ist von größtem Nutzen bei der raschen und eindeutigen Aufklärung von Misshandlungsvorwürfen.
• Ein bedeutender Punkt in der Schaffung adäquater Beschwerdemöglichkeiten ist die Niederschwelligkeit der Ermittlungsstelle. Jedenfalls muss der Zugang für Menschen mit Behinderung ermöglicht werden sowie ausreichend Dolmetsch-Optionen vorhanden sein.
• Des Weiteren ist fraglich, wie mit der derzeitigen polizeilichen Praxis der Gegenanzeigen bei der Meldung polizeilichen Fehlverhaltens umgegangen wird – hier benötigt die Ermittlungsstelle jedenfalls die Möglichkeit einer anonymen Anzeige.
• Die Vorlagerung einer Beratungsstelle mit Personal mit fachlicher Expertise vor einer tatsächlichen Anzeige von erlebten Vorfällen ist ebenfalls notwendig, um einen Zugang zur Ermittlungsstelle möglichst breit zu ermöglichen und gegebenenfalls gemeldete Fälle zu sondieren und dokumentieren.
• Die Ausbildung der an der Ermittlungsstelle beschäftigten Personen ist weiters von großer Bedeutung. Diese sollten im Umgang mit marginalisierten Personengruppen und Personen mit Gewalterfahrung(en) geschult sein (psycho-soziale Expertise) sowie über ausreichend legales Grundwissen verfügen.
• Weiters ist die regelmäßige unabhängige, externe Evaluierung und das kontinuierliche Monitoring einer solchen Ermittlungsstelle unerlässlich, um etwaige nötige Änderungen vorzunehmen sowie die kontinuierliche Verbesserung der Stelle anzustreben.
Unterzeichner*innen
Angelika Adensamer (VICESSE)
Hannah Reiter (VICESSE)
Kristina Schäfer (JKU)
Paul Herbinger (VICESSE)
Philipp Knopp (Bertha von Suttner Privatuniversität St. Pölten)
Roger von Laufenberg (VICESSE)
Kontakt: netzwerk.polizeiforschung@gmail.com