Wechsel an der Spitze: 13 Jahre SPÖ-Regierung

Bei der Nationalratswahl 1970 errang die SPÖ die relative Mandatsmehrheit und bildete eine Minderheits­regierung unter Bundeskanzler Bruno Kreisky, die von der FPÖ parlamentarisch geduldet wurde.

Die Unterstützung der Freiheitlichen hatte ihren politischen Preis: SPÖ und FPÖ beschlossen gegen die Stimmen der ÖVP eine Wahlrechtsreform, mit der die Anzahl der Nationalratsabgeordneten von 165 auf 183 erhöht wurde. Die Freiheitlichen hofften, dass dadurch der Mandatsgewinn für kleinere Parteien leichter wurde.

Einen guten Einblick in die Stimmung rund um den Amtsantritt der sozialistischen Regierung und deren Vorhaben gibt das Radio-Ö1-Abendjournal vom 27. April 1970.

Von der Opposition zur Alleinregierung

Mit dem SPÖ-Wahlsieg von 1970 war der Grundstein für mehr als ein Jahrzehnt SPÖ-Regierung unter Kanzler Kreisky gelegt: Auch bei den Wahlen 1971, 1975 und 1979 behielten die Sozialisten die Nase vorne.

Sie bauten den Vorsprung auf die Volkspartei von der relativen auf eine absolute Mandats- und Stimmenmehrheit aus.

Von 1971 bis 1983 war keine weitere Duldung einer anderen Partei wie noch 1970 nötig – die Kabinette Kreisky II bis IV regierten alleine.

Jahrzehnt der Reformen

Auf diese solide Mehrheit im Nationalrat gestützt konnte die Alleinregierung unter Bundeskanzler Kreisky in den folgenden vier Jahren zahlreiche gesetzgeberische Reformen einleiten.

Oft wurde das Gesetz der veränderten gesellschaftlichen Realität angepasst - z. B. in der Reform des Strafrechts, der Organisation der Universitäten oder des Familienrechts.

Die Alleinregierung Kreisky setzte die bereits unter Klaus begonnene Fokussierung auf Bildung fort. Breitere Bevölkerungsschichten erhielten leichteren Zugang zu Bildung durch die Einführung der Schülerfreifahrt, kostenloser Schulbücher sowie die Abschaffung der Studiengebühren.

Die entstehenden Kosten rechtfertigte Unterrichtsminister Fred Sinowatz in einem Radiobeitrag.

Wirtschaftsboom und starkes Parlament

Auch die Geschäftsordnung des Nationalrats wurde überarbeitet: Sie brachte dem Parlament eine gestärkte Stellung gegenüber der Regierung und den Minderheitsfraktionen mehr Rechte.

Im Wirtschaftsbereich stand Österreich vor allem in der ersten Hälfte der 1970er-Jahre gut da: Es herrschte annähernd Vollbeschäftigung, die Staatsfinanzen waren so gut wie ausgeglichen und das jährliche Bruttoinlandsprodukt wuchs beständig.

Die Politik versuchte, die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen durch verschiedene Maßnahmen wie die Reform der Gewerbeordnung zu steigern. Auch für die Beschäftigten gab es Reformen wie das Arbeitnehmerschutzgesetz oder die schrittweise Senkung der Wochenarbeitszeit auf 42 und dann 40 Stunden (die Senkung von 45 auf 43 Stunden war bereits unter der ÖVP-Alleinregierung erfolgt).

Die Stahlindustrie

Ein großes Unterfangen für die SPÖ war die Reorganisation der verstaatlichten Industrie: Sie mündete letztendlich in der Zusammenlegung der österreichischen Stahlwerke VOEST-Linz und Alpine Montan (1973) sowie Böhler und Schoeller-Bleckmann (ab 1975 Töchter des neu geschaffenen VOEST-Alpine-Konzerns). Die ÖVP hatte den Vorschlag im Parlament abgelehnt.

In Folge des Ölpreisschocks von 1973 (dazu Bruno Kreisky bei einer Pressekonferenz) war die Nachfrage nach Stahl eingebrochen. Auf Betreiben der Regierung hin fanden keine Umstrukturierungen des Konzerns in Form von Entlassungen wie in anderen Ländern statt.

In Deutschland, Frankreich oder Großbritannien wurden z. B. zwischen einem Viertel und der Hälfte aller Beschäftigten der Stahl-Branche entlassen; der Personalstand der VOEST-Alpine blieb zwischen 1973 und 1981 annähernd konstant.

Wirtschaftskrise aussitzen

Diese Politik hatte ihren Preis und kann symptomatisch für die Wirtschaftspolitik der zweiten Hälfte des Jahrzehnts und der frühen 1980er gesehen werden: 1975, als die Konjunktur weltweit zu schwächeln begann, wurden die Staatsausgaben zur Förderung der Wirtschaft trotz rückläufiger Einnahmen erhöht. Die Krise sollte ausgesessen werden, was auch gelang.

Im Nationalratswahlkampf 1975 war diese Politik des "Deficit Spending" Thema, z. B. in der TV-Diskussion zwischen Kreisky, der das Vorgehen verteidigte, und Oppositionsführer Josef Taus, der sie kritisierte.

Haushaltsfragen

Die Bundesregierung setzte diese Politik in den folgenden Jahren fort. Der Inflationsgefahr begegnete der damalige Finanzminister Hannes Androsch mit der Aufwertung des Schillings durch eine Koppelung an die Deutsche Mark, um die Wirtschaft vor steigenden Import-Preisen zu schützen.

Gemeinsam mit den Spitzen von Nationalbank und Gewerkschaftsbund, dem Nationalratspräsidenten Anton Benya, setzte Androsch diesen Kurs gegen den Widerstand Kreiskys durch. Er fürchtete den Verlust von Arbeitsplätzen in der Exportwirtschaft. Die Sozialpartnerschaft einigte sich auf geringe Lohnerhöhungen für die Arbeitnehmer:innen, um Arbeitsplätze zu sichern.

Die antizyklische Ausgabenpolitik führte zu einem Anwachsen des jährlichen Budgetdefizits sowie der Staatsschuld, was die Opposition heftig kritisierte. Zu Beginn der 1980er-Jahre verdoppelte sich das Budgetdefizit in Folge des zweiten Erdölpreisschocks. Die SPÖ versuchte gegenzulenken: Als Kreisky 1982 mit dem "Mallorcapaket" Steuererhöhungen zur Konsolidierung des Staatshaushalts ankündigte, zog die Regierungspartei großen Unmut weiter Bevölkerungskreise auf sich.

Aufregung im Parlament und erste Volksabstimmung

Auch abseits der Wirtschaft waren sich Opposition und Regierungsfraktion im Parlament manchmal uneinig; z. B. in der Frage der Straffreiheit von Schwangerschaftsabbrüchen liefen die Oppositionsparteien ÖVP und FPÖ gegen die SPÖ-Pläne Sturm.

Die sozialistischen Abgeordneten beschlossen im Zuge der Reform des Strafgesetzbuches im Alleingang die Fristenlösung und bestätigten sie durch einen Beharrungsbeschluss, nachdem der Bundesrat das Gesetz beeinsprucht hatte. Den Beschluss rechtfertigte SPÖ-Abgeordnete Anneliese Albrecht in ihrem Debattenbeitrag mit dem Schutz der Frauen.

Einen Einblick in die damalige Diskussion gibt die Sonderseite "Familien- und Strafrechtsreform der 1970er-Jahre" der Österreichischen Mediathek. Es gab auch Demonstrationen für und gegen die Straffreiheit von Schwangerschaftsabbrüchen.

Ein Kraftwerk sorgt für Aufruhr

1978 beschäftigte die Frage der Inbetriebnahme des Kernkraftwerks Zwentendorf den Nationalrat. Die SPÖ trat vehement dafür ein. Die ÖVP zeigte sich grundsätzlich positiv eingestellt, forderte aber eine weitere Abklärung bestimmter Sicherheitsfragen. Die kleine Oppositionspartei FPÖ lehnte die Atomenergie und damit die Inbetriebnahme des AKW strikt ab. Es gab auch Demonstrationen dagegen.

Die drei Fraktionen einigten sich auf die Abhaltung einer Volksabstimmung über das Gesetz zur friedlichen Nutzung der Kernenergie – die erste in der Geschichte der Republik Österreich. Ungeachtet der Befürwortung durch die SPÖ lehnte die Bevölkerung das Gesetz mit einer knappen Mehrheit von 50,5 % ab.

Skandal um ein Krankenhaus

Für einige Aufregung im Nationalrat sorgte auch der Untersuchungsausschuss zum Skandal um den Bau des Wiener Allgemeinen Krankenhauses (AKH) im Jahr 1980. Dabei zeigten sich Verstrickungen mehrerer SPÖ-naher Funktionäre in die Korruptionsaffäre.

Unter anderem aufgrund von Ungereimtheiten im Zusammenhang mit dem AKH-Bau und der Steuerberatungskanzlei des Finanzministers und Vizekanzlers Hannes Androsch trat dieser im Dezember 1980 von allen politischen Ämtern zurück, obwohl keine Beweise gegen ihn vorlagen.

Die Verstrickung der SPÖ in den Skandal sowie die Steuererhöhungen des "Mallorcapakets" waren mitunter Gründe, die die Alleinregierung der SPÖ unter dem oft als "Sonnenkönig" titulierten Bundeskanzler Kreisky beendeten. In der Nationalratswahl am 24. April 1983 verlor die SPÖ die absolute Mehrheit, während ÖVP und Freiheitliche zulegten.

Damit war die Ära Kreisky zu Ende. Sein Einfluss blieb länger spürbar: Der scheidende Kanzler hatte noch vor seinem Abgang eine Koalition mit der FPÖ eingefädelt. Sein Nachfolger als Bundeskanzler, Fred Sinowatz, stand während der XVI. Gesetzgebungsperiode einem weiteren Novum in der Zweiten Republik vor (wie er auch in seiner Regierungserklärung betonte): einer kleinen Koalition.