Bereits Conn schrieb zur Bedeutung des Redigierens, dass der Kammerstenograf „durchaus nicht ein Fotograf der Rede sein, nicht blindlings Wort für Wort sein Stenogramm in die Kurrentschrift umsetzen“ dürfe. Aufgabe der Stenografen sei es vielmehr, „an den Härten des Ausdrucks, an der Unbeholfenheit der Redewendungen, an den Unrichtigkeiten des Sprachgebrauchs des einzelnen Redners ihre stylistische Gewandtheit zu erproben, [...] alle diese Unebenheiten hinwegzuschaffen und ein reines, lesbares Deutsch herzustellen – selbstverständlich ohne den Inhalt des Gesprochenen auch nur im Geringsten anzutasten.“ (Conn 1871, S 18f.)
Die Arbeitslast und die Verantwortung, die die Stenografen gerade in früheren Zeiten zu tragen hatten, können nicht genug gewürdigt werden. So berichtete der ehemalige Leiter Theodor Rudolf Alt (1878–1959), wie sich die Stenografen aufgrund der schlechten Akustik in den Zeiten, als die Abgeordneten von ihren Plätzen aus sprachen, so nahe als möglich zum Redner vordrängen mussten, um überhaupt etwas hören zu können. Oder Conn erzählte, dass er einmal nach vier Sitzungstagen im September 1860 am letzten Tag aus dem Saal zurückkommend bewusstlos im Büro zusammenbrach und fortan an Herzproblemen litt – das Protokoll musste damals mit Sitzungsende fertiggestellt sein und am nächsten Morgen gedruckt im Präsidialbüro abgegeben werden. Zugleich wurden Berichte an die Zeitungen übermittelt, denn die Stenografen übernahmen damals auch die Aufgabe der Berichterstattung; erst im Zuge der Reorganisation 1994 wurden Stenografenbüro und Parlamentskorrespondenz getrennte Abteilungen. Auch heute sind die vorläufigen Protokolle von Plenarsitzungen bereits am Sitzungstag beziehungsweise am nächsten Tag im Internet verfügbar: Protokolle. Die Herausforderungen haben sich geändert, sind aber nicht weniger geworden.
Während sich der Beruf selbst im Laufe der Zeit verändert hat, ist dies bei der Berufsbezeichnung nicht der Fall, was nicht selten Verwunderung auslöst. Dies mag daran liegen, dass die Bezeichnung Parlamentsstenograf und Parlamentsstenografin eigentlich schon immer irreführend war. Der sichtbare und namensgebende Teil der Tätigkeit, das Stenografieren im Sitzungssaal, ist aber nur ein Aspekt. Der weitaus größere Teil findet im Verborgenen statt: Nach 10 Minuten Einsatz im Sitzungssaal haben die Parlamentsstenograf:innen knapp drei Stunden Zeit, um aus ihrer Mitschrift, die Beifall, Zwischenrufe und sonstige Vorkommnisse im Sitzungssaal enthält, und dem Transkript der Audioaufnahme ein gut lesbares, valides und veröffentlichbares Protokoll zu erstellen. Es geht darum, Nebensätze, die sich in der Hitze des Gefechtes ineinander verschlungen haben, zu entwirren und im Fall des Falles auch mit den passenden Verben oder Objekten auszustatten. Zitate aus Lokalausgaben von Zeitungen oder Social-Media-Postings müssen verifiziert werden, Passagen im Dialekt zu ihrem Ursprung zurückverfolgt und unverfälscht, aber verständlich wiedergegeben werden. Abkürzungen, die vielleicht den einen oder anderen Buchstaben eingebüßt haben, werden recherchiert und vervollständigt. Verneinungen, die sich in der Aufregung verdoppelt oder verdreifacht haben, müssen wieder so dargestellt werden, dass die Aussage der Intention des Redners oder der Rednerin entspricht. Schließlich ist es auch notwendig, zum Teil ineinander verschränkte Satzteile, die beim Hören nur aufgrund der Betonung und der Sprachmelodie verständlich sind, in eine Form zu übersetzen, die auch beim Lesen gut verständlich ist.
Warum noch der Bleistift im Sitzungssaal? Das digitale, in ein Datenbanksystem integrierte Tonaufzeichnungssystem kann zwar alles aufnehmen, was in der Nähe eines Mikrofons gesprochen wird, aber zum Beispiel kaum Zwischenrufe aus dem Plenum oder von der Regierungsbank. Schon gar nicht kann damit erfasst werden, wer den Zwischenruf getätigt oder applaudiert hat, was auf hochgehaltenen Tafeln steht oder welche anderen Gegenstände im Zuge der Debatte verwendet werden. Das schnellste und effizienteste Mittel, um dies alles zu erfassen, ist nach wie vor der Bleistift. Die Debattenkultur im deutschen Sprachraum ist lebendig und dynamisch, und die vollständige authentische Wiedergabe der Debatten ist auch ein Beitrag zur Transparenz. Strukturierte Textdokumente stellen dabei – Stichwort Data Governance – eine wichtige Basis nicht nur im Zusammenhang mit Barrierefreiheit, sondern auch im Hinblick auf eine spätere Verwendung dar: Sie können leicht durchsucht und weiterverarbeitet werden, was nicht nur für die interessierte Öffentlichkeit, sondern insbesondere für Medien und Wissenschaft von Bedeutung ist.