Parlamentskorrespondenz Nr. 712 vom 20.06.2022

Verkehrsausschuss beschließt neue Regelungen für Radfahren und Verkehrssicherheit

FPÖ-Antrag auf Ministeranklage gegen Verkehrsministerin Gewessler erneut gescheitert

Wien (PK) — Eine Reihe von Änderungen bringt eine Novellierung der Straßenverkehrsordnung, die vom Verkehrsausschuss heute mehrheitlich, mit den Stimmen von ÖVP, Grünen und NEOS beschlossen wurde. Den Hauptteil der Novelle der StVO bilden neue Bestimmungen für Radfahrer:innen. Verkehrsministerin Leonore Gewessler erläuterte, die Novelle solle dem geänderten Mobilitätsverhalten Rechnung tragen. Insbesondere sollen die Interessen der Radfahrer:innen und Fußgänger:innen künftig besser in der StVO abgebildet werden. Vorgesehen sind etwa Änderungen von Parkbestimmungen und Regeln für das Rechtsabbiegen.

Eine weitere Novelle, die einstimmig beschlossen wurde, dient der Umsetzung einer EU-Richtlinie und sieht ein einheitliches System der Sicherheitsüberprüfungen für alle Bundesstraßen vor.

Die FPÖ versuchte einmal mehr, mit einem Antrag eine Ministeranklage gegen Verkehrsministerin Leonore Gewessler auf den Weg zu bringen. Dem Vorstoß schloss sich aber keine der anderen Fraktionen an. Die Freiheitlichen wollen die Möglichkeit zum Rechtsabbiegen bei Rot nicht alleine auf Fahrräder beschränken, auch dieser Antrag wurde nur von den FPÖ-Abgeordneten unterstützt und wurde damit abgelehnt. Die Freiheitlichen fordern auch die CO2-Bepreisung wieder abzuschaffen und das Mitführen von angeleinten Hunden vom Fahrrad aus zu erlauben. Diese beiden Anträge wurden mit den Stimmen von ÖVP und Grünen vertagt.

Die SPÖ wendet sich gegen aus ihrer Sicht diskriminierende Regelungen beim Zugang von Pensionist:innen zu ermäßigten Verkehrstickets. Sie fordert auch eine Maut-Vignette für Wohnmobile, ein Gratis-Sommerticket für junge Menschen unter 26 sowie eine Aufwertung der Nebenbahnen. Alle SPÖ-Anträge wurden von den Koalitionsfraktionen vertagt.

Ebenso erging es Anträgen der NEOS. Sie fordern ein rascheres Verfahren für Verordnungen über Temporeduktionen im Ortsgebiet und das Klimaticket auch in digitaler Form.

Neue Regelungen der Straßenverkehrsordnung zugunsten von Radverkehr und Fußgänger:innen

Mit den neuen Bestimmungen für Radfahrer:innen und Fußgänger:innen komme die Straßenverkehrsordnung (StVO) im 21. Jahrhundert an, sagte die Verkehrsministerin (1535 d.B.). Umweltfreundliche, aktive Formen der Fortbewegung gewinnen im Mobilitätsverhalten immer mehr Bedeutung. Die Novelle wolle daher klare Regelungen für alle Verkehrsteilnehmer:innen schaffen und dabei auch die Verkehrssicherheit erhöhen. Gewessler führte aus, dass die Parkbestimmungen ein "Schrägpark-Verbot" enthalten sollen, sodass Fahrzeuge keine Gehwege blockieren dürfen. Vor allem für Radwege werde dabei eine strengere Regelung gelten, da hier auch kleinste Behinderungen eine Gefahr für die Verkehrssicherheit seien, führte die Ministerin aus.

Eine wesentliche Neuerung ist laut Bundesministerin Gewessler, dass in unmittelbarer Umgebung von Schulgebäuden die Einrichtung von "Schulstraßen" via Verordnung ermöglicht wird. Fahrzeugverkehr wird dort künftig verboten, Ausnahmen gelten für den Fahrradverkehr, für Kranken- und Schüler:innentransporte sowie für Straßendienst, Müllabfuhr, öffentlichen Sicherheitsdienstes und Feuerwehr. Auch öffentliche Verkehrsmittel und der Anrainer:innenverkehr können bei Bedarf gestattet werden. Damit trage man pragmatisch den Interessen der Gemeinden Rechnung, erläuterte die Verkehrsministerin.

Pragmatisch gelöst werde auch das Abbiegen bei Rot, das künftig für Radfahrer:innen erlaubt sein wird, sofern eine entsprechende Zusatztafel angebracht ist. Ebenfalls möglich sein wird laut Gewessler künftig das Nebeneinanderfahren von Radfahrer:innen. Neben einem Kind unter zwölf Jahren soll es grundsätzlich gestattet sein, darunter jetzt auch in Tempo-30-Zonen, ausgenommen bleiben Schienenstraßen.. Ein wichtiger Punkt sei, dass die Novelle den Mindestabstand beim Überholen von Radfahrer:innen erstmals genau definiere, führte die Ministerin aus. Außerhalb des Ortsgebietes muss er mindestens zwei Meter Abstand betragen, während innerorts 1,5 Meter als ausreichend gelten, bei niedriger Geschwindigkeit kann er auch etwa geringer sein.

Im Sinne der Fußgänger:innensicherheit werde festgelegt, dass Fahrzeuge im Haltestellenbereich nicht auf der Ein- und Ausstiegsseite eines öffentlichen Verkehrsmittels vorbeifahren können, solange Fahrgäste ein- und aussteigen. Insgesamt sei das Ziel, das Prinzip gegenseitige Rücksichtnahme aller Verkehrsteilnehmer:innen zu stärken, sagte die Ministerin.

ÖVP-Verkehrssprecher Andreas Ottenschläger sprach von einer Novelle, die die Verkehrssicherheit an oberste Stelle stellt. Sie enthalte zukunftsweisende, aber auch pragmatische Lösungsansätze für das gesamte Verkehrssystem. Beispiele sind für ihn die Definition von Sicherheitsabständen beim Überholen, die Festlegung der Mindestbreite von Gehwegen, die Regeln für das Vorbeifahren an öffentlichen Verkehrsmitteln und die Schaffung von Schulstraßen.

Der Verkehrssprecher der Grünen, Hermann Weratschnig, zeigte sich zufrieden mit dem Ergebnis des Verhandlungsprozesses zu der Novelle. Österreich könne damit zu den EU-Staaten im vorderen Drittel aufschließen, was die Fahrradfreundlichkeit betreffe. Bedauerlicherweise habe es auch Unstimmigkeiten in einigen Punkten gegeben, unter anderem mit Wien, sagte Weratschnig. Er wolle aber Wien und allen Landeshauptstädten die Hand ausstrecken in der Hoffnung, dass man in noch offenen Fragen des Radverkehrs, wie Regelungen für den Kreuzungsbereich oder dem Fahren gegen die Einbahn gemeinsame Lösung finden könne.

Auf Seiten der Oppositionsparteien zeigten sich nur die NEOS zufrieden mit der Novelle. Viele seiner Forderungen nach einer radfahrfreundlichen StVO würden sich darin wiederfinden, meinte NEOS-Verkehrssprecher Johannes Margreiter. Martina Künsberg Sarre hob die Schulstraßen als wichtige Neuerung hervor.

FPÖ-Abgeordneter Christian Hafenecker übte hingegen harsche Kritik und meinte, die neuen Regelungen seien in vieler Hinsicht nicht praktikabel und würden eher die Unsicherheit über das richtige Verhalten vergrößern. Er sah in der Novelle einen Ausdruck der Agenda der Grünen, die sich in einen "Autofahrer-Bashing" erschöpfe. Er vermute, dass die ÖVP nur aus Koalitionsinteressen zustimme. Ausschussobmann Alois Stöger (SPÖ) meinte hingegen, vieles in der Novelle gehe in die richtige Richtung. Seine Fraktion stimme allerdings nicht zu, weil trotz aller guten Absichten viele Regelungen eher zur Verunsicherung beitragen würden, als zu einem guten Miteinander der Verkehrsteilnehmer:innen.

FPÖ: Rechtsabbiegen bei Rot ausweiten

Abgeordneter Christian Hafenecker kritisierte, dass laut StVO das Rechtsabbiegen bei Rot nur mehr für Fahrräder zulässig sein soll. Er fordert eine solche Möglichkeit für alle Lenker:innen von Fahrzeugen, sofern es sich nicht um LKW oder Busse mit einem höchsten zulässigen Gesamtgewicht von mehr als 7,5t handelt (2645/A(E)). Ottenschläger (ÖVP) und Weratschnig (Grüne) verwiesen auf die Ergebnisse von Pilotversuchen von FPÖ-Verkehrsminister Norbert Hofer und stimmten überein, dass die neue StVO die FPÖ-Forderung nach einem generellen Rechtsabbiegen bei Rot obsolet mache. Die StVO biete ausreichend Handhabe für Ausnahmeregelungen, meinte Weratschnig.

FPÖ: Mitführen von Hunden von Fahrrädern aus zulassen

Vertagt wurde ein Antrag von FPÖ-Verkehrssprecher Christian Hafenecker, der sich dafür ausspricht, dem Beispiels Deutschlands zu folgen, wo laut Straßenverkehrsordnung das Mitführen von angeleinten Hunden von Fahrrädern erlaubt ist (2628/A(E)). Franz Eßl (ÖVP) betonte in seinem Vertagungsantrag, man müsse die Auswirkungen auf die Verkehrssicherheit beurteilen. Dietmar Keck (SPÖ) war grundsätzlich für den Vorschlag, Voraussetzung sei aber die richtige Mitführvorrichtung.

NEOS: Vereinfachtes Verfahren für Temporeduktionen im Ortsgebiet

NEOS-Verkehrssprecher Johannes Margreiter spricht sich dafür aus, in der StVO ein vereinfachtes Verfahren für Gemeinden zur Einführung von Zonen mit reduzierter Höchstgeschwindigkeit im Ortsgebiet zu schaffen (2373/A(E)). Auch dieser Antrag wurde vertagt. Der Verkehrssprecher der Grünen, Weratschnig, meinte, man müsse mit den Gemeinden über ihre Bedürfnisse bei der Schaffung von Geschwindigkeitsbeschränkungen sprechen, und begründete damit seinen Vertagungsantrag.

Bundesstraßengesetz: Neues Sicherheitsmanagement für hochrangiges Straßennetz

Der Verbesserung der Verkehrssicherheit im hochrangigen Straßennetz dient laut Verkehrsministerium eine Novelle des Bundesstraßengesetzes, die den Verkehrsausschuss einstimmig passierte. Zentraler Punkt ist die Umsetzung einer EU-Richtlinie zum Sicherheitsmanagement für die Straßenverkehrsinfrastruktur auf alle Bundesstraßen (1531 d.B.). Die EU-Vorgaben galten bisher nur für Straßen des transeuropäischen Straßennetzes (TEN-Netz). Künftig werden auch die Autobahnen und Schnellstraßen außerhalb des TEN-Netzes einbezogen. Damit werde auch ein neues Verfahren für eine netzweite Straßenverkehrssicherheitsbewertung etabliert. Bei Sicherheitsüberprüfungen müssen explizit auch die "ungeschützten Verkehrsteilnehmer:innen" (Radfahrer:innen, Fußgänger:innen und Motorradfahrer:innen) berücksichtigt werden.

Auf Nachfrage von FPÖ-Abgeordnetem Gerald Hauser stellte die Ministerin klar, dass keine Auslagerung von Expertise aus dem Ressort stattfinden werde. Für sehr spezialisierte Prüfaufträge habe man bisher schon private Gutachter:innen herangezogen.

FPÖ findet keine Mehrheit für Ministeranklage gegen Verkehrsministerin

Bereits im Dezember 2021 hat die FPÖ den Versuch unternommen, Verkehrs- und Umweltministerin Leonore Gewessler wegen des verkündeten Baustopps für den Lobau-Tunnel und andere Straßenbauprojekte beim Verfassungsgerichtshof anzuklagen. Christian Hafenecker (FPÖ) unternahm heute einen neuen Anlauf zu einer Ministeranklage gegen die Verkehrsministerin (2463/A). Gewessler verletze das Bundesstraßengesetz vorsätzlich, das würden auch zwei von der Wirtschaftskammer Wien in Auftrag gegebene Gutachten bestätigen, wonach die Klimaministerin keine gesetzliche Befugnis habe, Baustopps zu verhängen bzw. der ASFINAG in diesem Zusammenhang Weisungen zu erteilen, argumentierte Hafenecker.

Seitens der anderen Fraktionen gab es kein Interesse an der Einleitung einer Ministeranklage. Seit dem letzten Vorstoß der FPÖ hätten sich keine Neuerungen ergeben, sagte Astrid Rössler (Grüne). Für die im Antrag erhobene Behauptung, die Ministerin habe einen wissentlichen Gesetzesbruch begangen gebe es keine Hinweise. Letztlich sei es eine politische Debatte und keine rechtliche Frage, welche Straßen gebaut werden sollten. Andreas Ottenschläger (ÖVP) betonte, die Koalitionspartner seien zwar unterschiedlicher Meinung, was den Ausbau des Straßennetzes betreffe. Die ÖVP nehme die neuen Gutachten zur Kenntnis, finde darin aber keine Begründung für eine Ministeranklage.

Melanie Erasim und Alois Stöger (beide SPÖ) meinten, die Verkehrsministerin sei noch Antworten schuldig, welche Alternativen für den Lückenschluss im Verkehrssystem sie anbiete. Jetzt sei nicht der Zeitpunkt für den Schritt, den die FPÖ vorschlage, sagte Erasim.

Verkehrsministerin Leonore Gewessler betonte, sie habe eine Evaluierung von Straßenbauprojekten durchgeführt, wie es sie auch schon früher gegeben habe. Dabei habe sie sich auf Rechtsgutachten gestützt, die das Vorgehen als gesetzeskonform beurteilen. Was die geforderten Alternativen betreffe, habe sie bereits Ende des Vorjahres die Länder zu Gesprächen eingeladen, diese seien im Laufen.

FPÖ fordert Stopp der CO2-Bepreisung

Abgeordneter Christian Hafenecker fordert von der Bundesregierung, als Teil eines "Teuerungsstoppgesetzes 2022, die CO2-Bepreisung, die mit dem Nationalen Emissionszertifikatehandelsgesetz eingeführt wird, wieder zur Gänze abzuschaffen (2579/A). Dieser sei einen Ausdruck eines "ökomarxistischen Ansatzes" in der Verkehrspolitik und bereits jetzt gescheitert, meinte er. Franz Eßl (ÖVP) verwies auf die derzeitige Aussetzung der CO2-Bepreisung und beantragte die Vertagung.

SPÖ will Maut-Vignette für Wohnmobile

Einmal mehr befasste sich der Ausschuss mit dem Antrag des SPÖ-Abgeordneten Dietmar Keck. Er fordert die Bemautung von Wohnmobilen mittels Vignette anstelle des Systems der aus seiner Sicht für diese Fahrzeuggruppe völlig ungeeigneten Go-Box (1079/A(E)). Irene Neumann-Hartberger (ÖVP) sagte, sie verstehe das Anliegen, Maut-Ausweichverkehre zu vermeiden. Das Verkehrsministerium arbeite an einer pragmatischen Lösung. Astrid Rössler (Grüne) sagte, jede Regelung, die vorgeschlagen werde, müsse wie die bisherige das Verursacherprinzip beachten. SPÖ-Abgeordneter Keck kritisierte, dass die Bundesregierung seit zwei Jahren verspreche, aber es noch kein Ergebnis gebe, obwohl sein Antrag eine praktikable Lösung aufzeige.

Forderungen der SPÖ und der NEOS für den leichteren Zugang zu Verkehrstickets

SPÖ-Abgeordnete Julia Herr, spricht sich dafür aus, Ticket-Ermäßigungen für alle Pensionist:innen sofort nach Pensionsantritt zu ermöglichen (2551/A(E)). Die aktuelle Regelung diskriminiere vor allem Frauen, die im Allgemeinen früher als Männer die Pension antreten, argumentiert sie. Außerdem fordert Herr die Unterstützung der Erholung junger Menschen. Die Verkehrsminister solle ein kostenloses ÖBB-Sommerticket für alle in Österreich lebenden Menschen, die mit Stichtag 1. Juli 2022 den 26. Geburtstag noch nicht erreicht haben, ermöglichen (2626/A(E)).

Verkehrsministerin Gewessler wies darauf hin, dass die Ticketpreise auf Vereinbarungen der Verkehrsverbünde basieren. Der Bund verfüge über keine allgemeine Tarifkompetenz. Die Bundesregierung habe aber bereits verschiedene Maßnahmen gesetzt, damit junge Menschen und Pensionist:innen Zugang zu günstigen Ticketangeboten erhalten.

NEOS-Verkehrssprecher Johannes Margreiter fordert von der Verkehrsministerin, die Voraussetzungen für ein Digitales Klimaticket schaffen (2536/A(E)).

Verkehrsministerin Gewessler sagte, die Umsetzung sei technisch komplex, da das digitale Ticket bei 100 Mobilitätsanbietern in ganz Österreich funktionieren müsse. Ihr Ressort arbeite aber engagiert daran, sie hoffe, dass es bereits 2023 möglich sein werde, ein digitales Klimaticket anzubieten.

SPÖ will Nebenbahnen aufwerten

SPÖ-Abgeordnete Melanie Erasim fordert die Stärkung eines ökologischen Verkehrssystems und Maßnahmen zur Attraktivierung beziehungsweise Reaktivierung von Nebenbahntrassen für geboten (2627/A(E)). Deutschland habe 2019 sogar einen Stilllegungsstopp für Regionalbahnen beschlossen, führt sie im Antrag aus. In Österreich hätten sich vor den Wahlen zwar alle Fraktionen für die Verbesserung der Nebenbahnstrecken ausgesprochen, bisher sehe sie aber keine Umsetzung, obwohl es bereits Lösungsansätze gebe. Auch FPÖ-Verkehrssprecher Hafenecker sagte, er vermisse Ergebnisse. ÖVP-Abgeordneter Schnabel sagte, die Bundesregierung habe in den letzten Jahren mehr als je zuvor in Nebenstrecken investiert, man könne ihr also keine Untätigkeit vorwerfen. (Schluss Verkehrsausschuss) sox