Parlamentskorrespondenz Nr. 897 vom 14.07.2022

Bundesrat bestätigt Änderungen der Straßenverkehrsordnung zugunsten von Radfahrer:innen und Fußgänger:innen

Gebührenbefreiung bei Führerscheinverlängerung, Sicherheit von Bundesstraßen, Mittel für Hochwasserschutz

Wien (PK) — Eine Reihe von Änderungen bringt eine Novellierung der Straßenverkehrsordnung (StVO), die den Bundesrat heute mit Stimmenmehrheit passierte. Damit sollen die Interessen der Radfahrer:innen und Fußgänger:innen im Straßenverkehr besser berücksichtigt werden.

Einstimmig sprach sich der Bundesrat dafür aus, eine allgemeine Befreiung von Verfahrenskosten bei der Verlängerung von Führerscheinen, die aufgrund gesundheitlicher Beeinträchtigung befristet sind, umzusetzen.

Ebenfalls einhellig billigte der Bundesrat eine 15a-Vereinbarung des Bundes mit Niederösterreich, Oberösterreich und Wien zur Finanzierung von Vorhaben zum Hochwasserschutz entlang der Donau, sowie eine Zusatzvereinbarung.

Mehrheitlich passierte den Bundesrat eine Änderung des Gasdiversifizierungsgesetzes, die der Energieministerin weitere Budgetmittel zur Förderung des Ausstiegs aus russischem Erdgas sichert.

Straßenverkehrsordnung berücksichtigt Fahrrad- und Fußgängerverkehr stärker

Eine Reihe von Änderungen bringt die Novellierung der Straßenverkehrsordnung. Sie soll einem geänderten Mobilitätsverhalten Rechnung tragen, indem insbesondere Rechte für Radfahrer:innen und Fußgänger:innen festgeschrieben werden, Radfahrer:innen sollen bei entsprechender Kennzeichnung mittels Zusatztafel künftig bei Rot abbiegen und unter bestimmten Voraussetzungen nebeneinander fahren dürfen. Mindestabstände für das Überholen von Radfahrer:innen sollen mehr Sicherheit bringen, ebenso die Einrichtung von "Schulstraßen" in der unmittelbaren Umgebung von Schulgebäuden, die weitgehende Fahrverbote via Verordnung ermöglicht. Fußgänger sollen von Parkbestimmungen, die Behinderungen des Verkehrs auf Geh- und Radwegen untersagen, und von Vorbeifahr-Regelungen bei Haltestellen öffentlicher Verkehrsmittel profitieren.

Im Zuge der Debatte brachte die steirische SPÖ-Bundesrätin Elisabeth Grossmann einen Entschließungsantrag ein, in dem sie Maßnahmen gegen die Mautflucht fordert. Zur Entlastung von stark belasteten Straßen, Siedlungsgebieten und Naturräumen müsse in der Straßenverkehrsordnung die Möglichkeit zur Verhängung dauernder oder zeitweiser Verkehrsbeschränkungen oder von Verkehrsverboten vorgesehen werden. Der Antrag der SPÖ fand keine Mehrheit im Bundesrat.

StVO-Novelle für Koalition "höchst an der Zeit", für Opposition "völlig realitätsfern"

Im Plenum kritisierte Grossmann die "extremen Belastungen" durch den LKW-Verkehr und, dass die Straßenverkehrsordnung (StVO) Verkehrsbeschränkungen derzeit nur in Ausnahmefällen zulasse. Die vorliegende Novelle enthalte "einige wenige positive" Veränderungen, vieles sei jedoch wenig praktikabel, was die Gefahr in sich berge, dass sich niemand daran halte. Praxisfern sei etwa der vorgesehene Mindestabstand von zwei Metern beim Überholen eines Fahrrades außerhalb des Ortsgebiets - auf schmalen Straßen bestehe de facto keine Überholmöglichkeit – oder, dass künftig keine Fahrzeugteile in Fahrradwege hineinragen dürfen. Letztere Regelung sei unter Umständen mit hohen Kosten für die Gemeinden verbunden, da bestehende Verkehrsflächen umgestaltet werden müssten.

Da sich die gegenwärtigen Verkehrsstrukturen "viel zu autozentriert bzw. menschen- und umweltfeindlich" gestalteten, sei es nun höchste Zeit, dem Aktivverkehr (Fußgänger:innen und Radfahrer:innen) mehr Rechte einzuräumen, erklärte Adi Gross (Grüne/V). Es brauche eine grundlegende Mobilitätswende, mit dem Ziel, den Radanteil bis 2030 zumindest zu verdoppeln. Dazu hätten sich auch die Städte und Gemeinden bekannt und dafür sei es notwendig, die Verkehrsstrukturen und die damit zusammenhängenden Rechte entsprechend auszurichten. Das Fahrrad sei ein unterschätztes Verkehrsmittel, das aufgrund seiner niedrigen Kosten im Vergleich zur Individualmobilität mit dem Auto auch sozialpolitische Relevanz besitze. Daher sei der Radverkehr bestmöglich politisch zu fördern, um schließlich zu einer "Gleichberechtigung" zwischen Rad- und Autofahrer:innen zu kommen. Die gegenständliche Novelle sei dafür zwar noch nicht genug, stelle jedoch eine Richtungsänderung zugunsten des Aktivverkehrs dar.

Michael Bernard (FPÖ/N) bezichtigte die Bundesregierung einer "rein ideologischen" Gesetzgebung, ohne auf die Praxistauglichkeit der Regelungen zu achten. Einige der Änderungen, wie den Mindestabstand beim Überholen oder das Reisverschlusssystem für das Einordnen von Fahrradfahrer:innen in den Fließverkehr, bezeichnete er als gefährlich, weshalb er die Ablehnung seiner Fraktion ankündigte. Als "völlig realitätsfern" erachtete auch Markus Leinfellner (FPÖ/St) die Novelle, wenn es beispielsweise um die Anpassung der Ampeln an die Bedürfnisse der Fußgänger:innen gehe.

Mobilität sei ein wesentlicher Teil des Lebens und würde heute gänzlich anders praktiziert, als in den 1960er Jahren, als die StVO entstanden sei, führte Silvester Gfrerer (ÖVP/S) aus. Diese würden nun ein Stück weit den Bedürfnissen der Zeit angepasst, was jedoch noch weitere Novellen benötigen werde. Die Neuregelungen binde Radfahrer:innen und Fußgänger:innen nun verstärkt ein, da es sich um eine stark wachsende Gruppe der Verkehrsteilnehmer:innen handle. Gfrerer sprach die Verkehrsproblematiken etwa vor Schulen oder im ländlichen Raum an, wo Radfahrer:innen mitunter Güter- und Forstwege für die Landwirtschaft blockieren würden.

Die StVO werde nun aus den 1960er Jahren ins 21. Jahrhundert geholt, zeigte sich Mobilitätsministerin Leonore Gewessler mit der Novelle zufrieden. Damals sei es aus guten Gründen um die Motorisierung des Massenverkehrs gegangen und aus genauso guten Gründen gehe es heute in eine andere Richtung. Ein Viertel der Österreicher:innen fahre mehrmals die Woche mit dem Rad, weshalb es "höchst an der Zeit" sei, dass Radfahrer:innen im Straßenverkehr gegenüber Autos nicht mehr automatisch "zurückstecken" müssen. Für Gewessler gehe es um eine "Kultur der gegenseitigen Rücksichtnahme" und den Entschluss, den Radverkehrsanteil bis 2030 zu verdoppeln. Dafür brauche es eine adäquate Infrastruktur und passende gesetzliche Regelungen. Die vorliegende Novelle biete praxistaugliche Lösungen, um diese Zielsetzung zu erreichen.

Gebührenbefreiungen bei Verlängerungen von Führerscheinen

Personen, die auf Grund von Beeinträchtigungen befristete Lenkberechtigungen besitzen, sind künftig bei der Verlängerung der Gültigkeitsdauer von den Verfahrenskosten befreit. Ab 1. Oktober 2022 wird zudem die theoretische Fahrprüfung der Klasse AM ("Mopedführerschein") in das allgemeine Prüfsystem integriert. Eine entsprechende Novelle des Führerscheingesetzes passierte den Bundesrat einstimmig.

Vereinheitlichte Sicherheitsüberprüfungen von Bundesstraßen

Eine weitere Novelle, die vom Bundesrat einhellig gebilligt wurde, dient der Umsetzung einer EU-Richtlinie. Sie sieht ein einheitliches System der Sicherheitsüberprüfungen für alle Bundesstraßen, also Autobahnen und Schnellstraßen, vor. Diese Bestimmungen galten bisher nur für Straßen, die Teil der Transnationalen europäischen Netze (TEN) sind.

Bund finanziert Hochwasserschutzprojekte in Oberösterreich, Niederösterreich und Wien mit

Mit einer 15a-Vereinbarung sollen weitere Hochwasserschutzprojekte im Bereich der Donau umgesetzt werden, die Schutz vor Hochwässern bieten sollen, wie sie im Durchschnitt einmal in hundert Jahren auftreten. Der Bund und die beteiligten Länder tragen damit gemeinsam die Kosten von 13 Hochwasserschutzprojekten mit einem Gesamtvolumen von rund 222 Mio. € für 2022 bis 2030. Gemäß einer Zusatzvereinbarung können Niederösterreich und Wien für geplante, aber noch nicht durchgeführte Vorhaben einer früheren Vereinbarung nicht verbrauchte Mittel der neuen 15a-Vereinbarung abrufen.

Bereitstellung weiterer Mittel für den Ausstieg aus russischem Erdgas

Der Bundesrat sprach sich darüber hinaus mehrheitlich für eine Novelle zum Gasdiversifizierungsgesetz aus. Das Gesetz soll den Ausstieg aus russischem Erdgas und Diversifizierung der Bezugsquellen fördern. Da mit weiteren Preissteigerungen gerechnet wird, kann bei Bedarf Energieministerin Leonore Gewessler im Einvernehmen mit Finanzminister Magnus Brunner am Verordnungsweg bis 31. Dezember 2023 auf zusätzliche Budgetmittel zur Sicherung der heimischen Gasversorgung zugreifen. (Fortsetzung Bundesrat) sox/wit

HINWEIS: Sitzungen des Nationalrats und des Bundesrats können auch via Livestream mitverfolgt werden und sind als Video-on-Demand in der Mediathek des Parlaments verfügbar.


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