Bundesrat Andreas Lackner (Grüne, Steiermark): Herr Minister, welche Maßnahmen gegen die Eindämmung der Langzeitarbeitslosigkeit sind geplant?

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Die schriftlich eingebrachte Anfrage, 1929/M-BR/2021, hat folgenden Wortlaut:

„Welche Maßnahmen setzen Sie, um die Langzeitarbeitslosigkeit einzudämmen?“

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Präsident Dr. Peter Raggl: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für Arbeit Mag. Dr. Martin Kocher: Vielen Dank. Wir haben schon kurz über das Programm Sprungbrett gesprochen. Die Idee dieses Programms ist es, positive Aspekte, die es in bestehenden Programmen schon gibt, zu einem Gesamtpaket zusammenzufassen: Arbeitsvorbereitung, Arbeitstraining, spezifische Coachings und Wiedereingliederungsbeihilfe.

Ich glaube, dass ein solches Programm in der jetzigen Phase, in der es in vielen Be­reichen durchaus großen Bedarf an Arbeitskräften gibt, gut wirken kann. Wir sehen auch eine große Nachfrage nach diesem Programm. Ich spreche ja sehr häufig mit den Landes-AMS-Geschäftsstellen und den regionalen Stellen, und die sagen mir, das wird sehr gut angenommen, viele Betriebe interessieren sich für dieses Programm. Wir haben das Budget für das Programm für das Jahr 2022 gesichert und für 2023 im Finanzrah­men.

Im April 2021 haben wir einen Höchststand an Langzeitarbeitslosen gehabt, mit 148 000 Personen – ich glaube, das ist bekannt –, und stehen jetzt bei 120 000 Per­sonen. Zum Teil ist das natürlich auch der allgemeinen Erholung geschuldet, zum Teil aber schon auch dem Programm.

Wir können jedem Langzeitarbeitslosen ein Angebot machen, entweder im Rahmen des Programms Sprungbrett, im Rahmen der Coronajoboffensive oder vielleicht sogar ein direktes Vermittlungsangebot. Es gibt natürlich auch weiterhin – das darf man nicht ver­gessen – die Programme in den sozialökonomischen Betrieben, andere, noch stärker geförderte Maßnahmen, die das AMS gemeinsam mit den Trägerinnen und Trägern schon jahrelang, teilweise jahrzehntelang anbietet. Das ist insgesamt eine relativ große Breite an aktiver Arbeitsmarktpolitik für langzeitarbeitslose Personen; es gibt Bereiche, in denen Eingliederung sehr langsam passiert – nur einige Stunden pro Woche, weil die Personen, aus welchen Gründen auch immer, oft aufgrund von gesundheitlichen Ein­schränkungen, noch nicht mehr arbeiten können –, bis hin zur Möglichkeit, Menschen aus der Langzeitarbeitslosigkeit direkt zu vermitteln.

Ich hoffe sehr, dass wir es schaffen, den Bestand an Langzeitarbeitslosen zu reduzieren. Wir reden immer von einer fixen Zahl, das ist der Bestand, man muss aber immer da­zusagen – ich glaube, das ist wichtig –: Auch in normalen Jahren findet die Hälfte der Menschen, die langzeitarbeitslos sind, einen Job, es kommen aber gleichzeitig neue Menschen in die Langzeitarbeitslosigkeit. Wir müssen es schaffen, den Bestand abzu­bauen und möglichst wenige Menschen in die Langzeitarbeitslosigkeit kommen zu las­sen, denn – wie allen bekannt ist –: Je länger man arbeitslos ist, desto schwieriger wird es, danach wieder einen Job zu finden.

Präsident Dr. Peter Raggl: Zusatzfrage, Herr Bundesrat Lackner? – Bitte.

Bundesrat Andreas Lackner (Grüne, Steiermark): Warum ist es nicht sinnvoll, die Per­sonen, die in Schulung sind, bei der Zählung der Langzeitarbeitslosen mitzuzählen?

Präsident Dr. Peter Raggl: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für Arbeit Mag. Dr. Martin Kocher: Vielen Dank. Das ist, glaube ich, eine wichtige Frage, die mir Gelegenheit gibt, auch einmal zu erklären, warum oft unter­schiedliche Zahlen herumschwirren.

Normalerweise umfasst die Definition der Langzeitarbeitslosigkeit alle Menschen, die zu diesem Zeitpunkt länger als zwölf Monate arbeitslos sind. Das sind im Moment unge­fähr 70 000.

Dann gibt es die Definition der Langzeitbeschäftigungslosigkeit – das ist diejenige, die wir immer verwenden, wenn wir von Langzeitarbeitslosen sprechen –: Das sind die Per­sonen, die in den letzten zwölf Monaten arbeitslos waren und zum Teil auch in Schu­lungen, die rechnen wir dazu. Das sind im Moment ungefähr 120 000 Personen.

Es gibt auch Personen, die derzeit in Schulungen sind, davor arbeitslos waren und ins­gesamt über ein Jahr nicht in Beschäftigung waren. Wenn man diese Zahl nehmen würde – das sind im Moment ungefähr 140 000 –, würde man aber auch Leute hinein­rechnen, die zum Beispiel in einem Fachkräftestipendium sind, ein Jahr eine Pflege- oder Elementarpädagogikausbildung machen und davor vielleicht ein, zwei Monate ar­beitslos waren. Das heißt, das ist eine Zahl, die, glaube ich, nicht dem tatsächlichen Wert entspricht.

Wir verwenden die Definition der Langzeitbeschäftigungslosigkeit für die Zahl der Lang­zeitarbeitslosen, weil das, glaube ich, am ehesten die ökonomische Realität widerspie­gelt. Es ist natürlich immer die Frage, was das Ziel einer Definition ist, und dahin gehend muss man auswählen, wie man die Definition festlegt. – Danke.

Präsident Dr. Peter Raggl: Zu einer weiteren Zusatzfrage zu Wort gemeldet hat sich Bundesrat Ernest Schwindsackl. – Ich bitte um die Zusatzfrage.

Bundesrat Ernest Schwindsackl (ÖVP, Steiermark): Herr Minister, die sozialpolitisch richtig gesetzten Maßnahmen, um die Langzeitarbeitslosigkeit einzudämmen, betreffen ja auch die älteren Arbeitnehmer. Finden diese auch im Budgetvoranschlag entspre­chende Berücksichtigung?

Präsident Dr. Peter Raggl: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für Arbeit Mag. Dr. Martin Kocher: Vielen Dank. Wir haben wie ge­sagt gemäß Budgetvoranschlag für das Jahr 2022 insgesamt 500 Millionen Euro zur Verfügung, etwas mehr sogar. Das sind 52 Millionen Euro aus dem Programm Sprung­brett, und dann haben wir noch zusätzlich 165 Millionen Euro aus dem Regelbudget und aus den Rücklagen für ältere Arbeitsuchende, die langzeitarbeitslos sind; 50 plus ist da die Definition. Es gibt auch noch zusätzliche Programme für jüngere Langzeitarbeitslose, damit kommen wir auf diese gut 500 Millionen Euro, von denen aber ein Gutteil für die Älteren vorgesehen ist. Natürlich ist die Langzeitarbeitslosigkeit in dieser Gruppe durch­aus ein Problem.

Ich glaube auch, dass es wichtig ist – das ist für mich jetzt die politische Festlegung –, das Signal zu senden, dass auch ältere Personen zum Beispiel an Qualifizierungsmaß­nahmen, Vorbereitungen und Trainings teilnehmen sollten. Wenn man 51, 52 Jahre alt ist, sollte das Arbeitsleben natürlich noch nicht vorbei sein, und man sollte auch nicht den Eindruck vermittelt bekommen, dass man zum alten Eisen gehört. – Vielen Dank.

Präsident Dr. Peter Raggl: Ich bitte um die Zusatzfrage von Bundesrätin Elisabeth Grimling.

Bundesrätin Elisabeth Grimling (SPÖ, Wien): Schönen guten Morgen, Herr Bundes­minister! Sie haben eine Reform des Arbeitslosengeldes angekündigt und dabei gleich zu Beginn damit aufhorchen lassen, arbeitslosen Menschen die Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung zu kürzen und damit das Leben noch schwerer zu machen.

Meine Frage dazu: Haben Sie sich von diesen Schikanemaßnahmen gegen arbeitslose Menschen endlich verabschiedet?

Präsident Dr. Peter Raggl: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für Arbeit Mag. Dr. Martin Kocher: Vielen Dank für die Frage. Ich glaube, Sie werden von mir kein einziges Zitat finden, wo ich mich für eine Kürzung ausgesprochen habe. Das ist eine Darstellung, die ganz gerne von Ihrer Fraktion gewählt wird, aber nicht den Tatsachen entspricht. Jetzt gibt es natürlich Vorschläge - - (Zwi­schenruf bei der SPÖ.) – Darf ich vielleicht ausreden?

Es gibt Vorschläge aus den verschiedensten Bereichen. Es gibt aus dem ÖGB den Vor­schlag einer Erhöhung des Arbeitslosengeldes. Es gibt aus dem Wirtschaftsbund den Vorschlag einer degressiven Gestaltung, wonach nach längerer Bezugsdauer das Ar­beitslosengeld abgesenkt würde. Es gibt mehrere andere Vorschläge. Es gibt Vorschlä­ge aus dem AMS, der Vorstand hat über den Zuverdienst gesprochen. Ich glaube, der entscheidende Punkt ist das Gesamtpaket und wie sich das auswirkt.

Ich habe mich sogar – im Gegensatz zu dem, was Sie gesagt haben – ganz klar in meh­reren Interviews dafür ausgesprochen und gesagt, man könne ja nicht viel unter die be­stehenden 55 Prozent gehen, weil sonst Armut entstehen würde. Also ich bitte darum, das schon auch wahrzunehmen, dass ich mich nicht für eine Kürzung ausgesprochen habe, sondern für ein Gesamtpaket, das beides erreicht – interessanterweise kommt das immer so an, weil es vielleicht so verstanden werden will –, ein Gesamtpaket, bei dem es darum geht, dass wir Menschen gut und vielleicht sogar noch besser als jetzt in der Arbeitslosigkeit absichern, und mit dem wir gleichzeitig aber sicherstellen, dass Men­schen, die arbeiten können, auch Arbeit annehmen. Das ist der entscheidende Punkt.

Ich glaube, da gibt es durchaus auch große Übereinstimmung mit vielen anderen, auch in den Gesprächen mit den Sozialpartnern, ÖGB, Arbeiterkammer. Die Frage ist, wie wir das schaffen und wie es ausgestaltet wird, da geht es um Details, aber es geht nicht – das ist ganz wichtig – darum, einfach zu kürzen. Das ist nicht das Ziel, das ich verfolge. (Beifall des Bundesrates Himmer. – Bundesrätin Grimling: Danke schön, wir werden Sie beim Wort nehmen!)

Präsident Dr. Peter Raggl: Zu einer Zusatzfrage zu Wort gemeldet hat sich Bundesrätin Marlies Steiner-Wieser. – Ich bitte um die Zusatzfrage.

Bundesrätin Marlies Steiner-Wieser (FPÖ, Salzburg): Guten Morgen, Herr Minister! (Bundesminister Kocher: Guten Morgen!) Sie haben am 2. Oktober 2021 im Ö1-„Mit­tagsjournal“ gesagt, dass Sie jedem Langzeitarbeitslosen ein Angebot machen können. Wie wir alle wissen, sind ja die finanziellen Förderungen an die Unternehmen wie Ein­gliederungsbeihilfen oder jetzt auch die Aktion Sprungbrett zeitlich begrenzt.

Können Sie garantieren, dass Langzeitarbeitslose mit gesundheitlichen Einschränkun­gen, Behinderungen, 50 plus oder wenn sie nur den Pflichtschulabschluss haben, nach Auslaufen der finanziellen Förderungen an die Unternehmen nicht wieder gekündigt werden, sondern eine dauerhafte Anstellung haben, und sich Ihre ganzen Aktionen nicht als Sternschnuppen entpuppen?

Präsident Dr. Peter Raggl: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für Arbeit Mag. Dr. Martin Kocher: Natürlich kann niemand garan­tieren, dass die Programme in 100 Prozent der Fälle wirken. Das gibt es auf der ganzen Welt nicht.

Ziel ist – und das war der Grund, warum wir die Programme so gestaltet haben –, dass möglichst viele Menschen, die gefördert werden, nachhaltig in Beschäftigung bleiben. Das ist das große Ziel, und deswegen sind die Programme so ausgestaltet, dass die Trägerin, der Träger einen Teil des Lohnes gefördert bekommt – das sind ja teilweise auch öffentliche Träger, nicht nur private Unternehmen; es gibt zum Beispiel auch öffent­liche Träger im Programm Sprungbrett –, um eben die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus der Langzeitarbeitslosigkeit zu holen und in der Zeit dieser Förderung die betrof­fenen Personen so gut zu integrieren, dass sie voll produktiv sind. Das ist das große Ziel und das gelingt in vielen Bereichen.

Das wird nicht in jedem einzelnen Fall gelingen, aber die Frage ist: Was wären die Al­ternativen dazu? Es gibt andere Programme, in denen die Förderung noch höher ist, dann aber klarerweise nach Ende der Förderung keine Anschlussfinanzierung vorhan­den ist. Es gibt natürlich auch Programme, in denen die Förderung bis zu 100 Prozent geht, weil eben die Personen so starken Förderbedarf haben. Da brauchen wir aber dann Anschlussfinanzierungsformen, und wenn wir für eine große Anzahl von Personen Programme machen, die zu 100 Prozent gefördert werden, ist die Erfolgswahrschein­lichkeit danach noch viel geringer.

Das heißt, ich glaube, wir haben mit dieser Eingliederungsbeihilfe und der guten Vorbe­reitung im Programm Sprungbrett ein Instrument, das gut funktionieren kann, und wir werden alles tun, damit es eine nachhaltige Beschäftigung ist. Natürlich hängt auch sehr viel von der Wirtschaftslage ab. Wenn sich die Wirtschaftslage verschlechtert, ist kla­rerweise die Person, die als Letzte kam, wieder als Erste gefährdet. Ich hoffe, wir werden es schaffen, die Arbeitsmarktlage weiter zu verbessern. (Bundesrätin Steiner-Wieser: Und ich hoffe, dass Sie ein bissel auf die Freiheitlichen horchen, weil die hätten gute Ansätze!)

Präsident Dr. Peter Raggl: Wir gelangen nun zur 5. Anfrage, 1924/M-BR/2021.

Ich bitte den Anfragesteller, Bundesrat Bernhard Hirczy, um die Verlesung der Anfrage.