Mit dem Beschluss des Legislativpakets zur Neugestaltung der haushaltspolitischen Steuerung der Europäischen Union (EU) gelten ab 30. April 2024 neue EU-Fiskalregeln. Als wesentlichste Änderung rückt das Ausgabenwachstum in das Zentrum der Fiskalregelüberwachung. Die Europäische Kommission erstellt dazu auf Basis einer Schuldentragfähigkeitsanalyse länderspezifische Vorgaben, die die Mitgliedstaaten in mittelfristigen Fiskalstrukturplänen umsetzen. Die bestehenden Schwellenwerte eines Maastricht-Defizits von maximal 3 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP) und einer Schuldenquote von maximal 60 % des BIP bzw. das Erfordernis einer hinreichenden Reduktion der Schuldenquote in Richtung dieses Schwellenwerts bleiben bestehen. Allerdings wird diese hinreichende Reduktion nun nicht mehr über die Zwanzigstel-Regel, sondern über die Einhaltung eines Nettoausgabenpfads überprüft.
Dazu gibt die Europäische Kommission (EK) zunächst für jeden EU-Mitgliedstaat, der eine Schuldenquote über 60 % des BIP bzw. ein Defizit über 3 % des BIP aufweist, einen länderspezifischen Referenzpfad mit dem maximal zulässigen jährlichen Nettoausgabenwachstum für vier bzw. sieben Jahre (mit einem Reform- und Investitionspaket) vor. Diese Obergrenze für das zulässige Nettoausgabenwachstum spiegelt die aus Sicht der EK notwendige budgetäre Anpassung (Konsolidierung) wider, damit sich die Schuldenquote auch in den Jahren nach der Anpassung ohne neue Maßnahmen mit ausreichend hoher Wahrscheinlichkeit rückläufig entwickelt. So soll das neue Regelwerk die Budgetdisziplin sichern und gleichzeitig die individuelle Lage der einzelnen Mitgliedstaaten stärker berücksichtigen. Das Verfahren zur Ermittlung des Referenzpfades für das zulässige Ausgabenwachstum basiert auf einer Schuldentragfähigkeitsanalyse, die zahlreiche zum Teil sehr langfristige Annahmen erfordert. Zusätzlich müssen bestimmte Mindestvorgaben (z. B. bei der Reduktion der Schuldenquote) eingehalten werden.
In einem nächsten Schritt erstellen die Mitgliedstaaten nationale mittelfristige Fiskalstrukturpläne, in denen sie ihren Nettoausgabenpfad auf Basis des Referenzpfads, die budgetären Ziele sowie ihre vorrangigen Reformen und Investitionen für die nächsten vier bzw. fünf Jahre (je nach Dauer der Legislaturperiode) darlegen. Möchte ein Mitgliedstaat die Möglichkeit einer langsameren, über sieben Jahre gestreckten Konsolidierung in Anspruch nehmen, so muss mit dem Plan zusätzlich ein resilienz- und wachstumsförderndes Investitions- und Reformpaket vorgelegt werden.
Für Österreich stellt sich im Jahr 2024 die Problematik, dass kurze Zeit nach Ende der Einreichungsfrist der Fiskalstrukturpläne Nationalratswahlen stattfinden. Obwohl die Regelungen grundsätzlich eine Verlängerung der Frist vorsehen, ist unklar, ob die Erstvorlage durch eine neue Bundesregierung möglich ist.
Die mittelfristige Fiskalprognose des BMF vom April 2024 zeigt für den gesamten Planungszeitraum 2024 bis 2027 ein gesamtstaatliches Maastricht-Defizit von knapp unter 3 % des BIP. Das strukturelle Budgetdefizit sinkt im Prognosezeitraum nicht unter 2,7 % des BIP und die Schuldenquote bleibt weitgehend konstant bei 77,4 % des BIP. Auch wenn die aus den neuen Fiskalregeln folgenden Vorgaben für die fiskalische Entwicklung der kommenden Jahre im Detail erst am 21. Juni 2024 von der EK in Form des Referenzpfads vorgelegt werden, lässt sich aus den anzuwendenden Schutzklauseln bereits ableiten, dass sich für Österreich ein Konsolidierungserfordernis für die kommenden Jahre ergeben wird. Auf Basis der aktuellen Planung des BMF läge das strukturelle Budgetdefizit am Ende des Prognosezeitraums im Jahr 2027 mit 2,7 % des BIP um rd. 1,2 %-Punkte bzw. 6,6 Mrd. EUR über der Vorgabe der Schutzklausel für das strukturelle Budgetdefizit iHv 1,5 % des BIP, die ein Mindesterfordernis darstellt. Die strengste Vorgabe aus der Schuldentragfähigkeitsanalyse und den Schutzklauseln ergibt das jährliche Anpassungserfordernis in Form eines maximalen Nettoausgabenwachstums.
Wie bisher kann auch im neuen Fiskalregelwerk ein Verfahren bei einem über-mäßigen Defizit (ÜD-Verfahren) entweder durch eine Überschreitung der 3 %-Schwelle für das Maastricht-Defizit (defizitbasiertes ÜD‑Verfahren) oder durch eine unzureichende Rück-führung der Schuldenquote (schuldenbasiertes ÜD-Verfahren) ausgelöst werden. Ein defizitbasiertes ÜD‑Verfahren wird weiterhin eröffnet, wenn das geplante oder tatsächliche Maastricht-Defizit über 3 % des BIP liegt und die 3 %-Schwelle nicht nur geringfügig, ausnahmsweise und vorübergehend überschritten wird. Zu größeren Änderungen kommt es beim schuldenbasierten ÜD‑Verfahren, für dessen Eröffnung nun die Nicht-einhaltung des Nettoausgabenpfads entscheidend ist.
Zur Anpassung an die geänderten unionsrechtlichen Rahmenbedingungen dürfte auch eine Änderung des Österreichischen Stabilitätspakts 2012 erforderlich sein. Die geänderte Richtlinie ist von den Mitgliedstaaten bis Ende 2025 umzusetzen.
Das Jahr 2024 stellt für das Europäische Semester ein Übergangsjahr dar, in dem die wirtschafts- und fiskalpolitische Steuerung vom bisher gültigen in das neue Regelwerk übergeführt wird. Als wesentliche neue Elemente werden im Jahr 2024 bis 21. Juni die Referenzpfade durch die EK erstellt, auf deren Grundlage die Mitgliedstaaten bis 20. September Fiskalstrukturpläne übermitteln. Die Vorlagepflicht für die Nationalen Reformprogramme und die Stabilitäts- und Konvergenzprogramme entfällt. Österreich hat diese Dokumente dennoch erstellt, um der EK Grundlagen zur Beurteilung der Einhaltung der Fiskalregeln sowie der Fortschritte bei der Umsetzung des Aufbau- und Resilienzplans (ARP) bereitzustellen.