Budgetdienst - Europäisches Semester 29.05.2024

Neue EU-Fiskalregeln und Europäisches Semester 2024

Überblick

Nach dem Abschluss der Trilog­verhandlungen im Februar 2024 wurde der formale Prozess zur Annahme des Legislativ­pakets zur Neugestaltung der wirtschafts­politischen Steuerung der EU und insbesondere der Fiskalregeln im April 2024 durch die entsprechenden Beschlüsse im Europäischen Parlament und im Rat der EU abgeschlossen. Im Hinblick auf die große Bedeutung der Fiskal­regeln für die wirtschafts- und fiskal­politische Steuerung wird hier ein erster Überblick über die neuen Regelungen und bereits im Jahr 2024 relevante Verfahrens­schritte gegeben.

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Kurzfassung

Mit dem Beschluss des Legislativ­pakets zur Neugestaltung der haushalts­politischen Steuerung der Europäischen Union (EU) gelten ab 30. April 2024 neue EU-Fiskal­regeln. Als wesentlichste Änderung rückt das Ausgaben­wachstum in das Zentrum der Fiskal­regel­überwachung. Die Europäische Kommission erstellt dazu auf Basis einer Schulden­tragfähigkeits­analyse länderspezifische Vorgaben, die die Mitglied­staaten in mittelfristigen Fiskal­struktur­plänen umsetzen. Die bestehenden Schwellen­werte eines Maastricht-Defizits von maximal 3 % des Brutto­inlands­produkts (BIP) und einer Schulden­quote von maximal 60 % des BIP bzw. das Erfordernis einer hinreichenden Reduktion der Schulden­quote in Richtung dieses Schwellen­werts bleiben bestehen. Allerdings wird diese hinreichende Reduktion nun nicht mehr über die Zwanzigstel-Regel, sondern über die Einhaltung eines Netto­ausgaben­pfads überprüft.

Dazu gibt die Europäische Kommission (EK) zunächst für jeden EU-Mitgliedstaat, der eine Schulden­quote über 60 % des BIP bzw. ein Defizit über 3 % des BIP aufweist, einen länder­spezifischen Referenz­pfad mit dem maximal zulässigen jährlichen Netto­ausgaben­wachstum für vier bzw. sieben Jahre (mit einem Reform- und Investitions­paket) vor. Diese Obergrenze für das zulässige Netto­ausgaben­wachstum spiegelt die aus Sicht der EK notwendige budgetäre Anpassung (Konsolidierung) wider, damit sich die Schulden­quote auch in den Jahren nach der Anpassung ohne neue Maßnahmen mit ausreichend hoher Wahrscheinlichkeit rückläufig entwickelt. So soll das neue Regel­werk die Budget­disziplin sichern und gleichzeitig die individuelle Lage der einzelnen Mitglied­staaten stärker berücksichtigen. Das Verfahren zur Ermittlung des Referenz­pfades für das zulässige Ausgaben­wachstum basiert auf einer Schulden­tragfähigkeits­analyse, die zahlreiche zum Teil sehr lang­fristige Annahmen erfordert. Zusätzlich müssen bestimmte Mindest­vorgaben (z. B. bei der Reduktion der Schulden­quote) eingehalten werden.

In einem nächsten Schritt erstellen die Mitglied­staaten nationale mittelfristige Fiskal­struktur­pläne, in denen sie ihren Netto­ausgaben­pfad auf Basis des Referenz­pfads, die budgetären Ziele sowie ihre vorrangigen Reformen und Investitionen für die nächsten vier bzw. fünf Jahre (je nach Dauer der Legislatur­periode) darlegen. Möchte ein Mitglied­staat die Möglichkeit einer langsameren, über sieben Jahre gestreckten Konsolidierung in Anspruch nehmen, so muss mit dem Plan zusätzlich ein resilienz- und wachstums­förderndes Investitions- und Reform­paket vorgelegt werden.

Für Österreich stellt sich im Jahr 2024 die Problematik, dass kurze Zeit nach Ende der Einreichungs­frist der Fiskal­struktur­pläne Nationalrats­wahlen stattfinden. Obwohl die Regelungen grundsätzlich eine Verlängerung der Frist vorsehen, ist unklar, ob die Erst­vorlage durch eine neue Bundes­regierung möglich ist.

Die mittelfristige Fiskal­prognose des BMF vom April 2024 zeigt für den gesamten Planungs­zeitraum 2024 bis 2027 ein gesamt­staatliches Maastricht-Defizit von knapp unter 3 % des BIP. Das strukturelle Budget­defizit sinkt im Prognose­zeitraum nicht unter 2,7 % des BIP und die Schulden­quote bleibt weitgehend konstant bei 77,4 % des BIP. Auch wenn die aus den neuen Fiskal­regeln folgenden Vorgaben für die fiskalische Entwicklung der kommenden Jahre im Detail erst am 21. Juni 2024 von der EK in Form des Referenz­pfads vorgelegt werden, lässt sich aus den anzuwendenden Schutz­klauseln bereits ableiten, dass sich für Österreich ein Konsolidierungs­erfordernis für die kommenden Jahre ergeben wird. Auf Basis der aktuellen Planung des BMF läge das strukturelle Budget­defizit am Ende des Prognose­zeitraums im Jahr 2027 mit 2,7 % des BIP um rd. 1,2 %-Punkte bzw. 6,6 Mrd. EUR über der Vorgabe der Schutz­klausel für das strukturelle Budget­defizit iHv 1,5 % des BIP, die ein Mindest­erfordernis darstellt. Die strengste Vorgabe aus der Schulden­tragfähigkeits­analyse und den Schutz­klauseln ergibt das jährliche Anpassungs­erfordernis in Form eines maximalen Netto­ausgaben­wachstums.

Wie bisher kann auch im neuen Fiskal­regelwerk ein Verfahren bei einem über-mäßigen Defizit (ÜD-Verfahren) entweder durch eine Überschreitung der 3 %-Schwelle für das Maastricht-Defizit (defizit­basiertes ÜD‑Verfahren) oder durch eine unzureichende Rück-führung der Schulden­quote (schulden­basiertes ÜD-Verfahren) ausgelöst werden. Ein defizit­basiertes ÜD‑Verfahren wird weiterhin eröffnet, wenn das geplante oder tatsächliche Maastricht-Defizit über 3 % des BIP liegt und die 3 %-Schwelle nicht nur geringfügig, ausnahmsweise und vorübergehend überschritten wird. Zu größeren Änderungen kommt es beim schulden­basierten ÜD‑Verfahren, für dessen Eröffnung nun die Nicht-einhaltung des Netto­ausgaben­pfads entscheidend ist.

Zur Anpassung an die geänderten unions­rechtlichen Rahmen­bedingungen dürfte auch eine Änderung des Österreichischen Stabilitäts­pakts 2012 erforderlich sein. Die geänderte Richtlinie ist von den Mitglied­staaten bis Ende 2025 umzusetzen.

Das Jahr 2024 stellt für das Europäische Semester ein Übergangs­jahr dar, in dem die wirtschafts- und fiskal­politische Steuerung vom bisher gültigen in das neue Regel­werk übergeführt wird. Als wesentliche neue Elemente werden im Jahr 2024 bis 21. Juni die Referenz­pfade durch die EK erstellt, auf deren Grundlage die Mitglied­staaten bis 20. September Fiskal­struktur­pläne übermitteln. Die Vorlage­pflicht für die Nationalen Reform­programme und die Stabilitäts- und Konvergenz­programme entfällt. Österreich hat diese Dokumente dennoch erstellt, um der EK Grundlagen zur Beurteilung der Einhaltung der Fiskal­regeln sowie der Fortschritte bei der Umsetzung des Aufbau- und Resilienz­plans (ARP) bereitzustellen.

Die EK wird ihr Frühjahrs­paket am 19. Juni 2024 veröffentlichen, das neben der Beurteilung der makroökonomischen Ungleichgewichte insbesondere die Länder­berichte und den EK-Vorschlag für länder­spezifische Empfehlungen des Rates an die Mitglied­staaten enthalten wird. Zusätzlich hat die EK angekündigt, dem Rat für bestimmte Mitglied­staaten aufgrund der Überschreitung der 3 %-Schwelle beim Maastricht-Defizit die Eröffnung eines ÜD‑Verfahren zu empfehlen.