Fachinfos - Judikaturauswertungen 07.02.2023

Freiwerden des Sitzes im EP: Rechtsmittel unzulässig

EuGH 22.12.2022, C-115/21 P, Junqueras i Vies gg. Parlament

Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) entschied, dass die Abweisung der Klage eines ehemaligen Mitglieds des Europäischen Parlaments (EP) gegen eine in der Plenarsitzung des EP abgegebene Erklärung der Kenntnisnahme vom Freiwerden seines Sitzes als Mitglied des EP (im Folgenden: Erklärung vom 13. Januar 2020) zum einen und die behauptete Ablehnung eines Antrags auf Maßnahmen zur Sicherung der Immunität des Mitglieds des EP durch den Präsidenten des EP zum anderen rechtmäßig waren.

Sachverhalt

Der Kläger im Ausgangsverfahren, Herr Junqueras i Vies war im Rahmen der Durchführung des Referendums zur Selbstbestimmung Kataloniens 2017 zum Vizepräsidenten der Autonomen Regierung Katalonien gewählt und im Anschluss daran im Zuge eines Strafverfahrens wegen Rebellion in Untersuchungshaft genommen worden. Im Laufe des Strafverfahrens wurde er zum Mitglied des EP gewählt. Spanisches Recht sieht für die zum EP gewählten Personen vor, dass diese einen Eid auf die spanische Verfassung ablegen müssen. Junqueras i Vies wurde dies jedoch auf Grund seiner Haft verwehrt. Die dagegen erhobenen Rechtsmittel nach spanischem Recht blieben erfolglos. Mit Urteil des Tribunal Supremo (Oberster Gerichtshof von Spanien) vom 14. Oktober 2019 wurde Junqueras i Vies zu einer Freiheitsstrafe von 13 Jahren verurteilt und es wurden ihm für dieselbe Dauer die bürgerlichen Rechte aberkannt. Damit verlor er alle seine öffentlichen Ämter, einschließlich seiner Wahlämter. Am 19. Dezember 2019 entschied der EuGH im Wege einer Vorabentscheidung, dass es die Immunität grundsätzlich verlange, dass die Untersuchungshaft aufgehoben werden muss, um Herrn Junqueras i Vies zu ermöglichen, an der konstituierenden Sitzung des EP teilzunehmen (siehe dazu Fachinfos - Judikaturauswertungen). Am 20. Dezember 2019 beantragte ein anderes Mitglied des EP auf der Grundlage von Art. 8 der Geschäftsordnung in Junqueras i Vies‘ Namen beim Präsidenten des EP zudem dringend Maßnahmen zur Bestätigung seiner Immunität zu ergreifen. Am 9. Jänner 2020 entschied das Tribunal Supremo unter Berücksichtigung der Entscheidung des EuGH, dass Junqueras i Vies keine Möglichkeit gegeben werde, die Haftanstalt für die Ableistung des Eids zu verlassen oder seine Verurteilung aufzuheben.

In der Folge unterrichtete der Präsident des EP in der Plenarsitzung am 13. Jänner 2020 das EP davon, dass das EP vom Freiwerden des Sitzes von Junqueras i Vies ab dem 3. Jänner 2020 Kenntnis nehme. Dagegen und gegen eine Ablehnung des Antrags vom 20. Dezember 2019 erhob Junqueras i Vies Nichtigkeitsklage, die vom Gericht der Europäischen Union (EuG) mit Beschluss vom 15. Dezember 2020 zurückgewiesen wurde, weil den vom Parlament zur Verteidigung erhobenen Einreden der Unzulässigkeit stattzugeben und die Anträge auf Nichtigerklärung der Erklärung vom 13. Januar 2020 und der Ablehnung des Antrags vom 20. Dezember 2019 zurückzuweisen seien, weil sie sich gegen Handlungen richteten, die nicht Gegenstand einer Nichtigkeitsklage gemäß Art. 263 AEUV sein könnten. Ein zusätzlich gestellter Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz wurde vom EuG ebenfalls letztinstanzlich zurückgewiesen (siehe dazu Fachinfos - Judikaturauswertungen). Gegen den Beschluss des EuG in der Hauptsache erhob Junqueras i Vies Rechtsmittel zum EuGH.

Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union

Der EuGH wies das Rechtsmittel zurück.

Hinsichtlich der Erklärung vom 13. Jänner 2020 führte er zur Begründung im Einzelnen aus, die Erklärung habe rein informativen Charakter und daher keine verbindlichen Rechtswirkungen erzeugt, die die Interessen des Rechtsmittelführers durch eine qualifizierte Änderung seiner Rechtsstellung hätten beeinträchtigen können. Insbesondere sei das EuG zu Recht davon ausgegangen, dass der Präsident des EP dieses nur darüber habe unterrichten können, dass das Mandat des Betroffenen aufgrund innerstaatlicher Entscheidungen erloschen sei. Die Geschäftsordnung habe dem EP im vorliegenden Fall nicht ermöglicht, die Feststellung des Freiwerdens des Sitzes abzulehnen. Das Parlament sei nicht befugt gewesen, den zum Verlust seines Mandats führenden Unvereinbarkeitsgrund zu überprüfen; das passive Wahlrecht gehöre zum Wahlverfahren, das allein durch das Recht der Mitgliedstaaten geregelt werde und dem EP fehle daher bereits die Rechtsgrundlage zu einer Prüfung in diesem Fall. Das EuG habe daher keinen Rechtsfehler begangen, als es befunden habe, dass der Antrag auf Nichtigerklärung des Junqueras i Vies gegen eine Handlung gerichtet war, die nicht Gegenstand einer Nichtigkeitsklage gemäß Art. 263 AEUV sein kann.

Hinsichtlich der Zurückweisung des Antrags auf Nichtigerklärung vom 20. Dezember 2019 habe das EuG zutreffend entschieden, dass dieser Antrag mangels seiner ausdrücklichen Beantwortung durch den Präsidenten des Parlaments und mangels spezifischer Bestimmungen oder Umstände, aus denen sich die Entstehung einer stillschweigenden ablehnenden Entscheidung ergebe, gegen eine nicht existierende Handlung gerichtet sei.

Vgl. zu diesem Verfahren den Volltext der Entscheidung.