Damit der BM für Finanzen im Gouverneursrat jedem dieser Schritte zustimmen kann, muss er jeweils vom NR dafür ermächtigt werden.
Die parlamentarische Mitwirkung ist keine Vorgabe des ESM. Dieser verfügt über kein gemeinsames, demokratisch gewähltes Organ. Das war vor allem in Deutschland umstritten und wurde als Frage vor das Bundesverfassungsgericht gebracht. Dieses hat 2012 festgestellt, dass der Bundestag in Entscheidungen des ESM eingebunden werden muss. In Österreich bestand dazu keine verfassungsrechtliche Verpflichtung. Da aber für die gleichzeitig erfolgte vereinfachte Anpassung der EU-Verträge eine 2/3-Mehrheit im NR erforderlich war, haben die politischen Verhandlungen dazu geführt, eine parlamentarische Mitwirkung an ESM-Entscheidungen vorzusehen.
Für den NR sehen die Art. 50a bis 50d B-VG zwei Kategorien von Mitwirkungsrechten vor. Sie werden in den §§ 32g bis 32k und §§ 74c bis 74g GOG-NR näher geregelt:
- Ermächtigung: Der/Die österreichische VertreterIn darf Beschlussvorschlägen im ESM nur zustimmen oder sich bei der Beschlussfassung enthalten, wenn ihn der NR auf Grund eines Vorschlags der Bundesregierung dazu (mit einfacher Mehrheit) ermächtigt hat. Ohne Ermächtigung muss der Vorschlag abgelehnt werden.
- Stellungnahmerecht: Der NR kann, ähnlich wie bei der EU-Mitwirkung, (mit einfacher Mehrheit) eine Stellungnahme gegenüber dem/der österreichischen VertreterIn abgeben. Diese ist aber nicht bindend.
Da im ESM vorgesehen ist, dass Entscheidungen sehr schnell getroffen werden können, sind auch für den NR Dringlichkeitsverfahren geschaffen worden. Diese kommen jetzt zur Anwendung:
Am 11. Mai 2020 übermittelte der BM für Finanzen die Vorlage betreffend den PCS im Dringlichkeitsverfahren an den NR. Weil es dringlich ist, darf er anstelle der Bundesregierung den NR um die Ermächtigung zur Zustimmung ersuchen. Er muss seine Vorgangsweise aber begründen. Der Präsident des NR musste diese Vorlage gemäß § 74d Abs. 2 GOG-NR sofort dem Ständigen Unterausschuss des Budgetausschusses in ESM-Angelegenheiten (StUA ESM) zuweisen, und der dessen Obmann muss gemäß § 74d Abs. 3 GOG-NR den StUA ESM so einberufen, dass alle Fristen auf ESM-Ebene eingehalten werden können.
Der StUA ESM kann nun mit (einfacher) Mehrheit beschließen, dass er aufgrund der Dringlichkeit anstelle des NR tätig wird. Er entscheidet dann mit (einfacher) Mehrheit, ob er dem BM für Finanzen die Ermächtigung erteilt. In diesem Fall braucht es keinen Beschluss des NR mehr. Allerdings muss der BM für Finanzen in der nächstfolgenden Sitzung des NR eine Erklärung dazu abgeben.
Der StUA ESM kann sich aber auch dafür entscheiden, dass der NR diese Ermächtigung erteilen soll. Dann erstattet er Bericht an den NR.
Die Sitzung des NR findet am 13. Mai 2020 statt. Damit der NR noch an diesem Tag tätig werden kann, müsste gemäß § 44 GOG-NR von der 24-stündigen Auflagefrist für den Bericht abgesehen werden. Dafür muss ein Beschluss mit 2/3-Mehrheit gefasst werden. Die Ermächtigung erfolgt wieder mit einfacher Mehrheit.
Der NR (bzw. der StUA ESM) fasst die verschiedenen Ermächtigungsbeschlüsse unabhängig voneinander. Das heißt, wenn der NR den Finanzminister ermächtigt hat, der grundsätzlichen Gewährung von Finanzhilfe zuzustimmen, kann er bei der anschließenden Befassung mit der „Vereinbarung über eine Finanzhilfefazilität“ dennoch einen anderen Standpunkt einnehmen.