Fachinfos - Fachdossiers 19.05.2022

Wann dürfen/müssen Regierungsmitglieder im Parlament anwesend sein?

Dieses Fachdossier behandelt die Frage, in welchen Fällen die Anwesenheit von Regierungsmitgliedern zulässig oder sogar geboten ist und in welchen Fällen sich diese vertreten lassen können. (19.05.2022)

Wann dürfen bzw. müssen Regierungsmitglieder im Parlament anwesend sein?

Es ist üblich und wird erwartet, dass die Mitglieder der Bundesregierung in Plenarsitzungen des Nationalrates und des Bundesrates sowie in Ausschusssitzungen des Nationalrates anwesend sind, wenn in ihre Zuständigkeit fallende Themen verhandelt werden. Inwieweit ist diese parlamentarische Praxis auch rechtlich verpflichtend? Dieses Fachdossier behandelt die Frage, in welchen Fällen die Anwesenheit von Regierungsmitgliedern zulässig oder sogar geboten ist und in welchen Fällen sich diese vertreten lassen können.

Sind Regierungsmitglieder zur Anwesenheit in Sitzungen verpflichtet?

Hierzu gibt es mehrere Regelungen:

Generelles Teilnahme- und Rederecht

Mitglieder der Bundesregierung sind zur Teilnahme an den Verhandlungen des Nationalrates, des Bundesrates und deren (Unter-)Ausschüssen berechtigt (Art. 75 B-VG, § 18 GOG-NR, § 19 GOG-NR, § 29 GO-BR und § 37 GO-BR). Dabei kommt ihnen auch ein Rederecht zu. Ausgenommen sind jedoch der Ständige Unterausschuss des Hauptausschusses sowie Untersuchungsausschüsse des Nationalrates. An deren Verhandlungen dürfen Regierungsmitglieder nur auf besondere Einladung teilnehmen.

Staatssekretär:innen sind ebenso zur Teilnahme an Sitzungen berechtigt wie Regierungsmitglieder. Ihr Rederecht ist jedoch von der Anwesenheit des Regierungsmitglieds abhängig, dem sie beigegeben sind. Bei Abwesenheit des Regierungsmitglieds ist die Staatssekretärin bzw. der Staatssekretär redeberechtigt, bei Anwesenheit des Regierungsmitglieds nur im Einvernehmen mit diesem.

Regierungsmitglieder dürfen auch zu nicht in Verhandlung stehenden Gegenständen mündliche Erklärungen abgeben (siehe § 19 Abs. 2 GOG-NR, § 37 Abs. 4 GO-BR). Staatssekretär:innen steht dieses Recht nicht zu.

Verpflichtung zur Anwesenheit in bestimmten Angelegenheiten

Die Anwesenheit der zuständigen Regierungsmitglieder bei den parlamentarischen Verhandlungen ist – wie einleitend erwähnt – parlamentarische Praxis. Eine rechtliche Verpflichtung dazu besteht jedoch im Allgemeinen nicht.

Nur in bestimmten Angelegenheiten ist die Anwesenheit des zuständigen bzw. befragten Regierungsmitglieds geboten: im Nationalrat in der Fragestunde, in der Aktuellen Stunde und in der Aktuellen Europastunde sowie bei einem Dringlichen Antrag oder einer Dringlichen Anfrage (§ 94 Abs. 2 GOG-NR, § 97a Abs. 6 GOG-NR, § 74b Abs. 2 GOG-NR iVm § 97a Abs. 6, § 74a Abs. 4 GOG-NR, § 93 Abs. 4 GOG-NR), im Bundesrat in der Fragestunde und in der Aktuellen Stunde sowie bei einer Dringlichen Anfrage (§ 42 GO-BR, § 63 Abs. 4 GO-BR, § 61 Abs. 2 GO-BR). Üblich ist die Anwesenheit des zuständigen Regierungsmitglieds auch bei der Besprechung einer schriftlichen Anfragebeantwortung (§ 92 GOG-NR, § 60 GO-BR).

Eine Vertretung durch eine beigegebene Staatssekretärin bzw. einen beigegebenen Staatssekretär ist in all diesen Fällen explizit zulässig. Bei einer Verhinderung des zuständigen bzw. befragten Regierungsmitglieds (siehe dazu unten) hat die oder der mit der Vertretung Beauftragte dessen Verpflichtungen wahrzunehmen.

Beschluss, mit dem die Anwesenheit verlangt wird („Zitation“)

Der Nationalrat, der Bundesrat und deren (Unter-)Ausschüsse können mit Mehrheitsbeschluss die Anwesenheit eines Regierungsmitglieds verlangen (Art. 75 letzter Satz B-VG, § 18 Abs. 3 GOG-NR, § 29 Abs. 3 GO-BR und § 37 Abs. 2 GO-BR). Dieses hat persönlich zu erscheinen und darf sich – anders als sonst – nicht durch eine Staatssekretärin bzw. einen Staatssekretär vertreten lassen. Zitiert werden können nur Regierungsmitglieder, nicht auch Staatssekretär:innen.

Ob bzw. bei welchen Gründen ein Fernbleiben trotz Zitation gerechtfertigt ist, ist nicht geregelt. Die Literatur geht nicht von einer unbedingten Befolgungspflicht aus, sondern von einer Abwägungsentscheidung. Ein Fernbleiben sei etwa dann gerechtfertigt, wenn die Anwesenheit objektiv unmöglich (z. B. weil sich das Regierungsmitglied gerade auf Dienstreise befindet) oder subjektiv unzumutbar (z. B. wegen Erkrankung) ist. Letztlich ist es eine politische Entscheidung, welche Entschuldigung als gerechtfertigt angesehen wird (zu den möglichen Folgen eines ungerechtfertigten Fernbleibens siehe unten).

Wie oft wurde die Anwesenheit verlangt und beschlossen?

Die nachfolgende Grafik „Wie oft wurde Zitation beantragt und wie oft beschlossen?“ zeigt, wie oft von der XX. bis zur XXVII. Gesetzgebungsperiode die Anwesenheit von Regierungsmitgliedern verlangt bzw. beantragt wurde, wie oft solche Anträge angenommen oder abgelehnt wurden und wie oft die Abstimmung zurückgezogen wurde oder entfallen ist.

Quelle: Parlamentsdirektion, Stand 10.4.2022, eigene Darstellung.

Können Regierungsmitglieder sich im National­rat und Bundes­rat vertreten lassen?

Mitglieder der Regierung können sich aus folgenden Gründen im Nationalrat und Bundesrat vertreten lassen:

Verhinderung

Regierungsmitglieder können zeitweilig an der Ausübung ihres Amtes verhindert sein, z. B. wegen Krankheit. Die oder der Verhinderte hat in der Regel selbst zu entscheiden, ob ein Verhinderungsfall vorliegt und gegebenenfalls eine andere Bundesministerin bzw. einen anderen Bundesminister, eine Staatssekretärin bzw. einen Staatssekretär oder eine leitende Beamtin bzw. einen leitenden Beamten des Ressorts mit der Vertretung zu betrauen (siehe im Detail Art. 73 Abs. 1 B-VG). Eine Bundesministerin bzw. ein Bundesminister kann auch mehrere Regierungsmitglieder vertreten.

Die Bundeskanzlerin bzw. der Bundeskanzler wird im Verhinderungsfall von der Vizekanzlerin bzw. dem Vizekanzler vertreten. Ist diese bzw. dieser gleichzeitig verhindert, erfolgt die Vertretung der Bundeskanzlerin bzw. des Bundeskanzlers durch das dienstälteste nicht verhinderte Regierungsmitglied. Bei gleichem Dienstalter ist das an Jahren älteste, nicht verhinderte Regierungsmitglied zuständig (Art. 69 Abs. 2 B-VG). Für die Vizekanzlerin bzw. den Vizekanzler besteht keine spezifische Vertretungsregelung. Sie bzw. er wird als Bundesminister:in nach den allgemeinen Regeln vertreten.

Eine Vertretung wegen Verhinderung umfasst immer alle Amtsgeschäfte. Eine nur teilweise Verhinderung – etwa nur in Bezug auf die parlamentarischen Angelegenheiten – ist von der Verfassung nicht vorgesehen.

Die Vertretung zeitweilig verhinderter Regierungsmitglieder ist von der Präsidentin bzw. dem Präsidenten in der Plenarsitzung bekannt zu geben (§ 49 Abs. 1 GOG-NR, § 41 Abs. 1 GO-BR).

Auch in einer Vertretungssituation können nur Regierungsmitglieder zitiert werden. Eine Zitation bezieht sich immer auf die Person der bzw. des Zitierten, nicht auf deren bzw. dessen Funktion. Die Zitation einer Staatssekretärin bzw. eines Staatssekretärs oder einer leitenden Beamtin bzw. eines leitenden Beamten ist daher nicht zulässig. Wurde die Zitation eines verhinderten Regierungsmitglieds beschlossen, so wird diese erst mit Ende der Verhinderung wirksam.

Dienstlicher Aufenthalt in einem anderen EU-Mitgliedstaat

Ein dienstlicher Aufenthalt in einem anderen EU-Mitgliedstaat gilt nicht als Verhinderung (Art. 73 Abs. 1 zweiter Satz iVm Abs. 3 B-VG). Auch in diesem Fall ist eine Vertretung durch eine andere Bundesministerin, einen anderen Bundesminister oder eine beigegebene Staatssekretärin bzw. einen beigegebenen Staatssekretär möglich (dies gilt auch für die Bundeskanzlerin bzw. den Bundeskanzler und die Vizekanzlerin bzw. den Vizekanzler). Eine allenfalls beschlossene Zitation kann erst mit dem Ende des dienstlichen Aufenthalts in einem anderen EU-Mitgliedstaat wirksam werden.

Vertretung durch eine beigegebene Staatssekretärin oder einen beigegebenen Staatssekretär

Ein Regierungsmitglied kann sich im Parlament auch dann durch eine ihm beigegebene Staatssekretärin bzw. einen ihm beigegebenen Staatssekretär vertreten lassen, wenn es selbst nicht an der Teilnahme gehindert ist (Art. 78 Abs. 2 B-VG). Die Bundeskanzlerin bzw. der Bundeskanzler und die Vizekanzlerin bzw. der Vizekanzler können sich – im gegenseitigen Einvernehmen – auch durch eine jeweils andere beigegebene Staatssekretärin bzw. einen jeweils anderen beigegebenen Staatssekretär vertreten lassen. Wurde jedoch die Zitation des Regierungsmitglieds beschlossen, hat es selbst in den Nationalrat bzw. Bundesrat zu kommen.

Sonstige Gründe

Liegt keiner der oben genannten Fälle vor, ist eine Vertretungsmöglichkeit rechtlich nicht vorgesehen. Dies betrifft beispielsweise den Fall eines dienstlichen Termins im Inland, des gleichzeitigen Stattfindens von Sitzungen (z. B. einer Ausschusssitzung des Nationalrates und einer Plenarsitzung des Bundesrates), eines Aufenthalts außerhalb der EU, wenn sich das Regierungsmitglied nicht als verhindert erachtet, oder einer Absonderung/Quarantäne wegen COVID-19, wenn die Amtsgeschäfte von zu Hause weitergeführt werden können und somit keine Verhinderung gemäß Art. 73 Abs. 1 B-VG vorliegt.

In diesen Fällen kann – solange keine Verpflichtung zur Anwesenheit des Regierungsmitglieds besteht – eine informelle Vertretung vorgenommen werden. Dies entspricht der parlamentarischen Praxis und ist rechtlich zulässig, da jedes Regierungsmitglied grundsätzlich zu jedem Verhandlungsgegenstand teilnahme- und redeberechtigt ist. Wird jedoch eine Zitation beschlossen, so ist im Einzelfall mittels Abwägung zu prüfen, ob ein Fernbleiben gerechtfertigt ist (etwa bei einer behördlich angeordneten Absonderung/Quarantäne) oder nicht.

Welche Folgen kann das Nichterscheinen eines Regierungsmitglieds haben?

Leistet ein Regierungsmitglied einem Zitationsbeschluss des Nationalrates nicht Folge, so kann dieser ein Misstrauensvotum (Art. 74 B-VG) oder gegebenenfalls eine Minister:innenanklage (Art. 142 Abs. 2 lit. b B-VG) beschließen. Der Bundesrat hat demgegenüber keine rechtlichen Sanktionsmöglichkeiten. Er kann das Nichterscheinen des betreffenden Regierungsmitglieds lediglich politisch thematisieren.

Quellenauswahl