Fachinfos - Fachdossiers 19.02.2020

Wer besetzt die Gerichtshöfe?

Das Fachdossier behandelt die Besetzungsverfahren für den österreichischen Verfassungsgerichtshof, den Verwaltungsgerichtshof, den Obersten Gerichtshof sowie den Gerichtshof der EU und den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. (19.02.2020)

Wer besetzt die Gerichtshöfe?

Die Funktion der bzw. des PräsidentIn (Präs) des österreichischen Verfassungsgerichtshofes (VfGH) wird am 19. Februar 2020 (Angelobung) neu besetzt. Dies ist Anlass, die Besetzungsverfahren für den VfGH, den Verwaltungsgerichtshof (VwGH), den Obersten Gerichtshof (OGH) sowie den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) und den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) im Vergleich darzustellen.

Auf nationaler und europäischer Ebene gibt es verschiedene Modelle. Parlamente, Staatsoberhäupter, Regierungen und die Gerichtshöfe selbst sowie ExpertInnen kommen dabei in unterschiedlicher Weise zum Zug. Im Sinne der Gewaltenteilung und gemäß Art. 6 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) ist die Unabhängigkeit der Gerichtshöfe zu wahren. Gerichte stellen aber auch eine (wenn auch spezifisch verfahrensgebundene) öffentliche Gewalt dar. Je größer ihr Rechtsprechungsspielraum ist und je wirkmächtiger ihre Entscheidungen sind, desto eher stellt sich die Frage der demokratischen Legitimation. Qualifikationserfordernissen für die RichterInnen und Verfahrensregeln für die Besetzung kommt in diesem Spannungsverhältnis besondere Bedeutung zu.

Verfassungs­gerichtshof

Der VfGH prüft auf Antrag u.a. Gesetze und Verordnungen und kann sie im Fall der Verletzung von Grund- und Menschenrechten bzw. der Verfassung aufheben. Er wird deshalb auch als „negativer Gesetzgeber“ bezeichnet. Der/die Präs und der/die VizepräsidentIn (VizePräs) sowie sechs Mitglieder und drei Ersatzmitglieder werden vom Bundespräsidenten/von der Bundespräsidentin (BP) auf Vorschlag der Bundesregierung (BReg) ernannt. Je drei Mitglieder werden vom Nationalrat (NR) und vom Bundesrat (BR) gewählt und dem/der BP zur Ernennung vorgeschlagen. Dem NR kommt dieses Recht zusätzlich für zwei Ersatzmitglieder, dem BR für ein Ersatzmitglied zu.

Die VfGH-Mitglieder müssen ein rechtswissenschaftliches Studium abgeschlossen haben und über zehnjährige juristische Berufserfahrung verfügen. Die von der BReg vorgeschlagenen Personen müssen zudem RichterInnen, Verwaltungsbeamte/Verwaltungsbeamtinnen oder Professoren/Professorinnen der Rechtswissenschaften sein (Art. 147 Abs. 2 und 3 Bundes-Verfassungsgesetz – B-VG). Diese Regelungen gehen auf die B-VG-Novelle 1929 zurück. Davor waren gemäß dem B-VG 1920 allein der NR und der BR für die Besetzung des VfGH zuständig. Bis 1929 war eine juristische Ausbildung keine Voraussetzung für die Mitgliedschaft beim VfGH.

Frei gewordene Stellen sind zur allgemeinen Bewerbung auszuschreiben (§ 1 Abs. 2 VfGG). Der Wahl mit einfacher Mehrheit im NR geht seit 1998 meist ein Hearing der Kandidaten/Kandidatinnen in einem eigens gebildeten Komitee und eine Debatte im NR voraus (Parlamentskorrespondenz Nr. 1998/8; zur Debatte vor der Wahl (StenProt. NR vom 21.1.1998 (TOP 25)). Im BR findet das Hearing im Rahmen einer Enquete nach § 66 GO-BR statt (StenProt. 1/VER-BR/1997). 

Die Besetzung des VfGH

Der österreichische Verfassungsgerichtshof besteht aus 14 regulären Mitgliedern und 6 Ersatzmitgliedern. Die Grafik „Mitglieder des VfGH & Vorschlagsrecht“ zeigt die insgesamt 20 Mitglieder des VfGH und auf wessen Vorschlag hin sie ernannt werden. Dieses Vorschlagsrecht kommt dabei der Bundesregierung (PräsidentIn, VizepräsidentIn, sechs reguläre Mitglieder und drei Ersatzmitglieder), dem Nationalrat (drei Mitglieder und zwei Ersatzmitglieder) und dem Bundesrat (drei Mitglieder und ein Ersatzmitglied) zu.

Quelle: Art. 147 Abs. 2 B-VG, Stand 19.2.2020, eigene Darstellung.

Verwaltungsgerichtshof

Der VwGH überprüft in letzter Instanz, ob Bescheide und andere Verwaltungsakte von Behörden den Gesetzen entsprechen und hebt sie gegebenenfalls auf. Alle Mitglieder (derzeit 69) werden auf Vorschlag der BReg vom/von der BP ernannt. Die BReg macht ihre Vorschläge, soweit es sich nicht um die Stelle des/der Präs und des/der VizePräs handelt, aufgrund von (bindenden) Dreiervorschlägen der Vollversammlung des VwGH. Alle Mitglieder müssen über einen rechtswissenschaftlichen Abschluss verfügen und eine zehnjährige juristische Berufserfahrung vorweisen können (Art. 134 Abs. 4 B-VG, § 10 Abs 2 Z 1 VwGG). Auch das VwGG sieht die Ausschreibung der freien Stellen vor (§ 1 Abs. 2).

Oberster Gerichtshof

Der OGH ist das österreichische Höchstgericht in zivil- und strafrechtlichen Angelegenheiten. Die Mitglieder des OGH (derzeit 60) werden auf Vorschlag des Bundesministers/der Bundesministerin für Justiz vom/von der BP ernannt. Für diese Planstellen, ausgenommen die des/der Präs und der zwei VizePräs, ist ein (nicht bindender) Besetzungsvorschlag vom Personalsenat des OGH einzuholen. Der Personalsenat setzt sich aus dem/der Präs, einem/einer VizePräs und drei von der Vollversammlung des OGH gewählten Richtern/Richterinnen zusammen (Art. 86 iVm Art 67 Abs. 1 B-VG, § 32 Abs. 4 und § 36 Abs. 1 Richter- und StaatsanwaltschaftsdienstG - RStDG). Die Richterernennung (für zivil- und strafrechtliche Gerichte) setzt grundsätzlich eine Gerichtspraxis, eine vierjährige Ausbildungszeit an den Gerichten und die erfolgreiche Ablegung einer Richteramtsprüfung voraus (I. bis II. Abschnitt RStDG).

Gerichtshof der Europäischen Union

Der EuGH überprüft die Rechtmäßigkeit der Handlungen der Organe der EU und wacht darüber, dass die Mitgliedstaaten den Verpflichtungen nachkommen, die sich aus den Verträgen ergeben und legt auf Ersuchen nationaler Gerichte das Unionsrecht aus. Die BReg muss dem NR und dem/der BP zunächst mitteilen, wen sie als Mitglied beim EuGH oder beim Gericht der EU (EuG) vorschlagen möchte. Der definitive Vorschlag bedarf dann der Zustimmung des Hauptausschusses (HA) des Nationalrats (Art. 23c B-VG). Die jüngste Nominierung für ein Mitglied am EuGH fand 2019 statt, über die Beratungen im HA hat die Parlamentskorrespondenz berichtet.

Dieser Vorschlag wird gemäß Art. 255 Vertrag über die Arbeitsweise der EU (AEUV) von einem Expertenausschuss begutachtet. Der Art. 255-Ausschuss setzt sich aus sieben Persönlichkeiten zusammen (ehemalige RichterInnen und sonstige hervorragend befähigte Juristen/Juristinnen). Er hört die BewerberInnen auch an. Auf Basis seiner Stellungnahme entscheiden die Regierungen der Mitgliedstaaten einvernehmlich über die Besetzung. Auszuwählen ist im Fall des EuGH eine „Persönlichkeit, die Gewähr für Unabhängigkeit“ bietet und in Österreich „die für die höchsten richterlichen Ämter erforderlichen Voraussetzungen“ erfüllt (Art. 253 AEUV). Die Voraussetzungen für die Mitglieder beim Gericht sind in Art. 254 AEUV geregelt.

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte

Der EGMR urteilt über Beschwerden einzelner Personen sowie Personengruppen und Staaten, die sich auf Verletzungen der in der EMRK anerkannten Rechte beziehen. Die Urteile sind für die betroffenen Staaten bindend. Die RichterInnen am EGMR werden von der Parlamentarischen Versammlung des Europarats (PACE) aus den von Vertragsstaaten übermittelten Listen von jeweils drei Kandidaten/Kandidatinnen gewählt. Sie müssen „hohes sittliches Ansehen genießen und entweder die für die Ausübung hoher richterlicher Ämter erforderlichen Voraussetzungen erfüllen oder Rechtsgelehrte von anerkanntem Ruf sein“ (Art. 21 und 22 EMRK). Das Ministerkomitee des Europarats und die PACE haben die Voraussetzungen und Verfahrensregeln in einer Reihe von Beschlüssen konkretisiert (siehe Zusammenfassung).

Auch den Vertragsstaaten wird ein faires und transparentes Auswahlverfahren empfohlen („Guidelines“). Unter anderem muss der Dreiervorschlag mindestens einen Mann und eine Frau enthalten. Spezifische österreichische Normen zur Erstellung des Dreiervorschlags bestehen nicht. Der vorbereitende Wahlausschuss der PACE führt u.a. ein Hearing mit den Kandidaten/Kandidatinnen ab. Seit 2010 ist auch ein „Advisory Panel“, ähnlich dem Art. 255-Auschuss beim EuGH, tätig.

Quellenauswahl