Fachinfos - Fachdossiers 21.03.2025

Wer besetzt die Gerichtshöfe?

Das Fachdossier wurde am 19.02.2020 erstveröffentlicht und aufgrund von zwei 2025 nachzubesetzenden Stellen am Verfassungsgerichtshof und der im Regierungsprogramm 2025-2029 angekündigten Aufteilung der Vorschlagsrechte für diese zwischen den Koalitionsparteien (ÖVP-SPÖ-NEOS) am 21.03.2025 aktualisiert.

Die Besetzung von Höchstgerichten ist in Europa und auch innerhalb Österreichs unterschiedlich geregelt. Je nach Modell kommen Parlamente, Staatsoberhäupter, Regierungen, die Gerichtshöfe selbst sowie Expert:innengremien zum Zug. Dabei ist im Sinne der Gewaltenteilung und gemäß Artikel 6 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) einerseits darauf zu achten, dass die Unabhängigkeit der Rechtsprechung gewahrt wird. Die Gerichte stellen aber auch eine (wenn auch spezifisch verfahrensgebundene) öffentliche Gewalt dar. Je größer ihr Rechtsprechungsspielraum ist und je wirkmächtiger ihre Entscheidungen sind, desto eher stellt sich daher andererseits auch die Frage ihrer demokratischen Legitimation (vgl. Manow 2024). Qualifikationserfordernissen für die Richter:innen und Verfahrensregeln für die Besetzung kommt in diesem Spannungsverhältnis zwischen rechtsstaatlichem und demokratischem Prinzip besondere Bedeutung zu.

Das vorliegende Fachdossier stellt die unterschiedlichen Besetzungsverfahren für den österreichischen Verfassungsgerichtshof (VfGH), Verwaltungsgerichtshof (VwGH), Obersten Gerichtshof (OGH) sowie den Gerichtshof der EU (EuGH) und den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) dar.

Einen Überblick über die Besetzung der Verfassungsgerichte in anderen europäischen Staaten und die Rolle, die den Parlamenten dabei zukommt, bietet der Sammelband Parliaments and Constitutional Courts (2022) (mehr dazu siehe hier). Er geht auf eine Tagung im Parlament 2020 zurück.

Verfassungs­gerichtshof

Der VfGH prüft auf Antrag unter anderem Gesetze und Verordnungen und hebt sie auf, wenn sie die Verfassung verletzen (mehr dazu unter Kompetenzen). Weil er Gesetze (und andere Rechtsakte) nur aufheben, nicht aber neue beschließen kann, wird er auch als "negativer Gesetzgeber" bezeichnet.

Die Mitglieder des VfGH müssen das rechtswissenschaftliche Studium abgeschlossen haben und über eine zehnjährige juristische Berufserfahrung verfügen. Die von der Bundesregierung (BReg) vorgeschlagenen Personen müssen zudem Richter:innen, Verwaltungsbeamt:innen oder Universitätsprofessor:innen der Rechtswissenschaften sein (Art. 147 Abs. 2 und 3 Bundes-Verfassungsgesetz – B-VG). Die Vorschlagsrechte der BReg (mehr dazu unten) gehen auf die B-VG-Novelle 1929 zurück, mit der die exekutive Gewalt auf Bundesebene aufgewertet wurde. Seitdem ist außerdem der bzw. die Bundespräsident:in (BP) für die Ernennung zuständig. Davor, laut dem B-VG in der Fassung bis 1929, wurden die Mitglieder und Ersatzmitglieder des VfGH ausschließlich vom Nationalrat (NR) und Bundesrat (BR) gewählt. Auch war die juristische Ausbildung keine Voraussetzung für die Mitgliedschaft beim VfGH.

Freie Stellen sind – unabhängig davon, welchem Organ das Vorschlagsrecht zukommt – zur allgemeinen Bewerbung auszuschreiben (§ 1 Abs. 3 Verfassungsgerichtshofgesetz – VfGG). Der Wahl von Mitgliedern durch den NR geht seit 1998 regelmäßig ein Hearing der Kandidat:innen in einem aus allen Fraktionen des Nationalrats eigens gebildeten Komitee voraus. Vor der Beschlussfassung über den Ernennungsvorschlag findet eine Debatte im NR statt (zur Debatte vor der Wahl 1998: StenProt. NR vom 21.1.1998, TOP 25). Im Regierungsprogramm 2025-2029 halten die Koalitionsparteien fest, solche Hearings durchzuführen (S. 134). Im BR findet das Hearing im Rahmen einer Enquete nach § 66-67 Geschäftsordnung des Bundesrates (GO-BR) statt (StenProt. 1/VER-BR/1997).

Mit einer Novelle des Bundes-Verfassungsgesetzes, wurde im Jahr 2024 auch in Bezug auf Mitglieder und Ersatzmitglieder des Verfassungsgerichtshofes eine dreijährige Cooling-Off-Phase (das heißt eine Sperrfrist bzw. Wartezeit) für ehemalige Regierungsmitglieder (auf Bundes und Landesebene) und Mitglieder eines allgemeinen Vertretungskörpers (wiederum auf Bundes und Landesebene) sowie des Europäischen Parlaments (siehe Art. 147 Abs. 4 und 5 B-VG) eingeführt: Wer eine der genannten Funktionen in den letzten drei Jahren ausgeübt hat, kann also nicht zum Mitglied oder Ersatzmitglied des Verfassungsgerichtshofes ernannt werden. Damit soll im Hinblick auf die "staatsrechtliche Bedeutung" des VfGH, eine "zu große Politiknähe bzw. deren Anschein" aller seiner Mitglieder vermieden werden (Initiativantrag, S. 5). Zunächst gab es eine solche Frist nur für den Präsidenten bzw. die Präsidentin (Präs) und den Vizepräsidenten bzw. die Vizepräsidentin (VizePräs) für eine Dauer von fünf Jahren (Art. 147 Abs. 5 B-VG).

Die Zusammensetzung des VfGH

Der österreichische Verfassungsgerichtshof besteht aus 14 Mitgliedern und 6 Ersatzmitgliedern. Die untenstehende Grafik zeigt von wem die insgesamt 20 (Ersatz-)Mitglieder des VfGH nominiert werden. Das Vorschlagsrecht kommt dabei zum Teil der BReg (Präs, Vizepräs, sechs Mitglieder und drei Ersatzmitglieder), dem NR (drei Mitglieder und zwei Ersatzmitglieder) und dem BR (drei Mitglieder und ein Ersatzmitglied) zu. Die Aufteilung der Nominierungsrechte der BReg zwischen den Koalitionsparteien wurde auch im Regierungsprogramm 2025-2029 festgehalten (S. 231).

Auch wenn die (Ersatz-)Mitglieder aufgrund von Vorschlägen dieser drei Organe (BReg, NR und BR) durch den oder die BP ernannt werden, sind die Mitglieder des VfGH in Ausübung ihres Amtes, wie Richter:innen, unabhängig (das heißt weisungsfrei), unabsetzbar (sie dürfen nur in den gesetzlich festgelegten Fällen und Verfahren aufgrund eines Erkenntnisses des VfGH ihres Amtes enthoben werden) sowie unversetzbar (keine Versetzung an eine andere Stelle oder in den Ruhestand gegen ihren Willen) (siehe Art. 147 Abs. 6 B-VG und die darin verwiesenen Art. 87 Abs. 1 und 2, Art. 88 Abs. 2).

Entscheidungen des VfGH werden grundsätzlich mit Stimmenmehrheit gefällt, wobei die bzw. der Vorsitzende bei Stimmengleichheit (und damit entscheidend) mitstimmt, was jedoch nur dann vorkommt, wenn ein Mitglied während der Beratungen ausfällt und deswegen nicht von einem Ersatzmitglied vertreten werden kann (sog. Dirimierungsrecht). Weder das Abstimmungsverhalten, noch abweichende Meinungen der einzelnen Mitglieder werden veröffentlicht. Das schützt die (Ersatz-)Mitglieder und damit den VfGH vor politischer Einordnung durch die Öffentlichkeit. Ein weiteres Fachdossier beschäftigt sich mit diesen Sondervoten von Mitgliedern der Verfassungsgerichte im internationalen Vergleich. In vielen europäischen Staaten ist ihre Veröffentlichung insbesondere aus Transparenz-Gedanken möglich.

Verwaltungsgerichtshof

Der VwGH überprüft als letzte Instanz, ob Bescheide und andere Verwaltungsakte von Behörden mit den anwendbaren Gesetzen übereinstimmen. Dass hoheitliches (in Abgrenzung zu privatwirtschaftlichem) Verwaltungshandeln eine gesetzliche Grundlage benötigt, nennt man Legalitäts- bzw. Gesetzmäßigkeitsprinzip (Art. 18 Abs. 1 B-VG).

Im Unterschied zu den Nominierungen beim VfGH, erstellt beim VwGH die Vollversammlung (§ 10 Abs 2 Z 1 VwGG) oder ein aus ihrer Mitte zu wählender Ausschuss (Art. 134 Abs. 4 B-VG) jeweils einen (bindenden) Dreiervorschlag für die Ernennung eines Mitglieds. Die BReg muss sich für eine der drei nominierten Personen entscheiden, die diese dann dem bzw. der BP zur Ernennung vorschlägt. Außer bei der Nominierung von Präs und VizePräs des VwGH: Hier kommt der BReg das Vorschlagsrecht zu. Die BReg hat im Regierungsprogramm 2025-2029 (S. 231) angekündigt, dass während ihrer Amtszeit dem Bundeskanzler das Vorschlagsrecht für die bzw. den nächste:n vorzuschlagende:n Präs, dem Vizekanzler jenes für die bzw. den nächste:n vorzuschlagende:n VizePräs zukommt. Alle Mitglieder des VwGH (aktuell 67) müssen über einen rechtswissenschaftlichen Abschluss verfügen und eine zehnjährige juristische Berufserfahrung vorweisen können (Art. 134 Abs. 4 B-VG). Auch das Verwaltungsgerichtshofgesetz – VwGG sieht die Ausschreibung freier Stellen vor (§ 1 Abs. 2).

Oberster Gerichtshof

Der OGH ist das österreichische Höchstgericht in zivil- und strafrechtlichen Angelegenheiten (sog. ordentliche Gerichtsbarkeit, in Abgrenzung zur Verwaltungs- und Verfassungsgerichtsbarkeit).

Die Mitglieder des OGH (derzeit 60) werden auf Vorschlag des Bundesministers bzw. der Bundesministerin für Justiz (BMJ) ebenfalls von dem bzw. der BP ernannt (Beschluss des Ministerrats vom 9. Juli 2002 gemäß Art. 86 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 67 Abs. 1 B-VG). Für die Besetzung dieser Planstellen, ausgenommen jene des bzw. der Präs und der zwei VizePräs, hat die bzw. der BMJ einen (nicht bindenden, üblicherweise aber eingehaltenen) Besetzungsvorschlag vom Personalsenat des OGH einzuholen. Der Personalsenat setzt sich aus dem bzw. der Präs, einem bzw. einer VizePräs und drei von der Vollversammlung des OGH gewählten Richter:innen zusammen (§ 32 Abs. 4 und § 36 Abs. 1 Richter- und StaatsanwaltschaftsdienstG - RStDG). Die Ernennung (für zivil- und strafrechtliche Gerichte) setzt insbesondere die Absolvierung der Gerichtspraxis, eine vierjährige Ausbildungszeit an den Gerichten und die erfolgreiche Ablegung der Richteramtsprüfung voraus (I. bis II. Abschnitt RStDG).

Gerichtshof der Europäischen Union

Der EuGH überprüft die Rechtmäßigkeit der Handlungen der Organe der EU und wacht darüber, dass die Mitgliedstaaten den Verpflichtungen nachkommen, die sich aus den Verträgen (sog. Primärrecht) und Rechtsakten der EU ergeben und legt auf Ersuchen nationaler Gerichte das Unionsrecht aus (sog. Vorabentscheidungen).

Die BReg muss dem NR und dem bzw. der BP mitteilen, wen sie als Mitglied des EuGH vorschlagen möchte (jeder Mitgliedstaat entsendet ein Mitglied). Über den Vorschlag muss das Einvernehmen mit dem Hauptausschusses (HA) des Nationalrats hergestellt werden (Art. 23c B-VG). Die jüngste Nominierung für das österreichische Mitglied fand 2024 statt (PK0868/12.08.2024). Andreas Kumin wurde bis 2030 erneut vorgeschlagen und wiederernannt (erstmals 2019). Dieser Nominierungsvorschlag wird gemäß Art. 255 Vertrag über die Arbeitsweise der EU (AEUV) von einem Experten:innenausschuss begutachtet. Der Art. 255-Ausschuss setzt sich aus sieben Persönlichkeiten zusammen (ehemalige Richter:innen und sonstige hervorragend befähigte Jurist:innen). Er hört die Bewerber:innen auch an. Auf Basis seiner Stellungnahme entscheiden die Regierungen der Mitgliedstaaten dann einvernehmlich über die Besetzung. Auszuwählen als österreichisches Mitglied des EuGH ist eine "Persönlichkeit (…), die jede Gewähr für Unabhängigkeit" bietet und "die für die höchsten richterlichen Ämter erforderlichen Voraussetzungen" in Österreich erfüllt oder "von anerkannt hervorragender Befähigung" ist (Art. 253 AEUV).

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte

Der EGMR urteilt über Beschwerden einzelner Personen sowie Personengruppen (sog. Individualbeschwerden) und Staaten, die eine Verletzung der in der EMRK gewährleisteten Rechte behaupten. Die Urteile sind für die betroffenen Staaten bindend.

Die Richter:innen am EGMR werden von der Parlamentarischen Versammlung des Europarats (PACE) aus den von Vertragsstaaten übermittelten Listen von jeweils drei Kandidat:innen gewählt. Sie müssen insbesondere "hohes sittliches Ansehen genießen und entweder die für die Ausübung hoher richterlicher Ämter erforderlichen Voraussetzungen erfüllen oder Rechtsgelehrte von anerkanntem Ruf sein" (Art. 21 und 22 EMRK). Das Ministerkomitee des Europarats und die PACE haben die Voraussetzungen und Verfahrensregeln in einer Reihe von Beschlüssen konkretisiert (siehe Zusammenfassung). Auch den Vertragsstaaten wird ein faires und transparentes Auswahlverfahren empfohlen ("Guidelines"). Unter anderem muss der Dreiervorschlag mindestens einen Mann und eine Frau enthalten. Spezifische österreichische Normen zur Erstellung des Dreiervorschlags bestehen nicht. Der vorbereitende Wahlausschuss der PACE führt u.a. ein Hearing mit den Kandidat:innen durch. Seit 2010 ist auch ein "Advisory Panel", ähnlich dem Art. 255-Auschuss beim EuGH, tätig. Zuletzt wurde András Jakab 2024 zum österreichischen Richter des EGMR gewählt. Zur Erstellung des Dreiervorschlags wurde eine Auswahlkommission von der damaligen BReg Nehammer (ÖVP-Grüne) eingesetzt (vgl. Ministerratsbeschlüsse unter 96. Ministerrat am 24. April 2024).

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