Fachinfos - Fachdossiers 20.01.2025

Wie hat sich die Nutzung von Volksbegehren seit 2018 verändert?

Im Jahr 2016 hat der Nationalrat das neue Volksbegehrengesetz 2018 (VoBeG) beschlossen. Im Zentrum der Änderungen stand die Schaffung der Möglichkeit, Volksbegehren künftig nicht mehr nur mittels persönlicher Unterschrift zu unterstützen, sondern auch online mittels einer qualifizierten elektronischen Signatur ("ID Austria"). Das Gesetz trat am 1. Jänner 2018 in Kraft und führte zu einer deutlich höheren Nutzung dieses direktdemokratischen Instruments. Das vorliegende Fachdossier setzt sich mit den Veränderungen in der Nutzung von Volksbegehren und deren Behandlung im Nationalrat auseinander und beantwortet die folgenden Fragen: Welche Themen werden in Volksbegehren behandelt und wie viel Resonanz (im Sinne der Stimmbeteiligung) finden sie bei der stimmberechtigten Bevölkerung? Wer bringt Volksbegehren ein? Wie werden Volksbegehren seither im Nationalrat behandelt?

Das Fachdossier vergleicht dabei zwischen "alten" Volksbegehren bis 2017 und der seit Einführung der elektronischen Unterstützung und Unterschrift initiierten "neuen" Volksbegehren (2018–2024) und zeichnet die damit einhergehenden Debatten nach. Die Auswertung basiert auf Daten des Bundesministeriums für Inneres (BMI) zu allen Volksbegehren, die bis zum Abschluss der XXVII. Gesetzgebungsperiode (GP) durchgeführt bzw. dem Nationalrat vorgelegt wurden. Die Daten reichen bis einschließlich März 2024. Das war der einzige Eintragungszeitraum des Jahres.

Was sind Volksbegehren und was hat sich verändert?

Volksbegehren zählen zu den drei direktdemokratischen Instrumenten auf Bundesebene (siehe dazu die Fachdossiers Wie behandelt der Nationalrat Volksbegehren? und Partizipative Prozesse und die politische Entscheidungsfindung). Erreicht ein Volksbegehren 100.000 Unterstützungserklärungen bzw. Unterschriften oder die Unterstützung von je einem Sechstel der Stimmberechtigten dreier Länder, muss der Nationalrat es behandeln. Dies gibt Bürger:innen die Möglichkeit, politische Debatten und unter Umständen auch Gesetzesbeschlüsse zu initiieren.

Ein Volksbegehren durchläuft mehrere Phasen:

Nachdem ein Antrag im BMI angemeldet und die Anmeldung des Verfahrens für ein Volksbegehren von der:dem Bundesminister:in für Inneres zugelassen wurde, folgen zwei weitere Schritte: Zunächst der Einleitungszeitraum (auch "Unterstützungsphase" genannt), in dem die ersten Unterstützungserklärungen gesammelt werden. Wird der Antrag dabei von mindestens 8.969 Personen unterstützt (die Zahl richtet sich nach dem Ergebnis der letzten Volkszählung), wird in der Folge ein Eintragungszeitraum von acht aufeinanderfolgenden Tagen (auch als "Eintragungswoche" bekannt) festgelegt, in dem das Volksbegehren in den Gemeinden für Unterschriften aufliegt.

Bis 2018 konnten Bürger:innen Volksbegehren im Einleitungsverfahren nur persönlich unterstützen. Auch im Eintragungszeitraum konnten Bürger:innen Unterschriften nur persönlich und zwar in jener Gemeinde, in deren Wählerverzeichnis sie eingetragen waren, abgeben. Infolge der Einführung der Möglichkeit einer Onlineunterstützung bzw. -unterschrift mittels qualifizierter elektronischer Signatur können Volksbegehren nunmehr in jeder Phase des Verfahrens online oder während der Eintragungszeiten vor jeder Gemeindebehörde (unabhängig vom Hauptwohnsitz) persönlich unterstützt werden.

Diese Erleichterung ist ein wesentlicher Grund für die Zunahme der Nutzung des Instruments. So kamen allein im Jahr 2023 19 Volksbegehren in die Eintragungswoche. Zum Vergleich: Zwischen dem ersten Volksbegehren, das eingebracht wurde (1964), und dem Jahr 2017 waren es insgesamt nur 39 Volksbegehren. Das heißt, in einem einzigen Jahr wurden fast halb so viele Volksbegehren zur Eintragung aufgelegt wie zuvor in fünf Jahrzehnten. Obwohl dieser Anstieg auf den ersten Blick eine Belebung des Instruments Volksbegehren vermuten lässt, offenbart eine genauere Analyse, dass die gesteigerte Quantität nicht zwangsläufig zu einer vertiefenden Auseinandersetzung mit den jeweiligen Themen geführt hat.

Zu welchem Zeitpunkt werden Volksbegehren unterstützt?

Die Einführung der Möglichkeit einer Onlineunterstützung und - unterschrift änderte das Unterstützungsverhalten in beiden Phasen – sowohl im Einleitungs- als auch im Eintragungsverfahren. Bis 2017 wurden die allermeisten Unterstützungen erst im Eintragungszeitraum abgegeben, seit 2018 unterstützt die Mehrheit die Volksbegehren bereits im davor liegenden Einleitungsverfahren (siehe Grafik 1).

Wie ist das Verhältnis zwischen online und vor Ort getätigter Unterstützungen und Unterschriften?

Grafik 2 zeigt, wie groß seit 2018 der Anteil an Unterstützungserklärungen und Unterschriften ist, die online getätigt wurden. Im Zeitraum 2018–2024 wurden 76,9 % der Unterstützungserklärungen online abgegeben. Im Eintragungszeitraum selbst nutzten im Durchschnitt noch 38,6 % der Unterstützenden das Onlineangebot, während 61,4 % das Volksbegehren vor Ort in der Gemeinde ("Gemeindeunterstützungen") unterschrieben.

Finden Volksbegehren infolge der gesetzlichen Änderungen mehr Unterstützung?

Von 1964 bis 2017 gab es insgesamt 39 Volksbegehren. Seit 2018 nahmen die Initiativen jährlich zu: Während in den Jahren 2018 und 2019 jeweils drei Volksbegehren die erforderliche Unterstützung für die Durchführung des Eintragungsverfahrens erlangten, stieg diese Zahl 2020 auf fünf, 2021 auf sieben und in den Folgejahren auf jeweils über 14 an. Somit wurden von 2018 bis 2024 insgesamt 67 Volksbegehren zur Eintragung aufgelegt.

Grafik 3 illustriert diese Entwicklungen. Sie zeigt aber auch, dass seit 2018 nicht nur die Zahl der Initiativen für ein Volksbegehren gestiegen ist. Auch die absolute Zahl der "erfolgreichen" Volksbegehren, also jener, die von mehr als 100.000 Wahlberechtigten unterstützt wurden, wuchs nach 2018 deutlich.

Die Erfolgsquote von Volksbegehren sank jedoch: Zwischen 1964 und 2017 erreichten fast 90 % der initiierten Volksbegehren die Schwelle an notwendigen Unterschriften, während dieser Anteil im Zeitraum 2018 bis 2024 nur noch 69 % beträgt. Darüber hinaus überschritten viele der "neuen" Volksbegehren die Marke von 100.000 nur marginal (siehe BMI, Aufschlüsselung aller Volksbegehren).

Wie verändern sich Organisation und Themensetzung?

Die Erleichterungen führten nicht nur zu einer stärkeren Nutzung des Instruments, sondern auch zu großen Veränderungen in Hinblick auf die Themensetzung sowie die dahinterstehenden Initiator:innen.

Wer bringt Volksbegehren ein?

Ein Blick auf die Volksbegehren bis 2017 zeigt, dass diese primär von Gewerkschaften, Parteien oder zivilgesellschaftlichen Akteur:innen initiiert wurden und oft Teil größer angelegter politischer Kampagnen waren (z. B. 40-Stunden-Woche (1969), Verlängerung des Zivildienstes (1985), Gentechnik (1997),  Veto gegen Temelin (2002); siehe Konrath 2015, S. 263ff.). Die Initiator:innen verfügten dementsprechend oft über einen hohen Bekanntheitsgrad. Neben Forderungskatalogen erarbeiteten sie auch häufig konkrete Gesetzestexte. Beispielsweise enthielt das Volksbegehren Bildungsinitiative (2011) einen umfassenden Reformplan für das Bildungswesen vom Kindergarten bis zur Universität und das Frauen-Volksbegehren (1997) präsentierte einen Forderungskatalog, dessen Maßnahmen auf konkrete Gesetze abzielten.

Hinter den Volksbegehren seit 2018 stehen hingegen immer häufiger einzelne Gruppen von Initiator:innen, welche verschiedene Volksbegehren zu den gleichen oder ähnlich gelagerten Themen einbringen. So wurden acht von 14 Volksbegehren, die im März 2024 zur Unterschrift auflagen, von den selben beiden Bevollmächtigten initiiert. Neu ist auch, dass Initiator:innen bestimmte Themen aufgreifen, indem sie – ohne inhaltliche Positionierung – zwei Volksbegehren mit gegensätzlichen Standpunkten zu eben diesem Thema einbringen. Beispiele dafür waren Smoke – JA (2020) und Smoke – NEIN (2020) bzw. Impfpflicht: Notfalls JA (2021) und Impfpflicht: Striktes NEIN (2021).

Thematisch kreisten v. a. seit 2021 viele Initiativen für Volksbegehren um besonders "polarisierende" Themen wie die COVID-19-Pandemie und die Impfpflicht oder die österreichische Neutralität (für eine Definition des Begriffs Polarisierung siehe Herold et al. 2023). Damit folgt die Entwicklung in Österreich internationalen Trends (vgl. dazu z. B. Herold et al. 2023, Roose 2021 oder Henkel et al. 2023).

Verändert sich die Öffentlichkeit rund um Volksbegehren?

Vor 2018 wurden Volksbegehren in der Regel von einer umfangreichen Öffentlichkeitsarbeit begleitet. Ein erster Blick auf die Volksbegehren seit 2018 lässt vermuten, dass diese Bemühungen seither deutlich zurückgegangen sind. Allerdings fehlt bislang eine wissenschaftliche Aufarbeitung dazu.

Einen ersten Hinweis für diese Annahme liefert ein Vergleich der Anzahl an Pressemeldungen zu Volksbegehren vor und seit 2018. Eine Auswertung der APA-OTS-Datenbank zu Pressemeldungen zum Suchbegriff "Volksbegehren" zeigt Folgendes: Für den Zeitraum von 1990 bis 2017 fanden sich pro Jahr im Schnitt 293 Treffer bei insgesamt 25 Volksbegehren. Seit 2018 wurden trotz weitaus höherer Anzahl an Volksbegehren (67) insgesamt jeweils weniger Treffer pro Jahr erzielt (nämlich 271).

Hinzu kommt eine relativ geringe Präsenz im Internet. Beispielsweise nutzten manche Initiator:innen, wenn sie, wie oben beschrieben, gleichzeitig mehrere Volksbegehren starten, eine einzige Webseite, anstatt für jedes Anliegen eine eigenständige Präsenz zu schaffen (siehe bspw. Volksbegehren 2024 in Österreich).

Wie viel Resonanz finden die „neuen“ Volksbegehren im Parlament?

Ein Volksbegehren zielt u. a. darauf ab, die Wahrnehmung des zugrundeliegenden Anliegens zu erhöhen. Als zentraler Schritt zur Erreichung dieses Ziels gilt dementsprechend eine eingehende Behandlung des Anliegens in einer Plenardebatte des Nationalrats, wie z. B. Hans-Peter Petutschnig, ein Mitinitiator des Volksbegehrens Don’t Smoke (2018), in einem Podcast der Parlamentsdirektion erklärte. Dementsprechend ist das Ziel nicht erreicht, wenn die Behandlung im Nationalrat mit einer bloßen Kenntnisnahme endet.

Als vertiefende Auseinandersetzung im Nationalrat können auch die Annahme von Entschließungsanträgen, wiederholte Ausschussberatungen, die Zuweisung des Volksbegehrens an weitere Ausschüsse oder gar die Einsetzung von besonderen Ausschüssen zur Vorberatung des Volksbegehrens gesehen werden.

Eine Auswertung der Daten auf der Parlamentswebsite zeigt, dass bei den meisten Volksbegehren seit 2018 keine solche intensive Auseinandersetzung stattfand. Die 35 "alten" Volksbegehren, die vor 2018 in den Nationalrat gelangten, wurden hingegen in der Regel mehrmals in einem Ausschuss beraten. Auf die Diskussionen folgte häufig die Annahme eines Entschließungsantrages. In sechs Fällen wurde sogar ein besonderer Ausschuss nur für die Vorberatung des jeweiligen Volksbegehrens eingesetzt. Nur 12 von 35 Volksbegehren wurden lediglich einmal im Ausschuss und im Plenum des Nationalrates diskutiert.

Im Vergleich dazu wurden von den 46 Volksbegehren, die seit 2018 mehr als 100.000 Unterstützungserklärungen und Unterschriften erreichten, 36 nur einmalig inhaltlich im Ausschuss behandelt und es kam zu einer bloßen Kenntnisnahme der Volksbegehren im Ausschussbericht. Kein einziges Mal wurde ein besonderer Ausschuss für die Vorberatung eines Volksbegehrens eingesetzt. Bloß bei sechs Volksbegehren beschloss der Nationalrat im Zusammenhang mit den Beratungen auch Entschließungen (u. a. Entschließungen im Zusammenhang mit dem Frauenvolksbegehren, Entschließung betreffend Maßnahmen im Zusammenhang mit dem Klimavolksbegehren, Entschließung im Zusammenhang mit dem Volksbegehren Ethik für ALLE, Entschließung infolge des Mental Health Jugendvolksbegehrens).

Wie wird über diese Entwicklungen politisch diskutiert?

Kritiker:innen äußern die Vermutung, dass hinter der Zunahme von Volksbegehren ein lukratives "Geschäftsmodell" stehen könnte. Die Kritik bezieht sich auf die sogenannte Kostenrückerstattung: Initiator:innen eines Volksbegehrens, das 100.000 Unterstützungserklärungen und Unterschriften erreicht, steht gemäß § 17 Volksbegehrengesetz 2018 eine fünffache Kostenrückerstattung der Gebühren (aktueller Kostenbeitrag laut Informationen des BMI von EUR 622,- sowie Druckkostenbeitrag von EUR 2.799,50) zu. Das sind EUR 17.107,50, die abzüglich des geleisteten Kosten- und Druckkostenbeitrags eine Summe von EUR 13.686,- pro Volksbegehren ergeben.

Aber nicht nur deswegen wurde die veränderte Nutzung von Volksbegehren in der XXVII. Gesetzgebungsperiode mehrmals diskutiert. So kam es im Nationalrat z. B. zu Debatten rund um die in Volksbegehren verwendete Sprache (siehe die Kritik an der Verwendung von Begriffen wie "Schwarmintelligenz" oder "Parteisoldaten" in der Parlamentskorrespondenz zu den Beratungen des Nationalrats über die Volksbegehren Echte Demokratie und Beibehaltung Sommerzeit). Auch wurde die Sachlichkeit von einzelnen Anliegen infrage gestellt – Volksbegehren würden demnach vermehrt genutzt, um "politische Agitation zu betreiben" (siehe Stenographisches Protokoll, 205. Sitzung, XXVII. GP des NR, S. 129). Ebenfalls thematisiert wurde die Vermittlung von unerfüllbaren Erwartungen (siehe dazu die Parlamentskorrespondenz zu Debatten des Nationalrats über das Volksbegehren "Nehammer muss weg").

Im Jänner 2024 kündigten Vertreter:innen der Bundesregierung erstmals öffentlich (siehe Zeitungsartikel) Reformvorschläge an. Dazu zählt etwa die Beschränkung der Kostenrückerstattung auf die tatsächlich entstandenen Ausgaben. In diesem Zusammenhang warnte allerdings u. a. der Politologe Armin Mühlböck (im selben Zeitungsartikel; Anm.) davor, die bürokratischen Hürden für Volksbegehren zu stark zu erhöhen. Es sei eines der wenigen direktdemokratischen Elemente in Österreich und dürfe für Initiator:innen nicht zu unattraktiv gemacht werden.

Quellenauswahl

Henkel, Luca et al. (2023), The Association between Vaccination Status Identification and Societal Polarization, Nature Human Behaviour, 7 (2), S. 231–239, https://doi.org/10.1038/s41562-022-01469-6.

Herold, Maik/Janine Joachim/Cyrill Otteni u. a. (2023), Polarisierung in Deutschland und Europa. Eine Studie zu gesellschaftlichen Spaltungstendenzen in zehn europäischen Ländern, (stiftung-mercator.de).

Konrath, Christoph (2015), Das Recht geht vom Volk aus? - Anmerkungen zu Vorschlägen für Demokratiereformen in Österreich 2011- 2013, in: Öhlinger, Theo/Klaus Poier (Hrsg.), Direkte Demokratie und Parlamentarismus. Wie kommen wir zu den besten Entscheidungen?, 253-288.

Roose, Jochen (2021), Politische Polarisierung in Deutschland: Repräsentative Studie zu Zusammenhalt in der Gesellschaft, Konrad-Adenauer-Stiftung, wahlen.kas.de.

Wenda, Gregor/Stein, Robert (2014), Das Zentrale Wählerregister – Ein skalierbares Instrument zur Bürgerbeteiligung mit 1:1-Verifikation, Gesellschaft für Informatik.

Wenda, Gregor/Stein, Robert (2023), Das Wahlrechtsänderungsgesetz 2023. Ein Überblick für die Gemeinden, RFG Schriftreihe Recht & Finanzen für Gemeinden.