Letzte Chance für eine Verfassung

1920 war die politische Stimmung angespannt. Die Regierungskoalition zerbrach. Ein neuer Wahlmodus brachte neue Dynamik in den Verfassungsberatungen.

Regierungskoalition zerbricht, neuer Wahlmodus für Regierungsbildung

1920 nahmen die Gegensätze innerhalb der Regierungskoalition von Sozialdemokraten und Christlichsozialen zu. Die ideologischen Gegensätze zwischen den Parteien wurden immer deutlicher ausgesprochen. Im Juni 1920 zerbrach die Koalition. Es gab keine Bereitschaft zur Zusammenarbeit mehr. Die Sozialdemokratie forderte die bürgerlichen Parteien auf, eine Koalition zu bilden. Aber auch diese waren nicht dazu bereit. Damit gab es in der Nationalversammlung keine Mehrheit für die Wahl einer neuen Staatsregierung.

Allerdings fand sich eine Zweidrittelmehrheit für eine Änderung der provisorischen Verfassungsordnung: Am 6. Juli 1920 konnte ein Gesetz beschlossen werden, mit dem die Gesetzgebungsperiode der Konstituierenden Nationalversammlung mit 31. Oktober 1920 begrenzt wurde. Für die Zeit bis dahin wurde ein neuer Wahlmodus für die Staatsregierung festgelegt.

Wahl der neuen Regierung

Bereits am 7. Juli 1920 wurde die Wahl der neuen Regierungsmitglieder durchgeführt. Mit dem Vorsitz im Kabinett und der Leitung der Staatskanzlei wurde Staatssekretär Michael Mayr betraut. Die neue Regelung erlaubte es den Parteien, in der Vorwahlphase Vertreter in die Regierung zu entsenden, ohne Mitverantwortung für die gesamte Regierungsarbeit übernehmen zu müssen. So wurden alle Parteien zugleich zu Regierungs- und Oppositionsparteien.

Diese besondere Situation ermöglichte eine neue Dynamik in den Verfassungsberatungen, da die großen Parteien nun nicht mehr durch ihre Koalitionsabsprachen gebunden waren. Bereits am 8. Juli 1920 setzte der Verfassungsausschuss der Konstituierenden Nationalversammlung auf Vorschlag seines Obmanns Otto Bauer einen Unterausschuss zur Ausarbeitung der Verfassung ein.