Stenographisches Protokoll
696.
Sitzung des Bundesrates der Republik Österreich
Donnerstag, 15. Mai 2003
Gedruckt auf 70g chlorfrei gebleichtem Papier
696. Sitzung des Bundesrates der Republik Österreich
Donnerstag, 15. Mai 2003
Dauer der Sitzung
Donnerstag, 15. Mai
2003: 12.05 – 20.48 Uhr
*****
Tagesordnung
1. Wahl von zwei Ordnern für den Rest des 1. Halbjahres 2003
2. Bundesgesetz, mit dem ein Bundesgesetz über eine pauschalierte Abgabe von Dienstgebern geringfügig beschäftigter Personen erlassen und das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz geändert wird
3. Bundesgesetz über Mediation in Zivilrechtssachen (Zivilrechts-Mediations-Gesetz – ZivMediatG) sowie über Änderungen des Ehegesetzes, der Zivilprozessordnung, der Strafprozessordnung, des Gerichtsgebührengesetzes und des Kindschaftsrechts-Änderungsgesetzes 2001
4. Bundesgesetz, mit dem das Jugendgerichtsgesetz 1988 und das Gerichtsorganisationsgesetz geändert werden
5. Bundesgesetz, mit dem ein Bundesgesetz über die Vollzugsgebühren (Vollzugsgebührengesetz – VGebG) geschaffen und die Exekutionsordnung geändert wird (Exekutionsordnungs-Novelle 2003 – EO-Nov. 2003)
6. Bundesgesetz, mit dem das Urheberrechtsgesetz geändert wird (Urheberrechtsgesetz-Novelle 2003 – UrhG-Nov. 2003)
7. Bundesgesetz, mit dem die Konkursordnung, die Ausgleichsordnung, das Insolvenzrechtseinführungsgesetz, das Bankwesengesetz und das Versicherungsaufsichtsgesetz geändert werden (Bundesgesetz über das Internationale Insolvenzrecht – IIRG)
8. Bundesgesetz, mit dem das Bankwesengesetz, das Glücksspielgesetz, das Kapitalmarktgesetz, das Versicherungsaufsichtsgesetz und das Finanzmarktaufsichtsbehördengesetz geändert werden
9. Bundesgesetz, mit dem das Versicherungsaufsichtsgesetz, das Kartellgesetz 1988, das Versicherungssteuergesetz 1953, das Versicherungsvertragsgesetz 1958, das Atomhaftungsgesetz 1999, das Bundesgesetz über den erweiterten Schutz der Verkehrsopfer, das Finanzmarktaufsichtsbehördengesetz, das Börsegesetz und das Bankwesengesetz geändert werden (VAG-Novelle 2003)
10. Bundesgesetz, mit dem ein Bundesgesetz über nationale Emissionshöchstmengen für bestimmte Luftschadstoffe (Emissionshöchstmengengesetz-Luft, EG-
Bundesrat | 696. Sitzung / Seite 2 |
L) erlassen sowie das Ozongesetz und das Immissionsschutzgesetz-Luft geändert werden
11. Wahl von Ausschüssen
*****
Inhalt
Bundesrat
Schreiben des Präsidenten des Landtages von Niederösterreich betreffend Wahl von Mitgliedern und Ersatzmitgliedern in den Bundesrat .................................................................... 8
Angelobung der Bundesräte Karl Bader, Karl Boden, Martina
Diesner-Wais, Adelheid Ebner, Michaela Gansterer, Johann Giefing, Ing. Hermann
Haller, Johann Höfinger, Elisabeth Kerschbaum, Elisabeth Roth-Halvax, Ernst
Winter, Sonja Zwazl .......................................................... 9
Wahl von zwei Ordnern für den Rest des 1. Halbjahres 2003 ............................... 11
Wahl von Ausschüssen ................................................................................... 82
Wortmeldung
zur Geschäftsbehandlung
Albrecht Konecny ..................................................................................... 83
Ordnungsruf ................................................................................................ 112
Sitzungsunterbrechung .................................................................................... 84
Personalien
Entschuldigungen ............................................................................................. 8
Bundesregierung
Schreiben des Bundeskanzlers betreffend Amtsenthebungen und gleichzeitige Ernennung eines Mitglieds der Bundesregierung und eines Staatssekretärs ...................................................... 10
Vertretungsschreiben ....................................................................................... 10
Nationalrat
Beschlüsse und Gesetzesbeschlüsse ............................................................... 11
Ausschüsse
Zuweisungen ................................................................................................... 11
Dringliche
Anfragen
der Bundesräte Albrecht Konecny und KollegInnen an die Bundesministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur betreffend Bewahrung der kulturellen und religiösen Vielfalt in Österreich – Gewalt mit Worten und die Verwendung von Antisemitismen gefährden die innere Sicherheit und Demokratie in Österreich (2068/J-BR/03)
Begründung: Albrecht Konecny ...................................................................... 60
Beantwortung: Bundesministerin Elisabeth Gehrer .......................................... 62
Bundesrat | 696. Sitzung / Seite 3 |
Redner:
Anna Elisabeth Haselbach ....................................................................... 65
Dr. Andreas Schnider .................................................................... 67 und 74
Mag.
John Gudenus ................................................................................. 69
Stefan Schennach ..................................................................................... 71
Albrecht Konecny ..................................................................................... 73
der Bundesräte Albrecht Konecny und KollegInnen an den Bundeskanzler betreffend finanzielle Auswirkungen des Budgetbegleitgesetzes, insbesondere der Pensionsreform, auf Länder und Gemeinden – Konsultationsmechanismus durch die Länder Burgenland, Kärnten, Salzburg und Wien ausgelöst – Runder Tisch beim Herrn Bundespräsidenten zur Pensionsreform – Konsequenzen des Runden Tisches für die Bundesregierung (2072/J-BR/03)
Begründung: Albrecht Konecny ...................................................................... 84
Beantwortung: Staatssekretär Franz Morak ..................................................... 92
Redner:
Reinhard Todt ........................................................................................... 93
Mag. Harald Himmer ................................................................................. 97
Klaus Gasteiger ......................................................................... 100 und 114
Christoph Hagen...................................................................................... 102
Stefan Schennach ................................................................................... 104
Anna Schlaffer ........................................................................................ 107
Helmut Kritzinger .................................................................................... 110
Roswitha Bachner ................................................................................... 112
Albrecht Konecny ................................................................................... 114
Ludwig Bieringer .................................................................................... 117
Antrag der Bundesräte Albrecht Konecny und KollegInnen gemäß § 37 Abs. 2 der Geschäftsordnung des Bundesrates auf Zitation des Bundeskanzlers .................................................... 92
Ablehnung .................................................................................................... 92
Verhandlungen
(2) Beschluss des Nationalrates vom 29. April 2003 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem ein Bundesgesetz über eine pauschalierte Abgabe von Dienstgebern geringfügig beschäftigter Personen erlassen und das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz geändert wird (74/A und 63/NR sowie 6779/BR d. B.)
Berichterstatter: Christoph Hagen ................................................................... 12
(Antrag, keinen Einspruch zu erheben)
Redner:
Hedda Kainz ............................................................................................. 12
Ilse Giesinger ............................................................................................ 14
Harald Reisenberger ................................................................................. 15
Bundesminister Vizekanzler Mag. Herbert Haupt ........................... 17 und 22
Ing. Gerd Klamt ............................................................................. 18 und 23
Stefan Schennach ..................................................................................... 19
Manfred Gruber ........................................................................................ 21
Roswitha Bachner ..................................................................................... 23
Bundesrat | 696. Sitzung / Seite 4 |
Annahme des Antrages des Berichterstatters, keinen Einspruch zu erheben (mit Stimmenmehrheit) ............................................................................................................. 24
(3) Beschluss des Nationalrates vom 29. April 2003 betreffend ein
Bundesgesetz über Mediation in Zivilrechtssachen
(Zivilrechts-Mediations-Gesetz – ZivMediatG) sowie über Änderungen des
Ehegesetzes, der Zivilprozessordnung, der Strafprozessordnung, des
Gerichtsgebührengesetzes und des Kindschaftsrechts-Änderungsgesetzes 2001
(24 und 47/NR sowie 6780/BR d. B.)
Berichterstatterin: Johanna Auer
..................................................................... 24
(Antrag, keinen Einspruch zu erheben)
Redner:
Dr. Andreas Schnider ............................................................................... 25
Anna Schlaffer .......................................................................................... 27
Dr. Peter Böhm ......................................................................................... 28
Manfred Gruber ........................................................................................ 29
Bundesminister Dr. Dieter Böhmdorfer ...................................................... 30
Annahme des Antrages der Berichterstatterin, keinen Einspruch zu erheben (mit Stimmeneinhelligkeit) ............................................................................................................. 31
(4) Beschluss des Nationalrates vom 29. April 2003 betreffend ein Bundesgesetz,
mit dem das Jugendgerichtsgesetz 1988 und das Gerichtsorganisationsgesetz
geändert werden (26 und 48/NR sowie 6781/BR d. B.)
Berichterstatter: Christoph
Hagen ................................................................... 31
(Antrag, keinen Einspruch zu erheben)
Redner:
Anna Schlaffer .......................................................................................... 31
Bundesminister Dr. Dieter Böhmdorfer .......................................... 34 und 47
Dr. Vincenz Liechtenstein ......................................................................... 35
Harald Reisenberger ................................................................................. 37
Dr. Robert Aspöck .................................................................................... 39
Stefan Schennach ..................................................................................... 41
Dr. Elisabeth Hlavac .................................................................................. 45
Dr. Renate Kanovsky-Wintermann ............................................................. 50
Annahme des Antrages des Berichterstatters, keinen Einspruch zu erheben (mit Stimmenmehrheit) ............................................................................................................. 51
(5) Beschluss des Nationalrates vom 29. April 2003 betreffend
ein Bundesgesetz, mit dem ein Bundesgesetz über die Vollzugsgebühren
(Vollzugsgebührengesetz – VGebG) geschaffen und die Exekutionsordnung
geändert wird (Exekutionsordnungs-Novelle 2003 – EO-Nov. 2003) (39 und
50/NR sowie 6782/BR d. B.)
Berichterstatterin: Anna
Schlaffer .................................................................... 52
(Antrag, keinen Einspruch zu erheben)
Redner:
Dipl.-Ing. Heribert Bogensperger ............................................................... 52
Bundesminister Dr. Dieter Böhmdorfer ...................................................... 53
Bundesrat | 696. Sitzung / Seite 5 |
Johanna Auer ........................................................................................... 54
Wilhelm Grissemann ................................................................................ 55
Annahme des Antrages der Berichterstatterin, keinen Einspruch zu erheben (mit Stimmeneinhelligkeit) ............................................................................................................. 56
(6) Beschluss des Nationalrates vom 29. April 2003 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Urheberrechtsgesetz geändert wird (Urheberrechtsgesetz-Novelle 2003 – UrhG-Nov 2003) (40 und 51/NR sowie 6777 und 6783/BR d. B.)
Berichterstatter: Dr. Robert Aspöck.................................................................. 56
(Antrag, keinen Einspruch zu erheben)
Redner:
Reinhard Todt ........................................................................................... 57
Dr. Vincenz Liechtenstein ......................................................................... 58
Dr. Peter Böhm ......................................................................................... 59
Annahme des Antrages des Berichterstatters, keinen Einspruch zu erheben (mit Stimmenmehrheit) ............................................................................................................. 60
(7) Beschluss des Nationalrates vom 29. April 2003 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem die Konkursordnung, die Ausgleichsordnung, das Insolvenzrechtseinführungsgesetz, das Bankwesengesetz und das Versicherungsaufsichtsgesetz geändert werden (Bundesgesetz über das Internationale Insolvenzrecht – IIRG) (33 und 49/NR sowie 6784/BR d. B.)
Berichterstatterin: Anna Schlaffer .................................................................... 75
(Antrag, keinen Einspruch zu erheben)
Annahme des Antrages der Berichterstatterin, keinen Einspruch zu erheben (mit Stimmeneinhelligkeit) ............................................................................................................. 75
(8) Beschluss des Nationalrates vom 29. April 2003 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Bankwesengesetz, das Glücksspielgesetz, das Kapitalmarktgesetz, das Versicherungsaufsichtsgesetz und das Finanzmarktaufsichtsbehördengesetz geändert werden (32 und 67/NR sowie 6778 und 6785/BR d. B.)
Berichterstatter: Herwig Hösele ....................................................................... 76
(Antrag, keinen Einspruch zu erheben)
Redner:
Reinhard Todt ........................................................................................... 76
Staatssekretär Dr. Alfred Finz ................................................................... 77
Ing. Franz Gruber ..................................................................................... 78
Annahme des Antrages des Berichterstatters, keinen Einspruch zu erheben (mit Stimmenmehrheit) ............................................................................................................. 79
(9) Beschluss des Nationalrates vom 29. April 2003 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Versicherungsaufsichtsgesetz, das Kartellgesetz 1988, das Versicherungssteuergesetz 1953, das Versicherungsvertragsgesetz 1958, das Atomhaftungsgesetz 1999, das Bundesgesetz über den erweiterten Schutz der Verkehrsopfer, das Finanzmarktaufsichtsbehördengesetz,
Bundesrat | 696. Sitzung / Seite 6 |
das Börsegesetz und das Bankwesengesetz geändert werden (VAG-Novelle 2003) (27 und 68/NR sowie 6786/BR d. B.)
Berichterstatter: Günther Molzbichler ............................................................. 79
(Antrag, keinen Einspruch zu erheben)
Annahme des Antrages des Berichterstatters, keinen Einspruch zu erheben (mit Stimmeneinhelligkeit) ............................................................................................................. 79
(10) Beschluss des Nationalrates vom 7. Mai 2003 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem ein Bundesgesetz über nationale Emissionshöchstmengen für bestimmte Luftschadstoffe (Emissionshöchstmengengesetz-Luft, EG-L) erlassen sowie das Ozongesetz und das Immissionsschutzgesetz-Luft geändert werden (38 und 66/NR sowie 6787/BR d. B.)
Berichterstatter: Paul Fasching ....................................................................... 80
(Antrag, keinen Einspruch zu erheben)
Redner:
Elisabeth Kerschbaum .............................................................................. 80
Annahme des Antrages des Berichterstatters, keinen Einspruch zu erheben (mit Stimmeneinhelligkeit) ............................................................................................................. 82
Eingebracht wurden
Anfragen
der Bundesräte Harald Reisenberger und KollegInnen an den Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen betreffend völlige Nichtbeantwortung einer Zusatzfrage in der Fragestunde (2067/J-BR/03)
der Bundesräte Albrecht Konecny und KollegInnen an die Bundesministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur betreffend Bewahrung der kulturellen und religiösen Vielfalt in Österreich – Gewalt mit Worten und die Verwendung von Antisemitismen gefährden die innere Sicherheit und Demokratie in Österreich (2068/J-BR/03)
der vom Vorarlberger Landtag entsandten Bundesräte Jürgen Weiss, Christoph Hagen und Ilse Giesinger an den Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit betreffend Wahrung von Landesinteressen in Verhandlungen über internationale Handelsabkommen (2069/J-BR/03)
der vom Vorarlberger Landtag entsandten Bundesräte Jürgen Weiss, Christoph Hagen und Ilse Giesinger an den Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie betreffend Einsparungen durch die Übertragung der Bundesstraßen an die Länder (2070/J-BR/03)
der vom Vorarlberger Landtag entsandten Bundesräte Jürgen Weiss, Christoph Hagen und Ilse Giesinger an den Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie betreffend Regelungen für die Versprühung von Flugzeugtreibstoff über dem Bodenseeraum (2071/J-BR/03)
der Bundesräte Albrecht Konecny und KollegInnen an den Bundeskanzler betreffend finanzielle Auswirkungen des Budgetbegleitgesetzes, insbesondere der Pensionsreform, auf Länder und Gemeinden – Konsultationsmechanismus durch die Länder Burgenland, Kärnten, Salzburg und Wien ausgelöst – Runder Tisch beim
Bundesrat | 696. Sitzung / Seite 7 |
Herrn Bundespräsidenten zur Pensionsreform – Konsequenzen des Runden Tisches für die Bundesregierung (2072/J-BR/03)
der Bundesräte Jürgen Weiss, Herwig Hösele und Gottfried Kneifel an den Bundesminister für Finanzen betreffend 15a-Vereinbarung im Zusammenhang mit der Verländerung der Bundesstraßen (2073/J-BR/03)
Anfragebeantwortungen
des Bundesministers für Verkehr, Innovation und Technologie auf die Frage der Bundesräte Jürgen Weiss und KollegInnen (1888/AB-BR/03 zu 2054/J-BR/03)
des Bundesministers für Landesverteidigung auf die Frage der Bundesräte Christoph Hagen und KollegInnen (1889/AB-BR/03 zu 2063/J-BR/03)
des Bundesministers für Inneres auf die Frage der Bundesräte Jürgen Weiss, Christoph Hagen und Ilse Giesinger (1890/AB-BR/03 zu 2060/J-BR/03)
des Bundeskanzlers auf die Frage der Bundesräte Albrecht Konecny und KollegInnen (1891/AB-BR/03 zu 2056/J-BR/03)
des Bundesministers für Landesverteidigung auf die Frage der Bundesräte Klaus Gasteiger und KollegInnen (1892/AB-BR/03 zu 2057/J-BR/03)
Präsident
Herwig Hösele: Ich eröffne die
696. Sitzung des Bundesrates.
Das Amtliche Protokoll der 695. Sitzung des Bundesrates vom
11. April 2003 ist aufgelegen, unbeanstandet geblieben und gilt daher als
genehmigt.
Entschuldigt haben
sich die Mitglieder des Bundesrates Dr. Klaus Peter Nittmann, Engelbert
Weilharter und Ulrike Haunschmid.
Angelobungen
Präsident
Herwig Hösele: Eingelangt ist ein Schreiben des
Präsidenten des Landtages von Niederösterreich betreffend Wahl von Mitgliedern
und Ersatzmitgliedern in den Bundesrat.
Ich ersuche die
Schriftführung um Verlesung dieses Schreibens.
Schriftführerin
Hedda Kainz:
„Der Landtag von
Niederösterreich hat in seiner 1. Sitzung am 24. April 2003 die Wahl der
Mitglieder, die vom Landtag in den Bundesrat entsendet werden, und ebenso die
Wahl der Ersatzmitglieder vorgenommen.
Als Mitglieder
wurden gewählt:
1. Sissy
Roth-Halvax, Arthur Schmid-Gasse 20, 2326 Maria Lanzendorf
2. Adelheid Ebner,
3665 Gutenbrunn 150
3.
Ing. Hermann Haller, Schulgasse 5, 2202 Enzersfeld
4. Karl Bader,
Durlass-Straße 14, 3163 Rohrbach/Gölsen
5. Johann Giefing,
Markt 5, 2803 Schwarzenbach
6. Johann
Höfinger, Hauptsraße 21, 3004 Ollern
7. Ernst Winter,
Pulkauser Straße 7, 3743 Röschitz
8. Sonja Zwazl,
Agnesstraße 1, 3400 Klosterneuburg
9. Martina
Diesner-Wais, Pürbach 96, 3944 Schrems
10. Karl Boden,
Reibers 41, 3844 Waldkirchen/Thaya
11. Michaela
Gansterer, Donaulände 27, 2410 Hainburg
12. Elisabeth
Kerschbaum, Dr. Krammerstraße 15, 2100 Korneuburg Als Ersatzmitglieder
wurden gewählt:1. Dr. Martin Michalitsch, Josef Plangger-Straße 25, 3032
Eichgraben
2. Johann Pichler,
Dr.-A.-Schärf-Straße 14, 3860 Heidenreichstein
3. Marianne
Lembacher, Wilhelmsdorf 25, 3712 Maissau
4. Mag. Karl
Wilfing, Fasanweg 23, 2170 Wetzelsdorf
5. Traude
Dierdorf, Jakob Haydn-Gasse 3, 2700 Wiener Neustadt
6. Franz Hiller,
Hanfthal 37, 2136 Laa/Thaya
Bundesrat | 696. Sitzung / Seite 9 |
7. Karin
Kadenbach, Ringendorferstraße 173, 2002 Großmugl
8.
Dipl.-Ing. Franz Seywerth, Hochstraße 15, 2380 Perchtoldsdorf
9. Karl Honeder,
Kirchschlag 14, 3631 Ottenschlag
10. Helmut
Cerwenka, Hauptstraße 30, 3462 Frauendorf/Au
11.
Dr. Christian Moser, Schießstattgasse 28, 2000 Stockerau
12. Liane
Marecsek, Prof. Großmann-Straße 5/15, 3430 Tulln“
Präsident
Herwig Hösele: Danke der Schriftführung.
Die neuen
beziehungsweise die wieder gewählten Mitglieder des Bundesrates sind im Hause
anwesend. Ich werde daher sogleich ihre Angelobung vornehmen.
Nach Verlesung der
Gelöbnisformel durch die Schriftführung wird die Angelobung mit den Worten „Ich
gelobe“ zu leisten sein.
Ich ersuche die
Schriftführung um Verlesung der Gelöbnisformel und anschließend um den
Namensaufruf.
Schriftführerin
Hedda Kainz: „Sie werden geloben unverbrüchliche
Treue der Republik Österreich, stete und volle Beobachtung der
Verfassungsgesetze und aller anderen Gesetze sowie gewissenhafte Erfüllung
Ihrer Pflichten.“
Schriftführerin
Kainz: Karl Bader.
Bundesrat
Karl Bader (ÖVP, Niederösterreich): Ich
gelobe.
Schriftführerin
Hedda Kainz: Karl Boden.
Bundesrat
Karl Boden (SPÖ, Niederösterreich): Ich
gelobe.
Schriftführerin
Hedda Kainz: Martina Diesner-Wais.
Bundesrätin
Martina Diesner-Wais (ÖVP, Niederösterreich): Ich
gelobe, sowahr mir Gott helfe.
Schriftführerin
Hedda Kainz: Adelheid Ebner.
Bundesrätin
Adelheid Ebner (SPÖ, Niederösterreich): Ich
gelobe.
Schriftführerin
Hedda Kainz: Michaela Gansterer.
Bundesrätin
Michaela Gansterer (ÖVP, Niederösterreich): Ich gelobe,
sowahr mir Gott helfe.
Schriftführerin
Hedda Kainz: Johann Giefing.
Bundesrat
Johann Giefing (SPÖ, Niederösterreich): Ich
gelobe.
Schriftführerin
Hedda Kainz: Ing. Hermann Haller.
Bundesrat
Ing. Hermann Haller (ÖVP, Niederösterreich): Ich
gelobe, sowahr mir Gott helfe.
Schriftführerin
Hedda Kainz: Johann Höfinger.
Bundesrat
Johann Höfinger (ÖVP, Niederösterreich): Ich gelobe,
sowahr mir Gott helfe.
Schriftführerin Hedda Kainz: Elisabeth Kerschbaum.
Bundesrat | 696. Sitzung / Seite 10 |
Bundesrätin Elisabeth Kerschbaum (Grüne, Niederösterreich): Ich gelobe.
Schriftführerin Hedda Kainz: Sissy Roth-Halvax.
Bundesrätin Elisabeth Roth-Halvax (ÖVP, Niederösterreich): Ich gelobe, sowahr
mir Gott helfe.
Schriftführerin Hedda Kainz: Ernst Winter.
Bundesrat Ernst Winter (SPÖ, Niederösterreich): Ich gelobe.
Schriftführerin Hedda Kainz: Sonja Zwazl.
Bundesrätin Sonja Zwazl (ÖVP, Niederösterreich): Ich gelobe.
Präsident Herwig Hösele: Ich begrüße die neuen beziehungsweise wieder gewählten Mitglieder des
Bundesrates recht herzlich in unserer Mitte, gratuliere herzlich und wünsche
viel Erfolg und freue mich auf eine gute Zusammenarbeit im Interesse unseres
Bundesstaates, der Republik Österreich. (Allgemeiner Beifall.)
Einlauf und
Zuweisungen
Präsident Herwig Hösele: Eingelangt ist ferner ein
Schreiben des Bundeskanzlers betreffend Amtsenthebungen und gleichzeitige
Ernennung eines Mitgliedes der Bundesregierung und eines Staatssekretärs.
Ich ersuche die Schriftführung um Verlesung
dieses Schreibens.
Schriftführerin Hedda Kainz:
„Der Herr Bundespräsident hat mit
Entschließung vom 30. April 2003, GZ 300.000/4-BEV/2003, die
Bundesministerin ohne Portefeuille Maria Rauch-Kallat gemäß Artikel 70
Absatz 1 Bundes-Verfassungsgesetz mit Wirksamkeit vom 1. Mai 2003 vom
Amte enthoben und sie gleichzeitig gemäß Artikel 70 Absatz 1
Bundes-Verfassungsgesetz zur Bundesministerin für Gesundheit und Frauen ernannt.
Mit gleicher Entschließung hat der Herr
Bundespräsident den zum Staatssekretär ernannten und zur Unterstützung in der
Geschäftsführung und zur parlamentarischen Vertretung der Bundesministerin ohne
Portefeuille Maria Rauch-Kallat beigegebenen Universitätsprofessor
Dr. Reinhart Waneck mit Wirksamkeit vom 1. Mai 2003 gemäß
Artikel 70 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 78 Absatz 2
Bundes-Verfassungsgesetz des Amtes enthoben und ihn gemäß Artikel 70
Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 78 Absatz 2 Bundes-Verfassungsgesetz
zum Staatssekretär ernannt und ihn zur Unterstützung in der Geschäftsführung
und zur parlamentarischen Vertretung der Bundesministerin für Gesundheit und
Frauen beigegeben.“
Präsident Herwig Hösele: Den
eingelangten Außenpolitischen Bericht 2002 der Bundesregierung habe ich dem
Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten zur weiteren geschäftsordnungsmäßigen
Behandlung zugewiesen.
Eingelangt sind weiters Schreiben des
Bundeskanzleramtes betreffend Ministervertretungen.
Ich ersuche die Schriftführung auch hier um
Verlesung dieser Schreiben.
Schriftführerin Hedda Kainz:
„Der Herr Bundespräsident hat am 7. Mai 2003,
GZ 300.100/11-BEV/2003, folgende Entschließung gefasst:
Bundesrat | 696. Sitzung / Seite 11 |
Auf Vorschlag des Bundeskanzlers betraue ich für die Dauer der Verhinderung
des Bundesministers für Inneres Dr. Ernst Strasser innerhalb des
Zeitraumes vom 14. bis 17. Mai 2003 den Bundesminister für Land- und
Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft Dipl.-Ing. Josef Pröll mit
der Vertretung.“
Ein weiteres Vertretungsschreiben lautet wie folgt:
„Der Herr Bundespräsident hat am 14. Mai 2003,
GZ 300.100/16-BEV/2003, folgende Entschließung gefasst:
Auf Vorschlag des Bundeskanzlers betraue ich für die Dauer der
Verhinderung der Bundesministerin für auswärtige Angelegenheiten
Dr. Benita Ferrero-Waldner am 15. Mai 2003 den Bundesminister
für Wirtschaft und Arbeit Dr. Martin Bartenstein mit der Vertretung.“
Präsident Herwig Hösele: Ich
bedanke mich bei der Schriftführung für die Verlesung.
Eingelangt sind auch Anfragebeantwortungen, 1888/AB bis 1892/AB, die den
Anfragestellern übermittelt wurden.
Die Anfragebeantwortungen wurden vervielfältigt und sind bereits allen
Mitgliedern des Bundesrates zugegangen.
In diesem Zusammenhang verweise ich auf die im Saal verteilte Liste der
eingelangten Anfragebeantwortungen.
Eingelangt sind weiters jene Beschlüsse des Nationalrates, die Gegenstand
der heutigen Tagesordnung sind.
Ich habe diese Beschlüsse den in Betracht kommenden Ausschüssen zur
Vorberatung zugewiesen. Die Ausschüsse haben ihre Vorberatungen darüber
abgeschlossen und schriftliche Ausschussberichte erstattet.
Ich habe diese Vorlagen sowie die Wahl von zwei Ordnern für den Rest des
ersten Halbjahres 2003 und die Wahl von Ausschüssen auf die Tagesordnung der
heutigen Sitzung gestellt.
Wird zur
Tagesordnung das Wort gewünscht? – Das ist nicht der Fall.
Wir werden daher
in diesem Sinne vorgehen.
Ankündigung einer
dringlichen Anfrage
Präsident
Herwig Hösele: Bevor wir in die Tagesordnung
eingehen, gebe ich bekannt, dass mir ein Verlangen im Sinne von § 61
Abs. 3 der Geschäftsordnung des Bundesrates auf dringliche Behandlung der
schriftlichen Anfrage der Bundesräte Prof. Albrecht Konecny, Kolleginnen und Kollegen
betreffend Bewahrung der kulturellen und religiösen Vielfalt in
Österreich – Gewalt mit Worten und die Verwendung von Antisemitismen
gefährden die innere Sicherheit und Demokratie in Österreich an die Frau
Bundesministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur vorliegt.
Im Sinne des
§ 61 Abs. 4 der Geschäftsordnung verlege ich die Behandlung an den
Schluss der Sitzung, aber nicht über 16 Uhr hinaus.
1. Punkt
Wahl von zwei
Ordnern für den Rest des 1. Halbjahres 2003
Präsident
Herwig Hösele: Wir gehen
nunmehr in die Tagesordnung ein und gelangen zum 1. Punkt: Wahl von zwei
Ordnern für den Rest des 1. Halbjahres 2003.
Bundesrat | 696. Sitzung / Seite 12 |
Diese Wahl ist
durch die vom neu konstituierten Niederösterreichischen Landtag durchgeführten
Neuwahlen in den Bundesrat notwendig geworden. Ich werde daher diese Wahl
sogleich – sofern sich kein Einwand erhebt – durch Handzeichen
vornehmen lassen.
Es liegen mir die
Wahlvorschläge vor, die Bundesräte Mag. Gerhard Tusek und Karl Boden für
den Rest des 1. Halbjahres 2003 zu Ordnern des Bundesrates zu wählen.
Ich bitte jene
Bundesrätinnen und Bundesräte, die diesen Wahlvorschlägen ihre Zustimmung
geben, um ein Handzeichen. – Dies ist Stimmeneinhelligkeit.
Die Wahlvorschläge
sind somit angenommen.
Ich frage die
Gewählten, ob sie die Wahl annehmen. – Herr Bundesrat Mag. Tusek.
Bundesrat Mag. Gerhard Tusek (ÖVP,
Oberösterreich): Ich danke für das Vertrauen und nehme die Wahl gerne an.
Präsident Herwig Hösele:
Herr Bundesrat
Boden.
Bundesrat Karl Boden (SPÖ, Niederösterreich): Ich danke
auch für das Vertrauen und nehme die Wahl gerne an. (Allgemeiner Beifall.)
Präsident Herwig Hösele:
Die Bundesräte
Mag. Gerhard Tusek und Karl Boden sind somit für den Rest des 1.
Halbjahres 2003 zu Ordnern gewählt. Ich bitte Sie, Ihre verantwortungsvolle
Aufgabe bestmöglich wahrzunehmen.
2. Punkt
Beschluss des
Nationalrates vom 29. April 2003 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem
ein Bundesgesetz über eine pauschalierte Abgabe von Dienstgebern geringfügig beschäftigter
Personen erlassen und das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz geändert wird
(74/A und 63/NR sowie 6779/BR der Beilagen)
Präsident
Herwig Hösele: Wir gelangen nun zum 2. Punkt der Tagesordnung: Bundesgesetz,
mit dem ein Bundesgesetz über eine pauschalierte Abgabe von Dienstgebern
geringfügig beschäftigter Personen erlassen und das Allgemeine
Sozialversicherungsgesetz geändert wird.
Die
Berichterstattung hat Herr Bundesrat Christoph Hagen übernommen. Ich bitte um
den Bericht.
Berichterstatter
Christoph Hagen: Ich bringe den Bericht des Ausschusses für soziale Sicherheit und
Generationen über den Beschluss des Nationalrates vom 29. April 2003 betreffend
ein Bundesgesetz, mit dem ein Bundesgesetz über eine pauschalierte Abgabe von
Dienstgebern geringfügig beschäftigter Personen erlassen und das Allgemeine
Sozialversicherungsgesetz geändert wird.
Der Ausschuss für
soziale Sicherheit und Generationen stellt nach Beratung der Vorlage am
13. Mai 2003 mit Stimmenmehrheit den Antrag,
gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu
erheben.
Präsident Herwig Hösele: Ich danke für die Berichterstattung.
Wir gehen in die
Debatte ein, zu der ich sehr herzlich Herrn Vizekanzler Mag. Haupt und
Herrn Staatssekretär Univ.-Prof. Dr. Waneck begrüße.
Zu Wort gemeldet
hat sich Frau Bundesrätin Hedda Kainz. Ich erteile es ihr.
12.21
Bundesrätin Hedda Kainz (SPÖ, Oberösterreich): Herr Präsident! Herr Vizekanzler! Herr Staatssekretär! Meine Damen und Herren! Wir sollen heute die Reparatur eines Umstandes
Bundesrat | 696. Sitzung / Seite 13 |
vornehmen, der bereits
14 Monate zurückliegt. Die Tatsache, dass die pauschalierte Einhebung von
Versicherungsbeiträgen im ASVG für geringfügig Beschäftigte bereits vor
14 Monaten vom Verfassungsgerichtshof als nicht zulässig festgestellt
wurde, wurde bis heute nicht repariert.
Es ist bereits
vielfach darauf hingewiesen worden, welche finanziellen Auswirkungen dieser
Umstand hat: Dadurch werden der Sozialversicherung in etwa
10 Millionen € vorenthalten. Das ist im Vergleich zum Budget keine
Riesen-Summe; aber ich bin der Meinung, dass dieser Betrag, gemessen an den
Bedürfnissen einzelner Versicherter, doch große Bedeutung hat.
Ich kündige jetzt
schon an, dass meine Fraktion dem, was uns heute hier vorliegt, nicht zustimmen
wird, weil der Inhalt wieder nicht geändert wird, sondern nur formelle
Änderungen vorgenommen werden, indem man den Umstand, dass im ASVG diese
pauschalierten Abgaben nicht verankerbar sind, repariert.
Ich möchte so
manche Einwände gleich vorwegnehmen: Auch wir wissen, dass es in Einzelfällen
und für kleine Gruppierungen durchaus Sinn macht, geringfügige Beschäftigungen
ohne jede Versicherungspflicht einzugehen. Ich gehe jedoch davon aus, dass in
erster Linie zum Schutz jener Frauen, die von den Unternehmen aus
unterschiedlichsten Gründen gedrängt werden, geringfügige Beschäftigungen
anzunehmen – etwa im Handel, wo sich dieser Trend verstärkt –,
Lenkungsmaßnahmen notwendig geworden sind.
Ich weiß schon,
dass sich der Zulauf zu den Geringfügigen verringert hat, seit die letzte Versicherungspflicht
eingetreten ist. Mir ist schon bekannt, dass das etwas bewirkt hat. Wir sehen
jedoch, dass in manchen Branchen der Trend zu Teilzeitdienstverhältnissen, zu
geringfügigen, atypischen Dienstverhältnissen sehr groß ist, ein Umstand, dem
sich gerade Frauen aus verschiedenen Gründen sehr oft nicht entziehen können.
Vordergründig wird ein solches Dienstverhältnis vielleicht sogar als positiv
gesehen, weil die Frauen die Illusion haben, auf diese Weise Familie und Beruf
besser vereinbaren zu können.
Wir wissen jedoch,
wie es aussieht, wenn diese Frauen dann Leistungen aus der Sozialversicherung
benötigen, und wir wissen auch, wie es diesen Frauen geht, wenn sie in höherem
Lebensalter ihren Lebensunterhalt finanzieren müssen. (Beifall bei der SPÖ
und den Grünen.)
Das ist der Grund,
warum wir diesem Gesetz in der vorliegenden Form nicht zustimmen können.
Ich möchte in
diesem Zusammenhang auch darauf hinweisen, dass das Einbeziehen aller Beschäftigten
in das Sozialversicherungssystem auch ein Beitrag wäre, die Finanzierungsgrundlagen
der Sozial-, Kranken- und Pensionsversicherung zu verbreitern, um so
systematisch zu vernünftigen Leistungen für die Betroffenen zu kommen.
Meine Damen und
Herren! Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, als uns GewerkschafterInnen
die ersten haarsträubenden Beispiele, was in der Praxis mit geringfügig
Beschäftigten passiert, so richtig wachgerüttelt haben. Es ist schon einige
Jahre her, und auch auf unser Drängen hin ist schließlich dieser erste Schritt
der Einbeziehung in die Sozialversicherung erfolgt. Und ich bekenne mich hier
voll und ganz zu entsprechenden Lenkungsmaßnahmen.
Mir ist der Fall
einer Frau zur Kenntnis gebracht worden, die mit einfachster Ausbildung eine
Reinigungstätigkeit ausgeübt und sich sehr wenig Gedanken über ihr
Dienstverhältnis gemacht hat. Ihre Bezahlung war zwar nicht großzügig, aber
immerhin ortsüblich, und erst als diese Frau schwanger war und in den
Mutterschaftsurlaub gehen wollte, hat sich herausgestellt, dass sie mit
mehreren geringfügigen Dienstverhältnissen bei einem Dienstgeber beschäftigt
ist und somit keine Leistung für die Mutterschaft zu erwarten hatte.
Für mich war das
wirklich ein Schlüsselerlebnis, aber ich behaupte nicht, dass man mit geringfügig
Beschäftigten überall so umgeht. Es ist dies aber doch ein Beispiel dafür, dass
man seitens des Gesetzgebers weit davon entfernt ist, zu wissen, was sich dann
in der Realität abspielt. Daher ist es notwendig, wenn solche Schlupflöcher
genutzt werden, diese nach Möglichkeit zu schließen.
Bundesrat | 696. Sitzung / Seite 14 |
Die Vorgangsweise,
pauschalierte Dienstgeberbeiträge für geringfügig Beschäftigte abführen zu
lassen, bedeutet nichts anderes als eine Reduzierung der Beiträge, die ein
Dienstgeber zu bezahlen hätte, wenn die volle Abgabenpflicht gelten würde.
Meine Damen und
Herren! Ich möchte nochmals betonen, dass ich nicht der Meinung bin, dass das
gang und gäbe ist, dass es aber in manchen Branchen nach wie vor Frauen gibt,
die immer wieder zu uns kommen und um unsere Unterstützung bitten, wenn solche
Schlupflöcher genutzt werden, wenn unkorrekt vorgegangen wird. Es muss
verhindert werden, dass Frauen, die einer solchen geringfügigen Beschäftigung
nachgehen, in manchen Situationen regelrecht der Armut ausgeliefert sind.
Ich möchte es mir
heute dennoch ersparen, auf all diese Dinge hinzuweisen, die wir gerade in den
letzten Wochen diskutieren. Wenn ich von einem Hineintreiben in die Armut rede,
habe ich neben dem, was die geplante Pensionsreform bedeutet, durchaus auch all
das, was im Zusammenhang mit der Notstandshilfe, der Verlagerung zu den
Gemeinden, geplant ist, im Sinn. Auf diese Weise gehen die Gemeinden pleite,
und es werden auch die Betroffenen in die Armut getrieben und zu Bittstellern
degradiert. Ich glaube nicht, dass das etwas ist, was wir als verantwortungsvoller
Gesetzgeber den Menschen dieses Landes zumuten wollen. (Beifall bei der SPÖ
und den Grünen.)
12.29
Präsident
Herwig Hösele: Zu Wort gemeldet ist Frau
Bundesrätin Ilse Giesinger. Ich erteile es ihr.
12.30
Bundesrätin
Ilse Giesinger (ÖVP, Vorarlberg): Sehr geehrter
Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Vizekanzler! Herr Staatssekretär! Hoher
Bundesrat! Frau Bundesrätin Kainz! Sie haben das Beispiel gebracht, dass jemand
bei einem Dienstgeber mehrere geringfügige Beschäftigungen ausgeübt hat. Dazu
möchte ich vorab feststellen, dass der Dienstnehmer eine Kopie der Anmeldung
bei der Gebietskrankenkasse bekommt, also hat er das auch gewusst. Das möchte
ich dazu betonen.
Ich verstehe
eigentlich nicht – Sie haben zwar auch gesagt, dass es nicht überall so
sei –, dass man immer wieder nur negative Beispiele bringt und so tut, als
ob das gang und gäbe wäre. (Bundesrat Konecny: Das ist Realitätsverweigerung!)
Diese Änderung des
Sozialversicherungsgesetzes, mit der auch eine pauschalierte Abgabe von Dienstgebern
geringfügig beschäftigter Personen erlassen wird, ist darum notwendig, weil der
Verfassungsgerichtshof Teile des § 53a der 55. Novelle des ASVG mit
Wirkung vom 1. April 2003 als verfassungswidrig aufgehoben hat.
Ich bitte auch,
dass man immer die ganze Wahrheit sagt, Frau Bundesrätin Kainz, und nicht nur
die halbe. Sie haben gesagt, das wurde vor 14 Monaten aufgehoben. Das
stimmt zwar, aber es wurde mit Wirkung vom 1. 4. 2003 aufgehoben.
Dieses Modell,
sich freiwillig als geringfügig Beschäftigter eine Anwartschaft für die Pension
zu erwerben, hat vielen Frauen, aber auch Männern die Möglichkeit gegeben, sich
mit relativ geringen Beiträgen Zeiten für die Pension zu sichern. Im
März 2003 haben 30 413 Frauen und 9 418 Männer dies in
Anspruch genommen.
Es war bisher so – und es bleibt auch so –, dass Arbeitgeber 16,4 Prozent Beitrag bezahlen mussten beziehungsweise müssen, wenn sie in ihrem Betrieb mehr als das Eineinhalbfache an geringfügig Beschäftigten hatten, also wenn der Betrag über 464,07 € ausmachte. Davon gehen 23,5 Prozent für die Finanzierung der Krankenversicherung und 76,5 Prozent für die Finanzierung der Pensionsversicherung auf – unabhängig davon, ob sich geringfügig beschäftigte Personen selbst versichern. Da dieser Betrag unabhängig vom Entstehen eines Sozialversicherungsverhältnisses vom Dienstgeber zu bezahlen war, hat der Verfassungsgerichtshof dies als verfassungswidrig aufgehoben. Daher ist heute diese Änderung notwendig. Nun wird es als
Bundesrat | 696. Sitzung / Seite 15 |
Abgabe definiert, und
im Prinzip erhöht das die Arbeitskosten auch für geringfügig Beschäftigte und
ist auch eine Geldbeschaffung für die Kranken- und Pensionskassen.
Ich möchte
allerdings betonen, dass ich dafür bin, Arbeitgeberbeiträge zu bezahlen, wenn
sich der geringfügig Beschäftigte selbst auch versichert. Jetzt ist es aber so,
dass man das für alle bezahlen muss, unabhängig von der Versicherung des
geringfügig Beschäftigten.
In der Praxis ist
es auch so, dass viele Frauen und Männer geringfügig beschäftigt sein möchten
und dann keinen Beitrag zahlen, weil es momentan mehr Geld bringt. Wenn diese
Personen dann in Pension gehen möchten, erkennen sie oft, dass dies ein Fehler
war, aber dann ist es meistens zu spät. Das ist meiner Meinung nach die
Entscheidung dieser Personen. Ich glaube, dass es wichtig ist, dass die Politik
Rahmenbedingungen schafft, aber dem Einzelnen die Entscheidung selbst
überlässt. Wir müssen die Mündigkeit des Bürgers auch anerkennen!
Abschließend
möchte ich noch erwähnen, dass wir heute im Rahmen dieser Änderung sehen, wie
notwendig und wichtig es ist, Regierungsvorlagen und Gesetze gründlich
durchdacht vorzulegen und dann zu entscheiden. – Besten Dank! (Beifall
bei der ÖVP und den Freiheitlichen. – Ironische Heiterkeit bei der SPÖ.)
12.34
Präsident
Herwig Hösele: Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat
Harald Reisenberger. Ich erteile es ihm.
12.34
Bundesrat
Harald Reisenberger (SPÖ, Wien): Herr Präsident! Herr
Vizekanzler! Herr Staatssekretär! Frau Kollegin Giesinger! Sie verstehen
nicht, warum man so negative Beispiele bringt, wie Kollegin Kainz es getan
hat? – Das ist ganz einfach: Weil es sie gibt, und weil wir daher die
Chance gehabt hätten, darauf zu reagieren! Und genau darum geht es uns! (Beifall
bei der SPÖ und den Grünen.)
Pauschalierte
Abgaben für Dienstgeber bei geringfügiger Beschäftigung, so ist der Titel. Ich
möchte darauf aufmerksam machen, dass derzeit über 200 000 Menschen
geringfügig beschäftigt sind. Das ist keine geringe Anzahl, und diese Vorgaben
sind eher dazu angetan, dass sich diese Zahl noch erhöht.
Der
Verfassungsgerichtshof sagte bereits vor einem Jahr, dass bis 31. März
2003 die pauschalierte Abgabe im ASVG nicht mehr als solche tituliert werden
darf. Was aber hat die Regierung gemacht? – Sie hat die Zeit tatenlos
verstreichen lassen.
Die SPÖ-Fraktion
hat den Antrag eingebracht, dass Dienstgeber den gleichen Beitrag wie
Dienstnehmer zahlen sollten. Das wäre, glaube ich, auch in Ihrem Interesse,
nach dem, was Sie gerade vorher bekundet haben. Der Zweck dieses unseres
Antrages ist auch, dass der Anreiz, billige Arbeitnehmer zu beschäftigen,
genommen wird. Menschen sollen nicht immer mehr geringfügig, sondern in
Vollzeitarbeit beschäftigt werden. Es ist heute schon gesagt worden: Wenn man
in die Pension kommt, weiß man genau, dass diese Zeiten zwar vielleicht
kurzfristig angenehm, weil weniger mit Abgaben belegt, sind, dass sich das
aber dann oft sehr negativ auswirken kann.
Der Antrag, den die ÖVP eingebracht hat, bedeutet, dass es so bleibt, wie es war, mit allen negativen Punkten, die es gibt. Gerade da hätten wir die Chance gehabt, Änderungen vorzunehmen. Eine Änderung ist nur insofern gegeben, als die Abgabe aus dem ASVG genommen wird. Dass vor allem und in erster Linie Frauen betroffen sind, ist, so glaube ich, jedem hier klar. Dass das auch Auswirkungen auf die Pensionsreform hat, ist logisch. Wenn man sagt: Okay, ich zahle freiwillig ein, ich zahle freiwillig Pensionsversicherung weiter, dann heißt das aber auch – gerade für junge Menschen; und da hören wir immer, Herr Vizekanzler, dass Sie für diese Gruppe soviel machen möchten, dass Sie diese besonders absichern möchten –, dass die Deckelung von 10 Prozent für den Durchrechnungszeitraum, die es zurzeit noch gibt, mit dem Jahr 2028 aufgehoben wird. Das bedeutet im Klartext nichts anderes als große Verluste für
Bundesrat | 696. Sitzung / Seite 16 |
junge Menschen, für diejenigen, die heute 30, 35 Jahre alt sind. –
Soviel zur Sicherung der Pensionen für Junge.
Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Die Politikerpensionen sehen für diese Regierung,
zumindest im tiefsten Inneren, offensichtlich ganz anders aus. Wie anders kann
man sich sonst den Vorschlag erklären, für Politiker Frühpensionen mit geringen
Abschlägen zu machen? Dann sagt der Freiheitliche Scheibner, dass das nur eine
„Trägerrakete“ sei, und gleich darauf wiederholt es Frau Ministerin Gehrer in
der „ZiB 2“ am Dienstag.
Meine sehr
verehrten Damen und Herren, recht herzlichen Dank für diese Aufklärung! Jetzt
weiß ich nämlich endlich, warum Sie so dringend die Abfangjäger benötigen:
offensichtlich für diese Trägerraketen! (Heiterkeit und Beifall bei der SPÖ
und den Grünen.)
Der Präsident des
Katholischen Familienverbandes, dem man zweifelsohne nicht nachsagen kann, dass
er uns Sozialdemokraten nahe steht, hat in einer Aussendung festgestellt: Die
geplanten Abfederungsmaßnahmen für Mütter sind reine Kosmetik, und
Teilzeitbeschäftigte gehen überhaupt leer aus. Die Bundesregierung war ein Jahr
lang in einer so wichtigen und von möglichen Lenkungseffekten gespickten Sache
untätig. – Das darf man nicht vergessen: Diese Regelung wäre gespickt mit
Lenkungseffekten! Aber die Bundesregierung war untätig, untätig auf Kosten der
Menschen, denen die Pension, wenn sie in 20, 25, 30 Jahren vielleicht in
Pension gehen können, um 25, 30 oder 40 Prozent gekürzt werden soll.
Wie Recht hatte
doch vorgestern bei unserer wirklich großartigen Demo ÖVP-Abgeordneter
Neugebauer, als er sagte, Pallas Athene, die griechische Göttin der Weisheit,
stehe leider für viele Abgeordnete nur vor dem Parlament! – Ich muss
ihm da völlig Recht geben! (Beifall bei der SPÖ und den Grünen.)
Die heutige
Regelung tritt erst mit 1. Juni 2003 in Kraft. Arbeitgeber ersparen sich
somit für die Monate April und Mai die Beiträge für ihre geringfügig
Beschäftigten. – Wieder ein Geschenk an die Arbeitgeber! Wunderbar! Die
Arbeitnehmer hingegen werden mehr und mehr belastet, um das Budget zu
frisieren, denn als verantwortungsbewusste Budgetpolitik kann ich diese Politik
nun wirklich nicht bezeichnen.
Der
Sozialversicherung entsteht ein Schaden in der Höhe von über
10 Millionen €. Konkret werden der Krankenversicherung
2 Millionen € und der Pensionsversicherung über 8 Millionen €
vorenthalten. Das sind ja keine Summen, bei denen man sagen kann: Was soll’s?
Dann sagt man: Die
Selbstverwaltung kann nicht wirtschaften! Ich behaupte, dass der Sozialversicherung
bewusst Schaden zugefügt wird.
Übrigens –
auch nur zur Erinnerung; ich nehme an, Sie wissen es ohnehin –: Die
Wirtschaft hat bei der Sozialversicherung zurzeit Schulden in Höhe von
11,6 Milliarden Schilling, davon sind 5 Milliarden
Arbeitnehmerbeiträge. (Bundesrat Konecny: Oh!) Das heißt, die Beschäftigten haben das Geld
bezahlt, und wo ist es? Wer kommt für diesen Schaden auf, meine sehr verehrten
Damen und Herren?
Wenn das
Verursacherprinzip wie in fast allen anderen Fällen angewandt würde, was in
unserem Rechtssystem eigentlich üblich wäre, wäre die Bundesregierung dafür
haftbar zu machen.
Rund 200 000
Menschen waren an diesem Dienstag auf den Straßen Wiens, und zwar nicht nur von
den Oppositionsparteien, meine sehr verehrten Damen und Herren!
Weichen Sie von
dieser unverantwortlichen und offensichtlich nur von der selbstherrlichen
Meinung einiger Regierungsmitglieder getragenen Politik gegen diese Menschen
ab! Hören Sie auf die Menschen! Es ist nicht die Straße, es ist nicht der Mob
der Straße, wie es der eine oder andere formulierte. Es sind Menschen, die in
Österreich arbeiten, Menschen, die in Österreich auch einmal ihre Pension
genießen wollen und die sich um diese gefoppt fühlen.
Bundesrat | 696. Sitzung / Seite 17 |
Meine Fraktion
wird in verantwortungsbewusster Art und Weise den Menschen gegenüber diesem
Gesetz natürlich nicht zustimmen. – Danke schön. (Beifall bei der SPÖ.)
12.41
Präsident
Herwig Hösele: Zu Wort gemeldet hat sich der Herr
Vizekanzler. Ich erteile es ihm.
12.41
Bundesminister
für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz Vizekanzler
Mag. Herbert Haupt: Sehr geehrte Damen und Herren!
Hohes Haus! Herr Präsident! Die vorliegende Gesetzesmaterie ist aus formalen
Gründen vom Höchstgericht aufgehoben worden. Die Klage wurde von einer ganzen
Reihe von nationalen und internationalen Firmengruppen eingebracht. Das Gesetz
wird in der gleichen Form, wie es im Übrigen von der sozialistisch geführten
Regierung 1998 eingebracht worden ist, nunmehr wieder eingeführt. (Bundesrat
Bieringer: Ach so! – Rufe bei der ÖVP: Schau! Schau!) Ich sage
das so, damit man weiß, welche Gesetzeslage hier fortgeschrieben wird.
Ich bitte meinen
Vorredner, der das Beispiel mit der Pallas Athene, das am Heldenplatz gebracht
wurde, im Sitzungssaal des Bundesrates zitiert hat, seine Aufmerksamkeit auf
die Statue selbst zu lenken. Er wird dann draufkommen, dass die Pallas Athene
deutlich und klar für jeden sichtbar mit dem rechten Fuß nach vor tritt und
nicht mit dem linken. (Beifall bei den Freiheitlichen.)
Sehr geehrter Herr
Kollege! Wenn Sie davon gesprochen haben, dass man auf die Menschen hören soll,
dann sollten Sie nicht vergessen, dass 80 Prozent der Österreicherinnen
und Österreicher überzeugt davon sind, dass wir eine Pensionsreform brauchen (Bundesrat
Konecny: Aber nicht diese!) und dass diese Reform so gemacht werden soll,
dass sie sozial verträglich und gerecht ist. (Bundesrat Konecny: Nein, wirklich nicht!)
Ich bin sehr
gespannt, sehr geehrte Damen und Herren von der Sozialdemokratie, ob die Äußerungen
Ihres Parteivorsitzenden Gusenbauer vom Jänner dieses Jahres, als er – in
den Medien nachlesbar – ein Volumen von einer Milliarde € als Ziel
der Sozialdemokratie bei der Umsetzung der Pensionsreform formuliert hat, als
er von Harmonisierung und der Schaffung eines Pensionskontos gesprochen hat,
als er ein leistungs- und beitragsorientiertes Recht harmonisiert für alle
vorgesehen hat (Bundesrat Konecny: Also das Gegenteil von dem, was Sie
machen!), als er
Durchrechnungszeiträume, die das gesamte Arbeitsleben umfassen, als gerecht
betrachtet hat, als er versicherungsmathematische Abschläge und
Steigerungsbeträge nach seiner goldenen Formel 65 Lebensjahre,
45 Beitragsjahre, 80 Prozent Bemessungsgrundlage, also einen
Steigerungsbetrag in der Höhe von 1,77 Prozent, als gerechtfertigt betrachtet
hat, auch tatsächlich in der parlamentarischen Debatte heute, morgen,
übermorgen und in den nächsten Jahren standhalten werden. (Bundesrat Gasteiger:
Herr Vizekanzler! Was sagt der Haider überhaupt dazu?)
Sehr geehrte Damen
und Herren! Gerade die Durchrechnungszeiträume sind ein entscheidendes Problem
jener Frauen, die in geringfügigen Beschäftigungen stehen. Wir alle sind uns
einig, dass sie allein von jenen Einkünften, die sie aus der geringfügigen
Beschäftigung beziehen, nicht leben können, sondern dass dies im Regelfall
Zusatzeinkommen sind für Tätigkeiten, die die Frauen neben der Kinderbetreuung,
weil ihnen die Kinder eben wichtig sind, verrichten. (Bundesrat Konecny: Geh bitte, das ist absurd!) Ich kenne sehr viele Beispiele aus
meiner Umgebung, Sie haben Beispiele aus Ihrer Umgebung angeführt. (Bundesrat
Konecny: 200 000! – Sind das die, die ein
bisschen etwas dazuverdienen? Ungeheuerlich!)
Es ist auch klar, dass es in der österreichischen Beschäftigungslandschaft immer wieder zu Missbräuchen des Sozialsystems kommt. Man sollte daher endlich alle Bemühungen der Sozialversicherungen fördern, die dahin gehen, eine Chip-Karte einzuführen. (Bundesrat Konecny: Chip-Karte! Oh je, der nächste Flop! – Bundesrat Gasteiger: Was sagt der Haider zur Pensionsreform?) Mit der Chip-Karte könnte man auch den monatlichen und vierteljährlichen Auskunftsverpflichtungen an die Versicherten, wie es im ASVG normiert ist, nachkommen, damit die Versicherten über ihren tatsächlichen Versicherungsstatus während ihrer Arbeitszeit und nicht erst am Ende ihres Arbeitslebens informiert werden. Somit könnten sie
Bundesrat | 696. Sitzung / Seite 18 |
rechtzeitig bei Fehlleistungen innerhalb des Systems, von wem auch immer,
reagieren und entsprechende Schritte zeitgerecht setzen und nicht erst zehn
oder 20 Jahre im Nachhinein, wenn keine Reparaturen mehr möglich sind. Ich
meine, dass die Transparenz des Systems und die Nachvollziehbarkeit durch den
einzelnen Versicherten wichtig sind.
Wir haben uns
gerade im Budgetausschuss mit den Kolleginnen und Kollegen der Sozialdemokratie
über die Schuldenstände in den Krankenversicherungen unterhalten. Dazu muss ich
sagen, wir haben nicht nichts getan, sondern wir haben gerade im Bereich der Überprüfung
der Lohnsteuer- und der Krankenversicherungsbeiträge die beiden Prüforgane des
Bundes und der Krankenversicherungsträger kurz geschlossen, damit wir in einem
Prüfungsvorgang alles überprüfen können: die Anmeldung, die
Krankenversicherung, die Pensionsversicherung und die Steuerleistungen, um so
endlich Schwarzarbeit im weitesten Sinn und Schattenwirtschaft in Österreich
gemeinsam massiv bekämpfen zu können.
Wenn Sie die
Abbuchungsverluste der so genannten Schulden der Wirtschaft bei der Sozialversicherung
anschauen – ich verweise auf die Aktion, die innerhalb der Wiener
Gebietskrankenkasse im letzten Jahr notwendig war, nämlich die Bereinigung der
Bilanzen –, dann werden Sie sehen, dass der Löwenanteil der ausgefallenen
Beitragsleistungen auf Insolvenzen und Haftungen von Geschäftsführern, die
nicht mehr greifbar sind und wo kein Vermögen zur Verfügung steht, zurückgeht.
Es handelt sich um so genannte uneinbringliche Schulden.
Ich darf auch
darauf hinweisen, dass es große Rückstände bei Firmen gibt, die die Krankenversicherungsbeiträge
für ihre Arbeitnehmer nicht abgeliefert haben. Die Überlegungen der Arbeitnehmervertretungen
in den Krankenversicherungen gingen dahin, dass man von Seiten der
Krankenversicherungen die Arbeitsplätze nicht durch Konkursverfahren gefährden
wollte, sondern man hat gehofft, durch Stundungen die Betriebe und damit auch
die Arbeitsplätze am Leben zu erhalten.
Das Problem ist
vielschichtiger, als es in der verkürzten Form durch Sie dargestellt wird. Ich
hoffe, dass wieder Seriosität in der Diskussion bei allen Beteiligten in allen
Gremien einkehrt und sich diese ihrer staatspolitischen Verantwortung bewusst
werden. (Beifall bei den Freiheitlichen. – Bundesrat Konecny: Ha! Ha! Ha! Herr Minister! Sie sind sehr unterhaltsam! Wissen
Sie, dass Sie über sich selbst lachen können, macht Sie sympathisch!)
Wir sind hier auf
parlamentarischer Ebene, und ich darf abschließend nochmals feststellen, dass
es nicht unsere Absicht war, den Versicherungsträgern einen Schaden in Höhe von
10 Millionen € zuzufügen, sondern es ist für jeden in Österreich
nachvollziehbar, dass nach den Wahlen, bis es zu der Bildung einer neuen
Regierung gekommen ist und die Verhandlungen zwischen den betroffenen Gruppen
und den Ministerien abgeschlossen werden konnten, leider einige Zeit vergangen
ist, sodass wir zwei Monate Interregnum hatten. Es ist aber leider nicht
möglich, ein Gesetz rückwirkend mit Datum des Erkenntnisses zu beschließen,
sondern es gilt erst ab Publikation des Beschlusses des Bundesrates. Dabei handelt
es sich eben um einen Verlust von zwei Monaten und 10 Millionen € für
die Sozialversicherungen. Das ist eben so, und ich glaube nicht, dass es
sinnvoll ist, das als absichtlich und mutwillig zu denunzieren. (Beifall bei
den Freiheitlichen und der ÖVP.)
12.49
Präsident
Herwig Hösele: Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat
Ing. Klamt. Ich erteile es ihm.
12.49
Bundesrat
Ing. Gerd Klamt (Freiheitliche, Kärnten): Herr
Präsident! Herr Vizekanzler! Herr Staatssekretär! Hoher Bundesrat! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Auf die Ausführungen meines Vorredners, des Bundesrates
Reisenberger, hat der Herr Vizekanzler bereits sehr ausführlich repliziert. Es
ist schon klar, dass die Pensionsfrage im Moment alle anderen Themen
überlagert, aber wer bei diesem Tagesordnungspunkt auf die Pensionsfrage zu
sprechen kommt, muss sich fast die Beurteilung „Thema verfehlt“ gefallen
lassen. (Beifall bei den Freiheitlichen. – Bundesrat Gasteiger: Oh!
Oh!)
Bundesrat | 696. Sitzung / Seite 19 |
Im Zuge des
gegenständlichen Tagesordnungspunktes befassen wir uns mit einer Änderung des
Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes. Die Änderung oder, besser gesagt, die
Reparatur wurde notwendig, weil der Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom
7. März 2002 Teile des § 53a ASVG als verfassungswidrig
aufgehoben hat. (Bundesrat Gasteiger: Einen Pfusch habt ihr gebaut!
Gib es zu!)
Die Grundidee der
nun aufgehobenen Regelung war positiv und wurde auch vom Verfassungsgerichtshof
nicht in Frage gestellt. In sozialpartnerschaftlichem Konsens sollten die
Dienstgeber über Sozialversicherungsbeiträge in die Pflicht genommen werden, um
Missbrauch bei Arbeitsverhältnissen mit geringfügig Beschäftigten
hintanzuhalten. Der Verfassungsgerichtshof beanstandete lediglich, dass die
Kompetenztatbestände für die an und für sich gut gemeinte Regelung weder im
Sozialversicherungswesen noch im Abgabewesen Deckung fänden. Die nun
vorliegende Regelung sieht eine pauschalierte Abgabe für Dienstgeber
geringfügig Beschäftigter vor, die dem Sozialversicherungszweck
Pensionsversicherung, Krankenversicherung zugeordnet wird. Damit wird
einerseits dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes formalrechtlich
entsprochen und andererseits die ursprüngliche Idee nicht aus dem Auge
verloren.
Tatsache ist,
meine sehr verehrten Damen und Herren, dass sich die Arbeitswelt in einer wirklich
rasanten Entwicklung befindet, die sich durch immer härter werdenden Wettbewerb
auszeichnet. Der Einfallsreichtum der Unternehmen in Richtung Kostensenkung
ist damit sehr verständlich, aber – das gebe ich zu – nicht immer
akzeptabel. Langfristig gesehen hilft man aus meiner Sicht den Unternehmungen,
wenn man verhindert, dass aus Gründen kurzfristiger Kostenreduktion geringfügig
Beschäftigte Teil- und Vollzeitbeschäftigte ersetzen. Geordnete
Arbeitsverhältnisse und damit auch zufriedene Mitarbeiter sind aus meiner Sicht
unabdingbar für optimale Arbeitsleistung und auch für eine positive
Wirtschaftsentwicklung. In diesem Sinne findet dieser Tagesordnungspunkt die
freiheitliche Zustimmung. (Beifall bei den Freiheitlichen und bei
Bundesräten der ÖVP.)
12.53
Präsident
Herwig Hösele: Zu Wort gemeldet hat sich Herr
Bundesrat Stefan Schennach. Ich erteile ihm dieses.
12.53
Bundesrat
Stefan Schennach (Grüne, Wien): Sehr geehrter Herr
Präsident! Sehr geehrter Herr Vizekanzler! Herr Staatssekretär! Meine Damen und
Herren! Gratulation, Herr Vizekanzler, zu diesem sensationellen argumentativen
Slalom. Sie haben hier etwas argumentiert, das eigentlich kaum argumentierbar
ist, aber Sie haben gezeigt, dass Sie ein guter Slalomläufer sind, und haben
uns hier einen Slalom vorgelegt, der aber nicht gewertet wird, Herr Minister!
Er wird nicht gewertet, er ist sozusagen außer Konkurrenz. (Beifall der
Bundesrätin Kerschbaum und bei der SPÖ.)
Tatsache ist, dass
es ein Reparaturgesetz ist. Zweite Tatsache ist, dass der Herr Bundespräsident
nach der Nationalratswahl eine provisorische Bundesregierung angelobt hat.
Weitere Tatsache ist, dass es bis zur Bildung der neuen Bundesregierung
Sitzungen des Nationalrates gegeben hat. Es gab also genug Zeit, um einer
Verpflichtung, die durch den Verfassungsgerichtshof dem Parlament auferlegt
wurde, auch nachzukommen.
Wenn Sie nun
sagen, wir mussten abwarten, bis wir eine Regierung hatten, und jetzt kommt das
in der Form und in der Schnelligkeit, dann muss ich dem entgegenhalten: Das ist
unrichtig! Diese Frist war nicht gestern, war nicht vorgestern, war nicht erst
seit einer Woche bekannt.
Frau Kollegin
Giesinger! Sie haben es dem Herrn Minister und jenen, die es gemacht haben,
heute ins Stammbuch geschrieben. Sie haben gesagt: Die Gesetze müssen gründlich
durchdacht werden. Sie haben also massive Kritik an jenen geübt, die dieses
Gesetz ausgearbeitet haben, das vom Verfassungsgerichtshof aufgehoben wurde. (Bundesrat
Konecny: Die Initiativanträge waren nicht
schlecht!)
Im Herzen verstehe ich die Kritik der SPÖ. Wir werden trotzdem dieser Reparatur zustimmen, weil es notwendig ist, dass etwas geschieht, dass diese Frist auch eingehalten wird. Allerdings
Bundesrat | 696. Sitzung / Seite 20 |
weise ich nichts von dem, was wir heute an Kritik daran gehört
haben, zurück, sondern ich bestätige diese Kritik. Wer hat denn jetzt die
Option? – Jetzt haben die geringfügig Beschäftigten –
440 € Einkommen – die Option. Geringfügig beschäftigt heißt
geringfügiges Einkommen, heißt wenig Einkommen. Und jetzt habe ich wenig
Einkommen und muss optionieren, und zwar für die Pensionsversicherung und für
die Krankenversicherung. Ich habe die Wahl zwischen wenig und nichts. Und genau
in dieser Situation entlasse ich den Arbeitgeber aus der Verantwortung, der in
diesem Fall nicht aus der Pflicht genommen werden kann.
Wenn Herr Kollege
Klamt meint, wer bei diesem Thema auf die Pensionsversicherung zu sprechen
komme, hat das Thema verfehlt, dann muss ich sagen: Herr Klamt, Sie haben das
Thema nicht erkannt! (Beifall der Bundesrätin Kerschbaum und bei der
SPÖ.)
Geringfügig
beschäftigt sind – das haben wir heute schon gehört – in der Mehrzahl
Frauen, aber auch immer mehr Jugendliche, die unter Druck kommen und
geringfügige Beschäftigungen annehmen. Nun kommt die Pensionsreform –
heute findet der „Runde Tisch“ statt – mit ihrem 40-jährigen
Durchrechnungszeitraum. Es ist nicht so, Herr Minister Haupt, dass wir hier ein
Gesetz machen für geringfügig Beschäftigte, und zwar ausschließlich für jene
Frauen, die Kinderbetreuungsgeld beziehen. Das ist eine Gruppe, aber es gibt
viele. Es gibt Jugendliche, Studierende, Männer und Frauen, die heute zum Teil
die Geringfügigkeit, auf Grund welcher Lebensumstände auch immer, wählen oder
in die Geringfügigkeit auf Grund mangelnder Arbeitsplatzmöglichkeiten gezwungen
werden.
Mit der
Pensionsreform, die Sie vorhaben, schaffen Sie die Ausgleichszulagenempfänger
der Zukunft. Diese Geringfügigkeit ist das Problem, ist das Pensionsproblem der
Zukunft, Herr Ing. Klamt! Sie können nicht sagen, dass das irgendetwas mit
„Thema verfehlt“ zu tun hat. Sie haben das Thema nicht erkannt. Geringfügige
Beschäftigung, Teilzeitbeschäftigungen und alle Formen von prekären
Arbeitsverhältnissen werden in 20, 30 Jahren die Pensionsversicherungen
und vor allem das soziale System in Österreich vor Riesenprobleme stellen.
Heute schaffen wir ein weiteres Puzzle in diesem Problembereich. (Bundesrat
Ing. Klamt: Habe ich gesagt!) Sie haben
gesagt, wer heute über Pensionsversicherungen redet, hat das Thema verfehlt.
Und das stimmt einfach nicht. (Bundesrat Ing. Klamt: Die
Vollzeitbeschäftigung soll das Ziel sein! – Bundesrat Gasteiger: Das müsst
ihr der Bundesregierung sagen!) – Ja, Vollzeitbeschäftigung sollte das
Ziel sein. Wir alle wissen, dass wir heute Arbeitszeiten anders verteilen
müssen und auch wollen. Und viele Menschen haben in ihrem Leben auch andere
Optionen. Aber wir müssen schauen, dass niemand aus diesem System unserer
solidarischen Pensionsversicherung stürzt.
Herr Minister, Sie
haben heute einen „Runden Tisch“ initiiert. Sie und jeder einzelne FPÖ-Minister
könnten in kürzester Zeit zum Helden werden. Sie brauchen nur zu sagen: Es gibt
in der Regierung eine Nein-Stimme. Sie könnten das machen, Herr Minister Haupt,
Sie brauchen den Bundespräsidenten nicht. Sie treten auch hier mutig auf,
machen einen Slalom, wo keiner mehr gesteckt ist (Heiterkeit und Beifall der
Bundesrätin Kerschbaum und bei der SPÖ), und könnten genau das, was
die Mehrheit der österreichischen Bevölkerung denkt, dass diese Pensionsreform ...
(Bundesrätin Roth-Halvax: Wo haben Sie das her, dass das die Mehrheit ist?)
Liebe ÖVP! Sie
haben die Wahlen gewonnen, aber Sie haben mittlerweile die Mehrheit verloren.
Das ist Realität! (Beifall und Zwischenrufe
bei der SPÖ.) Ich empfehle Ihnen, sich einmal mit Ihrem
Bundesparteisekretariat in Verbindung zu setzen. Dort hat man die verschiedenen
Daten, dort weiß man das. Und wenn Sie schauen, wie viele Leute auch von den
christdemokratischen Gewerkschaftern am Heldenplatz waren, um den Heldenplatz
waren, dorthin gegangen sind, dann wissen Sie, es geht tief in Ihre Reihen.
Das ist Realität.
In dieser Situation könnte Herr Minister Haupt aus Kärnten aufstehen und sagen: So nicht! Wenn er das heute beim Bundespräsidenten tut (Bundesrat Konecny: Er wird wieder einen Slalom fahren!), dann ermöglicht er eine Option, mit den Sozialpartnern, mit der Opposition hier im Haus einen Weg zu gehen, denn niemand – niemand! – braucht diese übereilte Pensionsreform, wie sie derzeit diskutiert wird. (Bundesrat Boden: Das Budget braucht sie!) – Nur das Budget, aber mit Sicherheit nicht jene, die zum Handkuss gebeten werden, nämlich der ASVG-
Bundesrat | 696. Sitzung / Seite 21 |
Bereich. Dort holt man das große Geld, weil man es
ganz ... (Zwischenruf des
Bundesrates Mag. Himmer. – Bundesrätin
Roth-Halvax: Warum haben Sie es
nicht schon viel früher begonnen?) Herr Kollege Himmer! Selbst die Tabelle,
die die Bundesregierung ausgesandt hat (Bundesrätin
Roth-Halvax: Warum haben Sie es
nicht schon viel früher angefangen?), belegt Zahl um Zahl, dass es beim
ASVG-Bereich bis zum Jahre 2007 keinen Handlungsbedarf, keinen echten
Handlungsbedarf gibt. Das ist etwas, was Sie der Bevölkerung vormachen wollen,
dass es im ASVG Handlungsbedarf gebe. Es gibt ihn nicht! (Beifall bei der
SPÖ.)
Wenn Herr Minister
Haupt die Zielflagge sehen will, dann sollte er jetzt sagen: Nein, im
ASVG-Bereich ist dieser Bedarf nicht gegeben!
Herr Schöls, jener
liebe Kollege, der uns verlassen hat, der da hinten gesessen ist, wird als
alter christdemokratischer Gewerkschafter denken: Ich werde in der Pause
Kollegen Himmer sagen müssen, dass seine Zwischenrufe einfach falsch
waren. – Ich danke Ihnen! (Beifall der Bundesrätin Kerschbaum
und bei der SPÖ.)
13.03
Bundesrat | 696. Sitzung / Seite 22 |
Präsident
Herwig Hösele: Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat
Manfred Gruber. Ich erteile es ihm.
13.03
Bundesrat Manfred Gruber (SPÖ, Salzburg): Sehr geehrter Herr
Präsident! Herr Vizekanzler! Herr Staatssekretär! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Herr Vizekanzler! Entschuldigen Sie, wenn ich Sie so direkt
anspreche, aber ich bekomme schön langsam ein Problem: Sie sind doch ein sehr
kompetenter Mann, und ich verstehe nicht, dass Leute, die Kompetenz anstreben
und auch Kompetenz bekommen, Kompetenz abgeben. Wenn ein Minister, der aus
seinem Ressort eine Gesetzesvorlage in den Nationalrat einbringt, auf einmal
nichts mehr oder fast nichts mehr damit zu tun haben will und einen
Bundespräsidenten als höhere Instanz anrufen muss, dann gibt er Kompetenz ab.
Ich frage mich: Warum sind Sie Vizekanzler geworden, warum haben Sie das Ressort
übernommen, wenn Sie gar keine Kompetenz haben wollen, wenn Sie diese an den
Herrn Bundespräsidenten abgeben? (Beifall bei der SPÖ.)
Entschuldigen Sie,
Herr Vizekanzler, Sie sind privat ein sehr netter Kerl, und Sie haben einiges
erlebt und ausgehalten, aber über Ihre Haltung in der Politik muss ich mich
wundern. Ich höre Sie oft im Originalton in der Früh, zu Mittag und am Abend,
und wenn ich dann versuche, die drei Sachen unter einen Hut zu bringen, dann
muss ich sagen, gibt es keinen so großen Hut, um all das darunter zu bringen,
was Sie im Laufe eines Tages alles sagen. Ich verstehe das nicht. Auf der einen
Seite habe ich das Gefühl, Sie sind ein Schönredner, auf der anderen Seite habe
ich das Gefühl, Sie sind mit Blindheit geschlagen, und weiters habe ich das
Gefühl, Sie leben in Ihrem Amt nur von Schuldzuweisungen gegenüber jenen, die
vor Ihnen regiert haben. Wenn Sie noch 20 Jahre hier sitzen, dann sind
noch immer die schuld, die vor 30 Jahren regiert haben. So kann es nicht
sein! (Beifall bei der SPÖ.)
Auch bei diesem
Gesetz, Herr Minister, haben Sie wieder Schuldzuweisungen gemacht. Vielleicht
sind Fehler passiert, überhaupt keine Frage, wir geben es auch zu, wir sind
ehrlich. Aber, Herr Minister, was hindert Sie daran, gescheiter zu werden? Es hat
einmal jemanden gegeben, der gesagt hat: Es kann mich niemand daran hindern,
gescheiter zu werden. Wenn Sie die Fehler und die Problematik erkannt
haben – und das haben Sie anscheinend, wenn man hört, wie Sie jetzt gerade
gesprochen haben –, dann frage ich Sie, warum machen Sie es nicht besser?
Warum machen Sie nicht die Politik für den kleinen Mann oder die kleine Frau,
wie Sie immer behaupten? (Beifall bei der SPÖ.)
Ich würde Ihnen
das empfehlen, Herr Vizekanzler! Das wäre Politik. Da hätten Sie auch unsere
Unterstützung. Aber, wie schon Kollege Schennach gesagt hat: Ständig auf der
Piste, ständig einen Torlauf fahren, leider hie und da ein Tor auslassen –
das muss ich auch dazusagen –, das kann es nicht sein! Wir laden Sie ein:
Machen Sie eine gute Vorlage! Wir stimmen zu. Aber diesem Slalom, Herr
Vizekanzler, können wir wirklich nicht zustimmen. – Danke. (Beifall bei
der SPÖ.)
13.06
Bundesrat | 696. Sitzung / Seite 23 |
Präsident
Herwig Hösele: Zu Wort gemeldet ist der Herr
Vizekanzler. Ich erteile es ihm.
13.06
Bundesminister
für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz Vizekanzler
Mag. Herbert Haupt: Sehr geehrte Damen und Herren! Ich
möchte auf meinen Vorredner ganz kurz replizieren, damit das auch
nachvollziehbar ist: Ich gebe keine Kompetenzen an den Herrn Bundespräsidenten
ab, sondern ich habe den Herrn Bundespräsidenten gebeten, beim heutigen „Runden
Tisch“ eine Mediation zu machen (Bundesrat
Gasteiger: Braucht die Regierung eine Mediation? Was ist das für eine
Regierung, die eine Mediation braucht?), um die festgefahrenen
Diskussionsfronten zwischen der Sozialpartnerschaft einerseits und Teilen des
Parlaments auf der anderen Seite wieder aufzuweichen.
Es hat mich gefreut, dass die Sozialpartnerschaft der Einladung vom
Herrn Bundeskanzler und mir für nächsten Montag bereits heute die Zusicherung
gegeben hat, damit der Dialog zwischen den Sozialpartnern und der
Bundesregierung weitergeht.
Ich darf Sie auch darauf hinweisen, Herr Kollege Schennach, dass nunmehr
die Pensionsreform im Parlament liegt und nicht mehr bei der Bundesregierung.
Die verfassungsmäßige Frage, die Sie damit releviert haben, können Sie sich
selbst beantworten, weil Sie als parlamentarischer Mitarbeiter lang genug dem
Hohen Hause angehören und die Kompetenz haben, sich das selbst und nicht dialektisch
zu beantworten.
Ich sehe in der jetzigen Rechtsmaterie, in der vorangegangenen
Rechtssituation und im internationalen Vergleich zwei Spannungsfelder. Mann
will geringfügige Beschäftigungen für jene schaffen, die diese geringfügigen
Beschäftigungen wollen. In der Bundesrepublik Deutschland geht man im Übrigen
einen anderen Weg. Dort ist die gesamte Befreiung für diese Billigjobs, die es
dort in einem höheren Ausmaß gibt als in Österreich, nicht nur
Diskussionsthema, sondern auch Tatsache, weil man dort der Arbeitslosigkeit mit
anderen Überlegungen und anderen Mitteln gegenübertritt.
Die Alternative zur heutigen Gesetzesmaterie – das hat Kollege
Schennach klar erkannt – wäre ein unbefriedigender Zustand, weil nämlich
jene, die mit geringfügiger Beschäftigung auch keine geringfügigen
Beschäftigungszeiten für die Pensionsversicherung nachweisen können, dann, wenn
etwas in ihrer Lebensplanung schief geht, nicht einmal den Ausgleichszulagenrichtsatz
zur Lebensexistenzsicherung bekommen würden. Da ist überhaupt nichts vorhanden,
weil es ohne Beitragsleistungen auch keine Pensionsversicherung gibt und im
österreichischen System ausschließlich die Sozialhilfe und sonst nichts
vorhanden wäre.
Ich sehe es auch nicht so negativ wie die Vorrednerin, dass sich die
Bundesregierung bemüht, zur Absicherung einer Grundversorgung in Österreich die
gemeinsamen Bemühungen der Länder, des Bundes und der Gemeinden so zu
koordinieren, dass mit dem vorhandenen Geld neben der Grundsicherung, die der
Ausgleichszulagenrichtsatz festschreibt, auch für jene, die davon nicht
berücksichtigt sind, endlich die Lücke geschlossen wird, die es in Österreich
noch aus der Vergangenheit gibt, als man sich Sozialleistungen abkaufen konnte.
Wenn die Lebensplanung schief gegangen ist – etwa bei Scheidung,
vorzeitigem Tod des Lebenspartners oder anderen Dingen mehr, die in der
Arbeits- und in der Beschäftigungswelt geschehen –, hatte das zur Folge,
dass jemand auf einmal in mittleren und höheren Lebensjahren gänzlich ohne
soziale Absicherung dagestanden ist.
Daher glaube ich, dass es kein Kompetenzverlust ist, diese Bemühungen
gemeinsam fortzusetzen, sondern im Gegenteil, die Diskussionsbasis wird damit
wieder geschaffen. Es wird, sehr geehrter Kollege aus Salzburg, kein Abtreten
der Kompetenzen geben. Jeder hat seine staatspolitische Verantwortung zu
übernehmen: die Regierung ihre, das Parlament seine. Eine Vermischung der
staatspolitisch und verfassungsmäßig sinnvoll geteilten Kompetenzen wird es
weder am „Runden Tisch“ noch sonst wo geben, denn eine Nebenregierung, die
nicht gewählt ist, ist das Schlechteste in einer Demokratie. (Beifall bei
den Freiheitlichen und der ÖVP. – Bundesrat Manfred Gruber: Die haben ja Sie ins Leben gerufen, diese
Nebenregierung! Sie wollen ja den „Runden Tisch“! – Weitere Zwischenrufe
bei der SPÖ.)
13.10
Präsident
Herwig Hösele: Wünscht noch jemand das
Wort. – Herr Bundesrat Ing. Klamt, ich erteile Ihnen das Wort.
13.10
Bundesrat Ing. Gerd Klamt (Freiheitliche, Kärnten): Hoher
Bundesrat! Herr Kollege Schennach hat mich persönlich angesprochen. Ich darf
ihn beruhigen: Ich verstehe die Thematik, und ich verstehe es auch sehr gut,
dass man bei diesem Punkt gerne auf das Pensionsthema zu sprechen kommt, weil
es gewisse Kreuzungspunkte gibt. Aber trotzdem ist mir dazu eine Geschichte
eingefallen, nämlich jene, dass sich ein Prüfling in Naturgeschichte nur mit
dem Thema Würmer auseinander gesetzt hat. Als der Prüfer ihn nach den Löwen
fragt, führt er aus, dass der Löwe einen wurmähnlichen Schwanz hat, und setzt dann
fort: Die Würmer teilt man ein ... – Das zu dieser Sache. (Beifall
bei den Freiheitlichen. – Bundesrat Schennach:
Aber, Herr Kollege Klamt, auch der Löwe wird irgendwann von Würmern
gefressen! – Heiterkeit bei der SPÖ.)
Ich bin bei Ihnen, Herr Kollege Schennach, dass die Pensionsthematik
sehr wichtig ist, und ich begrüße es auch, dass man versucht ist, bei jedem
Punkt der Tagesordnung dazu zu sprechen. Vielleicht ist es die Sache auch wert.
(Bundesrat Gasteiger: Nicht einmal der Koalitionspartner hört Ihnen zu!)
Ich bin auch bei vielen hier im Hause, die sagen, dass wir im ASVG-Bereich den
geringsten Handlungsbedarf haben. Dazu stehe ich auch. In diesem Bereich
funktioniert der Generationenvertrag, deswegen sollte auch das ASVG das Maß der
Dinge werden. Ich wünsche mir zu dieser Pensionsthematik auch eine andere
Prioritätensetzung: zunächst Privilegienabbau, dann Harmonisierung und bei der
Reform eine breite Basis. (Beifall und Bravorufe bei der SPÖ sowie Beifall
der Bundesrätin Kerschbaum.)
Meine sehr verehrten Damen und Herren des Bundesrates! Der Herr
Vizekanzler ist mit seiner Forderung nach einem „Runden Tisch“ eindeutig auf
dem richtigen Weg, und ich hoffe, dass alle konstruktiven Kräfte ihm folgen. (Beifall
bei den Freiheitlichen.)
13.13
Präsident Herwig Hösele: Zu Wort gemeldet ist Frau
Bundesrätin Roswitha Bachner. Ich erteile es ihr.
13.13
Bundesrätin
Roswitha Bachner (SPÖ, Wien): Geschätzter Herr
Präsident! Herr Vizekanzler! Herr Staatssekretär! Geschätzte Damen und Herren!
Ich möchte mich gleich meinem Vorredner anschließen. Ich halte das auch für
eine sehr gute Idee, egal, ob das jetzt ein Mediator für die Regierung ist oder
nicht. Ich als Vertreterin in erster Linie des Österreichischen Gewerkschaftsbundes
bin froh darüber, dass es zu dem heutigen „Runden Tisch“ kommt. Das ist genau
die Form, die wir schon seit langem gefordert haben. Es war eine unserer Ideen,
dass wir gesagt haben, bei einem solch wichtigen Thema, wie es die Sicherung
des Pensionssystems, auch für die Jugend, darstellt, ist es notwendig, dass
sich alle Parteien gemeinsam mit den Sozialpartnern zusammensetzen, und in
Ruhe und zukunftsorientiert über diese Thematik diskutieren. Das kann man weder
in kurzer Zeit machen noch unter dem Aspekt, dass man gewisse Beträge für das
Budget hereinbringen muss.
Wenn man es wirklich ernst meint mit dem System, dann sollte man genau
diesem Ansatz nachgeben. Ich hoffe, dass es wenigstens hier in diesem Saal zu
einem Einverständnis kommt. Ich hoffe, dass uns dieses Thema wirklich wichtig
ist und dass wir eine Einigung herbeiführen können und dass auch die Partner,
die heute Nachmittag zusammensitzen werden, zu dieser Erkenntnis kommen.
Das Thema, das wir gerade jetzt bei dem vorliegenden Entwurf behandelt haben, ist eines der wesentlichsten dabei, weil eine der Grundlagen für das Pensionssystem natürlich auch die Einbeziehung aller Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ist. Das heißt, die Problematik des Pensionssystems ist genau die, dass in Wahrheit der Arbeitsmarkt die Grundlage dafür ist, dass es auch im Umlagesystem funktioniert. Deshalb ist es nicht unwesentlich – ganz im Gegenteil,
Bundesrat | 696. Sitzung / Seite 24 |
und da bin ich bei Kollegen Schennach –, dass wir die in
rasanter Zahl zunehmenden prekären Arbeits- und Dienstverhältnisse eindämmen,
denn sonst werden wir die Problematik und die Diskussion am laufenden Band
haben. (Beifall bei der SPÖ.)
Es gibt noch viele
andere Faktoren, die dabei zu berücksichtigen sind. Deshalb ist auch dieser
Zeitdruck eine Katastrophe. Dabei geht es auch um die Harmonisierung der Systeme.
Das wird so leicht gesagt, es wird immer gesagt, es müsse schnell geschehen.
Das kann gar nicht passieren. Jemand, der nur halbwegs eine Ahnung von den
einzelnen Systemen hat, weiß, was das beinhaltet und welche Zeitabläufe
notwendig sind, um menschengerechte Systeme zu schaffen, die die Zukunft der
Menschen sichern. All diese Dinge sind zu berücksichtigen, ohne dass einem
vorgeworfen wird, man wolle etwas verhindern oder verzögern. Dieser Verantwortung
müssen wir uns als Mandatare einfach bewusst werden. (Beifall bei der SPÖ.)
Deshalb hoffe ich
sehr – ganz egal, wo die Pallas Athene momentan steht –, dass heute,
egal, ob in diesem Raum oder an dem Ort, wo der „Runde Tisch“ stattfindet,
diese Einsicht in den Köpfen Platz greift. Mit dem linken oder dem rechten Fuß
kann ich Ihnen nicht Recht geben, denn Sie als Mediziner, wenn auch
Tiermediziner, müssen wissen, dass sich die Gliedmaßen nur dann bewegen, wenn
das Hirn funktioniert. Und das wünsche ich mir für den heutigen Tag. –
Danke schön. (Beifall bei der SPÖ und den Grünen.)
13.17
Präsident
Herwig Hösele: Weitere Wortmeldungen liegen nicht
vor.
Wünscht noch
jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall.
Die Debatte ist
geschlossen.
Wird von der
Berichterstattung ein Schlusswort gewünscht? – Dies ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Abstimmung.
Ich bitte jene
Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den vorliegenden
Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein
Handzeichen. – Es ist dies Stimmenmehrheit.
Der Antrag, keinen
Einspruch zu erheben, ist somit angenommen.
3. Punkt
Beschluss des
Nationalrates vom 29. April 2003 betreffend ein Bundesgesetz über Mediation
in Zivilrechtssachen (Zivilrechts-Mediations-Gesetz – ZivMediatG) sowie
über Änderungen des Ehegesetzes, der Zivilprozessordnung, der
Strafprozessordnung, des Gerichtsgebührengesetzes und des
Kindschaftsrechts-Änderungsgesetzes 2001 (24 und 47/NR sowie 6780/BR der
Beilagen)
Präsident
Herwig Hösele: Wir gelangen nun zum 3. Punkt
der Tagesordnung: Bundesgesetz über Mediation in Zivilrechtssachen
(Zivilrechts-Mediations-Gesetz) sowie über Änderungen des Ehegesetzes, der
Zivilprozessordnung, der Strafprozessordnung, des Gerichtsgebührengesetzes und
des Kindschaftsrechts-Änderungsgesetzes 2001.
Die Berichterstattung
hat Frau Bundesrätin Johanna Auer übernommen. Ich bitte um den Bericht.
Berichterstatterin
Johanna Auer: Hohes Haus! Ich bringe den Bericht
des Justizausschusses über den Beschluss des Nationalrates vom 29. April
2003 betreffend ein Bundesgesetz über Mediation in Zivilrechtssachen –
Zivilrechts-Mediations-Gesetz – sowie über Änderungen des Ehegesetzes, der
Zivilprozessordnung, der Strafprozessordnung, des Gerichtsgebührengesetzes und
des Kindschaftsrechts-Änderungsgesetzes 2001.
Bundesrat | 696. Sitzung / Seite 25 |
Der Bericht liegt
Ihnen in schriftlicher Ausfertigung vor.
Der
Justizausschuss stellt nach Beratung der Vorlage am 13. Mai 2003 mit
Stimmeneinhelligkeit den Antrag,
keinen Einspruch zu erheben.
Präsident
Herwig Hösele: Ich danke für den Bericht.
Wir begrüßen den Herrn
Bundesminister, der für die Vorlage zuständig ist (Beifall bei der ÖVP und
den Freiheitlichen), und gehen in die Debatte ein.
Zu Wort gemeldet
ist Herr Bundesrat Dr. Andreas Schnider. Ich erteile es ihm.
13.19
Bundesrat Dr. Andreas Schnider (ÖVP,
Steiermark): Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Bundesminister! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Mediationsverfahren werden in Europa in zunehmendem
Maße und in einer Vielzahl von Bereichen durchgeführt. Daran, dass sich die EU
mit Mediation und ihren Verfahren beschäftigt und sich dessen auch angenommen
hat, können wir eindeutig sehen, welch große Bedeutung diesem Anliegen zukommt
und in Zukunft noch mehr zukommen muss.
In Österreich hat
man bereits positive Erfahrungen mit der Anwendung von Mediation in Familien-
und Sorgerechts-Angelegenheiten gemacht. Es gibt außerdem im österreichischen
Recht seit langer Zeit Ansätze und Methoden, Lösungen in rechtlichen
Streitigkeiten anders als durch den klassischen Richterspruch herbeizuführen;
beachten Sie das Instrument des Außerstreitverfahrens vor Gericht. Mediation
ist jedoch ein Verfahren außerhalb des Gerichts. Letztlich geben gerade die
erschreckend vielen Meldungen von der Überlastung der Gerichte meiner Ansicht
nach einen Hinweis darauf, dass wir uns auf den Weg nach neuen Methoden und
neuen Möglichkeiten machen müssen.
Doch kurz etwas
zur Charakteristik, damit man auch etwas zur Würdigung sagen kann: Mediation
basiert auf dem Gedanken, dass Lösungen in Konflikten dann optimal erarbeitet
werden können, wenn alle betroffenen Personen und Gruppen in ein Verfahren
einbezogen werden. Sie unterliegt dem Prinzip der freiwilligen Beteiligung der
Parteien. Schließlich obliegt die moderierende Verfahrensleitung einem
allparteilichen, neutralen Dritten. Das Verfahren ist durch Transparenz nach
innen, aber auch durch Vertraulichkeit nach außen gekennzeichnet. Es
wird – und ich glaube, das muss man hier hinzufügen – in der
Mediation auf kein bestimmtes letztes Ergebnis hingearbeitet, sondern es wird
ein am Anfang offener Lösungsweg gemeinsam und selbstbestimmt von den Parteien
erarbeitet, wobei die Eigenverantwortlichkeit nicht angetastet wird.
Damit kommen wir
zur Würdigung. Die Gefahr der begrifflichen und inhaltlichen Unschärfe hat man
durch das nun vorliegende Mediationsgesetz für Österreich und auch für den
europäischen Kontext richtungsweisend gebannt. Es wurde – so sehe ich
es – ein präzises Regelungswerk geschaffen, das sich einer doppelten
Qualitätssicherung verschreibt: Erstens geht es um die Ausbildung der Mediatorinnen
und Mediatoren und zweitens um die Sicherung im Hinblick auf die Durchführung
von Mediationsverfahren. Ich denke, da werden einige Staaten insbesondere
innerhalb der Europäischen Union nachziehen.
Im vorliegenden
Mediationsgesetz geht es um Verfahren mit zivilrechtlicher Anknüpfung. Es zeigt
sich jedoch, dass die Prinzipien der Mediation bereits in Bereichen angewendet
werden, die nicht in den Regelungsbereich dieses Gesetzes fallen, eben gerade
Bereiche, die für uns Länder nicht uninteressant sind. Zum Beispiel:
Umweltmediation – denken wir an die Planung größerer Bauvorhaben –,
Verwaltungsmediation; Bereiche, in denen – das möchte ich hier im
Bundesrat noch einmal betonen – gerade aus Ländersicht Mediation große
Einsparungspotenziale bringen würde. Ich bin also zuversichtlich, dass das
Mediationsgesetz in punkto Sicherung eines Qualitätsstandards auch auf diese
Bereiche Auswirkungen haben wird.
Doch lassen Sie mich auf die Mediation noch tief greifender eingehen: Wir sehen auch in anderen Bereichen, dass diese Prinzipien angewandt werden. Im schulischen Bereich wird die
Bundesrat | 696. Sitzung / Seite 26 |
Ausbildung von Schülerinnen und Schülern, von Lehrerinnen und Lehrern zur
Konfliktlösung vorgenommen, dort reden wir von Schulmediation, und es sind gute
Erfolge erzielt worden. Allerdings zeigt sich an diesem Beispiel, dass es nicht
sinnvoll ist, auf eine pauschale Einordnung aller Anwendungsbereiche der
Mediation unter ein Mediationsgesetz hinzuarbeiten. Schülerinnen und Schüler
müssten sonst den gesetzlichen Anforderungen genügen, auch wenn sie –
unter Anführungszeichen – „nur“ in der Schule tätig werden.
Mediation wird
sogar zur Lösung von interkulturellen Konflikten herangezogen. So hat die
Europa-Universität Viadrina in Frankfurt im April 2003 ein Forschungskolleg ins
Leben gerufen, um Lösungsansätze für Konflikte in der deutsch-polnischen
Grenzregion zu erarbeiten. Mediatorische Mittel werden ebenso in der
Behandlung internationaler politischer Konflikte angewendet, auch wenn
manchmal fehlende Konsensbereitschaft zu einem Scheitern führt; wir brauchen
hier nur an die Vermittlungsmission der UNO im Irak zu denken.
Wo finden sich
mediatorische Prozesse in der Lösung nationaler politischer Konflikte? Wo finden
sie sich in unserem Umgang mit politischen Inhalten? – Politische
Prozesse, die gemeinsam von allen Parteien in einem Mediationsverfahren
stattfinden und von Lösungsorientierung anstelle von parteipolitischen
Eitelkeiten geprägt sind, sind sicherlich kürzer, kostengünstiger und
zielführender als ein starres Verfahren in eingefahrenen Mustern.
Die
Grundvoraussetzung für das Gelingen einer solchen neuen Politik ist allerdings
auch klar: Was nützt der schönste runde oder eckige Tisch, wenn keine
Konsensbereitschaft an ihm Platz nimmt, wenn in gewisser Weise nicht auch eine
Freiwilligkeit gegeben ist, wenn eben nicht von vornherein schon ein Ergebnis
angestrebt, sondern im Grunde die Weite der Diskussion zugelassen wird? Doch
wer wird am „Runden Tisch“ Platz nehmen, um den Konfliktparteien bei ihrem
Lösungsweg zu helfen? Wer soll also politischer Mediator sein? – Es ist
nicht damit gemeint, dass es nur in bestimmten Situationen, in denen es gerade
ansteht, plötzlich einen oder mehrere Mediatoren gibt, sondern hier ist auch
auf Qualität zu achten. Wie installiert man ein System der Qualitätskontrolle
für Mediation auch hier, am „Runden Tisch“ der politischen Auseinandersetzung?
Diese Fragen
müssten wir uns, so glaube ich, auch beim Österreich-Konvent stellen. Denn eine
Mediation an einem „Runden Tisch“ im Hinblick auf Politik ist keine
Nebenregierung, sondern ist eben außerhalb der Regierung, so wie dieses
Mediationsgesetz außergerichtlich zu sehen ist. Wir werden, wie ich gerade
festgestellt habe, heute noch über die Gewalt der Worte reden, aber ich denke,
in Richtung Mediation in der Politik gibt es schon einiges zu sagen. Einen
ausgezeichneten Beleg für ein nicht gerade positives Beispiel habe ich, wenn
ich an unsere Landtagssitzung in dieser Woche denke: Wenn Anfragen innerhalb
eines Parlaments eher einem politischen Pamphlet aus irgendeinem
Generalsekretariat gleichen, dann frage ich mich, was das für eine Sprache ist!
Bei Mediation stehen wohl an erster Stelle die Worte, die Sprache und die
Kultur, wie wir miteinander umgehen.
Die Erfolge, die
wir in Sorgerechts-Angelegenheiten mit Mediation erzielen, sollten für uns auch
hier richtungsweisend sein. In Sorgerechts-Angelegenheiten geht es darum, dass
behutsam mit den Anliegen des Kindes umgegangen wird, dass Eltern an das Kind
und nicht an ihre eigenen Belange denken! Würden wir uns öfter das Vertrauen,
das Bürger dieses Landes in uns setzen, und die Anliegen der Bürger
vergegenwärtigen und unsere parteipolitischen Rangeleien hintanstellen, dann
wäre uns schneller und kostengünstiger ein Erfolg beschieden.
Daher stimmen wir
dem zu, aber auch in die Richtung, dass es noch ein Stück weiter geht. Ich
denke, wir können hier – und ich hoffe, auch noch heute Nachmittag –
ein paar Schritte in diese Richtung setzen, sodass das ein erster Meilenstein
ist. Aber wenn wir etwas von den Bürgerinnen und Bürgern wollen, dann müssen
die Kriterien, die für Mediation gelten, erst recht hier in unserem Parlament
gelten! – Danke. (Allgemeiner Beifall.)
Bundesrat | 696. Sitzung / Seite 27 |
13.30
Präsident
Herwig Hösele: Zu Wort gemeldet ist Frau
Bundesrätin Anna Schlaffer. Ich erteile es ihr.
13.30
Bundesrätin
Anna Schlaffer (SPÖ, Burgenland): Sehr geehrter
Herr Präsident! Herr Bundesminister! Werte Kolleginnen und Kollegen! Trotz des
mit großer Leidenschaft vorgetragenen Vortrages meines Vorredners über
Mediation haben wir es beim vorliegenden Zivilrechts-Mediations-Gesetz mit der
Schaffung eines rechtlichen Rahmens für die Mediation zu tun, welche im
Interesse der Klientel, aber auch – und das ist der springende
Punkt – im Interesse fachlich ausgebildeter und qualifizierter Mediatoren
eine sichere Grundlage für die Nutzung einer erfolgreichen Methode
außergerichtlicher Konfliktregelung in Zivilrechtssachen gewährleisten soll. (Vizepräsidentin
Haselbach übernimmt den Vorsitz.)
In den letzten
Jahren hat sich in Österreich die Mediation neben der Psychotherapie zu einem
eigenen Beruf entwickelt. Sie findet erfolgreiche Anwendung in verschiedenen
Feldern wie im Sozialbereich, im Schul- und Bildungsbereich, auch – das
nehme ich an, Herr Dr. Böhm, da Sie das auch in Ihren Vorlesungen so
bringen – in der Wirtschaft als Methode für eine bewährte
Unternehmenspolitik, vor allem im klassischen Kernbereich, in Nachbarschafts-
und Umweltkonflikten sowie bei gerichtlichen Angelegenheiten und behördlichen
Stellen.
Wie ich vor
wenigen Minuten den Aussagen von Herrn Vizekanzler Mag. Haupt habe entnehmen
können, hat die Mediation auch Einzug in die Politik in Österreich gehalten;
zumindest sieht er die Rolle des Herrn Bundespräsidenten beim „Runden Tisch“
als die eines Mediators. Ich kann es dem Herrn Vizekanzler nicht persönlich
sagen, aber er sollte schon auch wissen, dass ein Mediationsprozess nur dann
erfolgreich verlaufen kann, wenn alle betroffenen und handelnden Personen auch
bereit sind, sich auf einen Mediationsprozess einzulassen. (Bundesrat Schennach:
Wollen! Sie müssen wollen!) Ohne die Bereitschaft, ebendiesen Prozess zu
durchlaufen, ist Mediation kaum als positive und erfolgreiche Konfliktregelung
möglich. Das sollte sich vielleicht auch der Herr Bundeskanzler zu Herzen nehmen.
In diesem
Zusammenhang möchte ich eine kürzlich von Herrn Staatssekretär Dr. Waneck
gemachte Aussage anlässlich der für 6. Mai angekündigten
Protestbewegungen zurückweisen: Wenn ein österreichischer Politiker in einem
Land, das zu den Vorzeigeländern eines demokratischen Staatsgefüges zählt,
mögliche Streiks in Verbindung mit einer Gefahr für Menschenleben bringt, so
missachtet er nicht nur das Recht des Volkes, sondern disqualifiziert sich auch
selbst als Politiker!
Obwohl Mediatoren
immer wieder über gute Erfolge ihrer Arbeit berichten, verrichten sie ihre
Tätigkeit auch in Österreich noch weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit.
Der Tätigkeit der Mediatoren wird – wie auch in vielen anderen sozialen
Handlungsfeldern – vielfach mit Skepsis begegnet, und es wird wenig
Vertrauen in ihre Nützlichkeit gesetzt. In Unkenntnis der Grundlagen der
Mediation, ihrer Anwendungsfelder, Abläufe und Erfolge sehen sich Mediatoren
aber oftmals auch mit übertriebenen Erwartungen an ihre Leistungsfähigkeit
konfrontiert. Ich habe in meiner beruflichen Laufbahn auch die Erfahrung der
missbräuchlichen Verwendung von Mediation gemacht, einerseits in Form der
Anmaßung – in meinem Bereich hauptsächlich von Rechtsanwälten –,
Mediation ohne fundierte Ausbildung anbieten zu können, andererseits durch
nicht sachgerecht angewandte und unprofessionell durchgeführte Mediation von
schlecht ausgebildeten Mediatoren.
Ich begrüße daher
das vorliegende Gesetz und sehe es als taugliches Mittel an, Mediation nicht
nur der Öffentlichkeit bekannt zu machen, sondern durch einen entsprechenden
rechtlichen Rahmen auch eine Qualitätssicherung und -entwicklung in den Fragen
der Ausbildung und Anwendung zu gewährleisten. Wie mein Vorredner bereits
erwähnt hat, ist im Strafrecht Mediation in Form des außergerichtlichen
Tatausgleiches schon seit vielen Jahren rechtlich verankert. Das vorliegende
Gesetz schafft nun eine sichere rechtliche Grundlage für die qualifizierte
Nutzung von Mediation zur Lösung von Konflikten, für deren Entscheidung an sich
die ordentlichen Zivilgerichte zuständig sind.
In diesem Bereich zählen die Scheidungen sicherlich zu den schwierigsten Konfliktfeldern. Im Jahr 1994 wurde Mediation als Pilotprojekt bei Trennung und Scheidung von Eltern an den
Bundesrat | 696. Sitzung / Seite 28 |
Bezirksgerichten Floridsdorf und Salzburg eingeführt. Der
erfolgreiche Verlauf dieses Projektes ist daher als Basis für die Entstehung
des vorliegenden Gesetzes zu sehen.
Da heute so viel
von Konfliktregelungen die Rede ist, möchte ich als Burgenländerin nicht unerwähnt
lassen, dass das internationale Friedensinstitut in Schlaining zu den
renommiertesten Instituten zählt, die sich mit Fragen der Vermittlung in
Konflikten, die das makrosoziale System im internationalen Bereich zum Feld des
Geschehens machen, beschäftigen. Es ist dies ein Institut, für das sein
Gründer, der vormalige Landesrat Dr. Mader, vor mehr als 20 Jahren belächelt
wurde und das heute international große Beachtung findet!
Ich hoffe daher,
dass das Zivilrechts-Mediations-Gesetz dazu beiträgt, dass die Mediation als
Instrument der Konfliktregelung in Zivilrechtssachen öffentliche Anerkennung
findet. Die Anerkennung meiner Fraktion ist sowohl der Mediation als auch
diesem Gesetz sicher. – Danke. (Allgemeiner Beifall.)
13.37
Vizepräsidentin
Anna Elisabeth Haselbach: Als Nächster zu Wort gemeldet ist
Herr Bundesrat Professor Dr. Böhm. – Bitte.
13.37
Bundesrat
Dr. Peter Böhm (Freiheitliche, Wien): Sehr geehrte
Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Geschätzte Damen und
Herren des Hohen Hauses! Bevor ich in die Sache eingehe, möchte ich mir
erlauben, dir, sehr verehrter Herr Bundesminister, auch von dieser Stelle, von
diesem Pult aus zum bevorstehenden runden Geburtstag sehr herzlich zu
gratulieren! (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP sowie des
Bundesrates Schennach.)
Zur Sache selbst
kann ich mich relativ kurz halten, weil ich mich da ganz auf der Linie der sehr
sachbezogenen Ausführungen meiner Vorrednerin und meines Vorredners bewege.
Die ursprünglich
dem angloamerikanischen Rechtskreis entstammende Mediation als eine spezifische
Form und Methode außergerichtlicher Vermittlung und Konfliktlösung ist
inzwischen auch bei uns fest verankert. Vorerst – auch das ist heute schon
erwähnt worden – wurde sie in einem Modellprojekt, an dem das Justizministerium
auch führend beteiligt war, auf dem Gebiete der Familienmediation erprobt, und
sie hat sich dort bewährt. Seither haben sich auch die Wirtschafts-, Umwelt-,
Verwaltungs-, Schulmediation und vieles mehr etabliert.
Bedauerlicherweise
ist es zugleich zu einem gewissen Wildwuchs auf der Angebotsseite des Marktes
gekommen. Dies hat es dringend geboten erscheinen lassen, für das Berufsbild
des Mediators rechtliche Rahmenbedingungen zu schaffen und insbesondere
verbindliche Richtlinien für die professionelle fachliche Ausbildung zu
erlassen. Damit ist in Zukunft die wünschenswerte Qualitätssicherung
gewährleistet.
Erstmals werden
für die Mediation auch materiell-rechtliche und verfahrensrechtliche Vorkehrungen
umfassend getroffen, soweit zur Entscheidung des Konflikts an sich die
ordentlichen Gerichte zuständig wären. Zu verweisen ist insbesondere auf die
Hemmung von Fristen durch die Aufnahme eines Mediationsverfahrens – also
dem Gerichtsverfahren vorgeschaltet – sowie vor allem auf die Absicherung
der nötigen Vertraulichkeit des Mediationsprozesses und der dabei von den
Beteiligten offen gelegten Informationen.
Freilich frage ich
mich persönlich ein wenig, ob nicht eine staatlich anerkannte Verschwiegenheitspflicht
mit der Möglichkeit der Entbindung des Mediators davon durch beide beziehungsweise
alle Medianten ausgereicht hätte, ob also, mit anderen Worten, das jetzt
vorgesehene absolute Vernehmungsverbot nicht doch etwas zu weit geht.
Man denke etwa an
nachfolgende Sorgerechtsstreitigkeiten, bei denen es stets um das vorrangige
Kindeswohl geht. Es könnte sein – das wird hoffentlich selten der Fall
sein –, dass in einem allenfalls vorangegangenen Mediationsverfahren
Umstände hervorgekommen sind, die bei der Zuteilung des Sorgerechts unbedingt beachtet
werden müssten.
Bundesrat | 696. Sitzung / Seite 29 |
Mir ist aber auch
klar, dass es ein dringendes Anliegen der Mediatoren selbst war, die Vertraulichkeit,
mit der ja der Kommunikationsprozess selbst und das Vertrauen darin steht und
fällt, institutionell so stark wie möglich zu verankern, und dass man diesem
verständlichen Wunsch entsprochen hat.
Ganz allgemein ist
dem Bundesministerium für Justiz einmal mehr zu einem gut gelungenen
Gesetzeswerk zu gratulieren, nicht zuletzt auch den beiden federführenden
Herren des Hauses, Herrn Sektionschef Dr. Hopf und dem Herrn leitenden
Staatsanwalt Dr. Stormann.
Die von ihnen
geleitete beratende Arbeitsgruppe, der ich selbst angehören durfte, hat in geradezu
vorbildlicherweise die betroffenen Berufsgruppen und Interessenverbände der
Mediatoren miteingebunden. Die Vorbereitung des Gesetzentwurfes hätte selbst
als geglücktes Beispiel eines Mediationsprozesses dienen können. Umso mehr
verdient es Respekt und Anerkennung, dass das Ministerium allzu großen
Begehrlichkeiten von Seiten der Interessenverbände nicht nachgegeben hat. Das
gilt vornehmlich für die Beibehaltung einer öffentlichen Zertifizierung, indem
der Bundesminister für Justiz für die Eintragung in die Liste dieser
Zivilrechtsmediatoren zuständig sein soll.
Eine Ausgliederung
dieser an sich hoheitlichen Funktion an einen derzeit gar nicht existierenden
bundesweiten Dachverband der Mediatoren, also gleichsam die
Selbstzertifizierung der Mediatoren, ist meines Erachtens mit Recht abgelehnt
worden. Die Eintragung, auf die bei Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen
ohnehin ein Rechtsanspruch besteht, wird in Verbindung mit den um einen hohen
Qualitätsstandard bemühten Ausbildungsrichtlinien dem Interesse der Klientel an
professioneller Betreuung dienen.
Aus all diesen
Gründen wird meine Fraktion dieser Vorlage gerne die Zustimmung
erteilen. – Ich danke. (Beifall bei
den Freiheitlichen.)
13.42
Vizepräsidentin
Anna Elisabeth Haselbach: Zu Wort
gemeldet hat sich Herr Bundesrat Manfred Gruber. – Bitte.
13.42
Bundesrat
Manfred Gruber (SPÖ, Salzburg): Sehr geehrte Frau
Präsidentin! Herr Bundesminister! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Meine
Vorredner haben bereits die Notwendigkeit und Wichtigkeit der Mediation
ausgeführt. Ich kann dem nur zustimmen und möchte anhand eines Beispieles eine
gewisse Problematik aufzeigen.
Wir haben im
Jahr 1999 im Gasteinertal im Zuge des zweigleisigen Ausbaus der
Tauernachse Nord eine Mediation begonnen. Das war mit einer großen Problematik
verbunden. Der Personenkreis bestand aus 40 bis 50 Personen aus dem
Bundesministerium für Verkehr, von den Österreichischen Bundesbahnen, der
Salzburger Landesregierung, der Gemeinden des Gasteinertales und von
Bürgerinitiativen. 40 bis 50 Personen sind an einem Tisch gesessen, und es
gab das Problem, in Österreich Mediatoren zu finden. Wir haben den Prozess
begonnen und diesen abbrechen müssen, weil die in Österreich vorhandenen
Mediatoren dieser technischen Anforderung, die noch zur rechtlichen
Anforderung dazu kam, nicht gewachsen waren.
Das Verfahren hat
bis zu diesem Zeitpunkt zirka 1 Million Schilling gekostet. Wir haben
dann einen zweiten Anlauf genommen mit Anleihen aus Deutschland und aus der
Schweiz, mit einem gewissen Professor Zilleßen aus Deutschland und Herrn
Dipl.-Ing. Thomas Flucher aus der Schweiz. Wir sind mit diesen Herren nach
zweieinhalb Jahren zu einem scheinbar verbindlichen Ergebnis gekommen. Die
ganze Problematik eines Tales, das vom Fremdenverkehr lebt, dessen Bahn
zweigleisig ausgebaut werden soll, um damit dem Lärm zu begegnen, ist dabei
herausgekommen – angefangen bei der Hotellerie, die Bahnlinien wünschen,
bis zu den Kurangeboten. Es war dies mit guten Mediatoren möglich, aber es
fehlen in Österreich speziell in dem Bereich, im technischen Bereich, im
Umweltbereich qualifizierte Mediatoren.
Wir haben das mit diesen beiden Herren zusammengebracht. Wir haben nach zweieinhalb Jahren ein Ergebnis gemeinsam unterschrieben. Mir, Herr Bundesminister, wäre das sehr wichtig,
Bundesrat | 696. Sitzung / Seite 30 |
weil es um Behördenverfahren, Umweltverträglichkeitsprüfungen geht.
Man geht in dem Verfahren so weit, dass man als Partei sagt: Wenn wir eine
Lösung finden, die wir alle unterschreiben können, dann verzichten wir unter
Umständen auch auf bestimmte Auflagen. – Den Verzicht bringt man ein, dann
wird unterschrieben. Wir alle wissen aber nicht – das hängt natürlich auch
mit den finanziellen Mitteln zusammen –, ob das Ergebnis in fünf Jahren,
in zehn Jahren oder in 15 Jahren umgesetzt wird.
Meine Bitte und
mein Wunsch wäre, nachdem das ein irrsinniger Aufwand war – es hat zweieinhalb
bis drei Jahre gedauert, es waren 40 bis 50 Leute dabei, man ist drei-,
viermal im Monat stundenlang beieinander gesessen – und in Summe 3,5 bis
4 Millionen Schilling gekostet hat, dass es auch eine rechtliche
Verbindlichkeit gibt, dass alle, die unterschrieben und teilgenommen haben,
die Parteien sind, letzten Endes dann auch verpflichtet werden, das
einzuhalten, was sie unterzeichnet haben.
Bei uns gibt es
jetzt die Ängste der Bürgerinitiativen. Man ist sich nicht mehr ganz sicher, ob
das eingehalten wird oder nicht. Meine Bitte wäre daher, formalrechtlich
vorzusorgen, dass es für die Parteien letzten Endes verpflichtend ist,
Lösungen, Entscheidungen, die man im Rahmen des Mediationsverfahrens getroffen
hat, einzuhalten. Ich würde Sie bitten, in dieser Richtung aktiv zu
sein. – Danke schön. (Beifall bei der SPÖ.)
13.46
Vizepräsidentin
Anna Elisabeth Haselbach: Herr Bundesminister, Sie sind am Wort. – Bitte.
13.46
Bundesminister
für Justiz Dr. Dieter Böhmdorfer: Frau Präsidentin! Meine sehr
geehrten Damen und Herren des Bundesrates! Ich möchte mich sehr herzlich für
die vielen engagierten Beiträge bedanken, die ich heute gehört habe und die die
Debatte im Nationalrat ergänzt und abgerundet haben.
Tatsache ist, dass
wir mit der Mediation rechtlich, indem wir ein neues Gesetz beschlossen haben,
insofern Neuland betreten haben, als wir das einzige Land in der Welt sind, das
ein solches Mediationsgesetz hat. Wir haben damit auch eine Herausforderung
durch unsere Legisten bewältigt, die dieses Gesetz, das allgemeine Anerkennung
findet, geschaffen haben. Dafür möchte ich mich ganz herzlich bei den
Mitarbeitern im Bundesministerium für Justiz bedanken. (Beifall bei den
Freiheitlichen.)
Ich bitte aber
auch die Vollständigkeit zu sehen. Wenn ich gesagt habe, wir haben das abgerundet,
so möchte ich Folgendes in Erinnerung rufen: Die Streitigkeiten bei Gericht
haben eine privatwirtschaftliche Konkurrenz durch die Schiedsgerichte, wobei
ich das sehr gerne betone, weil mir diese Konkurrenz noch zu wenig zum Blühen
gekommen ist. Hätten wir mehr zulässige Konkurrenz zwischen den öffentlichen
Gerichten einerseits und den Schiedsgerichten andererseits, dann wäre
vielleicht das eine oder andere Verfahren schneller abzuwickeln.
Wir haben die
Schlichtungen, die auch nicht mit Mediation zu verwechseln sind, weil die
Schlichtungen bedeuten, dass insbesondere Massenverfahren in einem
gerichtsähnlichen Verfahren manchmal auch ohne Willen der Beteiligten erledigt
werden können. Zum Beispiel ist das bei den Schlichtungsstellenentscheidungen,
wie wir sie im Mietrecht kennen, der Fall. Aber Schlichtungen sind, wie gesagt,
dort wesentlich und zweckdienlich, wo man gleichartige Verfahren hat, weil der
Schlichter sein Fachwissen besser verwenden kann.
Nun kommt die
Ergänzung durch die Mediation. Es freut mich besonders, dass das heute zu Recht
so herausgestrichen wurde, dass bei der Mediation die Beteiligten – das
können unendlich viele sein, und die Thematik kann unendlich verschieden
sein – selbst die Lösung finden. Das ist das Wesentliche daran, das ist
die Ergänzung, und das rundet unser Bemühen um eine möglichst konfliktfreie
Erledigung von Streitigkeiten wirklich ab.
Das, was Sie gesagt haben, Herr Bundesrat, ist völlig richtig: Was noch fehlt, ist der letzte Akt, nämlich die Verbindlicherklärung eines Mediationsergebnisses. Da kann ich Sie vorläufig nur an die Rechtsanwälte, an die Notare oder an wen auch immer verweisen, allenfalls auch an die Be-
Bundesrat | 696. Sitzung / Seite 31 |
zirksgerichte,
wo exekutierbare Vergleiche geschlossen werden können, aber ohne diese Berufsgruppen
kommt man nicht aus. Aber das ist eine gute Idee von Ihnen gewesen, dass man
bewusst auch von Seiten der Mediatoren daran denkt, diesen letzten Schritt noch
zu empfehlen, um nicht die eigene Arbeit selbst zu frustrieren. – Danke
schön. (Allgemeiner Beifall.)
13.49
Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Wünscht noch jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall.
Die Debatte ist geschlossen.
Wird von der Berichterstattung ein Schlusswort gewünscht? – Auch
das ist nicht der Fall.
Wir kommen daher zur Abstimmung.
Ich bitte jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen,
gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu
erheben, um ein Handzeichen. – Es ist dies Stimmeneinhelligkeit.
Der Antrag, keinen Einspruch zu erheben, ist somit angenommen.
4. Punkt
Beschluss des
Nationalrates vom 29. April 2003 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das
Jugendgerichtsgesetz 1988 und das Gerichtsorganisationsgesetz geändert werden (26
und 48/NR sowie 6781/BR der Beilagen)
Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Wir gelangen nun zum 4. Punkt der Tagesordnung:
Bundesgesetz, mit dem das Jugendgerichtsgesetz 1988 und das
Gerichtsorganisationsgesetz geändert werden.
Die Berichterstattung hat Herr Bundesrat Hagen übernommen. Ich bitte um
den Bericht.
Berichterstatter
Christoph Hagen: Ich bringe
den Bericht des
Justizausschusses über den Beschluss des Nationalrates vom
29. April 2003 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das
Jugendgerichtsgesetz 1988 und das Gerichtsorganisationsgesetz geändert
werden.
Der Bericht liegt
Ihnen in schriftlicher Form vor.
Der
Justizausschuss stellt nach Beratung der Vorlage am 13. Mai 2003 mit
Stimmenmehrheit den Antrag, keinen Einspruch zu erheben.
Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Ich danke für die Berichterstattung.
Wir gehen in die Debatte ein.
Zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Schlaffer. – Bitte.
13.51
Bundesrätin
Anna Schlaffer (SPÖ, Burgenland): Sehr geehrte
Frau Präsidentin! Herr Bundesminister! Meine Damen und Herren! Es wird Sie
wenig überraschen, dass ich nach meiner eher positiven Stellungnahme jetzt
keine positiven Aspekte zum vorliegenden Jugendgerichtsgesetz und
Gerichtsorganisationsgesetz finden kann. (Bundesrat Mag. Tusek: Schade!) Dieses Gesetz wird für mich zu den dunklen Kapiteln
österreichischer Justizpolitik zählen. (Zwischenrufe bei der ÖVP.)
Mit der nunmehr endgültig auch gesetzlichen Abschaffung des Jugendgerichtshofes Wien wird ein Stück österreichischen Erfolges mit hoher internationaler Anerkennung zu Grabe getragen – entgegen jeglicher fachlicher und wissenschaftlicher Erkenntnisse und entgegen den Stimmen sämtlicher Experten. Vorangegangen ist diesem Gesetzesbeschluss ein Schauspiel, das in aller
Bundesrat | 696. Sitzung / Seite 32 |
Öffentlichkeit
ausgetragen wurde und das weder eines Ministers der Republik Österreich noch
eines leitenden Beamten würdig ist.
Beim vorherigen
Tagesordnungspunkt, Herr Bundesminister, haben wir über Mediation als Methode
zur Konfliktbereinigung gesprochen. So wie Sie, Herr Minister, und Ihr
Ministerium den Konflikt mit dem beherzt um den Bestand eines erfolgreichen
Bestandteils des österreichischen Justizwesens kämpfenden Präsidenten des
Jugendgerichtshofes, Dr. Jesionek, geregelt haben, lässt das nicht einmal
annähernd mediatives Handeln erkennen. Es war durch und durch autoritäres
Handeln und reine Machtdemonstration. Das ist unwürdig und zum Schaden der
österreichischen Strafrechtsentwicklung. (Beifall bei der SPÖ und den
Grünen.)
Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Ich habe mich redlich bemüht, sowohl im Gesetzestext als
auch in den Erläuterungen fachlich qualifizierte Begründungen für die
Abschaffung des Jugendgerichtshofes Wien zu erkennen. Ich habe nichts gefunden,
was mir als plausible und unabdingbare Gründe erscheinen hätte können.
Wenn ich lese,
dass im Gegensatz zu anderen Gerichten der Jugendgerichtshof Wien weitaus
weniger Fälle des außergerichtlichen Tatausgleiches aufweist und dies ein
Abschaffungsgrund sein soll, dann frage ich mich, warum die in den letzten drei
Jahren unverhältnismäßig hoch angestiegene Zahl von inhaftierten Jugendlichen
kein Rücktrittsgrund für den zuständigen Minister ist.
Haben Sie, Herr
Bundesminister, in beiden Fällen nach den Ursachen geforscht? Stellten Sie den
Jugendgerichtshof als Ganzes in Frage, weil auch Ihnen zu Ohren gekommen ist,
dass es zumindest einen oder vielleicht auch mehrere dort tätige Staatsanwälte
gibt, die kein Freund von diversionellen Maßnahmen sind? Staatsanwälte sind
weisungsgebunden. Warum haben Sie nicht gehandelt? – Vielleicht haben sich
diese Frage auch die dort tätigen Richter gestellt und hat Ihnen daher der Mut
gefehlt, sich gegen die Anträge der Staatsanwaltschaft zu stellen, denn eines
ist sicher: Es sind zunächst die Staatsanwälte, die den Antrag auf
diversionelle Maßnahmen zu stellen haben, und erst im zweiten Schritt ist der
Richter zuständig. (Bundesrat Dr. Aspöck: Das kann aber auch der Richter von
sich aus machen! Das ist ein zweiter Schritt!)
Vielleicht ist es
auch vorauseilender Gehorsam, dass es nicht gemacht wurde. Wenn Ihnen, Herr
Bundesminister, die Diversion so ein wichtiges Anliegen ist, warum haben Sie
sich nie von der Aussage Ihres Parteikollegen und vormaligen Justizsprechers
des Kabinetts Schüssel I, Dr. Harald Ofner, distanziert, der in einer
der ersten Nationalratssitzungen der schwarz-blauen Bundesregierung die
Abschaffung der Diversion gefordert hat? – Auch Sie selbst haben sich zu
Beginn Ihrer Amtszeit nicht gerade als Freund der Diversion geoutet.
Warum
signalisieren Sie weder Staatsanwälten noch Richtern, dass Sie die Diversion
als geeignetes Mittel ansehen und allfällige Folgen einer Tat auf eine den
Umständen nach geeignete Weise ausgleichen? Jetzt den Vorwurf des zu geringen
Einsatzes derartiger Maßnahmen wie den außergerichtlichen Tatausgleich zu
erheben, kann ich daher nur im Licht eines fadenscheinigen Argumentes sehen.
Haben Sie sich
auch die Frage gestellt, wo die Ursache für die hohe Anzahl von Häftlingen
liegt? Haben Sie erkannt, dass dies ein Ausdruck einer in den letzten Jahren
verstärkt zur Anwendung gelangten Justizpolitik, die dem Law-and-order-Prinzip
huldigt, sein kann? Ich habe in meinem eigenen beruflichen Handlungsfeld
erfahren, welche Auswirkungen Ihre Politik für die Betreuung jugendlicher
Straftäter hat.
Die geographische
Lage und auch die geringe Einwohnerzahl meines Heimatlandes Burgenland haben
den Aufbau ambulanter Betreuungsdienste nur unter erschwerten Bedingungen und
mit hohem finanziellen Aufwand möglich gemacht. Als Form der Selbsthilfe haben
sich daher die sozialen Institutionen des Landes zu einem Netzwerk
zusammengefunden, das nicht nur eine gute psychosoziale Betreuung ermöglicht,
sondern es wurden auch immer wieder soziale Projekte mit dem Ziel des Aufbaus
weiterer Betreuungsdienste entwickelt.
Bundesrat | 696. Sitzung / Seite 33 |
Besonders im
Bereich der Betreuung gefährdeter Jugendlicher entwickelte sich eine gegenseitig
befruchtende enge Zusammenarbeit zwischen der Bewährungshilfe und der
Jugendwohlfahrt, in die auch die Gerichte eingebunden waren. Obwohl sachlich
nicht zuständig, aber in Anerkennung des engagierten Einsatzes der
Bewährungshilfe Burgenland gewährte die Burgenländische Landesregierung dem
Verein eine jährlich nicht geringe Subvention.
Der
Geschäftsstelle Eisenstadt war es dadurch auch immer wieder möglich, neue
Tätigkeitsfelder zu erschließen. Jedoch trotz ihres erfolgreichen Wirkens
wurde im Vorjahr die Geschäftsstelle Eisenstadt als selbständige
Geschäftsstelle aufgelöst und in die Geschäftsstelle Wiener Neustadt
eingegliedert. Kein plausibler Grund sprach dafür und schon gar nicht fachlich
qualifizierte Aussagen. Obwohl sich Landeshauptmann Niessl für den
Weiterbestand der Geschäftsstelle Eisenstadt eingesetzt hat, haben Sie, Herr
Minister, die Auflösung nicht verhindert.
Die Parallele zum
Jugendgerichtshof Wien liegt darin, dass sich so wie Dr. Jesionek auch der
Geschäftsstellenleiter von Eisenstadt für den Weiterbestand vehement eingesetzt
hat. Und wie bei Dr. Jesionek war die Folge zunächst die Androhung eines Disziplinarverfahrens,
und es endete auch bei Herrn Neureiter mit der vorzeitigen Pensionierung.
Nur ein Jahr
später führt die Bewährungshilfe oder NEUSTART, wie sie jetzt heißt, im Burgenland
ein Schattendasein im sozialen Netzwerk des Landes. Die Auflösung der Geschäftsstelle
Eisenstadt hat nicht nur das kooperative Zusammenarbeiten mit den anderen
Institutionen beendet, sondern auch die Bedeutung von NEUSTART stark
vermindert.
Die Leidtragenden
sind die Jugendlichen des Landes. Entgegen allen Beteuerungen ist es zu einer
qualitativen Verschlechterung und auch zu einem Motivationsverlust der
Mitarbeiter gekommen.
Werte Kolleginnen
und Kollegen! Mit diesem Beispiel wollte ich zeigen, wie sich eine Reorganisation,
die nicht fachlich qualifizierten Überlegungen folgt, innerhalb kurzer Zeit
negativ auswirken kann. Wenn am so genannten Reißbrett Entscheidungen
getroffen werden, ohne die Meinung der handelnden Personen gelten zulassen, ist
ein Erfolg nicht möglich.
Herr
Bundesminister! Eines Ihrer Hauptargumente für die Schließung des
Jugendgerichtshofes Wien war auch, dass die Unterbringung der Jugendlichen in
der Justizanstalt Erdberg angeblich schlechter war als in der Justizanstalt
Josefstadt.
Wie sehen Sie es
dann, dass es möglich ist, dass eine wissenschaftliche Studie – nach einer
anonymen Umfrage unter den betroffenen jugendlichen Häftlingen – das
genaue Gegenteil ergeben hat? – Wie sich zwischenzeitlich herausgestellt
hat, kann auch nicht gänzlich verhindert werden, dass jugendliche Häftlinge mit
erwachsenen Insassen in Kontakt kommen.
Wer sich jemals
mit der Situation und den Vorgängen in Justizanstalten beschäftigt hat, weiß,
welch raue Sitten dort herrschen – raue Sitten unter den Häftlingen
wohlgemerkt. Das ist eine eigene Welt, in der sich selbst Erwachsene nur schwer
zurechtfinden. Wie soll es dann ein Jugendlicher können?
Wenn wir
Resozialisierung nicht nur als Schlagwort verstehen wollen, dürfen wir
Jugendliche nicht Gefahren aussetzen, die sowohl zu psychischen als auch zu
physischen Verletzungen führen können.
Meine sehr
geehrten Damen und Herren! Eine Fülle von Gründen spricht gegen eine Zustimmung
zu dem vorliegenden Gesetzentwurf. Die Aufzählung aller Gründe würde die mir
zur Verfügung stehende Redezeit bei weitem überschreiten. Es bedarf für meine
Fraktion jedoch nicht vieler Gründe, um diesem Gesetz die Zustimmung zu
verweigern. – Danke. (Beifall bei der SPÖ und den Grünen.)
Bundesrat | 696. Sitzung / Seite 34 |
14.01
Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Herr Bundesminister! Sie haben das Wort gewünscht. – Bitte.
14.01
Bundesminister
für Justiz Dr. Dieter Böhmdorfer:
Sehr geehrte Frau
Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren des Bundesrates! Frau Bundesrätin
Schlaffer! Ich möchte mich jetzt gleich zu Wort melden, damit Ihre
Gesinnungsfreunde die Gelegenheit haben, sich noch zu melden und die Begründung
nachzuliefern, die Sie jetzt nicht geben konnten.
Ich möchte
Folgendes klarstellen: Sie haben keinen einzigen Grund genannt, der wirklich
sachlich maßgeblich für die Maßnahmen im Zusammenhang mit dem
Jugendgerichtshof war – keinen einzigen! (Beifall bei den
Freiheitlichen und bei Bundesräten der ÖVP.)
Ich sage Ihnen,
was wirklich passiert ist – Sie sollten oder müssten es eigentlich
wissen –: In der vergangenen Gesetzgebungsperiode wurden die Privilegien
des Jugendgerichtsgesetzes auf zwei weitere Jahrgänge ausgedehnt, nämlich auf
die 20- und 21-Jährigen. Das geschah in verminderter, kurvenartiger Form, und
ein Jahrgang wurde zurückgenommen. Es gibt dadurch eine Einschleifregelung für
die Bestimmungen des Jugendgerichtsgesetzes, die nicht abrupt bei
19 Jahren endet und in die Welt der Erwachsenen überführt, sondern die bei
18 Jahren beginnt und bei 21 Jahren endet.
Dem
Jugendgerichtshof ist – wie jedem anderen Gerichtshof auch – eine
Haftanstalt angeschlossen, nämlich die Justizanstalt Erdberg, in der es 40
Zellen gibt. Diese sind sehr klein, sehr alt und nicht erweiterbar, da es sich
um ein denkmalgeschütztes Gebäude handelt.
Durch die
Erweiterung der Privilegien des Jugendstrafrechtes in Verbindung mit dem
Umstand, dass die jungen Erwachsenen von den Jugendrichtern verhandelt werden
sollen, weil das so gewollt worden ist und wir diesem Wunsch nachgekommen
sind, bestand mehr Haftbedarf. Das ist ganz logisch. Es ist auch logisch, dass
die Jahrgänge 20 und 21 mehr Delikte begehen als zum Beispiel die 14- und
15-Jährigen. Es ist leider weiters eine Tatsache, dass Jugendliche ihre Delikte
in Gruppen begehen. Der Jurist nennt das „Banden“. Das führt notwendigerweise
zu dem Umstand, dass der Untersuchungsrichter die Jugendlichen, wenn sie bei
Begehung der Tat betreten wurden, nach der Tat getrennt vernehmen muss. Das
bedeutet die Notwendigkeit der U-Haft, weil sie nicht auf freiem Fuß angezeigt
werden können, wenn sie zum Beispiel eine Tankstelle, eine Person oder eine
Trafik überfallen haben. Das bedeutet auch mehr Haftbedarf und außerdem, dass
wir mit 40 Zellen in der Justizanstalt Erdberg nicht mehr das Auslangen
gefunden haben.
Herr Präsident
Jesionek hat dabei zugesehen, dass in einigen der 40 Zellen Stockbetten
gestellt wurden, die Jugendlichen in unzulässig beengten Räumlichkeiten leben
mussten und dadurch die Zellen so sehr überausgenutzt waren, also zu klein
geworden waren, dass diese Zellenverwendung der Anti-Folter-Konvention
widersprach. (Bundesrat Gasteiger: Jetzt kommen die G’schichterln!)
Wir konnten dem
nicht mehr länger zusehen. Man kann nicht 170 Personen in 40 Zellen
inhaftieren – und das war der zusätzliche Haftbedarf auf Grund der
Modernisierung der Novelle. Deshalb mussten wir eine neue, angemessene
Umgebung für die Jugendlichen suchen.
Die Zellen in
Erdberg sind nicht nur zu klein, sondern auch alt. Die WCs sind nur durch
Vorhänge abgetrennt, die Jugendlichen wurden durch die zu engen
Raumverhältnisse auch unnötig aggressiv und haben die Vorhänge angezündet. In
einem Gefängnis dauert es eben einige Tage – manchmal mehr als eine
Woche –, bis dort wieder neue Vorhänge hängen. Und gerade im jugendlichen
Alter ist die Verletzung der Intimsphäre – diese war die Folge, wenn nicht
einmal mehr Vorhänge vorhanden waren – eine besonders heikle Sache. Das,
was sich dort abgespielt hat, war unzumutbar – und dies als Ergebnis einer
modernisierten Jugendgerichtsbarkeit durch die Ausdehnung auf zwei
Jahrgänge.
Ich hatte mit Herrn Präsidenten Jesionek nicht den geringsten Konflikt. Er war der Erste, der auf Grund des Prozessbegleitungsfonds, den wir eingerichtet haben, taxfrei 100 000 S a conto von mir bekommen hat. Sein eigenes Umfeld hat sich gewundert, warum der Parteigegner Böhmdorfer dem Sozialdemokraten Jesionek 100 000 S gibt. Ich habe geantwortet: weil er Richter ist,
Bundesrat | 696. Sitzung / Seite 35 |
sich um die Geschädigten
kümmert und weil ich eine sachliche Zusammenarbeit mit ihm suche. Von Konflikt
ist da überhaupt keine Rede!
Ich würde Sie
einladen, mir endlich einmal zu sagen, wo Sie bis dahin einen Konflikt zwischen
Jesionek und mir gesehen hätten. Er ist im Jahre 2002 in Pension gegangen:
nicht in Frühpension, in Pension. Er konnte nicht weiter tätig
sein. Auch das ist ein Grund, Ihnen sagen zu dürfen: Das war keine Maßnahme
gegen ihn, denn erst nach seiner Pensionierung ist die Übersiedlung
des Jugendgerichtshofes erfolgt. – Das sei nur zu Ihrer Kenntnisnahme
gesagt.
In der neuen
Umgebung haben die Jugendlichen moderne Zellen mit abgemauerten WCs, die sich
auch jeder ansehen kann. Man darf nicht die Augen vor der Realität
verschließen: Die Jugendlichen haben Sozialräume, haben einen Turnsaal, haben
Lehrwerkstätten, können weitergebildet werden und müssen nicht, wie in ihrer
alten Umgebung, mit Bussen durch die Stadt gefahren werden – deprimierenderweise
an der Schließe –, sondern sie werden durch eine Türe in das angrenzende
Gerichtsgebäude in ihre Verhandlungssäle geführt. Das ist es!
Das Einzige, was
in der neuen Umgebung an Kontakt möglich ist, ist, dass von einigen Erwachsenenzellen
aus in jene Spazierhöfe – es gibt jetzt zwei und nicht nur einen –
gesehen werden kann, in denen die Jugendlichen spazieren gehen dürfen. Das ist
die einzige Kontaktmöglichkeit.
Wenn Sie, wie Sie
sagen, engagiert sind und jemals früher am Jugendgerichtshof waren, so sind Sie
durch Gänge gegangen, in denen Erwachsene neben Jugendlichen gestanden oder
gesessen sind. Das und die Fahrten durch die Stadt waren die
Kontaktmöglichkeiten in der alten Umgebung. Das hat sich jetzt aufgehört. Es
gibt überhaupt keinen Grund, etwas gegen diese sinnvolle Maßnahme zu haben.
Es gibt jedoch
andere Gründe, die zwar nicht das Motiv waren, aber Begleiterscheinungen sind.
Die Republik Österreich hat ein Gebäude im Wert von 120 Millionen
Schilling – Schilling zugegebenermaßen – ohne einen Schilling
Investment bekommen. Die Jugendrichter benützen dort jetzt Büroräumlichkeiten
und Verhandlungsräumlichkeiten, für die die Republik Österreich vorher im
Landesgericht für Strafsachen Zahlung geleistet hat, ohne sie zu
nutzen. Diese sind leer gestanden, waren aber eingerichtet. Alle
Verhandlungssäle, alle Kanzleiräumlichkeiten, alle Richterzimmer waren
eingerichtet, bis hin zum PC. Diesen wirtschaftlichen Unsinn haben wir als
Folgeerscheinung – und das war nicht das Motiv – ebenfalls behoben.
Ich könnte Ihnen
noch einige Dinge nennen, denn vielleicht sagt der eine oder andere etwas zu
diesen Argumenten. Das Netzwerk blieb bestehen. Die Jugendgerichtshilfe und das
gesamte Netzwerk blieben bestehen und stehen wie bisher zur Verfügung.
Ich habe Herrn
Präsidenten Jesionek, der bekanntlich Präsident des Weißen Ringes ist, weshalb
ich ihm als Erstem diese 100 000 S an Subvention von Anfang an
gegeben habe, angeboten, mit seiner Organisation in das Landesgericht für
Strafsachen in Wien einzuziehen, um noch näher bei den Jugendlichen zu sein. Er
hat das abgelehnt. – Danke. (Beifall bei den Freiheitlichen und der
ÖVP. – Rufe bei der ÖVP: Schau, schau!)
14.09
Vizepräsidentin
Anna Elisabeth Haselbach: Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat
Dr. Liechtenstein. – Bitte.
14.10
Bundesrat Dr. Vincenz Liechtenstein (ÖVP, Steiermark): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr
Minister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wie schon gesagt wurde, wird der
Jugendgerichtshof Wien mit Ablauf des 30. Juni dieses Jahres aufgelassen.
Die am 30. Juni beim Jugendgerichtshof Wien in Ausübung der den
Gerichtshöfen erster Instanz zustehenden Gerichtsbarkeit anhängigen Strafsachen
sind vom Landesgericht für Strafsachen übernommen und weitergeführt worden. Die
am 30. Juni beim Jugendgerichtshof Wien in Ausübung der den
Bezirksgerichten zustehenden Gerichtsbarkeit anhängigen Straf-, Jugendschutz-
und Pflegschaftssachen sind vom jeweils örtlich zuständigen Bezirksgericht
weiterzuführen.
Bundesrat | 696. Sitzung / Seite 36 |
Durch die schon
Anfang Jänner 2003 erfolgte Eingliederung der Justizanstalt Wien-Erdberg in die
Justizanstalt Wien-Josefstadt und die zur selben Zeit erfolgte Verlegung des
Sitzes des Jugendgerichtshofs Wien von der Rüdengasse, wie schon erwähnt, in
die Landesgerichtsstraße konnte insbesondere die zum Teil unzureichende
Unterbringung der Jugendlichen und jungen Erwachsenen an den Europastandard
angepasst werden. Das ist eine Tatsache, an der man nicht vorbei kann.
Das hat
zweifelsohne – der Herr Minister hat es schon angedeutet – sicher
auch finanzielle Auswirkungen, die insofern positiv sind, da es die
Räumlichkeiten bereits gibt und diese zur Verfügung stehen. Was mich sehr
beruhig hat, war auch die Trennlinie, dass die Jugendlichen nicht wirklich
sehen, was sich sonst alles in der Haftanstalt abspielt. (Bundesrat Konecny:
Da müssen Sie Ihnen aber Binden umbinden! Das ist ja lächerlich!)
Im Gegensatz dazu
sind außerhalb Wiens – mit Ausnahme des Sprengels des Jugendgerichts Graz
und der Sonderzuständigkeit des Bezirksgerichts Linz-Land für die Sprengel der
Bezirksgerichte Linz und Urfahr-Umgebung – alle Jugendliche betreffenden
Pflegschafts- und strafgerichtlichen Agenden bei den Bezirksgerichten
zusammengefasst.
Ich muss natürlich
Folgendes sagen: Wien ist eine Großstadt und hat diesbezüglich andere Notwendigkeiten
und Begehrlichkeiten, die man auch sehen muss.
Wie schon gesagt:
Die Ausgangslage legt eine Umstrukturierung nahe, bei der alle bezirksgerichtlichen
Agenden des Jugendgerichtshofs Wien aus dem Straf- und Pflegschaftsbereich, wie
in anderen Landeshauptstädten, auf die bestehenden Vollbezirksgerichte in Wien
aufgeteilt werden und in die Gerichtshofzuständigkeiten des Landesgerichts für
Strafsachen Wien fallenden strafrechtlichen Materien übergeht.
Ich darf dazu
etliche Schwerpunkte anführen, die ich aus dem Gesetzentwurf gelesen habe. Die
Jugendgerichtsbarkeit soll in allen Bundesländern gleich organisiert werden.
Das ist sicherlich einer der Gründe. Bezweckt ist eine Vereinheitlichung der
Gerichtsstruktur durch Beseitigung der getrennten Stellung des
Jugendgerichtshofs Wien zwischen Gerichtshof und Bezirksgericht. Da ist
sicherlich eine spezielle Eignung der mit Jugendstrafsachen zu betrauenden
Richter und Staatsanwälte nötig, und diese bleibt unverändert in Geltung. Es
ist auch sehr wichtig, dass diese Richter und Staatsanwälte vorhanden sind.
Das
Gerichtsorganisationsgesetz normiert grundsätzlich die Jugendstraf- und
Pflegschaftssachen, die notwendige Spezialisierung beziehungsweise
Konzentrierung auf Jugendliche und junge Erwachsene bei einem Richter. Künftig
werden österreichweit spezialisierte Richter für Jugendstraf- und
Jugendschutzstrafsachen junger Erwachsener sowie Pflegschaftssachen Minderjähriger,
bei denen aus bestimmtem Anlass eine Gefährdung der persönlichen Entwicklung zu
besorgen ist, zuständig sein.
Strafverfahren, an
denen sowohl erwachsene als auch jugendliche Beschuldigte beteiligt sind,
können rascher abgewickelt werden. Es ist auch die stärkere Inanspruchnahme von
Sozialmaßnahmen wie etwa im außergerichtlichen Tatausgleich – die Frau
Kollegin hat es schon erwähnt – in Aussicht genommen, was diese
Umstrukturierungen erwarten lassen. Außerdem ist natürlich der
Verwaltungsaufwand geringer.
Bei den
Übergangsvorschriften wird garantiert, dass anhängige Verfahren nach den
geänderten Zuständigkeitsbestimmungen bei den jeweils sachlich und örtlich
zuständigen Landes- beziehungsweise Bezirksgerichten weitergeführt werden
können.
Die Aufhebung der
Sonderzuständigkeit des Jugendgerichtshofs Wien stellt dabei eine Auflösung
der Organisation als eigenes Gericht dar, lässt aber doch die
Jugendgerichtsbarkeit als solche unberührt. Die Jugendgerichtsbarkeit in Wien
soll eben auf Gerichtshofebene nur zum Landesgericht für Strafsachen Wien
verlagert werden, ohne die Rechtsprechungsqualität irgendwie zu
beeinträchtigen.
Bundesrat | 696. Sitzung / Seite 37 |
Über die
Räumlichkeiten und über die Historie des bisherigen Gebäudes wurde bereits
gesprochen. Es ist tatsächlich unter Schutz gestellt. Das ist natürlich eine
Frage, die man relativ schwer bezüglich Denkmalschutz klären kann angesichts
der Tatsache, dass dort 40 Zellen sind und 170 Personen inhaftiert sind. Da
muss man natürlich zu modernen, neuen europakonformen Kriterien kommen. Wie
auch schon gesagt wurde, darf dabei nicht der Anti-Folter-Konvention aus dem
EU-Bereich widersprochen werden.
Ich glaube, dass
es absolut notwendig ist, eine Erneuerung durchzuführen. Wir müssen natürlich
danach trachten, dass die Jugendlichen nicht den Eindruck haben, dass sie in
dem großen Gefängnis schwerer involviert sind, weil Jugendliche Leute sind, die
man ganz besonders ansprechen muss. Ihnen gegenüber hat man noch eine große
Verantwortung, und man muss danach trachten, dass sie von der Kriminalität
wegkommen und zu einem normalen Leben finden.
Wir von der ÖVP
werden der Änderung des Jugendgerichtsgesetzes 1988 und des Gerichtsorganisationsgesetzes
zustimmen. – Ich danke. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)
14.17
Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Reisenberger. –
Bitte.
14.17
Bundesrat Harald Reisenberger (SPÖ, Wien): Sehr geehrte Frau
Präsidentin! Herr Bundesminister! Sie haben vorhin gemeint, dass keine
Argumente von den Vorrednern gekommen seien. Ich hoffe, ich kann Ihnen eine
Reihe von Argumenten liefern, die Sie selbst sicherlich genauso gut kennen wie
ich – und das ist das Schlimme daran. Wenn Sie, Herr Bundesminister, heute
davon gesprochen haben, dass die 20- bis 21-Jährigen in dem alten Gebäude zu
wenig Platz gefunden hätten, so gebe ich Ihnen schon Recht, nur – ich darf
noch darauf zurückkommen – wenn wir von zu wenig Platz in Haftanstalten
an und für sich sprechen, so muss ich sagen, ist das ein grundsätzliches
Problem, das wir in Österreich mit dem Ost-West-Gefälle haben, das natürlich
als dramatisch zu bezeichnen ist.
40 Zellen für 170
Personen – das geht natürlich nicht. Die Möglichkeit darin zu sehen, ein
System abzuschaffen, ein System zu verändern, ein System zu zerschlagen, sehr
geehrter Herr Bundesminister, ist aber auch keine Lösung – keine für die
Menschen in Österreich und vor allem keine für die Jugend in Österreich!
Wirtschaftliche
Gründe als Nebeneffekt anzuführen und zu sagen, das sei positiv, schön und gut,
dazu kann ich nur sagen: aber nicht auf Kosten der Menschen, nicht auf Kosten
der jungen Menschen! Außerdem wäre es nicht notwendig gewesen.
Mein lieber Freund
Dr. Liechtenstein! Ich hoffe, es schadet dir nicht, wenn ich das jetzt
sage: Uns verbinden wirklich viele gemeinsame Ansichten. Aber ich kann nicht glauben,
dass es dir ernst ist, wenn du sagst: Man hat ohnehin eine Trennlinie zwischen
den jungen und den erwachsenen Straffälligen geschaffen. – Das glaubst
du selbst nicht; und niemand, der hier sitzt und ehrlich darüber diskutiert,
kann solch eine Argumentation ernst nehmen.
Wien als Großstadt
hat andere Voraussetzungen als die Bundesländer, hast du gesagt. – Das ist
völlig richtig, da sind wir wieder voll auf einer Linie. Daher geht es hier
auch um andere Voraussetzungen. (Zwischenrufe.) – Großstädte
grundsätzlich, das mag schon sein! Aber dann muss man sich nach dem Bedarf
richten und darf nicht sozusagen über alles darüberwischen und darüberwandern.
Alle Bundesländer gleich und das auf Kosten der Jugendlichen – das lese
ich aus diesem System heraus, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Die Auflösung des Jugendgerichtshofes hat zur
Folge, dass positive Dinge nicht erhalten bleiben können. Das ist ganz klar,
und das zeigt sich auch. Die Jugend ist eine besondere Gruppe, wurde von Herrn
Bundesrat Dr. Liechtenstein gesagt, und diesbezüglich sind wir auf der
gleichen Linie. Daher ist es meiner Meinung nach umso betrüblicher, dass man
sich nun zur Auflösung des Jugendgerichtshofes entschlossen hat.
Bundesrat | 696. Sitzung / Seite 38 |
Es geht bei dieser
Gesetzesvorlage in Wirklichkeit um die Zerschlagung des Jugendgerichtshofes,
auch wenn der Tagesordnungspunkt heißt: Bundesgesetz, mit dem das
Jugendgerichtsgesetz 1988 und das Gerichtsorganisationsgesetz geändert werden.
Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Keine politische Partei hat die Zerstörung einer so
beispielgebenden Einrichtung zur Resozialisierung Jugendlicher in ihrem Wahl-
oder Parteiprogramm jemals gehabt – weder die ÖVP noch die FPÖ, aber das
war bei anderen, dem Wohl der Menschen widersprechenden Regierungsvorhaben im
Wahlkampf auch nicht der Fall.
Herr
Bundesminister! Dass diese Idee nicht von Ihnen stammt beziehungsweise nicht
von Ihnen kommen kann und auch nicht Ihrem Verständnis für Resozialisierung
Jugendlicher entspricht, würde ich Ihnen im positiven Sinn „unterstellen“.
Unsere Bemühungen um Sachlichkeit gingen so weit, dass wir eine Enquete
veranstaltet haben, um mit in- und ausländischen Wissenschaftlern dieses Thema
zu beraten.
Herr
Bundesminister! Sie kennen das Ergebnis dieser Beratungen. Viele von Ihnen hier
wissen, was bei dieser Enquete herausgekommen ist. Sukkus der Aussagen aller
Fachleute war, dass es sich bei der Auflösung des Jugendgerichtshofes um einen
„justizpolitischen Wahnsinn“ handelt.
Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Da kann man wirklich nicht sagen, das sei parteipolitisch
gefärbt, da wolle man nur politisches Kleingeld machen, sondern da geht es um
Grundsätzliches. Da geht es in die Tiefe: Einen Jugendgerichtshof zu
zerschlagen und das Ganze auf 12 Gerichte in Wien aufzuteilen, bewirkt eine
klare Verschlechterung beim Umgang mit jungen Menschen.
Gerade hier –
und da sind wir uns, glaube ich, alle einig; nur hinsichtlich der Umsetzung
sind wir anderer Meinung – darf man Jung und Alt nicht „gemeinsam“ –
unter Anführungszeichen – betreuen. Es muss uns darum gehen, zu
verhindern, dass junge Menschen kriminell werden beziehungsweise nicht bleiben,
wenn sie in die Kriminalität abgerutscht sind. Es heißt ja nicht, einen
Fehltritt zu machen, einmal hinzufallen, bedeutet, ewig liegen zu bleiben. Es
ist in unser aller Sinn, dass wir da Hilfestellung leisten, damit die
Jugendlichen wieder aufstehen können.
Eine schlechte
Auslastung der Gefängnisse kann wohl nicht der Grund sein, Herr Minister, der
Sie zu dieser Maßnahme veranlasst hat. Ich sage Ihnen nichts Neues; Sie kennen
wahrscheinlich sogar die Zahlen vom gestrigen oder heutigen Tag. Mit unseren
über 8 000 Haftplätzen finden wir nicht das Auslangen. Wir haben eine
Auslastung der Plätze nicht nur von 100 Prozent – so schlimm das
klingen mag –, sondern darüber hinaus. Wir haben mehr Häftlinge, als es
dafür Plätze gibt.
Dabei gibt
es – ich habe das heute schon einmal angesprochen – ein großes
Ost-West-Gefälle. Wenn wir uns in Wien die Dienststelle Josefstadt ansehen,
dann können wir feststellen, dass es dort mehr Insassen gibt, als mit 950
Haftplätzen das Auslangen gefunden werden kann.
Herr Minister! Sie
wissen das ganz genau, und das ist auch der Grund, warum für die Justizanstalt
Josefstadt eine Außenstelle in Simmering errichtet wurde, und zwar für
U-Häftlinge. Wenn wir das wissen, dann können wir doch nicht von einer besseren
Auslastung sprechen und davon, dass wir den Jugendgerichtshof nicht mehr
brauchen. Wir hätten nichts anderes machen müssen, als den Jugendgerichtshof
Wien, der in Wirklichkeit wunderbar funktioniert hat, mit einem zweiten Haus zu
erweitern. Auch diese Möglichkeit hätte es zweifelsohne gegeben.
Genau die gleiche
Frage stellte sich, als Sie Ersatz für die U-Häftlinge gefunden haben. Wenn man
sucht, dann findet man eine Lösung. Herr Minister! Ich bin überzeugt, Sie
hätten gefunden, wenn Sie gewollt hätten.
Wir wollen keine
Zerstörung eines bestens funktionierenden Jugendstrafvollzuges, der sich in
erster Linie die prophylaktische Arbeit mit Jugendlichen zur Verhinderung einer
„Karriere“ in der Szene der Kriminellen zur Aufgabe gemacht hat.
Bundesrat | 696. Sitzung / Seite 39 |
Ihren Wortspenden
ist zu entnehmen – ich bin zwar sehr überrascht –, dass Sie auch
Herrn Präsidenten Jesionek als einen äußerst fähigen Menschen einschätzen. Er
war Garant dafür, dass die Resozialisierung – auch und vor allem in
prophylaktischer Art und Weise – Platz gegriffen hat.
Es geht mir auch
um die Kolleginnen und Kollegen, die in den Strafanstalten einen wirklich nicht
einfachen Dienst zu versehen haben. Herr Minister! Sie wissen das auch, Sie
selbst haben auch schon davon gesprochen. Ich will nicht hören – aber
diese Gefahr sehe ich –, dass die Beschäftigten in der Jugendstrafanstalt
Josefstadt ihren Dienst nicht ordentlich versehen hätten, denn wir wissen, dass
sie überlastet sind, dass sie nicht die zur Erfüllung ihrer Aufgaben
erforderliche Zeit haben!
Die
Jugendstrafanstalt Josefstadt ist für dieses Vorhaben bei allem Einsatz der
Beschäftigten – und der geht bereits jetzt weit über das normale Maß
hinaus – nicht geeignet.
Herr Minister! Sie
feierten vor ein paar Tagen Ihren 60. Geburtstag, zu dem ich Ihnen –
und das ist ganz ehrlich gemeint – alles Gute wünschen möchte. Machen Sie
sich vielleicht selbst noch ein nachträgliches Geburtstagsgeschenk, und
befolgen Sie meinen Rat, denn ich bin überzeugt, es würde Ihrer inneren
Überzeugung entsprechen: Ziehen Sie dieses Gesetz zurück! Es gibt andere
Lösungen in dieser Frage. Opfern Sie nicht die Resozialisierung junger Menschen
und damit die Zukunft dieser schnöden Einsparungsmaßnahmen!
Herr
Bundesminister! Geben Sie den Menschen, die die Verantwortung in den
Strafanstalten Wiens haben, also auch den Beschäftigten, die Chance, ihren
Beruf so auszuüben, wie es ihrem Arbeitsvertrag entspricht! Schlagen Sie nicht
den gleichen Weg wie Bundesminister Strasser ein! Ich war entsetzt, als ich vor
ein paar Tagen zu hören bekam, dass er eine Reduzierung der Zahl der
Dienstposten um 460 für 2004, um 460 für 2005 und um 1 000 für 2006 plant.
Sicherheit ist genau
so wenig ein geeigneter Bereich wie die Pensionen, um eine schlechte und
unprofessionelle Budgetpolitik zu kompensieren!
Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Nehmen wir gemeinsam die Anforderungen der Zukunft
an! Geben Sie uns, Herr Bundesminister, den Jugendgerichtshof Wien wieder
zurück in der Form, in der er sich in der Vergangenheit bewährt hat! Die
Kosten – die gebe ich schon zu, und die haben auch Sie angeführt –,
die entstehen würden, um ihn auf den letzten Stand der Dinge zu bringen, stehen
in keiner Relation zu dem Schaden, welcher mit dieser Gesetzesänderung bewirkt
werden wird. – Danke schön. (Beifall bei der SPÖ.)
14.27
Vizepräsidentin
Anna Elisabeth Haselbach: Zu Wort gemeldet ist als Nächster
Herr Bundesrat Dr. Aspöck. – Bitte, Herr Bundesrat.
14.27
Bundesrat
Dr. Robert Aspöck (Freiheitliche, Salzburg): Sehr
geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Nach der
Wortspende von Frau Kollegin Schlaffer habe ich gehofft, dass wenigstens vom
Herrn Kollegen Reisenberger stichhältige Argumente kommen würden. Doch es kam
nicht eines! Kollegin Schlaffer hat uns erzählt, dass es mit der Betreuung im
Burgenland nicht funktioniere. Was, bitte, hat das mit dem Jugendgerichtshof
Wien zu tun? (Bundesrätin Schlaffer:
Moment! Da haben Sie nicht zugehört! Ich habe Parallelen hergestellt! –
Bundesrat Konecny: Zuhören! Zuhören!)
Kollege
Reisenberger hat – auch wir verstehen uns in vielen Punkten sehr gut, wie
ich auch von hier aus bestätigen kann – ein schlagendes Argument gebracht.
Er hat gesagt: Herr Bundesminister, Sie wissen ja, viele Fachleute haben Argumente
gehabt! Aber ich habe kein einziges gehört. Ich frage Sie: Welche Fachleute
haben bei dieser Enquete was behauptet? Ich habe über die „erfolgreiche“
Tätigkeit des Jugendgerichtshofes Wien andere Informationen, insbesondere auch
aus dem vorliegenden Bericht, und zwar aus den Erläuterungen dazu.
Bundesrat | 696. Sitzung / Seite 40 |
Ich möchte ganz
allgemein sagen: Bei unserem so reformfreudigen – Gott sei Dank so reformfreudigen –
Justizminister gab es kaum ein Thema, das von der Opposition mehr
emotionalisiert wurde als genau dieser Punkt. Jetzt sage ich auch in aller
Offenheit, was meines Erachtens dahinter steckt: Da man keine Argumente zu
hören bekommt, kommt es mir so vor, als ob die SPÖ-Opposition den eigentlichen
Grund ihrer ablehnenden Haltung, nämlich die Erhaltung geschützter roter
Werkstätten mit bestimmten Bedingungen, die aber gar nicht so erfolgreich
waren, wie immer wieder behauptet wird
(anhaltende heftige Zwischenrufe bei der SPÖ), krampfhaft mit
anderen Argumenten zu verteidigen versucht. (Beifall
bei den Freiheitlichen.)
Man kann doch
nicht über Argumente drüberfahren (Bundesrat Konecny: Das tun Sie gerade!), wenn man weiß, dass
menschenrechtswidrige Zustände in Zellen herrschen! (Bundesrätin Schlaffer:
Das hätte der Bundesminister abschaffen können! Dazu hätte er die finanziellen
Mittel gehabt! Statt einfach hinzugehen und zu sagen: Kein Platz! Das ist
etwas, was der Herr Bundesminister selbst verursacht hat!)
Meine Damen und
Herren! Was hier vom Kollegen Reisenberger und von Ihnen, Frau Schlaffer,
eröffnet wurde, das war eine allgemeine Debatte darüber, dass man insgesamt für
die Justiz mehr Geld ausgeben müsste, um bessere Haftbedingungen und
Nachbetreuungsbedingungen et cetera zu schaffen. Das steht aber beim
Jugendgerichtshof Wien nicht zur Debatte, sondern das ist eine Frage, die Sie
an Karl-Heinz Grasser richten müssen, der dem Justizminister nicht so viel Geld
gibt. (Bundesrat Konecny: Haben Sie mit dem irgendetwas zu
tun? Sie sind in einer Regierung, der auch Herr Grasser angehört!)
Meine Damen und
Herren! Bringen wir es doch logisch auf den Punkt (Bundesrat Konecny: Sie mögen den Grasser nicht!) und fragen wir uns: Was ist das
Ziel einer erfolgreichen Jugendgerichtsbarkeit? (Bundesrat Konecny: Der Herr Minister mag ihn auch
nicht!) Herr
Klubvorsitzender! Ich frage Sie: Was ist das Ziel einer erfolgreichen
Jugendgerichtsbarkeit? Was will ich damit erreichen? – Es gibt nur eine
Antwort, Herr Klubvorsitzender, Herr Professor Konecny! (Bundesrat Konecny: Machen wir einen Beschluss: Wir
mögen ihn alle nicht!) Die Antwort heißt: die möglichst rasche und vor allem nachhaltige
Resozialisierung.
Wenn der Wiener
Jugendgerichtshof wirklich so erfolgreich war, dann frage ich mich, warum
frühere Koalitionen – an denen natürlich auch die ÖVP mit beteiligt war,
in welchen aber die Justizminister stets rot dominiert waren –
beziehungsweise warum denn die Vorgänger meines Freundes Dieter Böhmdorfer
nicht längst solche Jugendgerichtshöfe in ganz Österreich eingeführt haben? (Beifall
bei den Freiheitlichen und bei Bundesräten der ÖVP.)
Meine Damen und
Herren! So geht es doch nicht, nämlich einfach zu behaupten: Wien ist eine
Großstadt, und deswegen brauchen wir das, und die Vorarlberger, die Salzburger,
die Tiroler und die Kärntner kriminellen Jugendlichen sind uns völlig egal. Wäre
dieser Jugendgerichtshof erfolgreich gewesen, dann hätte doch schon Broda
dahin gehend agiert und flächendeckend – denn alle Österreicher sind
gleich! – in Österreich solche eingeführt.
Jetzt komme ich
zum nächsten logischen Punkt, meine Damen und Herren: Offenbar ist es genau
umgekehrt gewesen! Die Wahrheit ist: Im Jugendgerichtshof hat es mit der
Resozialisierung und mit dem außergerichtlichen Tatausgleich et cetera nicht
so gut funktioniert.
Frau Kollegin
Schlaffer! Nun zur Ihrem Argument mit den Staatsanwälten und dazu, dass Sie
plötzlich wieder Weisungen vom Herrn Justizminister verlangen – von einem
Justizminister, den Sie immer wieder angreifen und von dem Sie fordern, dass er
endlich auf sein Weisungsrecht verzichten soll, der jedoch von diesem
Weisungsrecht noch nie Gebrauch gemacht hat. Früher gab es Justizminister, die
geradezu in skandalöser Weise vom Weisungsrecht Gebrauch gemacht haben. Damals
hätte dieser Ruf gegolten, heute gilt er nicht. Bei einem solchen Justizminister
ist alles in Ordnung! (Bundesrat
Konecny: Hat er nicht Ofner geheißen!) – Nein! Er ist diesbezüglich
mit Broda nicht zu vergleichen, der ist uneinholbar. Das ist so, als würde
Franz Berger heute noch die Rennsiege von Schuhmacher erreichen wollen. Das ist
nicht möglich. So ungefähr ist das Verhältnis. (Bundesrätin Schlaffer:
Gerhard Berger ist das! Nicht einmal das wissen Sie! Setzen Sie sich nieder!)
Bundesrat | 696. Sitzung / Seite 41 |
Meine Damen und
Herren! Ich zitiere Ihnen aus dem Bericht – und das ist die Essenz, die
daraus hervorgeht, wie „erfolgreich“ – aber bitte unter
Anführungszeichen – dieser Jugendgerichtshof war –: Obwohl der
besonders für junge Straftäter prädestinierte und auch ohne Antragstellung der
Staatsanwaltschaft anwendbare – Frau Kollegin, das sei Ihnen ins Stammbuch
geschrieben! – außergerichtliche Tatausgleich einen Eckpunkt der
Jugendstrafrechtspflege darstellt, liegt hier der Jugendgerichtshof Wien
zahlenmäßig weit hinter sämtlichen anderen Bundesländern, in denen die
Jugendgerichtsbarkeit an den zuständigen Bezirks- und Landesgerichten ausgeübt
wird. (Bundesrätin Schlaffer: Ich habe Ihnen alle Gründe dafür
gesagt, aber Sie haben nicht zuhören wollen!)
Ich zitiere
weiter: Offensichtlich wurden hier die Ergebnisse einer bereits 1994 vom
Institut für Rechts- und Kriminalsoziologie erstellten vergleichenden Studie
zur Jugendgerichtspraxis und Rückfallstatistik weiter fortgesetzt. Schon damals
ist festgestellt worden, dass trotz des bestehenden Netzwerks von den
Möglichkeiten sozial konstruktiver Intervention am Jugendgerichtshof Wien
wenig Gebrauch gemacht wird und entweder nicht intervenierende Diversionsmaßnahmen –
so wie der Rücktritt von der Verfolgung nach Zahlung eines Geldbetrages, so wie
der Rücktritt von der Verfolgung nach einer Probezeit und so weiter – oder
relativ strenge Sanktionen, was ein ungewöhnlich hoher Anteil unbedingter
Strafen zeigt, gesetzt werden. – Wo? – Am Jugendgerichtshof Wien!
Ich zitiere
weiters: Von diesem Reaktionsmuster hebt sich die jugendgerichtliche Praxis in
anderen Gerichtssprengeln zum Teil deutlich ab, obwohl bei einer
vergleichenden Betrachtung der Kriminalitätsverhältnisse Wien nicht schlechter
abschneidet als die größeren Landeshauptstädte.
Das, meine Damen und Herren, sind die Fakten!
Wäre er besser
gewesen, dann wäre er doch längst für ganz Österreich eingeführt worden! Warum
das nicht geschehen ist, obwohl er angeblich besser gewesen ist, verstehe ich
nicht. Das hätte doch geschehen müssen – aber schon viele Jahre vor diesem
heutigen Tage.
Dieses Zitat
belegt, dass er in Wahrheit schlechter war. Das heißt: Wenn man jetzt den
Schluss vom übrigen Österreich auf Wien zieht, dann kann man sich für die
künftigen straftätigen Jugendlichen in Wien nur freuen und ihnen zurufen: Mit
diesem Gesetz wird die Betreuung aller Voraussicht nach besser, liebe Jugendliche!
(Beifall des Bundesrates Dr. Böhm. –
Bundesrätin Schlaffer: Der Dr. Böhm, der glaubt es! –
Bundesrat Konecny: Einer Hoffnung kann man
applaudieren, wobei der Kollege nicht wirklich eine Hoffnung ist!) Wir können auf diesem Niveau
natürlich auch weiter diskutieren, ob ich eine Hoffnung bin oder nicht. (Bundesrat
Konecny: Sie tun es die ganze Zeit!) Nein, ich habe Ihnen zwei Argumente
genannt.
Das eine Argument
lautet: Wäre diese Einrichtung besser gewesen, dann hätten Ihre sozialdemokratischen
Justizminister sie längst für ganz Österreich schaffen müssen.
Tatsache ist, dass
die Justiz im Bereich der Jugendlichen im übrigen Österreich besser
funktioniert, als sie am Jugendgerichtshof Wien funktioniert hat. Ich kann
daraus nur einen Schluss ziehen: dass Sie, meine Damen und Herren von der SPÖ,
gerade bei diesem Thema wieder nicht Opposition, sondern Fundamentalopposition
betreiben! (Beifall bei den Bundesräten
Ing. Klamt und Dr. Kanovsky-Wintermann. –
Bundesrat Konecny – in Bezug auf den Beifall –: Die einen sind nicht da, und die
anderen sind nicht Ihrer Meinung!)
14.37
Vizepräsidentin
Anna Elisabeth Haselbach: Zu Wort gemeldet ist als Nächster
Herr Bundesrat Schennach. – Bitte, Herr Bundesrat.
14.37
Bundesrat Stefan Schennach (Grüne, Wien): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Minister! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Aspöck! Ich habe hier Hunderte Seiten Text zu diesem Thema, aber ich muss sagen – mit allem Respekt, und das ist noch höflich –:
Bundesrat | 696. Sitzung / Seite 42 |
So viel
Nonsens zu diesem Thema habe ich noch nie gehört! (Beifall bei der
SPÖ. – Bundesrat Konecny: Jawohl!)
Ich gehe im
Gegensatz zu Ihnen, Herr Aspöck, im Jugendgerichtshof Wien seit 26 Jahren
ein und aus und kenne das Haus mit Sicherheit von allen hier in diesem Haus am
besten. Ich kenne es wahrscheinlich auch besser als der zuständige Herr Justizminister,
weil ich im Auftrag des Justizministeriums dort tätig bin. (Bundesrat Konecny: Das muss man schnell ändern und
Schennach abdrehen!)
Der Herr
Justizminister ist seit seinem Amtsantritt oft kritisiert worden, ich sage: oft
auch überzogen kritisiert worden, im dem einen oder anderen Fall vielleicht
auch zu Unrecht, aber in diesem Bereich, bei dieser Materie, Herr Minister,
verdienen Sie die Kritik zu Recht.
Da Herr Gruber so
besonders amüsiert war: Es sind keine Volltrotteln gewesen, die 1919 und 1920
beisammen gesessen sind und die österreichische Bundesverfassung erarbeitet
haben. Diese haben 1919 und 1920 eine rechtsstaatliche Anomalie als notwendig
erkannt und festgeschrieben. Das ist eine Gerichtskonstruktion, die zwischen
Bezirksgericht und Landesgericht angesiedelt ist. Das waren Leute – und
darunter waren auch welche aus dem christdemokratischen Lager; Sie wissen
das –, die diese Notwendigkeit erkannt haben, und sie haben eine
Konstruktion der Bündelung an Wissen, der Bündelung an Resozialisierung und der
Bündelung an Organisation geschaffen.
Wissen Sie, wer
aller in diesem Jugendgerichtshof ansässig ist? – Das sind das Jugendamt, die
Jugendgerichtshilfe, das Pflegschaftsgericht, das Landesgericht, das
Bezirksgericht, das Gefangenenhaus und die Bundespolizeidirektion.
Das heißt, wir
haben hier eine unglaubliche Bündelung. Heute, mit der Zustimmung zur Schließung,
splittern wir das auf 14 Gerichte in Wien auf. Wir hatten seit 1920,
respektive seit es das Haus in der Rüdengasse gibt, eine Zusammenfassung. Ich
glaube, das war 1928, vorher war es im 10. Bezirk.
Dieses Modell ist
natürlich auf eine Großstadt
zugeschnitten. Es ist doch Nonsens, eine solche Konstruktion für Kärnten,
Salzburg oder Tirol zu erfinden! Das ist das Modell für eine Großstadt mit
ihren spezifischen, jugendkriminellen Entwicklungen in Bezug auf
Jugendbandentum und so weiter.
Herr
Bundesminister Böhmdorfer weiß das, und er weiß es von seinen Vorgängern.
Übrigens, bei allem Respekt: dass Herr Minister Foregger und Herr Minister
Michalek Parteimitglieder der SPÖ sind, ist mir neu. Ich würde sagen, sie
würden hier wahrscheinlich eine tatsächliche Berichtigung verlangen. (Zwischenruf des Bundesrates Dr. Aspöck.)
Sie wissen doch,
wie lange ... (Bundesrat Dr. Aspöck:
Den Jugendgerichtshof hat es lange genug gegeben, da hat es sozialistische
Minister gegeben!) Sie haben gesagt, der Vorgänger des Herrn ... (Bundesrat Dr. Aspöck: Ich habe
gesagt, vor vielen Jahren! – Bundesrat Konecny: Nein, das haben Sie nicht gesagt!)
Wissen Sie, es
geht hier doch gar nicht darum, ob das ein rotes Haus ist oder nicht.
Vielleicht ist das die Motivation der FPÖ oder des Herrn Ministers. Oder geht
es tatsächlich um die persönlichen Unverträglichkeiten zwischen Jesionek und
Böhmdorfer? – Herr Böhmdorfer streitet das ab, das gab es nicht. Ich nehme
das einmal zur Kenntnis.
Ich gehe jetzt auf
die Argumente des Herrn Ministers ein. Das erste ist die rechtspolitische
Anomalie. – Diese Anomalie war von den Verfassungsgebern der Zweiten
Republik ganz bewusst gewünscht, und diese rechtsstaatliche Anomalie ist ein
Vorbild.
Sehen Sie sich die
Entwicklung in den Reformstaaten an! Der Jugendgerichtshof Wien, der jetzt
abgeschafft wird, entsteht derzeit nach österreichischem Muster in den
Reformstaaten, entstand nach österreichischem Vorbild in Japan, wobei Japan
noch das Familienrecht hinzugefügt hat und damit über das Vorbild Österreich
sogar weit hinausgegangen ist.
Bundesrat | 696. Sitzung / Seite 43 |
Nächstes Argument,
lieber Kollege Vincenz Liechtenstein: Herr Dr. Böhmdorfer sagt immer
wieder: dieses Armenhaus in der Rüdengasse. – Das ist kein Armenhaus, das
war ein hoch modernes Gericht! Vor vier Jahren hat die Republik, haben die
Vorgänger von Herrn Dr. Böhmdorfer 90 Millionen Schilling in die
Sanierung des Gebäudes in der Rüdengasse investiert. Das ist ja unglaublich!
90 Millionen Schilling wurden in ein
Objekt investiert.
Richtig, es gab
Gebäudeteile, die sanierungsbedürftig waren, da haben Sie völlig Recht. Ich
kenne diese Zellen. Da waren Teile noch nicht saniert, und das ist abträglich
gewesen, es war unzumutbar, dass Jugendliche dort aufbewahrt werden.
Aber bei aller
Zusammenführung, die wir in der Rüdengasse hatten, war eines garantiert: die Trennung von Erwachsenen und
Jugendlichen. Mit diesem Milieu sind die Jugendlichen in der Rüdengasse nicht
zusammen gekommen.
Hätten wir den
90 Millionen Schilling vielleicht noch 5, 6 oder 7 Millionen
Schilling nachfolgen lassen, dann wären auch jene Teile, die nicht der
Menschenrechtskonvention entsprochen haben, saniert worden. Aber was wurde eingesetzt? –
Nichts! Wir haben in der Rüdengasse hoch moderne Lehr- und Unterrichtsräume.
Das Justizministerium hat das Personal abgezogen! Da standen hoch moderne
Unterrichts- und Lehrwerkstätten still!
Dort, wo die
Jugendlichen jetzt hinkommen, können Sie weder Fußball spielen, noch bekommen
sie eine Ausbildung. Das wird alles noch kommen, aber in der Zeit, die das, was
der Herr Minister angekündigt hat, braucht, hätten wir das in der Rüdengasse
schon längst erledigen können.
Weiters: die
Transportkosten. Es war klar – das sollte wohl ein Grundsatz dieser
Trennung sein –, dass weibliche Gefangene im Gefangenenhaus in der
Rüdengasse nichts zu suchen haben, es war klar, dass volljährige Komplizen dort
nichts zu suchen haben, und es war klar, dass Häftlinge, die unter besonderem
Maßnahmenvollzug sind, dort nichts zu suchen haben. Aber Transportkosten haben
wir jetzt auch! Jetzt haben wir 14 Gerichte, die dafür zuständig sind, und
jetzt müssen wir wiederum die Gefangenen durch Wien transportieren. Die Transportkosten
können also nicht der Grund für die Schließung des Jugendgerichtshofes sein.
Gehen wir in der
Geschichte des Hauses in der Rüdengasse noch ein Stück zurück! Ich möchte nur
zwei Dinge erwähnen. Einer der Meilensteine auch dieses Gremiums hier war sicherlich
die Verabschiedung des außergerichtlichen Tatausgleiches. Das war sicherlich
ein Meilenstein in der Justizgeschichte. Aber das ging nicht ohne die Vorarbeit
und ohne ein maßgebliches Zutun des Wissens, das im Hause des
Jugendgerichtshofes erarbeitet wurde. – Herr Minister Böhmdorfer! Wenn
Sie fair sind, dann werden Sie zugeben, welche besondere Rolle der Jugendgerichtshof
dabei immer wieder gespielt hat.
Nächster Punkt:
Die Jugendgerichtshilfe, deren Sitz in der Rüdengasse war, hat in den letzten Jahren
ein Anti-Aggressions-Modell entwickelt, das heute international von hohem Wert
ist und hohe Anerkennung findet. Dieses Anti-Aggressions-Modell hat die
Jugendgerichtshilfe natürlich dort verwirklichen können, wo alles wieder
zusammen war, nämlich im Gefangenenhaus in der Rüdengasse.
Nun kommen die
Jugendlichen in ein Haus mit 1 300 Häftlingen. Ich habe mir einen Bericht
herausgesucht. (Zwischenruf des
Bundesrates Ing. Franz Gruber.) –
Herr Gruber, ich würde Sie gerne einmal einladen, sich anzuschauen, wie das
ist, wenn 1 300 Häftlinge nach 15 Uhr mit 35 Wachebeamten
in einem Haus sind, wenn 15- bis 17-jährige Jugendliche Zelle an Zelle neben
Mafiapaten aus der polnischen Szene einquartiert werden! Kollege Gruber!
Angesichts dessen sollten Sie keine solchen Zwischenrufe mehr machen!
Das ist die
Realität: 35 Wachebeamte mit 1 300 Häftlingen! Und das nennen Sie heute „Erfolg für die
Jugendlichen“?! – In der Rüdengasse konnten die Jugendlichen ruhig
schlafen, ohne daran denken zu müssen, dass neben ihnen, in der nächsten Zelle,
Leute der Mafia oder andere schwere Burschen sitzen.
Bundesrat | 696. Sitzung / Seite 44 |
Es geht darum:
Wenn heute ein Jugendlicher mit der Justiz in Berührung kommt, dann gibt es in
der Regel eine entsprechende Familiengeschichte. Professor Friedrich hat das
bei der Enquete auch gesagt: Wenn die Familie bereits über zwanzig Mal einen
polizeilichen Kontakt hatte, dann ist das Allerwichtigste für die
Resozialisierung, den Jugendlichen genau diesem Milieu zu entziehen, damit
Resozialisierung überhaupt eine Chance
hat. – Und jetzt kommen diese Jugendlichen in ein Haus, in dem auch
ältere, erwachsene Gefangene einsitzen.
Ich hatte in der
Betreuung in der Rüdengasse einmal einen Jugendlichen, der wegen zwei Kassetten,
die er aus einem Auto entwendet hat, neun
Monate lang gesessen ist. Er war 15 Jahre alt, und das Gericht hat
ihn nach neun Monaten U-Haft freigesprochen. Der Richter hat nachher gesagt:
Glauben Sie nicht, Sie haben jetzt ein Guthaben für die Zukunft! – Es
wurde erklärt, wie wichtig es ist, dass gerade solche Jugendliche nicht mit einem Gefangenenhaus in
Berührung kommen, das für sie prägend wird, in dem sie vielleicht sexuelle
Nötigung oder andere Formen von Erpressung erleben! Es geht darum, zu verhindern, dass diese Jugendlichen
dort neue Vorbilder bekommen, nämlich tatsächlich kriminelle Vorbilder.
Den Jugendlichen
mit den zwei Kassetten und neun Monaten U-Haft konnten wir Gott sei Dank so
weit resozialisieren, dass er bis zum heutigen Tag nicht mehr straffällig
geworden ist.
Lassen Sie mich
noch einen Punkt erwähnen! Ich muss bei der Jugendgerichtsbarkeit auch auf den
Hintergrund hinweisen. Wir verzeichnen seit dem Jahre 2000 Zuwächse, die
beängstigend sind! Im Suchtgiftbereich: plus 60 Prozent, gewerbsmäßiger
Diebstahl: plus 84 Prozent, Haftzugänge Jugendliche: plus
66 Prozent, Haftzugänge junge Erwachsene – das sind jene zwischen 19
und 21 Jahren –: plus 35 Prozent.
Dazu kommt bei den
jungen Erwachsenen, dass das Parlament quasi mit einem Federstrich beschlossen
hat, dass die volle Straffähigkeit um ein Jahr gesenkt wird. Mit einem kleinen
„Aufzeigen“ bei der Abstimmung hat man im Grunde die Verdoppelung des
Strafrahmens riskiert.
Ich möchte wissen,
wo da der große Sprung zwischen 18 und 19 ist, für den man den Strafrahmen
einfach verdoppelt! Mit welchem Recht man da die Besonderheiten des
Jugendgesetzes einfach beiseite schiebt, das ist eine Frage, die sich der
Gesetzgeber, wie ich meine, besser überlegen hätte sollen. Ein paar Dinge wären
dabei wohl noch zu berücksichtigen gewesen.
Die Grenzmengen
für Drogen sind herabgesetzt worden, was einer Erhöhung der Strafen
gleichkommt.
Zu den bedingten
Entlassungen: Herr Minister! Die Entwicklung in diesem Bereich bedauere ich
sehr! Sie wissen, was das für die Resozialisierung bedeutet. 80 Prozent
der Verurteilten sitzen derzeit ihre Strafe ab. Dieser Rückgang bei den
bedingten Entlassungen, die gerade die Chance bieten würden, den Jugendlichen
durch verschiedenste Möglichkeiten wieder in die Gesellschaft zu integrieren,
ist bedenklich. Nicht das Wegsperren ist à la longue das Ziel, sondern die
Resozialisierung. Und gerade die Zahl der bedingten Entlassungen geht zurück!
Eine Zahl, Herr
Kollege Gruber: Die Bewährungshilfe kostet am Tag 10 €, die Haftanstalt
100 €. – Ich frage mich, was à la longue insgesamt – wenn man
noch das Sozialsystem dazurechnet – günstiger kommt: die Haft oder die
Bewährung, die schrittweise Resozialisierung und das Vermeiden des Kontaktes
mit schweren Kriminellen. Es geht darum, zu verhindern, dass die
Kriminalisierung, die Stufe der Gewalt, so früh in einem Leben einsetzt. Es
geht darum, zu verhindern, dass die Jugendlichen neue kriminelle Vorbilder
bekommen. Dies wird aber unter Umständen der Fall sein, wenn jetzt der
Jugendgerichtshof seine Pforte schließen muss.
Herr Minister
Böhmdorfer! Ich habe Ihnen gesagt, dass Sie oft zu Unrecht oder zu hart
kritisiert wurden. Aber ich sage Ihnen auch ganz ehrlich: Ich glaube, das ist
einer der entscheidendsten Fehler in Ihrer Amtszeit.
Minister Grasser,
der lange Zeit Ihr Parteikollege war, hat diese Woche gesagt: Wir haben Fehler
gemacht. – Es wäre schön, wenn Sie sagen könnten: Ich habe mit der
Abschaffung, mit der Auflösung des Jugendgerichtshofes überzogen, ich habe tatsächlich
einen Fehler gemacht.
Bundesrat | 696. Sitzung / Seite 45 |
Herr
Bundesminister Böhmdorfer! Setzen Sie das aus, überlegen Sie sich das! Alle
Jugendrichter, alle Jugendstaatsanwälte, alle, die etwas damit zu tun haben,
sagen: Das darf doch nicht wahr sein! Das ist ein Fehler!
Herr Bundesminister!
Berufen Sie einen „Runden Tisch“ ein! Machen Sie noch einmal eine Pause. Ich
glaube, die Schließung des Jugendgerichtshofes ist der falsche Weg. (Beifall
bei der SPÖ.)
14.52
Vizepräsidentin
Anna Elisabeth Haselbach: Zu Wort gemeldet ist Frau
Bundesrätin Dr. Hlavac. – Bitte.
14.52
Bundesrätin
Dr. Elisabeth Hlavac (SPÖ, Wien): Sehr geehrte Frau
Präsidentin! Herr Bundesminister! Meine Damen und Herren! Ich wollte mich
ursprünglich nicht zu Wort melden, weil ich leider das Gefühl habe, dass die
Debatte festgelaufen ist, dass ohnedies keine Chance mehr besteht, zu einer
Änderung zu kommen. Ich teile den Appell des Kollegen Schennach, fürchte aber,
dass er ungehört verhallen wird.
Ich habe mich aber
doch zu Wort gemeldet, weil hier einiges gesagt worden ist, das ich so nicht im
Raum stehen lassen möchte.
Herr Kollege
Aspöck – er ist leider jetzt nicht hier, aber Herr Dr. Böhm, der
immer sehr aufmerksam hier ausharrt, wird es ihm sicher ausrichten – hat
gesagt, wir führen hier eine sehr emotionalisierte Debatte. – Es ist
richtig, dass wir eine Debatte mit Emotionen führen, und ich denke, dass das
auch angebracht ist, weil das ein Thema ist, das uns alle sehr berühren sollte.
Es geht um die
Zukunft, um das Schicksal von Jugendlichen, die ohnedies in einer sehr schwierigen
Situation sind, die auf die schiefe Bahn gekommen sind, von der es wieder
wegzukommen, wie wir alle wissen, sehr schwer ist.
Wenn man sich die
sozialen Verhältnisse ansieht, wenn man sich anschaut, wie Jugendliche durch
eine Dummheit in den Strudel der Gerichtsbarkeit geraten, dann erkennt man,
dass es oft nur ein Zufall ist, der entscheidet, ob Jugendliche, wenn sie
sozusagen einen Blödsinn machen, erwischt werden oder nicht. Wenn sie Glück
haben und nicht dabei entdeckt werden, dann führen sie ein ganz normales Leben,
geraten nie wieder in Schwierigkeiten, wohingegen jene, die das Pech haben,
erwischt zu werden – meist bei etwas, was gar nicht so gravierend
ist –, in einen Sog geraten, aus dem sie nicht mehr herauskommen.
Wir müssen dieses
Thema daher sehr ernst nehmen. Wir müssen uns sehr genau und mit großer
Verantwortung überlegen, wie wir damit umgehen, wie wir diesen Jugendlichen
klar machen, dass das, was sie getan haben, nicht akzeptiert werden kann, dass
es aber einen Rückweg für sie geben muss.
Wir führen diese
Debatte natürlich mit Emotion, wir führen sie aber sehr wohl auch mit Argumenten,
und ich möchte einige dieser Argumente einbringen.
Noch eine
Bemerkung zu Herrn Aspöck: Er hat im Zusammenhang mit dem Jugendgerichtshof von
einer „roten, geschützten Werkstätte“ gesprochen. – Ich möchte das ganz
ruhig, obwohl ich eigentlich nicht so ruhig bin, zurückweisen.
Es handelt sich
hier um ein Gericht, in dem eine sehr schwierige Aufgabe bewältigt wird, mit
Richterinnen und Richtern, die sehr engagiert sind. Ich kenne viele dieser
Richterinnen und Richter persönlich, und ich weiß, dass sie sehr engagiert
sind. Ich weiß, dass sie mehr tun, als sie eigentlich tun müssten, und ich muss
sagen, ich weiß eigentlich von kaum jemandem, welcher Partei er angehört oder ob
er überhaupt einer Partei angehört.
Bundesrat | 696. Sitzung / Seite 46 |
Ich möchte hier
ganz entschieden sagen: Diese Richterinnen und Richter sind unabhängig, und sie
verdienen unseren Respekt! Es handelt sich hier um keine geschützte
Werkstätte, weder um eine rote, noch um eine sonstige. (Beifall bei der SPÖ sowie des Bundesrates Schennach.)
Nun zu Ihren
Argumenten, Herr Bundesminister! Sie hängen die Debatte immer an der Frage der
Räumlichkeiten auf. Das Argument der beengten Verhältnisse im Jugendgerichtshof
ist auch heute wieder gekommen. – Es ist keine Frage, dass das ein altes
Gebäude ist, es ist keine Frage, dass da noch einiges hätte verbessert werden
können, auch wenn vor gar nicht so langer Zeit 90 Millionen Schilling
investiert worden sind.
Es hat im Übrigen
auch die Gemeinde Wien Geld in verschiedene soziale Einrichtungen investiert,
damit die Zusammenarbeit zwischen dem Jugendgerichtshof und der Gemeinde Wien,
sprich: Sozialamt, Jugendhilfe, noch besser funktioniert. Die Gemeinde Wien ist
dabei davon ausgegangen, dass dieser Gerichtshof Bestand hat. Aber von einem
Tag auf den anderen haben wir von Ihnen, Herr Bundesminister, gehört, dass
dieser Gerichtshof aufgelöst werden muss.
Ich habe schon
damals im Rahmen einer Fragestunde eine Anfrage an Sie gerichtet. Ich habe Sie
gefragt, mit wem Sie das besprochen haben, und Sie haben mir damals gesagt, Sie
haben das in der Regierung besprochen und werden erst dann mit den Expertinnen
und Experten, mit dem Parlament, mit der Gemeinde und mit anderen reden.
Ich habe in der
Fragestunde nicht dazu Stellung nehmen können, aber ich möchte jetzt betonen,
dass ich das für die falsche Vorgangsweise halte. Ich glaube, dass es wichtig
gewesen wäre, vorher einmal bei den Experten nachzufragen, wie diese das
sehen, denn es zeigt sich, dass sehr viele Experten – mir fällt eigentlich
niemand ein, der das nicht so sieht – sehr wohl Bedenken gegen die
Auflösung des Jugendgerichtshofes haben.
Ich zitiere etwa
Herrn Univ.-Prof. Burgstaller, der gesagt hat: „Ich halte das Konzept, das
dem Jugendgerichtshof zu Grunde liegt, die Kombination von Straf- und
Pflegschaftssachen und die Zusammenführung von juristischen, psychologischen
und sozialarbeiterischen Einrichtungen, die sich mit straffälligen jungen
Menschen beschäftigen, an einem Ort für unverändert attraktiv. Für eine auch
nur teilweise Preisgabe des skizzierten Konzeptes sehe ich keine überzeugenden
Gründe.“ – Zitatende.
Das Problem
bezüglich der Räumlichkeiten gibt es auch in der Josefstadt. Die Situation in
der Josefstadt ist keineswegs rosig. Es gibt dort einen einzigen
Turnsaal – für so viele Häftlinge! Noch dazu müssen Sie die Jugendlichen
von den Erwachsenen trennen. Ich kann nur hoffen, dass das gelingt, aber ich
muss zugeben, dass ich und sehr viele Experten Zweifel daran haben. Die
Trennung der Jugendlichen von den Erwachsenen ist aber ein ganz wichtiger
Punkt. Wenn ich Zeit habe, komme ich dann noch darauf zurück. – Es gibt
also nur einen Turnsaal für so viele Häftlinge; das ist äußerst
bescheiden.
Es gibt auch eine
Studie von Univ.-Prof. Grafl und Frau Dr. Stummer über die
Zufriedenheit der Unterbringung. – Die Jugendlichen waren am Erdberg trotz
der Beengtheit wesentlich zufriedener, weil man sich einfach mehr auf sie
konzentrieren konnte und weil es dort eben mehr Einrichtungen gibt, die
jugendgerecht sind.
Was auch notwendig
gewesen wäre, ist mehr Personal. Herr Kollege Schennach hat es schon
angesprochen: Es gibt Werkstätten, es sind neue Werkstätten eingerichtet
worden, und diese können nicht verwendet werden, weil kein Personal dafür da
ist. Das ist wirklich eine Verschwendung von Geld: dass man zuerst
Einrichtungen schafft, die gerade für die Jungen sehr wichtig sind –
diesbezüglich gibt es ja hier, glaube ich, auch gar keine Meinungsunterschiede –,
und sie dann leer stehen lässt. Das ist sehr unbefriedigend.
Immer wieder wird auch die Menschenrechtssituation angesprochen. – Ich glaube auch, dass es möglich gewesen wäre, mit zusätzlichen Maßnahmen, mit noch etwas mehr Geld die Situation zu verbessern, aber ich kann nicht mehr hören, dass gesagt wird, etwa von Kollegen
Bundesrat | 696. Sitzung / Seite 47 |
Aspöck, der inzwischen wieder im Saal ist, dass die
Menschenrechtssituation dabei im Vordergrund steht. (Vizepräsident Weiss
übernimmt den Vorsitz.)
Ich möchte
bezüglich Menschenrechtssituation ein Thema aufgreifen, nämlich die Debatte
über die Isolierzellen. Da sind junge Menschen tagelang in kleinen Kammerln
unter grässlichen Verhältnissen isoliert gewesen. – Wenn es um
Menschenrechte geht, dann frage ich mich: Ist das nicht wirklich ein ganz
gravierender Verstoß? – Ich sehe, Sie machen sich Notizen, Herr
Bundesminister! Ich möchte von Ihnen hören, wie Sie dazu stehen.
Nochmals: Der
Jugendgerichtshof ist ein ausgezeichneter Gerichtshof gewesen, ein Gerichtshof
für die Großstadt. Es hat keinen Sinn, jetzt überall, flächendeckend
Jugendgerichtshöfe einzurichten, obwohl ich zugebe, dass es vielleicht
erwägenswert wäre, für Linz so etwas zu machen. Wien, die Großstadt, hat
natürlich eine eigene Situation. Es ist so, dass ungefähr die Hälfte der Fälle
der Jugendgerichtsbarkeit in der Großstadt anfällt und daher eine besondere
Konzentration wichtig und vernünftig ist.
Das Großartige am
Jugendgerichtshof war, dass man sich auf die besondere Situation eingestellt
hat, dass man darauf eingegangen ist und so schnell auch darauf reagiert hat.
Deshalb ist der Jugendgerichtshof Wien ein Vorbild für so viele andere
Gerichtshöfe in anderen Ländern. Es sind auch immer wieder Expertendelegationen
gekommen – Richterdelegationen, Politikerdelegationen –, die sich
angesehen haben, was dort geleistet wird, weil eben die Betreuung und die
Auseinandersetzung mit den Jugendlichen so umfassend war. Man hat sich nicht
nur mit dem strafrechtlichen Aspekt auseinander gesetzt, sondern auch mit dem
sozialen, mit der Ausbildung und mit der Bekämpfung von Jugendbanden. Es gab
Anti-Aggressions-Modelle, es gab soziale Trainingskurse – es ist sehr viel
gemacht worden, und es wäre schade, wenn all das jetzt wieder wegfällt.
Ich möchte noch
einen Experten nennen: Herr Professor Friedrich, der bekannte Kinder- und
Jugendpsychiater, hat kritisiert, dass in Wirklichkeit die Haftbedingungen in
der Josefstadt keineswegs so gut sind. Er hat gesagt – ich zitiere –,
der Herr Bundesminister habe die Haftbedingungen der Josefstadt, gelinde
gesagt, schöngeredet, in Erdberg seien die Umstände wesentlich besser gewesen.
Als völlig untragbar bezeichnete er die Haftbedingungen in Isolierzellen in
der Justizanstalt Josefstadt. – Da geht es wiederum um die Frage nach der
Menschenrechtssituation, die ich bereits angesprochen habe.
Der
Jugendgerichtshof hat so viel geleistet, dieser Gerichtshof ist so wichtig für
die jungen Menschen, dass es eine Katastrophe ist, dass er aufgelöst wird. Ich
bedauere das ganz außerordentlich.
Ich möchte daher
abschließend noch ein Zitat von Professor Burgstaller bringen, der gesagt hat:
„Richtig ist wohl, dass mit der geplanten Auflösung des Jugendgerichtshofes
Einsparungen erzielt werden können. Das ist heute bei der bekannten
Ressourcenknappheit gewiss kein gering zu schätzendes Argument. Dem steht aber
die von mir als real eingeschätzte Gefahr gegenüber, Qualitätseinbußen im
Umgang mit jungen Straftätern zu erleiden, deren gesellschaftliche Kosten
mittel- und langfristig sehr hoch sein könnten.“ – Zitatende.
Dem ist leider
nichts hinzuzufügen. (Beifall bei der SPÖ und den Grünen.)
15.05
Vizepräsident
Jürgen Weiss: Ich erteile nun Herrn
Bundesminister Dr. Dieter Böhmdorfer das Wort. – Bitte.
15.06
Bundesminister
für Justiz Dr. Dieter Böhmdorfer: Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr
geehrte Damen und Herren! Ich gehe natürlich gerne auf diese Fragen ein. Ich
mache es kurz, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass ich es vollständig machen
werde.
Was die Haftbedingungen anlangt, ist zu sagen, dass es sich dabei um eine objektiv überprüfbare Tatsache handelt. Der Herr Bundespräsident hat sich beide Justizanstalten angesehen –
Bundesrat | 696. Sitzung / Seite 48 |
ich verweise auf seinen Pressedienst. Das
Gebäude, in dem die Jugendlichen jetzt sind, ist ein sehr modernes Gebäude,
in dem die Insassen voneinander getrennt werden können. Das ist außerdem
Routine in der österreichischen Justizwache: Man muss die Frauen von den
Männern trennen, man muss die Mittäter voneinander trennen, man muss die
Süchtigen von den nicht Süchtigen trennen. Man muss andauernd trennen –
das kann man –, viel mehr noch bei großen Gruppen, also bei Ju-gendlichen,
aber das ist überhaupt kein Problem! – Herr Bundesrat Schennach! Bitte
bestätigen Sie das, zumindest im persönlichen Gespräch! Man kann hier wirklich
nicht von Rückschritt reden. Ganz im Gegenteil! Die Trennung ist jetzt
problemlos durchführbar und baulich perfekt.
Das Projekt an
sich, Herr Bundesrat Schennach, Frau Bundesrätin Hlavac, besteht seit vielen
Jahren im Justizministerium, ist unter Exminister Michalek entstanden. Als die
Haftbedingungen in Erdberg begonnen haben, der Anti-Folter-Konvention zu
widersprechen, musste ich zur Tat schreiten.
Die Aufforderung,
dort umzubauen, geht wirklich ins Leere. Niemand konnte dort umbauen, keine
einzige Zelle konnte man hinzufügen – bitte, bestätigen Sie das bei
Gelegenheit, Herr Bundesrat –, man konnte die Zellen auch nicht noch mehr
verkleinern. Das endgültige Ende der Entwicklung war dort erreicht, man musste
einen anderen Standort suchen.
Warum nicht nach
Simmering? ist gefragt worden. – Die meisten werden es wohl wissen: Zu
jedem Landesgericht gehört eine Justizanstalt, weil man meistens U-Häftlinge
hat. Man hätte also in Simmering noch ein Gericht dazubauen müssen. Und das
ging schon überhaupt nicht! Wir mussten also den freien Raum in der
Justizanstalt Josefstadt und den freien Raum im Landesgericht für Strafsachen
Wien, der in ausreichender Größe zur Verfügung stand und steht, verwenden. Wir
konnten am Tag genau nach der Pensionierung des Herrn Präsidenten Jesionek
übersiedeln, nämlich am Jahresende; das ist so im öffentlichen Dienst. –
Auch in diesem Zusammenhang gibt es eigentlich kein schlagendes Argument.
Zu dem Argument:
1920 waren das keine Volltrotteln. – Natürlich waren das keine Volltrotteln,
die den Jugendgerichtshof begründet haben, aber mittlerweile sind mehr als
80 Jahre vergangen, und die Entwicklung hat sich eben geändert. Wir haben
auch eine andere Kriminalität, die wir zu bekämpfen haben; zum Beispiel
momentan die Suchtmittel-Kriminalität, die nicht – wie Sie sagen, Herr
Bundesrat – um 60 Prozent steigt, sondern um 144 Prozent bei den
14- bis 18-Jährigen, zuordenbar einem bestimmten Land in Afrika. –
Entschuldigen Sie, das ist die Tatsache, Sie wissen es, Sie sind Fachmann,
verschweigen wir es doch bitte beide nicht, das wäre wirklich ungerecht
gegenüber dem Niveau dieser Debatte! Angesichts dessen können wir nicht anders,
als auch andere Methoden anzuwenden.
Wir haben auch
nicht mehr nur oder hauptsächlich das Problem der sozialen Unterschiede, sondern
wir haben auch ein Sprachenproblem. Wir haben Staatsbürger von 89 Nationen
in Haft. Gerade bei den Jugendlichen sind sehr viele Ausländer dabei – Sie
wissen das. Nicht alle von ihnen kann man ausbilden, bei vielen besteht ein
Sprachenproblem, und das ist auch ein Ausbildungs- und Fortbildungs- und
Arbeitsproblem. – Die Umstände haben sich seit 1920 geändert, ganz
abgesehen von der Infrastruktur. Sie erreichen heute Klagenfurt von Spittal aus
wahrscheinlich schneller als die Rüdengasse von Hütteldorf aus im
Jahr 1920; entschuldigen Sie, aber ich kann das nicht anders ausdrücken.
Das muss man
einmal akzeptieren, dass sich die Verhältnisse so weit geändert haben, dass wir
anders als im Jahr 1920 vorgehen mussten.
Zum Netzwerk: Sie
wissen, Herr Bundesrat Schennach, und Sie werden es auch wissen, Frau
Dr. Hlavac, dass das Netzwerk nicht zerschlagen wurde. 1920 hat man
vielleicht mehr persönlichen Kontakt bei der Behörde gehabt, heute haben wir
ein reines Aktenverfahren. Es ist nicht so, dass der Richter zum Mitarbeiter
der Jugendgerichtshilfe geht, sondern das ist ein reines Aktenverfahren. Die
Richter des Jugendgerichtshofes Wien nehmen zu 37 Prozent die Jugendgerichtshilfe
in Anspruch, ansonsten nehmen auch andere Gerichte – Mödling zum Beispiel;
Sie wissen das, Herr Bundesrat Schennach – die Jugendgerichtshilfe in
Anspruch.
Bundesrat | 696. Sitzung / Seite 49 |
Dieses Netzwerk
bleibt erhalten, es wurde nicht zerschlagen. Es ist angesichts dieser
verteilten Inanspruchnahme nicht mehr primär wichtig, wo diese Jugendgerichtshilfe
ihren Sitz hat.
Stichwort:
Armenhaus. – Jetzt appelliere ich an die Hausfrauenvernunft. Wenn ich ein
Gebäude, das 100 Millionen Schilling wert ist, um 90 Millionen
Schilling repariere und es noch immer nicht besser, noch immer nicht
funktioneller wird, kann ich dann sagen: Jetzt bleibe ich erst recht und
repariere es weiter!? – Entschuldigen Sie, aber das sind die Sünden der
Vergangenheit.
Wir haben ein
Objekt in St. Georgen am Längsee in Kärnten, das die Justiz um
17 Millionen Schilling gekauft und um 147 Millionen Schilling
repariert hat, und heute können wir es um 40 Millionen Schilling nicht
verkaufen. Das sind Geldverschwendungsmechanismen gewesen, die ich
weiterzuführen ablehne.
Wir haben eine
ähnliche Situation in der Riemergasse: zirka 200 Millionen Schilling Wert,
zirka 200 Millionen Schilling Reparaturkosten und noch immer nicht
besser – derselbe Grundriss, noch immer keine Klimaanlage, noch immer
keine U-Bahn in der Nähe und so weiter. Daher mussten wir auch von dort
übersiedeln.
Das Argument:
90 Millionen Schilling haben wir investiert, also bleiben wir, ist ein
Wahnsinn! Wenn Sie ein Einfamilienhaus haben, Kostenpunkt 1 Million
Schilling, und um 1 Million Schilling sanieren müssen, denken Sie sich:
Nein, wozu? Wenn ich das alte Einfamilienhaus um 500 000 S verkaufe,
die Million nehme und mir um 1,5 Millionen ein neues Haus kaufe, bin ich
g’scheiter dran. – Ich kann und will daher diesem Argument nicht folgen,
weil es einfach kein wirtschaftlich richtiges Argument ist.
Die Lehr- und
Unterrichtsräume sind besser, moderner und dichter in der Josefstadt. Sie
wissen das, Herr Bundesrat, bitte, verschweigen wir es nicht. Sie haben
gesagt – vielleicht habe ich mich verhört, aber ich habe geglaubt, ich bin
in einem fremden Saal –: Die Häftlinge können dort nicht Fußball
spielen. – Dort gibt es eine modernst eingerichtete Halle. (Bundesrat Schennach: Nicht im Freien!)
Ich habe dort
gemeinsam mit der Justizwache – für die Zusammenarbeit bedanke ich
mich – unter den Jugendlichen ein Fußballturnier inszeniert, habe einen
Nationalspieler aus einem anderen Land eingeladen, der ebenso wie ich einen
Pokal überreicht hat. Daneben befindet sich ein riesiger Fitnessraum. Die
Justizwache hat gemeint: Wir plagen uns, und die bekommen einen Pokal! Ich habe
gesagt: Natürlich werdet ihr auch geehrt.
Wir bemühen uns
wirklich um die Jugendlichen. Den Minister möchte ich sehen, der sich mit mir
diesbezüglich vergleichen kann. Ich mache so etwas sonst nicht, aber wer hat
hier mehr Engagement und mehr Überlegungen hineingesteckt!? (Beifall bei den
Freiheitlichen und der övp.) Das betrifft jetzt aber nicht das
Fußballspiel, sondern das ist eine prinzipielle Einstellung des gesamten
Ministeriums.
Zum
außergerichtlichen Tatausgleich, den Sie zu Recht – aber nur zum
Teil! – Herrn Präsidenten Jesionek zuordnen: Die wirklichen Schöpfer
waren Broda-Sekretär Sektionschef Dr. Neider, der heute noch im
Ministerium ist, und Broda selbst. Sicher hat Jesionek ihn weiterentwickelt,
aber Urheber, Vater und Nestor dieser Institution ist er nicht! Das wäre auch
traurig, besonders traurig, denn im Jugendgerichtshof Wien – ich muss
diese Zahl jetzt einmal ganz deutlich nennen – haben wir im
Jahr 2001 40 außergerichtliche Tatausgleiche gehabt. Das ist
jene Form der Diversion, bei der das größte Engagement dahintersteckt, bei der
man den Geschädigten und den Täter zusammenbringt und dann eine Lösung findet.
Der
Jugendgerichtshof Wien hatte im Jahr 2001 40 außergerichtliche
Tatausgleiche! Nennen Sie doch zum Beispiel die Zahl von Oberösterreich, Herr
Bundesrat: 590 Mal. In Wien gibt es 2 Millionen Einwohner, in
Oberösterreich 1,5 Millionen Einwohner. Wo ist da das tolle Engagement im
Jugendgerichtshof Wien?
Entschuldigen Sie vielmals! Ich habe mir all das überlegt, wollte es gar nicht so in den Vordergrund stellen, aber wenn man hier mit solchen Argumenten kommt, als ob das ein Rohheitsakt
Bundesrat | 696. Sitzung / Seite 50 |
wäre, für die Jugendlichen etwas zu unternehmen, dann muss ich einmal
in diesem Haus die Wahrheit sagen dürfen! (Beifall bei den Freiheitlichen
und der övp.)
15.14
Vizepräsident
Jürgen Weiss: Nächste Rednerin ist Frau
Bundesrätin Dr. Renate Kanovsky-Wintermann. Ich erteile ihr das Wort.
15.15
Bundesrätin
Dr. Renate Kanovsky-Wintermann (Freiheitliche, Kärnten): Ich muss
noch etwas sagen, weil mir bei den Ausführungen der Frau Kollegin Schlaffer am
Anfang nicht klar war, ob sie tatsächlich nicht weiß, dass der
Sondergerichtshof nicht dasselbe ist wie die Sondergerichtsbarkeit in
Österreich, oder ob sie nur so tut, als ob sie es nicht wüsste. Das ist mir
eigentlich während ihres gesamten Redebeitrages nicht ganz klar geworden. Ich
habe auch bei manch anderem Kollegen aus dem sozialdemokratischen Bereich nicht
herausgehört, ob er jetzt vor dem Bundesrat absichtlich so tut, als würde das
dasselbe sein, oder ob er es tatsächlich nicht weiß.
Folgendes muss man
schon einmal sagen: Es wird nicht die Jugendgerichtsbarkeit zu Grabe
getragen – so wie Sie das darstellen, so verheerend –, sondern im
Gegenteil: Die Jugendgerichtsbarkeit bleibt selbstverständlich in ganz
Österreich bestehen. Es wird für ein bisserl mehr Ausgewogenheit gesorgt
werden. Auch das ist wichtig. (Bundesrätin
Schlaffer: Reden Sie nicht von etwas, wovon Sie keine Ahnung haben!)
Damit komme ich
gleich zum nächsten Punkt. Ich verstehe wirklich nicht, warum gerade im Bundesrat, der eine Vertretung der Bundesländer sein sollte, dem
Zentralismus und Privilegientum in Wien das Wort gesprochen wird. (Beifall
bei den Freiheitlichen. – Bundesrätin Kainz: Ist Wien kein
Bundesland? – Bundesrat Schennach: Wien ist ein Bundesland!)
Ich bin der
Meinung, dass ein straffällig gewordener Jugendlicher in ganz Österreich gleich
viel wert sein sollte, in ganz Österreich gleichsam der Besserung, der
Resozialisierung zugeführt werden sollte. Dass sich die Richter nicht nur in
Wien besonders um die straffällig gewordenen Jugendlichen bemühen, sondern sehr
wohl auch in den Bundesländern, möchte ich an dieser Stelle auch hervorheben.
Das sind sehr überzeugte, meist sehr junge, sehr engagierte Richter, die sich
sehr bemühen, den Jugendlichen die entsprechende Gerechtigkeit zukommen zu lassen.
Das lasse ich mir wirklich nicht sagen, dass das nur in Wien der Fall ist, dass
das nur am Jugendgerichtshof so gewesen ist, sondern das ist überall so –
manchmal unter Bedingungen, die wirklich nicht einfach sind.
Ich kann Ihnen
aber versichern, auch in Kärnten wird natürlich ein jugendlicher Straffälliger
von einem erwachsenen Straffälligen getrennt, ebenso – wie der Herr
Minister schon gesagt hat – Frauen von Männern, Drogensüchtige von nicht
Drogensüchtigen et cetera. Tun Sie bitte nicht immer so, als wäre all das nur
in Ihrem geheiligten Jugendgerichtshof der Fall gewesen.
Ich verstehe auch
nicht, weshalb dieses Argument, das jetzt auch der Minister noch einmal betont
und erwähnt hat, bei Ihnen überhaupt nicht fruchtet, denn für mich ist es schon
wichtig, ob man mit diesem neuen Instrument des außerordentlichen
Tatausgleiches auch umgehen kann und vor allem will, ob man eine Chance sieht
für Jugendliche, auch eine außergerichtliche Lösung zu finden, sie also ohne
Richterspruch wieder in das „normale“ – unter Anführungszeichen –
Leben zurückführt, ihnen wieder die Chance gibt, eine Ausbildung zu machen, die
Schule zu machen, oder ob man das eben nicht tut, ob man dieses Instrument
nicht anwenden will.
Wenn ich höre,
dass die Vergleichszahlen Oberösterreich und Wien so eklatant auseinander
driften, dann muss ich mich fragen: Was hat es im Jugendgerichtshof gegeben,
dass dieser außergerichtliche Tatausgleich, die Diversion, einfach nicht
angewandt wurde? Warum hat man das nicht getan? Wollte man es nicht, oder waren
vielleicht die Jugendlichen nicht so viel wert, wie sie es sein sollten?
Bundesrat | 696. Sitzung / Seite 51 |
Gerade Ihnen von
der Sozialdemokratie, die Sie immer wieder internationale Kommissionen –
wenn es um Menschenrechtsverletzungen geht – bemühen und zitieren, möchte
ich sagen: Ich habe von Ihnen nie einen Aufschrei gehört, dass es einen
menschenrechtswidrigen Zustand in der Justizanstalt des Jugendgerichtshofes
gegeben hat. Wo haben Sie sich aufgeregt? Wo haben Sie das argumentiert? Wo
haben Sie es andiskutiert? – Ich habe nichts von Ihnen gehört.
Ich bin froh
darüber, dass unser Minister endlich eine Lösung gefunden hat, denn ich bin
nicht jemand, der die Menschenrechtsverletzungen noch verteidigt und sie
beschönigt, so wie es manche meiner Vorredner offensichtlich tun. (Bundesrätin
Schlaffer: Eine, die keine Ahnung hat!)
Zuletzt noch etwas
zu Herrn Schennach, der historisch zurückgeblickt und gesagt hat: 1918 wurde
der Jugendgerichtshof sogar in die Verfassung aufgenommen. Herr Kollege
Schennach! Ich weiß schon, es ist gut, wenn man fallweise aus der Vergangenheit
zitiert, aber es ist heute nicht immer alles noch gültig, was in der
Vergangenheit festgeschrieben wurde. Zum Beispiel kann ich mich sehr wohl auch
erinnern, dass in der Verfassung gestanden ist: Deutschösterreich ist eine
Republik. Ich glaube, Sie würden sich sehr bedanken, wenn wir das in die
heutige Verfassungspräambel schreiben würden. – Dies sei nur erwähnt, um
ein Beispiel zu nennen, ich könnte Ihnen noch mehrere sagen.
Es ist nicht immer
richtig, das zu zitieren, was irgendwann einmal, vor vielen Jahren oder
Jahrzehnten, in Verfassungsgesetzen richtig gewesen ist.
Für die damaligen
Verfasser dieser Verfassung war das eben richtig, sie haben das als richtig
empfunden. Dass es einige Jahre später nicht mehr so gesehen wurde, ist wieder
ein anderes Thema, über das wir extra diskutieren könnten. – Danke für die
Aufmerksamkeit. (Beifall bei den Freiheitlichen und bei Bundesräten der
ÖVP.)
15.20
Vizepräsident
Jürgen Weiss: Weitere Wortmeldungen liegen nicht
vor.
Wünscht noch
jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall.
Die Debatte ist geschlossen.
Wird von der
Berichterstattung ein Schlusswort gewünscht? – Dies ist ebenfalls nicht
der Fall.
Wir kommen zur Abstimmung.
Ich bitte jene
Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den vorliegenden
Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein
Handzeichen. – Das ist die Mehrheit.
Der Antrag ist angenommen.
5. Punkt
Beschluss des Nationalrates vom
29. April 2003 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem ein Bundesgesetz
über die Vollzugsgebühren (Vollzugsgebührengesetz – VGebG) geschaffen und
die Exekutionsordnung geändert wird (Exekutionsordnungs-Novelle 2003 –
EO-Nov. 2003) (39 und 50/NR sowie 6782/BR der Beilagen)
Vizepräsident Jürgen Weiss:
Wir gelangen zum
5. Punkt der Tagesordnung: Bundesgesetz, mit dem ein Bundesgesetz über die Vollzugsgebühren
(Vollzugsgebührengesetz) geschaffen und die Exekutionsordnung geändert wird
(Exekutionsordnungs-Novelle 2003).
Die
Berichterstattung hat Frau Bundesrätin Anna Schlaffer übernommen. Ich bitte
um den Bericht.
Bundesrat | 696. Sitzung / Seite 52 |
Berichterstatterin Anna Schlaffer: Ich bringe den Bericht des
Justizausschusses über den Beschluss des Nationalrates vom
29. April 2003 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem ein Bundesgesetz
über die Vollzugsgebühren (Vollzugsgebührengesetz) geschaffen und die Exekutionsordnung
geändert wird (Exekutionsordnungs-Novelle 2003).
Da Ihnen der Bericht
in schriftlicher Form vorliegt, komme ich sogleich zur Verlesung des Antrages:
Der
Justizausschuss stellt nach Beratung der Vorlage am 13. Mai 2003 mit
Stimmeneinhelligkeit den Antrag, keinen Einspruch zu erheben.
Vizepräsident Jürgen Weiss:
Danke sehr. Wir
gehen in die Debatte ein.
Als erstem Redner
erteile ich Herrn Bundesrat Dipl.-Ing. Heribert Bogensperger das
Wort. – Bitte.
15.22
Bundesrat
Dipl.-Ing. Heribert Bogensperger (ÖVP, Steiermark): Sehr geehrter
Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Minister! Hohes Haus! Bereits im
Jahre 1995 wurde mit einer Reform der Exekutionsordnung im Bereich der
Fahrnisexekution begonnen, und jetzt wird nach entsprechender Erfahrung in der
Praxis ein weiterer Reformschritt gesetzt.
Eine vom
Bundesministerium für Justiz in Auftrag gegebene Studie zum Gerichtsvollziehungswesen
zeigt eine Reihe von wesentlichen Punkten und gleichzeitig auch Empfehlungen
auf. Es sind dies: auf der einen Seite Senkung des Verwaltungsaufwandes durch
Vereinfachung des Vollzugs- und Wegegebührenrechtes, Erhöhung des
Einbringungserfolges bei Exekutionsverfahren durch dessen stärkere
Berücksichtigung bei der Vergütung der Gerichtsvollzieher, Vermeidung
unnötiger Aktenläufe, Zurückdrängung unökonomischer Vollzugsversuche durch deren
Vergebührung, durchgehender Einsatz der EDV im Exekutionsverfahren und auf der
anderen Seite eine Verbesserung der Ausbildung der Gerichtsvollzieher.
Mit der Schaffung
eines neuen Vollzugsgebührengesetzes und der Novelle zur Exekutionsordnung
soll dieser Studie Folge geleistet werden. Vor allem im Bereich der Gebührenberechnung
und der Gebührenverrechnung bei den Tätigkeiten der Gerichtsvollzieher soll
eine starke Vereinfachung erfolgen. Der Schwerpunkt der Arbeit der
Gerichtsvollzieher liegt im Bereich der Fahrnisexekution. Im bisherigen
Vollzugs- und Wegegebührengesetz wurde die Gebühr von der Höhe der
hereinzubringenden Forderung berechnet. Im neuen Vollzugsgebührengesetz wird
vom erzielten Ergebnis der Fahrnisexekution ausgegangen und damit eine stärkere
Leistungskomponente in der Bezahlung der Gerichtsvollzieher eingeführt. Auch
in einer Empfehlung des Europarates vom 16. Mai 2002 ist eine
adäquate erfolgsorientierte Entlohnung der Gerichtsvollzieher vorgesehen.
In der
Exekutionsordnungs-Novelle 1995 wurde bereits ein Teil des
Fahrnisexekutionsverfahrens, nämlich das Auffindungsverfahren, in die
Zuständigkeit des Gerichtsvollziehers übertragen. Der Gerichtsvollzieher hat,
ohne das Entscheidungsorgan zu befassen, tätig zu werden, bis der Erfolg oder
Nichterfolg der Fahrnisexekution feststeht. Diese Vorgangsweise soll vom
Auffindungsverfahren im Fahrnisexekutionsverfahren auch auf andere
Exekutionsmittel, deren Durchführung dem Gerichtsvollzieher obliegt, erweitert
werden.
Ich als gerichtlich
beeideter Sachverständiger im Immobilienbereich und mit Exekutionsschätzungen
für Gerichte betrauter Schätzer kann Ihnen eine Reihe von Vorfällen darlegen,
bei denen es sehr wichtig ist, dass der beigestellte Gerichtsvollzieher eine
möglichst große Selbständigkeit und Flexibilität aufweist. Vor allem im Bereich
der Fahrnisexekution und der Exekution von ganzen Liegenschaften, von
Wohnhäusern, von ganzen Bauernhöfen kommt es immer wieder zu sehr schwierigen
und kritischen Situationen, in denen der Gerichtsvollzieher besonders gefordert
ist.
Bundesrat | 696. Sitzung / Seite 53 |
Man muss sich
vorstellen: Wer lässt sich schon gerne etwas wegnehmen, sein Schlafzimmer zur
Befundaufnahme betreten und durchstöbern? Wer hat es gern, wenn die versperrten
Räume mit dem beigezogenen Schlüsseldienst aufgesperrt werden müssen? –
Wohl niemand.
Oft sind im
bäuerlichen Bereich die zu schätzenden und zu exekutierenden Maschinen und
Geräte auf mehrere Höfe verteilt, teilweise kaum auffindbar und oft gut
verborgen. Sie können mir glauben, dass es bei diesen Exekutionen und
Fahrnisschätzungen die skurrilsten Vorkommnisse gibt und dass es dabei wichtig
ist, dass der Gerichtsvollzieher rasch und eigenverantwortlich reagieren kann,
und dass er dies oft auch muss.
In der Änderung
der Exekutionsordnung sind noch eine Reihe von weiteren Maßnahmen wie die
Anpassung der Regelung der Pfändbarkeit von Abfindungen nach dem Betrieblichen
Mitarbeitervorsorgegesetz und die einstweilige Verfügung zum Schutz vor Gewalt
in der Familie neu geregelt. Vor allem der so genannte geschützte Personenkreis
wird neu definiert. Bisher war eine taxative Aufzählung des geschützten
Personenkreises vorgesehen, und in der Novelle wird von dieser taxativen
Aufzählung abgegangen und der Begriff des „nahen Angehörigen“ ein-geführt,
womit auf die aktuelle soziale Entwicklung Bedacht genommen wird. So werden zum
Beispiel Stiefkinder und Personen, die nach Auflösung ihrer Ehe weiterhin
zusammenleben, vom Schutz des § 382b umfasst.
Weiters ist eine
neue Regelung über die Nichtabholung von Sachen eines Käufers in Auktionshallen
vorgesehen. Bisher konnte nur ein Lagerzins für die Zeit der Lagerung
verrechnet werden. In der Novelle wird vorgesehen, dass auf Beschluss des
Gerichtes eine neuerliche Verwertung der nicht abgeholten Sachen nach drei
Monaten erfolgen kann.
Mit der Novelle
wird auch eine Rechtsbereinigung vorgenommen, da das Auktionshallengesetz und
das Bundesgesetz über die Aufschiebung von Exekutionen bei Naturkatastrophen in
die Exekutionsordnung eingebaut werden.
Mit dem neuen
Vollzugsgebührengesetz ergeben sich Vorteile für die Verpflichteten und die
Gläubiger auf der einen Seite und Einsparungen für den Bund auf der anderen
Seite. Daher stimmen wir diesem Gesetz und der Novelle der Exekutionsordnung
zu. – Danke. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)
15.27
Vizepräsident
Jürgen Weiss: Ich
erteile nun Herrn Bundesminister Dr. Dieter Böhmdorfer das Wort. – Bitte.
15.27
Bundesminister für Justiz Dr. Dieter Böhmdorfer: Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte
Damen und Herren des Bundesrates! Diese scheinbar so trockene Materie hat auch
einen sehr wirtschaftlichen Hintergrund. Ich möchte das etwas erläutern,
insbesondere auch deshalb, weil mittlerweile sehr viele jugendliche Zuseher und
Zuhörer im Saal anwesend sind, die bedauerlicherweise das Thema, das sie
wahrscheinlich noch mehr interessiert hätte, nämlich die Debatte um den
Jugendgerichtshof – die wir aber leider nicht wiederholen können –,
noch nicht mitverfolgen konnten. Es wäre für Sie, sehr geehrte Zuhörerinnen und
Zuhörer, wirklich interessant gewesen, und Sie hätten sicherlich vieles
erfahren, was Sie bisher nicht in der Zeitung gelesen haben. (Bundesrat Gasteiger: Ja! Das
stimmt!) – Das stimmt. Sie hätten auch über die von Ihnen dazu
eingenommene Haltung etwas erfahren. (Bundesrat
Gasteiger: Da hätten sie nämlich einmal gehört, ...., im Originalton!) – Ja, ist okay.
Aber Sie sehen: Ich gehe wenigstens darauf ein (Bundesrat Gasteiger: Da ist es
schon viel wert, wenn ein Mensch darauf eingeht!), und ich werde auch
bei jeder Gelegenheit in den Schulen – es kommt dabei immer darauf an,
dass einen die Lehrer einladen – den Jugendlichen Rede und Antwort stehen,
weil es sehr interessant ist, mit den Jugendlichen, insbesondere mit den 17-
und 18-Jährigen, zu diskutieren, die sonst den Kontakt zu den Politikern nicht
so leicht finden. Ich sage das immer dann, wenn Lehrer hier sind und zuhören:
Jede Einladung wird von jedem Minister angenommen, damit die Jugendlichen einen
näheren Kontakt, insbesondere zur Justiz, bekommen.
Bundesrat | 696. Sitzung / Seite 54 |
Zur heutigen scheinbar trockenen Materie: Wenn ein Urteil vorliegt und
das Urteil auf Zahlung einer bestimmten Geldsumme lautet, gerät man häufig in
die Notwendigkeit, Exekution zu führen. Diese Exekutionsführung ist eine der
wesentlichen staatlichen Hoheitsakte. Das heißt, es ist ein Eingriff in das
Vermögen eines Staatsbürgers oder eines anderen Bewohners dieses Landes auf
Grund einer gerichtlichen Entscheidung. Diesen Eingriff führen Beamte durch,
das sind die Gerichtsvollzieher.
Diese Gerichtsvollzieher teilen sich – man hat es soeben
gehört – ihre Zeit, wann sie zu einem Verpflichteten gehen, im
Wesentlichen selbst ein. Seit vielen Jahrzehnten sind sie zum Teil am Erfolg
ihrer Bemühungen beteiligt. Das wird von manchen kritisiert, hat aber seinen
tiefen Sinn. Diese Beteiligung vermehren und verstärken wir jetzt, um die
Effizienz dieser Exekutionsmaßnahmen zu erhöhen. Dies geschieht nicht etwa, um
den Verpflichteten – so heißen jene, die Geld schuldig sind –
besonders wehzutun, sondern um die Kosten gering zu halten, denn je kürzer die
Frist ist zwischen dem Urteil und der Vollzugsmaßnahme, durch die das Geld
hereinkommt, umso geringer ist auch der damit verbundene Kostenaufwand.
Wir haben festgestellt, dass sich die Vollstrecker ihre Zeit nicht immer
ideal einteilen. Insgesamt – wenn man das Kanzleiwesen dazurechnet, denn
sie brauchen für ihre Arbeit auch ein Büro, eine Kanzlei und so weiter –
ergibt sich dann in Summe, dass sie nur 12 Prozent ihrer Zeit am Ort, beim
Verpflichteten, für die eigentliche Pfändungsmaßnahme verwenden. Das hat eine
wirtschaftliche Untersuchung ergeben.
Wir haben jetzt im
Ministerium eine EDV-Studie gemacht, mit deren Hilfe wir die Vollstrecker in
vier Stationen, bei den Oberlandesgerichten Linz, Innsbruck, Graz und Wien,
steuern und ihnen Vorschläge machen, wo sie jeweils ihre Vollzugsmaßnahmen
setzen sollen und wann sie das tun sollen. Wenn man weiß, dass ein
Verpflichteter – also jemand, der zahlen muss – Angestellter ist,
hat es nicht viel Sinn, um 10 Uhr vormittags bei ihm einen Vollzug zu
versuchen, sondern da muss man um 5 oder 6 Uhr früh hingegen.
All das kennt dieses EDV-System. Mit Hilfe dieses EDV-Systems steuern wir die Vollstrecker, und wir haben auch die Vergütung, die sie für ihre erfolgreichen Maßnahmen bekommen, erhöht und hoffen, dass damit die staatliche Anordnung, dass jemand Geld bezahlen muss, schneller und damit auch günstiger umgesetzt wird. Das ist der Kernbereich dieses Gesetzes, das ein Justizgesetz ist. Wir glauben, dass wir damit auch einen sinnvollen Beitrag zur Erhöhung der Effizienz des Staates und der öffentlichen Wirtschaft geleistet haben. – Danke. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)
15.31
Vizepräsident Jürgen Weiss: Nächste Rednerin ist Frau Bundesrätin Johanna Auer. Ich erteile ihr das Wort.
15.32
Bundesrätin Johanna Auer (SPÖ, Burgenland): Geschätzter Herr Präsident! Herr Bundesminister! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Die Thematik wurde bereits von Herrn Bundesrat Bogensperger angerissen. Er hat ausführlich erklärt, worum es in dieser Novelle geht. Ich möchte zu § 382, „Schutz vor Gewalt in der Familie“, welcher in diesem Konvolut verpackt ist, Stellung nehmen.
Geändert werden die Regelungen im Zusammenhang mit dem Gewaltschutzgesetz. Anstelle der bisherigen detaillierten Aufzählung wird nunmehr dem Begriff für nahe Angehörige eine allgemeine Umschreibung zugewiesen, um der Rechtsprechung Gelegenheit zu geben, beim Schutz vor familiärer Gewalt auf aktuelle soziale Entwicklungen Bedacht zu nehmen oder Bedacht nehmen zu können.
Es werden vom Schutz des § 382 Exekutionsordnung künftig auch jene Personen umfasst, die nach Auflösung ihrer Ehe weiterhin zusammenleben, und es wird darin auch eine Ausdehnung über den engen Begriff von Lebensgefährten hinaus vorgenommen.
Bundesrat | 696. Sitzung / Seite 55 |
Grundsätzlich begrüßen wir jene Bestimmungen in der Novelle zur Exekutionsordnung, die Verbesserungen im Bereich des Schutzes vor Gewalt vorsehen. Aber es sind noch andere Schritte notwendig, um möglichst allen Opfern familiärer Gewalt ausreichend Schutz zu gewähren.
Damit möchte ich zum Wegweiserecht überleiten und mit Nachdruck bemerken, dass wir in Österreich – und ich glaube, das wird mir auch bestätigt – in diesem Bereich eine Vorreiterrolle übernommen haben. Es ist bisher kein anderes Land in der Lage gewesen, ein solches Gesetz zu installieren.
Wir beschließen heute die Änderung in diesen Gesetzen, und ich darf jetzt schon darauf hinweisen, dass meine Fraktion dem zustimmen wird. Eine Kritik möchte ich aber noch anbringen, nämlich dahin gehend, dass es mehrere kleine Punkte gibt, welche in diese Novelle hätten einfließen können, beziehungsweise man könnte versuchen, diese Kritikpunkte noch aufzunehmen.
Da ist zum Beispiel die Dauer der einstweiligen Verfügung anzuführen. Opfer von Gewalt in der Familie brauchen ausreichend Zeit, sich ihr Leben und ihr Umfeld entsprechend zu ordnen. Dazu sind die bisher angeführten drei Monate nicht ausreichend. Chancen auf eine Verlängerung der Wegweisung gibt es wenige, lediglich beim Anstreben eines Folgeverfahrens – meis-tens ist das ein Scheidungsverfahren.
Des Weiteren ist in diesem Zusammenhang die Stellung des Lebensgefährten oder der Lebensgefährtin – heute eine durchaus normale Situation – anzuführen. Diese Situation ist von der jetzigen Regierung leider nicht berücksichtigt worden.
Dann gibt es noch die Gruppe jener Personen – und das betrifft vor allem die Frauen –, die von ihrem Ehepartner oder von ihrem Lebensgefährten finanziell abhängig sind, weil sie selbst keinem Beruf nachgehen beziehungsweise selbst keine Einkünfte beziehen.
Als Letztes möchte ich die Migrantinnen und ihre Kinder anführen, die keine eigene Aufenthaltsbewilligung haben. Für sie gibt es in diesem Gesetz keine Lösung, oder zumindest habe ich keine Lösungsansätze herauslesen können.
Im Übrigen: Die Kinder wurden in dieser Novelle komplett vergessen. Sie haben keine Möglichkeit, ein Nachfolgeverfahren anzustreben. Die einstweilige Verfügung endet nach drei Monaten, und die Kinder werden dem Schutz dieser Verfügung entzogen.
Deshalb wäre eine Verlängerung der Fristen des Wegweiserechtes unbedingt anzustreben und in das Gesetz aufzunehmen. Ich denke dabei an das Wohl der Geschützten, und ich hoffe auf Unterstützung in diesem Gremium. Die Geschützten sind es, die mit dieser Entscheidung, mit unserer Entscheidung, in Zukunft leben müssen.
Zum Schluss möchte ich noch die Möglichkeit nutzen, allen, die an der jetzigen Novellierung dieses Bundesgesetzes gearbeitet haben, zu danken. Vor allem möchte ich aber den Vorbereiterinnen dieses Gesetzes danken – und das waren die Frauenministerinnen der SPÖ! – Danke. (Beifall bei der SPÖ.)
15.37
Vizepräsident Jürgen Weiss: Nächster Redner ist Herr Bundesrat Wilhelm Grissemann. Ich erteile ihm das Wort.
15.37
Bundesrat Wilhelm Grissemann (Freiheitliche, Tirol): Sehr geehrter Herr Präsident! Geschätzter Herr Bundesminister! Der Herr Minister und Herr Kollege Bogensperger haben Wesentliches bereits ausgeführt. Ich darf mich daher auf einige Anmerkungen beschränken.
Der Job eines Gerichtsvollziehers ist wahrlich keiner, um den er zu beneiden ist: Ungern gesehen waltet er seines Amtes und braucht viel Fingerspitzengefühl bei seinem Beruf.
Bundesrat | 696. Sitzung / Seite 56 |
Zwischen Zahlungsunwilligen und Zahlungsunfähigen unterscheiden darf er nicht; für ihn müssen alle Schuldner gleich sein.
Ich kann Sie beruhigen, meine Damen und Herren von der SPÖ: Immer mehr und immer öfter bedienen sich natürlich auch die Gebietskrankenkassen und das Finanzamt des Exekutors – ein Spiegelbild unserer derzeit nicht gerade idealen Wirtschaftslage.
Abgesehen von der prekären Situation Tausender Gewerbetreibender, Händler und Handwerker, tappen auch Tausende Jugendliche in die Schuldenfalle – keine Frage. An dieser Stelle sei ein Dank an den Herrn Justizminister zum Ausdruck gebracht: Sein Vorgehen im Zusammenhang mit dem so genannten Lombard-Club hat wenigstens zu einem echten Wettbewerb und damit zu niedrigeren Zinsen bei den Banken geführt. (Beifall bei den Freiheitlichen.) – Herzlichen Dank, Herr Justizminister! Lassen Sie sich nicht beirren!
Freilich: Forderungen, die rechtmäßig bestehen und rechtmäßig festgestellt worden sind, sollen auch effizient eingehoben werden. Dazu dient die heutige Vorlage. Dass jetzt der Einsatz der EDV erfolgt, ist sinnvoll. Der Herr Minister hat das an einem Beispiel vor Augen geführt: Ein Werktätiger wird eben um zehn Uhr vormittags beim besten Willen nicht anzutreffen sein – auch wenn der Exekutor mehrmals dort hingeht. Das war sicher keine ideale Vorgangsweise, aber das war bis jetzt nicht geregelt. Wenn hier die EDV ein sinnvolles Vorgehen ermöglicht, soll dies recht sein. Sinnvoll ist auch der Anreiz beziehungsweise die bessere Vergütung für sein Wirken, um insgesamt die Kosten zu verringern.
Zum Schluss: Bei Zahlungsunfähigen ist die Exekution
immer eine Tragödie. Zahlungsunwillige wird der Vorgang wahrscheinlich auch
weiterhin kalt lassen. Trotzdem, oder gerade deshalb, werden wir Freiheitlichen
dieser Vorlage zustimmen. (Beifall bei den Freiheitlichen.)
15.40
Vizepräsident Jürgen Weiss: Weitere Wortmeldungen liegen nicht
vor.
Wünscht noch
jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall.
Die Debatte ist
geschlossen.
Wird von der
Berichterstattung ein Schlusswort gewünscht? – Nein. Danke.
Wir kommen zur Abstimmung.
Ich bitte jene
Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den vorliegenden
Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein
Handzeichen. – Das ist Stimmeneinhelligkeit.
Der Antrag ist angenommen.
6. Punkt
Beschluss des Nationalrates vom
29. April 2003 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das
Urheberrechtsgesetz geändert wird (Urheberrechtsgesetz-Novelle 2003 –
UrhG-Nov 2003) (40 und 51/NR sowie 6777 und 6783/BR der Beilagen)
Vizepräsident
Jürgen Weiss: Wir gelangen zum 6. Punkt der
Tagesordnung: Urheberrechtsgesetz-Novelle 2003.
Ich bitte Herrn
Bundesrat Dr. Robert Aspöck, den Bericht zu erstatten.
Berichterstatter Dr. Robert Aspöck: Herr Präsident! Herr Bundesminister! Meine Damen und Herren! Ich
erstatte den Bericht des Justizausschusses über den Beschluss des Nationalrates
vom 29. April 2003 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das
Urheberrechtsgesetz geändert wird.
Bundesrat | 696. Sitzung / Seite 57 |
Der
Ausschussbericht liegt Ihnen schriftlich vor.
Der
Justizausschuss stellt nach Beratung der Vorlage am 13. Mai 2003 mit
Stimmenmehrheit den Antrag, keinen
Einspruch zu erheben.
Vizepräsident Jürgen Weiss: Danke.
Wir gehen in die
Debatte ein.
Als erstem Redner
erteile ich Herrn Bundesrat Reinhard Todt das Wort. – Bitte.
15.42
Bundesrat
Reinhard Todt (SPÖ, Wien): Sehr geehrter Herr
Präsident! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Die Urheberrechtsgesetz-Novelle
ist, wie sie hier vorliegt, eine Novelle, die man als völlig verunglückt
bezeichnen kann. Es hätte im Prinzip eine Vielzahl von Möglichkeiten gegeben,
eine innovative und zukunftsträchtige Gesetzgebung zu betreiben. Auf der einen
Seite hätte man auf die Probleme der Künstler eingehen können, auf der anderen
Seite hätte man die Wünsche der Konsumenten berücksichtigen können.
Das, was hier
stattfindet, ist im Wesentlichen – und das kommt auch viel zu spät –
nichts anderes als eine Reparatur, und zwar der sehr viel zu späte Versuch,
eine EU-Richtlinie umzusetzen. Sie leisten sich damit an sich einen Fehlgriff,
der sowohl Künstler als auch Konsumenten betrifft. Er begünstigt im Grunde
niemand anderen als die Industrie.
Wir wissen, dass
die so genannte Info-Richtlinie auf Druck der Industrie in Europa durchgesetzt
worden ist. Künstler haben sich dagegen ausgesprochen, aber auch alle wichtigen
europäischen Verbraucherorganisationen waren dagegen.
Worum geht es in
dieser Novelle? – Es geht im Wesentlichen darum – ich habe das schon
gesagt –, eine EU-Richtlinie umzusetzen. Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Stellen Sie sich vor, Sie kaufen eine CD, zum Beispiel eine Musik-CD,
geben sie zu Hause in den CD-Player, dort spielt die CD die gewünschte
Musik – Mozart, Beethoven, die Beatles, Rolling Stones oder was Sie gerne
hören möchten –, Sie nehmen die CD mit ins Auto, geben sie ins
Autoradio – und dort spielt sie nicht. Das würde das alles bewirken, denn
in dieser CD ist nichts anderes als ein Kopierschutz, und daher passt sie nicht
in alle Systeme. Aber es geht nicht nur um den Kopierschutz, sondern: Wenn Sie
ein japanisches Auto haben, das mit einem japanischen CD-Player ausgestattet
ist, kann es vorkommen, dass das Ding nicht kompatibel ist, und dann kann diese
CD ganz einfach nicht abgespielt werden. (Bundesrat Mag. Gudenus:
Wenn man keinen CD-Player hat, geht es auch nicht!) – Herr Bundesrat!
Da haben Sie völlig Recht: Wenn man keinen CD-Player hat, geht es auch nicht.
Ich möchte damit
nur aufzeigen, dass der Konsument, der sich diese CD gekauft hat, ein
Benützungsentgelt dafür bezahlt hat, aber nichts davon hat. Er hat nichts
davon! (Bundesrat Kraml: Das ist
Betrug!) Ich denke, Sie machen dieses Gesetz, weil Ihnen die Konsumenten in
diesem Land überhaupt nicht am Herzen liegen, denn sonst würden Sie mit diesem
Gesetz auch notwendige Rahmenbedingungen schaffen, nämlich auch die
Rahmenbedingung, dass jemand, der so etwas kauft, es benützen kann und nicht
nicht benützen kann.
Dasselbe gilt für
die Vergütungsansprüche bei der pauschalen Leerkassettenvergütung. Darüber
wurde sehr lange diskutiert, aber die Verbesserung wurde ganz einfach nicht in
das Gesetz mit aufgenommen. Es ist leider nur bei der Diskussion geblieben, die
Regierungsparteien haben es nicht aufgenommen oder auch nicht akzeptiert.
Was die vielen Urheberrechte anlangt, so gibt es darüber seit längerem eine Diskussion. Derzeit ist die Aufteilung der Beträge so, dass ein Drittel die Künstler bekommen und zwei Drittel die Produzenten. Das heißt also, der Urheber bekommt ein Drittel des Geldes, und jene, die nicht Urheber sind, bekommen zwei Drittel. Ich denke, das ist inakzeptabel. Wenn man das genauer anschaut, muss man sagen: In Wirklichkeit ist das ein Betrug an den Konsumenten.
Bundesrat | 696. Sitzung / Seite 58 |
Sie kreieren
mit dieser Novelle einen neuen Eigentumsbegriff, der die Nutzungsrechte des
Käufers beschränkt.
Im
Sommer 2002 sollte diese EU-Richtlinie in das österreichische Recht
implementiert werden, und es war in der Diskussion – ich habe es schon
erwähnt – sehr viel enthalten, es sollte ein großer Wurf werden, man
wollte alles hineinnehmen. Man wollte gleichzeitig die notwendige
Modernisierung des österreichischen Urheberrechts vornehmen. Dies wäre wichtig
zum Schutz der Arbeit der Künstlerinnen und Künstler und für eine gerechte
Entlohnung der Künstlerinnen und Künstler. Dieser Entwurf wurde jedoch nicht
realisiert. Im Gegenteil: Es kam zu einer Novelle, die in Wirklichkeit die
Konsumenten bevormundet und den Künstlern das Geld, das sie bekommen sollten,
vorenthält. Das ist von der geplanten Novelle übrig geblieben.
Es ist dies ein
Husch-Pfusch-Gesetz geworden, daher werden wir dieses Gesetz ablehnen. (Beifall
bei der SPÖ.)
15.47
Vizepräsident
Jürgen Weiss: Nächster Redner ist Herr Bundesrat
Dr. Vincenz Liechtenstein. Ich erteile ihm das Wort.
15.48
Bundesrat
Dr. Vincenz Liechtenstein (ÖVP, Steiermark): Sehr geehrter
Herr Präsident! Herr Minister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verzeihen Sie
mir meine Stimme, ich bin ein bisschen leichtsinnig gewesen, wahrscheinlich war
ich gestern zu leicht gekleidet draußen, und da hat es mich erwischt. (Bundesrat
Kraml: Ich habe mir gedacht, Sie waren demonstrieren! Waren Sie
demonstrieren?) – Genau.
Etliches wurde
schon gesagt: Die EG hat mit Mai 2001 die Richtlinie des Europäischen
Parlaments und des Rates zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des
Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft
erlassen. Es ist ein absolutes Ziel und eine Kontinuität in der EU, die
Urheberrechtsgesetze an die erwähnte Richtlinie anzupassen und die erwähnten
Übereinkommen, die zu einem späteren Zeitpunkt gemeinsam mit der Europäischen
Gemeinschaft und den anderen Mitgliedstaaten ratifiziert werden sollen,
anzupassen.
Der Inhalt ist die
Anpassung des österreichischen Urheberrechts an die erwähnte Richtlinie. Es
wird insbesondere die Nutzung von geschützten Werken im Internet geregelt.
Ferner wird ein völlig neuer Rechtsschutz gegen die Umgehung technischer
Schutzmaßnahmen, die die Verletzung von Rechten verhindern sollen, und für
Kennzeichnungen zur elektronischen Rechtsverwaltung vorgesehen.
Es gibt auch
Auswirkungen auf die Beschäftigung und den Wirtschaftsstandort Österreich. Der
Erlass und die Umsetzung der Richtlinie gehören zu den vom Europäischen Rat in
Lissabon gesetzten Prioritäten, die den Weg für eine wettbewerbsfähige,
dynamische, auf Wissen basierende europäische Wirtschaft ebnen sollen. Mit der
Richtlinie und deren Umsetzung sollen sichere Rahmenbedingungen für einen
innergemeinschaftlichen Handel mit urheberrechtlich geschützten Waren und
Leistungen geschaffen und die Expansion des elektronischen Handels mit neuen
Waren, Multimedia-Produkten und Dienstleistungen erleichtert werden.
Ich darf auf die
heutige Ausgabe des „Kurier“ hinweisen, in der über diese Sache unter „Lexikon“
geschrieben wird:
„Mit
1. Juli 2003 tritt die Novelle des heimischen Urheberrechts in Kraft.
Ziel der auf einer EU-Richtlinie fußenden Neufassung ist die Verschärfung und
Präzisierung des Schutzes von geistigem Eigentum.
So ist künftig die
Bereitstellung von Daten im Internet dem Urheber vorbehalten. Damit ist der
Gebrauch nicht-kommerzieller Tauschbörsen illegal. Das Umgehen von
Kopierschutzeinrichtungen wird bestraft. Illegal hergestellte Datenträger
oder illegale Internet-Angebote können nicht als Privatkopie legalisiert
werden.“
Bundesrat | 696. Sitzung / Seite 59 |
Es ist also
insgesamt sehr klar, worum es geht. Diese EU-Richtlinie und deren Umsetzung
sind auf Grund der heutigen technischen Möglichkeiten absolut notwendig. In
diesem Sinne werden wir dem zustimmen. – Danke. (Beifall bei der ÖVP.)
15.51
Vizepräsident
Jürgen Weiss: Nächster Redner ist Herr Bundesrat
Dr. Peter Böhm. Ich erteile ihm das Wort.
15.51
Bundesrat
Dr. Peter Böhm (Freiheitliche, Wien): Sehr
geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Geschätzte Damen
und Herren des Hohen Hauses! Mit der vorliegenden
Urheberrechtsgesetz-Novelle 2003 trägt das Parlament – heute auch wir
in der zweiten Kammer – der Richtlinie 2001/29/EG zur Harmonisierung
bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der
Informationsgesellschaft Rechnung.
Die Pflicht jedes
Mitgliedstaates der Europäischen Union zur Umsetzung solcher Richtlinien
versteht sich von selbst, will man Vertragsverletzungsverfahren und die
Entstehung von Staatshaftungsansprüchen vermeiden.
Allein deshalb
erscheint es unbegreiflich, wenn die Opposition die Zustimmung zu einem Gesetzesbeschluss
verweigert, der dieser Pflicht zur Umsetzung verbindlicher Rechtsakte des
sekundären Gemeinschaftsrechts nachkommt. Freilich kann man sich in der
Gewissheit, ohnehin von der Mehrheit der Regierungsparteien überstimmt zu
werden, solchen Populismus leisten, ungeliebte Ergebnisse der EU-Regelung abzulehnen.
Demgegenüber war
es also geboten, das österreichische Urheberrecht an die erwähnte Richtlinie
anzupassen und dabei insbesondere die Nutzung geschützter Werke im digitalen
Bereich und im Internet zu regeln. Zudem war ein effektiver Rechtsschutz gegen
die Umgehung technischer Schutzmaßnahmen zur Verhinderung der Verletzung von
Urheberrechten einzurichten. Nicht zuletzt deshalb wurde auch der Katalog der
freien Werknutzungen überarbeitet.
Der Debatte, die
im Nationalrat stattgefunden hat, muss ich leider entnehmen, dass manche Redner
der Opposition es bedauerten, wenn die Richtlinie und ihre Umsetzung im österreichischen
Recht Vorgehensweisen unterbindet, die als Raubkopien einzustufen sind. Die von
der SPÖ geforderte Verkürzung der Rechte des Rechteinhabers und der Hersteller
von Software-Produkten liefe auf eine kalte Enteignung der Urheberrechte
beziehungsweise Werknutzungsrechte hinaus. Das – seien Sie mir nicht
böse, liebe Kollegen von der SPÖ (Bundesrat
Todt: Sie zahlen ja den Urheberbeitrag mit beim Kauf!) – macht
einmal mehr deutlich, wie Sie es mit dem Eigentumsschutz halten!
Meines Erachtens
ist es rechtspolitisch durchaus gerechtfertigt, dem Rechteinhaber Unterlassungs-
und Schadenersatzansprüche für den Fall einzuräumen, dass technische Zugangs-,
Kontroll- oder Kopierschutzeinrichtungen von einer Person umgangen werden, der
bekannt sein musste, dass sie dieses verbotene Ziel verfolgt. Dass der
Konsument, wie eingewendet wurde, damit nur seine angeblich rechtmäßigen
Vervielfältigungsrechte durchzusetzen versuchte, trifft nicht zu, denn
einerseits ist in der österreichischen Rechtsordnung Selbsthilfe grundsätzlich
unzulässig, andererseits geht es eben gerade um eine sachgerechte
Interessenabwägung zwischen den Urhebern, den Herstellern und den Konsumenten.
Dies gilt
insbesondere auch für die Urheberrechte von Werken, die Musiknoten wiedergeben.
Die kostenaufwendige Herstellung solcher Produkte müsste früher oder später
unterbleiben, falls auch hierbei die völlig freie Werknutzung eröffnet werden
würde. Deshalb wäre es ökonomisch unvertretbar, wenn Musiknoten vervielfältigt
werden könnten, ohne dass dafür die Verwertungsrechte entgolten werden
müssten.
Da auch das Abkommen der Weltorganisation für geistiges Eigentum bei der Gesetzesanpassung zu berücksichtigen war, musste bedacht werden, dass dieses Abkommen die unentgeltliche Vervielfältigung beziehungsweise Verwertung von auf Musiknoten bezogenen
Bundesrat | 696. Sitzung / Seite 60 |
Werken
verbietet. Wir können und wollen weder internationale Abkommen brechen noch
kleinere Musikverlage schädigen.
Aus all diesen
Gründen wird meine Fraktion dieser heute zu beschließenden Gesetzesvorlage zustimmen.
(Beifall bei den Freiheitlichen und bei Bundesräten der ÖVP.)
15.55
Vizepräsident
Jürgen Weiss: Weitere Wortmeldungen liegen nicht
vor.
Wünscht noch
jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall.
Die Debatte ist
geschlossen.
Wird von der
Berichterstattung noch ein Schlusswort gewünscht? – Dies ist ebenfalls
nicht der Fall.
Wir kommen zur Abstimmung.
Ich bitte jene
Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den vorliegenden
Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein
Handzeichen. – Das ist Stimmenmehrheit.
Der Antrag ist angenommen.
Ankündigung einer
dringlichen Anfrage
Vizepräsident
Jürgen Weiss: Ich gebe bekannt, dass mir ein
Verlangen im Sinne des § 61 Abs. 3 der Geschäftsordnung des
Bundesrates auf dringliche Behandlung der schriftlichen Anfrage der Bundesräte
Professor Konecny, Kolleginnen und Kollegen betreffend finanzielle Auswirkungen des
Budgetbegleitgesetzes auf Länder und Gemeinden an den Herrn Bundeskanzler
vorliegt.
Im Sinne des
§ 61 Abs. 1 der Geschäftsordnung wird verlangt, diese Anfrage nach
Erledigung der Tagesordnung zu behandeln.
Ich unterbreche
nunmehr die Verhandlungen zur Tagesordnung.
Dringliche Anfrage
der Bundesräte
Albrecht Konecny und KollegInnen an die Bundesministerin für Bildung, Wissenschaft und
Kultur betreffend Bewahrung der kulturellen und religiösen Vielfalt in
Österreich – Gewalt mit Worten und die Verwendung von Antisemitismen
gefährden die innere Sicherheit und Demokratie in Österreich (2068/J-BR/03)
Vizepräsident
Jürgen Weiss: Wir gelangen zur Verhandlung über
die dringliche Anfrage der Bundesräte Konecny und KollegInnen an die
Bundesministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur.
Da die Anfrage
inzwischen allen Bundesräten zugegangen ist, erübrigt sich eine Verlesung durch
die Schriftführung.
Ich erteile Herrn
Bundesrat Professor Albrecht Konecny als erstem Anfragesteller zur Begründung der Anfrage das
Wort. – Bitte.
15.57
Bundesrat Albrecht Konecny (SPÖ, Wien): Herr Präsident! Frau Bundesministerin! Hoher Bundesrat! Wir waren in den letzten Wochen in zunehmendem Maße mit einem Notschrei der Israelitischen Kultusgemeinde konfrontiert, die darauf verwiesen hat, dass sie aus eigenen Mitteln nicht mehr in der Lage ist, die ihr gestellten Aufgaben zu erfüllen. Diese Forderung – und
Bundesrat | 696. Sitzung / Seite 61 |
es ist eine Forderung an die Adresse der
Bundesregierung – hat aber ganz offensichtlich nicht jene Beantwortung
gefunden, die sie verdient.
Dieses Land,
Österreich, verdankt seine Geltung, seine Identität jener Vielfalt, die uns
auszeichnet. Dieses Österreich ist ein Land – ich hoffe doch – der
nationalen, der religiösen und der kulturellen Vielfalt und jener Toleranz, die
die Entwicklung dieser Vielfalt ermöglicht.
Wir haben eine
Vielzahl von staatlichen Instrumenten der Förderung, die diese Vielfalt
ermöglichen und unterstützen sollen, und das halten wir – ich hoffe,
alle – für richtig.
Wir fördern die
autochthonen nationalen Minderheiten in unserer Republik, die auch ihre
sprachliche Identität bewahren sollen. Wir fördern die Religionsgemeinschaften
in unserem Land. Wir bemühen uns, den vielfältigen regionalen Aspekten unserer
Vielfalt gerecht zu werden. Wir fördern naturgemäß auch kulturelle Initiativen
sehr unterschiedlichen Zuschnitts – ich hoffe, in der genügenden Breite,
obwohl wir diesbezüglich auch gelegentlich Kritik anzumerken haben. Wir
fördern politische, ideologische Gruppierungen und die von ihnen gesetzten
Maßnahmen zur Verbreitung der Ansichten, die sie vertreten. Wir fördern
Publikationen, die diese Standpunkte zum Ausdruck bringen.
Wir haben in den
letzten Jahren beim Ausbau dieser Förderungen sicherlich nicht in dem Ausmaß
Schritt gehalten, wie es einer differenzierten Gesellschaft angemessen gewesen
wäre. Wir haben das Diktat der angeblich leeren Kassen auch in diesem Bereich
durchschlagen lassen.
Das sind die
Rahmenbedingungen, unter denen dieses Thema zu diskutieren ist. Aber jene
Aspekte, denen sich unsere dringliche Anfrage widmet, sind nicht nur in diesem
Zusammenhang zu debattieren. Dass jüdische Mitbürger – in Klammer gesagt:
religiös oder nicht religiös – ein wichtiges und in vielen Bereichen
geradezu identitätsstiftendes Merkmal dieses Landes waren, ist jedem bekannt,
der das nicht verdrängen will.
Ich erspare es
mir, jene lange Liste von Nobelpreisträgern, Wissenschaftlern und Künstlern
aufzuzählen, auf die dieses Land – manchmal zu Recht und oft nicht zu
Recht – stolz ist, das heißt: Stolz kann man schon auf sie sein, aber ob
wir ein Recht darauf haben, uns heute mit ihnen zu brüsten, das ist in vielen
Fällen höchst zweifelhaft!
Aber sie sind
jedenfalls ein Stück der positiven Identität dieses Landes, das über weite
Strecken – wenn ich in die Landschaft schaue: über weite Teile unserer
Republik – vernichtet und zahlenmäßig nur mehr zu einem Bruchteil
einstiger Größe vorhanden ist.
Wir kennen heute
die Namen von 65 000 österreichischen Juden, die ermordet wurden, wir
wissen um die Schicksale. Unsere Kinder – und ich habe das für eine der
schönsten Aktionen gehalten – haben ihnen Botschaften geschickt, und zwar
an die einzige Adresse, die es, wenn man das glaubt, noch gibt: nach oben, in
den Himmel.
Was es heute noch
gibt, sind kleine Restbestände. Es ist eine Ehre für unser Land und für jene,
die solche Aktivitäten initiiert haben, dass wir dem in vielen Bereichen
gedenken, es würdigen und Einrichtungen schaffen, die das tun. Wir haben in
Hohenems, in Eisenstadt, in Wien jüdische Museen. Wir haben Gedenksteine und
Gedenkmale, wir haben von der Bevölkerung stark angenommene Gedenkfeiertage wie
die Befreiung Mauthausens oder die Feier hier im Parlament. – All das ist
wichtig!
Das Gedenken an
die Toten der Shoah ist ein
Element, aber wir sollten um nichts in der Welt den Eindruck entstehen lassen,
dass bei diesem Gedenken nur eines stört, nämlich die paar lebenden Juden, die
es in Österreich noch gibt.
Wenn wir Schuld
zum Ausdruck bringen – keine, die einer von denen, die hier im Saal
sitzen, trägt, aber eine Schuld unserer gemeinsamen Geschichte –, wenn wir
ein Ja sagen zu dieser Vielfalt, dann müssen wir auch – und gerade –
die wenigen lebendigen Zentren jüdischen Lebens in unserem Land erhalten, und,
wenn sie das aus eigener Kraft nicht können, sie dabei unterstützen.
Bundesrat | 696. Sitzung / Seite 62 |
Die Israelitische
Kultusgemeinde in Wien ist eine kleine Gemeinde geworden, sie ist allein in
jener Zeit, in der ich ihr Schicksal verfolge, auf etwa die Hälfte der
Mitglieder geschrumpft, und sie hat unter anderem auch für den hohen
Prozentsatz älterer und hilfsbedürftiger Gemeindemitglieder die finanzielle
Belastung zu tragen. Sie mit den vielfältigen Einrichtungen, die sie erhält,
und mit den vielfältigen Leistungen, die sie erbringt, allein zu lassen, ist
unseres Landes nicht würdig!
Sich darauf zu
verlassen, dass uns größere, finanzstärkere jüdische Gemeinden – die gibt
es –gewissermaßen aus der Verantwortung entlassen, indem sie aus Amerika
etwas überweisen, wäre eine wahrhaft miese Haltung, die unserem
Selbstverständnis – das gilt jedenfalls für uns – nicht gerecht werden
würde.
Der Präsident der
Israelitischen Kultusgemeinde hat rechtzeitig und in klaren Worten auf den
Notstand dieser Gemeinschaft aufmerksam gemacht. Es hat Gespräche
gegeben – so weit ich weiß, auch mit Ihnen, Frau Bundesministerin –,
die nicht erquicklich verlaufen sind und jedenfalls bislang zu keinen
Resultaten führten.
Ich will mich gar
nicht in extenso in die Diskussion darüber einschalten, wie nun der Herr Bundeskanzler
mit welchen Worten reagiert hat. Wenn es so war, wie es mitgeteilt wurde, ist
es einfach schmerzlich. Wenn es nicht so war und er nur ohne die Hinzufügung
eines Epitheton ornans von „Mossad-Agenten“ gesprochen hat, war es zumindest
geschmacklos.
Aber darum geht es
nicht! Es geht darum, dass sich die Republik als politischer Ausdruck unserer
Geschichte und unserer geschichtlichen Verantwortung dieser Verantwortung
stellt, und es geht darum, dass sich die Regierung als politischer
Mandatsträger dieses Volkes ihrer Verantwortung stellt! (Beifall bei der
SPÖ und den Grünen.)
Ich habe mir
persönlich vor dieser Wortmeldung sehr bewusst verboten, auch nur annäherungsweise
an Polemik heranzukommen, denn das
ist kein Thema dafür! Ich klage nicht an, ich mache keine Vorwürfe, ich
attackiere auch Sie nicht, Frau Bundesministerin (Zwischenruf des Bundesrates Bieringer), aber ich erwarte eine klare und positive Antwort.
Diese dringliche
Anfrage hat einen einzigen Zweck, nämlich Ihnen die Möglichkeit zu geben, vor
einer Kammer des österreichischen Parlaments klar zum Ausdruck zu bringen: Ja,
wir drücken uns nicht vor dieser Verantwortung, wir sind bereit, einzuspringen
und zu helfen!
Ich mache am
Schluss meines Debattenbeitrages nichts anderes als auszudrücken, dass ich von
Ihnen erwarte, dass Sie dieser Verantwortung gerecht werden! (Beifall bei
der SPÖ und den Grünen sowie des Bundesrates Dr. Liechtenstein.)
16.08
Vizepräsident
Jürgen Weiss: Zur Beantwortung der an sie
gerichteten Anfrage erteile ich Frau Bundesministerin für Bildung, Wissenschaft
und Kultur, Elisabeth Gehrer, das Wort. – Bitte.
16.09
Bundesministerin
für Bildung, Wissenschaft und Kultur Elisabeth Gehrer: Sehr geehrter Herr Präsident! Hohes Haus! Die Regierung drückt sich vor
keiner
Verantwortung in keinem Bereich! (Beifall bei der ÖVP und den
Freiheitlichen.)
Zum
grundsätzlichen Verständnis muss ich in der Geschichte etwas weiter
zurückgehen: Die Republik hat nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges im
Jahre 1960 ein Gesetz beschlossen, nach dem für verlorenes Vermögen von
Religionsgemeinschaften jährliche Zahlungen geleistet werden, und zwar als Entschädigungszahlungen.
In diesem Gesetz
wurde damals vereinbart, dass eine einmalige Zahlung geleistet wird und dazu
jährliche Zahlungen, die etwa alle sechs Jahre, wenn der Geldwertschwund ein
bestimmtes Maß überschritten hat, valorisiert werden, das heißt also, dass
dieses Gesetz von 1960 dann novelliert wird.
Bundesrat | 696. Sitzung / Seite 63 |
Die
österreichische Regierung zahlt diese Beiträge den Religionsgemeinschaften
nicht zur Ausübung ihrer Tätigkeit, sondern ausdrücklich als
Entschädigungszahlung für während des NS-Regimes verlorenes Vermögen. Darin
besteht ein grundsätzlicher Unterschied zu Deutschland, denn in Deutschland
wird der Kirchenbeitrag vom Staat eingehoben, danach werden diese Geldmittel
verteilt. Das heißt also: Wenn man Deutschland als Beispiel hernimmt – das
erklärt mir Herr Dr. Muzicant immer wieder, welche Zahlungen man dort
laufend leistet –, dann muss man sagen, ist das eine andere Konstruktion.
Damals, im
Jahr 1960, wurde ein bestimmter Betrag für die römisch-katholische Kirche
und für die beiden bestehenden evangelischen Kirchen, angepasst an ihre
jeweilige Mitgliederzahl, vereinbart. Beim Betrag für die Israelitische
Kultusgemeinde wurden die Mitgliederzahlen von vor 1938 genommen. Schon seit
1958 wurden diese Zahlungen überwiesen. Wir leisten also jährliche
Entschädigungszahlungen auf Basis der Mitgliederzahlen der Israelitischen
Kultusgemeinde von vor 1938!
Derzeit ist das
ein jährlicher Betrag in der Höhe von 772 177,27 €. Bitte
mitschreiben, damit wir alles zusammenzählen können! Dieser Betrag, nämlich
772 177,27 € – das ergibt sich aus den Aufwertungsfaktoren, da
kommen dann solche Beträge heraus –, wird der Kultusgemeinde jährlich
quasi als Entschädigungszahlung überwiesen, und zwar ad infinitum! Das ist im
Gesetz so festgelegt.
Die einmalige
Zuwendung, welche die Kultusgemeinde damals, im Jahr 1958, erhalten hat,
hat nach damaligen Geldwert 30 Millionen Schilling betragen, heute sind
das mit dem Aufwertungsfaktor etwa 143 Millionen Schilling. Dazu kommt
noch, dass wir der Israelitischen Kultusgemeinde selbstverständlich die
Kosten für die Lehrer und Lehrerinnen an ihren Schulen ersetzen, das sind etwa
3 Millionen € jährlich. Dazu kommt weiters, dass wir sehr viele
Projekte der Israelitischen Kultusgemeinde bewilligt und unterstützt haben.
Wir legen in diesem gesamten Bereich großes Augenmerk darauf, dass diese
kulturelle Vielfalt in unserem Lande bestmöglich unterstützt wird.
Sie haben es
selbst schon erwähnt: Es werden die jüdischen Museen in Hohenems, in Wien und
in Eisenstadt unterstützt, es wird die Universität in Jerusalem unterstützt, es
werden Zivildiener zu den Gedenkstätten geschickt, es werden die Gedenkstätten
unterstützt. Es werden an den Schulen, gerade im Rahmen der politischen
Bildung, enorm viele Projekte gemacht, Maßnahmen gesetzt, mit Zeitzeugen, mit
all den Broschüren, die wir erstellt haben, auch mit dem letzten Projekt
„Aktionstage Politische Bildung“, bei dem all diese Fragen mit den Schülern
diskutiert werden und eine breite Basis in Richtung Toleranz, in Richtung
„Miteinander leben“ grundgelegt wird.
Wir sind in
ständigem Kontakt mit der jüdischen Gemeinschaft und haben auch sehr erfreuliche
und sehr gute Gespräche mit ihr. Ich weiß nicht, woher Sie das haben, dass es
unerfreuliche Gespräche seien.
Die
österreichische Bundesregierung hat als zusätzlichen Schritt den so genannten
Entschädigungsfonds gegründet. Dieser Entschädigungsfonds, der unter der
Führung von Frau Präsidentin Schaumayer und in Zusammenarbeit mit allen
jüdischen Gemeinden auch in den Vereinigten Staaten ins Leben gerufen wurde,
ist dazu da, um noch offene Fragen der Entschädigung abzuklären und eine
entsprechende Entschädigungszahlung zu leisten. Das wurde vereinbart und im
Jänner 2001 unterschrieben. Der damalige Staatssekretär Stuart Eizenstat
hat mitgeteilt, dass auch Herr Dr. Muzicant diese Vereinbarung
unterschrieben hat. Noch bestehende Entschädigungsansprüche,
Restitutionsansprüche müssen diesem Entschädigungsfonds bis Ende Mai gemeldet
werden.
Ich habe ein sehr konstruktives Gespräch mit Herrn Dr. Muzicant gehabt, und es ist mir auch mitgeteilt worden, dass er diese noch bestehenden Ansprüche, die alle gesammelt worden sind, bei diesem Entschädigungsfonds, der mit 210 Millionen US-Dollar dotiert ist, anmelden wird. Das ist kein Geld, das aus Amerika an uns geliefert wird, das ist Geld, das aus Österreich bezahlt wird. Die österreichische Bundesregierung hat erreicht, dass in diesen Fonds 210 Mil-
Bundesrat | 696. Sitzung / Seite 64 |
lionen
US-Dollar geflossen sind, mit denen Entschädigungen für Ansprüche, die noch da
sind, vorgenommen werden können.
Herr
Dr. Muzicant hat diese Ansprüche in einem sehr großen Kompendium
gesammelt. Es ist, glaube ich, seine Pflicht, diese Ansprüche beim
Entschädigungsfonds geltend zu machen, damit dann auch die entsprechenden
Entschädigungszahlungen geleistet werden.
Ich werde nun Ihre
Fragen im Einzelnen beantworten:
Frage 1: „Welche
Maßnahmen werden Sie als zuständiges Mitglied der Bundesregierung unternehmen,
um die Existenz der Israelitischen Kultusgemeinde in finanzieller Hinsicht zu
gewährleisten?“
Wir werden
weiterhin die vereinbarten Zahlungen leisten, wir werden weiterhin Projekten
der Israelitischen Kultusgemeinde Unterstützung zukommen lassen, und wenn die
Israelitische Kultusgemeinde die Entschädigungszahlung aus diesem
Entschädigungsfonds erhält, dann wird ein großer Teil ihres finanziellen
Problems gelöst sein.
Ich weiß aber
auch, dass eine kleiner werdende Israelitische Kultusgemeinde wahrscheinlich
einige Projekte hat, die man dementsprechend unterstützen muss, und habe
deshalb mit Herrn Dr. Muzicant – und das beantwortet auch Ihre
weiteren Fragen – vereinbart, dass wir, wenn es Projekte im sozialen
Bereich gibt, wenn es Projekte im Bildungsbereich gibt, wenn es Projekte im
Sicherheitsbereich gibt, sehr gerne mit ihm über eine finanzielle Unterstützung
solcher Projekte – nicht als Dauerfinanzierung, sondern für die Laufzeit
eines Projektes – reden werden.
Bezüglich der
jüdischen Friedhöfe kann ich mir durchaus vorstellen, dass ein
Sanierungsprojekt notwendig ist. Normalerweise ist die Erhaltung von Friedhöfen
Sache der Gemeinden, der Städte, also der Kommunen. Wenn aber eine einmalige
Hilfestellung notwendig ist und ein Projekt dargestellt wird, dann werden wir
sehr gerne darüber reden.
Zur Frage
betreffend den Sicherheitsaufwand möchte ich Folgendes feststellen – das
ist auch meine Bitte an den Antragsteller –: Sie haben gesagt, Sie wollen
sehr moderat und sehr sachlich darüber reden. Das ist mir sehr recht.
Allerdings schreiben Sie in Ihrer Anfrage – ich zitiere –: „Die
finanzielle Notsituation der Kultusgemeinde begründet sich nicht nur auf den
hohen Kosten für – und dies ist wohl ein beschämendes Zeugnis menschlichen
Unvermögens ein Miteinander zu leben – ...“ – Ich weiß nicht, wen Sie
damit meinen, ich hoffe, Sie meinen damit nicht die Österreicher und
Österreicherinnen! (Bundesrat Konecny: Nein!)
Sie bezeichnen
diese Mehraufwendungen für Sicherheitsmaßnahmen als „ein beschämendes Zeugnis
menschlichen Unvermögens ein Miteinander zu leben“!
Sehr geehrter Herr
Bundesrat! Ich habe Herrn Dr. Muzicant gefragt, woher die Bedrohung kommt.
Er sagte mir, dass sie infolge des 11. September Drohbriefe erhalten
hätten, nicht von uns, nicht von Österreicherinnen und Österreichern! Infolge
des Irak-Krieges gibt es zusätzliche Bedrohungen, aber ganz sicher nicht von
Österreicherinnen und Österreichern. – Ich bitte also wirklich darum,
nicht etwas in diese Anfrage zu schreiben, das den Geruch aufkommen lässt, dass
wir in Österreich nicht dieses menschliche Miteinander leben.
Wir leben dieses
menschliche Miteinander. Wir unterstützen die Israelitische Kultusgemeinde, wir
wollen, dass es ihr gut geht, wir wollen, dass sie in Österreich ihren Platz
hat, und wir tun alles, was möglich ist! Auch dieser Fonds, der in Amerika
beschlossen und gegründet wurde und mit österreichischen Geldern gefüllt wurde,
dient dieser Wiedergutmachung. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)
Zur Frage 5 bezüglich Sicherheit ist noch zu sagen, dass sämtliche Sicherheitsdirektionen, Bundespolizeidirektionen, Landesgendarmeriekommanden bereits in der Vergangenheit angewiesen wurden, jüdische Einrichtungen in deren örtlichen Zuständigkeitsbereich zu erfassen, mit den für Sicherheitsfragen zuständigen Verantwortlichen dieser Objekte Kontakt aufzu-
Bundesrat | 696. Sitzung / Seite 65 |
nehmen und allenfalls
Objektschutzmaßnahmen im Rahmen des Rayons- und Streifendienstes zu
veranlassen. Das wird auch vom Innenministerium gemacht.
Derzeit werden zum
Beispiel in Wien 25 jüdische Objekte durchgehend – beziehungsweise
zeitweilig, wenn es besonders notwendig ist, wenn wieder ein neuer Anlass
gegeben ist – von uniformierten Exekutivkräften überwacht.
Zu diesem Zweck
sind insgesamt etwa 50 bis 100 Sicherheitswachebeamte eingesetzt. Jede
weitere Verstärkung der Objektschutzmaßnahmen durch Exekutivorgane wird
situationsangepasst geprüft und veranlasst.
Zur Vornahme von
Anschaffungen von Geräten zur technischen Überwachung werden von der
Israelitischen Kultusgemeinde Subventionsanträge eingebracht. Wir haben den
Herrn Präsidenten gebeten, zum Beispiel für Sicherheitsschleusen, Alarmanlagen
Projekte einzubringen. Das Bundesministerium für Inneres wird diese
Anschaffungen gerne unterstützen und auch fördern.
Das
Bundesministerium für Inneres wird auch weiterhin alles rechtlich, personell
und finanziell Mögliche für den Schutz von jüdischen Einrichtungen unternehmen.
Das war zur Frage
5, die Sie gestellt haben.
Zur Frage 6: In
welchem zeitlichen Rahmen wird mit Restitutionsmaßnahmen hinsichtlich des
Eigentums der Israelitischen Kultusgemeinde gerechnet werden können?
Dazu ist meine
Information, dass Herr Präsident Dr. Muzicant seine Anträge bis Ende Mai
beim Allgemeinen Entschädigungsfonds einbringen wird. Dort werden dann die
Ansprüche geprüft und Entschädigungszahlungen geleistet.
Ich möchte
zusammenfassend feststellen: Es ist das große Anliegen der österreichischen Bundesregierung –
und ich weiß, es ist dies das große Anliegen aller Mitglieder des Hohen Hauses,
des Bundesrates, des Nationalrates –, dass wir unsere Mitbürger und
Mitbürgerinnen, die in der Israelitischen Kultusgemeinde sind, so gut wie
möglich unterstützen, dass wir ihre Schulen so gut wie möglich fördern. Wir
haben die Bauten der Lauder-Chabat-School mit einer besonderen finanziellen
Förderung versehen. Wir unterstützen die Einrichtungen, wir unterstützen mit
Sondertranchen die Errichtung von Turnsälen, wir zahlen regelmäßig das gesamte
Lehrpersonal. Wir schauen nicht darauf, ob es große oder kleine Klassen sind,
es wird wirklich nach Notwendigkeit gefördert.
Mir ist es ein
Anliegen, dass sich die jüdischen Mitbürger und Mitbürgerinnen in unserem Land
wohl fühlen, in unserem Land gut leben können. Die österreichische
Bundesregierung wird alles unternehmen, damit dies auch weiterhin möglich ist.
(Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)
16.22
Vizepräsident Jürgen Weiss:
Wir gehen nunmehr
in die Debatte ein, in der die Redezeit jedes Bundesrates mit insgesamt
20 Minuten begrenzt ist.
Als erster
Rednerin erteile ich Frau Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach das
Wort. – Bitte.
16.23
Bundesrätin Anna Elisabeth Haselbach (SPÖ, Wien): Herr Präsident!
Frau Bundesministerin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Es ist noch nicht lange her, dass wir am Tag des Gedenkens an die
Opfer des Faschismus und gegen den Rassismus innegehalten haben, uns erinnert
haben und über Zukünftiges nachgedacht haben.
Das, was unseren
Mitbürgern in der Zeit des Faschismus passiert ist, wird zwar immer wieder
beschrieben, aber ich frage mich, ob wir überhaupt ermessen können, was die
Opfer zu ertragen hatten, und ich gestehe es hier ganz offen, mein Vorstellungsvermögen
übersteigt es.
Bundesrat | 696. Sitzung / Seite 66 |
Mein
Vorstellungsvermögen übersteigt es allerdings nicht, wenn es um Sensibilität
für Verletzlichkeit und Kränkung geht. Und da darf ich jetzt etwas einfügen,
was bitte nicht missverstanden werden soll, weil ich es aus den Worten der
Frau Bundesministerin nicht herausgehört habe: In vielen Diskussionen macht es
mir schon Sorge, dass manchmal so ein Unterton herauszuhören ist, der sagen
will: Was wollen die noch? Ich glaube, dass das nicht gut ist, wenn in solchen
Diskussionen dann so ein Unterton herauskommt, weil dieser dann natürlich auch
auslöst, dass auf der anderen Seite gesagt wird: Na ihr seht ja, der
Antisemitismus ist da, der ist nicht wegzubringen!, und so weiter.
Daher ist gerade
in allen Diskussionen, die sich mit dem Thema, das durch die dringliche Anfrage
angeschnitten wurde, beschäftigen, eine besonders sensible Wortwahl
vonnöten, denn es gibt so vieles, was verletzt. Es verletzt
eben die Nichtachtung von berechtigten Wünschen beziehungsweise Ansprüchen. Es
verletzt eben, wenn religiösen Vorstellungen nicht der gebührende Respekt
entgegengebracht wird, und es verletzt natürlich auch, wenn die Sprache rüde
ist, ja, wenn die Sprache vielleicht sogar Angst macht.
Menschen jüdischen
Glaubens haben halt auch eine besondere Beziehung zu den Gräbern ihrer
Vorfahren, und es ist daher für Menschen jüdischen Glaubens besonders
schmerzlich, wenn es keine Nachfahren gibt, die sich um Familiengräber kümmern
können, wenn Friedhöfe verwahrlosen. Daher soll uns auch das ein besonderes
Anliegen sein.
Ich weiß nicht,
wie viele von Ihnen wissen, warum jüdische Menschen Steine auf die Gräber
legen, denn wir sind es ja gewohnt, Blumen hinzulegen. Diese Tradition des
Steine-Hinlegens hat eigentlich einen furchtbaren Hintergrund: Eine Blume
verwelkt. Die Überlegung dabei war, die Familienmitglieder der Verstorbenen,
die sehr oft in Zeiten der Pogrome verfolgt waren, zu schützen. Wenn nämlich
frische Blumen auf den Gräbern zu finden waren, dann haben natürlich jene, die
zu den Verfolgern gehört haben, genau gewusst, dass es da irgendwo Angehörige
geben muss. So ist diese Tradition des Steine-Niederlegens entstanden.
Ich glaube, auch
das ist etwas, was wir uns immer ins Gedächtnis rufen sollten, dass die Verfolgung
nicht erst eine Sache des 20. Jahrhunderts ist. Das ist eine unendlich lange
alte Geschichte, die in diesen Menschen Angst verfestigt hat. Diese Angst ist
für viele nicht erst ein Begleiter seit dem Holocaust, sie ist aber verstärkt
ein Begleiter, seit es Anschläge gegen jüdische Einrichtungen und gegen
jüdische Menschen gibt. Auch in Österreich gab es Anschläge, am Flughafen, in
der Seitenstettengasse. Sie werden sich wahrscheinlich auch noch an die Geiselnahme
von sowjetisch-jüdischen Emigranten erinnern.
Damit hier nicht
der Eindruck einer Einseitigkeit entsteht: Ich will nicht darüber sprechen, was
zu Selbstmordanschlägen in Israel führt, denn ich habe hier eine sehr
differenzierte Meinung, was es bedeutet, Gegenden zu okkupieren und mit harter
Hand zu regieren. Das ist nicht etwas, was ich gutheiße. Aber diese
Selbstmordanschläge in Israel führen natürlich dazu, dass Menschen jüdischen
Glaubens überall auf der Welt ständig Angst davor haben. Auch das
ist wieder etwas, was wir uns nicht vorstellen können, was diese Angst
bedeutet, unter Umständen ein bis zur Unkenntlichkeit zerfetztes Kind nach
Hause zu bekommen, das einem in der Früh noch gesund und lachend einen
Abschiedskuss gegeben hat, oder dass Ehepartner beziehungsweise andere
Familienmitglieder nie mehr heimkommen.
Das ist eine
Angst, die schwer zu ermessen ist, die aber in diesen Menschen vorhanden ist,
und Angst wird gemildert, wenn man in einer Gemeinschaft Geborgenheit findet.
Ich glaube, dass die Kultusgemeinde, soweit es ihre österreichischen Mitglieder
betrifft, diese Erwartung erfüllt, sie muss aber – und darin sind wir uns
alle auch einig – natürlich die Ressourcen haben, um diese Rolle wirklich
voll erfüllen zu können.
Die Angst wird
auch gemildert, wenn es Menschen gibt, denen man es zutraut, dass sie Leben
schützen können. Daher appelliere ich an alle Zuständigen: Verlieren wir bitte nie
die besondere Situation der wenigen unter uns lebenden jüdischen Menschen aus
den Augen, und versuchen Sie vor allen Dingen ihre Angst und ihren doch
wahrhaft tief sitzenden Schmerz zu verstehen!
Bundesrat | 696. Sitzung / Seite 67 |
Abgesehen von
allem anderen, glaube ich wirklich eines: Wenn die Kultusgemeinde über die
entsprechenden finanziellen Mittel verfügt, wird sie sehr gerne für die
Sicherheit selbst sorgen. Das sind nicht Menschen, die man dann von irgendwo
herholt und denen man einen Job gibt, sondern das sind Menschen, zu denen sie
Vertrauen haben, denen sie eben zutrauen, dass sie ihr Leben schützen können.
Das werden sie sicher gerne selbst finanzieren, wenn sie die entsprechenden
finanziellen Ressourcen haben. (Präsident
Hösele übernimmt den Vorsitz.)
Ich bitte noch
einmal, in dieser Situation zu bedenken: Es geht um Menschen, Menschen mit
Ängsten, Menschen mit Hoffnungen, von denen wahrscheinlich jeder einzelne auf
eine Familiengeschichte verweisen kann, die nicht einfach ist, um es einmal so
auszudrücken. Daher: Es geht um Menschen. Die Sachfragen sind natürlich
nüchtern abzuhandeln, aber immer mit dem Hintergedanken, es geht um Menschen in
einer besonderen Situation. – Danke. (Allgemeiner Beifall.)
16.32
Präsident Herwig Hösele:
Zu Wort gemeldet
ist Herr Bundesrat Dr. Andreas Schnider. Ich erteile es ihm.
16.32
Bundesrat Dr. Andreas Schnider (ÖVP,
Steiermark): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Frau Bundesministerin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mich zu Beginn bei Professor Konecny und Frau Vizepräsidentin
Haselbach bedanken, und zwar aus einem ganz einfachen Grund: Wir haben in
diesem Haus von Vielfalt, von Erinnerung, von Bewahrung und von Gedenken
gesprochen. Wir haben auch von Schmerz und von Angst gehört. Und ich glaube,
das ist die richtige Sprache, wie man über dieses Anliegen zu reden hat. Doch
erlauben Sie mir, auch meine Anmerkungen dazu zu machen.
Erstens: Ich
möchte vorausschicken, dass ich niemandem hier einen Vorwurf machen möchte, und
ich möchte mich auch jeglicher Polemik enthalten, aber etwas ist, glaube ich,
wichtig, eingangs gesagt zu werden: Wenn man von der Bewahrung der kulturellen
und religiösen Vielfalt spricht, wenn man von der Gewalt der Sprache spricht,
dann, denke ich, ist es zu kurz gegriffen, sechs oder sieben Fragen zu stellen,
die eigentlich nur das Geld betreffen.
Ich denke, wir
müssten etwas tiefer gehen, und ich glaube, ich weiß auch, warum nur diese
sieben Fragen gestellt wurden: weil wir uns alle hier einig sind, dass unter
dieser Bundesregierung sehr viel für die Religionsgemeinschaften in diesem
Land gemacht wird. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)
Was meine ich
damit? – Es ist angesprochen worden, und ich möchte nicht alles
wiederholen, aber etwas möchte ich schon sagen in Bezug auf die Finanzierung
der Lehrer, die Finanzierung des Religionsunterrichtes. Darf ich an die
sozialdemokratischen Mitbewerber in diesem Land eine Frage stellen: Warum
verfolgen Sie in den letzten Jahren ganz stark das Ziel, dass der Religionsunterricht
nicht mehr zur Gänze mit öffentlichen Geldern finanziert werden soll? Warum
verfolgen Sie das Ziel, dass die Unterrichtseinheiten des Faches Religion
eingeschränkt werden sollen? Warum hört man aus Ihren Reihen Kritik, wenn die
Frau Bundesministerin im Zusammenhang mit den Stundenkürzungen auch selbst aus
ihrem eigenen Bekennen heraus sagt, sie will nicht, dass diese Stunden gekürzt
werden? Ich denke, das ist sehr wohl der richtige Weg, um das Religiöse –
ich rede ganz bewusst so davon: das Religiöse – in diesem Land gerade in
der Bildungslandschaft zu bewahren. Das ist das Erste. (Bundesrat Boden: Ihr kürzt
ja die Stunden! Kürzen wir die Stunden?)
Das Zweite ist:
Wenn wir schon von der Bewahrung reden, dann sollten wir auch davon reden,
worüber wir heute zu Mittag schon gesprochen haben: von der Sprache. Es war
schade, dass bei dem Punkt Mediation wenige hier waren, weil ich denke, das ist
eine Umgangsform, die wir überall brauchen würden, gerade auch,
wenn es um solche Fragen geht: dass man freiwillig bereit ist, sich
zusammenzusetzen und gemeinsam nicht irgendein Ergebnis zu verfolgen, sondern
eines gemeinsam zu suchen und zu diskutieren.
Bundesrat | 696. Sitzung / Seite 68 |
Zur Sprache: Ich
bin sehr dankbar, dass es diese Publikation „Macht und Sprache“ gibt. (Der Redner hält eine Broschüre in die
Höhe.) Diese hat nicht irgendjemand herausgegeben, sondern das war
Elisabeth Gehrer. Schon auf der ersten Seite – und das ist eine besonders
wichtige Geschichte – geht es um die Macht und um die Sprache innerhalb
der Politik.
Ich glaube, dieser Herausforderung müssten wir uns stellen, dass wir noch viel
mehr in der Art und Weise miteinander reden, wie wir es heute eingangs gehört
haben, wofür ich aufrichtig dankbar bin.
Aber eines möchte
ich auch sagen, auch wenn jetzt wahrscheinlich, wenn ich das sage, die Wogen
hochgehen werden: Ich bin noch nicht so lange in diesem Haus, aber ich habe bei
den letzten Malen, als ich hier war, Worte gehört, die mich schon verwundert
haben, die auch Schmerz bereitet haben demjenigen, der es gehört hat. Wenn hier
der Bundeskanzler sitzt und von einer „Wolfgang-Schanze“ gesprochen wird, dann
frage ich mich, welche Art der Wortwahl das ist und welcher Sprachstil das ist.
(Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)
Noch etwas: Wir
selbst müssen uns so ernst nehmen in unserem Sprachstil, in unserer Sprach- und
Wortwahl, dass wir nicht nur nach dem Hörensagen gehen dürfen. Das, was
gesprochen worden ist, was wer wie gesagt hat, können wir in den Protokollen,
in den Gesprächsprotokollen nachlesen, aber ich finde, am allerbesten ist, wenn
man sich fragt, wie wer was gesagt hat, dass man auf denjenigen zugeht und
fragt: Wie hast du das gemeint? – Artikuliere dich, bringe ein Argument
dafür, warum du es so und nicht anders gesagt hast! Das würde ich auch
erbitten, dass wir nicht in der Politik in erster Linie vom Hörensagen leben,
denn ich glaube, es gibt viele Institutionen, die das tun.
Zur religiösen
Vielfalt: Gerade im Bereich der Bildung stelle ich fest, dass genau die
religiöse und kulturelle Vielfalt in einem hohen Maß bewahrt wird. Schauen wir
uns einmal, meine Kolleginnen und Kollegen, § 2 des
Schulorganisationsgesetzes an. Da wird eindeutig von der Vermittlung und
Bewahrung der sittlich-religiösen und sozialen Werte gesprochen. Schauen wir
uns die neuen Lehrpläne der Sekundarstufe 1 an, die unter Elisabeth Gehrer
gemacht worden sind, und schauen wir uns auch den neuen AHS-Oberstufenlehrplan
an: Es werden drei Aufgabenbereiche genannt: Wissensvermittlung, Kompetenz
und religiös-ethisch-philosophische Bildungsdimension. Und als wichtiger
Bildungsbereich werden Sprache, Kommunikation und – als zweiter –
Mensch und Gesellschaft genannt. Und dort steht wiederum: soziale und
kulturelle Zusammenhänge. – Das ist das eine.
Das Zweite ist: Es
wurde heute angesprochen, ob sich Menschen verschiedener religiöser Gemeinschaften
bei uns wohl fühlen. Ich möchte hier ganz laut und deutlich ja
sagen. Warum? – Nicht, weil das mein subjektives Empfinden ist, sondern
schauen wir uns doch an, wie viele Treffen es bei uns in Österreich gibt! Ich
denke jetzt gerade als Steirer an das Welt-Ökumene-Treffen in Graz oder an das
Welttreffen der buddhistischen Religionsgemeinschaft! Glauben Sie nicht, dass
die sich überlegen, ob ihre Mitglieder, die sie aus der ganzen Welt holen, hier
sicher sind? – Ich glaube sehr wohl, dass sie sich das überlegen! Sie
denken nicht nur daran, dass die Steiermark ein schönes Land ist und dass es
dort einen guten Wein gibt. – Das sei zur religiösen Vielfalt gesagt.
Nun noch eine
Bemerkung zur Sicherheit. – Ich denke, es ist ganz klar gesagt worden,
dass alles für den Schutz und die Sicherheit getan wird. Jetzt
kommt aber noch etwas dazu: Man sagt nicht einfach, das lässt man
irgendjemanden auf der Welt machen, den man herholt, der das hier machen soll,
nein, die eigenen Sicherheitskräften – die eigenen! –
sind aufgefordert – und das wird ihnen immer wieder gesagt –,
für diese Sicherheit zu sorgen – es geht nicht nur um Objektschutz,
sondern um persönlichen Schutz, persönliche Sicherheit!
Aber vielleicht
sollten wir uns in diesem Hohen Haus auch in diesem Zusammenhang überlegen:
Was ist uns die Sicherheit wert – nicht nur am Boden, möchte ich
hinzufügen? Wenn man sich die unterschiedlichsten Kräfte und Einrichtungen, die
da zusammenwirken, näher anschaut – oder würden Sie mir hier etwas
anderes entgegnen als das, was hier eindeutig gesagt worden ist; ich glaube
dem –, dann kommt man zu der Erkenntnis, dass der Innenminister alles tut,
damit diese innere Sicherheit auch tatsächlich gegeben ist.
Bundesrat | 696. Sitzung / Seite 69 |
Lassen Sie mich
zum Schluss kommen. (Rufe bei der SPÖ:
Gerne! Gerne! – Bundesrat Bieringer:
Ich glaube, wir waren bisher ruhig und haben allen zugehört, ich glaube, ich
kann dasselbe auch von euch verlangen!) Lassen Sie mich einfach zum Schluss
kommen und nur sagen: Ich glaube, dass wir hier schon einen Auftrag
hätten – ich bitte um Entschuldigung, ich möchte hier niemandem etwas
zuweisen, aber ich persönlich, und ich rede hier wirklich als Person, halte das
für wesentlich –, nämlich den Auftrag, Argumente auszutauschen, aber nicht
in der Form, dass wir uns einfach nur irgendetwas „zufetzen“, sondern dass wir
ganz bewusst Argumente austauschen.
Ich möchte
abschließend noch einmal sagen: Danke für diese Anfrage!, aber ich möchte auch
noch einmal betonen, dass wir dieses Thema viel intensiver angehen müssen. Wir
müssen uns auf allen Ebenen viel mehr überlegen: Wie gehen wir mit Menschen
um? – Auch hier im Saal. Entschuldigen Sie, wenn ich das so sage, aber
deshalb kontere ich nicht immer gleich. Es ist mir nicht so wichtig, ob mir
jetzt jemand zuruft: Okay, hör oder hören Sie schnell auf!, aber etwas möchte
ich schon sagen: Wenn wir Menschen in diesem Land nicht mehr aussprechen
lassen, und wenn wir Menschen erst recht in diesen Häusern hier keine bestimmte
Sprach- und Wortkultur zutrauen und diese von einander einfordern –
wirklich einfordern! –, dann wird es schwierig sein, dass
wir von anderen etwas verlangen, was wir selbst nicht einzuhalten imstande
sind. – Danke schön. (Beifall bei der ÖVP und bei Bundesräten der
Freiheitlichen.)
16.43
Präsident
Herwig Hösele: Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat
Mag. John Gudenus. Ich erteile es ihm.
16.44
Bundesrat
Mag. John Gudenus (Freiheitliche, Wien): Herr
Präsident! Frau Bundesministerin! Kolleginnen und Kollegen! Auch ich bin der
Ansicht, dass Professor Konecny ein durchaus interessantes Thema
angerissen hat und uns zum Nachdenken und Argumentieren veranlasst – was
auch schon sehr gut gelingt; und ich danke den Vorrednern für ihre Beiträge.
Ich möchte doch
auf ein paar Punkte bezüglich der Präambel der Anfrage, also des Textes, der
von den Sozialdemokraten, insbesondere von Professor Konecny, vorgelegt
worden ist, eingehen. Es wird hier von leichtfertigen Wortspielen, die Antisemitismus
beinhalten, und von Verharmlosen gesprochen. – Ich als Christ sage: Wir
nehmen im Fernsehen und in der Kulturwelt ungeheuerlich viel an
antichristlichen oder nur zur Not christlich verbrämten Aussagen fast schon zu
gelassen hin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Eigentlich sollte man auch eine
Anfrage stellen: Wie halten wir es mit unserem Glauben?
Ich bin sehr wohl
der Ansicht, dass die religiösen Gefühle aller geschützt
gehören – persönlich versuche ich es auch immer so zu halten –, aber
ich nehme auch für mich in Anspruch zu sagen: Ich möchte auch, dass die
christlichen Werte, Herr Professor, geschützt gehören und nicht immer mit der
Kulturfreiheit in Frage gestellt werden können. Sonst müsste ich Ihnen sagen,
Herr Professor: Auch diese leichtfertigen Wortspiele und Antisemitismen, die
diese enthalten mögen, fallen vielleicht unter Kultur- und
Kunstfreiheit. – Das sollte nicht übertrieben werden, aber ich habe den
Eindruck, in Österreich werden die christlichen Werte schon so mit Füßen
getreten und mit Worten geschmäht, dass ich mich oft wundere, wie die
Vertreter, die beruflichen Vertreter der christlichen Glaubensgemeinschaften
das über sich ergehen lassen können. (Beifall bei Bundesräten der
Freiheitlichen und der ÖVP.)
Ich glaube, auch in Ihrer Anfrage, wenn ich so zwischen den Zeilen lese, ein bisschen Selbst-Rechtfertigung zu erkennen, Herr Professor! Ich konnte das unlängst schon darlegen und wiederhole es heute gerne: Vor wenigen Wochen wurde in der „Presse“ Professor Rathkolb zitiert, der meint: Es gibt ein Schlüsseldokument: Karl Renner hat nach den ersten Gesprächen mit sowjetischen Offizieren, bevor er Staatskanzler wurde, eine Denkschrift verfasst, in der er sich auch mit der Frage der Entschädigung auseinander gesetzt hat. Seine Zielrichtung ist die der Zweiten Republik, die er vorgegeben hat, noch ehe es eine provisorische Regierung gab: Die Rückkehr der Juden muss verhindert werden, keine Restitution 1 : 1, sondern einen anonymen Fonds, damit nur ja niemand zurückkommt. – Das sagte der große Staatskanzler
Bundesrat | 696. Sitzung / Seite 70 |
und erste Kanzler der Republik Österreich, Renner, der
wirklich kein Freiheitlicher, wirklich kein Christlich-Sozialer, sondern ein
waschechter Sozialist war.
Ich sehe also
einen gewissen Nachholbedarf auf der sozialdemokratischen Seite, dieses Thema,
das in den ersten 20, 30 Jahren der Zweiten Republik noch kein Thema war,
zu übertünchen und jetzt sozusagen auf der Überholspur anzusetzen.
Ich erkenne in
Ihren Aussagen einige doch nicht ganz gerechtfertigte Bemerkungen. Sie zitieren
ihn nicht, aber Sie nennen meinen Freund, Volksanwalt Stadler. Stadler stammt
selbst aus einer Familie, die in den letzten Kriegstagen durch Übergriffe der
damaligen politischen Kompetenzen ein Menschenleben im engsten Familienkreis zu
beklagen hatte, also er ist meines Erachtens wirklich ein Fehlbeispiel dafür,
hier zitiert zu werden. Das heißt natürlich nicht, dass er nicht frei reden und
seine eigene Meinung vertreten kann!
Oder: die
burschenschaftliche Trauerfeier am Heldenplatz, an der ich auch heuer teilgenommen
habe, liebe Freunde, Kolleginnen und Kollegen! Selbstverständlich haben wir
alle das Recht, unserer Toten zu gedenken, das ist nicht nur auf eine
Gruppe bezogen! Das ist keine Salonfähigmachung einer Meinung, sondern der
Toten zu gedenken, sollten wir gemeinsam nachkommen. – Aber
am 5. Mai einer Gruppe zu gedenken, das ist zu wenig. Gedenken wir doch aller
Toten, unter welchen politischen Regimen, unter welchem Bombenhagel auch immer,
in welcher Gefangenschaft, unter welcher Malträtiertheit auch immer sie ums
Leben gekommen sind: Gedenken wir derer doch endlich gemeinsam!
70 000 tote
Juden sind zu viel, aber ebenso zu viel sind 330 000 andere Österreicher,
die zwischen 1933 und 1955 ums Leben gekommen sind, Herr Professor! (Beifall
bei den Freiheitlichen und bei Bundesräten der ÖVP.)
Gedenken wir
einmal gemeinsam aller Toten! Das ist mir ein Anliegen. Wenn wir
das Anliegen vielleicht gemeinsam vertreten – vielleicht haben Sie es nur
ganz schüchtern angesprochen, nicht direkt ausgedrückt; Sie sind aber nicht so
schüchtern, Herr Professor, das weiß ich schon, aber das könnte man daraus
schließen –, dann sind wir auf dem richtigen Weg. Sie kommen auf den
richtigen Weg, Herr Professor! Sie sind noch nicht ganz dort, aber Sie kommen
dorthin! Schließen Sie sich einem gemeinsamen Totengedenken an!
Frau
Vizepräsidentin Haselbach hat den besonderen Bezug der Juden zu ihren Gräbern
erwähnt. Es ist ein allgemeines Gut von Kulturvölkern, ihrer Toten zu gedenken,
und es haben alle anderen Toten das gleiche Recht, dass ihrer gedacht wird, wie
es die einen Toten haben. Es gibt keine auserwählten Toten, und wir müssen auch
in unserer Republik 58 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg endlich davon
wegkommen, nur einer Gruppe von Toten zu gedenken. Zu viele Tote
hat es in allen Familien gegeben. Ich möchte eine Familie kennen,
die, bedingt durch die verschiedensten politischen Umstände und auch den Krieg,
nicht selbst Tote zu beklagen gehabt hat!
Da Sie die
Kultusgemeinde angesprochen haben: Das ist eine wichtige Einrichtung. Aber
warum war die Kultusgemeinde zur Zeit des von mir besonders geschätzten Paul
Groß so ruhig geführt? Warum ist jetzt die Kultusgemeinde so oft in Diskussion?
Sie hat ein reiches kulturelles Leben entwickelt durch die Möglichkeiten, die
die Frau Bundesministerin aufgezeigt hat, die derzeit auch rechtliche
Gültigkeit haben, aber diese Aufgeregtheit war früher nicht vorhanden.
Es gelingt dem
derzeitigen Leiter der Kultusgemeinde wahrscheinlich, eine gewisse Aufgeregtheit
hereinzubringen, die möglicherweise – ich behaupte es einmal – der
Sache nicht immer sehr dienlich ist. Wer sagt, dass es nur eine
Kultusgemeinde geben muss? – Im Religionsgesetz steht nichts von einer
Kultusgemeinde. Die Frau Bundesministerin weiß es wahrscheinlich genauso gut
wie ich; und sie schmunzelt schon ein bisschen. Es gibt einen Rabbiner namens
Friedmann, der darum kämpft, seiner eigenen Kultusgemeinde mit orthodoxen Juden
Rechtsgültigkeit zu geben. Er kämpft darum. Er ist zum Verwaltungsgerichtshof
gegangen, und das Verfahren ist anhängig.
Bundesrat | 696. Sitzung / Seite 71 |
Auch das ist
wichtig! Geben wir auch den Anhängern des israelischen Glaubens, des jüdischen
Glaubens in Österreich, die Möglichkeit, sich in mehreren Kultusgemeinden zu
finden, so wie es für Anhänger der christlichen Glaubensgemeinschaften,
mehrerer christlicher Glaubensgemeinschaften, die Möglichkeit gibt,
gesetzeskonform und ihren Glaubensgrundsätzen entsprechend zu leben. Auch das
ist ein Punkt, den wir beachten müssen, um nicht nur eine Fokussierung auf eine
jüdische Kultusgemeinde zu haben, die nicht einmal die Anerkennung aller
anderen findet, die eine eigene Kultusgemeinde gründen möchten.
Zu den
finanziellen Dingen: Finanzen kann man immer als – sagen wir –
schmutzig oder weniger schmutzig, als schmierig betrachten, insbesondere wenn
es um ein solches Thema geht. Herr Professor! Ich betrachte die Finanzen als
sehr wichtig ... (Bundesrat Konecny: Hab’ ich nicht gesagt!) – Sie haben das nicht gesagt,
das weiß ich schon. Aber anschauen darf ich Sie dabei trotzdem, wenn ich rede. (Bundesrat
Konecny: Aber „schmierig“ dürfen Sie in dem Zusammenhang
nicht sagen!) Nein,
aber man sagt ja oft, Geldsachen sind schmierig. Nein, sie sind wichtig, denn
Geld ermöglicht das Leben. Das ist ganz richtig. (Bundesrat Konecny: Was soll das? Sind Sie noch
bei ...? Das ist ja ungeheuerlich!) Ich habe gar nicht gesagt, dass es so ist. (Bundesrat
Konecny: Sie haben das Wort „schmierig“ verwendet!
Bitte erklären Sie, wen Sie damit gemeint haben!) – Sie nicht! (Bundesrat Konecny: Wen sonst?) – Ich habe überhaupt
niemanden gemeint! (Bundesrat Konecny: Sich selbst – oder was?) Aber haben Sie mich gern! (Heiterkeit
bei den Freiheitlichen.)
Herr Kollege Konecny! Ihre künstliche Aufgeregtheit
ist mir bekannt. (Bundesrat Konecny: Sie sagen „schmierig“, und dann
sagen Sie, Sie haben niemanden gemeint!) Ich rate Ihnen zu keiner künstlichen
Aufgeregtheit. Herr Kollege Konecny! Nehmen wir das so, wie es ist. Nehmen Sie das Thema weniger
wichtig. Was ich gesagt habe im Zusammenhang mit „schmierig“, ist: Geld ist
ein Schmiermittel, und es ist notwendig. Nehmen Sie das zur Kenntnis! Das
wollte ich damit sagen.
Da wir das Geld
haben, welches, wie die Frau Bundesministerin angetönt hat, in den verschiedensten
Verhandlungen, bei denen auch Dr. Eizenstat dabei war, beschlossen wurde,
glaube ich, dass dieses Thema durch die Republik Österreich bestens gelöst
worden ist. Die Republik Österreich hat durch diese zwei Bundesregierungen, in
der ÖVP und Freiheitliche vereint sind, wirklich Wesentliches getan, um an der
jüdischen Gemeinde in Österreich und den Juden in aller Welt, denen Unrecht
geschehen ist, das gutzumachen, was materiell gutzumachen ist. (Beifall bei
den Freiheitlichen und der ÖVP.)
16.55
Präsident
Herwig Hösele: Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat
Stefan Schennach. Ich erteile es ihm.
16.55
Bundesrat
Stefan Schennach (Grüne, Wien): Sehr geehrter Herr
Präsident! Sehr geehrte Frau Bundesministerin! In der Zeit zwischen 1938 und
1945 waren Österreich und Deutschland kein Kulturvolk, es war eine Barbarei
und kein Kulturvolk.
Wenn Sie für den
Schmerz den Tag der Kapitulation wählen, dann schwingt damit möglicherweise
der Schmerz über die Kapitulation mit, was bei bestimmten Verbindungen immer
wieder zum Ausdruck kommt.
Wenn man der Toten
gedenkt, so hat sich die Republik in der Verantwortung, in der sie steht, den
richtigen Tag ausgewählt, nämlich jenen Tag, an dem man der Barbarei eines
Regimes in besonderer Weise gedenkt. Da geht es nicht um die Differenzierung
der Opfer, nur: Sie beharren auf dem Tag der Kapitulation, und diese
Konnotation ist falsch.
Die Zweite
Republik steht in einer Verantwortung, und lange hat es gedauert, bis das
offizielle Österreich gesagt hat, Österreicher und Österreicherinnen –
beim ersten wahrscheinlich weniger – waren Täter und Opfer zugleich.
Bundesrat | 696. Sitzung / Seite 72 |
Wenn Kollege
Schnider von Erinnerungen, Schmerz und Gedenken gesprochen hat, so ist das eine
Dimension, die wir, die in eine glückliche Phase des Lebens hineingeboren
wurden, fernab von Krieg und Barbarei, letztlich nicht erfassen können, selbst
wenn wir viele Worte bemühen. Aber wir können über die politische Verantwortung
reden, in der die Republik steht, da Österreicher und Österreicherinnen Opfer
und Täter zugleich waren.
Es hat lange
gedauert. Die Frau Bundesministerin hat gesagt, im Jahr 1960 wurde das
Gesetz verabschiedet. Also erst 15 Jahre nach Kriegsende denkt man an die
Entschädigung der Israelitischen Kultusgemeinde! 1958 wurde es aufgenommen;
ich habe das nicht vergessen.
Wenn man –
und das hängt auch mit politischer Verantwortung zusammen, und es geht jetzt
nicht um Schuldzuschiebung in irgendein politisches Lager – die
Ministerratsprotokolle der Nachkriegsjahrzehnte liest, die jetzt
dankenswerterweise wissenschaftlich aufgearbeitet wurden, dann bekommt man so
etwas wie eine Gänsehaut, wenn man sieht, wie auch das offizielle Österreich
bemüht war, die Vertriebenen, Exilierten, Geflüchteten ja nicht zurückzuholen
und ja alles zu verzögern, zu verzögern, zu verzögern, um nur den wenigen
Überlebenden beziehungsweise deren Erben eine Entschädigung zukommen lassen
zu müssen.
In den letzten
Jahren ist viel geschehen. Einer der ersten Schritte war sicherlich die Reise
des früheren Bundeskanzlers Vranitzky nach Jerusalem, die Einrichtung des
Entschädigungsfonds, der Jabloner-Bericht und – in der Verantwortung der
Frau Bundesministerin – die ersten Überprüfungen, was an Kunst- und
Kulturrestitutionen notwendig war.
Herr Kollege
Gudenus! Geld ist ein „Schmiermittel“? – Ich weise diesen Satz zurück,
denn all das, was die Republik durch die Bundesregierung an finanziellen
Mitteln zur Verfügung gestellt hat, ist doch mehr als minimal im
Vergleich zu dem, was geraubt wurde! Wenn ich sage, die Republik steht in einer
Verantwortung, dann müssen wir doch auch, so meine ich, zugeben, dass es vor
allem unsere vielgeliebte Republik ist und war, die zu den Nutznießern der
Arisierung zählte – und das über Jahrzehnte hindurch. Ebenso waren in der
Zweiten Republik Firmen, Einzelpersonen und Einrichtungen Nutznießer von
Arisierungen – und sind es nach wie vor. Letztlich haben in den Fonds, von
dem die Frau Bundesministerin heute schon gesprochen hat, die Republik, Firmen
und auch die katholische Kirche eingezahlt, also all jene, denen man nachweisen
konnte, dass sie Nutznießer dieser Barbarei Arisierung waren.
Dieses Vermögen,
das Menschen entwendet wurde – es war nicht so, dass man das so einfach
nur genommen hat –, war mit Raub, Mord und der Auslöschung von Familien
verbunden.
Wenn wir heute
durch Wien gehen, müssen wir beispielsweise feststellen, dass ein Drittel der
Wiener Apotheken arisiert wurde. Wenn Sie die Geschichte der Wiederzulassung
von Apothekern jüdischen Glaubens, die ihre Apotheken zurück haben wollten,
lesen, wenn Sie lesen, wie das offizielle Österreich das verhindert hat, weil
es gesagt hat: Ihr habt von 1938 bis 1945 eure Apotheke nicht betrieben –
die man ihnen doch weggenommen hat –, und deshalb erlischt eure
Berechtigung, Apotheker zu sein!, so ist das ein Kapitel, das ganz klar zeigt,
dass wir nach wie vor in dieser Verantwortung stehen.
Die Israelitische
Kultusgemeinde ist eine kleine Kultusgemeinde – all das wurde heute
bereits angesprochen –, die man nicht unter dem Aspekt „Gleichbehandlung
anderer Religionsgemeinschaften“ sehen darf, sondern es ist eben eine ganz
bestimmte geschichtliche Situation, in der sich diese immer kleiner werdende
Kultusgemeinde befindet.
Die Israelitische
Kultusgemeinde in Österreich fordert nun 2,7 Millionen € – unter
anderem für die Sicherheit der jüdischen Einrichtungen. Wir alle wissen doch,
dass jüdische Einrichtungen weltweit bedroht sind beziehungsweise dass eben
diese Religionsgemeinschaft auf Grund des Holocaust, einem einzigartigen
Verbrechen der Menschheit, ein anderes Gefühl hat, was die Sicherheit von Leib
und Leben anlangt.
Erinnern wir uns doch beispielsweise nur daran, dass die Schändung jüdischer Friedhöfe von österreichischen Sicherheitskräften nicht verhindert werden konnte. Ich denke da zum Beispiel
Bundesrat | 696. Sitzung / Seite 73 |
an die Schändung jüdischer Friedhöfe in Linz
beziehungsweise in Eisenstadt oder auch an das Attentat auf die Synagoge in der
Seitenstettengasse, um hier nur zwei Dinge anzuführen.
Weiters ist es doch
auch so, dass die israelische Luftfahrtgesellschaft „El Al“ nicht auf das
Wiener Sicherheitspersonal zurückgreift – auch nicht auf das
amerikanische, nicht auf das deutsche, nicht auf das französische oder auf das
italienische –, sondern sie greift ausschließlich auf das eigene
Sicherheitspersonal zurück.
All das hat also
einfach eine andere Bedeutung, eine andere Geschichte. Es geht da um ein Volk
in einer ganz spezifischen Situation der Bedrohung. Und da kann man doch nicht
mit einer Forderung so umgehen, dass man sagt: Dann schicken wir halt vom
Innenministerium noch zehn Sicherheitskräfte hin!, sondern wir, meine Damen und
Herren, müssen auf dieses subjektive Empfinden eingehen.
Wenn wir die
Situation weiters betrachten, so müssen wir schon auch einen Unterschied zu
Deutschland insofern erkennen, als in Deutschland immerhin 86 Synagogen
wieder errichtet wurden. 86 Synagogen! – In Österreich gibt es
hingegen eine einzige!
Weiterer
Unterschied: Die Bundesrepublik Deutschland hat Zehntausenden Juden, und zwar
aktiv, die Zuwanderung wieder ermöglicht, und die einzelnen Bundesländer
Deutschlands haben daran ganz besonderen Anteil, und sie finanzieren auch sehr
viel.
Bis zum
28. Mai 2003 hat die Israelitische Kultusgemeinde Österreichs die
Möglichkeit, Anträge an den Entschädigungsfonds zu stellen. Dadurch aber
wird – das muss uns auch klar sein – jener finanzielle Anteil
geringer, der für Einzelpersonen gedacht ist. Dieser Fonds hat sozusagen einen
Deckel, eine bestimmte Größe. Die Frage ist, wie weit wir hier großzügig
sind – „großzügig“ erlaube ich mir angesichts dessen, wie der Staat, wie
verschiedene Einrichtungen, wie Firmen letztlich in der Zeit von 1938 bis 1945
und danach profitiert haben, fast gar nicht zu sagen, da in Anbetracht dessen
die Großzügigkeit relativ ist. Jedenfalls bin ich der Überzeugung, dass wir
anders mit dieser Forderung der Israelitischen Kultusgemeinde umgehen sollten.
In diesem Sinne
hoffe ich, dass sich die Bundesregierung und die Verantwortlichen der
Israelitischen Kultusgemeinde Österreichs in dem Sinne aufeinander zubewegen,
dass sie von dieser Konfrontationssituation wegkommen, die sich hier in den
letzten Tagen gezeigt hat: gerade auch vor diesem Hintergrund der Geschichte,
auf Grund all dieser Vorkommnisse, die, wie wir wissen, in verschiedenen
wissenschaftlichen Arbeiten aufgearbeitet wurden und werden. Noch immer kommt
man oft erst jetzt darauf: Um Gottes willen, das ist ja auch arisiert worden!
Das sitzt jetzt ein Bundesinstitut drinnen, das Gebäude ist auch arisiert worden
und so weiter und so fort.
Trachten wir alle
daher danach, dass es da zu einer Lösung kommt, zu einer Lösung, die der
Geschichte und dieser kleinen Religionsgemeinschaft, die in
unserem Lande so viel Leid erfahren musste und der so viel Unfassbares angetan
wurde, auch gerecht wird. – Ich danke. (Beifall bei den Grünen sowie
bei Bundesräten der SPÖ und ÖVP.)
17.07
Präsident
Herwig Hösele: Zu Wort gemeldet ist Herr Professor
Konecny. –
Bitte.
17.07
Bundesrat
Albrecht Konecny (SPÖ, Wien): Herr Präsident! Frau
Bundesministerin! Wer sich am Ende einer solchen Debatte zu Wort meldet, läuft naturgemäß Gefahr, sich vorwerfen
lassen zu müssen, dass er einen netten Konsens zu zerstören im Begriff
ist. – Und dies ist auch tatsächlich meine Absicht.
Ich halte es für
in höchstem Maße schädlich, wie diese Debatte
zumindest von den beiden Vertretern der Regierungsparteien geführt wurde. Ich
halte es für unzulässig, und zwar in beiden Richtungen, die Veranstaltung eines
buddhistischen Weltkongresses in Graz in irgendeinen Zusammenhang mit dem
angeschnittenen Thema zu bringen.
Bundesrat | 696. Sitzung / Seite 74 |
Ich halte es
weiters für unzulässig, weiter auszuholen und jeglichen Toten der letzten
hundert Jahre auf die gleiche Stufe zu stellen.
Ich habe nicht die Absicht, eine – das wäre auch von der
20-minütigen Redezeit her nur schwer möglich – detaillierte historische Debatte hier durchzuführen. Aber
wollen wir doch bitte, liebe Kollegen, die Proportionen richtig sehen. Ich kann
mich nicht daran erinnern, dass in Österreich in irgendeinem historischen
Zeitalter Buddhisten ermordet wurden; sie waren auch in historischen Zeiten
nicht in großer Zahl hier bei uns anwesend.
Es gibt zwei österreichische Volksgruppen – das eine sind die
Juden, das andere sind die Sinti und Roma –, die nahezu ausgerottet
wurden. Was immer man mit etwas anderem vergleichen kann: Mit dem kann man
nichts vergleichen!
Die Methode, weiter auszuholen und zu sagen: Opfer hat es gegeben, Opfer
hat es überall gegeben!, führt am wesentlichen Kern des Problems vorbei –
es ist für mich persönlich wichtig, das hier zu sagen –, und das kann
durch nichts relativiert werden.
Wer anders an dieses Thema herangeht, ist schon auf der falschen und in
diesem Fall sehr schiefen Bahn. (Beifall bei der SPÖ.)
Frau Bundesministerin! Sie haben nichts gesagt, was falsch ist. Sie
haben sehr korrekt eine Seite aus der Buchhaltung Ihres Ressorts referiert. Das
ist die sachliche Wahrheit.
Jawohl, diese Gesetze sind zu den von Ihnen angegebenen Zeitpunkten
beschlossen worden, daraus gehen Leistungen hervor. – Aber wenn Sie
meinen, dass es darum geht, dann glaube ich, dass Sie sich irren.
Die Frage ist, ob man bereit ist, auch offenen Herzens – und das
kann manchmal, auch wenn es schwierig sein mag, Herr Kollege, auch offener Hand
heißen – auf dieses Problem und auf die neuen Problemstellungen zuzugehen,
ob man bereit ist, zu sehen, dass Leistungen, die eine Gemeinschaft für ihre
Mitglieder erbringt, etwa einen gewissen finanziellen Sockel brauchen, der
annähernd gleich hoch ist, unabhängig davon, wie viele Menschen letztendlich
von diesen Leistungen umfasst sind.
Der Hinweis: Wir schicken auch gerne noch einen uniformierten Polizisten
durch die Seitenstettengasse – das ist schon von zwei Rednern gesagt
worden, und ich brauche es daher nur ganz kurz zu wiederholen –, hat wenig
damit zu tun, worum es geht, nämlich um das subjektive Sicherheitsbewusstsein
von Menschen, für die Bedrohung eine noch nicht so weit zurückliegende und auf
einer anderen Ebene wieder reale Angelegenheit ist.
Das ist ein Gefühl, das niemand von uns je erlebt hat – auch Sie
nicht, Frau Bundesministerin, auch ich nicht! Wir können nur versuchen, das zu
erahnen, aber wir sollten uns mit der Demut dessen, der es nicht begreift und
nicht begreifen kann, dieser Frage nähern.
Es geht nicht darum, an irgendeinem Ihrer Worte Kritik zu üben, sehr
wohl aber darum, eine Menge an Kritik an der Haltung, die offensichtlich
dahinter steht, zu üben.
Kollege Schennach hat mit einem Wunsch geschlossen. Diesem Wunsch
schließe ich mich aus ganzem Herzen an, sage aber auch dazu, dass derjenige,
der mit all den Machtmitteln des Staates ausgestattet der Gesprächspartner ist,
den größeren Schritt tun muss gegenüber jenem, der eine kleine und klein
gewordene Gruppe in unserer Gesellschaft vertritt.
Ich glaube, dass Großzügigkeit und Entgegenkommen die einzig angemessene Verhaltensweise sind, um hier zu einer Lösung zu kommen. (Beifall bei der SPÖ und den Grünen.)
17.13
Präsident Herwig Hösele:
Wünscht noch jemand
das Wort? – Herr Bundesrat Dr. Schnider, bitte.
17.13
Bundesrat Dr. Andreas Schnider (ÖVP, Steiermark): In aller Kürze, um Folgendes zu klären: Ich als Theologe pflege nicht eine Religion mit einer anderen zu vergleichen. Ich habe nur vor-
Bundesrat | 696. Sitzung / Seite 75 |
hin im
Zusammenhang mit der religiösen Vielfalt in diesem Land bewusst machen wollen,
dass sich viele Religionsgemeinschaften bei uns zu Hause fühlen und dass wir
ein Land sind, das sie auch gerne einlädt. Das wollte ich damit sagen.
Aber ich bin nicht
jemand – und das können Sie mir glauben, noch dazu, wo ich vom
Fach bin –, der Religionen miteinander vergleicht.
Aber etwas zum Schluss: Jede Religionsgemeinschaft hat ihre Biographie, mit Freude, aber auch mit Schmerzen. Das muss man auch dazu sagen. – Danke. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)
17.14
Präsident Herwig Hösele: Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor.
Wünscht noch jemand das Wort? – Dies ist nicht der Fall.
Die Debatte ist geschlossen.
Fortsetzung der Tagesordnung
Präsident Herwig Hösele: Ich nehme die Verhandlung zur Tagesordnung wieder auf.
7. Punkt
Beschluss des Nationalrates vom 29. April 2003 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem die Konkursordnung, die Ausgleichsordnung, das Insolvenzrechtseinführungsgesetz, das Bankwesengesetz und das Versicherungsaufsichtsgesetz geändert werden (Bundesgesetz über das Internationale Insolvenzrecht – IIRG) (33 und 49/NR sowie 6784/BR der Beilagen)
Präsident Herwig Hösele: Wir kommen zur Verhandlung
über Tagesordnungspunkt 7: Bundesgesetz über das Internationale
Insolvenzrecht.
Die Berichterstattung hat Frau Bundesrätin Anna Schlaffer übernommen. Ich bitte um den Bericht.
Berichterstatterin Anna Schlaffer: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bringe den Bericht des Justizausschusses über den Beschluss des Nationalrates vom 29. April 2003 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem die Konkursordnung, die Ausgleichsordnung, das Insolvenzrechtseinführungsgesetz, das Bankwesengesetz und das Versicherungsaufsichtsgesetz geändert werden (Bundesgesetz über das Internationale Insolvenzrecht).
Der Bericht liegt Ihnen in schriftlicher Form vor.
Der Justizausschuss stellt nach Beratung der Vorlage am 13. Mai 2003 mit Stimmeneinhelligkeit den Antrag, keinen Einspruch zu erheben.
Präsident Herwig Hösele: Ich danke für die Berichterstattung.
Wortmeldungen liegen nicht vor.
Wünscht jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Abstimmung.
Ich bitte jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Dies ist Stimmeneinhelligkeit.
Bundesrat | 696. Sitzung / Seite 76 |
Der Antrag, keinen Einspruch zu erheben, ist somit angenommen.
8. Punkt
Beschluss des Nationalrates vom 29. April 2003
betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Bankwesengesetz, das
Glücksspielgesetz, das Kapitalmarktgesetz, das Versicherungsaufsichtsgesetz
und das Finanzmarktaufsichtsbehördengesetz geändert werden (32 und 67/NR sowie
6778 und 6785/BR der Beilagen)
Präsident Herwig Hösele: Wir kommen nun zum
8. Punkt der Tagesordnung: Bundesgesetz, mit dem das
Bankwesengesetz, das Glücksspielgesetz, das Kapitalmarktgesetz, das Versicherungsaufsichtsgesetz
und das Finanzmarktaufsichtsbehördengesetz geändert werden.
Die Berichterstattung hat Herr Bundesrat Franz Wolfinger übernommen, aber er ist nicht im Saal, die Obfrau ist auch nicht anwesend, das ist Frau Bundesrätin Schicker. (Rufe bei der SPÖ: Entschuldigt!) Dann darf ich den Bericht selbst geben.
Bericht des Finanzausschusses über den Beschluss des Nationalrates vom 29. April 2003 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Bankwesengesetz, das Glücksspielgesetz, das Kapitalmarktgesetz, das Versicherungsaufsichtsgesetz und das Finanzmarktaufsichtsbehördengesetz geändert werden.
Der Bericht liegt Ihnen in schriftlicher Form vor. Ich darf Ihnen daher den Antrag des Finanzausschusses zur Kenntnis bringen.
Der Finanzausschuss stellt nach Beratung der Vorlage am 13. Mai 2003 mit Stimmenmehrheit den Antrag, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben.
Wir gehen in die Debatte ein.
Zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesrat Todt. Ich erteile es ihm.
17.18
Bundesrat Reinhard Todt (SPÖ, Wien): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Staatssekretär! Einige kurze Bemerkungen zu einer Novelle beziehungsweise zu einer Teilumsetzung einer EU-Richtlinie, zu der es noch viel mehr zu sagen gäbe.
In Österreich war das Thema Geldwäsche immer ein sehr sensibles Thema. Aus dem Ausland kamen immer wieder viele Angriffe, auch viele, die unter der Gürtellinie gewesen sind. Ich erinnere an einen Angriff, den der Vizepräsident der Antimafia-Kommission des italienischen Parlaments, Mauricio Calvi, gemacht hat, der meinte, Österreich sei das Zentrum der internationalen Geldwäscherei.
In der Begründung zu dieser Novelle wurde auch der 11. September angeführt. Dieses schreckliche Ereignis in New York beziehungsweise die Finanzierung dieser Ereignisse wäre jedoch auch mit dieser Geldwäsche-Richtlinie nicht verhinderbar gewesen, selbst dann nicht, wenn sie weltweit angewandt worden wäre.
Nach derzeitigem Wissensstand ist die Finanzierung aus originär sauberen Quellen erfolgt und nicht aus vorher gewaschenem Geld. Auch daran kann man wieder sehen, dass die Geldwäsche-Richtlinie nicht das Allheilmittel für die Terrorismusbekämpfung und für die Bekämpfung sonstiger krimineller Aktivitäten ist.
Ich darf nur daran erinnern, dass beispielsweise der Internationale Währungsfonds der Meinung ist, dass Geldwäsche in der Lage ist, Kapitalbewegungen zu initiieren, damit auch Wechselkurse und Zinse und somit auch die Stabilität von Finanzmärkten zu beeinflussen, sodass auch dieses wesentliche Thema zu berücksichtigen ist.
Bundesrat | 696. Sitzung / Seite 77 |
Bei all dem darf
jedoch nicht vergessen werden, dass es sich bei der Geldwäschebekämpfung
lediglich um eine Symptombekämpfung handelt und dass damit die zugrunde
liegenden Probleme nicht beseitigt oder „therapiert“ werden können. Es ist
vielmehr ähnlich zu sehen wie das Niederbrennen von Feldern von Koka-Bauern.
Das löst die Suchtgiftproblematik nicht, auch nicht die nachfolgende
Geldwäscheproblematik. Ähnliche Probleme gibt es im Bereich Menschenhandel
und Schlepperei.
Wenn es der
internationalen Staatengemeinschaft nicht gelingt, so wie im Bereich der
Geldwäsche zum Beispiel auch im Bereich der Armutsbekämpfung internationale
Übereinkommen zu schaffen, um ökonomische Gründe für derartige kriminelle
Aktivitäten beiseite zu schaffen, wird all das zusammen nur Stückwerk bleiben.
Es tut mir Leid, dass
wir einem an sich guten Gesetz die Zustimmung verwehren müssen. Wir müssen die
Zustimmung deshalb verwehren, weil die Regierungsfraktionen es wieder einmal
verabsäumt haben, mit uns über verschiedene Anträge zu reden. Im Nationalrat
wurde im letzten Augenblick ein Abänderungsantrag eingebracht, der einen
Konsens zunichte gemacht hat. In dem Abänderungsantrag ging es darum, Dinge,
bei denen es um das Ansehen des österreichischen Kreditwesens geht, in einer
Husch-Pfusch-Aktion zu regeln. Es zeigt sich einmal mehr, dass die
Regierungsfraktionen auch bei größtmöglicher Konsensbereitschaft der Opposition
einfach nur drüberfahren. Daher werden wir diesem Gesetz nicht zustimmen. (Beifall
bei der SPÖ.)
17.22
Präsident
Herwig Hösele: Zu Wort gemeldet ist Herr Staatssekretär
Dr. Finz, den ich begrüße und dem ich das Wort erteile. – Bitte.
17.23
Staatssekretär
im Bundesministerium für Finanzen Dr. Alfred Finz: Sehr verehrter Herr Präsident! Hoher Bundesrat! Ich möchte einmal
aufzeigen, was es bedeuten würde, wenn dieses Gesetz nicht beschlossen werden
würde.
Mit diesem
gegenständlichen Gesetzentwurf wird die EU-Richtlinie 2001/97/EG zur Änderung
der Geldwäsche-Richtlinie 91/308/EWG umgesetzt. Weiters sieht der
gegenständliche Entwurf die Umsetzung von drei der acht FATF-Sonderempfehlungen
zur Bekämpfung der Terrorismusfinanzierung vom Oktober 2001 in nationales
Recht vor. Eine rasche Behandlung dieser Themen ist und war notwendig wegen
des Umsetzungstermins für die EU-Geldwäsche-Richtlinie am
15. Juni 2003. Auch die FATF-Sonderempfehlungen bedürfen der
dringenden Umsetzung.
Welche
Rechtsfolgen sind damit für die Geld- und Kreditinstitute verbunden? – Es
bedeutet nunmehr eine eindeutige Klarstellung, dass die Erstidentifikation von
Kunden anhand eines Ausweises zu erfolgen hat. Dies entspricht den
internationalen Vorgaben, insbesondere der EU-Geldwäsche-Richtlinie.
Artikel III Abs. 1 der Richtlinie besagt: Feststellung der Identität
mittels eines beweiskräftigen Dokuments. Auf andere Art und Weise kann der Geldwäsche-Richtlinie
nicht entsprochen werden.
Wenn wir dieses
Gesetz nicht beschließen würden, dann hätten wir große Probleme. Es ist
betreffend FATF nämlich daran zu erinnern, dass Österreich aus der FATF im
Februar 2000 – also noch vor dem Kabinett Schüssel I, noch unter
Finanzminister Edlinger, nur um das auch klarzustellen – bereits
vorübergehend wegen der noch immer bestehenden Anonymität der Sparbücher
ausgeschlossen war, die zur Abschaffung der Anonymität geschaffene Rechtslage
seitens der FATF nur als minimal ausreichend beurteilt wurde, Österreich
seitdem quasi unter Beobachtung steht und sich daher ein Ausreizen
vermeintlicher Spielräume äußerst negativ auswirken könnte.
Zur möglichen
negativen Auswirkung gehört auch die Gefahr, dass Sparbuchprodukte, die seit
der Abschaffung der anonymen Sparbücher von Kreditinstituten aller Sektoren
nach praktischen Bedürfnissen der Sparer gestaltet und angeboten wurden, ins
Zentrum der internationalen Kritik rücken könnten.
Bundesrat | 696. Sitzung / Seite 78 |
Ich bedaure es
daher sehr, wenn aus ganz anderen Erwägungen heraus keine Zustimmung erfolgt,
weil es hier auch um eine andere EU-Richtlinie geht, nämlich darum, dass
niemand verurteilt wird, bevor es noch ein richterliches Urteil gibt. Auch das
war in dem Abänderungsantrag enthalten. Es geht darum, dass Geschäftsführer
von Geld- und Kreditinstituten bisher gemäß einer Ist-Bestimmung schon bei
einer Anklageerhebung zu entheben waren. Allein um diese Bestimmung ist es
gegangen. Das ist eine ganz andere Nebenbestimmung, denn es entspricht nicht dem
internationalen Recht, dass jemand schon, noch ehe eine Verurteilung erfolgt
ist, vorverurteilt wird.
Aus diesem Grund
erscheint es mir wichtig, dass diesem Gesetz mehrheitlich zugestimmt
wird. – Danke. (Bundesrat Gasteiger:
Kein Applaus!)
17.26
Präsident
Herwig Hösele: Danke, Herr Staatssekretär.
Zu Wort gemeldet
ist Herr Bundesrat Ing. Franz Gruber. Ich erteile es ihm.
17.26
Bundesrat
Ing. Franz Gruber (ÖVP, Kärnten): Herr Präsident!
Herr Staatssekretär! Hoher Bundesrat! Ich kann mich jetzt kürzer halten,
nachdem der Herr Staatssekretär umfassend informiert hat. Ich darf aber
trotzdem ein paar Sätze zuerst zum Glücksspielgesetz sagen, weil darüber auch
im Kärntner Landtag in diesem Moment diskutiert wird.
Zum
Glücksspielgesetz muss ich sagen, dass Spielsucht eine Krankheit ist. Das
Glücksspiel im Untergrund ist meiner Meinung nach sehr bedenklich, und die
Geldspielautomaten sollten nicht unbedingt Wirtschaftsinteressen dienen.
Deshalb, liebe Freunde, bin ich für eine verstärkte Kontrolle, und ich glaube,
das ist gut so. (Beifall des Bundesrates Ing. Klamt.)
Nun ein paar Sätze
zum Bankwesengesetz: Herr Todt! Es ist keine Symptombekämpfung, der Vergleich
mit den Koka-Bauern – ich weiß nicht, aus welchem Nest du das
herausgezogen hast – ist nicht richtig, und es ist auch kein
Husch-Pfusch-Gesetz, sondern, sehr geehrte Damen und Herren, es ist ein Gesetz
zur Umsetzung der EU-Richtlinie zur Änderung der Geldwäsche-Richtlinie, so wie
wir es vom Herrn Staatssekretär schon gehört haben.
Betreffend die Änderung
des Bankwesengesetzes gibt es nach dem, was wir von Herrn Todt gehört haben,
anscheinend sehr viele Missverständnisse. Es trifft nämlich nicht zu, dass sich
langjährige Bankkunden nach der neuen Rechtslage bei der Bank ausweisen müssen.
Das müssen nur jene machen, die mit der Bank noch keine Verbindung gehabt
haben, die das erste Mal mit der Bank in Verbindung getreten sind oder nach dem
eine erste Transaktion stattgefunden hat. Es ist nicht erforderlich, von einem
Kunden, der schon eine Kreditverbindung oder eine Bankverbindung gehabt hat,
noch einen Lichtbildausweis oder Ähnliches zu verlangen. Die Ausweispflicht
soll nur bei der Eröffnung einer neuen Geschäftsbeziehung gelten und praktisch
als Maßnahme zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität dienen.
Trotzdem, liebe
Freunde, ist mit dieser Vorlage eine größtmögliche Kundenfreundlichkeit und
Praxisgerechtigkeit erreicht, und ich danke dir, lieber Herr Staatssekretär,
und auch dem Minister sehr herzlich dafür, dass dadurch die Glaubwürdigkeit,
die Stabilität und die Vertrauensbildung in den österreichischen Finanzplatz
gegeben sind.
Wir werden diesem
Gesetz unsere Zustimmung geben. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)
17.29
Präsident
Herwig Hösele: Weitere Wortmeldungen liegen nicht
vor.
Wünscht noch
jemand das Wort? – Es ist dies nicht der Fall.
Die Debatte ist
geschlossen.
Wird von der
Berichterstattung ein Schlusswort gewünscht? – Das ist nicht der Fall.
Bundesrat | 696. Sitzung / Seite 79 |
Wir kommen zur Abstimmung.
Ich bitte jene
Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den vorliegenden
Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein
Handzeichen. – Es ist dies Stimmenmehrheit.
Der Antrag, keinen
Einspruch zu erheben, ist somit angenommen.
9. Punkt
Beschluss des
Nationalrates vom 29. April 2003 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das
Versicherungsaufsichtsgesetz, das Kartellgesetz 1988, das Versicherungssteuergesetz
1953, das Versicherungsvertragsgesetz 1958, das Atomhaftungsgesetz 1999, das
Bundesgesetz über den erweiterten Schutz der Verkehrsopfer, das
Finanzmarktaufsichtsbehördengesetz, das Börsegesetz und das Bankwesengesetz
geändert werden (VAG-Novelle 2003) (27 und 68/NR sowie 6786/BR der Beilagen)
Bundesrat | 696. Sitzung / Seite 80 |
Präsident
Herwig Hösele: Wir gelangen nun zum 9. Punkt
der Tagesordnung: VAG-Novelle 2003.
Die
Berichterstattung hat Herr Bundesrat Günther Molzbichler übernommen. Ich bitte
um den Bericht.
Berichterstatter
Günther Molzbichler: Herr Präsident! Herr
Staatssekretär! Werte Kolleginnen und Kollegen! Hohes Haus! Ich bringe den
Bericht des Finanzausschusses über den Beschluss des Nationalrates vom
29. April 2003 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Versicherungsaufsichtsgesetz,
das Kartellgesetz 1988, das Versicherungssteuergesetz 1953, das Versicherungsvertragsgesetz
1958, das Atomhaftungsgesetz 1999, das Bundesgesetz über den erweiterten Schutz
der Verkehrsopfer, das Finanzmarktaufsichtsbehördengesetz, das Börsegesetz und
das Bankwesengesetz geändert werden.
Der Bericht liegt
Ihnen vor.
Der
Finanzausschuss stellt nach Beratung der Vorlage am 13. Mai 2003 mit
Stimmeneinhelligkeit den Antrag, gegen den vorliegenden
Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben.
Präsident
Herwig Hösele: Ich danke für die
Berichterstattung.
Wortmeldungen
liegen nicht vor.
Wünscht jemand das
Wort? – Es ist dies nicht der Fall.
Wir kommen daher
zur Abstimmung.
Ich bitte jene
Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den vorliegenden
Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein
Handzeichen. – Ich stelle Stimmeneinhelligkeit
fest.
Der Antrag, keinen
Einspruch zu erheben, ist somit angenommen.
10. Punkt
Beschluss des Nationalrates vom 7. Mai 2003
betreffend ein Bundesgesetz, mit dem ein Bundesgesetz über nationale
Emissionshöchstmengen für bestimmte Luftschadstoffe
(Emissionshöchstmengengesetz-Luft, EG-L) erlassen sowie das Ozongesetz und das
Immissionsschutzgesetz-Luft geändert werden (38 und 66/NR sowie 6787/BR der Beilagen)
Präsident
Herwig Hösele: Wir gelangen nun zum 10. Punkt
der Tagesordnung: Bundesgesetz, mit dem ein Bundesgesetz über nationale
Emissionshöchstmengen für bestimmte Luftschadstoffe erlassen sowie das
Ozongesetz und das Immissionsschutzgesetz-Luft geändert werden.
Die
Berichterstattung hat Herr Bundesrat Paul Fasching übernommen. Ich bitte um den
Bericht.
Berichterstatter
Paul Fasching: Herr Präsident! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Der Bericht des Ausschusses für Land- und
Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft über den Beschluss des Nationalrates
vom 7. Mai 2003 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem ein Bundesgesetz über
nationale Emissionshöchstmengen für bestimmte Luftschadstoffe erlassen sowie
das Ozongesetz und das Immissionsschutzgesetz-Luft geändert werden, liegt Ihnen
in schriftlicher Form vor.
Ich komme daher
zum Antrag.
Der Ausschuss für
Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft stellt nach Beratung
der Vorlage am 13. Mai 2003 mit Stimmeneinhelligkeit den Antrag, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen
Einspruch zu erheben.
Präsident
Herwig Hösele: Ich danke für die Berichterstattung.
Zu Wort gemeldet hat sich Frau Bundesrätin Kerschbaum. Ich erteile es
ihr.
17.34
Bundesrätin
Elisabeth Kerschbaum (Grüne, Niederösterreich): Sehr
geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir beschließen heute
eine Änderung des Immissionsschutzgesetzes und des Ozongesetzes. Diese regeln
in erster Linie die Emissionserfassung und die Dokumentation, aber sie
enthalten keine Instrumente zur Reduktion der Luftschadstoffe. Es fehlen auch
noch die Verordnungen des Bundesministeriums und der Landeshauptleute in Bezug
auf die Genauigkeit der Erfassung der Emissionen – also wie weit wird
jetzt tatsächlich gemessen, wie weit werden die Emissionen nur geschätzt und
hypothetische Annahmen gestellt –, es fehlen die Verordnungen zur
IPPC-Richtlinie zur Genehmigung und Umrüstung von Anlagen mit höheren
Emissionsmengen, und es fehlt die Verordnung des Bundesministeriums, welche
Programme die Bundesregierung ausarbeiten wird, um die Ziele bis zum
Jahr 2010 zu erreichen.
Erst mit diesen
Programmen wird sich dann zeigen, wie weit die Regierung bereit ist, auch
Kosten für die Luftreinhaltung in Kauf zu nehmen, Kosten, die zusätzlich auch
dem Schutz unserer Gesundheit zugute kommen. Derzeit schaut es nicht unbedingt
so aus, als ob das allzu viel sein wird. Im neuen Budget stehen dem Klimaschutz
trotz Hochwassers weniger Mittel zu Verfügung als im letzten. Wenn sich das
nicht ändert, werden die Ziele unseres neuen Immissionsschutzgesetzes, das wir
hier beschließen sollen, sicher nicht erreicht werden und schon gar nicht die
Ziele des Kyoto-Abkommens. Und wenn wir das nicht erreichen, dann wird es
wieder teuer, denn das Kyoto-Protokoll sieht auch Sanktionen bei Nichteinhaltung
vor. Mir persönlich wäre es natürlich lieber, wenn wir jetzt das Geld
aufwendeten, um in den Immissionsschutz zu investieren, anstatt dann Geld
aufwenden zu müssen, um Strafzahlungen leisten zu können.
Den größten
Unterschied zwischen dem Soll- und dem derzeitigen Zustand bei den Luftschadstoffen
haben wir bei den Stickstoffoxyden und bei den flüchtigen organischen Verbindungen.
Die flüchtigen organischen Verbindungen müssten wir zirka um ein Drittel reduzieren –
Hauptverursacher ist da die Industrie und unter anderem auch die
Massentierhaltung –, bei den Stickstoffoxydemissionen müssen wir fast
halbieren. Hier ist der Verursacher der Verkehr.
Ich komme aus dem Weinviertel, und im Weinviertel haben wir momentan große Probleme mit dem Verkehr. Bei uns habe ich oft den Eindruck, die Politik besteht nur darin, dass man für neue Autos neue Straßen bauen muss, und ich denke, das ist ein bisschen wenig, da würde ich
Bundesrat | 696. Sitzung / Seite 81 |
mir mehr Fantasie wünschen. Für das Weinviertel besteht die
Gefahr, dass es mit Hochleistungsstraßen zugepflastert wird.
Genau im Bereich
Verkehr ist es aber wichtig, dass die Bundesregierung Maßnahmen zur Verlagerung
auf die Schiene und zur Verhinderung setzt. Im österreichischen Generalverkehrsplan
steht das auch in der Einleitung groß drinnen, bei den Umsetzungsmaßnahmen
steht dann allerdings fast nur mehr etwas von der Straße und wenig von der
Schiene darin.
Ich würde mir
wünschen, dass es dem Immissionsschutzgesetz und dem Ozongesetz nicht so ergeht
wie dieser Einleitung des Generalverkehrsplanes. Wir brauchen nämlich keine
Lippenbekenntnisse, sondern wir brauchen Umsetzungsmaßnahmen. (Beifall bei
den Grünen und der SPÖ. – Zwischenruf des Bundesrates Ing. Franz Gruber. –
Bundesrat Gasteiger: Geh sei ruhig da hinten! – Weitere Zwischenrufe
und Heiterkeit.) – Ich
habe derweil noch keine Überweisung bekommen. Leider!
Zurück zum Ozon:
Die Grenzwerte beim Ozon werden in Österreich nach wie vor immer wieder
überschritten. Laut dem letzten UBA-Jahresbericht war die Langzeitbelastung im
Südosten Österreichs im Vorjahr außerordentlich hoch. Es ist daher wichtig,
dass man neue Emissionsquellen, aber auch die alten Emissionsquellen in den
Griff bekommt, dass diese saniert und endlich in Angriff genommen werden. Das
ist aber nicht allein nur Bundessache, das ist auch Sache der Länder. Diese
sind damit auch aufgefordert, in diesem Bereich ihre Verordnungen zu erlassen
und etwas zu tun.
Da das jetzt aber
ein Pro-Rede ist, weil wir dieses Gesetz unterstützen wollen, möchte ich doch
noch ein paar Verbesserungen hervorheben:
Erstmals gibt es
in diesem neuen Gesetz eine Frist für die Erlassung eines Maßnahmenkatalogs.
Früher war das unbefristet, deshalb hat es auch keine Maßnahmenkataloge gegeben
beziehungsweise einen bei zehn Fällen, bei denen es notwendig gewesen wäre.
Bei den
Anlagegenehmigungen wird künftig der Stand der Technik anders definiert,
nämlich nicht mehr nach der Gewerbeordnung, sondern nach dem
Abfallwirtschaftsgesetz.
Bei den Anlagen,
die bisher keiner bundesgesetzlichen Bewilligung unterliegen, wird mit der
Umsetzung einer IPPC-Richtlinie endlich auch das bewilligungspflichtig. Das
trifft jetzt zum Teil auf Kesselanlagen und die Intensivtierhaltung zu.
Zusätzlich werden
auch die Sanktionen bei Zuwiderhandeln verschärft.
Zu den Sanktionen
noch kurz: Mir wäre es lieber gewesen, hätten wir dieses Immissionsschutzgesetz
schon früher beschlossen. Leider sind wir auch hier wieder hintennach.
Österreich ist bei der Umsetzung der EU-Richtlinie in Verzug. Eigentlich hätte
sie bis 27. November 2002 in nationales Recht umgesetzt werden müssen. Ich
hoffe doch, dass die Verordnungen jetzt schneller vorangetrieben werden.
Auch bei der
Ozonrichtlinie haben wir nicht gerade die Vorreiterrolle im Umweltschutz, die
wir gerne für uns in Anspruch nehmen, übernommen. Die Änderung des Ozongesetzes
erfolgt auf Grund eines Vertragsverletzungsverfahrens: Wir hatten zu hohe
Grenzwerte in unserem Gesetz, wir hatten zu ausgedehnte Mittelwerte, und die
Überschreitungen haben erst gegolten, wenn sie an zwei Messstellen festgestellt
wurden. Letztendlich ist das, was wir hier beschließen, die Umsetzung einer
EU-Richtlinie, nicht mehr und nicht weniger. Wir übernehmen keine
Vorreiterrolle, und das ist sicherlich kein Grund dafür, uns deshalb ein
Umwelt-Musterland zu nennen.
Aber letztlich
freue ich mich trotzdem darüber, dass wir das Gesetz erst heute beschließen,
weil ich nun mit abstimmen darf. (Heiterkeit. – Bundesrat Mag. Himmer:
Die Freude werden wir Ihnen noch öfters machen können!)
Bundesrat | 696. Sitzung / Seite 82 |
Jetzt baue ich
noch auf eine innovative Gestaltung der fehlenden Verordnungen, und zwar
deshalb, weil Investitionen in den Umweltschutz auch Investitionen in neue
Technologien sind, Arbeitsplätze schaffen und unsere Gesundheit fördern. In
diese Punkte zu investieren, erscheint mir sinnvoller, als Abschlagszahlungen
für nicht erreichte Kyoto-Ziele zu leisten. (Allgemeiner Beifall.)
17.41
Präsident Herwig Hösele: Weitere
Wortmeldungen liegen nicht vor.
Wünscht noch
jemand das Wort? – Dies ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Abstimmung.
Ich bitte jene
Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den vorliegenden
Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein
Handzeichen. – Ich stelle Stimmeneinhelligkeit
fest.
Der Antrag, keinen
Einspruch zu erheben, ist somit angenommen.
11. Punkt
Wahl von Ausschüssen
Präsident Herwig Hösele: Wir gelangen nun zum 11. Punkt der
Tagesordnung: Wahl von Ausschüssen.
Es liegt mir ein
Antrag der Bundesräte Bieringer, Professor Konecny, Professor Dr. Böhm folgenden
Inhaltes vor, den ich jetzt verlese:
Folgende Ausschüsse
mit jeweils 15 Mitgliedern und Ersatzmitgliedern werden neu gewählt, wobei
jeweils 8 Mitglieder und Ersatzmitglieder auf die ÖVP, 5 auf die SPÖ und 2
auf die FPÖ entfallen.
Ich nenne die
Ausschüsse:
Ausschuss für
auswärtige Angelegenheiten,
Ausschuss für
Bildung, Wissenschaft und Kultur,
EU-Ausschuss,
Finanzausschuss,
Gesundheitsausschuss,
zuständig für Vorlagen aus dem Bundesministerium für Gesundheit und Frauen
betreffend Gesundheitsthemen,
Ausschuss für
Frauenangelegenheiten, zuständig für Vorlagen aus dem Bundesministerium für
Gesundheit und Frauen betreffend Frauen und Gleichbehandlungsthemen,
Ausschuss für
innere Angelegenheiten,
Justizausschuss,
Landesverteidigungsausschuss,
Ausschuss für Land-
und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft,
Ausschuss für
soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz,
Ausschuss für
Verkehr, Innovation und Technologie sowie
Bundesrat | 696. Sitzung / Seite 83 |
Ausschuss für
Wirtschaft und Arbeit.
Weiters wird
beantragt:
Der Bundesrat wolle
beschließen, anstelle des Ausschusses für öffentliche Leistung und Sport den
Ausschuss für
Sportangelegenheiten, zuständig für Vorlagen aus dem Bundeskanzleramt betreffend
Angelegenheiten des Sports, und den
Ausschuss für
Verfassung und Föderalismus, zuständig für Vorlagen aus dem Bundeskanzleramt
ausgenommen Angelegenheiten des Sports,
mit jeweils
15 Mitgliedern und Ersatzmitgliedern neu zu wählen, wobei jeweils
8 Mitglieder und Ersatzmitglieder auf die ÖVP, 5 auf die SPÖ und 2 auf die
FPÖ entfallen.
Ich bitte jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem eben verlesenen Antrag ihre Zustimmung geben, um ein Handzeichen. – Es ist dies Stimmeneinhelligkeit.
Die vorhin genannten Ausschüsse sind somit gemäß § 13 der Geschäftsordnung neu gewählt.
Im Sinne des § 13 Abs. 3 der Geschäftsordnung des Bundesrates sind die von den Fraktionen auf sie entfallenden Ausschussmitglieder und Ersatzmitglieder schriftlich namhaft zu machen, und diese gelten damit als gewählt.
Die Konstituierung des EU-Ausschusses wird am kommenden Dienstag, dem 20. Mai 2003, um 14 Uhr, diejenige der anderen Ausschüsse am Dienstag, dem 17. Juni 2003, ab 14 Uhr erfolgen.
Die Tagesordnung ist erschöpft.
Dringliche Anfrage
der Bundesräte
Albrecht Konecny und KollegInnen an den Bundeskanzler betreffend finanzielle
Auswirkungen des Budgetbegleitgesetzes, insbesondere der Pensionsreform, auf
Länder und Gemeinden – Konsultationsmechanismus durch die Länder
Burgenland, Kärnten, Salzburg und Wien ausgelöst – Runder Tisch beim Herrn
Bundespräsidenten zur Pensionsreform – Konsequenzen des Runden Tisches für
die Bundesregierung (2072/J-BR/03)
Präsident Herwig Hösele: Wir gelangen nunmehr zur Verhandlung über die
dringliche Anfrage der Bundesräte Professor Konecny,
Kolleginnen und Kollegen an den Herrn Bundeskanzler betreffend finanzielle
Auswirkungen des Budgetbegleitgesetzes,
insbesondere der Pensionsreform, auf Länder und Gemeinden –
Konsultationsmechanismus durch die Länder Burgenland, Kärnten, Salzburg und
Wien ausgelöst – Runder Tisch beim Herrn Bundespräsidenten zur
Pensionsreform – Konsequenzen des Runden Tisches für die Bundesregierung. (Bundesrat Konecny: Zur Geschäftsordnung, Herr Präsident!)
Ich
erteile Herrn Professor Konecny zur
Geschäftsordnung das Wort. – Bitte.
17.45
Bundesrat Albrecht Konecny (SPÖ, Wien) (zur Geschäftsbehandlung):
Herr Präsident! Ich habe für den Herrn Staatssekretär ein hohes Maß an
Bewunderung. Allein dass er sich bei uns als Prophet produzieren soll, würde
nicht einmal ich ihm abverlangen.
Es ist selbstverständlich
möglich, Herr Präsident, zum gegenwärtigen Zeitpunkt die Fragen 1 bis 11,
die wir in unserer dringlichen Anfrage stellen, zu beantworten. Ich fürchte,
dass bei einer noch nicht abgeschlossenen Beratung auch der Herr Staatssekretär
in all seinem Kenntnisreichtum überfordert sein wird, die
Fragestellungen 12 bis 14 zu beantworten.
Bundesrat | 696. Sitzung / Seite 84 |
Ich würde vorschlagen, dass
wir die Sitzung unterbrechen bis zu jenem Zeitpunkt, zu dem eine vernünftige
Antwort – ob sie vernünftig sein wird, ist eine andere Frage –, eine
korrekte Antwort auf diese Fragen überhaupt erst möglich ist.
Präsident Herwig Hösele: Wie lautet der Antrag, Herr Professor?
Bundesrat Albrecht Konecny (fortsetzend): Dass wir die dringliche
Anfrage nach Ende des „Runden Tisches“ und damit dem Vorliegen ... (Widerspruch
bei der ÖVP.)
Wir wissen, was wir fragen,
und wir bitten den Herrn Bundeskanzler um eine Antwort. Das ist nicht
illegitim, es ist im Rahmen der Geschäftsordnung erfolgt. Zum gegenwärtigen
Zeitpunkt ist die Beantwortung nicht möglich. (Zwischenrufe bei der ÖVP.)
17.46
Präsident Herwig Hösele:
Wünscht zum Antrag von Herrn Professor Konecny
jemand geschäftsordnungsmäßig das Wort? (Bundesrat Gasteiger: Nein!)
Wenn ich Sie richtig
verstanden habe, Herr Professor, haben Sie den Antrag gestellt, die Sitzung zu
unterbrechen, bis der Herr Bundeskanzler eintrifft. (Bundesrat Konecny: Jawohl!)
Ich lasse über diesen Antrag
abstimmen. (Bundesrat Konecny: Herr
Präsident! Unter diesen Umständen, da auch Kollege Bieringer nicht da ist,
mache ich den Vorschlag: Überbrücken wir die Pause mit einer Präsidiale! –
Weitere Zwischenrufe.)
Ich unterbreche
die Sitzung.
(Die Sitzung wird um
17.47 Uhr unterbrochen und um 18.03 Uhr wieder aufgenommen.)
Präsident Herwig Hösele: Ich nehme die für die Präsidiale unterbrochene Sitzung wieder auf.
Der vom Herrn Professor Konecny eingebrachte Antrag ist laut Geschäftsordnung nicht zulässig. Ich bitte ihn als erstem Anfragesteller daher, die dringliche Anfrage zu begründen. – Bitte.
18.03
Bundesrat Albrecht Konecny (SPÖ, Wien): Herr Präsident! Herr Staatssekretär! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Wir haben heute eine dringliche Anfrage vorbereitet, die sich an
den Bundeskanzler richtet. Sie hat – das sei offen zugegeben – zwei
Themenbestandteile. Sie stellt darauf ab, dass nicht nur das
Budgetbegleitgesetz, sondern insbesondere auch die Pensionsreform nicht nur
auf die Menschen unseres Landes – für diese in allererster Linie –,
nicht nur auf den Bund, sondern insbesondere auch auf die Länder und Gemeinden
Auswirkungen hat. (Vizepräsidentin Haselbach übernimmt den Vorsitz.)
Dies ist ein Thema – ich werde naturgemäß in meiner Begründung einiges dazu sagen –, das in der bisherigen öffentlichen Diskussion zu wenig zur Geltung gekommen ist, und es stünde, so meine ich, der Länderkammer gut an, sich diesem Thema im Besonderen zu widmen. Aber es hat naturgemäß ein zweites Element gegeben. (Die Bundesräte der SPÖ halten ein Transparent mit folgender Aufschrift in die Höhe: Auf uns ist Verlass: Wir stimmen dagegen! Wer noch? Die SPÖ-Bundesratsfraktion) – Ich sage dazu, das ist kein Druckfehler, da ist absichtlich so viel Platz: Eigenhändige Unterschriften von Kolleginnen und Kollegen der anderen Fraktionen werden dort gerne entgegengenommen. (Beifall bei der SPÖ.)
Aber die Kärntner Kollegin und der Kärntner Kollege sind schon weg. Was heißt denn das? (Bundesrat Mag. Gudenus: Seien Sie nicht so böse, vielleicht hätte ich unterschrieben!) Na gut, das ist aber vom vorvorigen Tagesordnungspunkt oder Nicht-Tagesordnungspunkt der Dringlichen. (Bundesrat Kritzinger: Ist das so üblich, dass man da ...!) – Natürlich, es verdeutlicht, Herr Kollege, manche hören schlecht und sehen besser! (Beifall bei der SPÖ.)
Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Herr Kollege Konecny! Sie gestatten, dass ich Sie unterbreche. Es war die Frage, ob das hier so üblich sei. Es ist nicht üblich, dass solche
Bundesrat | 696. Sitzung / Seite 85 |
Dinge im Sitzungssaal sind. Es hat dies jeder gelesen, Sie haben die Einladung des Kollegen Konecny gehört, man kann auch außerhalb dieses Saales Unterschriften anbringen, wenn man dies möchte.
Bundesrat Albrecht Konecny (fortsetzend): Ich komme gerne zu meinen Ausführungen zurück. Wie gesagt, ich gebe zu, dass es eine zweite Hälfte dieser Anfrage gibt, die sich auf ein Ereignis bezieht, das in diesen Minuten zu Ende geht. Es hat der Herr Vizekanzler – er hat heute selbst hier darauf zu Recht gebührend verwiesen – nach einigen Unsicherheiten – aber das sind wir gewöhnt – ausdrücklich den Herrn Bundespräsidenten ersucht, in dieser schwierigen Debatte über die Pensionsreform einen neuen Anfang dadurch zu ermöglichen, dass er zu einem „Runden Tisch“ einlädt.
Der Herr Bundespräsident ist dieser Einladung, die von fast allen dafür als Teilnehmer in Frage kommenden gesellschaftlichen Kräften der Republik bestens aufgenommen wurde, nachgekommen und hat für heute, 16 Uhr zu einem solchen „Runden Tisch“ eingeladen, auch wenn ich zugeben muss – mir ist das aus der APA bekannt –, dass es offenbar in der Republik noch ein paar Defizite gibt: Es war kein runder Tisch, aber darauf soll es wirklich nicht ankommen. (Zwischenruf des Bundesrates Mag. Gudenus.) – Er war oval, Herr Kollege, so teilt mir die APA mit.
Ich möchte mich daher zunächst einmal mit jenen Gesichtspunkten beschäftigen, die für das Thema insgesamt von Bedeutung sind, und dann zur Frage des föderalistischen Elements, wenn ich das so nennen darf, der so genannten Reform – wir haben andere Vokabel dafür – der Bundesregierung im Zusammenhang mit den Pensionen zu sprechen kommen.
Wir haben heute wieder einmal gehört, dass 80 Prozent der Bevölkerung – der Herr Vizekanzler hat das gesagt – die Notwendigkeit einer – „einer“ ist ein unbestimmtes Wort – Reform bejahen. Tatsächlich: Eine Reform ist notwendig, und ich habe das bei einer Wortmeldung vor einigen Wochen hier schon einmal gesagt. Die jungen Menschen werden erfreulicherweise besser ausgebildet und treten daher auch später in den Beruf ein. Ebenso erfreulicherweise werden heute die Menschen älter als ihre Elterngeneration und noch die Generation vor 20 Jahren. Und angesichts dessen wird von Regierungsseite so gerne mit Schuldzuweisungen operiert. Es gibt sogar einen Schuldigen. Es war jener so geschmähte Bruno Kreisky, der vor 30 Jahren zum Kampf gegen das Sterben vor der Zeit aufgerufen hat, der einer Regierung vorgestanden ist, die diesen Kampf eröffnet hat. Und tatsächlich ist innerhalb eines Jahrzehnts die durchschnittliche Lebenserwartung der Österreicherinnen und Österreicher substanziell sprunghaft gestiegen und seither graduell weiter gewachsen.
Wir freuen uns
darüber, dass die Menschen älter werden, wir finden es nicht lustig, wir freuen
uns für unsere älteren Mitbürger darüber. Natürlich hat das Konsequenzen.
(Zwischenbemerkung des Staatssekretärs Morak.) – Natürlich, jeder von uns, wir fallen auch
darunter. Wir haben uns also geeinigt, dass wir uns alle freuen. Aber
naturgemäß hat das Auswirkungen auf ein System, das auf einer gewissen Balance
zwischen beruflicher Aktivität und Ruhegenuss aufgebaut ist.
Wer das
bestreitet, der muss irgendwie von einem anderen Stern kommen. Ich glaube nicht
einmal, dass das 20 Prozent unserer Bevölkerung bestreiten. Aber die Frage
ist, wie immer im Leben, die Frage nach dem Wie. Wir haben nun erlebt, dass es
zunächst einmal einen Begutachtungsentwurf gegeben hat, den diese Regierung
ausgearbeitet hat – jetzt wird es schon wieder schwierig für mich –,
aber es gibt natürlich einen Ressortminister, der federführend für eine solche
Vorlage ist. Sie trägt auch seine Unterschrift.
Dieser
Begutachtungsentwurf ist – und ich komme noch darauf – verheerend, im
wahrsten Sinn des Wortes verheerend kritisiert worden von allen, die ihn in die
Hand bekommen haben, und das in Wirklichkeit unabhängig davon, welcher
politischen Fraktion sie in diesem Land angehören – ausgenommen jene, die
in der Bundesregierung sitzen. Diese haben sich schon verpflichtet gefühlt, den
Entwurf für gut zu halten, aber das war eine Promille-Minderheit der
österreichischen Bevölkerung.
Bundesrat | 696. Sitzung / Seite 86 |
Dann hat es
Gespräche gegeben zwischen den Koalitionsparteien, so sagt man, und dann gab es
einen weiteren Entwurf, sozusagen den wirklichen Entwurf. Dieser wirkliche Entwurf
ist dann – ich nehme doch an über Antrag des ressortzuständigen
Bundesministers – in der Bundesregierung beschlossen worden. Da war von
Abfederung und vom Ziehen der Giftzähne und ich weiß nicht wovon alles die
Rede, es hat sich nur beim ersten Blick auf die neue Vorlage bereits gezeigt,
dass davon naturgemäß keine Rede sein kann.
Es gibt eine lange
Liste von bedeutenden politischen Persönlichkeiten der Republik, die sich
innerhalb von 48 Stunden lächerlich gemacht haben, in dem sie zunächst
einmal voller Begeisterung diesen neuen Entwurf, der jetzt ganz wunderbar ist
und fast nichts mehr mit dem Begutachtungsentwurf zu tun hat, begrüßt haben und
dann, als ihnen andere gesagt haben, aber all das stehe nicht darin, was sie
behaupten, entdeckt haben, dass weiterer Verhandlungsbedarf besteht.
Die Paulinische
Wandlung, um dem Kollegen von der Theologischen Fakultät eine Freude zu machen,
mancher, die jetzt den Parlamentarismus als das wahre Entscheidungszentrum
entdeckt haben und meinen, dass sich das Parlament nun nichts dreinreden lassen
dürfe, ist wirklich eine eindrucksvolle Regung politischen
Opportunitätsgehabens.
Es gibt also einen
Entwurf. Er ist kaum besser als das, was als Begutachtungsentwurf bezeichnet
wurde, und dann gibt es die Optimisten – allerdings Optimisten mit
begrenztem Horizont –, die sagen, über das könne man heute noch gar nicht
reden, weil es wird doch weiter verhandelt, und ein Urteil könne man erst dann
fällen, wenn das endgültig beschlossen ist. Ja aber dann, Kolleginnen und Kollegen,
ist es leider zu spät. Da kann man reden, so wie man in Österreich
Kraftausdrücke gegen das Salzamt schleudert, aber beschlossen ist beschlossen,
und das ist nicht das, was wir unter Dialog verstehen.
Der Herr
Bundeskanzler – das hat er auch vor dem „Runden Tisch“ mehr oder weniger
klar gesagt, ob er es dann dort auch gesagt hat, werden wir bald
erfahren – verwechselt Dialog mit Psychotherapie. Dialog heißt, beide
Seiten sagen etwas, und am Ende geht man auf die Argumente ein und versucht,
eine gemeinsame Lösung zu finden.
Bei der
Psychotherapie ist das naturgemäß anders, da ist der eine der Behandelnde, und
der andere hat etwas; wollen wir es nicht qualifizieren. (Bundesrat Mag. Gudenus: Man weiß zwar nicht immer, wer der Behandelnde ist!) – Das
muss ich namens der Psychotherapeuten heftig zurückweisen. Ich bin mit einer
Psychotherapeutin verheiratet und kann es mir nicht erlauben, Ihnen
zuzustimmen. Aber es ist klar, dass der Psychotherapeut den anderen zum Reden
bringt, damit er durch das Sprechen erkennt, wo er Unrecht hat. (Bundesrat Mag. Gudenus: Logotherapie!)
Das ist genau der
Dialog oder das, was einen Dialog ersetzen soll, den wir nicht zu führen bereit
sind. Wenn der Bundeskanzler sagt, reden könnt ihr über alles, aber am
4. Juni wird das beschlossen, was ich sage ... (Bundesrat Dr. Kühnel: Sind Sie zu behandeln oder wie ist das bei Ihnen?) – Nein,
Herr Kollege, ich gebe freimütig zu, dass ich viele neue Einsichten aus dieser
Partnerschaft gewonnen habe, die ich manchem Kollegen sehr vergönnen würde. (Beifall
bei der SPÖ.)
Glauben Sie mir,
Therapie für aufmüpfige Gewerkschafter, unzufriedene Arbeiter und Angestellte
ist nicht das, was die Republik beim Herrn Bundeskanzler bestellt und
beauftragt hat. Dialog ist es! (Beifall bei der SPÖ.)
Das ist auch eine
Frage des Demokratieverständnisses. Sie sagen uns mit Recht, wir haben lange
regiert, und wenn man ehrlich ist – ich bemühe mich das zu sein –,
dann muss man sagen, nicht jeder Beschluss, den wir initiiert oder gefasst
haben, war der Weisheit letzter Schluss. Aber auch eine allein regierende
Sozialdemokratie hat mit Ihnen, etwa mit Ihren Bauernvertretern, etwa mit Ihren
Justizvertretern nächtelang diskutiert. (Bundesrat Dr. Kühnel: Sie versuchten, die ÖVP zu spalten! Das war das Ziel! –
Bundesrätin Bachner: Kann man das?) – Herr
Kollege, quer oder hoch?
Bundesrat | 696. Sitzung / Seite 87 |
Die
Bauernvertreter der damaligen Generation – vielleicht haben sie das den
heutigen weitererzählt ... (Zwischenruf des Bundesrates Dr. Kühnel.) – Bitte, Herr
Kollege, ich mache Sie doch nicht älter, als Sie ohnehin schon sind. Ich bin
61,5 Jahre alt, ich kann mir das erlauben. Aber ich stehe zu meinem Alter,
und ich bekenne mich auch dazu, dass ich damals schon Verhandlungen geführt
habe. Wenn Sie das verdrängen und vergessen, ist das nicht meine Angelegenheit.
Mein Satz hat geheißen: Die Bauernvertreter von damals werden das vielleicht
ihren Nachfolgern von heute erzählt haben, wie man damals gesprochen und
verhandelt hat, auch wenn die heute hier Sitzenden in ihrer Mehrzahl damals
nicht dabei waren.
Das
Drüberfahren – und das ohne breite öffentliche Diskussion – nicht nur
über die Gewerkschaftsbewegung, obwohl sich diese naturgemäß lautstark und vor
allem zahlreich zu Wort meldet, sondern auch über die Wirtschaftskammer, über
viele andere gesellschaftliche Gruppen, die spezifische und zumindest zu
diskutierende Anliegen haben, tut in einer so fundamentalen Frage der Republik
nicht gut.
Wenn der Herr
Bundeskanzler meint, das Wohl und Wehe des Landes hänge davon ab, dass er Recht
behält, dann meine ich aus voller Überzeugung, dass er sich da fundamental
irrt. Ich behaupte nicht, das ist deshalb so, weil er immer Unrecht hat,
sondern weil er mit dieser Grundhaltung auf jeden Fall Unrecht haben muss, ganz
egal, um welches Thema es geht.
Diese Pensionsreform –
Pensionssicherungsreform sagen Sie –, also dieses Bündel von Maßnahmen,
hilft kurzfristig dem Herrn Finanzminister, ein sonst gar nicht mehr
darstellbares Budget doch noch über die Runden zu bringen, ermöglicht der
Regierung, die unseligen Abfangjäger doch noch zu kaufen, aber bedeutet für die
große Mehrheit der Menschen, dass die Perspektive ihres Alters für sie nicht
wirklich mehr zum Positiven beeinflussbar ist.
Die Zeitungen
haben nach der Wahl im vergangenen Jahr den Herrn Bundeskanzler als „taktisches
Genie“ beschrieben, und er bemüht sich natürlich, sich nicht gleichzeitig mit
allen anzulegen. Wissen Sie, jemanden mit dieser Art von Taktik möchte ich gar
nicht haben, den würde ich in meiner Partei nicht unterstützen. (Beifall bei
der SPÖ und den Grünen. – Bundesrat Mag. Himmer: Dieser Sorge sind Sie tatsächlich ledig!)
Das glaube ich
nicht, Herr Kollege! Wenn Sie sich die in der morgigen Ausgabe des „FORMAT“
veröffentlichten Zahlen über die Spitzenkandidaten anschauen, dann werden Sie, so
schwer Ihnen das fällt, ein bisschen leiser treten. Aber lassen Sie die Wähler
entscheiden – weder meine pompöse Behauptung noch Ihre hat für sich einen
Wahrheitswert. Da bin ich ... (Bundesrat Mag. Himmer: Im „FORMAT“ waren nicht einmal
die Wahlergebnisse richtig, die sie gebracht haben!)
Herr Kollege! Wenn
Sie meinen, sich mit dem „FORMAT“ kritisch auseinander setzen zu müssen, dann
schreiben Sie einen Leserbrief, aber halten Sie uns damit nicht auf! (Heiterkeit
bei der SPÖ.)
Wir haben eine
Umfrage zitiert. Herr Kollege! Ich war sieben Jahre lang in diesem Geschäft,
ich weiß auch, welchen Stellenwert Umfragen haben, aber sie sind ein Indikator,
und als solchen sollten Sie ihn auch gelten lassen. Aber noch einmal: Ich habe
keinen Ehrgeiz, Umfragen zu gewinnen, mir ist es viel lieber, die SPÖ gewinnt
Wahlen. Das ist schon eine ehrliche Ansage.
Sie bringen mich
in die schwierige Lage, dass mir Kollege Bieringer vorwerfen wird, dass ich
ungebührlich lange begründe. Unterbrechen Sie mich also nicht dauernd, sonst
wird es noch länger! (Bundesrätin Roth-Halvax: So ist es!)
Kehren wir zum
Thema zurück! Der Herr Bundeskanzler glaubt, in der Lage zu sein, sich von vier
Fronten zwei nicht aufzumachen. Es ist eine gute Frage, ob das wahr ist.
Da gibt es zunächst einmal jene, die in Pension sind. Auch wenn ich noch so kritisch das Budgetbegleitgesetz durchsehe: Mit Ausnahme einer durchaus moderaten Anhebung des Pensionssicherungsbeitrages im öffentlichen Dienst steht dort nichts. Die Frage ist: Ist das eine so wahrhaftige Ankündigung wie jene von Frau Rauch-Kallat im Herbst, als sie sagte, dass es in
Bundesrat | 696. Sitzung / Seite 88 |
der nächsten
Gesetzgebungsperiode keine Anhebung des Frühpensionsalters geben wird, oder ist
es wirklich wahr? – Ich glaube ganz ehrlich, dass es nicht wahr ist. Aber
wer wird schon so tölpelhaft sein, sich gleichzeitig mit allen Berufstätigen
und mit den Pensionisten auch noch anzulegen?
Zweitens: Der Herr
Bundeskanzler hat gemeint, er könne die Opposition kleinhalten – nicht die
politische Opposition, sondern die Opposition gegen diese Vorschläge. Damit hat
er natürlich das Pferd vom Schwanz her aufgezäumt. Reiterisch ist das
vermutlich Schwachsinn – ich bin kein Reiter –, aber politisch mag es
manchmal Sinn machen. Wir reden also nicht über ein harmonisiertes System,
sondern wir reden über die ASVG-Versicherten, die ohnehin die „mistigsten“
Pensionen haben. Ich nehme an, dass der Herr Bundeskanzler mit heftigem und vor
allem in eine bestimmte Richtung gezieltem Augenzwinkern versucht hat, dem
öffentlichen Dienst klarzumachen: So wild wird es bei euch schon nicht werden.
Da bekunde ich
Kollegen Neugebauer meinen tiefen Respekt: Die Gewerkschafter sind in diesem
Bereich auf diesen Trick nicht hereingefallen, weil sie genau wissen: Wenn
jetzt die einen – sagen wir einmal die roten Schafe – geschoren
werden, dann kommen im Herbst mit mindestens derselben Schere auch die
schwarzen Schafe an die Reihe – was ich jetzt nicht politisch meine,
sondern nur zur Unterscheidbarkeit zwischen dem ASVG-Bereich und dem öffentlichen
Dienst sage. Setzen Sie beliebige andere Farben ein! Sie haben genau begriffen,
wie es ist: Tua res agitur! Es geht genauso um ihre Pensionen, und wenn jetzt
die ASVG-Versicherten verlieren – und das ist es, worum es geht –,
dann ist auch ihre Verteidigungsposition umso schwächer.
Dann gibt es die
dritte Gruppe – und das war der einzige Kompromiss, sowieso „mistig“
genug, den diese Regierung zwischen erster und zweiter Variante gemacht
hat –: Das sind jene, die geistig schon ein bisschen in Pension sind, weil
sie in den nächsten ein, zwei Jahre vorhaben, in Pension zu gehen. Die wenigen
Maßnahmen, die es gegeben hat, haben ihnen ein bisschen Zuckerguss auf dieses
ansonsten durchaus ungenießbare Gericht gegossen.
Auch diese haben
sich – erfreulicherweise, wie die Teilnahme an den Aktionen zeigt –
überhaupt nicht beirren lassen, weil sie klar erkennen, was ihnen wirklich
blüht. Was ist der Kern der Sache? – Der Kern der Sache ist, dass die
Bundesregierung, selbst wenn eine Harmonisierung kommt, im Begriff ist, ein
System zu erfinden, wonach die große Mehrheit der durchschnittlichen
Einkommensbezieher aus der so genannten ersten Säule keine ausreichende
Altersversorgung haben wird. Dabei handelt es sich um Menschen, deren Berufseinkommen
so gestaltet sind, dass sie nichts Nennenswertes an Privatvorsorge ansparen können.
Ich brauche gar nicht bis zu den Extrembeispielen der geringfügig beschäftigten
Frauen zu gehen, ich gehe von ganz normalen Berufstätigen aus. Sagen Sie mir,
wo die Familien, aus denen die Stimmen stammen, mit denen Sie indirekt, aber
doch hierher gewählt wurden, das Geld hernehmen sollen, um eine ernsthaft
beitragende Altersversorgung der dritten Säule aufzubauen!
Wir haben damals,
als das beschlossen wurde, warnend gesagt – und es gibt Fälle, bei denen
man gar nicht so begeistert ist, wenn man Recht behält –: Wir halten die
neue Abfertigungsregelung und die Umwandlung der Abfertigungen in eine
Zusatzpension für einen richtigen und fälligen Schritt, aber wir warnen davor,
dies gewissermaßen als jene Karotte anzusehen, auf die die Menschen fasziniert
schauen, während ihnen die Grundpension drastisch gekürzt wird. – Und
genau das ist passiert.
Die Menschen
werden wahrscheinlich in Summe – die meisten von ihnen – weniger aus
der zweiten Säule bekommen, als sie jetzt in der ersten Säule einbüßen, und das
macht diesen schönen Erfolg, den wir damals gemeinsam und mit den
Gewerkschaften erreicht haben, sehr hohl und hinterlässt einen bitteren
Nachgeschmack.
Es ist gar keine Frage: Wir brauchen – das ist unsere feste Überzeugung, das ist auch Ihre, so höre ich, und das ist eine Überzeugung, die auch die Gewerkschaften teilen – ein harmonisiertes System. Jedes dieser Systeme ist natürlich historisch gewachsen. Bei vielem, was
Bundesrat | 696. Sitzung / Seite 89 |
man sich, wenn man als junger Mensch von
der Pensionsgeschichte der Republik wenig weiß und davon hört – auch als
junger Journalist –, anschaut, schreit man einmal auf: Oh, was für ein
Privileg! Wenn man sich die geschichtliche Entwicklung dieser Regelung
vergegenwärtigt, dann geht sie auf bestimmte nur dort gegebene Sachverhalte ein
und versucht beispielsweise, eine kürzere Lebenserwartung mit einer höheren
Pension zu kompensieren; das kann man nicht wirklich, aber man versucht es. So
sind manche Regelungen entstanden wie faktische Berufsausübungsunfähigkeit
durch ein früheres Pensionsalter und Ähnliches mehr.
Nicht alles davon
ist heute noch vernünftig; das sage ich überhaupt nicht, und es sagen auch die
Kolleginnen und Kollegen von der Gewerkschaft nicht: Das muss alles so bleiben,
weil es einmal so war! Aber man muss das schon in dem Geist diskutieren, dass
man fragt: Was war denn die Überlegung dafür, warum das so erfunden
wurde? – Manche zahlen eben einen höheren Pensionsversicherungsbeitrag
dafür, dass solche Regelungen Bestand hatten.
Die Harmonisierung
ist schwierig genug – gar keine Frage! –, ich bin nicht der größte
Pensionsversicherungsexperte dieses Landes, aber ein bisschen etwas verstehe
ich davon. Und weil ich ein bisschen etwas davon verstehe, bin ich voll Respekt
und Demut denen gegenüber, die sich zutrauen, eine solche Harmonisierung in die
Wege zu leiten.
Auch da wird es
Proteste geben – natürlich, gar keine Frage! Auch da wird man vielleicht
manches in einem Dialog später anpassen müssen. Aber zu sagen, zuerst
reformieren wir – reformieren, nebbich! –, zuerst setzen wir einmal
die künftigen ASVG-Pensionen herab, und dann reden wir über eine Harmonisierung
der Systeme, das ist ein zutiefst falscher Ansatz von jeder Gesetzeslogik her,
von jeder gesellschaftlichen Logik her.
Ich komme ganz
kurz zu dem an dieser Stelle irgendwie unvermeidlichen Ausritt. Sie werden mir
verzeihen, dass ich dieses Thema anschneide, aber diejenigen, die auf
Regierungsseite die Gesetzentwürfe zimmern, sind ganz offensichtlich nicht
jene, die das Werk einer Harmonisierung zu Wege bringen. Sie alle – ich
weiß nicht, ob es jeder angeschaut hat – hatten jenen unglückseligen
Initiativantrag der Kollegen Molterer und Scheibner aus dem Nationalrat in
Ihren Unterlagen. Was sich da abgespielt hat, ist nicht angesichts dessen, weil
auch ein bisschen etwas auf die Seite zu räumen versucht wurde – das
interessiert mich in diesem Zusammenhang gar nicht –, sondern angesichts
des „Ernstes“, mit dem an Pensionsthemen herangegangen wurde, ein glatter
Skandal!
Da gibt es jetzt
nur noch Leute, die sagen, der andere sei schuld. Besonders schön habe ich die
Aussage von Frau Bleckmann gefunden, die gesagt hat: In Zukunft werden wir uns
alles von der ÖVP noch genauer anschauen, bevor wir es unterschreiben. (Bundesrat
Mag. Gudenus: Sie hat Recht!) – Sie hat
Recht, aber sie hätte früher anfangen können, nicht?
Da gibt es
Kollegen Scheibner, der die originelle Formulierung fand, er hätte das
unterschreiben müssen, damit eine Diskussion darüber möglich wird. – Ich
mache das auch immer so: Ich unterschreibe Schecks, damit eine Diskussion über
meine Schulden möglich wird. Oder wie ist das?
Da gibt es
Kollegen Molterer, der gemeint hat, das sei alles nicht so, das sei ein Irrtum
gewesen. Ich glaube bei der ganzen Geschichte einem einzigen – wir alle
kennen ihn –, der zu diesem Thema die vermutlich einzig wahrhaftige
Auskunft gegeben hat. Der ÖVP-Klubdirektor, den ich ob seines Sachwissens hoch
schätze, hat auf die Frage, wer für diesen Fehler im Antrag verantwortlich sei,
kurz gesagt: Fehler ist wohl schwer übertrieben, sachkundige Beamte haben
versucht, einen Beschluss der Regierung in Gesetzesform zu gießen.
Nicht gewollt
haben es also diejenigen, die unterschrieben haben, ganz offensichtlich nicht.
Auch Zögernitz räumt ein – vielleicht nicht mit der glücklichsten
Formulierung; das sollte man sich als Klubdirektor auch anschauen –,
dass der politische Wille genau das gewesen ist, was jetzt alle fallen lassen
wie eine heiße Kartoffel.
Das legistische Meisterwerk – das finde ich wirklich besonders schön, weil es nämlich zeigt, wie gründlich und sachgerecht gearbeitet wird – ist Folgendes: Artikel 1, Übergangsbestimmungen,
Bundesrat | 696. Sitzung / Seite 90 |
§ 491: Absatz 3 und
Absatz 4 sind wortgleich, einfach wortgleich! Da steht zweimal unter verschiedenen
Bezeichnungen dasselbe. Meine Damen und Herren! Wenn Sie das ASVG so
reformieren, dann bekommt wahrscheinlich am Schluss überhaupt niemand mehr
irgendetwas, weil Sie die entscheidenden Absätze nicht verdoppeln, sondern
einfach vergessen.
Das regt die
Menschen begreiflicherweise auf, und daher gibt es viele – ich wiederhole
das –, die sagen, wir brauchen zuerst eine Vereinheitlichung der
Systeme – das ist ohnehin eine herkulische Aufgabe –, und dann
brauchen wir das Nachfolgesystem oder die Nachfolgesysteme. Ich will jetzt
nicht für unser Pensionsmodell plädieren. Keines, das auf dem Tisch liegt, ist
eins zu eins die Weisheit. Aber unser Vorschlag besagt einfach: Die erworbenen
Ansprüche werden zum Stichtag bescheidmäßig festgelegt, dem Einzelnen auch
mitgeteilt, von diesen verliert niemand etwas. Und dann gibt es ein anderes
System, in das alle – jene, die morgen in das Berufsleben eintreten, und
jene, die schon 30 Jahre lang arbeiten – einzahlen und entweder
überhaupt nur von dort oder zusätzliche Ansprüche erwerben. Es geht
wahrscheinlich auch anders, aber das ist nicht die schlechteste Idee.
Wenn wir dort
anfangen und dann über ein gemeinsames System nachdenken, muss dieses
gemeinsame System auch den besonderen Bedürfnissen anderer Berufsgruppen
Rechnung tragen. Wir puzzeln jetzt nur am ASVG herum. Dass die Eisenbahner
nicht ganz dieselbe Berufswirklichkeit haben, brauche ich niemandem zu
erklären. Sie haben nicht nur ein unterschiedliches Pensionsrecht, sondern auch
eine unterschiedliche Berufswirklichkeit. Jetzt wird all das novelliert, und
dann wird gesagt: Hoppla, dieses neue ASVG passt für die nicht, für die nicht
und für die nicht, und dann muss es wieder novelliert werden. Das ist einfach
die falsche und eine extrem ungeschickte Vorgangsweise.
Dies gesagt
habend, verweise ich darauf, dass es kein Privileg von Sozialdemokratinnen und
Sozialdemokraten und auch kein Privileg von Gewerkschafterinnen und
Gewerkschaftern ist, das zu bemerken und politisch zu artikulieren. Auch wenn
ich zugebe, dass zwischen der Aufmüpfigkeit von ÖVP-Landeshauptleuten und dem
Stattgefundenhaben oder Bevorstehen von Landtagswahlen eine eigenartige und mit
mathematischen Gesetzmäßigkeiten nicht zu erklärende Korrelation besteht,
verneige ich mich respektvoll vor Landeshauptmann Pühringer. Gar nicht
respektvoll tue ich dies vor dem niederösterreichischen Landeshauptmann, denn
dieser hatte seine Landtagswahl schon, und daher interessieren ihn heikle
Themen offensichtlich in der Öffentlichkeit nicht mehr. Ich verneige mich aber
vor Landeshauptmann Pühringer, der sehr klar zum Ausdruck gebracht hat, dass
dieser Entwurf den Menschen nicht zugemutet werden könne.
Ich respektiere
mit großer Zustimmung auch die Meinung des Herrn Landeshauptmannes
Sausgruber – sicher auch die Meinung eines Mannes, die nichts damit zu tun
hat, dass auch er noch eine Landtagswahl vor sich hat –, der genauso
gesagt hat, dass dieser Entwurf so nicht kommen kann und kommen darf.
Dass sich das Land
Wien in gleicher Weise geäußert hat, ist klar, und dass sich das Land Kärnten –
da ist es nicht so selbstverständlich – auch so geäußert hat, ist
bemerkenswert. Aber es haben sich auch jene, die in der Öffentlichkeit dort, wo
diese 30 Sekunden langen Fernsehclips gedreht werden, lückenlose
Solidarität mit dem Herrn Bundeskanzler und seinen Pensionsplänen dokumentiert
haben, im Kern ganz anders geäußert. Schauen Sie sich die Stellungnahme des
Landes Tirol an, in der einfach über die finanziellen Auswirkungen auf das
Bundesland die Rede ist, dort hört sich – nahe liegender Weise – die
Freundlichkeit auf!
Sehen Sie, meine Damen und Herren, das ist eines unserer Anliegen. Es kann nicht so sein, dass nach dem Motto, am 4. Juni muss all das beschlossen werden, nicht nur über gute Argumente der parlamentarischen Opposition, nicht nur über 200 000 Menschen, die die Mariahilfer Straße und die Prinz-Eugen-Straße „herunterschwimmen“, sondern auch über die Bundesländer einfach drübergefahren wird. Es besteht Dialogbedarf in dieser Frage. Es besteht auch Bedarf aufeinander; das gilt für uns genauso wie für die Regierung, aber die Regierung ist relativ laut mit ihren Argumenten. Auch wenn wir nicht zuhören wollten, wir müssen fortwährend
Bundesrat | 696. Sitzung / Seite 91 |
zuhören. Jedoch sollten auch die Argumente jener, die sich
kritisch äußern, von der Regierung gehört werden.
Es ist einfach
wahr, dass viele der Maßnahmen finanzielle Auswirkungen auf die Länder und auf
die Gemeinden haben und dass demzufolge von mehreren Bundesländern das Konsultationsverfahren
mit der Bundesregierung eingeleitet wurde.
Es ist nur
folgerichtig, dass wir natürlich als Länderkammer den Herrn Bundeskanzler
danach fragen, wann das Konsultationsgremium zusammentritt, wie er das Wort
„unverzüglich“ definiert, denn die Anträge auf Einleitung des
Konsultationsverfahrens sind nicht erst gestern gestellt worden.
„Unverzüglich“ heißt nach unserem Rechtsverständnis nicht: nach dem
4. Juni – um es einmal so zu formulieren. (Bundesrat Dr. Böhm: In einem halben Jahr!) – Das
ist ein konstruktiver Vorschlag!
In Wirklichkeit
hat ganz offensichtlich die Bundesregierung nicht die Absicht, ihre Verpflichtungen
aus dem Konsultationsmechanismus so zeitgerecht zu erfüllen, dass sie auf ihrer
Seite noch gesetzliche Veränderungen vornehmen kann.
Das ist das
Nächste, was absolut inakzeptabel ist! Wir können im Bundesstaat nicht im
Verhältnis von Über- und Unterordnung zusammenleben. Wir haben Kompetenzen,
jede Ebene, aber an gewissen Punkten berühren sich diese Kompetenzen,
überschneiden sie sich oder hat die Auswirkung dieser Kompetenzen Folgen für
den anderen, und dort müssen wir einen gemeinsamen Weg finden, und der
gemeinsame Weg ist nicht der, den der Bundeskanzler vorgibt. Dazu gibt es
konkrete Fragen, und ich rechne damit, dass wir darauf auch konkrete Antworten
erhalten werden.
Wir haben aber
naturgemäß diese Anfrage nicht einfach aus der Schublade genommen. Wir hätten
sie vor 14 Tagen zwar nicht stellen können, weil keine Sitzung war, aber
schreiben hätten wir sie können: Es tagt heute – das war bis vorgestern
nicht wirklich klar – ab 16 Uhr jener „Runde Tisch“, zu dem der Herr
Bundespräsident eingeladen hat. Die politischen Informationen, die darüber
bisher eingetroffen sind, halten sich in Grenzen. Ich kann Ihnen nur mitteilen,
dass sich der Bundeskanzler „als erster am Tischgebäck delektierte“ – das
teilt uns die APA mit – und dass es ... (Zwischenruf bei der ÖVP) – Bitte, mich nicht böse
anzuschauen! Das stammt von der Austria Presse Agentur. Ich kann es auch
wörtlich vorlesen. Es ist kein verzerrendes Zitat. Hier heißt es: „Zeit zum
Naschen und fairen Kaffeetrinken haben die Diskutanten etwa zwei
Stunden.“ – Das ist keine sehr politische Ansage, das gebe ich schon zu,
aber so berichtet es die große österreichische Nachrichtenagentur. (Zwischenruf des Bundesrates Mag. Himmer.) – Bitte, das ist ein Gerücht, das hat die
APA nicht gemeldet! Das muss
eine dunkle Quelle sein, mit
Sicherheit keine rote.
Meine Damen und
Herren! Es schließt diese Meldung mit dem Satz: „Nachher ist eine ausführliche
Presseinformation geplant.“ (Bundesrätin Bachner händigt dem Redner eine Nachricht
aus.) Nachher ist jetzt, wie ich soeben erfahren habe. Der „Runde Tisch“
ist beendet. Die Zeit zum Kaffeetrinken und Naschen wurde um eine
Dreiviertelstunde überschritten, aber jetzt ist er aus.
Meine Damen und
Herren! Ich respektiere den Wunsch der Akteure, die Medien zu informieren.
Selbstverständlich! In diesem Haus tagt das Plenum des Bundesrates, in diesem
Haus tagt im Übrigen auch der Budgetausschuss des Nationalrates. Ich halte es
eigentlich für selbstverständlich, dass man uns informiert. Der Herr
Bundespräsident, den wir schätzen, hat mit diesem Haus – da hat Herr Khol
Recht – keine direkte Rechtsverbindung, aber der Bundeskanzler, der auf
dem Vertrauen dieses Hauses aufbauend die Funktion des Bundeskanzlers ausübt,
ist zur Information verpflichtet. Ich erachte es eigentlich als
selbstverständlich, dass der Bundeskanzler die parlamentarischen Gremien –
dieses hier und den Budgetausschuss des Nationalrates; über die Reihenfolge
kann man, wenn er will, jederzeit reden – einerseits über den Verlauf
dieses „Runden Tisches“ informiert und andererseits – es geht nicht darum,
dass er die Funktion der APA in der Berichterstattung übernimmt, das macht
diese ohnehin ganz gut – seine beabsichtigten Konsequenzen mitteilt.
Bundesrat | 696. Sitzung / Seite 92 |
Es geht darum,
dass er uns über das, was dort herausgekommen ist, informiert. Es geht darum,
dass er sagt: Dies und jenes wurde gesagt, und daraus ziehe ich diese oder jene
Konsequenz! Darauf haben wir als Parlamentarier ein Recht!
Ich habe schon bei
meiner Wortmeldung zur Geschäftsordnung gesagt: Ich schätze den Herrn
Staatssekretär vor allem als Künstler, aber ich muss sagen, auch wenn es mir
Leid tut: Einen Bericht über ein Ereignis zu geben, an dem man nicht
teilgenommen hat, ist nur schwer möglich. Um dem Herrn Staatssekretär dieses
Arbeitsleid abzunehmen, bringe ich folgenden Antrag ein:
Antrag
der Bundesräte
Prof. Albrecht Konecny und KollegInnen gemäß § 37 Abs. 2 der Geschäftsordnung
des Bundesrates auf Zitation des Bundeskanzlers
Die
unterzeichneten Bundesräte stellen den Antrag, dass gemäß § 37 Abs. 2
die Anwesenheit des Bundeskanzlers bei der Behandlung der Dringlichen Anfrage
der Bundesräte Prof. Konecny und GenossInnen an den Herrn Bundeskanzler betreffend finanzielle
Auswirkungen des Budgetbegleitgesetzes, insbesondere der Pensionsreform, auf
Länder und Gemeinden – Konsultationsmechanismus durch die Länder
Burgenland, Kärnten, Salzburg und Wien ausgelöst – Runder Tisch beim
Herrn Bundespräsidenten zur Pensionsreform – Konsequenzen des Runden
Tisches für die Bundesregierung – verlangt wird.
*****
Ich sage außerhalb
der Geschäftsordnung dazu: Unter der Voraussetzung, dass der Herr Bundeskanzler
unserer Einladung, zu den Fragen 9ff eine Stellungnahme abzugeben, nachkommt,
sind wir gerne bereit, dem Herrn Staatssekretär die Möglichkeit zu geben, uns
auf jene Fragen, auf die er vorbereitet sein kann, zu antworten. (Beifall
bei der SPÖ und des Bundesrates Schennach.)
18.47
Vizepräsidentin
Anna Elisabeth Haselbach: Sehr geehrte Bundesrätinnen und
Bundesräte! Sie haben den Antrag von Herrn Bundesrat Konecny auf Anwesenheit des Herrn Bundeskanzlers
gehört. Ich lasse nun darüber abstimmen, weise noch darauf hin, dass bei der Abstimmung jeder auf seinem Platz zu
sitzen hat.
Ich bitte jene
Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag des Kollegen Konecny zustimmen, um ein
Handzeichen. – Darf ich die Schriftführung um Zählung der Stimmen
er-suchen. Ich mache von meinem Stimmrecht Gebrauch und stimme mit. (Die Schriftführung nimmt die
Stimmenauszählung vor.) – Das sind 18 Stimmen dafür.
Ich darf ersuchen,
dass auch die Zahl derjenigen, die nicht dafür gestimmt haben, erhoben wird. (Die Schriftführung nimmt abermals die
Stimmenauszählung vor.)
Das Ergebnis der
Stimmenauszählung lautet: 18 zu 24. Der Antrag des Kollegen Konecny ist daher abgelehnt.
Ich bitte nun den
Herrn Staatssekretär um die Beantwortung der Fragen an den Herrn Bundeskanzler. –
Bitte.
18.49
Staatssekretär im Bundeskanzleramt Franz Morak: Meine Damen und Herren! Herr Bundesrat! Sie haben in Ihrer Anfrage an
den Herrn Bundeskanzler geschrieben, dass sich die Pensionssicherungsreform nur
im ASVG „aufhält.“ Ich möchte Ihnen schon sagen: Ich weiß, dass das nicht ganz
der Wahrheit entspricht. Ich bin gestern sehr lange im Ausschuss gesessen und
habe den Bundeskanzler dort vertreten. Dort ging es auch darum, dass sich das
Budgetbegleitgesetz mit den Reformmaßnahmen im Pensionsrecht des öffentlichen
Dienstes befasst.
Bundesrat | 696. Sitzung / Seite 93 |
Ich kann Ihnen
auch sagen: Ich habe durchaus dort erfahren, was unter „dialogischem Verhalten“
zu verstehen ist, denn ich habe mir natürlich auch die Rede des Abgeordneten
Öllinger von 17.30 Uhr bis 0.15 Uhr angehört. Ich möchte schon
festhalten: Wenn ich auch die Technik seiner Rede bewundert habe, dialogisch war das nicht, eher monologisch!
Die Anfrage betrifft den Konsultationsmechanismus im Zusammenhang mit dem Bundesbudgetbegleitgesetz. Ich darf daher die Fragen 1 bis 8 unter einem wie folgt beantworten. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen. – Oho-Rufe und ironische Heiterkeit bei der SPÖ.)
Der Konsultationsmechanismus
ist gemäß Artikel 2 Abs. 1 der Vereinbarung dahin gehend geregelt,
dass die Aufnahme von Verhandlungen in einem Konsultationsgremium verlangt
werden kann, wenn die
Verwirklichung eines Vorhabens zusätzliche
finanzielle Ausgaben verursacht, und zwar aus Sicht des Antragstellers. (Bundesrat Gasteiger: Was es ja tut!)
Wird von einer gegenbeteiligten Gebietskörperschaft die Aufnahme von Verhandlungen im Konsultationsgremium verlangt, so ist dieses gemäß Artikel 4 Abs. 1 der Vereinbarung über einen Konsultationsmechanismus zu konstituieren und hiezu vom Vorsitzenden unverzüglich einzuberufen.
Wie bei früheren Anträgen auf Auslösung des Konsultationsmechanismus wird auch in diesem Fall das bewährte Procedere gehalten werden. Nach diesem Procedere wird jedenfalls das betroffene Bundesministerium sowie das Bundesministerium für Finanzen einzubinden sein.
Bisher sind im Bundeskanzleramt folgende Verlangen eingelangt: Burgenland mit Schreiben vom 6. Mai 2003, Salzburg mit Schreiben vom 7. Mai 2003, Kärnten mit Schreiben vom 25. April 2003, Steiermark mit Schreiben vom 15. Mai 2003 und Wien mit Schreiben vom 5. Mai 2003.
Zu den Fragen 9 bis11:
Aus Sicht der
Bundesregierung entstehen für andere Gebietskörperschaften keine zusätzlichen Kosten.
(Bundesrat Konecny: Moment! Wo haben Sie die Frage 8
beantwortet?) Auf Grund des in der Beantwortung der Fragen 1 bis 8 beschriebenen
Procedere des Konsultationsmechanismus ist es nicht möglich, schon vor Beginn
der Gespräche allfällige Ergebnisse derselben vorwegzunehmen. (Bundesrat Konecny: Die Frage 9 betrifft
die Städte und Gemeinden, nicht die Bundesländer!)
Zur Frage 12:
Die Ergebnisse des so genannten „Runden Tisches“ sind mir, da ich hier
bin, nicht bekannt. Auf Grund dieser Tatsache, dass der „Runde Tisch“ soeben
erst beendet wurde, kann ich hier diese Frage auch nicht beantworten.
Zur Frage 14:
Abänderungen zur Regierungsvorlage 59 der Beilagen fallen in die
Zuständigkeit des Nationalrates. Seitens der Bundesregierung wird den
Anträgen, die seitens der Opposition im Zuge der Ausschussberatungen vorgelegt
werden, mit Interesse entgegengesehen. (Ironische
Heiterkeit bei der SPÖ. – Bundesrat Konecny: Das ist ungeheuerlich!)
Ich darf die Abgeordneten der Opposition einladen, sich ein Beispiel an
der deutschen Opposition zu nehmen, die die Reformbestrebungen des deutschen
Bundeskanzlers konstruktiv unterstützt! – Ich danke Ihnen. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen. – Ironische
Heiterkeit bei der SPÖ.)
18.54
Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Zu Wort gemeldet ist als Nächster Herr Bundesrat
Todt. Das Limit der Redezeit beträgt 20 Minuten. – Bitte, Herr
Bundesrat.
18.54
Bundesrat Reinhard Todt (SPÖ, Wien): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Staatssekretär! Sie haben einen „hervorragenden“ Auftritt in Form eines sehr guten Schauspiels
Bundesrat | 696. Sitzung / Seite 94 |
gegeben und
haben uns erklärt, wann welche Schriftstücke der Bundesländer wo und wie
einlangt sind. Sie haben überhaupt nichts gesagt zu bestimmten Fragen, deren
Lösung sicher jetzt schon absehbar ist, sonst hätte man diese dringliche
Anfrage nicht gestellt.
Bei der Frage der
Stellungnahme des Landes Wien möchte ich auf ein paar Punkte hinweisen. Das
Land Wien sagt in seiner Stellungnahme Folgendes: Der vorliegende Gesetzentwurf
begegnet gravierenden, bis in die Verfassungssphäre reichenden Bedenken. Er ist
abzulehnen, da er sowohl Kosten in massiver Form auf die Länder und Gemeinden
abwälzt als auch gleichzeitig zu budgetären Mindereinnahmen dieser
Gebietskörperschaften führt.
Faktum ist: Es
werden Kosten des Bundes auf die Länder und auf die Gemeinden abgewälzt, und es
kommt zu weniger Einnahmen für diese Gebietskörperschaften.
Was bedeutet das
real? – Die Länder und Gemeinden haben zum Beispiel wesentlich weniger
Spielraum, für ihre Bürgerinnen und Bürger zu sorgen. Die Länder und Gemeinden
haben wesentlich weniger Möglichkeiten dazu. Genau das sind die geäußerten
Bedenken. Das sind massive Bedenken! Sie aber wischen das hier von der
Regierungsbank aus einfach mit einem Burgtheaterauftritt weg. So
gehen Sie mit Bedenken der Länder und Gemeinden um! (Bundesrat Mag. Himmer:
Nicht alles, was deutsch ist, ist Burgtheater!)
Nicht alles, was deutsch
ist, ist Burgtheater. Da haben Sie Recht, Herr Himmer! Sie haben ja auch schon
gute Sprüche produziert.
Vielleicht noch
eine Geschichte, die für andere Länder auch zutrifft, die auch betroffen sind,
und zwar in unterschiedlichster Form: Die geplante Pensionsreform hat massive
Auswirkungen auf das Sozialhilfebudget; ich spreche hier für die Stadt Wien.
Gerade in der Sozialhilfe sind kleinste Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt oder
in den vorgelagerten sozialen Sicherungssystemen fast sogleich zu spüren. Die
Verschiebung der erstmaligen Valorisierung der Neupensionen um ein Jahr wird
zu geschätzten Mehraufwendungen in der Sozialhilfe in der Höhe von
2,6 Millionen € führen. Die infolge der Verlängerung der
Bemessungszeiträume und des Entfalls des Aufwertungsfaktors bei der
Durchrechnung zu erwartenden massiven Pensionseinbußen werden zusätzliche
Kosten im Bereich der Mietbeihilfen in der Höhe von 16 Millionen €
erforderlich machen. Der Entfall der vorzeitigen Alterspension wird zu einem
Anstieg der Zahl der Sozialhilfebezieher und damit zu zusätzlichen Kosten von
11 Millionen € führen. Weitere Belastungen sind infolge zu erwartender
vermehrter Antragstellungen – und so weiter und so fort.
Das Ganze bedeutet
ganz einfach, insgesamt wäre im Bereich der Sozialhilfe mit einer jährlichen
budgetären Mehrbelastung in der Höhe von 30 Millionen € zu rechnen.
Herr
Staatssekretär! Sie machen hier entsprechende Mindereinnahmen. Die
Mindereinnahmen bedeuten – das kommt heraus, wenn man das
durchrechnet –, dass die Steuerreform 2004/2006 folgende Auswirkungen
hat – ich nenne jetzt nur die Zahlen –: Die Bundesländer verlieren
im Jahre 2004 29 Millionen €. Die Gemeinden verlieren – und
es sind ja einige Bürgermeisterinnen und Bürgermeister hier anwesend, die das
zu spüren bekommen werden – 32 Millionen €. Ich weiß nicht, wo ihr
das dann hernehmen werdet! Im Jahre 2005 verlieren die Länder
66 Millionen € und die Gemeinden ebenfalls 66 Millionen €. Im
Jahre 2006 verlieren die Bundesländer 95 Millionen € und die
Gemeinden 90 Millionen €.
All das ist
bereits berechnet. Das sind die Maßnahmen, die diese Regierung setzt, um die Bevölkerung –
das ist das Entscheidende! – ärmer zu machen. Das, was Sie vorhaben, bedeutet,
dass die Menschen in die Sozialhilfe gedrängt werden und dass sie damit aus der
„Bundesbetreuung“ – unter Anführungszeichen – fallen, dass die
Bundesländer das bezahlen müssen.
Das heißt, die Bundesländer müssen für diese Steuerreform aufkommen. Sie haben das Geld den Leuten bereits gestohlen, und Sie geben es ihnen jetzt zurück, und die Bundesländer bezahlen das dann. (Bundesrat Bieringer: Das ist ungeheuerlich, was Sie da sagen! – Bundesrat Mag. Himmer: Das ist ungeheuerlich!) Das sind die Fakten! Das haben Sie vor! (Beifall bei der SPÖ. – Bundesrat Bieringer: Das ist ungeheuerlich, was Sie da sagen!)
Bundesrat | 696. Sitzung / Seite 95 |
Ja, es ist
ungeheuerlich; Sie können sich ja zu Wort melden und können es widerlegen. (Weitere Zwischenrufe bei der ÖVP.) Gerne!
(Bundesrat Konecny – in Richtung der ÖVP –: Das ist ein ungeheuerlicher
Sachverhalt! Ihn auszusprechen, ist nicht ungeheuerlich!)
Ihr Landeshauptmann aus Salzburg hat, sofern ich es richtig verstanden habe, in seinem letzten Interview Ähnliches gesagt.
Er hat gesagt, die
Kosten für das Land Salzburg sind derart hoch, dass das Land Salzburg genau
den gleichen Mechanismus einführt wie das Land Wien. (Zwischenruf des
Bundesrates Mag. Himmer.) – Herr Himmer! Sie können sich
gerne zu Wort melden. (Neuerlicher Zwischenruf des Bundesrates Mag. Himmer. –
Ruf bei der ÖVP: Stehlen ist ein strafrechtlicher Tatbestand!) – Sie
haben es den Bürgern weggenommen – gut, sage ich es halt so. (Bundesrat
Bieringer: Ungeheuerlich! Das kann man nicht dulden! – Weitere
Rufe und Gegenrufe zwischen ÖVP und SPÖ.)
Ich möchte gerne
... (Neuerliche Zwischenrufe bei ÖVP und SPÖ. – Unruhe im Saal.)
Vizepräsidentin
Anna Elisabeth Haselbach: Entschuldigen Sie, wenn ich hier
kurz unterbreche. Darf ich folgenden Vorschlag machen? – Auch ich teile die
Meinung von einigen in diesem Haus, dass das Wort „gestohlen“ ... (Zwischenruf
bei der ÖVP: Sehr spät!) – Also ob es zu spät oder zu früh ist, das
entscheide ich und nicht Sie!
Das Wort
„gestohlen“ hat laut meiner Beurteilung dieser Diskussion sicherlich hier
nichts verloren. Die Debatte soll so verlaufen, dass jeder seine politische
Meinung kundtut, ohne dem anderen kriminelle Handlungen vorzuwerfen. Ich
bitte daher, von dem Wort „gestohlen“ Abstand zu nehmen. Ansonsten würde ich
zusätzlich meinen, dass man sich ein bisschen zurücknehmen soll in einer
Diskussion, die alle Menschen bewegt, denn alle
Österreicher sind irgendwo und irgendwann davon betroffen, ob ihre
Alterssicherung gewährleistet ist.
Bundesrat
Reinhard Todt (fortsetzend): Ich nehme das
Wort „gestohlen“, mit dem ich mich im Ton vergriffen habe, mit Bedauern zurück.
(Bundesrätin Giesinger: Sie haben sich nicht im Ton vergriffen! –
Weitere Zwischenrufe bei der ÖVP.) – Ich habe mich im Ton vergriffen,
daher habe ich es jetzt zurückgenommen. Ist das klar und deutlich genug? –
Gut.
Ich habe am
Dienstag erlebt, dass 200 000 Österreicherinnen und Österreicher bei
einer Demonstration bei schlechtestem Wetter auf die Straße gegangen sind,
weil sie betroffen waren, weil sie betroffen sind und ihre Meinung kundgetan
haben.
Auch wenn Sie es
nicht sehen wollen, ich denke, Sie werden genauso wie ich Zeitungen lesen, ich
denke, Sie werden genauso wie ich fernsehen, und dabei werden Sie festgestellt
haben, dass 200 000 Österreicherinnen und Österreicher gegen diese
unsozialen Maßnahmen, die in einem Regierungsvorschlag enthalten sind,
aufstehen und dagegen protestieren.
Es gab letzten
Dienstag einen Streik, und ich möchte jetzt Aussagen zitieren, die die Bevölkerung
am Bürgertelefon der Österreichischen Volkspartei gemacht hat, damit Sie auch
hier hören, was die Bevölkerung dazu sagt. Schwerpunkte sind weiterhin die
Diskussion um die Pensionsreform und die heutigen Streiks. Ich zitiere aus
der Zusammenfassung.
Viele zeigen trotz
der persönlichen Nachteile – frühes Aufstehen, Verspätungen et
cetera – Verständnis für die Aktionen der Gewerkschaft. Einige wenige
kritische Stimmen zum heutigen Streik meinen: Lasst euch nicht durch den Druck
der Straße erpressen! – Ich zitiere alles, auch die Kritik.
Weiter heißt es:
Insgesamt zeigen die Reaktionen aber das Harmoniebedürfnis der Österreicher.
Die Regierung soll wieder Gespräche mit den Sozialpartnern aufnehmen, und die
Sozialpartner sollen Verständnis für die Maßnahmen zeigen.
Bundesrat | 696. Sitzung / Seite 96 |
Ein weiterer
Punkt: Von einer Konsenspolitik schlittert Österreich in eine Konfliktpolitik,
sehr unösterreichisch und irritierend für den Bürger. Die Reform ist zwar
notwendig, hätte aber auch schon viel früher angegangen werden sollen. –
So meinte ein Anrufer.
Ein weiterer
Anrufer meinte: Reformen ja, aber warum muss man die Sozialpartner in dieser
Weise reizen? Wenn dann scharf reagiert wird, klopft die Regierung den
Streikenden auf die Finger.
Der „GRÖKAZ“ und
der „GRÖFINANZ“, das ist der „größte Kanzler aller Zeiten“ und sein Finanzminister,
der „größte Finanzminister aller Zeiten“, schreiben vor, was in diesem Land zu
geschehen hat. – So sagte ein Anrufer.
Jedes Signal, dass
Bürgermeinungen irgendwo ankommen, wäre jetzt wichtig. Wer das Pech hat, nach
Jahren mit sehr gutem Einkommen zuletzt sehr abzusteigen, dessen gute Jahre werden
zu wenig aufgewertet. Sollte für solche Situationen nicht eine
Aufwertungsformel gefunden werden? – Das war die Meinung eines Anrufers
beim Bürgertelefon der ÖVP.
Eine Anruferin
meinte: Frauen und Schauspieler, die aus unterschiedlichen Gründen weniger Versicherungszeiten
zusammenbringen, geraten durch diese Pensionsreform vollends unter die Räder. (Zwischenruf
des Bundesrates Mag. Himmer.)
Das ist etwas, was
die Österreichische Volkspartei im Rahmen des Bürgertelefons zusammengestellt
hat. Wir haben das zufällig bekommen, und ich zitiere natürlich gerne aus
diesen Anrufen. Es ist sehr interessant, was da steht.
Eine Anruferin
fragte: Warum hat sich der Bundeskanzler als Mitglied vorangegangener Regierungen
nicht schon früher zu den Pensionen zu Wort gemeldet? Die jetzige Kürzung der
Pensionen einerseits und die praktische Unmöglichkeit, bei einem
Nettoeinkommen in Höhe von vielleicht 800 € eine Vorsorge zu finanzieren,
macht die Menschen so grantig, dass sie auf die Straße gehen. (Neuerlicher
Zwischenruf des Bundesrates Mag. Himmer.)
Herr Himmer!
Erzählen Sie es ihnen! Diese Menschen haben bei Ihnen angerufen.
Was wir den Leuten an unserem Bürgertelefon sagen, das erklären
wir ihnen schon richtig. Darauf können Sie sich verlassen! (Heiterkeit.)
Aber ich möchte
gerne weiterzitieren.
Ein Anrufer
meinte: Die Haltung von Herrn Dr. Finz finde ich skandalös. Die
Volkspartei ist in ihren Wurzeln doch christlich-sozial. Sozialreformen sind
auch notwendig, aber nicht in dieser Form, in der die Sozialpartnerschaft
scheibchenweise demontiert wird. Die Reform umfasst ausschließlich das ASVG!
Wenn ohnedies die Harmonisierung folgen soll, frage ich mich schon, warum nicht
eine Gesamtreform aus der Taufe gehoben wird, und ich habe aus Erfahrung tiefes
Misstrauen, dass die angekündigten Schritte auch wirklich folgen werden.
Niemand gibt mir eine befriedigende Antwort auf diese doch berechtigte Anfrage.
Laufend fragen Anruferinnen, ob sie wegen der bereits mit dem Arbeitgeber vereinbarten Altersteilzeitregelung mit massiven Verschlechterungen zu rechnen haben beziehungsweise ob sich die Frühpensionsmarke für sie nach oben verschiebt. Ferner wird mit Bitterkeit angemerkt, dass rückwirkend per 1. 4. die alte Regelung ausläuft.
Weiter heißt es hier: Schüssel muss von seiner starrsinnigen Haltung abgehen und sich kompromissbereiter zeigen. Die derzeitige ÖVP-Position zur Pensionsreform ist nicht zu vertreten. Uns kleinen Funktionären bläst der Wind ins Gesicht. Konnte ich noch für den Wahlkampf 2002 viele Mitarbeiter gewinnen, so will sich bei den bevorstehenden Gemeinderatswahlen in Oberösterreich so gut wie niemand mehr für die ÖVP engagieren. – Eva Moser, ÖVP-Gemeinderätin in Unterach am Attersee. (Beifall und Bravo-Rufe bei der SPÖ.)
Bundesrat | 696. Sitzung / Seite 97 |
Weiter heißt es: Lopatkas Äußerungen, die ÖGB-Spitze wolle sich durch die Demos nur die Privilegien sichern, ist eine Frechheit. Stummvoll und Fasslabend haben sich gegenüber vielen ÖVP-Granden ihre Pension längst gesichert. – In diesem Ton geht es weiter.
Ich möchte nur als Letzten noch einen Schulmann betreffend Schule zitieren. Er meinte: Als Schulmann, der eurer Partei – nämlich der ÖVP – sehr nahe steht, bin ich verzweifelt, weil die geplante Stundenkürzung die Kollegenschaft entzweit und das Klima vergiftet. So löblich die mögliche Auswahl des Stoffes ist, so grausam ist es, die Unterrichtsfächer gegeneinander auszuspielen. Ich bedauere den Verlust der Menschlichkeit in dieser Partei, der ÖVP. (Beifall bei der SPÖ.)
Ich habe den Ausführungen der Anruferinnen und Anrufer bei der ÖVP-Zentrale, beim Bürgertelefon kaum etwas hinzuzufügen. Ich möchte Ihnen nur ein Plakat zeigen. (Der Redner hält das historische Plakat mit dem „Rentenklau“ in die Höhe. Die rote Aufschrift „Wehrt Euch gegen Rentenraub – wählt SPÖ!“ ist zu erkennen. – Widerspruch bei der ÖVP.)
Man muss sich gegen den Rentenraub wehren – wie 1953! (Beifall bei der SPÖ.) Auch damals haben sich die Menschen dagegen gewehrt. (Beifall bei der SPÖ. – Lebhafter Widerspruch bei der ÖVP. – Rufe und Gegenrufe zwischen ÖVP und SPÖ.)
19.09
Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Mag. Himmer. – Bitte.
19.10
Bundesrat Mag. Harald Himmer (ÖVP, Wien): Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Staatssekretär! Hohes Haus! Ich werde mich sehr bemühen, mich nicht auf das Niveau des Herrn Kollegen Todt zu begeben, sonst würden Sie mich nämlich jetzt gar nicht hinter dem Rednerpult sehen.
Es ist auf jeden
Fall so, dass wir heute wieder einiges von Herrn Professor Konecny gehört haben, was sehr
interessant war, auch geschichtlich, etwa, dass die Menschen länger leben, was
Dr. Bruno Kreisky bewirkt hat. – Ich habe gar nicht gewusst, dass
Dr. Bruno Kreisky so ein berühmter Arzt war. Aber bei allem Respekt vor
dieser Glanzfigur der Sozialdemokratie zeigt das doch wieder einmal den
„Realitätssinn“ der SPÖ.
Zu dem
Unwesentlicheren, was Professor Konecny gebracht hat, nämlich dass der „Runde Tisch“ nicht rund, sondern oval
war, möchte ich nur anmerken: Er war vielleicht nicht kreisrund, aber oval ist
immer noch rund und sicher nicht eckig. Aber das ist sicher ein Detail, für das
man keine Präsidiale einberufen muss. (Beifall bei der ÖVP. –
Bundesrat Gasteiger: Jetzt übertriffst du dich dann selber!)
Um noch etwas
Unwesentliches anzusprechen: Als ich den Nachrichten entnommen habe, dass heute
um 16 Uhr ein „Runder Tisch“ beginnt, habe ich mir gedacht, ich gehe heute
schön abendessen. Aber meine Schlussfolgerung war falsch: Ich dachte, wir
haben vielleicht keine dringliche Anfrage, denn die Opposition wird wohl nicht
die Leute vom „Runden Tisch“ wegholen wollen. Geirrt! Geirrt! (Bundesrat Gasteiger:
Jetzt siehst du, wie wichtig uns das Thema ist!) Sie von der SPÖ haben doch
eine dringliche Anfrage gestellt und wollten, noch während der „Runde Tisch“ im
Gange ist, bereits die Antworten haben.
Gut, das haben wir
jetzt gelernt, und es war auch sehr interessant. Worauf ich nur Bezug nehmen
wollte, weil doch immer wieder Einzelne bei unterschiedlichen Fragen sehr ins
Detail gehen, ist: Ich habe wirklich eine gute Nachricht, zumindest glaube
ich, da werden wir uns alle miteinander einig sein, dass das eine gute
Nachricht ist.
Auf Seite 9 der Anfrage wurde vor dem Namen des Abgeordneten Karl Donabauer bereits das Kreuz gemacht. – Dazu darf ich Ihnen sagen, dass Karl Donabauer noch immer am Leben ist. Ich habe mich auch für Abgeordneten Dr. Kräuter erkundigt, über den Sie in der Anfrage auch das Kreuz gemacht haben. Ich kann Ihnen mitteilen: Vincenz Liechtenstein hat ihn vor ein paar
Bundesrat | 696. Sitzung / Seite 98 |
Tagen gesehen, und ich
habe gehört, er ist auch gestern im Ausschuss noch gesehen worden. Diese gute
Nachricht wollte ich Ihnen nicht vorenthalten.
Generell ist es
so, dass Fragen der Verteilungspolitik natürlich immer schwierig sind. Auch Experten
können etwa auf die Frage, wie viel soll ins Umlagesystem und wie viel in die
zweite Säule kommen, nicht sagen, dass es darauf eine falsche und eine
richtige Antwort gibt, weil das letztendlich am Ende des Tages eine politische
Entscheidung ist.
Verteilungspolitische
Maßnahmen bedeuten immer, dass am Ende des Tages Geld von der einen Seite auf
die andere, von den einen Menschen zu anderen Menschen gebracht wird. Dass dies
immer mehr Faszination bei jenen auslöst, die gerade die Begünstigten sind, und
nicht bei jenen, die gerade die Zahler sind, liegt in der Natur der Sache, das
ist ganz selbstverständlich. Das ist natürlich auch der kritische Bestandteil
jeder politischen Debatte, in der alle unterschiedlichen Gesichtswinkel
eingebracht werden.
Ich möchte aber
klar festhalten: Was immer man bei dieser Pensionsreform macht, ein Bild stimmt
ganz sicher nicht, nämlich dass es irgendwo einen Goldschatz gibt, der jetzt
ausgeräumt wird und den sich irgendjemand behält. – Wir reden vielmehr
über unsere gemeinsame Kassa, die wir Österreicher haben. Wir
reden darüber, wie wir dieses Geld verteilen, wer da einzahlt und wer etwas
herausbekommt.
Es ist selbst bei
der dümmsten und schlechtesten aller Reformen und bei der dümmsten und schlechtesten
Verteilungspolitik nie möglich, dass alle verlieren. Es mag eine
schlechte Reform sein, es mag eine dumme Reform sein, es mag eine unfaire
Reform sein, aber es gibt keinen Ansatz, bei dem man das Geld von der einen
Seite auf die andere Seite umverteilt und alle verlieren. Das
ist nicht möglich! (Bundesrat Gasteiger: Es kommt darauf an, wie man
sie macht!)
Daher sind auch
alle Aussagen, die von „Pensionsraub“ sprechen, auf einem besonders tiefen Level.
Ich muss auch anerkennen, dass sich nach ungefähr dreiminütigem Murren im
Plenarsaal Kollege Todt doch noch entschuldigt hat. Aber ich muss auch
sagen – soviel muss erlaubt sein, Frau Präsidentin –, ich gehöre seit
acht Jahren diesem Hohen Haus an, und ich warte noch heute auf den Tag, an dem
Sie einmal einem Sozialdemokraten einen Ordnungsruf erteilen,
wenn ein solcher fällig wäre! (Beifall bei der ÖVP. – Bundesrätin Kainz:
Haben wir schon bekommen!)
Vizepräsidentin
Anna Elisabeth Haselbach: Kollege Himmer! Sie werden aber
vielleicht mitbekommen haben, dass ich auch Mitgliedern der ÖVP noch keinen
Ordnungsruf erteilt habe. (Beifall bei der SPÖ. – Bundesrat Gasteiger:
Himmer, vielleicht sind Sie der Erste, wenn Sie so weitermachen!)
Bundesrat
Mag. Harald Himmer (fortsetzend): Den Dialog kann man auf unterschiedlichste Art und
Weise führen. Wenn Sie zum Beispiel nach Deutschland schauen, dann werden Sie
feststellen, dass die CDU im Grunde fast schon versucht, dem Bundeskanzler zu
helfen, Reformen durchzusetzen. Wenn Sie einmal nach Deutschland blicken, dann
werden Sie auch bemerken, auf welchem Level dort agiert wird.
Ich weiß nicht, wer von Ihnen das gesehen hat. Sie selbst gehen auch
ganz begeistert mit den Trillerpfeifen durch die Gegend und demonstrieren
recht fröhlich. Ich habe die Aussage des Vorsitzenden der Sozialdemokratischen
Partei Deutschlands gehört: Bundeskanzler Schröder war der Meinung, dass
diejenigen, die mit Trillerpfeifen agieren, zwar beweisen, dass sie volle
Backen haben, aber auch, dass sie nichts im Hirn haben. – Das war die
Meinung des deutschen Bundeskanzlers zu den Demonstrationen in Deutschland. (Zwischenrufe bei der SPÖ.)
Das war keine Aussage von mir, sondern das ist die Aussage eines großen
Sozialdemokraten, mit dem sich vor gar nicht allzu langer Zeit, in keinem allzu
fremden Land, nämlich hier in Österreich, Ihr Parteivorsitzender Klima
gemeinsam mit Tony Blair aus England plakatieren hat lassen. Das möchte ich
einfach nur in Erinnerung rufen, und das ist sozusagen etwas jüngere Geschichte
als Bruno Kreisky.
Bundesrat | 696. Sitzung / Seite 99 |
Daher: Verteilungspolitische Maßnahmen – ja. Das Sichern von
Pensionen ist kein populäres Thema. Der erfreuliche Umstand, dass wir alle
länger leben, alle älter werden, länger unsere Zeit verbringen und die Dinge
Geld kosten, führt dazu, dass eine Pensionsreform notwendig ist, dass eine
Pensionssicherung notwendig ist. Egal welche Ausdrücke man dafür auch immer verwendet:
Pensionsreform bedeutet immer, wenn man die Mittel auf mehr Menschen aufteilen
muss, die länger leben, dass die Leistung für den Einzelnen dabei geringer
wird.
Natürlich ist es legitimer Bestandteil der Politik, wenn man jene
Leute, die einen Beitrag dafür leisten müssen, indem sie entweder mehr zahlen
oder weniger bekommen, politisch entsprechend aufmischt. Das ist durchaus
legitim! Aber es darf trotzdem darüber auch eine andere Meinung geben, und das
ist das Thema, worum es im Prinzip eigentlich geht.
Ich möchte auf einige wenige Punkte, die in der Diskussion angesprochen
wurden, Bezug nehmen. Es wird zum Beispiel immer wieder gebracht, dass diese
Reform überfallsartig sei. – Dazu halte ich fest: Wir haben zehn Jahre
Übergang für das Heranführen an das gesetzliche Pensionsalter. Wir haben
25 Jahre Übergang für die Anhebung des Durchrechnungszeitraumes von 15 auf
40 Jahre. Wir haben drei Jahre Übergang für die Senkung des
Steigerungsbetrags von 2 Prozent auf 1,78 Prozent. Ich glaube nicht, dass man da von „überfallsartig“ sprechen kann.
Seit 1990 führen wir diese Debatte. Wie gesagt, man kann die Meinung
haben, dass man bis zum Herbst diskutieren kann, aber wenn man der Meinung
ist – wie die Regierungsmitglieder von der Volkspartei und den
Freiheitlichen –, zwölf Jahre Diskussion sind genug, so halte ich das auch
für legitim. Seit den neunziger Jahren diskutieren wir diese Reformen. Wir sind
zwei Mal Reformen angegangen, die Reförmchen wurden. Der Effekt des Ganzen ist, dass diese Probleme,
die wir damals verwässert und verschoben, nicht gelöst haben, heute immer noch
zur Bewältigung anstehen.
Seit drei
Jahren – so viel zum Thema Hektik und „Reden wir noch einmal!“ –
arbeitet eine parteiunabhängige Expertenkommission zur Sicherung des
österreichischen Pensionssystems – selbstverständlich unter voller
Einbindung der Sozialpartner, was durch entsprechende Sitzungsprotokolle
dokumentiert ist –, und ich gehe einmal davon aus, dass die Leute nicht
nur zum Kaffeetrinken dort gewesen sind.
Da wir so viel
über Dialog gesprochen haben, muss ich ganz ehrlich sagen – es freut mich,
dass es jetzt zwei Grüne Bundesräte gibt, das sei an dieser Stelle erwähnt –:
Wenn Kollege Öllinger von Dialog redet und dann einen sechseinhalbstündigen
Monolog im Ausschuss hält, dann würde man in der Sprache von Ö 3 schon
sagen „Was is’ mit du?“ Das muss schon einmal erwähnt werden dürfen gegenüber
jenen, die so besonders sensibel sind, was Dialognotwendigkeiten
betrifft – offensichtlich aber nicht dann, wenn sie am Wort sind.
Die Fakten liegen
auf dem Tisch, die Fakten liegen heute auf dem Tisch. Unterschiedliche Positionen
wird es immer geben, aber es ist auch einmal der Zeitpunkt gegeben, wo man viel
diskutiert hat, wo man Jahre diskutiert hat, wo man zig Stunden im Parlament
diskutiert hat, wo unterschiedliche Standpunkte angeglichen worden sind und
in einigen Standpunkten auch unterschiedliche Bewertungen übrig bleiben. Diese
unterschiedlichen Bewertungen bleiben auch dann, wenn man bis zum
Sankt-Nimmerleins-Tag diskutiert, aber für den Sankt-Nimmerleins-Tag kann man
nicht Politik machen.
Wir haben eine
Reformregierung, die handeln möchte. Ich glaube, dass wir auf einem guten Weg
sind und dass der „Runde Tisch“ sicherlich auch ein wichtiger Beitrag dazu war.
Ich wundere mich beinahe darüber, dass es hier die Intention gegeben hat, den
Herrn Bundeskanzler zu befragen, obwohl es doch gerade auch einigen Vertretern
von der Sozialdemokratie wichtig war, dass der Herr Bundespräsident diesen
„Runden Tisch“ führt.
Ich denke, wir
sollten einmal dem Herrn Bundespräsidenten die Möglichkeit geben, in der Öffentlichkeit
die Ergebnisse des „Runden Tisches“ zu präsentieren (Zwischenruf bei der SPÖ), sagen zu können, was in der Hofburg
heute Nachmittag am ovalen Tisch los gewesen ist. (Beifall bei der ÖVP und
den Freiheitlichen.)
19.23
Bundesrat | 696. Sitzung / Seite 100 |
Vizepräsidentin
Anna Elisabeth Haselbach: Als Nächster zu Wort gemeldet ist
Herr Bundesrat Gasteiger. – Bitte.
19.24
Bundesrat
Klaus Gasteiger (SPÖ, Tirol): Frau Präsidentin!
Herr Staatssekretär! Hohes Haus! Einen Satz zu den Geometrieverständnissen des
Herrn Kollegen Himmer: Mir müssen Sie es nicht glauben, mir können Sie
unterstellen, ich sei Parteipolitiker, aber dem Herrn Bundespräsidenten
werden Sie doch wohl glauben, der – wie in einem Zeitungsartikel von
morgen nachzulesen ist – sagt: Der Tisch, an dem wir sitzen, ist, wie
Sie sehen können, nicht rund. – So viel zu Ihren Ausführungen, ob rund
oder eckig oder oval; mir ist das im Grunde genommen egal. Wichtig ist, Herr
Kollege Himmer: Die Gesprächspartner sitzen am Tisch und reden miteinander. –
So wie sich die Regierungsparteien eine Zeit lang benommen haben, indem sie mit
niemandem mehr geredet haben, weil sie das durchziehen wollten, so kann es
wohl auch nicht gehen. (Beifall bei der SPÖ und den Grünen.)
Ich darf die
Anfrage betreffend die finanziellen Auswirkungen des Budgetbegleitgesetzes aus
der Sicht der westlichen Bundesländer, im Speziellen für das Bundesland Tirol,
natürlich unterstützen.
Aus Sicht des
Bundeslandes Tirol – und das sage jetzt natürlich nicht ich, sonst könnte
man mir, ich habe es bereits gesagt, Parteipolitik unterstellen, sondern das
sagt der Verfassungsdienst des Landes Tirol – gibt es schwere Bedenken
gegen den Entwurf des Budgetbegleitgesetzes.
Was mich wundert,
ist, dass meine Tiroler Bundesratskollegen, unter ihnen Seniorenbund-Obmann
Kritzinger, aber auch meine Tiroler Kollegen aus dem Nationalrat dazu nichts
sagen. Was ist los, meine Damen und Herren? Agieren Sie parteipolitisch oder
so, wofür Sie in der Länderkammer angelobt worden sind: als Föderalisten, als
Vertreter Ihres Bundeslandes in der Länderkammer des Parlaments?
Mich zumindest bewegt
die Stellungnahme des Verfassungsdienstes des Landes Tirol so sehr, dass ich
mir erlaube, diese meinen Kollegen Bundesräten hier im Hohen Haus zur Kenntnis
zu bringen. Frau Präsidentin, mit Verlaub, ich bitte, zitieren zu dürfen:
Finanzielle Auswirkungen
für das Land ergeben sich erstens durch die Erhöhung des Beitragssatzes zur
Krankenversicherung für die Vertragsbediensteten, zweitens durch die
Verpflichtung des Landes zur Gewährung von Sozialhilfe, wobei die
vorübergehenden Maßnahmen im Bereich der Kranken- und Unfallversicherung und
der Pensionsversicherung folgende Auswirkungen haben:
a) Das Tiroler
Sozialhilfegesetz sieht in § 5 einen Anspruch auf Krankenhilfe vor, der
auch in Form der Beitragsleistungen zur Selbstversicherung in den Krankenversicherungen
nach dem ASVG geleistet werden kann. Für das Land ist daher die vorgesehene
Änderung zur Vereinheitlichung der Beitragssätze in Verbindung mit der
Einführung eines Ergänzungsbeitrages zur Finanzierung unfallbedingter
Leistungen der Krankenversicherung unmittelbar kostenwirksam. Der konkret
anfallende Mehraufwand kann allerdings momentan noch nicht abgeschätzt werden.
b) Für die
Sozialhilfe sind ferner die im Entwurf vorgesehenen gesonderten Kostenbeiträge
beziehungsweise diesbezügliche Verordnungsermächtigungen an den Hauptverband
der österreichischen Sozialversicherungsträger mit zusätzlichen finanziellen
Aufwendungen verbunden. Da diese Selbstbehalte noch nicht bekannt sind, können
auch die zu erwartenden finanziellen Aufwendungen für das Land noch nicht
abgeschätzt werden.
Kostenfolgen unter
Punkt c:
c) Für die Hilfe zum Lebensunterhalt sind unter anderem aus der geplanten gänzlichen Aufhebung aller vorzeitigen Alterspensionen, der Änderung des Durchrechnungszeitraumes die Ein-
Bundesrat | 696. Sitzung / Seite 101 |
bindungen der betroffenen Personengruppen in den Regelungsbereich der
Arbeitslosenversicherung zu erwarten. Im Rahmen des
Arbeitslosenversicherungsrechtes sind keine dem Pensionsrecht entsprechenden
Mindestleistungen vorgesehen, sodass bei Bezug eines niedrigen Arbeitslosengeldes
beziehungsweise der neu geschaffenen Übergangsgelder durchaus ein Anspruch auf
laufende Sozialhilfeleistungen, Hilfe zum Lebensunterhalt, gegeben sein kann.
Zusätzlich ist
darauf hinzuweisen, dass der Bezug von Sozialhilfe, Hilfe zum Lebensunterhalt,
bei älteren Menschen deutlich längere Zeit erforderlich sein wird, weil ein
Wechsel in die Pension erst zu einem deutlich späteren Lebensalter möglich
sein wird.
Die geplanten
Änderungen zur Berechnung von Pensionsleistungen, wie im Besonderen der
praktisch für das ganze Erwerbsleben vorgesehene Durchrechnungszeitraum, die
Verzögerung, Valorisierung von Neupensionen und dergleichen, werden, wie auch
in den Erläuterungen dargestellt, insgesamt zu wesentlich geringeren
Pensionshöhen führen. Die Verbesserungen haben demgegenüber vernachlässigbare
Auswirkungen.
Mit dem Absinken
des Pensionsniveaus sinken gleichzeitig von in Pflegeheimen betreuten älteren
Menschen mögliche Kostenbeiträge. Der Kostenanteil der Sozialhilfe für stationäre
Pflege wird daher proportional zum Absinken der Pensionen entsprechend
ansteigen. – Soweit, meine sehr geehrten Damen und Herren, die
Stellungnahme des Landes Tirol zu den finanziellen Auswirkungen dieses
Budgetbegleitgesetzes.
Als Abgeordneter
meines Bundeslandes kann ich dem Vorhaben sowieso nicht zustimmen.
In der „Presse“
vom 14. Mai lese ich: „Reform nicht auf Kosten der Länder“. „,Die Schere
wird größer, immer mehr fallen in die Sozialhilfe. Damit muss jetzt Schluss
sein‘, so Niederösterreichs Landeshauptmann-Stellvertreterin Liese Prokop (VP)
zur ,Presse‘.“
Oder Franz
Schausberger, ÖVP: Deshalb habe man den Konsultationsmechanismus ausgelöst. Das
Land Salzburg erwartet langfristig zusätzliche Kosten von
10 Millionen €, die auf das Land durch die Erhöhung der Sozialhilfe
zukommen. Schausberger verlangt ein Zurück an den Verhandlungstisch. Man
müsse sich die Zeit nehmen, um bis zum Sommer Lösungen zu finden.
Oder: Tirols
Landeshauptmann Herwig van Staa, auch von der ÖVP, beharrt darauf, dass
auch Politiker persönlich die Reform spüren müssten. Denen muss es auch
wehtun, so der Tiroler Landeshauptmann.
Soweit die
Diskussion der letzten Tage wegen der Privilegien der Politiker.
Da frage ich mich,
da wundert es mich: Wo bist du, ÖVP? Schau dich in den Spiegel und schäme
dich! Von den Freiheitlichen ganz zu schweigen, die in diesen Tagen ohnehin
einen Reformkurs im Zickzack fahren, der sich gewaschen hat. (Vizepräsident Weiss übernimmt den
Vorsitz.)
Die beiden hohen
Politiker von den Regierungsparteien mit ihren Mehrfachpensionen und sonstigen
Privilegien lieben sich sowieso selbst ein ganzes Stück mehr als die Hackler,
als die benachteiligten Frauen, als die ganzen Heerscharen von kleinen
Pensionistinnen, Pensionisten, die um einen saftigen Teil ihres wohl erworbenen
und wohl erarbeiteten Rechtes umfallen. (Bundesrat
Mag. Himmer: Der Löschnak ...! Schieder!)
Kennt die ÖVP noch
ihre christlich-soziale Geschichte und Urgeschichte? – Vogelsang,
1818 – 1890, hat als Person die von ihm inspirierten päpstlichen
Sozialenzykliken gar nicht mehr erlebt; er war es, der das geschrieben hat, er
war der große Vorläufer. Sein verschollenes Werk oder wenigstens Auszüge davon
gehörten eigentlich auf die Tische der Abgeordneten der christlich-sozialen Volkspartei.
Wissen Sie, was mich bei dem Budgetbegleitgesetz am meisten stört? Wissen Sie, was mich am meisten stört, Kollege Himmer? – Dass Sie, die Abgeordneten der Regierungsparteien im Bundesrat, im Nationalrat, ohne Wenn und Aber dem Budgetbegleitgesetz – Stichwort Pen-
Bundesrat | 696. Sitzung / Seite 102 |
sionsklau, Stichwort Eurofighter und
vielen anderen Grauslichkeiten, wenn ich es einmal so sagen darf – die
Zustimmung erteilen werden. Wissen Sie, weshalb mich das so wahnsinnig stört? (Zwischenruf des Bundesrates Mag. Himmer.)
– Ihre Zustimmung, Kollege Himmer, und die von vielen anderen wird massive
Verschlechterungen für große Teile der Bevölkerung mit sich bringen.
Jene, die am
vergangenen Dienstag auf die Straßen gegangen sind, waren ein kleiner Teil vom
großen Teil der Bevölkerung, die von der Reform massiv betroffen sein werden.
Berechnungsmodelle zeigen:
Männer mit 30 und
jünger: minus 27 Prozent; Frauen mit 30 und jünger: minus 31 Prozent;
Männer mit 40 (Bundesrat Mag. Himmer:
Ruck’s raus, das Konzept!) – das betrifft uns, Kollege Himmer –:
minus 29 Prozent; Frauen mit 40: minus 37 Prozent; Männer mit 50:
minus 22 Prozent; Frauen mit 50: minus 11 Prozent. – So setzt
sich die Litanei fort, und da wollen Sie mir erklären, dass das kein
Pensionsklau ist! Das müssen Sie einmal zu Stande bringen. (Bundesrat Mag. Himmer: Wer bekommt es? Gehen wir es
gedanklich gemeinsam durch! Wer bekommt es?)
Wissen Sie, was
legitim und gerecht ist, Kollege Himmer? – Wenn die Regierungsparteien bei den
nächsten Wahlen – und glauben Sie mir, die kommen, das dauert nicht mehr
so lange – die Mehrheit verlieren und die österreichische Bevölkerung
endlich einmal aus dieser Geiselhaft genommen wird. Ich orte, dass es in den
Reihen der Abgeordneten der beiden Regierungsparteien, der christlich-sozialen –
zumindest sagen sie, sie sind es – und der Freiheitlichen, brodelt. Ich
appelliere an alle klar Denkenden in diesen beiden Parteien: Stoppen Sie den
Wahnsinn des Herrn Bundeskanzlers! – Danke. (Beifall bei der SPÖ und
den Grünen.)
19.33
Vizepräsident
Jürgen Weiss: Nächster Redner ist Herr Bundesrat
Christoph Hagen. Ich erteile ihm das Wort.
19.34
Bundesrat Christoph Hagen (Freiheitliche, Vorarlberg): Sehr
geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Staatssekretär! Meine Damen und Herren!
Bei Kollegen Gasteiger könnte man den Eindruck gewinnen, wenn man ihm zugehört
hat, dass er die letzte Zeit oder in den letzten paar Wochen entweder hinter
dem Mond gewohnt hat oder mit Kollegen Gusenbauer in Moskau gewesen ist.
Jedenfalls hat er anscheinend nicht mitbekommen, was in Österreich in Bezug auf
die Pensionsreform gelaufen ist.
Meine Damen und Herren! Der Regierungsvorschlag – da haben Sie
Recht – ist etwas überzogen. Entschärfungen sind notwendig. Das ist auch
das, was die Freiheitliche Partei immer wieder vertreten hat. Wir haben daher
die Initiative ergriffen und den Herrn Bundespräsidenten gebeten, einen
„Runden Tisch“ einzuberufen – mit den Sozialpartnern, mit allen, die
willig sind, an dieser Pensionsreform, die ja, so wie wir hier gehört haben,
unbestritten notwendig ist, an einem „Runden Tisch“ mitzuarbeiten. Das ist der
Hintergrund dieses „Runden Tisches“, und es ist das Verdienst des Vizekanzlers
Herbert Haupt, der die Fäden gezogen und dieses Vorgehen eingeleitet hat. (Beifall
bei den Freiheitlichen.)
Diese Pensionsreform, auch dass sie etwas stärker ausgefallen ist,
zumindest im Regierungsentwurf, ist das Ergebnis vom Verschleppen dieses
Problems über 15 Jahre. 15 Jahre wurde dieses Problem verschleppt,
und, soweit mir bekannt ist, sind davon zwölf Jahre auf das Konto eines
sozialdemokratischen Sozialministers beziehungsweise -ministerin gegangen. Sie
haben das Problem verschlafen, man hätte es früher einfacher lösen können,
meine Damen und Herren! Es wäre einfacher gegangen. Auch die ÖVP – und
man muss hier auch etwas die ÖVP rügen – hat hier zu wenig vorwärts
getrieben, und jetzt tut sie zu viel. (Demonstrativer Beifall bei der SPÖ
und den Grünen.)
Ein ganz wichtiger Punkt dieser Pensionsreform ist – es ist hier angesprochen worden – die Harmonisierung der beiden Pensionssysteme, des Beamtensystems – ich bin selbst Beamter, ich weiß, wie das ausschaut – und des ASVG-Systems. Ich kann nicht eines anpacken und das
Bundesrat | 696. Sitzung / Seite 103 |
andere liegen lassen, zumal ich genau weiß, dass für die Änderung des
Pensionssystems eine Zweidrittelmehrheit notwendig ist und diese
Zweidrittelmehrheit wahrscheinlich nicht mehr zu Stande kommen wird. Also muss
man harmonisieren und die Reform im Gesamten umsetzen.
Die Freiheitliche Partei hat im Nationalrat – sie hat ihn noch nicht
eingebracht – einen Entschließungsantrag vorbereitet, der sich dieses
Problems annimmt. An diesem Entschließungsantrag habe ich persönlich
mitgearbeitet. Er ist meiner Ansicht nach fair und gut und für alle.
Dass eine Reform notwendig ist und dass eine Reform auch Schmerzen
verursacht, das wissen wir alle. In Zeiten, in denen kein Geld da ist, kann man
nicht mehr ausgeben, als man hat. Ich als junger Mensch – ich bin
34 Jahre – möchte auch noch die Gewissheit haben, dass ich, wenn ich
einmal in Pension gehe, eine Pension erhalte, und zwar in einer halbwegs fairen
Höhe im Verhältnis zu dem, was ich eingezahlt habe. Dass im alten System viele
Leute eine überdurchschnittlich hohe Pension bekommen, für die sie meiner
Ansicht nach zu wenig geleistet haben, das steht hier sicher nicht zur
Diskussion; da wird mir jeder, der sich eingelesen hat, Recht geben.
Ich möchte jetzt kein System verteufeln, wenn ich das der Beamten
anspreche. Ich möchte nicht auf die Beamten losgehen, weder auf die hohen noch
auf die kleinen Beamten, aber ich sage schon, dass man von den hohen Beamten
einen Solidaritätsbeitrag erwarten kann. Die kleinen Beamten – das möchte ich
sagen – haben in jungen Jahren sehr wenig verdient und haben jetzt natürlich
auch keine übermäßig hohe Pension. Es sollte darauf geachtet werden, dass nicht
überdurchschnittlich gekürzt wird bei jenen, die ohnehin schon wenig haben und
nie viel gehabt haben.
Ein Punkt, der sicher etwas strittig ist oder zu sein scheint, ist: Für
mich ist der 4. Juni nicht der Tag, an dem die Vorlage im Nationalrat
unbedingt beschlossen werden muss. (Bundesrat
Gasteiger: Also du stimmst auch nicht zu!) Ich
stimme einer Pensionsreform zu, wenn sie sozial ausgewogen ist, wenn sie
harmonisiert ist und die Zeit reif ist. Das kann von mir aus der 4. Juni
sein, das kann aber auch später sein.
Ich verstehe auch die Gewerkschaften nicht, wenn sie sagen: Wir machen
einen „Runden Tisch“, aber erst im September. – Das ist der falsche Weg!
Dr. Haider hat einen völlig richtigen Vorschlag gemacht: Wenn es
notwendig ist, muss man eben im Sommer durcharbeiten, um der Bevölkerung zu
zeigen, dass einem etwas daran liegt, diese Pensionsreform vernünftig zu
gestalten und ein vernünftiges Ergebnis vorzulegen. (Beifall bei den Freiheitlichen.)
Man kann auch darüber diskutieren, ein Leistungsprinzip einzuführen. Aber
ich muss Sie schon warnen, meine Damen und Herren: Wenn ich all das offen
lege, was jemand eingezahlt hat, was er wirklich eingezahlt hat, dann fehlen
die Zeiten, die der Betreffende arbeitslos war; ob schuldig oder unschuldig
arbeitslos, das will ich hier nicht sagen. Das ist natürlich schon ein Punkt,
den man sehr gut bedenken muss, wenn man das Leistungsprinzip einführen will.
Für denjenigen, der nie arbeitslos war, der immer durchgearbeitet und
eingezahlt hat, ist das eine tolle Sache, aber derjenige, auf den das nicht
zutrifft, schaut bei diesem System durch die Finger. Darüber müssen wir uns im
Klaren sein. Über die Einführung des Leistungsprinzips wird also noch diskutiert
werden müssen.
Länger möchte ich
gar nicht mehr herumreden, denn es ist im Großen und Ganzen bereits alles gesagt
worden. Ich verabscheue es jedoch, wenn hier polemisiert wird und ein Problem,
das alle betrifft – nicht nur alle Staatsbürger, sondern all jene, die in
dieses System eingezahlt haben –, so sehr hochgeschaukelt wird und
versucht wird, den einen gegen den anderen auszuspielen. Das finde ich nicht
richtig.
Wenn ich höre, dass – ich habe es gerade Kollegen Schennach erzählt – bei der Demonstration, die Sie von der SPÖ vorhin so sehr gepriesen haben, nach der Abschlusskundgebung Gewerkschaftsfunktionäre mit Leuten, die an der Demonstration teilgenommen haben, ins Gasthaus gegangen sind und ihnen alles bezahlt haben und die Leute nachher darüber geredet haben, was sie dabei an Geld verdient haben, weil sie nach Wien gefahren sind und die Busfahrt
Bundesrat | 696. Sitzung / Seite 104 |
und das
Hotel gratis waren (Widerspruch bei der
SPÖ), und ein Taschengeld haben sie auch noch bekommen (Bundesrat Reisenberger: Das ist eine Unterstellung! Das ist
eine bodenlose Unterstellung!), und dann hat dort noch einer der
Bundesräte aus unserer Mitte eine Runde geschmissen, dann muss ich sagen: Ich
weiß nicht, ob das der richtige Weg ist! – Danke schön. (Beifall bei
den Freiheitlichen und bei Bundesräten der ÖVP. – Weitere Zwischenrufe bei
der SPÖ.)
19.41
Vizepräsident
Jürgen Weiss: Nächster Redner ist Herr Bundesrat
Stefan Schennach. Ich erteile ihm das Wort. (Neuerlicher Widerspruch des Bundesrates Reisenberger in
Richtung des Bundesrates Hagen. – Vizepräsident Weiss gibt das
Glockenzeichen.)
Herr Kollege
Reisenberger, ich bitte Sie, allfällige Unerhaltungen außerhalb des Saales zu
führen. – Am Wort ist Herr Kollege Schennach.
19.41
Bundesrat
Stefan Schennach (Grüne, Wien): Herr Präsident!
Lieber Herr Staatssekretär! Heute sind Sie ja wieder in der Funktion des
„Bundesratsministers“ hier anwesend, aber seit der Künstlersozialversicherung
sind Sie ja mit diesem Thema bestens vertraut, und durch die gestrige
Abendveranstaltung hier im Hohen Hause umso mehr. Da muss ich zu Herrn Kollegen
Himmer sagen: Hier hat er den Dialog, den er gestern vermisst hat.
Der Dialog heute
am „ovalen Tisch“ war auch nicht sehr aufregend. Ich habe mir einen Bericht geben
lassen: Der Dialog sah so aus, dass jeder Teilnehmer ein Statement abgegeben
hat – über das keine Diskussion stattfand, sondern es gab lediglich ein
Statement reihum. Das Ergebnis ist, dass es beim Juni bleibt – auch der
Herr Vizekanzler hat dem zugestimmt – und dass die Bauern Bedenken
bezüglich der Harmonisierung haben. (Ruf
bei der SPÖ: Wer?) – Die Bauern. – Das ist es. Was das Ausmaß des
Dialogs betrifft, so weiß ich darüber nichts.
Herr Kollege Hagen
hat davon gesprochen, dass die Freiheitlichen diesen „Runden Tisch“ initiiert
haben. Dazu muss ich sagen: Das ist für eine Regierungspartei eine seltsame
Sache. Wofür braucht eine Regierungspartei einen „Runden Tisch“? – „Runde
Tische“ werden in der Regel von jenen gefordert, die nicht in der Regierung
sind, damit sie irgendwo mitreden können. (Staatssekretär
Morak: Deswegen war er nicht ganz rund!)
Deshalb war er
wahrscheinlich nicht ganz rund. Ich kann mich erinnern – Herr Kollege Böhm
wird sich vielleicht auch daran erinnern –: Zu Hainburg hatten wir einen
„Runden Tisch“ gefordert und so weiter – aber das hat die Straße, das hat
die Protestbewegung gefordert und bekommen. Aber wenn ich in der Regierung
sitze, brauche ich doch keinen „Runden Tisch“! Da bin ich doch Manns – und
Fraus – genug (Bundesrat Boden:
Oder doch nicht?), um auch gegenüber einem Koalitionspartner zu sagen: Da
ist Schluss! (Beifall der Bundesrätin Kerschbaum
und bei der SPÖ.)
Ich würde daher
sagen: Das, worauf Herr Hagen so stolz ist, war ein freiheitlicher Hilferuf im
Sinne von: Helft uns doch, wir gehen da unter! – Das Ganze war noch
gepaart mit einigen Sticheleien gegen den amtierenden Bundeskanzler aus
verschiedenen Ecken.
Nun zwei
Bemerkungen zur Regierungspartei FPÖ, lieber Herr Kollege Böhm!
Ich vermisse
jemanden: Ich vermisse in unseren Reihen den Seniorensprecher der FPÖ –
dieser hat nämlich bundesweite Bedeutung –, Herrn Gudenus. Er hat sich in
der Folge dieser Debatte mehrfach geäußert. Ich hoffe nicht, dass jetzt
wieder dasselbe passiert wie früher bereits im Zusammenhang mit einem anderen
Thema: dass er erst dann, wenn der Ministerwechsel erfolgt – wie eben
damals der Wechsel zu Herrn Platter –, hier ans Rednerpult tritt, um uns
die ganze Wahrheit – damals über den Abfangjägerkauf – erhellend
darzulegen. Das war erhellend, das muss ich wirklich sagen; ich bin nach wie
vor beeindruckt von seinen damaligen Ausführungen.
Bundesrat | 696. Sitzung / Seite 105 |
Aber Herr Gudenus
ist bei dieser heutigen Debatte nicht da. Er könnte hier einmal sagen, was die
Senioren der FPÖ in dieser Frage zu tun gedenken. Es ist interessant: Wir haben
in Herrn Gudenus praktisch einen Doppelexperten: den FPÖ-Seniorensprecher und
den Spezialisten in der Freiheitlichen Partei für Abfangjäger – und ich
glaube, er ist in beiden Fällen sehr kritisch gegenüber der Linie der
Regierung. Wir alle laden ihn daher ein, demnächst hier kundzutun, was los ist.
Wir haben hier
schon eine ganze Reihe von Fragen im Zusammenhang mit dem Thema Pensionsreform
erörtert, so etwa die Situation der Frauen: Die durchschnittliche ASVG-Pension
der Frauen liegt 35 € über dem Ausgleichszulagenrichtsatz. Die
durchschnittliche Frauenpension beträgt also 678 €.
Wir haben –
fast unwidersprochen, Kollege Himmer – über das eigentliche Ziel
diskutiert, darüber, dass es jetzt natürlich einmal um
Budgetsanierungsschritte geht. Wir haben über die Ungleichbehandlung der
verschiedenen Bereiche diskutiert. – Der Bereich der ASVG-Pensionen
braucht keine derartigen Maßnahmen bis zum Jahr 2007!
Weiters haben wir
über die Ungleichheit der bei den Beamten, Bauern und Gewerbetreibenden gesetzten
Schritte diskutiert und nicht zuletzt auch über die Fehler – die so
genannten vermeintlichen Fehler –, was die Politiker betrifft.
Harmonisierung ist
das nächste Thema – auch das wurde eingestanden. – Das schaffen wir
nicht! Brauchen wir das? – Da wird unter großem Zeitdruck, begleitet von
großem sozialem Streit jetzt etwas vom Zaun gebrochen, partout – ein
Justament-Standpunkt, könnte man sagen. Irgendwie muss da eine magische Zahl im
Spiel sein, oder vielleicht der Vollmond, dass das ausgerechnet im Juni
passieren muss – denn im Herbst kommt ja das Nächste.
Grasser hat schon
gesagt: Wir haben einen Fehler gemacht. – Aber ich vermisse seine Lehren,
die er daraus zieht! Und er sagt, es werde keine Steuererhöhungen geben; aber
er spricht nicht davon, was das für die Pensionen bedeutet. (Bundesrat Mag. Gudenus betritt
den Saal.) – Gratuliere! Das ist super, das freut mich jetzt!
Es möge bitte
jetzt niemand behaupten, ich würde jemandem etwas Unehrenhaftes vorwerfen, aber
ich bin zutiefst inspiriert von einem „NEWS“-Titelbild, das ich gesehen habe,
auf dem die darauf abgebildeten Personen Helme trugen. Jetzt können wir die
Frage stellen: Was sagt der oberste „Behelmte“ – ich sage nicht
„Raubritter“ dazu, denn das hat ja das „NEWS“ inspiriert?
Auf die Frage:
„Sind in Ihren Berechnungen überhaupt die Belastungen der Österreicher durch
Pensionsreform oder die geplanten Selbstbehalte inkludiert?“, sagt Grasser:
„Nein, natürlich nicht. Aber da kommen wir in eine Begriffsdiskussion, was
Entlastung überhaupt heißt.“
Es wird ihm
entgegnet: „So kompliziert ist es nicht. Dem Einzelnen wird es ja herzlich egal
sein, ob Sie ihm erst ein paar Euro aus der Tasche ziehen, um ihm das Geld dann
im Rahmen der größten Steuerreform der Zweiten Republik wieder zu schenken.“
Darauf Grasser:
„Was heißt aus der Tasche ziehen? Wenn Sie in zwanzig Jahren in Pension gehen
und dann fünf Prozent weniger bekommen, dann können Sie das wohl nicht mit der
Steuerentlastung 2004 gegenrechnen.“
Ich weiß nicht,
meine Damen und Herren, das sind Antworten, die schon von einer ziemlichen Kaltschnäuzigkeit
gekennzeichnet sind, das muss ich schon sagen.
Es geht noch
weiter: „... Aber es gibt auch Menschen, die im nächsten Jahr in Pension
gehen.“
Die Antwort des
amtierenden Finanzministers darauf: „Die Belastungskomponente durch die
Pensionsreform ist doch mit insgesamt 600 Millionen Euro ...
äußerst gering. ...“
Man muss immer
bedenken: Das zahlen einzelne Menschen, unter anderem auch – ich sage es
noch einmal – die Frauen mit ihren Durchschnittspensionen in der Höhe von
678 € im Monat!
Bundesrat | 696. Sitzung / Seite 106 |
Was aber das
Provokanteste an dieser Sache ist, ist das zeitliche Zusammenfallen mit dem Ankauf
von Abfangjägern. Die Regierungsvorlage, die durch den Ministerrat gegangen
ist, ermächtigt den Verteidigungsminister zum Ankauf von Abfangjägern. (Bundesrat Konecny: Um „xxx“!)
Das steht in einem Satz, und weiters heißt es darin: „Für die Bedeckung hat der
Finanzminister Sorge zu tragen.“ – Das ist eine Regierungsvorlage nach
einem ... (Bundesrat Boden: Dazu
haben wir jetzt noch eine Trägerrakete geschaffen!)
Nur: Das haben wir
jetzt gleichzeitig mit einer Pensionsreform, und „zufällig“ sind es dieselben
Beträge: Rund 2 Milliarden € betragen allein die Anschaffungskosten
für die Abfangjäger, und 2 Milliarden € nehmen wir den
ASVG-Versicherten weg. Jetzt sage ich nicht, dass mit dem einen Geld das andere
finanziert wird, aber angesichts des Satzes: „Für die Bedeckung hat der Finanzminister
Sorge zu tragen“ stellt sich schon die Frage: Was ist eigentlich aus der Idee
geworden, dass es einmal Billa-Flieger, ein anderes Mal H&M-Flieger, dann
wiederum Emmaladen-Flieger und so weiter – BAWAG-Flieger wird es
wahrscheinlich keine geben – sein sollten? – Immerhin hat man doch gesagt,
dass die Flieger von verschiedenen großen Firmen vorfinanziert werden. Jetzt
heißt es: Der Finanzminister hat für die Bedeckung zu sorgen.
Einsparungen im
Pensionsbereich, meine Damen und Herren, das heißt doch ganz einfach: Kürzungen.
Was immer wir dafür für Wörter erfinden – Herr Himmer hat von Verteilung
und von Pensionssicherungsmaßnahmen gesprochen –, sie ändern nichts an
den Tatsachen. Sagen wir es doch ganz einfach: Pensionen werden gekürzt –
um 20 Prozent, 30 Prozent, ja noch mehr: bis zu 40 Prozent. (Bundesrat Dr. Kühnel: Wie viele
Fälle sind das? – Bundesrat Konecny: Hunderttausende, Herr Kollege! – Bundesrätin Kainz: Jeder
einzelne zu viel!)
Warum mache ich
jetzt – Vollmond hin oder her – im Juni ein so kompliziertes System
im Bereich ASVG, GSVG, Beamte, Eisenbahner und so weiter, beschäftige damit
einen Stab von Experten, um dann im Herbst die Harmonisierung zu
erfinden? – Das heißt, jetzt machen wir ein kompliziertes System in all
den verschiedenen Bereichen, jetzt im Juni muss das unbedingt sein, und im
Herbst gilt dann alles nicht mehr, denn dann harmonisieren wir! – Dazu
muss man wirklich sagen: Die Bürger von Schilda waren da noch cleverer!
Meine Damen und
Herren! Der Groll wächst nicht nur beim einzelnen Bürger, er wächst auch –
und jetzt komme ich zum Kern des Problems – in den Ländern und Kommunen.
Der jüngste Bürgermeister der größten Stadt Österreichs, Herr Nagl, hat uns
gestern gesagt: Leute – ihr seid ja im Parlament –, wir haben nur
mehr zwei Möglichkeiten, die Einkommensteuer und die Hundesteuer. Das ist es!
Aber welche Belastungen kommen auf uns zu, was wird alles auf uns abgewälzt?!
Meine Damen und
Herren! Die Niederösterreichische Landesregierung, zumindest die ÖVP-Landesräte
haben am 13. Mai festgehalten, dass sie verlangen, „dass es zu keinen
zusätzlichen Belastungen des Bundeslandes Niederösterreich aus der
Pensionsreform, so vor allem im Bereich der Sozialhilfe, kommen darf.“ – Wie
soll das gehen? – Wenn die Pensionisten um 20 bis 30 Prozent weniger
haben, dann können sie ihren Anteil in den Seniorenheimen, in den Pflegeheimen
nicht mehr bezahlen. Wer bezahlt? – Das ist natürlich die öffentliche
Hand!
Das nächste
Schreiben kommt aus Tirol. In Tirol sind derzeit 6 000 Personen in
Alters- oder Pflegeheimen. Wenn wir nur von einer durchschnittlichen
Pensionskürzung von 20 Prozent ausgehen, würde das für die Tiroler
Gemeinden mehrere Millionen Euro jährlich an Mehrkosten ausmachen!
Jetzt kommen wir
zur Stadt Wien. Immerhin wird im Jahr 2030 ein Drittel der Gesamtbevölkerung
Wiens über 60 Jahre alt sein. Derzeit werden in Wien 17 500 Plätze
für ältere Menschen mit Wohn- und Betreuungsbedarf angeboten. Gehen wir für das
Jahr 2030 von einer Verminderung der Pension um 33 Prozent aus,
würde dies dem Land Wien 72 Millionen € mehr kosten!
Nun ist es nicht
so, dass die Pensionsreform das Einzige ist, was derzeit auf den sensibelsten
Teil unserer Republik, nämlich auf die Gemeinden und Städte zukommt, sondern
auch die 91 Budgetbegleitgesetze bringen eine ganze Reihe von zusätzlichen
Belastungen mit sich.
Bundesrat | 696. Sitzung / Seite 107 |
Ich ziehe jetzt
einmal wahllos die Stadt Linz als Beispiel heran. Die Magistratsdirektion Linz
stand vor der Aufgabe, in nur drei Arbeitstagen eine Stellungnahme zu
91 Budgetbegleitgesetzen zu erarbeiten. Auch der oberösterreichische
Gemeindebund-Präsident Franz Steininger – dieser ist von der ÖVP – weist den
Finanzminister darauf hin, dass die angesichts des Defizits des Bundes
entstehende Situation und die Verlagerung all dessen, was jetzt vom Bund auf
die Gemeinden und Städte übergeht, so nicht mehr funktionieren kann. Auch das
Vorhaben der Bundesregierung, meint der ÖVP-Gemeindebund-Präsident von
Oberösterreich, die Notstandshilfe von AMS und Sozialhilfeverbänden auf die
Länder zu übertragen, könne so nicht erfolgen. Wörtlich sagt er: Der Bund kann
sich nicht einfach einer Aufgabe entledigen, ohne finanzielle Mittel dafür
bereitzustellen.
Meine Damen und
Herren! Pensionsreform, 91 Budgetbegleitgesetze mit zum Teil erheblichen
Auswirkungen auf die Städte und Gemeinden, dazu ein Sozialsystem, das derzeit noch funktioniert: In Wien
zum Beispiel ist es so, dass die Pensionisten, die in Pflege- und Seniorenheimen
wohnen, 80 Prozent ihrer Pension für die Versorgung abgeben. Die Personalkosten
werden nicht geringer, die Betreuungskosten auch nicht. Die 80 Prozent
aber können nicht mehr angehoben werden, denn ein Taschengeld (Bundesrätin Kainz: „Taschengeld“ ist
gut!) – oder verwenden wir einen anderen Ausdruck: Geld für die
persönlichen Bedürfnisse – muss ja vorhanden sein. Das heißt, es wird
massive Einschnitte in das Sozialsystem der Länder, Städte und Gemeinden geben,
meine Damen und Herren, und das ist meiner Meinung nach bei dieser derzeit
völlig überhitzten Pensionsreform, so wie sie uns geboten wird, nicht berücksichtigt
worden. Wir stürzen damit nicht nur einzelne Menschen, die in Pension gehen,
in soziale Krisen, wir stürzen auch das kommunale System, das System der
sozialen Sicherheit, das vor allem auf den Ländern, Gemeinden und Städten fußt,
in eine gewaltige Krise.
Angesichts dessen
sollte doch noch eine Nachdenkfrist bis zum Herbst – dann, wenn die große
Harmonisierung diskutiert wird – ermöglicht werden. Ich bin selten mit
einem aus Oberösterreich stammenden Landeshauptmann eines anderen
Bundeslandes einer Meinung, aber wenn er in diesem Zusammenhang meint, man
sollte die Zeit des Sommers nützen, um nicht jetzt komplizierte Systeme in
den einzelnen Bereichen zu reformieren, sondern mit der Harmonisierung dann
beides zu machen, so muss ich sagen: Das ergäbe eine Nachdenkfrist und
vielleicht den von Herrn Himmer gewünschten Dialog. – Danke. (Beifall
der Bundesrätin Kerschbaum und bei der SPÖ.)
19.56
Vizepräsident Jürgen Weiss:
Nächste Rednerin
ist Frau Bundesrätin Anna Schlaffer. Ich erteile ihr das Wort.
19.56
Bundesrätin
Anna Schlaffer (SPÖ, Burgenland): Herr Präsident!
Herr Staatssekretär! Geschätzte Damen und Herren! Gestatten Sie mir am Anfang
eine kurze Replik auf zwei Vorredner. Kollegen Himmer würde ich schon nahe
legen, in den Printmedien etwas mehr als die Schlagzeilen und Überschriften
zu lesen. Vielleicht würde er dann mehr Wissenswertes erfahren und auch besser
verstehen, wovon er redet. (Bundesrat
Mag. Himmer: Das war „lustig“!)
Kollege Hagen! Wir verstehen uns in den Räumen außerhalb dieses Saales eigentlich sehr gut, und unsere Meinungen liegen oft nicht weit auseinander, aber ich würde Ihnen schon empfehlen, dass Sie weniger das für die Wahrheit halten, was Sie hören, sondern mehr auf das vertrauen, was Sie selbst wahrnehmen. Wenn Sie nämlich am vergangenen Dienstag mitten unter den Teilnehmern an der Protestkundgebung gewesen wären (Bundesrat Konecny: Und hingehört hätten!) – ja; vielleicht war er ja auch dort, aber bei der großen Anzahl von Teilnehmern war es natürlich nicht möglich, alle zu sehen –, dann hätten Sie sicherlich erlebt, wie betroffen und hoch motiviert die anwesenden Teilnehmer waren. Ich glaube nicht, dass es für irgendjemanden von ihnen notwendig gewesen wäre, ihn oder sie in ein Gasthaus einzuladen oder Prämien in irgendeiner Form zu zahlen. Die Teilnahme an der Kundgebung war diesen Menschen wirklich ein Bedürfnis, und die Stimmung, die dabei geherrscht hat – trotz Hagel, Sturm und Regen –, war schon sehr beeindruckend. 150 000 Menschen oder vielleicht noch mehr nur mit dem Versprechen, es werde ein Seidel Bier und ein Gulasch und dergleichen mehr geben, nach
Bundesrat | 696. Sitzung / Seite 108 |
Wien zu bringen, das schafft in Österreich wohl nicht einmal der
Gewerkschaftsbund! (Bundesrat Hagen:
Da gebe ich Ihnen schon Recht, ...! – Bundesrat Konecny: Es hat sich jeder nachher aufgewärmt, aber auf eigene Kosten!) – Ja, genau.
Aber die
Unzufriedenheit, die diese Menschen zum Ausdruck gebracht haben, spiegelt sich
auch in den schriftlichen Stellungnahmen der Länder und – es ist schon
mehrmals erwähnt worden – auch über die Parteigrenzen und geographischen
Grenzen hinweg wider.
Das Burgenland
nimmt in der Reihe der österreichischen Bundesländer die Stelle des so genannten
einwohnerärmsten Bundeslandes ein. Es wird aber überproportional von den Auswirkungen
der Budgetbegleitgesetze betroffen sein. Ich möchte das im Folgenden anhand von
zwei Beispielen, die zum Teil auch in der Stellungnahme des Burgenlandes
anführt waren, zum Ausdruck bringen.
Das Burgenland
selbst setzt seit einigen Jahren auf eine in manchen Bereichen erfolgreiche, in
manchen Bereichen sicher noch verbesserungsfähige Verwaltungsreform. Es gibt
klare Festlegungen, wie der Personalstand, die Entwicklung des Personalstandes
in den nächsten Jahren aussehen soll.
Betrachten wir
jetzt die geplanten Bestimmungen, dann würde das auch für die Verwaltung ein
längeres Im-Dienst-Behalten, ein längeres Arbeiten der Beamten, auch der
Vertragsbediensteten, bedeuten, also genau jener Gruppe von Menschen, mit
deren Ausscheiden vielleicht nicht nur das Land Burgenland, sondern auch andere
Länder ihre Verwaltungsreform zum Teil auch damit begründen, dass sie die
dadurch frei werdenden Posten nicht nachbesetzen!
Eines lehnt das
Burgenland mit Sicherheit ab: die Möglichkeiten, die sich vielleicht in der
Privatwirtschaft bieten, sich älterer Arbeitnehmer zum Zwecke der Einstellung
jüngerer und somit billigerer Arbeitskräfte zu „entledigen“. Das kommt für
das Land Burgenland als Dienstgeber schon aus sozialen Erwägungen nicht in
Betracht.
Ein weiterer Punkt
in diesem Zusammenhang ist, dass nicht außer Acht gelassen werden darf, was das
für die Jugend des Landes bedeutet, wenn Arbeitsplätze über längere Zeit
blockiert sind. Welche Möglichkeiten haben dann jüngere Menschen, in den
Arbeitsprozess einzutreten? – Vor allem muss auch mit bedacht werden, wie
lange sie arbeiten werden müssen, um einigermaßen eine Pension zu erzielen.
Eines möchte ich
aus meiner Sicht schon feststellen: Ich werde mich nicht darauf konzentrieren,
für heute 20-Jährige zu rechnen, was sie in 40, 45 Jahren an Pension
erhalten werden, denn ich glaube, in diesem Alter sind andere Dinge sicher
maßgebender. Ich meine, es ist nicht die Höhe ausschlaggebend, aber sie müssten
auf jeden Fall das Gefühl haben, dass Solidarität gegeben ist, dass das
Solidaritätsprinzip gilt und sie sich darauf verlassen können, dass das, was
sie im Erwerbsprozess einbringen, auch eines Tages entsprechend honoriert wird.
Aus der Sicht des
Burgenlandes muss ich sagen, dass auch zu befürchten ist, dass sich eine Verschlechterung
der sozialen Lebenssituation auf eine größere Bevölkerungsgruppe des Landes
ausdehnen wird.
Aus
demographischer Sicht zählt das Burgenland zu jenen Ländern, in denen sich der
Anteil der älteren Bevölkerung in den nächsten Jahren überproportional
entwickeln wird. Jeder, der weiß, welche Probleme damit verbunden sind, weiß
auch, dass gerade in diesem Bereich der Einsatz enormer finanzieller Mittel
notwendig ist.
Eines darf dabei
auch nicht außer Acht gelassen werden: Wenn die Notstandshilfe abgeschafft wird
und die Menschen auf die Sozialhilfe angewiesen sein werden, dann sollte man
schon mit berücksichtigen, welchen Grundsätzen, welchen Kriterien die
Sozialhilfe unterliegt. Sozialhilfegesetze sind Ländersache, ein
harmonisiertes Sozialhilfegesetz für ganz Österreich wird schwer umsetzbar
sein, weil es auch auf die Finanzkraft und Leistungsfähigkeit der einzelnen
Länder ankommt. Im Burgenland werden die Ausgaben aufgeteilt: 50 Prozent
das Land, 50 Prozent die Gemeinden.
Bundesrat | 696. Sitzung / Seite 109 |
Ein Ansteigen
dieser Ausgaben würde speziell für die Gemeinden bedeuten, dass sie weitaus weniger
Mittel für infrastrukturelle Maßnahmen zur Verfügung haben. Ich bin
Bürgermeisterin einer kleinen burgenländischen Gemeinde, und von meinem
Gemeindebudget habe ich – gerechnet auf 100 Prozent – kaum mehr
als 5 Prozent zur freien Verfügung. Ich weiß daher nicht, wie ich in
Zukunft in meiner Gemeinde Maßnahmen setzen soll. (Zwischenruf des Bundesrates Fasching.)
Kollege Fasching!
Der Einwurf ist etwas zynisch, denn gerade du müsstest wissen, dass ich erst
seit Oktober Bürgermeisterin bin und schlecht für das verantwortlich gemacht
werden kann, was mir mein Vorgänger übergeben hat.
Es ist aber nicht
so, dass das nur meine Gemeinde betrifft, sondern viele burgenländische Gemeinden!
Ich glaube, die am höchsten verschuldete Gemeinde ist Purbach, und wenn ich
mich nicht irre, ist das jene Gemeinde, die von einem Bürgermeister Steindl –
heutiger Landeshauptmann-Stellvertreter – jahrelang regiert wurde. Die
Jahre davor gab es einen gewissen Ing. Jellasitz – vielleicht wisst
ihr, dass er auch Landeshauptmann-Stellvertreter im Burgenland war; beide sind
von der ÖVP. Und diese Gemeinde ist die höchstverschuldete des
Burgenlandes? – Aber egal – zurück zu dem, was heute ansteht. (Bundesrat Fasching: ... Frauenkirchen!)
Zurück zur Sozialhilfe: Auf Sozialhilfe angewiesen zu sein, das heißt, das so genannte Sicherheitsnetz in Anspruch nehmen zu müssen; ein Netz, das garantieren soll, dass niemand durchfällt, dass für jeden der Lebensbedarf gesichert ist. Sozialhilfe in Anspruch zu nehmen, das heißt aber auch, aus der Position desjenigen, der selbst etwas erwirbt, seinen Unterhalt selbst sichern kann, einzutreten in die Rolle des Bittstellers, des Antragstellers und angewiesen zu sein darauf, dass das genehmigt wird. Sozialhilfe in Anspruch zu nehmen, das heißt auch – gerade im Burgenland; meines Wissens aber auch in anderen Ländern –, Mittel in Anspruch zu nehmen, die regresspflichtig sind – und „regresspflichtig“ bedeutet nichts anderes, als dass sie zurückbezahlt werden müssen. Ich weiß nicht, ob Sie sich vorstellen können, was es heißt, kaum wieder zu Einkommen gekommen zu sein, zurückzahlen zu müssen.
Es heißt aber auch, abhängig zu sein von dem, was andere für mich entscheiden, und es würde auch bedeuten, dass die Existenz äußerst gefährdet ist.
Das Burgenland wird auch das „Land der Häuslbauer“ genannt. Ein Haus kann schnell errichtet werden, aber es muss auf Jahre hinaus gerechnet werden, das Haus muss erhalten werden. Das Problem, das im ländlichen Raum bei vielen Hausbesitzern gegeben ist, ist, dass mit der Sozialhilfe nur schwer das Auskommen gefunden werden kann. Erfahrungsgemäß haben es Leute in Wohnungen leichter, weil sie die Möglichkeit haben, in ein kostengünstigeres Wohngebiet und eine billigere Wohnung zu übersiedeln. Jemand, der ein Haus besitzt, hat diese Möglichkeit kaum.
Einen Bereich der Auswirkungen auf die Sozialhilfe möchte ich abschließend noch vorbringen – vielleicht auch als Anregung für meinen Nachredner; soweit mir bekannt ist, ist Herr Bundesrat Kritzinger Seniorenobmann in Tirol, vielleicht wird ihn daher besonders interessieren, was das Land Oberösterreich in seiner Stellungnahme sagt.
Das Land Oberösterreich schreibt: Durch die vorgesehenen Reformmaßnahmen wird künftig die Summe der den Pensionistinnen und Pensionisten zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel sinken. Es ist daher davon auszugehen, dass sich dadurch der Anteil jener finanziellen Mittel, welche die im Alten- und Pflegeheim untergebrachten Menschen selbst leisten, vermindern wird. Dies würde für die regionalen Sozialhilfeträger bedeuten, dass ihr Anteil an der Kostentragung für Alten- und Pflegeheime steigt, was zusätzliche Belastungen für die Gemeinden zur Folge hätte.
Überdies ist zu erwarten, dass aus diesem Grund auch im Bereich der mobilen Dienste sowie der Hauskrankenpflege die finanzielle Belastung des Landes beziehungsweise der Gemeinden zunehmen wird. – Zitatende.
Bundesrat | 696. Sitzung / Seite 110 |
Was ist die Folge, wenn die Belastungen für Land und Gemeinden zunehmen? – Die Dienste, die in diesem Bereich zur Verfügung gestellt werden, werden wegen Unfinanzierbarkeit zurückgenommen werden müssen und somit den Menschen, die sie bräuchten, nicht mehr zur Verfügung stehen.
Ich habe versucht, nur einen Teil jener Aspekte anzusprechen, die vielleicht in der Öffentlichkeit nicht so beachtet werden. Eines ist sicher: Wir können nicht nur – schon fast zynisch zu nennen – von einer Pensionssicherungsreform sprechen, nur sehen, welche Auswirkungen sie in Form der Pensionen hat, sondern wir müssen das gesamte Bild sehen. Und vereinfacht gesagt: Geringere finanzielle Mittel, die zur Verfügung stehen, bedeuten nichts anderes als einen geringeren Lebensstandard, ein geringeres Wirtschaftswachstum, allgemein eine Verschlechterung der Situation, eine Verschlechterung der sozialen Lage Österreichs. – Danke. (Beifall bei der SPÖ.)
20.10
Vizepräsident
Jürgen Weiss: Nächster Redner ist Herr Bundesrat
Helmut Kritzinger. Ich erteile ihm das Wort.
20.10
Bundesrat Helmut Kritzinger (ÖVP, Tirol): Herr Präsident! Herr
Staatssekretär! Hohes Haus! Wir haben eine ganze – ich möchte es so
sagen – Reihe von Argumenten gehört, aber im Grunde genommen hat mir von
der sozialistischen Partei (Bundesrat Gasteiger: Schon lange „Sozialdemokratische“!)
schon seit jeher der Vorschlag gefehlt, auf den wir alle gewartet haben;
nicht ein Vorschlag in diesem Haus, sondern in der Öffentlichkeit.
Ich möchte zu
Beginn kurz auf die Rede des Kollegen Konecny eingehen, der Bruno
Kreisky – ein Bundeskanzler, den ich schätze, ich will das eigens
betonen – angesprochen hat. Kreisky hatte auf vielen Gebieten seine
Qualitäten, aber gerade was das Älterwerden des Menschen anlangt, hat Kreisky
einen ganz entscheidenden Fehler gemacht. Er hat nämlich eingeführt, dass kein
Politiker über 60 Jahren mehr tätig sein kann. Sie erinnern sich sicher an
die berühmte Pittermann-Klausel, die er eingeführt hat. Das war ein solch
entscheidender Schritt für die Zukunft, dass wir heute noch darunter leiden.
Denn es gab ja die Tendenz, alle Älteren vom Arbeitsplatz wegzubringen, nur
mehr Jüngere zu beschäftigen, und das bedeutet einen unglaublichen Verlust für
einen Staat. Das muss uns klar sein.
Ich glaube, die
Wirtschaftskrise in Deutschland ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass
die älteren Arbeitnehmer einfach keinen Wert mehr hatten. Manche Leute mit
55 Jahren und sogar Jüngere waren nicht mehr gefragt, gehörten zum „alten
Eisen“, dabei ist kaum jemand von den Jüngeren so engagiert für den
Arbeitgeber: durch Einfälle, durch die vorhandene Praxis und – auch das möchte
ich sagen – durch Verlässlichkeit.
Das, glaube ich,
hat eine große Lücke gerissen. (Bundesrat
Mag. Gudenus: Sehr richtig!) Ich
bin froh darüber, dass durch diese Pensionsreform da eine Korrektur erfolgt,
dass der Ältere langsam wieder an Wert gewinnt. Ich würde das sehr begrüßen. (Beifall
bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)
Kreisky hat also
nicht das Leben verlängert – leider ist Kollege Konecny nicht im Saal (Bundesrat Gasteiger: Wir sagen es ihm!) –, sondern, ich möchte
sagen, vielen Menschen das Leben verkürzt, denn ausgeschaltet zu sein, kein
Ziel und keine Arbeit mehr vor sich zu haben, das ist für viele Menschen
deprimierend, unglaublich deprimierend. (Zwischenruf
des Bundesrates Gasteiger.) –
Kollege Gasteiger! Das wirst du vielleicht auch noch erleben. Wir werden
uns später noch darüber unterhalten. Wir finden ja in Tirol einmal Gelegenheit,
darüber zu reden.
Das ist für viele
Leute deprimierend. Ich glaube, auch diesbezüglich hat die Pensionsreform einen
ganz entscheidenden Schritt gemacht und wird ihn machen. (Bundesrätin Schlaffer:
... noch deprimierter sein!)
Ich will jetzt keine Leserbriefe zitieren, wie einige hier zitiert wurden, in den man von einer Kürzung in der Höhe von 30 und 40 Prozent spricht. Meine Damen und Herren! Ich habe mehr als
Bundesrat | 696. Sitzung / Seite 111 |
ein halbes Dutzend an Pensionsreformen erlebt. Und
jeder – ich möchte jetzt keinen Bundeskanzler mit seinem Brief
zitieren – hat versprochen: Das ist die entscheidende Reform! – Es
ist dann aber immer nur ein Reformchen gewesen. (Bundesrat Mag. Gudenus:
Nicht einmal!) Wir haben leider Gottes keine griffige Regelung gefunden!
Ich glaube, das
ist endlich einmal eine Reform – natürlich nicht ohne Risiko, das ist mir
auch bewusst –, bei der man sagt: Jawohl, die zeugt von einem Weitblick!
Ich meine, darauf läuft es hinaus, und das muss jedem bewusst sein.
Sie ist natürlich
ein schwieriges Unterfangen, weil bei dieser Pensionsdebatte jetzt alle mitpokern,
und es pokern alle sehr hoch – das ist mir auch bewusst. Jeder versucht zu
lizitieren. Irgendjemand wird dann aber auf der Strecke bleiben, und wer das
sein wird, werden dann nicht die Leserbriefe entscheiden, sondern kommende
Neuwahlen. (Rufe bei der SPÖ: Genau! Hoffentlich!)
Ich möchte ganz
kurz die Entwicklung der letzten Tage in Erinnerung rufen. Ich bitte um ein
bisschen Geduld, ich möchte die Debatte nicht unnötig verlängern: Wir werden
durch solch eine Debatte kaum die Standpunkte verändern können, aber einige
Sachen muss man doch in diesem Haus festhalten.
Die Entwicklung
der letzten Tage, die nichts Gutes verheißt, war so: Es hat sich der Bundespräsident
in die Debatte eingeschaltet. Er hat vorgeschlagen: Pensionsreform ja, im Herbst,
verschieben wir sie auf den Herbst. (Zwischenruf
bei der SPÖ.) Haider hat sich dem angeschlossen – wie dem auch sei.
Dann sind Haider und Gusenbauer in einem Gasthaus zusammengekommen, haben
einiges besprochen und sich abgeredet. Dann ist Vizekanzler Haupt zum
Bundespräsidenten gegangen, und dann ist es, wie wir wissen, zu dem „Runden
Tisch“ gekommen, der heute stattgefunden hat – das Ergebnis haben wir ja
gehört.
In den letzten
Tagen hat man sich beim Bundespräsidenten die Türklinke in die Hand gegeben. Jeder
wollte dort einmal auftreten und etwas sagen. (Bundesrat Gasteiger: Wollen
haben sie nicht, er hat sie eingeladen!) Das ist es ja auch, dass bei
diesem Thema so viel Lizitation betrieben wird, aber das ist verständlich,
denn es geht um viel. (Bundesrat Gasteiger: Sie sind eingeladen worden
vom Herrn Bundespräsidenten!) Aber ich bitte doch, den Boden unter den
Füßen nicht zu verlieren.
Es war also ein
Verwirrspiel sondergleichen. Bei diesem Treffen zwischen Gusenbauer und Haider
ging es wahrscheinlich darum, die Allianzmöglichkeiten zu sondieren – ich
weiß es nicht. Aber der Flirt hat nichts gebracht! Und ich bin überzeugt davon:
Er bringt auch nichts.
Es hat sich jetzt
auch der Gewerkschaftsbund sehr stark engagiert. Wir wissen ja, wie viele Leute
er auf die Straße gebracht hat. Der Gewerkschaftsbund befindet sich aber auch
in einem Dilemma, wenn er nicht als zahnlos – oder noch schlimmer – bei der
Bevölkerung angesehen werden will, denn die Aufgaben des Gewerkschaftsbundes
müssen tatsächlich überdacht werden. Uns allen ist bewusst: Die Aufgaben des
Gewerkschaftsbundes müssen überdacht werden. Und ich glaube, der Streik ist
nicht der richtige Weg, um zum Nachdenken zu kommen. (Bundesrat Gasteiger: Ihr
werdet uns das wahrscheinlich sagen!)
Meine Damen und
Herren! Ich glaube, Bundeskanzler Schüssel wird in dieser Frage nicht nachgeben,
weil von keiner anderen Seite ein vernünftiger Vorschlag gekommen ist. Ich will
die beiden Vorschläge, die wir kennen, nicht zitieren, aber beide Vorschläge
sind nicht brauchbar. Schüssel wird also kaum nachgeben, weil es keine
Alternative gibt.
Deswegen sage ich
Ihnen: Wir können getrost und mit Zuversicht diesem Jahrhundertwerk (Zwischenrufe bei der SPÖ) – es
ist vergleichbar mit der Einführung des ASVG durch Julius Raab im
Jahr 1957, davon bin ich überzeugt – unsere Zustimmung geben! Am
4. Juni wird es im Nationalrat über die Bühne gehen. (Beifall bei der ÖVP.)
20.19
Bundesrat | 696. Sitzung / Seite 112 |
Vizepräsident Jürgen
Weiss: Meine sehr geehrten Damen und Herren! Kollege Gasteiger hat seine ... (Bundesrat Kritzinger spricht mit
Bundesrat Dr. Böhm. – Vizepräsident Weiss gibt das
Glockenzeichen.) – Bitte allfällige Dialoge draußen zu führen!
Kollege Gasteiger
hat nach dem vorliegenden Protokoll seine Wortmeldung mit den Worten geschlossen –
ich zitiere –: „Stoppen Sie den Wahnsinn des Herrn Bundeskanzlers!“
Da es sich nicht
um eine abstrakte politische Wertung handelt, sondern diese einer konkreten
Person zugeordnet wurde, erteile ich dafür einen Ordnungsruf.
Nächste Wortmeldung:
Frau Bundesrätin Roswitha Bachner. Ich erteile ihr das Wort.
20.20
Bundesrätin Roswitha Bachner (SPÖ, Wien): Sehr geschätzter Herr
Präsident! Herr Staatssekretär! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Kollege
Kritzinger! Bei aller Wertschätzung Ihrer Person, manche Ihrer Aussagen tun
körperlich weh! (Heiterkeit.) Ich
darf ein paar Dinge zurechtrücken.
Ich glaube, dass
es sehr weit hergeholt ist, wenn man Kreisky für ein verkürztes Leben der Menschen
verantwortlich macht. (Neuerliche
Heiterkeit.) Ich glaube, dass man Kreisky viele Dinge zuschreiben kann,
die sehr positiv für die Menschen waren. Kreisky ist dafür gestanden, dass
es in Österreich einen zunehmenden Ausbau des Sozialsystems gegeben hat, dass
die Menschen dadurch, dass es ihnen besser ging, dass es (Bundesrat Kritzinger: 7 Milliarden €
Schulden sind mehr als das ganze ASVG-System kostet!) mehr Arbeitsplätze
gegeben hat, Kollege Kritzinger, ihren Wohlstand aufbauen konnten und dass
damit natürlich auch im Krankenversicherungssystem und im Pensionssystem
Verbesserungen einhergegangen sind! Das jetzt Kreisky anzulasten, ist, gelinde
gesagt, eine Zumutung! Das muss ich Ihnen schon sagen. (Beifall bei der
SPÖ.)
Ich stimme Ihnen
zu, wobei ich mich dabei nicht auf die vorliegende Reform beziehe, dass es
wichtig ist, für ältere Arbeitnehmer etwas zu tun, damit sie überhaupt die
Möglichkeit haben, den Anforderungen dieses Konzepts der Regierung zum Thema
Pensionen gerecht werden können. Es gibt dafür zwar durchaus ein paar Punkte
in diesem Entwurf, etwa die Senkung der Lohnnebenkosten und so weiter, um den
Unternehmen einen gewissen Anreiz zu bieten, auch ältere Menschen auf dem
Arbeitsplatz zu behalten, aber ob dieser Effekt auch tatsächlich eintritt,
wird sich erst beweisen müssen.
Bei den Lehrlingen
zum Beispiel ist es so, dass wir den Unternehmen in Österreich, nur damit sie
bereit sind, Lehrlinge auszubilden, diese Lehrlinge mittlerweile „vergolden“,
und trotzdem bilden sie zunehmend weniger aus, als es die jungen Menschen
benötigen würden.
Sie haben auch
gesagt – da bin ich wieder meilenweit von Ihnen entfernt –, wir hätten bis
dato nur „Reförmchen“ zu Stande gebracht. – Für den ASVG-Bereich kann ich
das auf keinen Fall so im Raum stehen lassen, weil dort sind keine Reförmchen
in den letzten Jahren erfolgt, ganz im Gegenteil: Dort wurden die
maßgeblichsten Einschnitte gemacht!
Ich bin eine der
Letzten, die Gruppen auseinander dividiert, ganz im Gegenteil. Aber wenn man
behauptet, dass das Reförmchen gewesen seien, wobei doch gerade die
ASVG-Versicherten all diese bisherigen Pensionsreformen am maßgeblichsten zu
spüren bekommen haben, und auch bei der jetzigen Diskussion etwa die Gruppe der
Bauern schon wieder aufschreit und sagt, bei der Harmonisierung müsse man schon
aufpassen, weil sie die zu stark treffen könnte und so weiter, ebenso die
Gewerbetreibenden aufschreien und sagen, das sei Wahnsinn, wenn sie dann die
Versicherungsbeiträge einzahlen müssten, die bei einer Harmonisierung notwendig
wären (Bundesrat Fasching: Überlassen Sie das den Bauern!), dann muss ich sagen:
So können wir sicher keine Reformen machen! (Zwischenrufe
bei der ÖVP.)
Ich bin die Letzte, die auseinander dividiert (Bundesrat Fasching: Bleiben Sie bei Ihrem Bereich, da haben Sie genug Arbeit!), nur kann man nicht sagen, dass die bisherigen Reformen
Bundesrat | 696. Sitzung / Seite 113 |
Reförmchen waren. Ich darf daran erinnern, dass wir bereits vor
Jahren einen Bundeszuschuss zu den Pensionen von über 30 Prozent des BIP
hatten, dieser Wert wurde mit Hilfe der vielen Reformmaßnahmen, die es gegeben
hat, gesenkt. Man kann doch nicht sagen, dass es keine Reformen gegeben
hat! – So viel zu den Ausführungen des Kollegen Kritzinger.
Kollege Schennach
hat es schon gemacht, aber auch ich möchte kurz berichten: Ich habe mir vom
Präsidenten, der am „Runden Tisch“ dabei war, am Handy einen Bericht geben
lassen. Das Ergebnis ist im Prinzip das, was bereits Kollege Schennach hier
berichtet hat: Es wurde zwar in dieser Runde sehr amikal diskutiert, es gab
auch eine sehr gute Einleitung durch den Bundespräsidenten, aber als Ergebnis
des „Runden Tisches“ kann man an und für sich sagen, dass sich beim Terminplan
und der Frist bis 4. Juni nichts ändert.
Nichtsdestotrotz
meine ich, dass wir darum kämpfen müssen, bis zum 4. Juni ist noch Zeit.
Es sollte wirklich jeder noch einmal darüber nachdenken, wie er sich bis zum
4. Juni verhält. Schauen Sie sich bitte diese Vorlage noch einmal an!
Alle Vorrednerinnen und Vorredner, alle Berichte aus den Ländern haben bis
jetzt bestätigt, dass wir auf eine mittlere Katastrophe zusteuern, wenn wir
die Reform so umsetzen, wie sie derzeit vorliegt. Deshalb ersuche ich vor allem
die Mandatare der ÖVP – natürlich auch jene der Freiheitlichen, aber in
diesem Fall besonders die der ÖVP –, das nochmals zu überdenken.
Hinzufügen möchte
ich noch, dass heute früh vor Eingang in die Tagesordnung sehr viele neue
Kolleginnen und Kollegen angelobt wurden, unter denen gerade die Vertreterinnen
und Vertreter von der ÖVP bei ihrer Gelöbnisformel „So wahr mir Gott helfe!“
dazugesagt haben. (Ruf bei der ÖVP:
Jawohl!)
Ich nehme diese
Aussage ernst. (Ruf: ... Sie
christlich?) Ich nehme Sie beim Wort, Sie denken sich etwas dabei, wenn Sie
so etwas dazusagen. Wenn Sie sich dabei dasselbe denken, das ich mir bei solch
einem Ausspruch denke, dann ersuche ich Sie, wenn Sie heute nach Hause gehen,
darüber nachzudenken – Sie haben noch Zeit dazu –, ob Sie, wenn Sie
dieser Reform zustimmen, Ihrem Auftrag als Bundesräte gerecht werden. Denken
Sie darüber nach! (Bundesrat Mag. Himmer: ... interpretieren ...! – Weitere
Zwischenrufe bei der ÖVP. – Bundesrat Gasteiger –
in Richtung ÖVP –: Warum seid ihr so nervös da drüben? –
Vizepräsident Weiss gibt das
Glockenzeichen. – Bundesrat Fasching:
Denken Sie an Ihre Probleme in der Gewerkschaft! – Weitere Zwischenrufe.) – Ich habe keine Probleme,
machen Sie sich keine Sorgen!
Ich weiß nicht,
warum Sie sich so aufregen. Ich habe einen Appell an Sie gerichtet. Sie können
sich jetzt über mich denken, was Sie wollen, das ist mir im Prinzip egal. Ich
habe an Sie appelliert. Sie sind nicht mir gegenüber verpflichtet, Sie sind
Ihrem Wähler gegenüber verpflichtet, und dieser wird sich dann auch bei Ihnen
bedanken, wenn Sie sich nicht dementsprechend verhalten, wenn Sie gegen das
Volk regieren und nicht für das Volk.
Einen Punkt möchte
ich hier schon noch klarstellen, da ich es nicht zulassen kann, dass gerade in
diesem Gremium Unwahrheiten verbreitet werden, da werde ich sehr allergisch!
Kollege Ager weiß schon, was jetzt kommt, weil ich ihn im Vorraum persönlich
darauf angesprochen habe. (Rufe bei der
SPÖ: Hagen!) – Hagen, Entschuldigung! (Bundesrat Gasteiger: Das
ist ein Unterschied! – Ruf: Schon geklärt!) Schon geklärt!
Ich habe ihn im
Vorraum darauf angesprochen, denn ich lasse es nicht zu, dass man hier in diesem
Raum als Mitglied dieses Gremiums Behauptungen über etwas aufstellt, das man
selbst nicht gesehen und nicht erlebt hat. Kollege Hagen! Sie haben mir selbst
bestätigt, dass Sie das auch nur vom Hörensagen kennen. (Bundesrat Mag. Himmer:
So wie Sie vom „Runden Tisch“!)
Ich lasse es nicht
zu, dass Sie von Menschen, die am Dienstag bei den schwersten Unwettern der
letzten Jahrzehnte auf der Straße waren – barfuß, ohne Schuhe, weil ihnen
die Schuhe unter den Füßen „zerschwommen“ sind –, Menschen, die dort ihre
Anliegen kundgetan haben, behaupten, diese wären dort gewesen, weil sie dafür
bezahlt worden seien. (Beifall bei der SPÖ und den Grünen. –
Zwischenruf des Bundesrates Mag. Himmer.)
Bundesrat | 696. Sitzung / Seite 114 |
Da ich gerade von
Kollegen Himmer eine Meldung bezüglich Herrgott höre: Es mag schon stimmen,
dass die ÖVP einen besseren Draht zu Gott hat als wir (Bundesrat Schennach: Aber
nicht die GÖD!), aber ich
kann euch garantieren: Wir haben einen besseren Draht zu den Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmern – und das ist mir wesentlich wichtiger! (Beifall
bei der SPÖ und den Grünen.)
20.29
Vizepräsident Jürgen Weiss: Als
Nächstem erteile ich Herrn Bundesrat Klaus Gasteiger das Wort. Restredezeit:
11 Minuten. – Bitte. (Bundesrat Gasteiger –
auf dem Weg zum Rednerpult –: Ich habe es gleich!)
20.29
Bundesrat Klaus Gasteiger (SPÖ, Tirol): Herr Vizepräsident!
Herr Staatssekretär! Hohes Haus! Da ich weiß, dass ich den Ordnungsruf Kollegen
Bieringer zu „verdanken“ habe – ich habe aber kein Problem damit –,
sei es mir erlaubt, zu bemerken, dass Kollege Bieringer wahrscheinlich nicht
während der gesamten Zeit, als ich hier am Rednerpult gestanden bin, im Saal
anwesend war, denn sonst hättest du, Kollege Bieringer, vielleicht gecheckt,
dass dieser letzte Satz, für den ich den Ordnungsruf bekommen habe, im
Zusammenhang mit der – unter Anführungszeichen –
„Pensionssicherungsreform“ gefallen ist.
Noch einen Satz zu
Kollegen Kritzinger: Du hast ganz beiläufig gesagt, dass man in Tirol über dieses
Thema, über das jetzt geredet wurde, sprechen könne. Dazu sei bitte Folgendes
bemerkt (Bundesrat Kritzinger: Gesundheitsthema!):
Der ÖGB hat in
Tirol in allen Bezirken zum Thema „Pensionssicherungsreform“ Diskussionsrunden
abgehalten. (Bundesrätin Bachner: So ist es! – Bundesrat Schennach: Mit Dinkhauser? – Bundesrätin
Bachner: ... nicht gekommen!)
Wer hat gefehlt? – Die Abgeordneten der Freiheitlichen und die
Abgeordneten der ÖVP sind nicht dabei gewesen, sie haben sich nicht den Diskussionen
der Menschen gestellt, die ein Problem damit haben, die demonstrieren gehen! (Bundesrat Kritzinger: ... hat den Vorsitz geführt!?!) Das ist die
Wahrheit! – Danke. (Beifall bei der SPÖ.)
20.30
Vizepräsident Jürgen Weiss: Nächster Redner ist Herr Bundesrat Professor Albrecht Konecny. Ich erteile ihm das Wort.
20.30
Bundesrat Albrecht Konecny (SPÖ, Wien): Herr Präsident! Herr Staatssekretär! Meine Damen und Herren! Wir haben – und ich stelle das ohne besondere Erregung fest – erlebt, wie der Herr Staatssekretär in gestoppten 2 Minuten 29 Sekunden eine Frage beantwortet hat, das allerdings sehr korrekt und sehr genau. Er hat uns tatsächlich den Posteingang der Schreiben von fünf Bundesländern, in denen jeweils die Einleitung des Konsultationsmechanismus verlangt wird, exakt mitgeteilt.
Er hat behauptet, dass er die Fragen 1 bis 11 „unter einem“ beantwortet. Ich habe zwar schon viele Bedeutungen des Wortes „einem“ gehört – von Wortspielen bis zu Caspar Einem –, aber dass es „nichts“ heißt, ist mir bisher aus Wörterbüchern und der Literatur nicht bekannt geworden.
Sie haben weder irgendetwas zur Abfolge und zum Ablauf des Konsultationsmechanismus gesagt – insbesondere nicht zur Kernfrage, nämlich ob vor dem 4. Juni in dieser Sache etwas passieren wird –, noch haben Sie etwas zu den Ihnen selbstverständlich – Ihnen vielleicht nicht, das weiß ich nicht, aber der Bundesregierung jedenfalls – bekannt zu sein habenden finanziellen Ansprüchen der Länder gesagt, die allenfalls abzugelten sind und wofür budgetär vorzusorgen wäre.
Wenn dafür budgetär nicht vorgesorgt ist, dann beschließt der Nationalrat am 4. Juni nebst dem Budgetbegleitgesetz auch Makulatur, nämlich ein Budget, in dem – die Zahlen wurden für einige Bundesländer genannt – nicht ganz unwesentliche Ansprüche an die Adresse des Bun-
Bundesrat | 696. Sitzung / Seite 115 |
des fehlen. Sie sind nicht im Finanzressort, Sie haben das persönlich nicht zu verantworten, insofern ist Ihnen persönlich kein Vorwurf zu machen, dass Sie diese heikle Materie nicht anschneiden. Aber der Herr Bundeskanzler hätte das beantworten müssen, weil er die Gesamtverantwortung trägt.
Es steht Ihnen zu – das ist eine parlamentarisch-geschäftsordnungsmäßige Entscheidung, ob sie demokratisch ist, ist eine andere Frage –, einen Zitationsantrag hinsichtlich des Herrn Bundeskanzlers abzulehnen. Ich frage mich allerdings, wie – ich habe das schon in meiner Begründung gesagt – unter diesen Bedingungen der Begriff Dialog eigentlich definiert wird.
Sie geben uns keine Antwort, und den Herrn Bundeskanzler beschützt die Mehrheit dieses Gremiums vor der Zumutung, im Bundesrat etwas über den „Runden Tisch“ berichten zu müssen. – Dialog würde ich das nicht nennen. Wir stellen auch – ich will ja nicht sagen, wir haben es geahnt – nach den Berichten, die Mitglieder des Hauses erreicht haben, durchaus mit Enttäuschung fest, dass das, was am „ovalen Tisch“ stattgefunden hat, auch kein Dialog war.
Ich war beeindruckt – das sage ich ganz ehrlich –, dass Sie, meine Damen und Herren namentlich von der rechten Seite des Hauses, meiner nicht ganz kurzen Einleitung – was immer Sie dabei gefühlt haben – aufmerksam zugehört haben. Ich bedanke mich daher dafür, weil es mir – ich hoffe, ich habe das deutlich gemacht – darum ging, an Sie ganz persönlich zu appellieren.
Insofern möchte ich das aufgreifen, was Kollegin Bachner gerade gesagt hat: Hier geht es um ein künftiges Gesetzeswerk, das tatsächlich zutiefst in das Leben praktisch jedes Einzelnen in diesem Land eingreift. Die wenigen, die völlig außerhalb unseres Pensionssystems leben, fallen numerisch kaum ins Gewicht. Natürlich ist der ASVG-Bereich zwar der größte, aber wahrlich nicht das gesamte System, aber selbst der Herr Bundeskanzler geht, wenn auch nach unserer festen Überzeugung in der falschen Reihenfolge, davon aus, dass eine Harmonisierung der Systeme erforderlich ist.
Wenn man sich nun an ein Gesetzeswerk heranmacht, das nicht die Novellierung des Segelschulgesetzes für das Bundesland Kärnten – das hat es einmal gegeben, ich weiß nicht, ob es das noch gibt; es hat mich besonders amüsiert, dass das eine Bundesmaterie war – beinhaltet, sondern in dem es um etwas geht, was jeden Einzelnen in diesem Land betrifft, dann ist das reflexartige Zubeißen, das ich Kollegen Himmer bescheinige, mit einer gewissen Virtuosität zu spielen, nicht die richtige Reaktion. – Kollege Hagen! Auch das Ihrem politischen und persönlichen Umfeld – vielleicht Ihrer persönlichen Geschichte, die ich nicht kenne – entsprechende reflexartige Zubeißen auf die Gewerkschaftsbewegung nach dem Motto „Das sind die Mandl, die man mit den Gratiswürstln holt!“, halte ich für nicht angebracht!
Ich kann verstehen, dass es Menschen gibt, die mit derartigen Reflexen reagieren – ich habe auch Vorurteile, die aus meinem Umfeld kommen und nicht alle richtig sind! Aber bei einer solchen Materie sollten wir – auch wir, das sage ich ganz ehrlich, aber Sie auch! –, so weit wir in der Lage dazu sind – wir sind natürlich nicht gänzlich in der Lage dazu, wir alle sind keine Roboter, die Emotionen gehen bei so etwas hoch! –, versuchen, nach diesen einfachen Antworten, diesen vordergründigen Reaktionen und auch vordergründigen Polemiken wieder zum Kern der Angelegenheit zurückzufinden.
Das heißt überhaupt nicht, dass irgendjemand leugnet, dass es hier Divergenzen gibt und auch Gruppeninteressen, die nicht deshalb illegitim sind, weil sie Interessen einer Gruppe sind, sondern die mitzudiskutieren und mit zu berücksichtigen sind.
Das, was Kollegin Bachner gesagt hat und was einige von Ihnen aus mir völlig unbegreiflichen Gründen ziemlich empört hat, möchte ich jetzt ausdrücklich wiederholen: Jeder ist seines Glückes und seines Mandates Schmied! Wähler zu verärgern, ist eine politische Verantwortung, die man letztlich selbst trägt. Kollege Todt hat Ihnen vorgelesen, was Ihrer Partei am Bürgertelefon und im Internet so alles erzählt wird. Wir bekommen inhaltlich dieselben Messages, nur: Uns beschimpfen sie nicht, das ist angenehmer, das gebe ich schon zu! (Beifall bei der SPÖ.)
Bundesrat | 696. Sitzung / Seite 116 |
Aber der springende Punkt ist doch: Wenn die Antwort darauf ist – und der Herr Bundeskanzler hat das, mit Verlaub gesagt, absurderweise nach dem „Runden Tisch“ verkündet, vielleicht hätte er das auch als Antwort hier gegeben; die hätte er Ihnen (der Redner wendet sich kurz Staatssekretär Morak zu) aber auch am Handy durchgeben können –, dass es die logische Reaktion nach dem „Runden Tisch“ sei, die Informationstätigkeit zu verstärken, dann kann man nur sagen: Das tut doch die Bundesregierung seit drei Tagen!
Es gibt bereits kleine, aber immerhin ganz professionell gestaltete Anzeigen, mit der weltbewegenden Aussage „Bestehende Pensionen werden nicht angetastet“. (Bundesrat Kritzinger: Das ist ein bedeutender Satz!) – Ja. Das kommt gleich nach dem elften Gebot!
Herr Kollege! Hat irgendjemand in dieser politischen Debatte gesagt, die ÖVP oder die Bundesregierung wolle die bestehenden Pensionen antasten? (Staatssekretär Morak: Na, schon! – Zwischenruf des Bundesrates Bieringer.) – Schon? Herr Kollege Staatssekretär! Herr Kollege Fraktionsvorsitzender! Seien Sie mir nicht böse! Es wurden Hunderte Beispiele gerechnet und veröffentlicht, von denen Sie immer nur pauschal gesagt haben, die seien falsch, ohne ein einziges Beispiel widerlegen zu können, weil sie natürlich nicht falsch sind, sondern im Rahmen dessen, was man in einem Beispiel rechnen kann, da es nur ein paar persönliche Faktoren im Einzelfall geben kann, die es besser, aber auch schlechter machen können, absolut richtig sind!
Wir sprechen heute über die künftigen Pensionsansprüche der jetzt Berufstätigen. Ich habe meine Meinung dazu, und ich habe das sehr offen in der Begründung meiner Anfrage ausgebreitet. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass, wenn all das über die Bühne gegangen ist, das Thema rund um die bereits bestehenden Pensionsansprüche sehr wohl aufgegriffen wird!
Aber zu der
Gesetzesvorlage, von der wir meinen, dass sie nicht beschließbar ist, weil sie
Unsinn ist, und dass sie schon gar nicht am 4. Juni beschlossen werden
kann, weil sie bis dahin nicht ernsthaft diskutiert werden kann, hat niemand
gesagt, dass sie Kürzungen bestehender Pensionen beinhaltet. Das wäre auch
falsch. Unsere Beispiele und Aussagen haben also einen Nachteil für Sie: Sie
sind schlichtweg mathematisch und politisch richtig. (Beifall bei der
SPÖ. – Zwischenruf des Bundesrates
Mag. Himmer.)
Wenn die
Aufklärungskampagne darin besteht, etwas zu sagen, wozu niemand das Gegenteil
behauptet hat, dann wird es wieder einmal – das ist nicht mein Problem,
sondern Ihr Problem! – viele Menschen geben, die sich das fühlen, was man
in Wien „gepflanzt“ nennt. (Bundesrat
Kritzinger: Das war eine Aussage und nicht mehr!) Das war vor allem
eine Aussage um Steuergeld, Herr Kollege! Das hat Herr Dr. Schüssel
nicht aus seiner Aufwandsentschädigung bezahlt! Ich meine, das ist eine
Werbekampagne der Bundesregierung für dieses Gesetz, und da wird etwas
behauptet, was zwar als solches richtig ist, jedoch nichts mit dem Gesetz zu
tun hat! (Zwischenruf des
Bundesrates Mag. Himmer.)
Mit derselben Begründung könnten Sie argumentieren, dass es richtig ist,
eine Anzeige mit dem Wortlaut zu schalten: Die Bundesregierung stellt sicher,
dass es auch heuer einen 31. Dezember gibt! (Beifall und Heiterkeit bei
der SPÖ. – Zwischenruf des Bundesrates
Bieringer. – Weitere Zwischenrufe bei der ÖVP.)
Meine Damen und Herren!
Ich verstehe Ihre Aufregung. Ich verstehe Ihre Aufregung völlig! Ich leide mit
Ihnen. Glauben Sie mir: In meinem langen politischen Leben habe ich auch schon
Situationen erlebt, in welchen ich mich in meiner politischen Haut nicht
rasend wohl gefühlt habe. Diese lange politische Erfahrung macht es mir
möglich, mir vorzustellen, wie sich viele – nicht alle, aber viele –
von Ihnen fühlen. (Bundesrat
Mag. Himmer: Trotzdem täuschen Sie sich!) – Bei Ihnen täusche ich mich
nie! Herr Kollege! Es gibt aber Menschen – vielleicht Kollege Neugebauer
oder auch Kollege Schöls, den wir alle gut kennen, und er hat es gesagt –,
die angekündigt haben, dass sie sicherlich nicht leichten Herzens eine
Entscheidung treffen werden, wie ich sie mir von manchen von Ihnen auch
erwarte.
Ich sage das ganz ehrlich: Jenseits aller politischen Polemik schätzen wir viele von Ihnen so ein, dass sie in einer derart zentralen Frage nicht nach dem, was Ludwig sagt, sondern nach ihrem Gewissen entscheiden werden. Ich glaube, dass viele Mitglieder dieses Hauses mit die-
Bundesrat | 696. Sitzung / Seite 117 |
ser Reform auch dann nicht einverstanden sind,
auch wenn sie den Rednern der ÖVP – wie ich in diesem Fall sagen
muss – applaudieren. Das ist kontrollierbar, ihre Gefühle nicht.
Ich kann mich an
die Mitte des Hauses – wie immer man das jetzt politisch wertet, aber das
ist Wurscht – wendend sagen, dass ich bei vielen Kolleginnen und Kollegen
von der Freiheitlichen Partei denselben Prozess sehe. Ich bin wirklich gespannt
darauf, wie im Nationalrat und – wenn dort nicht – wie nachher im
Bundesrat die Entscheidung fällt.
Herr Präsident
Khol hat gesagt: Das ist eine Sache des Parlaments. Das geht den Bundespräsidenten
nichts und die berüchtigte Straße schon gar nichts an. – Ich sage Ihnen:
Ich bin in einer Hinsicht fast der Meinung des Präsidenten Khol: Das ist eine
Frage, die zu einer Sternstunde des Parlaments werden könnte, und zwar dann,
wenn das Parlament einmal in einer ganz zentralen Frage, die jede
Österreicherin und jeden Österreicher betrifft, anders entscheidet, als sich
das der Bundeskanzler vorstellt. (Beifall bei der SPÖ.)
20.44
Vizepräsident
Jürgen Weiss: Nächster Redner ist Herr Bundesrat
Ludwig Bieringer. Ich erteile ihm das Wort.
20.44
Bundesrat
Ludwig Bieringer (ÖVP, Salzburg): Herr Präsident!
Herr Staatssekretär! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege
Gasteiger! Sie haben die ÖVP-Kollegen aus Tirol zitiert und gesagt ... (Zwischenruf
des Bundesrates Gasteiger.) – Lassen Sie mich einmal ausreden!
Seien Sie nicht nervös! Was haben Sie denn? (Bundesrat Gasteiger:
Passt schon!) Sie haben gesagt, dass sie zu den ÖGB-Veranstaltungen nicht
gekommen seien. (Bundesrat Gasteiger: Richtig!) Ich halte für die
beiden Anwesenden, für Kollegen Ager und für Kollegen Kritzinger, fest, dass
sie bis heute noch nie eine Einladung bekommen haben, an einer solchen Diskussion
teilzunehmen. (Bundesrat Mag. Tusek: Hört! Hört –
Zwischenruf des Bundesrates Binna.)
Erstens: Sie
können nicht verlangen, dass irgendjemand an einer Diskussion des ÖGB teilnimmt,
wenn er keine Einladung dazu bekommt. (Bundesrat Gasteiger: Es gibt
doch auch Nationalratsabgeordnete!) – Lassen Sie mich ausreden! Warum
sind Sie so nervös? (Bundesrat Gasteiger: Ihr seid nervös!) Sie
haben uns in den letzten drei Jahre immer vorgehalten, dass wir nervös sind. Am
24. November 2002 hat Österreichs Bevölkerung eindeutig festgestellt, wer
nervös sein muss. Und ich halte ausdrücklich fest: nicht die ÖVP! (Beifall
bei der ÖVP. – Zwischenruf des Bundesrates Konecny.) Umfragen sind eine Sache, Wahlen eine andere.
Wahlen abwarten und dann weiterreden, Herr Kollege Konecny!
Jetzt kommen wir
wieder zurück nach Tirol. (Bundesrat Gasteiger: Ein schönes
Bundesland!) Ich habe gestern mit der Frau Abgeordneten zum Nationalrat
Grander gesprochen, und sie hat mir erzählt, dass sie bei einer solchen
Diskussion war. Wahrscheinlich ist sie eingeladen worden! (Bundesrat Gasteiger:
Weiß ich nicht!) Wenn ÖVP-Abgeordnete eingeladen werden, dann gehen sie
auch zur Diskussion und stellen sich dieser. (Zwischenrufe bei der SPÖ.)
Ich sage das genauso, wie Sie Ihre Behauptungen treffen. Da steht Aussage gegen Aussage. Ich als Fraktionsobmann lasse nicht gelten, dass von meinen Kollegen, die hier sitzen, die keine Einladung bekommen haben, hier gesagt wird, dass sie zu keiner Diskussion gegangen sind! Das werden Sie zur Kenntnis nehmen müssen: Wenn jemand nicht eingeladen wird, dann kann er nicht kommen. (Beifall bei der ÖVP und bei Bundesräten der Freiheitlichen.)
20.47
Vizepräsident
Jürgen Weiss: Weitere Wortmeldungen liegen nicht
vor
Wünscht noch
jemand das Wort? – Es ist dies nicht der Fall.
Die Debatte ist
geschlossen.
Bundesrat | 696. Sitzung / Seite 118 |
Ich gebe noch
bekannt, dass seit der letzten beziehungsweise in der heutigen Sitzung insgesamt
sieben Anfragen, 2067/J bis 2073/J, eingebracht wurden.
Die Einberufung
der nächsten Sitzung des
Bundesrates wird auf schriftlichem Wege erfolgen. Als Sitzungstermin ist
Montag, der 23. Juni 2003, 9 Uhr in Aussicht genommen. Ich
bitte, noch die Plätze zu behalten, es folgt noch eine wichtige Mitteilung!
Für die
Tagesordnung dieser Sitzung kommen jene Vorlagen in Betracht, die der
Nationalrat bis dahin verabschiedet haben wird, soweit sie dem Einspruchsrecht
beziehungsweise Zustimmungsrecht des Bundesrates unterliegen.
Die
Ausschussvorberatungen sind für Dienstag, den 17. Juni 2003, ab
14 Uhr vorgesehen.
Die Sitzung ist geschlossen.
Schluss der
Sitzung: 20.48 Uhr
Wiener Zeitung Digitale Publikationen GmbH 786 |