Stenographisches Protokoll

114. Sitzung des Nationalrates der Republik Österreich

 

XX. Gesetzgebungsperiode

 

Donnerstag, 26. März 1998

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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114. Sitzung des Nationalrates der Republik Österreich

XX. Gesetzgebungsperiode Donnerstag, 26. März 1998

Dauer der Sitzung

Donnerstag, 26. März 1998: 21.31 – 22.53 Uhr

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Tagesordnung

Bericht über den Antrag 721/A der Abgeordneten Annemarie Reitsamer, Dr. Gottfried Feurstein und Genossen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Arbeitslosenversicherungsgesetz 1977 geändert wird

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Inhalt

Personalien

Verhinderungen 3

Geschäftsbehandlung

Absehen von der 24stündigen Frist für das Aufliegen des schriftlichen Ausschußberichtes 1109 d. B. gemäß § 44 Abs. 2 der Geschäftsordnung 4

Redezeitbeschränkung nach Beratung in der Präsidialkonferenz gemäß § 57 Abs. 3 Z. 2 der Geschäftsordnung 5

Verlesung der vorgesehenen Fassung des Amtlichen Protokolls dieser Sitzung durch Präsidenten Dr. Heinz Fischer 21

Genehmigung des Amtlichen Protokolls 22

Ausschüsse

Zuweisungen 3

Verhandlungen

Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales über den Antrag 721/A der Abgeordneten Annemarie Reitsamer, Dr. Gottfried Feurstein und Genossen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Arbeitslosenversicherungsgesetz 1977 geändert wird (1109 d. B.) 5

Redner:

Edith Haller 5

Marianne Hagenhofer 7

Dr. Volker Kier 8


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Dr. Gottfried Feurstein 11

Karl Öllinger 12

Bundesministerin Eleonora Hostasch 15

Sigisbert Dolinschek 17

Mag. Terezija Stoisits 18

Josef Meisinger 19

MMag. Dr. Madeleine Petrovic 20

Annahme des Gesetzentwurfes in 1109 d. B. 21

Eingebracht wurden

Regierungsvorlagen 3

1084: Änderungen zur Anlage des Internationalen Übereinkommens zur Regelung des Walfangs, 1946

1098: 6. Protokoll zum Allgemeinen Abkommen über die Vorrechte und Immunitäten des Europarates

 


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Beginn der Sitzung: 21.31 Uhr

Vorsitzender: Präsident Dr. Heinz Fischer.

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Präsident Dr. Heinz Fischer: Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich eröffne die 114. Sitzung des Nationalrates, die dann gleich zu einer Abstimmung über den Verzicht auf eine Aufliegefrist führen wird.

Ich gebe bekannt, daß die Abgeordneten Dkfm. Bauer, Dipl.-Ing. Prinzhorn, Dr. Haselsteiner, Scheibner, Mag. Haupt, Wenitsch und Mag. Schweitzer als verhindert gemeldet sind.

Einlauf und Zuweisungen

Präsident Dr. Heinz Fischer: Hinsichtlich der eingelangten Verhandlungsgegenstände und deren Zuweisung verweise ich auf die im Sitzungssaal verteilte schriftliche Mitteilung.

Die schriftliche Mitteilung hat folgenden Wortlaut:

Zuweisungen in dieser Sitzung:

zur Vorberatung:

Ausschuß für Arbeit und Soziales:

Antrag 729/A (E) der Abgeordneten Theresia Haidlmayr und Genossen betreffend Schaffung eines einheitlichen, bundesweit gültigen Pensionistenausweises,

Antrag 730/A (E) der Abgeordneten Theresia Haidlmayr und Genossen betreffend Aufhebung der neuen Einstufungskriterien für die Pflegegeldstufen 5, 6 und 7 in der Novelle zum Bundespflegegeldgesetz,

Antrag 734/A (E) der Abgeordneten Theresia Haidlmayr und Genossen betreffend Anhebung der Ausgleichstaxe nach dem Behinderteneinstellungsgesetz;

Außenpolitischer Ausschuß:

Änderungen zur Anlage des Internationalen Übereinkommens zur Regelung des Walfangs, 1946 (1084 der Beilagen),

6. Protokoll zum Allgemeinen Abkommen über die Vorrechte und Immunitäten des Europarates (1098 der Beilagen);

Finanzausschuß:

Antrag 725/A (E) der Abgeordneten Mag. Helmut Peter und Genossen betreffend Verstaatlichung der Oesterreichischen Nationalbank;

Gesundheitsausschuß:

Antrag 736/A (E) der Abgeordneten Dr. Gabriela Moser und Genossen betreffend Vorsorgemaßnahmen im Bereich der flächendeckenden Installation von Mobilfunksendeanlagen;

Gleichbehandlungsausschuß:

Antrag 724/A (E) der Abgeordneten Maria Schaffenrath und Genossen betreffend erhöhte steuerliche Absetzbarkeit von Betriebskindergärten,


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Antrag 739/A (E) der Abgeordneten Maria Schaffenrath und Genossen betreffend steuerliche Absetzbarkeit von Kinderbetreuungskosten;

Ausschuß für innere Angelegenheiten:

Antrag 727/A (E) der Abgeordneten Dr. Jörg Haider und Genossen betreffend Maßnahmen gegen den illegalen Waffenbesitz und -handel,

Antrag 735/A (E) der Abgeordneten Dr. Gabriela Moser und Genossen betreffend Auflösung des Vereins "Dichterstein" in Offenhausen;

Unterrichtsausschuß:

Antrag 732/A der Abgeordneten Maria Schaffenrath und Genossen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Schulpflichtgesetz 1985 geändert wird;

Verfassungsausschuß:

Antrag 723/A (E) der Abgeordneten Andreas Wabl und Genossen betreffend Versagung des Vertrauens gegenüber dem Bundesminister für Landesverteidigung,

Antrag 726/A (E) der Abgeordneten MMag. Dr. Madeleine Petrovic und Genossen betreffend Kostentragung für Verfahren zur nachträglichen Auflagenerteilung,

Antrag 733/A (E) der Abgeordneten Klara Motter und Genossen betreffend Vereinfachung des Rechtszugangs für den Bürger;

Verkehrsausschuß:

Antrag 728/A (E) der Abgeordneten Peter Rosenstingl und Genossen betreffend Alternative zum Semmering-Basistunnel,

Antrag 737/A (E) der Abgeordneten Dr. Gabriela Moser und Genossen betreffend Forschungsprogramm über Auswirkungen von GSM-Emissionen,

Antrag 738/A (E) der Abgeordneten Dr. Gabriela Moser und Genossen betreffend Novellierung des Telekommunikationsgesetzes;

Ausschuß für Wissenschaft und Forschung:

Antrag 731/A der Abgeordneten DDr. Erwin Niederwieser, Dipl.-Vw. Dr. Dieter Lukesch und Genossen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Bundesgesetz über Fachhochschul-Studiengänge (FHStG) geändert wird.

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Absehen von der 24stündigen Aufliegefrist

Präsident Dr. Heinz Fischer: Um den Bericht 1109 der Beilagen des Ausschusses für Arbeit und Soziales über den Antrag 721/A der Abgeordneten Reitsamer, Dr. Feurstein betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Arbeitslosenversicherungsgesetz 1977 geändert wird, in Verhandlung nehmen zu können, ist es nach den Bestimmungen des § 44 Abs. 2 der Geschäftsordnung notwendig, mit Zweidrittelmehrheit von der 24stündigen Aufliegefrist für diesen Ausschußbericht Abstand zu nehmen.

Ich stelle das nötige Quorum dafür fest und bitte jene Damen und Herren, die der Abstandnahme von der Aufliegefrist nach § 44 der Geschäftsordnung zustimmen, um ein diesbezügliches Zeichen. – Das ist mit der erforderlichen Zweidrittelmehrheit angenommen.


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Damit können wir in die Tagesordnung eingehen. Sie umfaßt nur einen einzigen Punkt, nämlich den soeben mit Zweidrittelmehrheit durch Abstandnahme von der Aufliegefrist verhandelbar gemachten Bericht des Sozialausschusses.

Redezeitbeschränkung

Präsident Dr. Heinz Fischer: Wir haben über die Redezeiten dahin gehend Konsens erzielt, daß jeder Fraktion – ähnlich wie bei einer Dringlichen Anfrage – eine Redezeit von maximal 25 Minuten zur Verfügung steht.

Gibt es gegen diesen Vorschlag Einwendungen? – Das ist nicht der Fall. Dann werden wir so vorgehen.

Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales über den Antrag 721/A der Abgeordneten Annemarie Reitsamer, Dr. Gottfried Feurstein und Genossen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Arbeitslosenversicherungsgesetz 1977 geändert wird (1109 der Beilagen)

Präsident Dr. Heinz Fischer: Ich rufe den Ausschußbericht 1109 der Beilagen auf.

Wird eine mündliche Berichterstattung gewünscht? – Dies ist nicht der Fall. Der schriftliche Ausschußbericht liegt ja vor.

Zu Wort gemeldet hat sich Frau Abgeordnete Edith Haller. – Bitte, Frau Abgeordnete.

21.34

Abgeordnete Edith Haller (Freiheitliche): Sehr geehrter Herr Präsident! Frau Bundesministerin! Meine Damen und Herren! Das Arbeitslosenversicherungsgesetz soll heute und hier geändert werden, und zwar im Bereich der Notstandshilfe. Daß bei der derzeit stark zunehmenden Arbeitslosigkeit gerade dieser Bereich eine äußerst sensible Materie darstellt, ist wohl klar, und das hat auch das Interesse der Medien an der vorhergehenden Sitzung des Sozialausschusses sowie die Berichterstattung in den Printmedien dokumentiert.

Dieser Bereich ist aber auch ein Sittenbild, in dem sich zeigt, wie die österreichische Koalitionsregierung, und zwar wider besseres Wissen, Entscheidungen fällt oder aber Entscheidungen, wie eben in diesem Fall, vor sich her schiebt.

Nach § 33 und § 34 des Arbeitslosenversicherungsgesetzes hatten Ausländer, obwohl sie gleich wie Inländer Beiträge zur Arbeitslosenversicherung entrichten müssen, normalerweise keinen beziehungsweise maximal einen auf ein Jahr begrenzten Anspruch auf Notstandshilfe.

Bereits Ende des Jahres 1996 hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte entschieden, daß diese Regelung nicht Artikel 14 der Europäischen Menschenrechtskonvention entspricht. Das war am 16. September 1996 im Verfahren des türkischen Beschwerdeführers – ich spreche den Namen vielleicht nicht ganz richtig aus – Gaygusuz . Bereits damals stand der Leitsatz fest, unter dem dieses Urteil zustande gekommen war: Das Recht auf Notstandshilfe ist ein vermögenswertes Recht, und es ist an die Zahlung von Beiträgen zur Arbeitslosenversicherung geknüpft. – Das hat letztlich dazu geführt, daß dem Beschwerdeführer die Notstandshilfe nachgezahlt werden mußte.

Daraufhin wurde von der Regierung und mit den Stimmen der beiden Koalitionsparteien Anfang 1997 eine neue Lösung des Problems beschlossen, und zwar eine Regelung, die unabhängig von der Staatsangehörigkeit gilt, aber eine Abgrenzung insofern vorsieht, als die Gewährung der Notstandshilfe von der Geburt in Österreich, vom Verbringen der halben Lebenszeit oder – bei Unterfünfundzwanzigjährigen – der halben Schulzeit in Österreich oder von einer achtjährigen Beitragsleistung abhängig ist.

Wir Freiheitlichen haben damals der Vorlage nicht zugestimmt, weil sie einerseits Inländer benachteiligt und andererseits vielen Ausländern unbeschränkten Zugang zur Notstandshilfe


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verschafft hätte, den es vorher nicht gab. Das hätte logischerweise eine Ausweitung des Kreises ausländischer Anspruchsberechtigter zur Folge gehabt und hätte sich, wenn man nicht das Inkrafttreten auf den 1. Jänner 2000 hinausgeschoben hätte, selbstverständlich bereits damals auf der Kostenseite gravierend niedergeschlagen. Das war wohl auch der Grund dafür, daß man als Termin für das Inkrafttreten dieses Gesetzes den 1. Jänner 2000 festlegte.

Bereits damals wurde versucht, die Mehrkosten genau zu beziffern. Ich zitiere hier aus dem Anhang zur Änderung des Arbeitslosenversicherungsgesetzes aus 1997. Darin liegt eine Kostenschätzung vor, die, genau aufgeschlüsselt nach Anspruchsberechtigung infolge von acht beziehungsweise mehr Jahren Beschäftigung in Österreich oder Berechtigung der in zweiter Generation hier Ansässigen und so weiter, für das Jahr 1998 einen Mehraufwand von 159,6 Millionen Schilling, für das Jahr 1999 einen Mehraufwand von 185,3 Millionen und für das Jahr 2000 einen Mehraufwand von 400 Millionen Schilling prognostiziert. – Die Finanzierungsfrage wurde mir damals nicht beantwortet.

Jetzt hat der Verfassungsgerichtshof aufgrund mehrerer Beschwerden in Österreich mit sofortiger Wirkung dieses im Jahr 1997 beschlossene Gesetz zur Änderung des Arbeitslosenversicherungsgesetzes wegen Menschenrechtswidrigkeit aufgehoben. Dies hätte zur Folge, daß ab sofort alle Ausländer – genauso wie die Inländer – unbeschränkten Anspruch auf Notstandshilfe hätten.

Man hat jetzt die Kostenfrage angezogen: Was würde es kosten, wenn man nicht sofort reagieren würde? – Wir haben heute im Ausschuß von der Frau Bundesministerin gehört, daß man auf vorausberechnete Mehrkosten von 1,1 Milliarden Schilling per anno gekommen wäre. Dadurch ergibt sich jetzt das Bestreben der Bundesregierung und der beiden Regierungsparteien, das Inkrafttreten sozusagen unter finanziellem Zwang vorzuverlegen. Anscheinend wird – zumindest wurde uns das versichert – der Fristenlauf ordnungsgemäß vonstatten gehen. Wir hatten heute eine zusätzliche Sozialausschußsitzung, jetzt haben wir eine zusätzliche Plenarsitzung, und morgen wird es diesbezüglich eine Sondersitzung des Bundesrates geben. Der Bundeskanzler wird – so haben wir zumindest vernommen – noch vor dem 1. April diese neue Gesetzesmaterie veröffentlichen können. So weit, so gut oder so weit, nicht so gut.

Es sind in diesem Zusammenhang vor allem in letzter Zeit ein paar interessante Dinge geschehen. Interessant ist, daß die Arbeitsmarktservicestellen bereits am 24. März per Telefax von der Zentrale aufgefordert wurden, keine Entscheidungen über neue Anträge zu fällen. Das mag im Sinne der Kostenminimierung vielleicht sinnvoll sein, aber es ist sicherlich nicht ganz korrekt dem Bürger gegenüber. Interessant ist aber vor allem, daß heute die Frau Bundesministerin in ihrer Antwort auf meine Frage nach den zusätzlichen Kosten ganz andere Zahlen genannt hat: Im Jahre 1998 werde es zusätzliche Kosten von 35 Millionen Schilling geben, im Jahre 1999 würden es 52 Millionen Schilling sein.

Da ich aber annehme, daß die Berechnungen im vergangenen Jahr doch hinreichend genau durchgeführt wurden und man schon damals versucht war, sie eher niedrig anzusetzen, muß ich mich jetzt fragen, wie die Sachlage in dieser Hinsicht wirklich ist und worin der Widerspruch in diesen Gesetzesvorlagen besteht. Irgend etwas, irgendeine Auskunft kann da ja wohl nicht stimmen, vor allem deshalb, weil im Begutachtungsverfahren bereits in der Stellungnahme der Gemeinde Wien von 29 bis 59 Millionen Schilling an Mehrkosten pro Jahr gesprochen wurde.

Das Resümee für uns Freiheitliche ist nun folgendes: Wir werden diesem Änderungsantrag selbstverständlich wieder nicht zustimmen, und zwar deshalb, weil der vorliegende Vorziehungsantrag eine neuerliche Beeinspruchung der Materie durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ja nicht ausschließt, ebensowenig wie eine Beeinspruchung durch den Verfassungsgerichtshof. Das wurde ja bereits im vergangenen Jahr vom Verfassungsdienst des Bundeskanzleramtes bestätigt.

Wir werden nicht zustimmen, da wir als Oppositionspartei die blauäugige Haltung und Vorgangsweise der Bundesregierung in diesem Bereich einfach nicht billigen können. Wir werden nicht zustimmen, da wir für eine Neukonstruktion des Notstandshilfegesetzes eintreten und da


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wir sogar vom Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 11. März 1998 mit seinen auf Seite 21 dargelegten Vorschlägen in dieser Haltung recht bekommen. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

21.44

Präsident Dr. Heinz Fischer: Nächste Rednerin ist Frau Abgeordnete Marianne Hagenhofer. – Bitte, Frau Abgeordnete.

21.44

Abgeordnete Marianne Hagenhofer (SPÖ): Herr Präsident! Frau Bundesministerin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Der Europäische Gerichtshof für Menschenrecht hat – Frau Kollegin Haller hat das ebenfalls schon angesprochen – in dem Urteil vom 16. September 1996 klargestellt, daß das durch das Arbeitslosenversicherungsgesetz eingeräumte Recht auf Notstandshilfe eine Sozialversicherungsleistung und keine Leistung der Fürsorge ist.

Genau auf dieses Urteil hin wurde 1997 in der Regierungsvorlage 689 aus 1997 beschlossen, daß alle Arbeitslosen – unabhängig von der Staatsbürgerschaft – unter bestimmten Voraussetzungen Anspruch auf Notstandshilfe haben, wenn sie – das darf ich noch einmal kurz zitieren – entweder in Österreich geboren sind oder ihre halbe Lebenszeit oder, wenn sie unter 25 Jahre alt sind, die halbe Pflichtschulzeit in Österreich verbracht haben. (Abg. Dr. Petrovic: Was hat das mit der Versicherung zu tun?)  – Hören Sie mir bitte zu, Frau Kollegin! – Liegen diese Voraussetzungen nicht vor, ist eine mindestens achtjährige Beitragsleistung zur Arbeitslosenversicherung während der letzten zehn Jahre notwendig.

Die Regierungsparteien waren der Meinung, daß diese Vorgangsweise der sozialere Weg ist als jener, die Notstandshilfe einfach zu kappen und die betroffenen Personen dann der Sozialhilfe zuzuweisen. (Abg. Öllinger: Warum?)

Es sei auch angemerkt – das wird immer verschwiegen –, daß Österreich mit diesem Gesetz EU-weit die beste Regelung im Bereich der Notstandshilfe hat. (Abg. Dr. Petrovic: Eine rassistische Regelung!) Es geschah durchaus in Anwendung einer üblichen Praxis nach Urteilen des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte, für diese beschlossene Gesetzesnovelle den 1. Jänner 2000 als Tag des Inkrafttretens festzulegen. Das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes entspricht in seinem Kern dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes, es sieht allerdings – entgegen der sonstigen Praxis – die sofortige Aufhebung von § 33 Abs. 2 lit. a sowie § 34 Abs. 3 und 4 vor.

Da Sie, Frau Kollegin Haller, das Schreiben des AMS angesprochen haben, sei auch folgendes klargestellt: Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales wurde vom Verfassungsgerichtshof nicht informiert, sondern nur die belangte Behörde. Aber über die Medien wurde das Urteil bekannt, und es bestand schlichtweg Verunsicherung unter den Menschen. Das AMS konnte nicht wissen, wie hier und heute entschieden wird. Infolge dieser Tatsache wurde die Weisung gegeben, die Antragsfälle bis zur heutigen Entscheidung zurückzuhalten.

Das geschah, damit Rechtssicherheit gegeben ist, Frau Kollegin Haller. Das haben wir auch im Ausschuß besprochen. Altes Recht bleibt altes Recht, das heißt, in jenen Fällen, in denen beispielsweise am Montag Antrag auf Notstandshilfe gestellt wurde, wird die Notstandshilfe selbstverständlich nach altem Recht zugesprochen. (Abg. Ing. Langthaler: Wollen Sie das etwa auch noch brechen?) Und jene Fälle, die mit 1. April eintreten, werden nach der neuen Regelung behandelt werden. (Abg. Dr. Graf: Da müssen Sie ja ein schlechtes Gewissen haben!)

Ich ersuche Sie im Namen der sozialdemokratischen Fraktion, dieser hinsichtlich des Zeitpunktes des Inkrafttretens geänderten Arbeitslosenversicherungsgesetz-Novelle zuzustimmen. – Danke schön. (Beifall bei der SPÖ.)


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21.49

Präsident Dr. Heinz Fischer: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Dr. Kier. – Bitte.

21.49

Abgeordneter Dr. Volker Kier (Liberales Forum): Herr Präsident! Frau Bundesministerin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Debatte wird nicht lange dauern, nehme ich an. Der Sachverhalt ist einfach, aber es gilt, ein paar wesentliche Bemerkungen anzubringen.

Punkt 1, zu den Kosten, Frau Bundesministerin: Wir haben heute in dem Arbeitsgespräch gehört, daß es 50 Millionen Schilling im Jahr kosten wird, wenn Sie mit 1. April 1998 die Regelung in Kraft treten lassen, die Sie ursprünglich mit 1. Jänner 2000 in Kraft treten lassen wollten. Die ÖVP aber läßt Zettel zirkulieren – und bei den Journalisten tauchen sie dann auf; so auch heute –, denen zufolge dies 400 Millionen Schilling im Jahr kostet.

Das alles ist mir ja recht. (Abg. Dr. Petrovic: Nicht einmal zwei Panzer!) Ich könnte noch sagen: Wenn es 400 Millionen Schilling kostet, heißt das, daß immerhin 400 Millionen Schilling mehr für Notstandshilfe den Menschen, die es dringend brauchen, zur Verfügung stehen. Das würde mich nicht stören. Aber wann wird sich die Regierung, wann werden sich die Regierungsparteien darüber einig werden, wieviel es wirklich kostet: 50 Millionen oder 400 Millionen Schilling?

Gestern war nämlich von einer Milliarde die Rede. Das wurde heute im Arbeitsgespräch geklärt, das räume ich ein. Jetzt klafft jedoch die Lücke zwischen 50 und 400 Millionen, und ich bin eher geneigt, ausnahmsweise sogar der Frau Bundesministerin und ihren Ausführungen betreffend 50 Millionen – in diesem Fall, weil vom Ressort her gestützt – zu glauben. Außerdem entspricht dies viel eher der wirklich restriktiven Sozialpolitik der Bundesregierung!

Herr Kollege Nürnberger hat heute bei der ersten Lesung sein soziales Gewissen zur Schau gestellt. Bei der jetzigen Sitzung, in der es ums Reale und nicht um eine erste Lesung geht, bei welcher man sich leicht flockig äußern kann, ist er gar nicht im Saal! Das Arbeitslosenversicherungsrecht interessiert ihn offenbar nicht. Wir nehmen das mit Interesse zur Kenntnis! Er ist nicht da. Da kann man nichts machen! Aber vielleicht müßte er dann seiner Gewerkschaft vielleicht auch einmal erzählen, warum er dazu seine Zustimmung gegeben hat. (Zwischenruf des Abg. Hums. )

Herr Kollege Hums! Sie wissen ganz genau, daß die heutige Plenarsitzung nur deswegen möglich war, weil letztlich alle fünf Parteien dieses Hauses in einer relativ konstruktiven, vielleicht auch leichtsinnigen Weise diesen Abläufen konsensual zugestimmt haben. Das heißt nicht, daß sich die Leute beliebig umorientieren können, aber jemanden, der heute vor zwei Stunden erst den Mund sehr voll genommen hat, den vermisse ich jetzt. Es sind ja andere Kolleginnen und Kollegen von Ihrer Fraktion auch nicht da. Das verstehe ich schon. Wenn Husch-Husch-Sitzungen gemacht werden müssen, damit wir den Pfusch der Regierung reparieren können, verstehe ich schon, daß nicht alle da sind. Aber diejenigen, die zuerst laut schreien und auf ihre soziale Kompetenz aufmerksam machen, sollten dann wenigstens da sein oder sich für diese Sitzung entschuldigen lassen! – Es war mir wichtig, das zu sagen. (Beifall beim Liberalen Forum und bei den Grünen. – Abg. Leikam: Worüber hätten Sie gesprochen, wenn Nürnberger hier gewesen wäre?)

Die Kollegin Vorrednerin hat schon auf den Brief des AMS vom 24. März hingewiesen. – Es ist wirklich beeindruckend, daß die Zentrale des AMS bereits am 24. März mit Telefax all ihre Organisationseinheiten davon informiert hat, daß ab sofort nichts zu erledigen ist, weil Rechtsunsicherheit herrscht, das Sozialministerium jedoch gestern noch nicht einmal das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs zur Verfügung hatte, was ich dem Herrn Präsidenten dieses Hauses, der nämlich versucht hat, es auf diesem Wege zu beschaffen, gerne glaube.

Das Ministerium hatte also noch kein Erkenntnis. Es wurde der belangten Behörde zugestellt; das ist okay. Diese belangte Behörde hat zwar sofort den Trigger gezogen und alle Stellen des AMS verständigen lassen, daß nichts mehr erledigt werden soll, aber es war ihr offenbar zu mühsam, der Zentralbehörde das Verfassungsgerichtshofserkenntnis zu faxen. Wichtiger war ihr, auf jeden Fall Sense zu machen. Das ist wahrlich keine sehr soziale und vor allem auch keine kollegiale Haltung.


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Der Gehalt dessen, was jetzt am 1. April 1998 in Kraft treten wird und nach dem Willen der Mehrheit dieses Hauses ursprünglich am 1. Jänner 2000 in Kraft treten hätte sollen, ist erkennbar verfassungswidrig, ist erkennbar europarechtswidrig. Das steht schon in den Erkenntnissen, die Sie seit zwei Jahren kennen. Diese Regelung ist eindeutig gleichheitswidrig, die Versicherungsansprüchlichkeiten werden nicht berücksichtigt, und sie hat enteignenden Charakter. Man könnte die Liste der Verfassungs- und Rechtswidrigkeiten beliebig lange fortsetzen.

Wir haben das im heutigen Arbeitsgespräch bereits getan. Wir haben uns die Freude gemacht, Ihnen das, was Sie ohnehin wissen, auch von Oppositionsseite her noch einmal zu sagen, damit wir Sie später darauf hinweisen können, daß Sie das wissentlich und nicht versehentlich so beschlossen haben. Es ist mir wichtig, das von diesem Pult aus sagen zu können, weil ich der Meinung bin, daß das nachlesbar sein soll. Es soll nachlesbar sein, daß Sie hier wissentlich ein europarechtswidriges, gleichheitswidriges und enteignendes Gesetz beschließen, nur damit sich im Bereich der Arbeitsmarktverwaltung auf der Kassenseite weiterhin Überschüsse entwickeln können, die Sie dann aber nicht in die aktive Arbeitsmarktpolitik investieren – nein! –, sondern zum Stopfen anderer Löcher, bei den Pensionen oder sonstwo, benützen. Und das ist nicht erfreulich. (Beifall beim Liberalen Forum und bei den Grünen. – Abg. Dr. Nowotny: Ist das illegitim?)

Herr Kollege Nowotny! Das ist nicht illegitim, aber das ist eine Fehlverwendung von Mitteln. Oder sind Sie der Meinung, daß das frühzeitige Pensionieren ein probates Mittel aktiver Arbeitsmarktpolitik ist? Wenn Sie dieser Meinung sind, dann können wir darüber reden, aber ich glaube das nicht! (Abg. Dr. Nowotny: Wollen Sie die Pensionsbeiträge erhöhen?) Herr Kollege Nowotny! Wenn Sie so gerne über solche Themen diskutieren, dann kommen Sie doch einmal in den Sozialausschuß! Dort werden Sie Gelegenheit haben, ausführlich über solche Sachen zu diskutieren! Aber Sie können mich, nur weil Sie Finanzsprecher der SPÖ sind, nicht mit Ihren Zahlen schrecken! Denn es ist nicht gesagt, daß man, wenn man irgendwo Überschüsse hat, diese dann zweckentfremdet verwenden muß. Man könnte zum Beispiel auch die Sozialversicherungsbeiträge senken, wenn man schon meint, daß man sie für aktive Arbeitsmarktpolitik nicht braucht. Es ist jedoch nicht gut, wenn man damit Löcher stopft! (Beifall beim Liberalen Forum und bei den Grünen. – Abg. Dr. Nowotny: Sollen die Pensionsversicherungsbeiträge erhöht werden? Sagen Sie doch, was Sie wollen!)

Verstehen Sie mich: Sie verschleiern die Kostenwahrheit! Da ist es mir lieber, wenn an der richtigen Stelle finanziert wird. Aber das ist nicht Thema der Debatte des heutigen Tages. (Abg. Dr. Nowotny: Es sollen also die Pensionsversicherungsbeiträge erhöht werden!) Bitte unterbrechen Sie mich nicht! Das wird mir nämlich langsam unangenehm. Ich bitte Sie herzlich: Unterbrechen Sie mich nicht! Wenn Sie mit uns diskutieren wollen, dann steigen Sie einmal aus den hehren Höhen des Finanzausschusses in die Niederungen des Sozialausschusses herunter und horchen Sie sich an, was dort diskutiert wird! Das wäre für Sie vielleicht recht lehrreich. Denn jemand, der sofort vom Geld zu reden beginnt, wenn es um soziale Ansprüche geht, der hat eine merkwürdige Einstellung zu diesem Problem, das muß ich Ihnen sagen!

Zuerst muß man das Problem definieren und überprüfen, wieviel man für dessen Lösung braucht, und dann muß man sich um die Finanzierung kümmern. Wenn sich dann herausstellt, daß durch die Finanzierung sogar mehr aufgebracht wird, als man für diesen Zweck braucht, dann ist das noch lange kein Grund, das Geld zweckentfremdet zu verwenden. – Es ist mir wichtig, das zu sagen. Ich meine, daß man das immer wieder sagen sollte, denn vielleicht höhlt dieser Tropfen irgendwann einmal auch diesen Stein.

Wenn ich Ihnen gesagt habe, daß Sie jetzt wissentlich etwas beschließen, was verfassungswidrig ist, so haben Sie das eigentlich schon 1997 getan, doch dadurch, daß das Gesetz ursprünglich erst mit 1. Jänner 2000 in Kraft getreten wäre, ist dieser Aspekt bisher nicht so stark aufgefallen. Jetzt verschaffen Sie immerhin allen Menschen, denen der Rechtsstaat wichtig ist, die Gelegenheit, diese Regelung, wie sie heute voraussichtlich von der Mehrheit beschlossen wird, spätestens ab 1. April 1998 bei den Höchstgerichten anfechten zu können. Sonst hätten wir bis zum 1. Jänner 2000 warten müssen. Das ist immerhin ein Vorteil.


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Das reicht zwar nicht aus, daß die Liberalen dieser Materie die Zustimmung geben, aber es ist immerhin ein Vorteil. Allerdings werden Sie früher, als Ihnen lieb ist, die Quittung von den europäischen Gerichten und vom österreichischen Verfassungsgerichtshof ausgestellt bekommen. Dann werden Sie sich sehr wundern, denn dann werden Sie diese eine Milliarde, die Sie sich gerade erspart zu haben glaubten, doch ausgeben müssen. Außerdem werden Sie sich vorher noch zwei- bis dreimal bei den europäischen Gerichten blamieren, denn Europarechtswidrigkeit ist zwar nicht das sozialpolitisch wichtigste, aber das peinlichste Vergehen. Damit kollidiert man nämlich völlig mit der Freizügigkeit innerhalb der EU.

Jetzt nenne ich Ihnen ein Beispiel aus meiner unmittelbaren Umgebung: Mein Bruder ist österreichischer Staatsbürger, aus Graz, mit einer Grazerin verheiratet. Er lebt und arbeitet seit 1959 in Köln. Er hat sich in der Bundesrepublik nicht einbürgern lassen, denn er ist ganz bewußt Österreicher, vergnügt und munter. Er hat vier Kinder, alle sind in Köln geboren. Und sie haben Pech gehabt, denn sie sind österreichische Staatsbürger. Sie haben dort die Schulen besucht, einer studiert in Köln, und eine hat in Graz studiert. Das reicht aber nicht, denn sie war zu schnell mit dem Studium fertig, das war nicht die halbe Ausbildungszeit. Was soll man nun machen? Sie fällt durch Ihren neuen § 34 vollkommen durch! Das ist vielleicht ein seltener Fall, aber immerhin! Wir predigen Mobilität, und wir wundern uns, daß unsere jungen Leute nicht als Beamte zu den europäischen Behörden nach Brüssel gehen. – Die werden sich hüten! Denn dann kommt dort womöglich ein Kind auf die Welt, das dann im Ausland geboren ist und das überhaupt nicht mehr zu dem Gesetz paßt. Verstehen Sie mich? Das Kind paßt nicht mehr zu dem Gesetz! (Abg. Dr. Graf: Ist es arbeitslos?) Ich spreche von der potentiellen Möglichkeit.

Wenn Sie eine Regelung schaffen, in der Sie plötzlich den Geburtsort zum archimedischen Punkt der Sozialpolitik machen, dann frage ich Sie: Warum machen Sie das bei der Staatsbürgerschaft nicht? Da würde es mir gefallen. (Beifall beim Liberalen Forum und bei den Grünen.) Aber bei der Staatsbürgerschaft treffen Sie diese Regelung nicht, denn das würde bedeuten, daß man einen anderen Zugang zur Integration hat und sich von dieser historischen biologistischen Abstammungstheorie, die in unserem Staatsbürgerschaftsrecht eingebaut ist, lösen müßte. – In der Sozialpolitik gilt plötzlich ius soli, bei der Staatsbürgerschaft jedoch ius sanguinis. Das paßt nicht zusammen! Sie haben den Überblick über die Zusammenhänge in der Rechtsordnung verloren! Das möchte ich auch gesagt haben.

Daher ist heute insofern ein sehr angenehmer Tag, weil wir die Gelegenheit haben, Ihnen im Rahmen einer aufgrund des Pfusches, den Sie gemacht haben, ausschließlich diesem Thema gewidmeten Sitzung vorzuführen, daß Sie nicht mehr in der Lage sind, eine einigermaßen vernünftige und plausible Politik zu machen. Und wenn Sie dann etwas machen, wenn Sie sich zu etwas durchringen, wie etwa zu diesem neuen § 34 Abs. 2 des alten Gesetzes, dann fegt Ihnen das der Verfassungsgerichtshof hinweg. Für die Kenner füge ich hinzu, daß wir vorübergehend zwei §§ 34 hatten: den einen, der bis vor kurzem gegolten hat und den Ihnen der Verfassungsgerichtshof hinweggefegt hat, und den neuen, den Sie nun frühzeitig in Kraft setzen – Reparatur! –, den er Ihnen erst hinwegfegen wird. Also es ist Ihnen gelungen, in einem Gesetz zwei §§ 34 zu verpacken, die in der Reihenfolge ihres Inkrafttretens vom Verfassungsgerichtshof hinweggefegt werden. Ich gratuliere zu dieser Regierungsarbeit! Seien Sie stolz darauf!

Und dann dieses Gejammer, daß Sie nicht damit rechnen konnten, daß der Verfassungsgerichtshof Ihnen keine Frist geben wird! Verzweiflung! Der Verfassungsgerichtshof hätte uns für die Reparatur doch eine Frist geben müssen! Die Bundesregierung hat in ihrer Stellungnahme im Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof eine 18monatige Frist erbeten. Eine 18monatige Frist! – Kommt Ihnen das so ähnlich vor wie 1. Jänner 2000? Gibt es da eine Ähnlichkeit? Man hat also noch die Stirn gehabt, vom Verfassungsgerichtshof eine Reparaturfrist zu erbitten, die so lange ist, daß man nichts mehr reparieren hätte müssen, weil am 1. Jänner 2000 ohnedies das, dessen Inkrafttreten Sie heute vorverlegen, in Kraft getreten wäre! Das, bitte, kann selbst der gutmütigste Verfassungsgerichtshof nicht mehr als ernstzunehmende Verhaltensweise betrachten. – Punkt eins.


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Punkt zwei: Der Verfassungsgerichtshof hat genau ausgeführt, warum es in einem solchen Fall gar nicht möglich war, eine Frist einzuräumen. Die Verfassungswidrigkeit war nämlich so eklatant, daß der Verfassungsgerichtshof zu Recht gesagt hat – Sie können das ja in der Begründung nachlesen –, daß dann, wenn man diese Bestimmung nur aufgehoben, aber eine Frist eingeräumt hätte, der rechtswidrige Zustand verfassungsrechtlich immunisiert und gleichzeitig dafür Sorge worden wäre, daß das verfassungswidrige Recht weiter angewendet werden kann. – Das kann kein Verfassungsgerichtshof akzeptieren! Er hat es ohnehin nicht rückwirkend aufgehoben. Seien Sie froh! Das hätte er nämlich auch machen können. Er hat es aber nur mit sofortiger Wirkung aufgehoben, was einem möglichen Normalfall entspricht. Daß Sie noch in Staunen verfallen, wenn so etwas passiert, finde ich wirklich mehr als bedauerlich.

Ich meine, nun ist alles gesagt, was zu sagen war. Kollege Nürnberger ist inzwischen nicht eingetroffen. Das interessiert ihn nachhaltig nicht. Er muß wahrscheinlich irgendwelche Flexibilisierungen verhandeln oder langsam lernen, daß ein Unterschied besteht zwischen dem österreichischen Hotelierverband als freier Vereinigung und der Wirtschaftskammer, die die Kollektivverträge macht. Vielleicht weiß er das nicht! Ich verstehe schon, daß er das nicht weiß, denn die Metaller schließen sicherlich nicht mit jenen Teilen der Wirtschaftskammer Kollektivverträge ab, die für das Gastgewerbe zuständig sind. Daher hat er diesbezüglich vielleicht den Überblick verloren. Ich bin jedoch auf jeden Fall enttäuscht, denn bisher habe ich gedacht, daß er nicht nur ein sehr mächtiger, sondern auch ein sehr kundiger und sehr engagierter Gewerkschafter ist. Jetzt weiß ich: Mächtig ist er sicherlich, aber kundig ist er nicht, und engagiert ist er auch nicht, sonst wäre er heute da! – Danke schön. (Beifall beim Liberalen Forum und bei den Grünen.)

22.02

Präsident Dr. Heinz Fischer: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Dr. Feurstein. – Bitte.

22.02

Abgeordneter Dr. Gottfried Feurstein (ÖVP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte einleitend anerkennend feststellen, daß alle Fraktionen dieses Hauses bereit und einverstanden waren, daß wir diese notwendige Änderung im Arbeitslosenversicherungsgesetz heute noch ... (Rufe und Gegenrufe zwischen der SPÖ und dem Liberalen Forum.) Wenn Sie Ihre Debatten beendet haben, werde ich fortsetzen, meine Damen und Herren.

Präsident Dr. Heinz Fischer: Zu diesem Zweck bitte ich, die Debatten rasch zu beenden! – Bitte, Kollege Feurstein.

Abgeordneter Dr. Gottfried Feurstein (fortsetzend): Herr Abgeordneter Kier! Ich wollte Ihnen und allen anderen gegenüber, die daran beteiligt waren, anerkennend feststellen, daß wir sehr wohl zur Kenntnis nehmen, daß man heute im Hohen Haus bereit ist, diese Änderung im Arbeitslosenversicherungsgesetz mitzutragen und mitzuvollziehen, nachdem der Verfassungsgerichtshof eine Entscheidung gefällt hat, mit welcher sehr wesentlich in die gesamte Arbeitslosenversicherung und Notstandshilfe eingegriffen wurde. (Abg. Dr. Graf: Aber morgen haben Sie es schon wieder vergessen!)

Ich gebe Frau Abgeordneter Haller recht: Die Notstandshilfe ist ein sensibler Bereich. Ungeachtet dessen ist, glaube ich, folgendes festzustellen:

Erster Punkt: Der Verfassungsgerichtshof hat bis vor kurzem klar und eindeutig festgestellt, daß es sich bei der Notstandshilfe um eine Fürsorgemaßnahme und nicht in erster Linie um ein Privatrecht, um einen Versicherungsanspruch handelt. Das wurde in allen Erkenntnissen in den Jahren 1954, 1960, 1974 und 1981 festgestellt. (Abg. Dr. Kier: Wir machen hier nicht Rechtsgeschichte, sondern Politik!) Er sagt dann aber sehr deutlich, daß er mit dem jetzigen Erkenntnis seine bisherige Judikatur überdeckt, also grundsätzlich verändert hat.

Meine Damen und Herren! Es ist ganz wichtig, daß festgehalten wird, daß wir seit wenigen Tagen mit einer neuen Judikatur des Verfassungsgerichtshofes konfrontiert sind, was natürlich auch uns jetzt das Recht und die Notwendigkeit zubilligt, die Versicherungsansprüche neu zu definieren. Das haben wir bereits im vergangenen Jahr mit Blickrichtung auf das Jahr 2000


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getan, weil wir von der Überlegung ausgegangen sind, daß die Unterscheidung zwischen Österreicher und Nichtösterreicher in der heutigen Zeit nicht mehr angebracht ist.

Meine Damen und Herren! Das ist der zweite wichtige Punkt, daß wir bereits vor beinahe einem Jahr diese Veränderung im Arbeitslosenversicherungsgesetz vollzogen haben, allerdings mit Blickrichtung auf den 1. Jänner 2000, weil wir der Meinung waren, daß wir zu diesem Zeitpunkt diese veränderte Rechtsstellung beim Anspruch auf Notstandshilfe auch wirklich durchsetzen können.

Dritter Punkt, meine Damen und Herren, der sehr wichtig ist: Der neue Anspruch auf Notstandshilfe verlangt gewisse Anwartschaften. Diese sind grundsätzlich mit Beitragsleistungen von acht Jahren definiert. Allerdings wissen wir, daß bestimmte Personengruppen diese Voraussetzungen nicht erfüllen können. Deshalb haben wir noch weitere Möglichkeiten hinzugefügt, die einen Anspruch auf Notstandshilfe begründen. Diese weiteren Anspruchsvoraussetzungen hat meine Vorrednerin bereits definiert.

Meine Damen und Herren! Würden wir nicht weitere Anspruchsvoraussetzungen – die zwar von der Opposition heftig kritisiert werden – definieren, angefangen von der Geburt in Österreich bis zur Schulausbildung, die man zur Hälfte in Österreich absolviert haben muß, dann würden wir tatsächlich wesentliche Härten in bezug auf den Anspruch auf Notstandshilfe und im Zusammenhang mit dem Arbeitslosenversicherungsgesetz einführen, die wir nicht wollen. Wir haben also ganz bewußt Maßnahmen gesetzt, um den Anspruch auf Notstandshilfe auf all jene Bereiche auszudehnen, in denen dieser Anspruch unseres Erachtens nach gerechtfertigt ist.

Meine Damen und Herren! Letzter Punkt: Es wird immer wieder von den Kosten gesprochen. Dieser Aspekt hatte auch in der Diskussion im Sozialausschuß eine gewisse Bedeutung. Ich bin der Frau Ministerin dankbar, daß sie aus ihrer Sicht gesagt hat, daß man Kosten in einer bestimmten Höhe erwartet. Die Höhe der zu erwartenden Kosten ist auch genannt worden. Selbstverständlich gibt es noch wesentlich mehr Fälle, in denen unter Umständen Anspruchsvoraussetzungen bestehen. Daher sind wir davon ausgegangen, daß möglicherweise mehr Personen diesen Anspruch geltend machen können. Darum haben wir auch in unserer Unterlage für die Abgeordneten geschrieben, daß dieser Anspruch gegebenenfalls auch deutlich höher sein könnte, denn kein Mensch kann heute sagen, wie viele Anträge auf Notstandshilfe tatsächlich gestellt werden. Deshalb wurde eben eine gewisse Spannweite veranschlagt. In eineinhalb Jahren werden wir sagen können, wie hoch die tatsächlichen Aufwendungen für diese neue Maßnahme, die wir heute beschließen, waren beziehungsweise sind.

Meine Damen und Herren! Ich schließe: Es ist dies eine Maßnahme, die sozial richtig ist – auch wir vertreten die Meinung, daß man alle Gruppen miteinbeziehen sollte, die in der neuen Gesetzesformulierung erwähnt sind –, sie ist aber auch verfassungsmäßig korrekt, weil wir grundsätzlich auf die Beitragsleistung abstellen. Und das Entscheidende: Versicherungsansprüche erwirbt man dann, wenn man Beiträge leistet. Davon gehen wir aus. Wir wollen aber keine Härten. Darum gibt es zusätzliche Möglichkeiten, Notstandshilfe zu beanspruchen und zu erhalten. (Beifall bei der ÖVP.)

22.10

Präsident Dr. Heinz Fischer: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Öllinger. – Bitte.

22.10

Abgeordneter Karl Öllinger (Grüne): Herr Präsident! Frau Ministerin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nach dem rechtshistorisch angehauchten Ausflug des Kollegen Feurstein, der die Verfassungsgerichtshoferkenntnisse der letzten 40 Jahre Revue passieren hat lassen, möchte ich doch in die jüngere Vergangenheit zurückkehren.

Herr Kollege Feurstein! Ich beginne mit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte, das 1996 ergangen ist, mit welchem der Republik Österreich aufgetragen wurde, einen Zustand zu korrigieren, der nach Meinung des Europäischen Gerichtshofes rechtswidrig ist, gegen die Konventionen verstößt und durch den die Republik Österreich bestimmte Gruppen von Arbeitslosen, nämlich die ausländischen Arbeitslosen gegenüber den Inländern, ungleich


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behandelt, und weiters vertrat er die Auffassung – und das war ein wichtiger Punkt des Erkenntnisses –, daß es sich bei der Notstandshilfe um eine Versicherungsleistung handelt.

Das wurde 1996 festgestellt, Herr Kollege Feurstein, und spätestens ab diesem Zeitpunkt hätte die Regierung auch danach handeln müssen. Sie hätte zum Beispiel nicht nur in der Regierungsvorlage, die im darauffolgenden Jahr dem Parlament vorgelegt wurde, darauf Bezug nehmen können, daß es sich um eine Versicherungsleistung handelt, was sie jedoch nicht getan hat, sondern sie hätte auch in der Verhandlung vor dem Verfassungsgerichtshof, die vor wenigen Wochen stattgefunden hat, auf dieses Urteil Bezug nehmen können. Aber die Bundesregierung, die gegenüber dem Verfassungsgerichtshof eine Stellungnahme abgegeben hat, hat noch Ende 1997 oder Anfang 1998 in dieser Verhandlung beim Verfassungsgerichtshof so getan, als ob es dieses Erkenntnis des Europäischen Gerichtshofes nicht gäbe, und hat nach wie vor behauptet, daß es sich um eine Fürsorgeleistung und nicht um eine Versicherungsleistung handle.

Genau das, Kollege Feurstein, ist es, was ich dieser Bundesregierung ankreide: daß sie wider besseres Wissen in der Verhandlung vor dem Verfassungsgerichtshof so getan hat, als ob es sich um eine Fürsorgeleistung handle, obwohl es bereits ein entsprechendes Urteil des Europäischen Gerichtshofes gegeben hat. (Beifall bei den Grünen und beim Liberalen Forum.)

Das ist unlauter, Kollege Feurstein! Das betrifft zwar nicht Sie persönlich, denn Sie waren ja nicht bei der Verhandlung, aber das Verhalten der Bundesregierung war unlauter:

Denn um dieses Urteil des Europäischen Gerichtshofes zu korrigieren, hat die Bundesregierung eine Regierungsvorlage eingebracht, von der sie behauptet – und das behaupten auch Sie, Herr Kollege Feurstein, und alle anderen Vertreter der Regierungsparteien – , daß dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes Rechnung getragen worden sei und die Notstandshilfe im Prinzip versicherungskonform konstruiert sei. Und Sie behaupten auch jetzt nach wie vor, daß die Notstandshilfe versicherungskonform konstruiert sei.

Warum behauptete die Regierung dann aber in der Verhandlung beim Verfassungsgerichtshof, daß eine versicherungskonforme Ausgestaltung gar nicht notwendig sei, weil es sich hiebei selbstverständlich um eine Fürsorgeleistung handle? Warum wird das zu einem Zeitpunkt behauptet, zu dem das Gesetz, bei welchem wir heute nur mehr einen Jahrestag adaptieren, schon längst in Kraft getreten ist? – Weil Sie ein schlechtes Gewissen haben! Weil Sie ganz genau wissen, meine Damen und Herren von den Regierungsparteien, daß das, was Sie hier beschließen, nicht sauber ist! (Beifall bei den Grünen und beim Liberalen Forum.)

Sie wissen, daß es in dieser Form keine Versicherungsleistung ist, und Sie wissen, daß die Regelung, die wir hier und heute beschließen, einzig und allein dem Zweck dient, ausländische Arbeitslose von dieser Leistung auszuschließen. Und damit Ihnen das gelingt, sind Sie sogar bereit, auch österreichische Arbeitslose von dieser Versicherungsleistung auszuschließen, Herr Kollege Hums.

Wir können über viele Punkte diskutieren, etwa darüber, daß die Kosten angeblich zu hoch seien – was nicht stimmt und was zu beweisen wäre –, aber über einen Punkt können Sie nicht hinweggehen: daß Sie nicht nur die ausländischen Arbeitslosen, sondern auch inländische Arbeitslose – österreichische Arbeitslose müßte man korrekterweise sagen, Staatsbürger – um diese Versicherungsleistung prellen. Das nehmen Sie in Kauf, weil Sie ganz genau wissen, daß das nur einige wenige betrifft, das nehmen Sie in Kauf, damit Sie den anderen die Leistung auf alle Fälle wegnehmen können.

Meine Damen und Herren! Man könnte einiges über die Vorgangsweise der Regierungsparteien sagen, die für sich beanspruchen, jetzt einen verfassungskonformen Zustand wiederherzustellen, obwohl das Urteil des Verfassungsgerichtshofes zu dem Zeitpunkt, als Sie diese Reparaturabsicht schon beschlossen hatten, Ihnen allen, meine Damen und Herren, im Detail noch nicht bekannt sein konnte. Ich behaupte: Das Urteil des Verfassungsgerichtshofs ist tatsächlich eine Novität, nämlich insofern – darauf haben Sie, Herr Kollege Feurstein, durchaus richtig hingewiesen – , als der österreichische Verfassungsgerichtshof erstmals zu dem Erkenntnis


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gekommen ist, daß es sich um eine Versicherungsleistung handelt. Das ist wichtig, denn ich denke, nach meinen Ausführungen wissen wir jetzt schon, daß das Urteil des Europäischen Gerichtshofes die Regierung offensichtlich nicht tangiert. Sie vertritt die Auffassung, daß sie sich nicht daran zu halten braucht, sonst hätte sie in der Verhandlung vor dem Verfassungsgerichtshof doch nicht so tun können, als ob es dieses Urteil nicht gäbe.

Meine Damen und Herren! Ich komme zu den Kosten: Die Reparaturkosten würden auch dann, wenn sie eine Milliarde pro Jahr ausmachten, die Möglichkeiten des Arbeitslosenversicherungsbudgets nicht übersteigen. Für die Notstandshilfe werden, wenn ich mich recht erinnere, insgesamt etwa 10 Milliarden Schilling pro Jahr aufgewendet. Auch dann, wenn ein überdurchschnittlich hoher Prozentsatz an ausländischen Arbeitslosen von dieser Versicherungsleistung Gebrauch machte, wäre davon auszugehen, daß selbst bei einer Verdoppelung der Aufwendungen für die Notstandshilfe – was eine irreale Zahl ist, da werden Sie mir zustimmen, Herr Kollege Feurstein – die Inanspruchnahme diese Leistung durchaus noch finanzierbar wäre, denn auf der anderen Seite werden Milliarden aus dem Budget der Arbeitslosenversicherung für versicherungsfremde Zwecke abgebogen.

Herr Abgeordneter Feurstein! Ich freue mich schon auf die Debatte, die in einigen Jahren vor dem Europäischen Gerichtshof stattfinden wird – und ich bin überzeugt davon, daß sie stattfinden wird –, bei der dann Sie oder ein Vertreter der Regierung erklären wird müssen, daß es sehr wohl legitim ist, versicherungsfremde Leistungen, wie etwa die Pension, aus diesem Budget zu finanzieren, es jedoch illegitim ist, versicherungskonforme Leistungen, nämlich die Notstandshilfe für Ausländer, daraus zu finanzieren. (Beifall bei den Grünen und beim Liberalen Forum.) Auf diese Debatte freue ich mich, und ich bin gespannt darauf, was Sie und die Regierungsparteien dann dazu sagen werden und wie Sie es rechtfertigen wollen, daß sehr wohl Geld dafür da ist, versicherungsfremde Leistungen zu finanzieren, jedoch nicht die Notstandshilfe für Ausländer.

Ich komme noch zu den Zugangskriterien. Einiges davon hat mir Kollege Kier schon abgenommen. Die besondere Absurdität dieser Zugangskriterien ist natürlich, daß sie eventuell noch mit einer Fürsorgeleistung kombinierbar wären, denn dann könnte man jemandem zum Beispiel noch vorschreiben, daß er Linkshänder sein, einen positiven Schulerfolg nachweisen oder die österreichische Bundeshymne fehlerfrei aufsagen können muß, damit er in den Anspruch dieser Fürsorgeleistung kommt, aber bei einer Versicherungsleistung ist das nicht möglich. Da muß es einen Zusammenhang zum Versicherungszweck geben, und Sie können mir nicht erklären, warum ein zur Hälfte in Österreich absolvierter Schulbesuch oder ein Hauptwohnsitz für die halbe Lebensdauer in Österreich versicherungskonforme Kriterien für die Arbeitslosenversicherung sein sollen.

Vielleicht fällt es irgendwann einmal jemandem ein, auch Wähler von unbeliebten Parteien von diesem Zugang auszuschließen. Das wäre mit derselben Argumentation möglich, die Sie für legitim halten. Ich warne davor, im Arbeitslosenversicherungsrecht – offensichtlich mit Ihrer Zustimmung und Billigung – die Grenzen zu überschreiten. Das, was Sie jetzt beschließen, kann nicht mehr sozialversicherungskonform sein, weil die Zugangskriterien mit dem Zweck der Versicherung nichts zu tun haben. Es geht um eine Risikoabdeckung, meine Damen und Herren, und nicht darum, daß man, damit man diese Leistung erhält, einen Nachweis zu erbringen hat, daß man seine Schulzeit zur Hälfte in Österreich absolviert hat.

Das ist ein Punkt, über den Sie sich nicht werden hinwegsetzen können, ebensowenig wie über den Punkt, daß man hier in Österreich geboren sein muß, um Anspruch auf diese Versicherungsleistung zu haben. Das werden Sie nicht nur mir, sondern vor allem auch dem Europäischen Gerichtshof erklären müssen, weil Sie mit diesem Punkt ebenso unsere EU-Bürger diskriminieren. Denn auch um sie geht es, auch sie sind in diesem Punkt angesprochen.

Meine Damen und Herren! Ich weiß, daß Ihre Aufnahmefähigkeit um diese Zeit schon ein wenig erschöpft ist, aber ich halte es für notwendig, diese Fragen noch einmal klar und deutlich anzusprechen. Es gab schon bei der Beschlußfassung im Jahre 1997 gravierende Einwände, die nicht nur von den Oppositionsparteien gekommen sind, sondern auch vom Verfassungs


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dienst des Bundeskanzleramtes, der in etwa ähnliche Bedenken gehabt hat, wie wir, die Oppositionsparteien, sie heute äußern.

Ich bin davon überzeugt, daß es Ihnen nicht gelingen wird, die Auseinandersetzung um dieses Gesetz vor einem europäischen Gerichtshof – sei es der EGMR in Straßburg oder sei es der ebenfalls in Straßburg residierende EuGH – zu gewinnen, weil Sie hier wirklich wider besseres Wissen handeln, was durch das Verhalten der Bundesregierung in dem Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof bewiesen werden kann. Dort sind Sie beziehungsweise die Bundesregierung ja noch mit dem Ersuchen um eine 18monatige Übergangsfrist aufgetreten. Allerdings hätte auch diese Frist eine Lücke hinterlassen, denn mit 18 Monaten, vom heutigen Tag an gerechnet, hätten Sie das Jahr 2000 nicht erreichen können, was sich nach Adam Riese relativ leicht nachrechnen läßt. Sie wären bis hinein in den Herbst 1999 gekommen, aber Sie hätten eine Deckungslücke gehabt. Das heißt, es stellt sich die Frage: Was wollten Sie mit dieser Übergangsfrist eigentlich erreichen?

Ich interpretiere: Es ist Ihnen gar nicht darum gegangen, dort etwas zu erreichen, sondern Sie haben offensichtlich schon zu dem Zeitpunkt, als Sie als Bundesregierung um die 18monatige Frist beim Verfassungsgerichtshof angesucht haben, gewußt, daß Sie, egal, wie der Verfassungsgerichtshof entscheidet – und Sie waren sich relativ sicher, daß er gegen Sie entscheiden wird – eine Adaptierung dieses Gesetzes nach vorne machen wollen. Das heißt, Sie sind gegenüber dem Verfassungsgerichtshof mit Fristen in Vorlage gegangen, die Sie gar nicht ernst genommen haben.

Damit wird das Problem etwas grundsätzlicher, nicht nur in bezug auf die Frage, wie ein Parlament mit einem Spruch des Verfassungsgerichtshofes umgeht, den es nicht kennt, sondern auch im Hinblick darauf, wie eine Regierung mit einem Verfahren beim Verfassungsgerichtshof umgeht, den man offensichtlich so wenig ernst nimmt, daß man ihm ein bißchen Spielmaterial vorwirft und sagt: Na, vielleicht steigst du auf die 18-Monate-Frist ein; wenn nicht, haben wir auch andere Instrumente zur Verfügung, wir wollen das ohnehin so beschließen. Wir werden euch schon noch zeigen, wer der Herr im Hause Österreich ist!

Da fängt das Problem an, meine Damen und Herren, denn über eines können Sie sich nicht hinwegsetzen: Selbstverständlich ist das Parlament der Gesetzgeber, aber an die Verfassungsprinzipien muß sich auch der Gesetzgeber halten. (Abg. Meisinger: Sollte!) Und diese haben Sie mit dem vorliegenden Gesetz aufs gröblichste verletzt! (Beifall bei den Grünen.)

22.23

Präsident Dr. Heinz Fischer: Zu Wort gelangt die Frau Bundesministerin. – Bitte, Frau Kollegin.

22.23

Bundesministerin für Arbeit, Gesundheit und Soziales Eleonora Hostasch: Sehr geschätzter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! In der bisherigen Debatte wurde natürlich sehr oft auf die Spruchpraxis des Verfassungsgerichtshofes Bezug genommen. Erlauben Sie mir, aus dem gerade aktuellsten Spruch, aus dem gegenständlichen Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes, wörtlich einen Abschnitt zu zitieren, in dem es darum geht, eine Definition der Funktion der Notstandshilfe zu finden. Der Verfassungsgerichtshof bezieht sich in dieser Passage selbstverständlich auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte. Darin heißt es:

"Angesichts dieser Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte sieht sich der Verfassungsgerichtshof veranlaßt, seine bisherige Judikatur zu überdenken. Jedenfalls vorläufig nimmt der Verfassungsgerichtshof mit dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte an, daß der Anspruch auf Notstandshilfe als vermögenswertes Recht im Sinne des Artikels 1 (1) des Zusatzprotokolls der Europäischen Menschenrechtskonvention geschützt ist. Er geht vorläufig davon aus, daß es sich bei den in Rede stehenden Leistungen nicht um solche der Fürsorge, sondern um Sozialversicherungsleistungen handelt."


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Ich glaube, aus dieser Textierung ist klar erkennbar, daß der Verfassungsgerichtshof von seiner bisherigen Spruchpraxis abgewichen ist und hier diese Form der Interpretation vorgenommen hat. Ich möchte außerdem darauf verweisen, daß es auch Rechtsgutachten – etwa jenes von Herrn Professor Tomandl – gibt, in dem er die Meinung der Bundesregierung und der Mehrheit des Hohen Hauses geteilt hat, sodaß wir dementsprechend, auch auf diese Rechtsmeinung gestützt, die gesetzlichen Vorhaben zu realisieren versucht haben.

Erlauben Sie mir, auf eine zweite Passage in diesem Verfassungsgerichtshoferkenntnis zu verweisen, weil ja auch in Zweifel gezogen wurde, ob es für den Gesetzgeber zulässig ist, daß im vorliegenden Entwurf Kriterien für die Bezieher von Notstandshilfe formuliert werden. Auch dazu möchte ich kurz aus diesem Erkenntnis zitieren: "Es ist dem Gesetzgeber durch Artikel 14 der Europäischen Menschenrechtskonvention keineswegs verwehrt, Voraussetzungen für den Erwerb oder den Umfang der Leistungsansprüche zu normieren." (Abg. Öllinger: Aber verfassungskonform!)

Sehr geschätzter Herr Abgeordneter Öllinger! Wenn Sie dieses Verfassungsgerichtshoferkenntnis in seiner Gesamtheit lesen (Abg. Öllinger: Habe ich mehrmals!), dann werden Sie erkennen, daß auch der Verfassungsgerichtshof darin seine eigene Meinung unterschiedlich interpretiert und nicht klar sagt, daß die Notstandshilfe eine reine Versicherungsleistung ist, er sagt aber auch nicht, daß die Notstandshilfe eine reine Fürsorgeleistung ist. Statt dessen bekennt er sich zu der Mischform, die in unserem Sozialversicherungssystem die Norm ist. (Abg. Öllinger: Nein!)

Sehr geschätzte Damen und Herren! Ich betrachte es daher als absolut zulässig und richtig, daß hier im Hohen Haus nun ein Antrag diskutiert wird, der zum Gegenstand hat, daß jene ausführlich diskutierte Regelung, in der für die Kriterien der Notstandshilfe klar ein neuer Anspruchsberechtigungskomplex definiert wird, nun nicht mit dem ursprünglich in Aussicht genommenen Termin – dem 1. Jänner 2000 – in Kraft gesetzt wird, sondern in unmittelbarer Zukunft in Kraft tritt, um einerseits dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes Rechnung zu tragen und andererseits keine Rechtsunsicherheit entstehen zu lassen und alle anhängigen Anträge in ordnungsgemäßer Form erfüllen zu können.

Sehr geschätzte Damen und Herren! Meiner Ansicht nach ist es sehr wichtig, nunmehr Rechtsklarheit herzustellen. Ich betrachte es auch als fair, daß seitens des Arbeitsmarktservice in Kenntnis der Tatsache, daß in wenigen Tagen Rechtsklarheit darüber bestehen wird, welche Kriterien für die Zuerkennung der Notstandshilfe durch den Gesetzgeber vorgegeben werden, vorerst keine Entscheidungen über aktuell eingebrachte Anträge getroffen werden. Denn es wäre unbillig, sich dann womöglich auf eine Situation zu beziehen, wonach eine Schlechterstellung im Vergleich zur Neuregelung gegeben wäre. Ich betrachte das als ein Gebot der Fairneß gegenüber den Kunden unseres Arbeitsmarktservice.

Sehr geschätzte Damen und Herren! Es ist auch wiederholt von den Kosten gesprochen worden. Ich gestehe, daß es sehr schwer ist, wirklich profunde und nachvollziehbar Berechnungen für potentielle, zukünftige Ansprüche anzustellen. Unser Arbeitsmarkt ist ein sehr lebendiger Arbeitsmarkt mit ständigem Wechsel und großer Fluktuation in den Betroffenheiten. Das ist auch der Grund dafür, daß wir, nachdem das Hohe Haus im vergangenen Jahr die neue gesetzliche Regelung beschlossen hatte, unmittelbar darauf begonnen haben, profunde Erhebungen zu pflegen, um genaues Datenmaterial über die wahrscheinlichen Betroffenheiten gemäß der neuen gesetzlichen Regelung zu erfassen.

Das Datenmaterial, das wir in den letzten Monaten erworben haben, hat uns in die Lage versetzt, nun präzisere Schätzungen – es sind nach wie vor Schätzungen – darüber anzustellen, welche Kosten entstehen werden, wenn mit 1. April die jetzt von Ihnen diskutierte Änderung in Kraft treten sollte. Diese unsere Schätzungen ergeben, daß für das Jahr 1998 ein Nettomehraufwand von 35 Millionen Schilling und für das Jahr 1999 ein Betrag von etwa 52 Millionen Schilling entstehen würde.


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Ich möchte hinzufügen, daß diese Schätzungen unter bestimmten Annahmen vorgenommen worden sind, aber niemand von uns kann wirklich ganz präzise vorhersehen, welche Ansprüche die betroffenen Notstandshilfebezieher unter den ab 1. April 1998 gültigen neuen Kriterien tatsächlich an das Arbeitsmarktservice und an die Arbeitslosenversicherung stellen werden.

Sehr geschätzte Damen und Herren! Ich glaube, im Ausschuß und auch in der jetzigen Debatte konnten sehr viele Fragen geklärt werden. Ich möchte daher Ihre Zeit nicht über Gebühr in Anspruch nehmen, mich aber doch sehr herzlich bei Ihnen dafür bedanken, daß Sie einer Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes eine Chance gegeben haben, die in ihrer Verlautbarung keine typische gewesen ist. Es ist nicht typisch für Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes, dem Gesetzgeber und auch der Bundesregierung nicht einen einzigen Tag lang die Chance zu weiterer, intensiverer Beratung zu geben, mit sofortiger Wirkung bestehende Paragraphen als nichtig zu erklären und nicht die geringste Übergangsfrist einzuräumen.

Ich möchte mich bei Ihnen wirklich sehr herzlich dafür bedanken, daß Sie uns die Möglichkeit gegeben haben, nun kurzfristig jene Rechtsklarheit sowie Kontinuität in der Anwendung der Bestimmungen der Arbeitslosenversicherung zu bieten, die nicht zuletzt unsere Versicherten und diejenigen, die unserer Hilfe besonders bedürfen, benötigen. – Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPÖ und bei Abgeordneten der ÖVP.)

22.31


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Präsident Dr. Heinz Fischer:
Danke, Frau Bundesminister.

Zu Wort gemeldet ist Herr Abgeordneter Dolinschek. – Bitte.

22.31

Abgeordneter Sigisbert Dolinschek (Freiheitliche): Herr Präsident! Frau Bundesminister! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich verhehle nicht, Frau Bundesminister, daß es mir lieber gewesen wäre, wenn die Bundesregierung, wenn die Koalition den Weg einer Neukonstruktion beschritten hätte. Ich weiß, daß die Zeit dazu relativ knapp war und kaum Möglichkeiten bestanden, aber es wäre mir lieber gewesen, wenn die Gewährung der Notstandshilfe anders geregelt, nämlich nicht mehr als Versicherungsleistung definiert worden wäre, sodaß der Artikel 14 der Menschenrechtskonvention nicht mehr eine Gleichbehandlung der Ausländer erzwingen würde.

Diese Konstruktion hätte allerdings eine grundlegende Umgestaltung, wie etwa eine Verlagerung der Sozialhilfe hin zur Landeskompetenz, notwendig gemacht. In diesem Fall wäre natürlich auch keine Kostenexplosion erfolgt, wie sie jetzt durch diese Konstruktion auftreten wird, und zwar deshalb, weil es vor allem in den Jahren 1990 und 1991, als von der Bundesregierung praktisch eine zügellose Einwanderungspolitik betrieben worden ist, zu einem überproportionalen Anstieg der Zahl beschäftigter Ausländer gekommen ist. Diese Politik fällt heute der Bundesregierung und der gesamten österreichischen Bevölkerung auf den Kopf.

Auf der anderen Seite gibt es noch immer die Ungleichbehandlung der Kinder von Österreichern, die im Ausland geboren werden, gegenüber jenen, die österreichische Staatsbürger sind und in Österreich geboren werden. Das haben die Kollegen Kier und Öllinger ebenfalls erläutert. Ich finde das nicht ganz in Ordnung. Zuerst hätte dieser Bereich einer Reparatur bedurft und dann erst andere.

Überdies ist es meiner Meinung nach höchst interessant, daß die Mehrkosten in der ursprünglichen Regierungsvorlage mit zirka 400 Millionen Schilling beziffert wurden und daß sich dieser Betrag jetzt auf 35 Millionen Schilling in diesem Jahr und auf 53 Millionen Schilling im nächsten reduziert hat.

Wir von der Freiheitlichen Partei werden dieser Gesetzesreparatur betreffend die Notstandshilfe für Ausländer – wie schon der Änderung im vergangenen Jahr – nicht zustimmen. Die Sinnhaftigkeit einer Vorverlegung des Inkrafttretens vom 1. Jänner 2000 auf 1. April 1998 ändert nichts an unserer Ablehnung der neuen Regelung und der Auszahlung von Notstandshilfe an Ausländer in der Form, die jetzt vorgesehen ist. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

22.34

Präsident Dr. Heinz Fischer: Nächste Rednerin ist Frau Abgeordnete Stoisits. – Bitte.

22.34

Abgeordnete Mag. Terezija Stoisits (Grüne): Meine sehr geehrten Damen und Herren! Geschätzte Frau Bundesministerin! Herr Präsident! Ich bin ein bißchen erstaunt darüber, Frau Bundesministerin – obwohl ich ein wenig Nachsicht mit Ihnen habe, weil Ihnen das Erkenntnis erst so kurze Zeit vorliegt und Sie es nicht so gut kennen können; allerdings haben wir es auch noch nicht viel länger –, daß Sie hier das Hohe Haus mit Zitaten aus dem Erkenntnis davon überzeugen wollen, daß es sich bei der Notstandshilfe um eine Mischform, wie Sie es genannt haben, handle und daß unklar sei, wie man dies interpretieren soll.

Meiner Ansicht nach ist das aber sonnenklar, meine Damen und Herren! Meiner Ansicht nach ist sonnenklar, wie das zu lesen ist, weil es wörtlich drinsteht. Es steht auf Seite 8 – vorhin haben Sie zitiert, jetzt zitiere ich – des Erkenntnisses: Angesichts dieser Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte – jetzt kommt es – sieht sich der Verfassungsgerichtshof veranlaßt, seine bisherige Judikatur zu überdenken. Jedenfalls vorläufig nimmt der Verfassungsgerichtshof mit dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte an, daß der Anspruch auf Notstandshilfe als vermögenswertes Recht im Sinne der MRK geschützt sei. – Vorläufig! (Bundesministerin Hostasch: Ja!)

Sie meinen, das ist so zu interpretieren, daß das alles nicht ganz klar ist, und man wird ja sehen. (Abg. Dr. Feurstein: Nein, das ist eine Unterstellung!) Aber bitte, auf Seite 18 dieses ... (Abg. Dr. Feurstein: Sie haben der Frau Ministerin nicht zugehört!) Das hat sie gesagt, ich habe sehr gut zugehört. Ich sehe ein bißchen schlecht, aber ich höre sehr gut. (Beifall bei den Grünen.)

Auf Seite 18 dieses Erkenntnisses steht nämlich das unserer Auffassung nach Entscheidende für dieses Erkenntnis, warum es jetzt vollkommen zweifelsfrei ist, daß es sich um Versicherungsleistungen handelt. Denn dort steht folgendes: Ausschlaggebend dafür ist der auch vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in der zitierten Entscheidung hervorgehobene Umstand, daß es sich bei der Notstandshilfe um eine Sozialversicherungsleistung handelt, der eine vorher zu erbringende – das steht in Klammer – Gegenleistung des Anspruchsberechtigten gegenübersteht. – Das wird noch weiter ausgeführt.

Frau Bundesministerin! Es kann gar nicht klarer festgehalten werden als hier in diesem Erkenntnis. Darauf weise ich jetzt nur hin, weil die Kolleginnen und Kollegen, denen dieser Text nicht vorliegt, das nicht gelesen haben und weil das alles so schnell geht. Aus diesem Grund und nicht, um Sie zu korrigieren, habe ich mich zu Wort gemeldet, denn ich wußte ja noch gar nicht, was Sie sagen werden.

Was mich auch erstaunt und verwundert macht, meine sehr geehrten Damen und Herren – denn ich habe ja immer noch die Hoffnung, daß es in der Politik auch so etwas wie vernunftgeleitete Entscheidungen gibt –, ist die Vorgangsweise rund um diese rasche – was heißt rasch? –, um diese schleunigst erfolgte Änderung, denn sie zeigt, was die wahre Absicht der Regierung insgesamt und der beiden Regierungsfraktionen ist, nämlich die wahre Absicht, die ja die Politik in bezug auf Rechte ausländischer Mitbürgerinnen und Mitbürger in den letzten Jahren in den verschiedensten Bereichen geprägt hat, und so auch im gesamten Bereich der Ausländerbeschäftigung und der Rechte, die sich daraus ergeben.

Meiner Ansicht nach ist man aber vorher noch kaum je so weit gegangen wie diesmal. Um das politische Ziel, die Diskriminierung ausländischer Mitbürgerinnen und Mitbürger, weiter aufrechtzuerhalten, diskriminiert man auch inländische Mitbürgerinnen und Mitbürger, Österreicher nach dem Reisepaß. Dabei hofft man, daß das nicht allzu auffällig ist, da hofft man, daß es nicht allzu viele geben wird, die sich darüber beschweren werden, da es ja tatsächlich nicht viele sind. Beispiele wie das, das Kollege Kier genannt hat, wird man suchen müssen, um sie zu finden, aber es gibt sie, und es wird Betroffene geben.

Diese Betroffenen werden – dessen können Sie sich hundertprozentig sicher sein – genau das tun, was jetzt auch passiert ist: nämlich den Weg zu den Höchstgerichten beschreiten. Wir


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sehen uns ja schon – Kollege Öllinger hat das bereits ausgeführt – mit der nächsten Entscheidung konfrontiert, wonach es wieder Korrekturen geben wird müssen. Es schmerzt eine Parlamentarierin wirklich, wenn sie sehen muß, wie hier in vollem Bewußtsein Recht gesetzt wird, das Unrecht ist. Frau Bundesministerin, das wissen Sie genausogut, wie ich es weiß.

Das, meine sehr geehrten Damen und Herren, wollte ich hier unbedingt deponiert wissen, auch bezug nehmend auf die Worte der Bundesministerin, daß der Verfassungsgerichtshof so böse sei, uns da zu etwas zwinge und nicht einmal einen Tag Zeit gebe. Es müsse alles so schnell gehen, weil es sonst ja etwas kosten könnte.

Frau Bundesministerin! Wir haben lange genug gewußt, wie der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte entschieden hat. Das ist nicht von einem Tag auf den anderen geschehen. Das ist jetzt schon seit langem bekannt, so lange, daß wir bereits letztes Jahr eine gesetzliche Regelung getroffen haben. Es geht darum, daß es nichts kosten soll, weil es ja Nutznießer geben könnte, Nutznießer im Sinne von Berechtigten, die ihr Recht in Anspruch nehmen. – Das, bitte schön, möchte ich hier – wie es auch Kollege Kier und Kollege Öllinger schon getan haben – noch einmal betonen.

Und jenen Kolleginnen und Kollegen, die vielleicht Gefahr laufen, diese unterschwellige, subkutane Botschaft zu glauben, weil sie auch so über die Medien transportiert wird: Um Gottes Willen, das Parlament muß sogar Nachtsitzungen abhalten, alle Bundesräte von Österreich müssen morgen zusammenkommen, weil es Ausländer gibt, die Ansprüche geltend machen könnten. Hoppla, das geht ja nicht, und deshalb muß diese ganze Inszenierung hier stattfinden!, möchte ich sagen: Das ist es, was hängenbleiben wird. Es wird nirgends hängenbleiben, wieviel Ersparnis es gibt und um wieviel billiger es ist, sondern die Österreicherinnen und Österreicher werden – durch bestimmte Medien selbstverständlich noch aufgeregt – diese Botschaft sehr wohl verstehen: Wir wollen sie nicht mit ihren Rechten, und wir wollen ihnen diese Rechte nicht geben.

Zuallerletzt, Frau Bundesministerin: Angesichts der Tatsache, daß man den ausländischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern seit Jahren und gänzlich uneuropäisch das passive Betriebsratswahlrecht vorenthält, möchte ich zur Änderung dieses Zustandes nur einen Funken soviel Einsatz von Ihnen erleben, wie Sie ihn jetzt in diesem Szenario der raschen Umsetzung Ihrer Interpretation des Verfassungsgerichtshofes gezeigt haben. (Beifall bei den Grünen.)

22.41

Präsident Dr. Heinz Fischer: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Meisinger. – Bitte.

22.42

Abgeordneter Josef Meisinger (Freiheitliche): Herr Präsident! Geschätzte Damen und Herren! Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat bereits Ende 1996 entschieden, daß dieses österreichische Gesetz für Notstandshilfe nicht der Konvention entspricht. Daraufhin hat die Koalition eine meiner Ansicht nach äußerst schwache Novelle – mit Wirkungsbeginn Anfang des Jahres 2000 – in dem Wissen beschlossen, daß diese Scheinlösung vor dem Verfassungsgerichtshof wahrscheinlich nicht standhalten wird.

Aber das hat die Frau Bundesministerin in Kauf genommen, und es ist ja so üblich, daß die Bundesregierung so reagiert. Hauptsache es wird Negatives, es werden Probleme über den nächsten Nationalratswahltermin, in dem Fall über 1999, hinaus verschoben.

Geschätzte Damen und Herren! Warum hat die zögerliche Koalition sich nicht schon Anfang 1997 zu einer Neuordnung dieser brennenden Materie entschlossen? Hätte die Bundesregierung den Schritt weg von der Versicherungsvariante, hin zu einer anderen sozialen Absicherung gewagt, hätte sie das in Angriff genommen, dann wäre dieses Problem bereits gelöst und es wäre eine profunde Lösung geworden. Aber konstruktive, zielstrebige Arbeit ist schon immer ein Fremdwort für diese Bundesregierung gewesen. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Diese heutige Feuerwehraktion dient ausschließlich einer Ausgabenminimierung auf – für mich unglaubwürdige – 100 Millionen Schilling bis Ende 1999, die Sie, Frau Bundesministerin, heute


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im Ausschuß genannt haben. Sonst würden die Mehrkosten, wie man heute gehört hat, etwa 1,1 Milliarden Schilling oder eventuell sogar 2 Milliarden Schilling betragen. Darüber ist man sich ja nicht ganz einig geworden.

Es bleibt noch abzuwarten, ob dieses neue Gesetz wieder vom Verfassungsgerichtshof aufgehoben wird, wie das in letzter Zeit, speziell im Sozialbereich, immer häufiger der Fall ist. Die derzeitigen Schritte der Sozialgesetzgebung, die von einem Fettnapf in den nächsten tritt, von einer Gesetzesaufhebung durch das Höchstgericht zur nächsten wandelt und von einem Schwall der Gesetzesnovellen im Sozialbereich zum nächsten torkelt – das, Frau Bundesministerin, ist ein wahrhaft gefährlicher Pfusch! Da brauchen gerade Sie den vielen fleißigen Österreichern gar nicht über die Medien anzudrohen, das Pfuscherwesen rigoros und nachhaltig zu verfolgen. In Ihrer Sozialgesetzgebung, sind Sie säumig! Sie sind aufgerufen, dem Pfusch keinen Vorschub mehr zu leisten und den vielen Fehlleistungen in Ihrem Bereich endlich einmal den Kampf anzusagen. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Geschätzte Damen und Herren! Da gibt es einen Beschwerdeführer, der einen materiellen Schaden von 800 000 S einfordert. Dieser hat sich nach der Einforderung 1987 bereits außer Landes begeben und dann diese Forderung weiterverfolgt. (Abg. Grabner: Wer war das?) Der Gerichtshof hat dann unter Vornahme einer Einschätzung auf der Grundlage der Billigkeit dem Betroffenen 200 000 S zugesprochen.

Geschätzte Damen und Herren, jetzt frage ich Sie: Wie viele Österreicher leben unter der Armutsgrenze und haben ihr Leben lang in Österreich gearbeitet? Wo bleibt da die Gerechtigkeit, wenn ein Beschwerdeführer, so wie es da drinsteht, nur zu gewissen Zeiten in Österreich gearbeitet hat?

Frau Bundesministerin! Es wäre höchst an der Zeit, daß Sie sich aufrichtige Sozialgesetzgebung zum Vorbild nehmen und nicht tendenziöse! (Beifall bei den Freiheitlichen.)

22.46

Präsident Dr. Heinz Fischer: Zu Wort gelangt Frau Abgeordnete Dr. Petrovic. Die restliche Redezeit beträgt 4 Minuten. – Bitte.

22.46

Abgeordnete MMag. Dr. Madeleine Petrovic (Grüne): Herr Präsident! Frau Bundesministerin! Hohes Haus! Das ist heute ein Aufeinandertreffen von Zahlen: Der Herr Verteidigungsminister hat sich bei den Ankäufen NATO-tauglicher Panzer verschätzt. Sie werden nicht 6 Milliarden Schilling kosten, sondern 10,8 Milliarden, ein Panzer ungefähr 30 Millionen Schilling. Wenn also im nächsten Jahr vielleicht 50 Millionen Schilling an Mehrkosten für Notstandshilfe entstehen, dann scheint es offenbar so zu sein, daß der Sozialdemokratie die Absicherung von zwei Panzern erheblich mehr wert ist als die Absicherung vieler Menschen in Not. Das ist traurig! (Beifall bei den Grünen. – Abg. Dr. Maitz: Polemik!)

Zum zweiten, zur Argumentation, die immer wieder vom Innenminister zu hören ist über die Voraussetzungen für die Einbürgerung, den sichtbaren Integrationswillen – worüber man reden kann –: Was nützt es den Leuten, wenn sie noch so gut Deutsch können und wenn sie wirklich zeigen, daß sie Teil dieser Gesellschaft sein wollen, wenn sie dann von Gesetzen eingeholt werden, die besagen: Wurscht, du kannst einen österreichischen Reisepaß haben, aber diskriminiert bleibst du! Das ist die Botschaft: Menschen zweiter Klasse! Herr Abgeordneter Guggenberger! Wie stehen Sie dazu? – Ich würde mir dazu wirklich eine klärende Bemerkung erwarten.

Und warum hat der Verfassungsgerichtshof hier "per sofort" gesagt? – Weil gerade in Angelegenheiten der Sozialpolitik dieses Hohe Haus – unter Beteiligung der Sozialdemokratie – mit den Regierungsfraktionen immer dreister über die sozialen Rechte drüberfährt. Das pfeifen die Spatzen von den Dächern. Sie können doch nicht bestreiten, daß etwa die Kolporteure wirklich die unselbständigsten Arbeitnehmerinnen und vor allem Arbeitnehmer sind, und trotzdem verweigert man ihnen ihre Rechte, trotzdem läßt man zig Fälle zu den Höchstgerichten gehen, weil es ja dem Herrn Dichand oder dem Herrn Falk nicht passen könnte, daß sie Sozialleistungen


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erbringen müßten. – Herr Abgeordneter Nürnberger! Das Bollwerk der sozial Schwachen? Oder nur dort, wo kein entsprechend mächtiger Gegendruck besteht?

Gerade mit der Regelung über acht Jahre Versicherungszugehörigkeit innerhalb von zehn Jahren schmeißen Sie alle Saisonniers, alle Bauarbeiter, alle Arbeiterinnen und Arbeiter in der Land- und Forstwirtschaft sowie im Tourismus hinaus. Das ist eine Regelung, die unendlich traurig macht!

Und ein letztes: Nicht nur, daß die Arbeitslosenversicherung – Versicherung, Frau Bundesministerin Hostasch! – hoch aktiv ist und ausgeräumt wird, wie das heute schon mehrmals erwähnt wurde, noch dazu zahlen die Ausländerinnen und Ausländer in Summe im Jahr um etwa 10 Milliarden Schilling mehr in die Töpfe ein, als sie herausbekommen, wie Ihnen aus den Statistiken und Berechnungen auch der Arbeiterkammern bekannt sein wird! Das ist eine doppelte Diskriminierung, die natürlich nicht halten wird!

Meine Damen und Herren! Es ist traurig, was an diesem einen Tag in Sachen Panzer und in Sachen armer Menschen hier beschlossen wird. Ich könnte hier noch viele weitere gesetzliche Diskriminierungen nennen, aber ich möchte Ihnen in Abwandlung eines Satzes, den Petra Kelly einmal gesagt hat, nur etwas zum Nachdenken mitgeben. Petra Kelly hat einmal gesagt: "Wir können sie nicht zwingen, die Wahrheit zu sagen, aber wir können sie dazu bringen, immer dreister zu lügen." – Ich möchte hier sagen: Wir können Sie nicht dazu bringen, sozial gerechte Gesetze zu machen, aber wir können Sie dazu bringen, immer gröbere Rechts- und Verfassungswidrigkeiten zu beschließen, die fallen werden! (Beifall bei den Grünen.)

22.51

Präsident Dr. Heinz Fischer: Zu Wort ist niemand mehr gemeldet. Die Debatte ist geschlossen.

Ein Wunsch nach einem Schlußwort liegt mir nicht vor.

Wir kommen daher zur Abstimmung.

Wir stimmen ab über den Gesetzentwurf samt Titel und Eingang in 1109 der Beilagen in zweiter Lesung.

Ich ersuche jene Damen und Herren, die diesem Gesetzentwurf in zweiter Lesung ihre Zustimmung erteilen, um ein Zeichen. – Die Vorlage ist in zweiter Lesung mit Mehrheit angenommen.

Wir kommen sogleich zur dritten Lesung.

Ich bitte jene Damen und Herren, die dem vorliegenden Gesetzentwurf auch in dritter Lesung ihre Zustimmung erteilen, um ein diesbezügliches Zeichen. – Ich stelle fest, daß der Gesetzentwurf somit auch in dritter Lesung angenommen ist.

Verlesung des Amtlichen Protokolls

Präsident Dr. Heinz Fischer: Es liegt mir das schriftliche Verlangen von 20 Abgeordneten vor, nicht eine Dringliche Anfrage einzubringen (Heiterkeit), sondern die vorgesehene Fassung des Amtlichen Protokolls zu verlesen, damit dieses mit Schluß der Sitzung als genehmigt gilt. Dadurch soll die umgehende Ausfertigung des vom Nationalrat heute gefaßten Gesetzesbeschlusses zur Weiterleitung an den Bundesrat ermöglicht werden.

Ich werde diesem Verlangen entsprechen und verlese folgenden Entwurf für das Amtliche Protokoll:

"Mit der erforderlichen Zweidrittelmehrheit wird gemäß § 44 Abs. 2 GOG von der 24stündigen Frist für das Aufliegen des Ausschußberichtes in 1109 der Beilagen Abstand genommen.


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Anschließend Verhandlung des Berichtes des Ausschusses für Arbeit und Soziales über den Antrag 721/A der Abgeordneten Annemarie Reitsamer, Dr. Gottfried Feurstein und Genossen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Arbeitslosenversicherungsgesetz 1977 geändert wird (1109 der Beilagen).

Der Gesetzesentwurf wird gemäß dem Ausschußantrag in 1109 der Beilagen in zweiter Lesung und in dritter Lesung mit Stimmenmehrheit angenommen."

Ich frage das Hohe Haus, ob sich Einwendungen gegen diese Fassung beziehungsweise diesen Inhalt des Amtlichen Protokolls erheben. – Dies ist nicht der Fall.

Das Amtliche Protokoll gilt daher gemäß § 51 Abs. 6 der Geschäftsordnung mit Schluß der heutigen Sitzung als genehmigt.

*****

Die Tagesordnung ist erschöpft.

Die nächste Sitzung des Nationalrates, die für Mittwoch, den 15. April, 10 Uhr, in Aussicht genommen ist, wird auf schriftlichem Wege einberufen werden.

Die Sitzung ist geschlossen.

Schluß der Sitzung: 22.53 Uhr