Der EGMR erachtete die Beschwerde zunächst als zulässig, weil die Verweigerung der Einsicht in die Urteilsbegründung die Beschwerdeführerin in ihren Rechten gemäß Art. 10 EMRK berühre:
Zwar verleihe Art. 10 EMRK ausdrücklich weder das Recht auf Zugang zu Informationen, die sich in staatlichem Besitz befinden, noch verpflichte diese Bestimmung staatliche Stellen, solche Informationen herauszugeben. Allerdings habe der Gerichtshof in seiner Rechtsprechung (Verweis auf EGMR [GK], 8.11.2017, 18030/11, Magyar Helsinki Bizottság gg. Ungarn) festgehalten, dass ein solches Recht bzw. eine solche Verpflichtung entstehen kann, wenn die Offenlegung der Informationen von einem Gericht angeordnet wurde oder wenn der Zugang zu den Informationen für die Ausübung des Rechts auf freie Meinungsäußerung der anfragenden Person von Bedeutung ist.
Die (kumulativen) Kriterien zur Bestimmung, ob der Zugang zu Informationen für die Ausübung des Rechts auf Meinungsfreiheit von Bedeutung ist, sind: der Zweck der Informationsanforderung, die Art der angeforderten Informationen, die Rolle der informationssuchenden Person beim Erhalt und der Weitergabe der Informationen an die Öffentlichkeit und ob die Informationen bereit und verfügbar sind.
In diesem Fall sei das erste Kriterium erfüllt, weil das Begehren der Beschwerdeführerin Teil ihrer Arbeit als Journalistin sei und sie bereits einen Artikel über das Verfahren gegen den ehemaligen Innenminister publiziert habe. Das zweite Kriterium sei erfüllt, weil das gegen den ehemaligen Innenminister geführte Strafverfahren auf Grund der Art der Vorwürfe von besonderem öffentlichen Interesse gewesen sei. Auch das dritte Kriterium sei erfüllt, weil es sich bei der Beschwerdeführerin um eine Journalistin im Rahmen ihrer Berufsausübung gehandelt habe. Schließlich sei auch das vierte Kriterium erfüllt, weil die angefragten Informationen bereit und verfügbar gewesen seien.
Weil sohin die vom EGMR aufgestellten Kriterien betreffend das Recht auf Zugang zu Informationen, die sich in staatlichem Besitz befinden, erfüllt gewesen seien, habe eine Verpflichtung Bulgariens bestanden, der Beschwerdeführerin die gewünschte Urteilsbegründung auszuhändigen. Weil dieser Verpflichtung nicht nachgekommen worden sei, liege ein Eingriff in die Rechte der Beschwerdeführerin gemäß Art. 10 EMRK vor.
Dieser könne aber gerechtfertigt sein, wenn er gesetzlich vorgesehen sei, ein in dieser Bestimmung genanntes legitimes Ziel verfolge und zur Erreichung dieses Ziels in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sei.
In diesem Fall sei bereits fragwürdig, ob der Eingriff gesetzlich vorgesehen sei. Es sei nämlich unklar, unter welchen Umständen Journalist:innen Zugang zu Urteilsbegründungen erhalten könnten. Damit ein Eingriff aber als "gesetzlich vorgesehen" gelte, müsse er unter anderem vorhersehbar sein. Diese Frage könne jedoch dahinstehen, weil der Eingriff ohnedies nicht "in einer demokratischen Gesellschaft notwendig" sei.
Ungeachtet dessen verfolge die Beschränkung des Informationszugangs ein legitimes Ziel, weil die Offenlegung verdeckter behördlicher Überwachungsmöglichkeiten deren künftigen Einsatz in Angelegenheiten der nationalen Sicherheit beeinträchtigen könnte (vgl. dazu die Judikaturauswertung zu EGMR 3.2.2022, 39325/20, Šeks gg. Kroatien).
Es sei jedoch fraglich, ob es in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sei, der Öffentlichkeit sämtliche Gründe für den Freispruch des ehemaligen Innenministers vorzuenthalten, um das staatliche Bedürfnis nach Geheimhaltung von Überwachungsmöglichkeiten zu befriedigen. Der EGMR habe nämlich bereits mehrfach festgehalten, dass auch in Fällen, die die nationale Sicherheit tangieren, die vollständige Geheimhaltung eines Urteils nicht gerechtfertigt sei. Es sei nämlich möglich, legitime Sicherheitsbedenken zu berücksichtigen, ohne auf fundamentale Verfahrensgarantien wie die Öffentlichkeit gerichtlicher Entscheidungen zu verzichten; etwa durch teilweise Schwärzungen. Auch hätte das Gericht die Möglichkeit, zwei Fassungen des Urteils zu erstellen: Eine "offene", öffentlich zugängliche und eine "geschlossene" Fassung, die lediglich den Verfahrensparteien und ihren Vertreter:innen zugänglich ist und die jene Teile des Urteils enthält, die der "offenen" Fassung vorenthalten werden müssten, weil andernfalls die nationale Sicherheit gefährdet wäre.
Sohin hätten die bulgarischen Gerichte das von ihnen verfolgte Ziel auf anderem Wege erreichen können. Die Geheimhaltung der gesamten Urteilsbegründung falle daher aus jedem akzeptablen Beurteilungsspielraum heraus und sei in einer demokratischen Gesellschaft nicht notwendig gewesen, weshalb Art. 10 EMRK verletzt worden sei.