Fachinfos - Parlamentsforschung 27.09.2023

Tag der Parlamentsforschung 2023: Tagungsbericht

Am 26. Juni 2023 kamen erstmals Vertreter:innen aus Forschung und politischer Praxis im Hohen Haus zum Tag der Parlamentsforschung zusammen (27.09.2023).

Brücke zwischen Theorie und Praxis

Über 100 Gäste und Teilnehmende tauschten sich in den Räumlichkeiten des Parlaments darüber aus, wie und welches Wissen in Parlamente kommt. Mit der Veranstaltung wolle die Parlamentsdirektion eine Brücke zwischen Theorie und Praxis schaffen, betonte Parlamentsdirektor Harald Dossi in seinen Eröffnungsworten. Das Ziel sei ein weiterführender, kontinuierlicher Austausch zwischen parlamentarischer Forschung und Praxis.

Keynotes

Für Keynote-Vorträge konnten der Politikwissenschaftler Marc Geddes (University of Edinburgh; zu der Zeit am Institute for Parliamentary Research in Berlin) sowie die Rechtswissenschaftlerin Iris Eisenberger (Universität Wien) gewonnen werden.

Marc Geddes: What do parliaments know?

Den Anfang machte die Keynote-Speech des britischen Politikwissenschaftlers Marc Geddes. Er forscht im Bereich Wissensgenerierung und -evaluierung im britischen Parlament sowie im deutschen Bundestag. Dabei steht die Frage im Zentrum, welche Inhalte für Abgeordnete als "gutes" Wissen interpretiert werden und warum. In seinem Vortrag hielt er fest, dass Wissen unterschiedlich wahrgenommen und weiterverwendet wird – je nach dessen Art und Herkunft. Daraus schlussfolgerte er, dass Parlamente als Wissensinstitutionen interpretiert werden müssen. Wissen und Demokratie sind demnach nicht separiert voneinander zu verstehen.

Geddes, Keynote: What do parliaments know?  / PDF, 2 MB

Iris Eisenberger: How do parliaments know?

Die Rechtswissenschaftlerin Iris Eisenberger hielt die zweite Keynote-Speech mit dem Titel "How do parliaments know? Expert, lay and AI knowledge in law making". Sie betonte dabei, dass es in den letzten Jahren zu einer Vermischung der Rollen von Forschenden und Politiker:innen gekommen sei und plädierte für eine klare Aufgabentrennung. Sie machte sich zudem für mehr Einbindung von Laienwissen in Gesetzgebungsprozesse stark und mahnte zu Vorsicht beim Einsatz von Künstlicher Intelligenz in selbigem. Diese würde in erster Linie die Mehrheitsmeinung wiedergeben und somit die Anliegen von Minderheiten zu wenig berücksichtigen.

Diskussion zu aktuellen Fragender Parlamentsforschung

Christoph Konrath vom Rechts-, Legislativ- und Wissenschaftlichen Dienst führte im Anschluss eine Diskussion mit den beiden Speaker:innen. Dabei wurde herausgearbeitet, dass das Wissen, das Parlamentarier:innen nutzen, nur dann diverser sein könne, wenn auch die Parlamentarier:innen selbst diverser seien. Laut Marc Geddes läge es in der Verantwortung der Parteien, Kandidat:innen mit diversen Biographien aufzubauen. Weiteres Thema der Diskussion waren die Parlamentsverwaltungen und ihre wissenschaftlichen Dienste. Iris Eisenberger rief in diesem Zusammenhang dazu auf, der Verwaltung mehr Zeit zu geben und den Effizienzgedanken manchmal hintan zu stellen, um dem eigenen Anspruch der Unparteilichkeit gerecht zu werden und vielfältige Standpunkte berücksichtigen zu können.

Panel Session 1

In Panel Session 1 wurde in zwei parallel stattfindenden Panels über folgende Themen diskutiert:

Panel 1: Different types of evidence in(to) parliamentary processes

Im ersten Panel standen unterschiedliche Arten von Evidenzen und deren Bedeutung für parlamentarische Prozesse im Zentrum. Teresa Weber (Wirtschaftsuniversität Wien) fragte danach, wie man rechtlich einfordern kann, dass Policies auf Evidenzen basieren. Rebeka Kiss (Universität für öffentlichen Dienst, Ungarn) analysierte die Verwendung von Erläuterungen in der ungarischen Gesetzesentstehung, Harald Niederhuber (Parlamentsdirektion Österreich) stellte Forschung zum (Online-)Beteiligungsverfahren im österreichischen Parlament vor. Zsolt Szabó (Károli Gáspár Universität Budapest) sprach über U-Ausschüsse als Instrument, um Evidenzen in den parlamentarischen Prozess zu bringen. Dominik Brenner (Central European University) gab Einblick in die Möglichkeiten von Big Data für Parlamentsforschung und evidenzbasierte Politik.

Folien Teresa Weber / PDF, 528 KB

Folien Rebeka Kiss / PDF, 913 KB

Folien Harald Niederhuber / PDF, 845 KB

Folien Zsolt Szabó / PDF, 968 KB

Folien Dominik Brenner, Mihály Fazekas, Cyril Benoit / PDF, 2 MB

Panel 2: The role of parliaments in international relations

In Panel 2 wurden vor allem internationale Aspekte von Parlamenten behandelt. Davor Jancic (Queen Mary University of London) sprach über parlamentarische Diplomatie zwischen dem Europäischen Parlament und China. Anna Khvorostiankina (Eurasia International University, Armenien) präsentierte Empfehlungen, wie europäische Twinning-Projekte noch effizienter gestaltet werden könnten. Den Abschluss machte die Kunsthistorikerin Julia Rüdiger (Katholische Privatuniversität Linz), die einen Einblick dazu gab, wie sich neue Anforderungen an die Politik in neuen Parlaments- und Regierungsgebäuden widerspiegeln.

Folien Davor Jancic / PDF, 1 MB

Folien Anna Khvorostiankina / PDF, 1 MB

Folien Julia Rüdiger / PDF, 2 MB

Panel Session 2

Auch in Panel Session zwei wurden zwei unterschiedliche Themen parallel zueinander diskutiert:

Panel 3: Parliaments dealing with uncertain knowledge

Im Panel 3 drehte sich alles um den Umgang mit sogenanntem "unsicheren Wissen". Sonja Riegler (Universität Wien) startete mit einem Beitrag zu der Involvierung von Expert:innen in politische Entscheidungsfindungsprozesse. Katrin Praprotnik (Universität Graz) führte im Anschluss daran aus, wie Partizipation durch sogenannte Mini-Publics die Wahrnehmung und Legitimität von Entscheidungsprozessen beeinflusst. Sarah Nash (Donau-Universität Krems) beschäftigte sich mit unterschiedlichen parlamentarischen Strategien im Umgang mit der Klimakrise und schlug die Entwicklung eines entsprechenden „parlamentarischen Ökosystems“ vor.

Fotis Fitsilis (Wissenschaftlicher Dienst, Hellenisches Parlament, Griechenland) stellte aktuelle Bestrebungen vor, ein ethisches und operatives Framework für Künstliche Intelligenz in Parlamenten zu entwickeln. Zuletzt sprach Dario Elia Tosi (Universität Turin) über die größten verfassungsrechtlichen Herausforderungen im Hinblick auf Rechtsstreitigkeiten bzgl. des Klimawandels.

Folien Sonja Riegler / PDF, 512 KB

Folien Katrin Praprotnik, Thomas M. Meyer / PDF, 1 MB

Folien Aron Buzogany, Patrick Scherhaufer, Sarah Nash / PDF, 1 MB

Folien Fotis Fitsilis / PDF, 1 MB

Folien Dario Elia Tosi / PDF, 1 MB

Panel 4: Representation, democratic culture and public perception

In Panel 4 beschäftigten sich Wissenschaftler:innen unterschiedlicher Disziplinen mit Repräsentation und demokratischer Kultur. Anna Minta (Katholische Privatuniversität Linz) machte mit einem Vortrag über Bildpolitik in und durch Regierungsgebäude(n) den Anfang. Oliver Huwyler (Universität Wien) diskutierte im Anschluss, ob es sich für Politiker:innen lohnt, ihre Nebeneinkommen zu veröffentlichen. Franziska Carstensen (Institut für Parlamentarismusforschung, Berlin) arbeitete Besonderheiten der Karrierewege von Abgeordneten in zweiten Kammern von Parlamenten heraus. Zuletzt präsentierte Marcelo Jenny (Universität Innsbruck) neueste Forschungsergebnisse zum Sprachstil parlamentarischer Redner:innen, deren Ursachen und Wirkungen.

Folien Anna Minta / PDF, 1 MB

Folien Oliver Huwyler, Stefanie Bailer, Nathalie Giger / PDF, 4 MB

Folien Claire Bloquet, Franziska Carstensen / PDF, 808 KB

Folien Marcelo Jenny, Christoph Ivanusch / PDF, 210 KB

Postersession

Es folgte eine Postersession, bei der mit den Autor:innen von zehn Postern über ihre Forschung diskutiert werden konnte.

Eine Auswahl der Poster zum Download:

  • Livia Wurzer, The parliamentary staff of Austrian National Council Members – a study of their background, job profile and recruitment: Poster / PDF, 952 KB

  • Gerald Kohl, The "International Commission for the History of Representative and Parliamentary Institutions" since 1936: Poster / PDF, 570 KB

  • Karin Rainer, Cosmas Grosser & Alois Leidwein, ROADS to Health: Decision support for future pandemic management: Poster / PDF, 359 KB

  • Fabian Sever, The parliament building of Theophil Hansen. Aspects of material iconology of a representative stone building of the second half of the 19th century: Poster / PDF, 16 MB

  • Elvin Gjevori, Besarta Vladi, Esmeralda Dida & Irena Gjika, The role of parliament in informing and raising awareness among young people on the EU integration process (The case of Albania): Poster / PDF, 658 KB

  • Marcelo Jenny, Fabian Habersack & Dominik Scherer, Conflict in Parliament: An Automated Analysis of the Behavior of Members of the Austrian National Council: Poster / PDF, 1 MB

  • Antonio Giovanni Luzzi, The Role of Parliamentary Diplomacy in advocating for issues of global relevance: the case of international terrorism: Poster / PDF, 1 MB

  • Elena Frech & Ulrich Sieberer, Coordination committees in European parliaments: A first look at their agenda-setting powers and internal decision-making procedures: Poster / PDF, 1 MB

Präsentation „Forschungsjahr im Parlament“

Ein weiterer Höhepunkt war die Präsentation jenes Forschungsprojekts, das für das erste "Forschungsjahr im Parlament" ausgewählt wurde. Einen Bericht zur Präsentation und zum Forschungsprojekt finden Sie unter:

"Forschungsjahr im Parlament" 2023

Podiumsdiskussion: Science-Policy-Interface und Parlamente

Zum Abschluss stand im Rahmen einer Podiumsdiskussion die Frage im Zentrum: "Science-Policy-Interface und Parlamente. Wie kann ein kontinuierlicher Austausch gestaltet sein?"

Antworten darauf suchten Nationalratsabgeordnete a. D. Ruperta Lichtenecker  (Abteilungsleiterin im Kompetenzzentrum Klima und Gesundheit der Gesundheit Österreich GmbH), Michael Nentwich (Direktor des Instituts für Technikfolgen-Abschätzung ITA der Österreichischen Akademie der Wissenschaften), Johannes Pollak (Rektor der Webster Vienna Private University Wien) sowie Teresa Weber (Institute for Law and Governance der WU Wien). 

Details zu den Inhalten der Diskussion finden Sie unter:

Parlamentskorrespondenz Nr. 738/2023

Wir bedanken uns bei allen Teilnehmenden für die gelungene Veranstaltung und freuen uns auf den Tag der Parlamentsforschung 2024 am 20. Juni 2024!

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