Fachinfos - Fachdossiers 16.12.2021

Untersuchungsausschuss: Anforderungen eines Einsetzungsverlangens

Seit 2014 sind Untersuchungsausschüsse nicht nur auf (Mehrheits-)Beschluss des Nationalrates einzusetzen, sondern auch auf Verlangen eines Viertels seiner Mitglieder. Der Beitrag behandelt die Voraussetzungen eines Einsetzungsverlangens. (16.12.2021)

Untersuchungsausschuss: Welchen Anforderungen muss ein Einsetzungsverlangen entsprechen?

Am 13. Oktober 2021 haben Abgeordnete von SPÖ, FPÖ und NEOS von ihrem Minderheitsrecht Gebrauch gemacht und im Nationalrat gemeinsam ein Verlangen auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses („ÖVP-Korruptions-Untersuchungsausschuss“) eingebracht. Seit der Reform des Untersuchungsausschussrechts im Jahr 2014 ist ein Untersuchungsausschuss nicht nur auf (Mehrheits-)Beschluss des Nationalrates einzusetzen, sondern auch auf Verlangen eines Viertels seiner Mitglieder (sogenannte Einsetzungsminderheit).

Welche Anforderungen stellt der VfGH an ein Einsetzungsverlangen?

Der Verfassungsgerichtshof (VfGH) hat in seiner Entscheidung VfSlg 20.370/2020 vom März 2020 zum Verlangen auf Einsetzung des Ibiza-Untersuchungsausschusses folgende zentralen Voraussetzungen für die Verfassungskonformität eines solchen Verlangens formuliert:

  • Der Wahl des Anliegens der Untersuchung durch die Einsetzungsminderheit sind nach der Rechtsprechung des VfGH zunächst keine Grenzen gesetzt. Es ist allein der politischen Wertung der verlangenden Abgeordneten des Nationalrates überlassen, welches Anliegen „untersucht“ werden soll. Das Thema eines Untersuchungsausschusses kann daher grundsätzlich frei bestimmt werden. Ein konkreter Verdacht oder Anlass ist für das Verlangen nicht erforderlich.
  • Der Gegenstand, der untersucht werden soll, muss allerdings den in der Bundesverfassung festgelegten Anforderungen (53 Abs. 2 B-VG) entsprechen. Das heißt, er muss hinreichend bestimmt sein, wobei an diese Bestimmtheit keine zu hohen Anforderungen gestellt werden dürfen.
  • Im Verlangen ist im Einzelnen das Vorliegen der verfassungsrechtlich geforderten Voraussetzungen nachvollziehbar darzulegen. Es muss sich also aus dem Verlangen ergeben, dass es sich bei dem Untersuchungsgegenstand um einen bestimmten Vorgang im Bereich der Bundesvollziehung handelt, der bereits abgeschlossen ist. Ein Zusammenhang zwischen den zu untersuchenden Sachverhaltssträngen innerhalb eines "Vorgangs" muss vorhanden sein. Auch die Untersuchungsziele sind näher festzulegen. Es ist auszuführen, welche Themenbereiche der Untersuchungsausschuss im Rahmen seines Beweisverfahrens untersuchen soll. Jeder einzelner dieser Bereiche muss einen ausreichenden Zusammenhang mit dem festgelegten Vorgang aufweisen.
  • Es muss somit ein hinreichend klar umrissenes Arbeitsprogramm für den Untersuchungsausschuss aufgestellt werden. Der Untersuchungsausschuss kann in strenger Bindung daran nur in diesem Umfang tätig werden. Zudem bildet der Untersuchungsgegenstand die Begrenzung der dem Untersuchungsausschuss übertragenen (Zwangs-)Befugnisse. Er darf nur in diesem Umfang Beweise erheben, die Verwertung darüber hinausgehender Beweise ist unzulässig. Diese Festlegung dient auch dem Schutz der betroffenen Organe, weil damit deren Verpflichtung zur Vorlage von Akten und Unterlagen konkretisiert sowie der Umfang bestimmt wird, innerhalb dessen sie Ersuchen um Beweiserhebungen Folge zu leisten haben.

Die genannten Voraussetzungen muss die Einsetzungsminderheit bereits dem Geschäftsordnungsausschuss darlegen und nicht erst dem Verfassungsgerichtshof in einem allfälligen Verfahren.

Was ist ein „bestimmter abgeschlossener Vorgang im Bereich der Vollziehung des Bundes“?

Der im Verlangen festgelegte Untersuchungsgegenstand muss ein „bestimmter abgeschlossener Vorgang im Bereich der Vollziehung des Bundes“ (Art. 53 Abs. 2 B-VG) sein. Er muss also erstens im Bereich der Vollziehung des Bundes liegen, darf zweitens nur ein bestimmter Vorgang sein und muss drittens abgeschlossen sein. Was bedeuten diese Kriterien im Einzelnen?

Wann liegt ein Vorgang „im Bereich der Vollziehung des Bundes“?

Ein Untersuchungsausschuss kann ausschließlich einen Vorgang „im Bereich der Vollziehung des Bundes“ überprüfen. Zur Vollziehung gehören die Verwaltung und die Gerichtsbarkeit. Ausgeschlossen ist eine Überprüfung der Gesetzgebung und der Rechtsprechung, nicht jedoch der Bereich der Parlaments- und Justizverwaltung. Die Verwaltung des Bundes umfasst sowohl die hoheitliche als auch die nicht hoheitliche Besorgung von Verwaltungsaufgaben sowie die Privatwirtschaftsverwaltung des Bundes. Es kann sowohl formgebundenes als auch informelles Handeln untersucht werden.

Zusätzlich ist die Untersuchung aller Tätigkeiten von Organen des Bundes zulässig, durch die der Bund  wirtschaftliche Beteiligungs- und Aufsichtsrechte wahrnimmt, unabhängig von der Höhe der Beteiligung.

Ausgeschlossen sind grundsätzlich die Untersuchung privatwirtschaftlicher Tätigkeiten ausgegliederter Rechtsträger sowie rein privater Aktivitäten, die mit Verwaltungstätigkeiten in keinerlei Zusammenhang stehen. Das schließt auch die unmittelbare Untersuchung der Tätigkeiten politischer Parteien aus. Im Einzelfall kann die Unterscheidung zwischen amtlicher und privater Tätigkeit schwierig sein. Es kann insbesondere bei nicht rechtsförmlichem Handeln zu Überschneidungen zwischen (partei)politischem und amtlichem Handeln kommen, zulässig ist jedoch nur die Untersuchung amtlichen Handelns. Die Rolle politischer Parteien im Zusammenhang mit den untersuchten Vorgängen der Vollziehung kann aber im Einzelfall Gegenstand der Untersuchung sein.

Eine Untersuchung ist jedenfalls dann zulässig, wenn ein hinreichend enger Zusammenhang der zu untersuchenden Handlung zur amtlichen Tätigkeit bzw. Organfunktion (z. B. aufgrund bestehender Aufsichtsrechte) vorliegt. Ob ein amtliches oder privates/parteipolitisches Handeln vorliegt, ist danach zu beurteilen, ob es eine rechtliche Zuständigkeit oder Befugnis zu amtlichem Handeln gibt oder nicht.

Wann ist ein Vorgang „bestimmt“?

Untersucht werden kann nur ein „bestimmter“ Vorgang. Nach der Rechtsprechung des VfGH dürfen aber keine zu strengen Anforderungen an die Bestimmtheit eines Vorgangs gestellt werden. Der Vorgang muss nicht genau benannt werden, denn andernfalls würde die politische Kontrolle unterlaufen. Die Informationsgrundlagen für die genaue Benennung des Vorgangs liegen dem Untersuchungsausschuss vor der Untersuchung gerade nicht vor, sondern sind Ergebnis seiner Kontrolltätigkeit. Ziel eines Untersuchungsausschusses ist es schließlich, komplexe und umfassende Sachverhalte erst aufzuklären.

Der Vorgang muss daher nur „bestimmbar“ und „abgrenzbar“ sein. Die informationspflichtigen Organe müssen beurteilen können, welche Informationen für die Untersuchung jedenfalls abstrakt von Relevanz sein können. Der Untersuchungsgegenstand darf, um einen Rahmen für die Tätigkeit des Untersuchungsausschusses und die von Beweiserhebungen betroffenen Personen und Stellen abzustecken, auch nicht zu allgemein oder zu vage gehalten sein. Die Einsetzungsminderheit muss den Untersuchungsgegenstand möglichst weitgehend konkretisieren.

Die Untersuchung darf nach den Gesetzesmaterialien (AB 439 d.B. XXV. GP, S. 4) nur inhaltlich zusammenhängende Sachverhalte betreffen. Sie muss sich zwar nicht auf einen einzigen Vorgang beschränken, die Untersuchung mehrerer nur lose miteinander verknüpfter Vorgänge oder nicht direkt zusammenhängender Themenbereiche ist aber unzulässig. Die Nennung eines Generalthemas, das unterschiedliche Vorgänge ohne sonstigen Zusammenhang verbindet, ist jedenfalls unzureichend. Der Untersuchungsgegenstand darf aber in einzelne Abschnitte bzw. Beweisthemen untergliedert sein.

Wann ist ein Vorgang „abgeschlossen“?

Der zu untersuchende Vorgang muss zudem „abgeschlossen“ sein. Grund hierfür ist, dass durch die Tätigkeit eines Untersuchungsausschusses kein Einfluss auf einen noch offenen Entscheidungs- oder Willensbildungsprozess eines Organs der Vollziehung des Bundes genommen werden und dieser auch nicht in anderer Weise beeinträchtigt werden darf. Ein Vorgang ist jedenfalls dann „abgeschlossen“, wenn sich die Untersuchung auf einen zeitlich klar abgegrenzten Bereich in der Vergangenheit bezieht, etwa durch ein Enddatum eingrenzbar ist und/oder der Abschluss durch einen Vollzugsakt genau bestimmt ist.

Es ist allerdings nicht ausgeschlossen, dass mit dem zu untersuchenden Vorgang in Verbindung stehende Handlungen noch offen sind. Das kann im Einzelfall dazu führen, dass sich Befragungen von Auskunftspersonen im Untersuchungsausschuss oder Beweismittelanforderungen auf solche noch offenen Handlungen beziehen können, etwa auf die Vorbereitung einer Entscheidung der Bundesregierung oder auf noch nicht abgeschlossene Ermittlungen der Strafverfolgungsbehörden.

Neue Rechtslage (seit 2015):

Eine Übersichtstabelle aller bisherigen Untersuchungsausschüsse des Nationalrates seit 1988 kann hier heruntergeladen werden: Tabelle / PDF, 97 KB

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