Fachinfos - Fachdossiers 21.09.2022

Was umfasst die sachliche Immunität?

Die sachliche Immunität dient der Gewährleistung von Öffentlichkeit und Transparenz parlamentarischen Handelns. Dieses Fachdossier geht auf den (Schutz-)Umfang der sachlichen Immunität ein und zeigt ihre Grenzen auf. (21.09.2022)

Was umfasst die sachliche Immunität?

Das Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) bestimmt in Artikel 33, dass die Berichterstattung über gewisse öffentliche parlamentarische Verhandlungen frei von jeder Verantwortung bleibt. Personen, die wahrheitsgetreu über solche parlamentarischen Vorgänge berichten, müssen somit nicht fürchten, dafür rechtlich belangt zu werden. Diese Verantwortungsfreiheit (genannt sachliche Immunität) dient der Gewährleistung von Öffentlichkeit und Transparenz parlamentarischen Handelns.

Dieses Fachdossier konzentriert sich auf die Rechtslage im Nationalrat (NR). Zum Bundesrat siehe die Hinweise am Schluss des Beitrags.

Nach herrschender Ansicht in der Literatur ist die sachliche Immunität eine politische Konsequenz der persönlichen Immunität von Abgeordneten gemäß Art. 57 Abs. 1 B-VG. Insbesondere die berufliche Immunität wird durch die Immunität der Berichterstattung ergänzt (siehe dazu das Fachdossier „Was umfasst die berufliche Immunität?“ sowie weiters auch das Fachdossier „Was umfasst die außerberufliche Immunität? “).

Was bedeutet sachliche Immunität?

Gemäß Art. 33 B-VG bleiben „wahrheitsgetreue Berichte über die Verhandlungen in den öffentlichen Sitzungen des Nationalrates und seiner Ausschüsse […] von jeder Verantwortung frei“. Diese Immunität wird als „sachliche“ bezeichnet, weil ihr Schutz auf eine bestimmte Sache bezogen ist. Anders als durch die berufliche und außerberufliche Immunität sind nicht bestimmte Personen (Abgeordnete), sondern „wahrheitsgetreue Berichte“ geschützt. Sowohl natürliche als auch juristische Personen (z. B. Verlage) können sich auf die sachliche Immunität berufen.

Sachliche Immunität bedeutet, dass jede Rechtswidrigkeit einer wahrheitsgetreuen Berichterstattung über öffentliche parlamentarische Sitzungen ausgeschlossen ist. Berichterstattende können dafür somit rechtlich nicht belangt werden. Auch § 43 Abs. 1 Urheberrechtsgesetz knüpft daran an und sieht ein freies Werknutzungsrecht an öffentlich gehaltenen politischen Reden für Informationszwecke vor.

Damit sollen Öffentlichkeit und Transparenz parlamentarischer Vorgänge gewährleistet werden (zum Prinzip der Öffentlichkeit von Sitzungen des NR siehe Art. 32 B-VG). Im Ergebnis führt dies zu einer privilegierten Form der Medienberichterstattung über parlamentarische Prozesse, was in der gegenwärtigen Mediengesellschaft von besonderer Bedeutung ist. Der Parlamentarismus lebt nicht nur von den Verhandlungen im Sitzungssaal, der Veröffentlichung der Stenographischen Protokolle und der Berichterstattung in Printmedien, sondern etwa auch von einem regen Diskurs in den sozialen Medien sowie einem umfangreichen Informationsangebot des Parlaments selbst (vgl. das Angebot der Mediathek auf der Parlamentswebseite wie z. B. den Livestream zu Plenarsitzungen und on demand verfügbare Reden von Abgeordneten).

Wen schützt die sachliche Immunität?

Wie bereits erwähnt knüpft die „sachliche“ Immunität an eine bestimmte Sache, und zwar wahrheitsgetreue Berichte, nicht aber an spezifische Personen an. Zugute kommt die Schutzwirkung aber sehr wohl – in Form der Verantwortungsfreiheit – einzelnen Personen. Der persönliche Schutzbereich ist dabei auf Berichterstattende eingeschränkt. Eine offizielle Tätigkeit als Journalist:in ist nicht erforderlich. Vielmehr kann sich grundsätzlich jede berichterstattende (natürliche oder juristische) Person auf den Schutz der sachlichen Immunität berufen.

Der persönliche Schutzbereich der sachlichen Immunität kennt jedoch eine prominente Ausnahme: So können nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes (vgl. OGH 29.3.2000, 6 Ob 79/00m) die Mitglieder des NR selbst den Schutz der sachlichen Immunität nicht in Anspruch nehmen. Das betrifft insbesondere jene Konstellationen, in denen Abgeordnete ihre eigenen Aussagen außerhalb der Parlamentsverhandlungen wiederholen (z. B. im Rahmen einer Pressekonferenz) oder darüber sonst wie berichten (z. B. in den sozialen Medien). Damit wird verhindert, dass Abgeordnete Aussagen durch erstmaliges Tätigen im Parlament für die Zukunft immunisieren können.

Wo liegen die Grenzen der sachlichen Immunität?

Die sachliche Immunität ist einigen Grenzen unterworfen:

Was ist ein „wahrheitsgetreuer Bericht über die Verhandlungen“?

Geschützt sind nur „wahrheitsgetreue Berichte“:

  • Wahrheitsgetreu ist ein Bericht, wenn er formal der Wahrheit entspricht, d. h. wenn er die Geschehnisse korrekt wiedergibt. Auf die inhaltliche Wahrheit der wiedergegebenen Aussagen kommt es dagegen nicht an.
  • Vom Begriff des Berichts erfasst ist jede Information über den Sitzungsablauf, den Inhalt der in der Sitzung getätigten Wortmeldungen sowie die behandelten Verhandlungsgegenstände. Es kommt nicht auf eine bestimmte Form der Berichterstattung an. Auch Zusammenfassungen und Kurzberichte sind erfasst. Beifügungen wie den Bericht über den Sitzungsablauf ergänzende Kommentare oder Werturteile genießen jedoch nicht den Schutz des Art. 33 B-VG.

Der Begriff der „Verhandlungen“ ist weit zu verstehen und umfasst die Berichterstattung über das gesamte Sitzungsgeschehen. Erfasst sind Berichte über alle Vorkommnisse in den einschlägigen Sitzungen, d. h. neben Reden und Zwischenrufen auch z. B. Gesten und das Verhalten der Abgeordneten; nicht aber etwa Berichte über private Gespräche. Die Schutzwirkung ist insbesondere nicht auf den Inhalt der Stenographischen Protokolle des NR beschränkt.

Inwiefern auch schriftliche Informationen Bestandteil der Verhandlungen sein können, bleibt nach Art. 33 B-VG offen. Die Antwort bietet der einfachgesetzliche § 22 Geschäftsordnungsgesetz 1975 (GOG-NR), wonach insbesondere die in § 21 GOG-NR angeführten Verhandlungsgegenstände (mit Ausnahme der Petitionen und Bürgerinitiativen) als Bestandteile der Verhandlungen in den öffentlichen Sitzungen des NR iSd Art. 33 B-VG gelten (also z. B. auch parlamentarische Anfragen und Anfragebeantwortungen).

Im Fall der Verwendung von Bildern, Tafeln etc. durch Abgeordnete im Zuge einer Debatte erfolgen in den Stenographischen Protokollen ein diesbezüglicher Hinweis und eine Beschreibung des Gezeigten. Eine Abbildung bzw. ein Abdruck ist in den Protokollen jedoch nicht enthalten. Nach herrschender Ansicht sind auch Bilder von der Schutzwirkung des Art. 33 B-VG erfasst, demnach darf z. B. ein in einer Debatte zur Schau gestelltes Bild in den Medien 1:1 abgedruckt werden.

Was ist eine „öffentliche Sitzung“ des National­rates und seiner Ausschüsse?

Die Bundesverfassung sieht vor, dass Plenarsitzungen des NR grundsätzlich immer öffentlich sind (und die Öffentlichkeit nur im Ausnahmefall ausgeschlossen werden darf; Art. 32 Abs. 1 und 2 B-VG). Bei den Ausschüssen des NR verhält es sich umgekehrt: Deren Sitzungen sind grundsätzlich nicht-öffentlich und nur in bestimmten Fällen öffentlich (§ 37a Abs. 1 und 2 GOG-NR).

Die (wahrheitsgetreue) Berichterstattung über nicht-öffentliche Ausschusssitzungen ist nicht von Art. 33 B-VG geschützt. Das bedeutet im Umkehrschluss aber nicht, dass sie generell unzulässig wäre. Über Inhalte aus nicht-öffentlichen Sitzungen darf beispielsweise von Mitgliedern des NR oder Mitarbeiter:innen der Parlamentsdirektion (Parlamentskorrespondenz) berichtet werden.

Einen Sonderfall stellt die Anhörung von (u. a.) Auskunftspersonen in Sitzungen von Untersuchungsausschüssen des NR dar. Diese sind nach dem Gesetzeswortlaut „medienöffentlich“ (§ 17 VO-UA). Ob solche Sitzungen „öffentlich“ im Sinn des Art. 33 B-VG sind, ist in der Literatur umstritten. Ein Teil bejaht dies unter Hinweis auf die stellvertretende Funktion der Medien für die Gesamtöffentlichkeit (Kopetzki, Zögernitz). Nach anderer Meinung genießt die Berichterstattung über medienöffentliche Sitzungen nicht den Schutz der sachlichen Immunität, wohl aber freilich der Meinungsäußerungsfreiheit (Rami).

Wie verhält sich die sachliche Immunität zu den Grundrechten?

Sämtliche in einem Verhandlungsgegenstand oder einer Rede enthaltenen Informationen unterliegen dem Schutz der sachlichen Immunität. Die damit einhergehende „Immunisierung“ wird in der parlamentarischen Praxis mitunter genutzt, um straf- oder zivilrechtlich sensible Inhalte (durch ihre Aufnahme etwa in parlamentarische Anfragen bzw. deren Beantwortungen) straffrei für die politische Arbeit verwerten zu können. So wurden in der Vergangenheit z. B. strafrechtliche Befragungs- oder Abhörprotokolle in Anfragen wiedergegeben.

Für die Betroffenen kann dies freilich weitreichende Folgen haben, denn weder gegen die/den Abgeordnete:n selbst (siehe dazu das Fachdossier „Was umfasst die berufliche Immunität?“) noch gegen die (mediale) Berichterstattung über derartige sensible Informationen können sie sich rechtlich zur Wehr setzen.

Eine wichtige Rolle spielt in diesem Zusammenhang die Veröffentlichung der betreffenden Dokumente im Internet. Die Entscheidung darüber, ob bzw. welche parlamentarischen Inhalte auf der Webseite des Parlaments veröffentlicht werden, liegt – mit Ausnahme der Veröffentlichungspflicht insbesondere für Gesetzesinitiativen nach § 23b GOG-NR – im Ermessen des Präsidenten bzw. der Präsidentin des NR (§§ 23a iVm 14 Abs. 8 GOG-NR, vgl. auch VfSlg. 19.112/2010). Zwar spricht der Grundsatz der Parlamentsöffentlichkeit hier in der Regel für die Veröffentlichung. Im Fall von offenkundigen Verletzungen des Grundrechts auf Datenschutz besteht jedoch die parlamentarische Übung, von einer Veröffentlichung im Internet im Einzelfall abzusehen. Auf begründetes Ersuchen der/des Betroffenen können auf der Webseite veröffentlichte Dokumente nachträglich anonymisiert bzw. gelöscht werden; für Abgeordnete bleiben die Dokumente aber vollständig einsehbar (siehe dazu auch das Fachdossier zu den Grenzen des parlamentarischen Fragerechts). Für parlamentarische Untersuchungsausschüsse bestehen in diesem Zusammenhang Sonderregelungen. Hinzuweisen ist auch auf § 50 Z 3 MedienG, wonach der Großteil der medienrechtlichen Bestimmungen zum Persönlichkeitsschutz nicht auf (u. a.) die Parlamentswebseite anwendbar ist.

Was gilt für den Bundes­rat?

Für öffentliche Sitzungen des Bundesrates, der Bundesversammlung und der Landtage gilt die sachliche Immunität in gleicher Weise wie für den Nationalrat (siehe die sogenannten Verweisungsnormen in Art. 37 Abs. 3, Art. 39 Abs. 3 und Art. 96 Abs. 2 B-VG), nicht jedoch für Berichte über Sitzungen von Gemeinderäten. Für den Bundesrat legt § 17 Geschäftsordnung des Bundesrates fest, welche Verhandlungsgegenstände als Bestandteile der Verhandlungen in den öffentlichen Sitzungen gelten und somit vom Schutz der sachlichen Immunität umfasst sind.

Quellenauswahl

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Was umfasst die berufliche Immunität?

Der Zweck der sogenannten beruflichen Immunität ist es, Abstimmungsfreiheit und Redefreiheit im Parlament zu garantieren.

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Was umfasst die außerberufliche Immunität?

Die außerberufliche Immunität wurde zum Zweck des Schutzes der Handlungsfähigkeit des Parlaments geschaffen, indem dessen Abgeordnete vor willkürlicher oder politisch motivierter Verfolgung geschützt werden.

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In diesem Fachdossier werden die Eckpunkte des derzeitigen Verhältnisses zwischen Parlament und Justiz in Österreich dargestellt.

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Wesen und Reichweite des parlamentarischen Fragerechts

Das Fachdossier befasst sich mit Wesen, Zweck und Reichweite des Interpellationsrechts. Aus Gründen der Übersichtlichkeit konzentriert sich das Dossier dabei auf den Nationalrat.