Fachinfos - Fachdossiers 21.09.2022

Was umfasst die berufliche Immunität?

Der Zweck der beruflichen Immunität ist es, Abstimmungs- und Redefreiheit von Abgeordneten zu garantieren. Dieses Fachdossier zeigt, inwieweit Abgeordnete für ihr Abstimmungsverhalten und ihre Äußerungen geschützt sind. (21.09.2022)

Was umfasst die berufliche Immunität?

Der Zweck der sogenannten „beruflichen Immunität“ ist es, Abstimmungsfreiheit und Redefreiheit im Parlament zu garantieren. Gemeinsam mit dem Grundsatz des freien Mandats sichert die berufliche Immunität die Entscheidungsfreiheit der Abgeordneten. Wegen ihres Abstimmungsverhaltens dürfen Abgeordnete niemals, für die in ihrem Beruf gemachten Äußerungen nur vom Nationalrat selbst verantwortlich gemacht werden (Art. 57 Abs. 1 Bundes-Verfassungsgesetz [B-VG], § 10 Geschäftsordnungsgesetz 1975 [GOG-NR]).

Der Schutz der Rede- und Meinungsäußerungsfreiheit demokratisch gewählter parlamentarischer Vertreter:innen ist für den demokratischen (Willensbildungs-)Prozess von entscheidender Bedeutung.

Dieses Fachdossier behandelt die berufliche Immunität von Nationalratsabgeordneten (Art. 57 Abs. 1 B-VG). Zur beruflichen Immunität von Mitgliedern des Bundesrates siehe die Hinweise am Schluss des Beitrags.

Was bedeutet die berufliche Immunität?

Durch den Schutz der beruflichen Immunität können Mitglieder des Nationalrates für ihr berufliches Handeln nur sehr eingeschränkt verantwortlich gemacht werden. Dabei wird zwischen „in Ausübung ihres Berufs“ (als Abgeordnete) getätigtem Abstimmungsverhalten einerseits und „in diesem Beruf“ gemachten Äußerungen andererseits unterschieden:

  • Keine Sanktionen wegen Abstimmungsverhaltens: Die Abgeordneten dürfen wegen Abstimmungen im parlamentarischen Verfahren niemals verantwortlich gemacht werden. Damit ist jede Bindung, Kontrolle oder Sanktionierung des Abstimmungsverhaltens im parlamentarischen Verfahren ausgeschlossen. Nicht von der beruflichen (wohl aber von der außerberuflichen) Immunität erfasst ist hingegen die strafrechtliche Verfolgung wegen sog. „Stimmenkaufs“, da in diesem Fall nicht das Abstimmungsverhalten sanktioniert wird, sondern das Sich-Versprechen-Lassen bzw. Annehmen von Vorteilen (vgl. § 304 ff. StGB).
  • Sanktionen wegen Äußerungen nur vom Nationalrat: Im Unterschied dazu dürfen Abgeordnete wegen mündlichen und schriftlichen Äußerungen (nur) vom Nationalrat verantwortlich gemacht werden. Demgegenüber sind tätliche Angriffe (z. B. der Einsatz der Fäuste) nicht geschützt. Ein Mitglied des Nationalrates kann daher wegen solcher Tätlichkeiten – nach den Voraussetzungen der außerberuflichen Immunität – (verwaltungs-)strafrechtlich verfolgt werden.

Wovor schützt die berufliche Immunität?

Die berufliche Immunität umfasst den Schutz vor strafrechtlicher (inklusive verwaltungs- und disziplinarstrafrechtlicher), aber auch vor zivilrechtlicher Verfolgung. Ausgeschlossen sind daher etwa auch Schadenersatzklagen wegen Ehrenbeleidigung oder Kreditschädigung. Es handelt sich dabei um einen persönlichen Strafausschließungsgrund bzw. ein dauerndes Prozesshindernis.

Für Äußerungen können Abgeordnete nur „vom Nationalrat verantwortlich gemacht werden“. Diese Formulierung bezieht sich auf die Ordnungsmaßnahmen des GOG-NR: Als Sanktionsmöglichkeiten stehen dem Präsidenten bzw. der Präsidentin des Nationalrates der Ruf „zur Sache“ § 101 GOG-NR) und der Ruf „zur Ordnung“ (§ 102 GOG-NR) sowie in weiterer Folge jeweils der Wortentzug zur Verfügung. In Untersuchungsausschüssen kann die/der Vorsitzende des Untersuchungsausschusses zudem ein Ordnungsgeld verhängen (§ 54 Abs. 2 VO-UA, für Verstöße gegen das Informationsordnungsgesetz [InfOG]; zum Spannungsfeld zwischen Geldbußen und Meinungsäußerungsfreiheit von Abgeordneten [Art. 10 EMRK] siehe EGMR 16.9.2014, 42461/13, Karácsony ua gegen Ungarn).

Wo liegen die Grenzen der beruflichen Immunität?

Bei den Grenzen der beruflichen Immunität muss unterschieden werden:

Was genau sind „in diesem Beruf“ gemachte Äußerungen?

Geschützt sind ausschließlich Äußerungen von Abgeordneten, die im Rahmen der unmittelbaren parlamentarischen Tätigkeit gemacht werden, und sofern Abgeordnete von ihren vom B-VG und GOG-NR eingeräumten Rechten Gebrauch machen: Mündliche Äußerungen müssen daher z. B. in Sitzungen des Nationalrates, seinen Ausschüssen (auch in Untersuchungsausschüssen) und Unterausschüssen, in Enqueten oder Enquete-Kommissionen gemacht werden, um von der beruflichen Immunität geschützt zu sein. Zu den geschützten schriftlichen Äußerungen zählen unter anderem solche, die von Abgeordneten in Selbständigen Anträgen, in parlamentarischen Anfragen (siehe näher das Fachdossier „Wesen und Reichweite des parlamentarischen Fragerechts“) und in Ausschussberichten getätigt werden (so wurden z. B. Abhörprotokolle als Teil von parlamentarischen Anfragen „immunisiert“; zu den Berichten darüber siehe das Fachdossier zur sachlichen Immunität).

Nicht umfasst sind daher Äußerungen bei Pressekonferenzen, Wähler:innen-, Wahl- und Parteiversammlungen, sowie in Klubsitzungen oder Interviews, selbst wenn sie in den Parlamentsgebäuden stattfinden. Das gilt ebenso für parlamentsinterne Privatgespräche zwischen Abgeordneten. Auch beim Wiederholen einer in einer Sitzung getätigten Äußerung im Rahmen einer Pressekonferenz (und somit außerhalb der parlamentarischen Funktion) greift der Schutz der beruflichen Immunität nach ständiger Rechtsprechung nicht (beachte auch die Schutzwirkung der sachlichen Immunität). Dass der Schutz nur Handlungen während laufender Sitzung umfasst, hat der Verfassungsgerichtshof zur Wortfolge „in Ausübung [des] Berufes“ im Zusammenhang mit Untersuchungsausschüssen ausgesprochen (Art. 138b B-VG, VfSlg. 20.015/2015; VfGH 25.9.2021, UA 6/2021).

Welche beruflichen Äußerungen sind nicht geschützt?

Um Abgeordnete strafgerichtlich verfolgen zu können, gibt es zwei Ausnahmen von der beruflichen Immunität: Verleumdungen gemäß § 297 Strafgesetzbuch (StGB) und strafbare Handlungen nach dem InfOG, also der Geheimnisverrat nach § 18 InfOG. Die Ausnahmen gelten zum einen nur für Äußerungen, nicht aber für Abstimmungsverhalten und zum anderen nur für die strafgerichtliche Verfolgung.

Eine strafbehördliche Verfolgung wegen Verleumdung oder einer strafbaren Handlung nach InfOG ist nur nach Maßgabe der Bestimmungen über die außerberufliche Immunität gemäß Art. 57 Abs. 3 ff. B-VG zulässig (siehe auch das Fachdossier „Was umfasst die außerberufliche Immunität? “). Diese Ausnahmen wurden mit der B-VG Novelle BGBl. I 101/2014 im Zuge der Reform der Untersuchungsausschüsse geschaffen und gehen auf Reformüberlegungen einer parlamentarischen Arbeitsgruppe in der 24. Gesetzgebungsperiode zurück (siehe etwa die IA 1618/A und 1619/A).

  • Verleumdungen gemäß 297 StGB: Eine Verleumdung liegt dann vor, wenn eine/ein Abgeordnete:r jemand anderen beschuldigt, eine strafbare Handlung (näher ein Offizialdelikt, welches von Amts wegen zu verfolgen ist) begangen zu haben oder der Verletzung einer Amts- oder Standespflicht falsch verdächtigt, obwohl die/der Abgeordnete weiß, dass die Verdächtigung falsch ist. Es handelt sich dabei nicht (nur) um ein Ehrverletzungsdelikt, sondern um ein Delikt gegen die Rechtspflege. Ehrenbeleidigungen, Üble Nachrede und Kreditschädigung sind hingegen von der beruflichen Immunität erfasst.
  • Strafbare Handlungen nach dem InfOG (siehe näher das Fachdossier „„Streng Geheim“ – Was regelt das Informationsordnungsgesetz?“): Für einen Geheimnisverrat nach 18 InfOG, also die Preisgabe von als „geheim“ und „streng geheim“ klassifizierten Informationen (Informationen der Stufen 3 und 4), droht eine Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren. Abgeordnete können wegen Äußerungen, die § 18 InfOG erfüllen, nach den Voraussetzungen der außerberuflichen Immunität (Art. 57 Abs. 3 ff. B-VG) strafgerichtlich verfolgt werden.

Keine strafbare Handlung nach dem InfOG stellt die Preisgabe von Informationen der Stufen 1 und 2 („eingeschränkt“ und „vertraulich“) dar. Solche Äußerungen sind daher von der beruflichen Immunität geschützt und zivilrechtliche Klagen unzulässig (siehe auch § 19 InfOG; AB 441 BlgNR 25. GP, 5).

Wann beginnt und endet die berufliche Immunität?

Die berufliche Immunität ist grundsätzlich mit der „Mitgliedschaft“ zum Nationalrat verknüpft und beginnt mit der Konstituierung des neu gewählten Nationalrates (Antritt des Mandats) zu laufen. Bei später eintretenden Abgeordneten beginnt das Mandat (und damit die Immunität) mit der Hinterlegung des Wahlscheins in der Parlamentsdirektion. Da Abgeordnete „niemals“ oder nur vom Nationalrat, dem sie angehören, zur Verantwortung gezogen werden dürfen (Art. 57 Abs. 1 B-VG), endet der Verfolgungsschutz nicht mit dem Ausscheiden aus dem Nationalrat, sondern ist zeitlich unbegrenzt. Mit dem Ausscheiden aus dem Nationalrat fallen allerdings die parlamentarischen Sanktionsmöglichkeiten weg.

Was gilt für Mitglieder des Bundes­rates?

Für Mitglieder des Bundesrates (Art. 58 B-VG) sowie Landtagsabgeordnete (Art. 96 B-VG) gilt inhaltlich derselbe Immunitätsschutz wie für Nationalratsabgeordnete. Für mündliche und schriftliche Äußerungen im parlamentarischen Verfahren können Mitglieder des Bundesrates nur vom Bundesrat verantwortlich gemacht werden (Ruf „zur Sache“, Ruf „zur Ordnung“ und Wortentzug gemäß §§ 69 und 70 Geschäftsordnung des Bundesrates [GO-BR]). Die Immunität beginnt mit dem Mandat als Mitglied des Bundesrates, also mit der Wahl durch den Landtag (vgl. § 1 GO-BR).

Quellenauswahl

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Was umfasst die außerberufliche Immunität?

Die außerberufliche Immunität wurde zum Zweck des Schutzes der Handlungsfähigkeit des Parlaments geschaffen, indem dessen Abgeordnete vor willkürlicher oder politisch motivierter Verfolgung geschützt werden.

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Die sachliche Immunität dient der Gewährleistung von Öffentlichkeit und Transparenz parlamentarischen Handelns.

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Das Fachdossier befasst sich mit Wesen, Zweck und Reichweite des Interpellationsrechts. Aus Gründen der Übersichtlichkeit konzentriert sich das Dossier dabei auf den Nationalrat.