Fachinfos - Fachdossiers 21.09.2022

Was umfasst die außerberufliche Immunität?

Die außerberufliche Immunität betrifft die Verfolgung von Abgeordneten wegen strafbarer Handlungen. Dieses Fachdossier behandelt die außerberufliche Immunität und das bei einer beabsichtigten Verfolgung einzuhaltende Verfahren. (21.09.2022)

Was umfasst die außerberufliche Immunität?

Die außerberufliche Immunität betrifft die Verfolgung von Abgeordneten wegen strafbarer Handlungen. Sie bezieht sich auf Verhaltensweisen, die nicht von der beruflichen Immunität erfasst sind (siehe dazu das Fachdossier „Was umfasst die berufliche Immunität?“ ). Geregelt sind insbesondere Verhaltensweisen von Abgeordneten, die sie außerhalb der unmittelbaren parlamentarischen Tätigkeit setzen.

Die außerberufliche Immunität wurde zum Zweck des Schutzes der Handlungsfähigkeit des Parlaments geschaffen, indem dessen Abgeordnete vor willkürlicher oder politisch motivierter Verfolgung geschützt werden.

Das vorliegende Fachdossier behandelt die Rechtslage in Bezug auf Nationalratsabgeordnete (Art. 57 B-VG). Zur außerberuflichen Immunität von Mitgliedern des Bundesrates siehe die Hinweise am Schluss des Beitrags.

Was bedeutet außerberufliche Immunität?

Im Kern bedeutet die außerberufliche Immunität, dass eine behördliche Verfolgung von Abgeordneten wegen strafbarer Handlungen nur mit Zustimmung des Nationalrates zulässig ist.

  • Behördliche Verfolgung bedeutet, dass sich eine behördliche Ermittlungsmaßnahme unmittelbar gegen Abgeordnete als mutmaßliche Täter:innen richtet. Die Maßnahme zielt darauf ab, Tat und Täter:in zu klären und die/den Täter:in der Bestrafung zuzuführen. Eine behördliche Verfolgung einer/eines Abgeordneten liegt nicht vor, wenn sie/er selbst nicht Beschuldigte:r ist, sondern z. B. nur als Zeuge bzw. Zeugin einvernommen werden soll.
  • Die außerberufliche Immunität bezieht sich sowohl auf gerichtlich strafbare Handlungen als auch auf Verwaltungsübertretungen oder Verstöße gegen Disziplinarrecht. Nicht vom Schutzbereich erfasst sind etwa zivilrechtliche Klagen oder Zwangs- und Beugemittel.

Wen schützt die außerberufliche Immunität?

Die außerberufliche Immunität schützt Abgeordnete zum Nationalrat. Für Klubmitarbeiter:innen und parlamentarische Mitarbeiter:innen gilt die Immunität nicht. Schwierig kann die Abgrenzung jedoch sein, wenn immune und nicht immune Personen verdächtig sind, gemeinsam eine strafbare Handlung begangen zu haben. In solchen Fällen darf gegen nicht immune Beteiligte nur insoweit ermittelt werden, als dadurch nicht in die Immunität der immunen Beteiligten eingegriffen wird (vgl. auch den sog. „Immunitätserlass“ des BMJ aus dem Jahr 2009 und den neuen „Zwischenerlass“ des BMJ, mit dem die bisherige Rechtsansicht geändert wurde).

Wovor schützt die außerberufliche Immunität?

Es gibt drei Bereiche, in denen die außerberufliche Immunität geltend wird:

Verhaftung wegen einer strafbaren Handlung

Abgeordnete dürfen wegen einer strafbaren Handlung nur mit Zustimmung des Nationalrates verhaftet werden. Dabei spielt es keine Rolle, ob die strafbare Handlung mit der politischen Tätigkeit der/des Abgeordneten in Zusammenhang steht oder nicht.

Ausgenommen ist nur die Ergreifung auf frischer Tat bei der Verübung eines Verbrechens – also einer vorsätzlichen Straftat, die mit lebenslanger oder mehr als dreijähriger Freiheitsstrafe bedroht ist (§ 17 Abs. 1 StGB). In diesem Fall ist die Verhaftung zulässig, die Behörde hat sie jedoch dem Präsidenten bzw. der Präsidentin des Nationalrates sogleich bekanntzugeben (Art. 57 Abs. 5 B-VG; vgl. auch den diesbezüglichen Erlass über die Verständigungspflichten in Strafsachen gegen Abgeordnete). Wenn es der Nationalrat (bzw. in der tagungsfreien Zeit der Immunitätsausschuss) verlangt, ist die Haft aufzuheben oder die Verfolgung überhaupt zu unterlassen.

Nicht als Verhaftung zählen Maßnahmen ohne Zusammenhang mit einer strafbaren Handlung, wie z. B. die Unterbringung psychisch Kranker nach dem Unterbringungsgesetz oder epidemierechtliche Absonderungen.

Hausdurchsuchung

Hausdurchsuchungen bei Abgeordneten erfordern immer eine vorherige Zustimmung des Nationalrates. Anders als bei den übrigen Verfolgungshandlungen kommt es hier nicht darauf an, ob die/der Abgeordnete wegen einer strafbaren Handlung verfolgt wird oder nicht. Die Zustimmung des Nationalrates ist daher auch dann erforderlich, wenn z. B. bei einer/einem Abgeordneten nach Beweismitteln gegen Dritte gesucht werden soll.

Vom räumlichen Schutzbereich erfasst sind sowohl private Wohnbereiche als auch Büros von Abgeordneten; zu Letzteren sind wohl auch Klubräumlichkeiten (in ihrer Gesamtheit) zu zählen. Nicht vom Begriff der Hausdurchsuchung umfasst ist hingegen die Überwachung oder Beschlagnahme eines Mobiltelefons, wenngleich der Schutzbedarf hier vergleichbar wäre. Die Zulässigkeit einer solchen Maßnahme richtet sich nach den Regelungen über die sonstige behördliche Verfolgung. Eine diesbezügliche Ausweitung des Schutzbereichs der Immunität ist Gegenstand politischer Diskussionen.

Sonstige behördliche Verfolgung wegen einer strafbaren Handlung

Bei sonstigen Verfolgungsmaßnahmen (also weder Verhaftung noch Hausdurchsuchung) hat die Strafverfolgungsbehörde zunächst zu beurteilen, ob die konkrete strafbare Handlung in einem Zusammenhang mit der politischen Tätigkeit der/des Abgeordneten steht oder stehen könnte. Diese Beurteilung hat noch vor Aufnahme der Ermittlungen zu erfolgen.

  • Besteht offensichtlich kein Zusammenhang mit der politischen Tätigkeit der/des Abgeordneten (z. B. Verkehrsdelikt), darf die Behörde ohne Zustimmung des Nationalrates ermitteln. Die/der betreffende Abgeordnete oder ein Drittel der Mitglieder des Immunitätsausschusses kann allerdings die Einholung einer Entscheidung des Nationalrates verlangen (wobei sich faktisch das Problem stellen kann, dass die betroffenen Abgeordneten bzw. die Mitglieder des Immunitätsausschusses nichts von den Ermittlungen wissen).
  • Ist ein Zusammenhang mit der politischen Tätigkeit nicht offensichtlich ausgeschlossen, darf die Strafverfolgung nur mit Zustimmung des Nationalrates begonnen werden. Die Behörde hat in diesem Fall ein sogenanntes Auslieferungsbegehren an den Nationalrat zu richten.

Wie entscheidet der National­rat über die Erteilung der Zustimmung zur Verfolgung?

Die Erteilung der Zustimmung zur Verfolgung von Abgeordneten zum Nationalrat ist klar geregelt:

Ablauf des Verfahrens

Ein eingelangtes Auslieferungsersuchen wird vom Präsidenten bzw. der Präsidentin des Nationalrates sofort dem Immunitätsausschuss zugewiesen § 80 Abs. 1 GOG-NR). Nach Abschluss der Vorberatung erstattet dieser Bericht an den Nationalrat. Der Nationalrat stimmt in der Regel im Sinne des Antrags im Ausschussbericht ab, könnte aber auch anders entscheiden. Erfolgt innerhalb von acht Wochen nach Einlangen des Auslieferungsersuchens keine Entscheidung des Nationalrates, gilt die Zustimmung zur Verfolgung als erteilt und die Verfolgungshandlungen dürfen durchgeführt werden. Diese achtwöchige Entscheidungsfrist für den Nationalrat wird durch die tagungsfreie Zeit gehemmt (§ 107 GOG-NR).

Dieses Verfahren gilt grundsätzlich nur für den Bereich der außerberuflichen Immunität, jedoch nicht auch für die berufliche und die sachliche Immunität (die gänzlich anders ausgestaltet sind). Allerdings nimmt die berufliche Immunität bestimmte Äußerungen aus ihrem Schutzbereich aus (Verleumdungen und strafbare Handlungen nach dem Informationsordnungsgesetz); für diese gilt ebenfalls das Verfahren der außerberuflichen Immunität (d. h. es ist die Zustimmung des Nationalrates für eine diesbezügliche behördliche Verfolgung einzuholen).

Zu entscheidende Fragen

Der Immunitätsausschuss – und in der Folge der Nationalrat – entscheidet zunächst über die Frage, ob die vorgeworfene Handlung in einem Zusammenhang mit der politischen Tätigkeit der/des Abgeordneten steht. Wird dieser politische Zusammenhang verneint, so ist die Verfolgung ohne weitere Entscheidung zulässig. Wird ein solcher Zusammenhang bejaht, so ist über die Zulässigkeit der Verfolgung zu entscheiden.

Die Abläufe sind in der folgenden Grafik „Außerberufliche Immunität: Verfahren über die Zustimmung des Nationalrates zur Verfolgung von Abgeordneten“ veranschaulicht. 

Quelle: Art. 57 B-VG, § 10 GOG-NR, § 80 GOG-NR, Stand 21.9.2022, eigene Darstellung.

Praxis

Rechtlich ist umstritten, ob sich der Zusammenhang „mit der politischen Tätigkeit des betreffenden Abgeordneten“ nur auf die Tätigkeit in der Funktion als Abgeordnete:r bezieht oder auf die gesamte politische Tätigkeit (also auch in anderen Funktionen, wie z. B. als Bürgermeister:in oder Parteifunktionär:in). In der parlamentarischen Praxis wird ein Zusammenhang mit der politischen Tätigkeit jedenfalls dann verneint, wenn die strafbare Handlung vor Beginn des Abgeordnetenmandats gesetzt wurde. Erfolgte die strafbare Handlung allerdings in der Wahlkampfzeit zur Erlangung des Mandats, so wurde der Zusammenhang mit der politischen Tätigkeit bislang bejaht.

Bei einer strafbaren Handlung während der Zeit als Abgeordnete:r kann das Vorliegen eines Zusammenhangs mit der politischen Tätigkeit nur im Einzelfall beurteilt werden. Letztlich handelt es sich um eine Wertungsfrage. Inhaltlich umstritten waren zuletzt etwa Fälle betreffend die Nichteinhaltung von Schutzmaßnahmen bei Corona-Demonstrationen (vgl. Parlamentskorrespondenz Nr. 483 vom 22.04.2021). 

Bejaht der Nationalrat den Zusammenhang zwischen einer strafbaren Handlung und der politischen Tätigkeit der/des Abgeordneten, so stimmt er der behördlichen Verfolgung in der Regel nicht zu. Die Zustimmung wird in der parlamentarischen Praxis nur in besonderen Einzelfällen erteilt.

Die gefassten Beschlüsse werden in den Ausschussberichten des Immunitätsausschusses üblicherweise nicht näher begründet.

Wann beginnt und endet die außerberufliche Immunität?

Die außerberufliche Immunität beginnt mit Antritt des Mandats, in der Regel also mit der Konstituierung des neu gewählten Nationalrates. Bei später eintretenden Abgeordneten beginnt das Mandat (und damit die Immunität) mit der Hinterlegung des Wahlscheins in der Parlamentsdirektion.

Mit dem Ende des Mandats endet auch die außerberufliche Immunität (d. h. mit dem Zusammentritt des neuen Nationalrates, sofern die/der betreffende Abgeordnete nicht wieder gewählt wurde, oder vorzeitig durch Mandatsverzicht oder Mandatsverlust).

Die außerberufliche Immunität ist somit nur ein zeitlich begrenztes Verfolgungshindernis: Mit dem Ende des Mandats sind Verfolgungshandlungen wieder ohne besondere Einschränkung zulässig (es kann auch keine Verjährung eintreten; vgl. auch § 58 Abs. 3 Z 1 StGB und § 197 Abs. 2a StPO).

Was gilt für Mitglieder des Bundes­rates?

Für Mitglieder des Bundesrates gilt gemäß Art. 58 B-VG die Immunität des jeweils entsendenden Landtages. Inhaltlich ist der Schutz derselbe wie für Mitglieder des Nationalrates, da Mitglieder des Landtages gemäß Art. 96 Abs. 1 B-VG die gleiche Immunität wie Mitglieder des Nationalrates genießen. Auslieferungsersuchen in Bezug auf Mitglieder des Bundesrates sind an den Präsidenten bzw. die Präsidentin des entsendenden Landtages zu richten. Der Landtag hat nach den landes(verfassungs)rechtlichen Regeln – die inhaltlich Art. 57 B-VG entsprechen müssen – über die Zustimmung zur Verfolgung zu entscheiden. Die außerberufliche Immunität beginnt und endet mit dem Mandat als Mitglied des Bundesrates.

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