Fachinfos - Fachdossiers 31.10.2024

Wie haben sich Gesetzesinitiativen in der XXVII. GP verändert?

Ist der National­rat stärker geworden?

Die XXVII. Gesetzgebungsperiode (GP) des Nationalrates unterscheidet sich deutlich von allen anderen GPs davor: Erstmals und durchgehend sind mehr Gesetzesbeschlüsse auf der Grundlage von selbständigen Anträgen von Abgeordneten als auf jener von Regierungsvorlagen erfolgt. Auf den ersten Blick kann der Eindruck entstehen, dass der Nationalrat gestärkt wurde. Eine nähere Analyse der Entwicklungen seit 2020 zeigt jedoch, dass diese Trendumkehr mit einer Verkürzung der Beratungszeit, dem Fehlen von Informationen und mangelnden Möglichkeiten der Evaluierung von Gesetzen einhergeht. Das Fachdossier gibt einen Überblick darüber.

Was sieht die Bundesverfassung für die Einbringung von Gesetzentwürfen vor?

Art. 41 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) regelt, dass ein Gesetzgebungsverfahren des Bundes nur im Nationalrat eingeleitet werden kann. Das kann nur mit

  • Anträgen der Mitglieder des Nationalrates,
  • Anträgen des Bundesrates oder eines Drittels seiner Mitglieder oder
  • Vorlagen der Bundesregierung

erfolgen. Dazu kommt die Möglichkeit eines Volksbegehrens in Form eines Gesetzesantrages. Art. 41 B-VG nimmt keine Wertung der verschiedenen Initiativen vor. Keine von ihnen hat Vorrang gegenüber den anderen. Nur bei Volksbegehren ist eine zeitlich vorrangige Behandlung vorgesehen (näher dazu Konrath/Posnik 2021, Rz 1–6). Ausnahmen bestehen für Initiativen zur Änderung der Geschäftsordnung des Nationalrates (GOG-NR), die nur von dessen Mitgliedern ausgehen können (Art. 30 Abs. 2 B-VG), und für den Budgetentwurf, der gemäß Art. 51 Abs. 2 B-VG von der Bundesregierung kommen soll (siehe das Fachdossier "Wie behandelt der Nationalrat das Budget 2024?").

Im europäischen Vergleich sind die österreichischen Regelungen flexibel. In Staaten wie Schweden oder dem Vereinigten Königreich haben Regierungsvorlagen Vorrang, während etwa in den Niederlanden, Portugal oder der Slowakei detaillierte Vorgaben für die Vorbereitung von Gesetzentwürfen gelten (Karpen/Xanthaki 2020).

Wie unterscheiden sich Regierungsvorlagen und selbständige Anträge?

Anträge der Mitglieder des Nationalrates sind selbständige Anträge von Abgeordneten gemäß § 26 GOG-NR und selbständige Anträge von Ausschüssen gemäß § 27 Abs. 1 GOG-NR. Erstere werden oft auch als Initiativanträge bezeichnet.

Jede:r Abgeordnete kann mit Unterstützung von vier weiteren Abgeordneten in Sitzungen des Nationalrates selbständige Anträge einbringen. Der Antrag muss den Wortlaut des zu fassenden Gesetzesbeschlusses enthalten. Ein solcher Antrag muss einen Bedeckungsvorschlag enthalten, wenn sein Beschluss zu einer finanziellen Belastung des Bundes führen würde, die im Budget nicht vorgesehen ist (§ 28 GOG-NR). Jeder Ausschuss kann auf Antrag eines:einer stimmberechtigten Abgeordneten die Einbringung eines Gesetzesantrages beschließen. Dieser muss im inhaltlichen Zusammenhang mit einem Gegenstand stehen, der im Ausschuss behandelt wird. Seit 2021 kann zu allen Gesetzesvorschlägen im Nationalrat und im Bundesrat im Rahmen des parlamentarischen Begutachtungsverfahrens Stellung genommen werden (siehe das Fachdossier "Wie funktionieren Begutachtungsverfahren zu Gesetzentwürfen?").

Im Unterschied zu selbständigen Anträgen sehen das B-VG und weitere Gesetze höhere Anforderungen für Regierungsvorlagen vor (dazu Pürgy 2020, 264 ff.). § 17 Bundeshaushaltsgesetz legt die Grundsätze der Wirkungsorientierung (Art. 51 Abs. 8 B-VG) dafür fest. Mit der Wirkungsorientierung (WFA) werden finanzielle, aber etwa auch wirtschafts-, umwelt- und konsumentenschutzpolitische sowie soziale Auswirkungen einer Maßnahme geprüft, ebenso Auswirkungen auf die tatsächliche Gleichstellung von Männern und Frauen. Wenn Vorhaben bestimmte Voraussetzungen (keine Förderungen aus Bundesmitteln, keine wesentlichen Auswirkungen in den Wirkungsdimensionen, keine finanziellen Auswirkungen über 20 Mio. EUR und keinen Zusammenhang mit Maßnahmen auf Globalbudgetebene der Wirkungsorientierung) erfüllen, genügt eine vereinfachte Abschätzung gemäß § 10a WFA-Grundsatzverordnung. Die WFA wird im Vorblatt einer Regierungsvorlage dargestellt. Die (rechtlich unverbindlichen) Legistischen Richtlinien 1990 sehen die Erstellung Erläuternder Bemerkungen zum Gesetzentwurf vor. Darüber hinaus kann es erforderlich sein, die Länder in die Vorbereitung einzubeziehen, und es ist üblich, den Ministerialentwurf (der einer Regierungsvorlage vorausgeht) öffentlich begutachten zu lassen (siehe Konrath/Posnik 2021, Rz 15–16). Für die Einbringung einer Regierungsvorlage in den Nationalrat braucht es schließlich einen einstimmigen Beschluss der Bundesregierung (Art. 69 Abs. 3 B-VG).

Wie hat sich das Gesetzgebungsverfahren verändert?

Grafik 1 zeigt, dass bis 2019 die überwiegende Zahl erfolgreicher Gesetzesbeschlüsse auf Regierungsvorlagen zurückgeht. Das ist auch im internationalen Vergleich der Standardfall (Karpen/Xanthaki 2020).

Quelle: Parlamentswebseite, Stand 15.10.2024, eigene Darstellung.

Die Dominanz der Regierungsvorlagen in Österreich wird in der Rechtswissenschaft als Kennzeichen des parlamentarischen Regierungssystems beschrieben (Öhlinger/Eberhard 2022, 161): Regierung und Parlament(smehrheit) sind eng verbunden. Es wird darauf hingewiesen, dass vor allem die Regierung über umfassende Expertise und Informationen verfügt. Die Rolle des Parlaments in der Gesetzgebung wird primär als kritisch-prüfend gesehen. Initiativen zur besseren Rechtssetzung und zu evidenzinformierter Gesetzgebung – zu denen die WFA zählt – teilen diese Sichtweise (siehe das Fachdossier "Was ist evidenzbasierte Gesetzgebung?").

In Grafik 1 sticht die Tagung 2019/20 hervor. Nach den Nationalratswahlen im September 2019 wurde die Bundesregierung aus ÖVP und Grünen am 7. Jänner 2020 angelobt. Die Covid-19-Pandemie machte es ab März 2020 notwendig, viele bestehende Gesetze anzupassen (z. B. Fristen) und gesetzliche Grundlagen für den Umgang mit der Pandemie und ihren Folgen zu schaffen. Das erfolgte mit selbständigen Anträgen, die unmittelbar – ohne Ministerialentwurf und Begutachtungsverfahren – eingebracht werden konnten.

Grafik 2 zeigt im Detail, wie auch nach 2020 selbständige Anträge dominieren. 53 % aller Gesetzesbeschlüsse in der XXVII. GP basieren auf ihnen.

Quelle: Parlamentswebseite, Stand 15.10.2024, eigene Darstellung.

Weiterhin dominieren aber die Regierungsparteien die Gesetzgebung: Von den 99 erfolgreichen selbständigen Anträgen in der Tagung 2023/24 kamen 93 von Abgeordneten der ÖVP und der Grünen, sechs weitere von diesen und Abgeordneten anderer Klubs. Abgeordnete der SPÖ, der FPÖ und der NEOS haben rund 50 selbständige Anträge auf Erlassung von Gesetzen eingebracht, von denen keiner erfolgreich war.

Grafik 2 zeigt also, dass es zu einer deutlichen Änderung des Verhaltens von Regierung und Regierungsparteien gekommen ist. In einer Anfragebeantwortung zu diesem Thema hat Bundesminister Johannes Rauch die besondere Dringlichkeit vieler Vorhaben als Grund für selbständige Anträge genannt (15886/AB). In einzelnen Fällen (z. B. 3426/A) wurde etwa in der Antragsbegründung auf Säumigkeit in der Umsetzung von EU-Richtlinien und drohende Vertragsverletzungsverfahren hingewiesen.

Immer wieder kommt es vor, dass ein Gesetzgebungsverfahren mit einem Ministerialentwurf beginnt. Dann wird der Gesetzentwurf als selbständiger Antrag in den Nationalrat gebracht. In der Tagung 2023/24 sind z. B. 19 Anträge von 93 von Abgeordneten der ÖVP und der Grünen eingebracht worden, die auf Ministerialentwürfen basierten. Im Nationalrat wurden diese Veränderungen mehrfach angesprochen. Abgeordnete kritisierten, z. B. mittels Entschließungsanträgen, dass ihnen Zeit und Informationen fehlen. In parlamentarischen Anfragen wurde gefragt, ob und wie Ministerien Abgeordnete der Regierungsklubs unterstützen. Diese Fragen sind auch Gegenstand einer laufenden Gebarungsprüfung durch den Rechnungshof (3812/A).

Welche Auswirkungen sind damit verbunden?

Im Nationalrat ist es üblich, dass die Bundesregierung mit Entschließungsanträgen aufgefordert wird, einen Gesetzentwurf zu einer Frage vorzulegen. So sollen Informationen und Wissen zu komplexen Fragestellungen, die in den Ministerien vorhanden sind, genutzt und ein umfassender Vorbereitungsprozess für neue Gesetze gestartet werden.

Einer Regierungsvorlage gehen in der Regel ein Ministerialentwurf und ein Begutachtungsverfahren voraus. Damit wird sichergestellt, dass ein Entwurf öffentlich bekannt und fachlich geprüft werden kann. Auch wenn Begutachtungsverfahren oft kurz sind (siehe das Fachdossier "Wie funktionieren Begutachtungsverfahren zu Gesetzentwürfen?"), kennen Abgeordnete und Öffentlichkeit die Grundlinien eines Entwurfes mehrere Wochen bis Monate vor den parlamentarischen Beratungen.

Bei selbständigen Anträgen hingegen folgt kurz auf die Einbringung im Nationalrat die Beratung im zuständigen Ausschuss. In der XXVII. GP betrug die durchschnittliche Beratungsdauer im Nationalrat – von der Einbringung bis zum Beschluss – 39 Tage. In knapp 96 % der Fälle wurde ein Entwurf nur einmal im Ausschuss behandelt. Damit bleibt auch wenig Zeit für Stellungnahmen im parlamentarischen Begutachtungsverfahren.

In dieser kurzen Zeit werden, wie Grafik 3 zeigt, Gesetzesanträge sehr häufig abgeändert. Im Durchschnitt werden nur knapp 40 % der Anträge unverändert beschlossen.

Quelle: Parlamentswebseite, Stand 15.10.2024, eigene Darstellung.

Grafik 4 zeigt, dass die überwiegende Zahl von Abänderungsanträgen zu selbständigen Anträgen eingebracht wird:

Quelle: Parlamentswebseite, Stand 15.10.2024, eigene Darstellung.

Diese Problematik wird durch die Einbringung sogenannter "Trägerraketen" verstärkt. Das sind Gesetzesanträge ohne relevanten Inhalt (etwa nur die Änderung eines Satzzeichens). Sie werden erst in den Ausschuss- oder Plenarberatungen mit Inhalten gefüllt. Sie bieten in offenen politischen Verhandlungen eine Möglichkeit für einen sehr raschen Gesetzesbeschluss. In der Tagung 2023/24 waren 14 von 99 selbständigen Anträgen solche Trägerraketen und wurden in den parlamentarischen Debatten auch unwidersprochen als solche bezeichnet.

Wenn es keine Regierungsvorlage gibt, fehlen auch die WFA und Informationen über die Verwaltungskosten. Die Informationsgrundlagen der Abgeordneten sind damit beschränkt. Selbständige Anträge sollen zwar einen Bedeckungsvorschlag enthalten, dessen Fehlen ist aber sanktionslos.

Diese Informationsdefizite könnte der Nationalrat mit der Abhaltung von Expert:innenhearings in den Ausschüssen ausgleichen, wie diese z. B. im Deutschen Bundestag üblich sind (siehe Hünermund 2024). Ebenso könnten Ausschussbegutachtungen beschlossen werden. Eine Auswertung zeigt aber, dass in der XXVII. Gesetzgebungsperiode nur vier Hearings zu Gesetzentwürfen und elf Ausschussbegutachtungen (davon fünf in der Tagung 2023/24) durchgeführt wurden.

Eine weitere Auswirkung zeigt sich schließlich nach erfolgten Gesetzesbeschlüssen: Mit der Haushaltsrechtsreform 2013 und der WFA sollte die Grundlage für eine durchgängige Evaluierung von Gesetzesbeschlüssen geschaffen werden. Diese erfolgt nach längstens fünf Jahren intern durch die Ressorts, die ressortübergreifende Wirkungscontrollingstelle führt im Rahmen der zusammenfassenden Berichtserstellung eine Qualitätssicherung durch. Der Bericht über die Evaluierungen der Wirkungsorientierten Folgenabschätzungen wird dem Nationalrat übermittelt. Wenn keine WFA zu einem Gesetzentwurf erstellt wird, kann auch keine Evaluierung erfolgen. Der Budgetdienst des Parlaments hat in seiner Analyse des Berichtes für 2023 betont, dass im Finanzjahr 2023 für insgesamt 99 erfolgreiche Gesetzesbeschlüsse (Initiativ- bzw. Ausschussanträge) aufgrund der fehlenden WFA keine Evaluierungen stattfinden werden.

In der rechts- und sozialwissenschaftlichen Forschung hat in den letzten Jahren die Auseinandersetzung mit Entwicklungen zugenommen, wie sie in der XXVII. GP für Österreich typisch geworden sind. Dabei wird auf das Risiko hingewiesen, dass das Vertrauen der Bevölkerung in die Gesetzgebung sinken kann (De Benedetto u. a. 2020). Im internationalen Vergleich zeigt sich, dass rasche Gesetzgebungsverfahren ohne Konsultationen und breite Diskussionsprozesse zu Gesetzen führen, die oftmals geändert werden müssen. Das kann wiederum zu hohen Anpassungskosten für Unternehmer:innen und Private führen und unter Umständen Korruption fördern (Brenner/Fazekas 2021).

Quellenauswahl

Gesetzesbeschlüsse auf Basis von Selbständigen Anträgen nach einbringenden Klubs

Showcase: Welche Gesetzes­initiativen sind erfolgreich?

Ein Showcase zu Verhandlungsgegenstandsdaten, basierend auf dem Open Data Angebot des Parlaments.

Beschluss der provisorischen Nationalversammlung. Beilage Nr. 8. Gesetz über die Staats- und Regierungsform von Deutschösterreich

Schnelleinstieg Gesetzesinitiativen

Hier finden Sie alle Gesetzesanträge, Regierungsvorlagen, Staatsverträge und Einsprüche des Bundesrates.

Glossar

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