Bei Wahlen stehen üblicherweise mehr Parteien am Stimmzettel, als dann tatsächlich in den Nationalrat einziehen.
Der Grund dafür ist, dass bei der Nationalratswahl eine 4%-Hürde gilt: Sofern eine wahlwerbende Partei nicht zumindest in einem Regionalwahlkreis ein Mandat ("Grundmandat") erzielt, muss sie mindestens 4% der in ganz Österreich abgegebenen gültigen Stimmen erzielen, um Mandate zu erhalten. Im Hintergrund solcher Sperrklauseln steht der Wunsch, dass nur Parteien von zahlenmäßig erheblicher Bedeutung im Nationalrat vertreten sind und damit eine zu starke Zersplitterung der Parteienlandschaft verhindert wird.
Damit stellt sich die Frage, wie sich jene Stimmen, die für Parteien abgegeben wurden, die keine Mandate erhalten, auswirken?
In Österreich werden für die Berechnung der Mandatszahlen alle gültig abgegebenen Stimmen herangezogen. Das Ergebnis der Nationalratswahl wird in drei Ermittlungsverfahren festgestellt. Es gibt - in folgender Reihenfolge - ein Ermittlungsverfahren in den Regionalwahlkreisen, eines in den Landeswahlkreisen und eines auf Bundesebene (Proportionalausgleich). Detaillierte Informationen zum genauen Ablauf der drei Ermittlungsverfahren finden Sie auf unserer Webseite unter "Wie funktioniert die Berechnung der Mandate in den drei Ermittlungsverfahren": Wahlen zum Nationalrat | Parlament Österreich
Am Beginn der Ermittlungsverfahren wird für jedes Bundesland die sogenannte Wahlzahl ermittelt, indem die Gesamtsumme der im Landeswahlkreis abgegebenen gültigen Stimmen durch die in diesem Landeswahlkreis zu vergebenden Mandate geteilt wird. Die so ermittelte Wahlzahl wird sowohl im ersten als auch im zweiten Ermittlungsverfahren verwendet.
Jene Parteien, die an der 4%-Hürde scheitern und auch kein Grundmandat erhalten, haben in den weiteren Verfahren zwar keine Chance auf ein Mandat. Ihre Stimmen wirken sich jedoch auf die Berechnung der jeweiligen Mandatszahl im ersten und zweiten Ermittlungsverfahren aus, da die Mandate - wie bereits erwähnt - anhand der berechneten Wahlzahl und somit anhand aller gültig abgegebenen Stimmen vergeben werden. Je mehr Wahlberechtigte ihre Stimme abgeben, um so höher wird die Wahlzahl – das heißt, Mandate werden in gewisser Weise "teurer", da die Stimmen für jede Partei durch die Wahlzahl dividiert werden, um zu errechnen, wie viele Mandate jede Partei im ersten bzw. zweiten Ermittlungsverfahren erringen kann.
Im dritten, bundesweiten Ermittlungsverfahren werden bei der Mandatsberechnung ausschließlich die gültigen Stimmen jener Parteien berücksichtigt, die durch Erzielen eines Grundmandats oder Überschreiten der 4%-Hürde noch im Rennen bei der Mandatsverteilung sind. Die Stimmen der kleineren Parteien, die den Einzug wegen dieser Hürde nicht geschafft haben, finden im dritten Ermittlungsverfahren keine Berücksichtigung. Sie haben aber insofern Einfluss, als im dritten Ermittlungsverfahren den zu vergebenden Mandaten – deren Anzahl, 183, sich ja gegenüber dem ersten und zweiten Ermittlungsverfahren nicht ändert – eine geringere (um die Stimmen der Kleinstparteien reduzierte) Gesamtstimmenzahl gegenübersteht. Es ist so gesehen für die Parteien einfacher, ein Mandat zu erhalten, da sie für dieses weniger Stimmen benötigen als im ersten und zweiten Ermittlungsverfahren.
Man könnte also sagen, die in den Nationalrat einziehenden Parteien haben von den für die Kleinstparteien abgegebenen Stimmen quasi "profitiert", weil sie für die Erzielung eines Mandats im dritten Ermittlungsverfahren dadurch weniger Stimmen benötigen, das Mandat für sie dadurch also "billiger" wird (und zwar umso billiger, je größer der Anteil an Stimmen dieser Kleinstparteien insgesamt an den gültig abgegebenen Stimmen ist). Die in den Nationalrat einziehenden Parteien "profitieren" dabei alle proportional, also im Verhältnis der für sie jeweils gültig abgegebenen Stimmen.