Anfänge der Stenographischen Protokolle

Die Entwicklung der Stenografie ist eng mit der Geschichte des Parlamentarismus in Europa verwoben. Ein wesentliches Merkmal von Demokratie ist die Teilhabe: Für Parlamente als Orte demokratischer Willensbildung ist es zentral, dass Entscheidungen nicht hinter verschlossenen Türen, sondern im Rahmen von öffentlichen Debatten getroffen werden. Die junge Kunst des Geschwindschreibens ist damals die einzige Möglichkeit, diese Debatten aufzuzeichnen und sie über Zeitungen einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

Als Vater der modernen Stenografie im deutschen Sprachraum gilt der Münchner Ministerialbeamte Franz Xaver Gabelsberger (1789–1849), der das kurrent-kursive System entwickelt. 1817 entwirft er ein stenografisches Alphabet und wird berufen, die Sitzungen der Bayerischen Ständeversammlung aufzuzeichnen. Die parlamentarische Praxis ist ihm "eine zwar harte aber gute Lehrmeisterin" (Conn 1873, 4). Sie ermöglicht es ihm, sein System zu perfektionieren, das er im Jahr 1834 unter dem Titel "Anleitung zur deutschen Redezeichenkunst" als Buch veröffentlicht.

1848: Das erste österreichische Stenografenbüro

Bereits in den ersten Tagen der Revolution 1848 wird der Ruf laut: "Stenographen herbei! [...] Die Reichsstände werden bald ihre Sitzungen eröffnen, das Wort muß im Flusse der Rede aufgenommen und fixirt werden für die Presse, die Stenographie ist ein Bedürfnis, eine Nothwendigkeit der Zeit, des Lebens. [...] Stenographie ist die Eisenbahn, welche vom Munde auf’s Papier führt; sie ist ein integrirender Theil des politischen Lebens, das bei uns wach geworden". („Der Humorist“, 23. März 1848, S. 2)

Die Geburtsstunde des Stenografenbüros fällt mit der Eröffnung des Reichstages in der Winterreitschule der Hofburg im Juli 1848 zusammen. Die Leitung hat Ignaz Jakob Heger (1808–1854) inne, den Gabelsberger als "Apostel der Stenographie in Österreich" bezeichnet. Heger bemüht sich bereits seit vielen Jahren um die Verbreitung der Stenografie. Ab 1839 betreibt er zunächst eine Privatlehranstalt. Ab 1843 unterrichtet er öffentlich in Wien und Prag Stenografie nach dem System Gabelsbergers in deutscher und später auch in böhmischer Sprache.

Im Vorfeld der Eröffnung des Konstituierenden Reichstages plant Innenminister Franz von Pillersdorf, Stenografen aus Berlin zu engagieren. Heger und seine Schüler, zu denen auch der spätere Leiter des Stenografenbüros Leopold Conn (1820–1876) gehört, bieten jedoch ihre Dienste an.

Sie sind bereit, sich dafür "einer strengen Prüfung zu unterziehen" (Conn 1871, 5). Sie nehmen eine Sitzung des Sicherheitsausschusses, der damals täglich im Musikvereinssaal zu öffentlichen Verhandlungen zusammentritt, stenografisch auf. Dies tun sie erfolgreich, und so werden sie mit der stenografischen Aufnahme der Verhandlungen des Konstituierenden Reichstages betraut. (Conn 1871, 5)

Die Deputierten zum Reichstag – so werden die Abgeordneten damals bezeichnet – und die Stenografen sind fleißig: Nach mehreren Vorberatungen und der konstituierenden Sitzung am 22. Juli finden bis zum Ausbruch des Oktoberaufstandes nicht weniger als 51 Sitzungen des Reichstages statt.

Oktoberaufstand und Permanenzsitzung

Als am Nachmittag des 6. Oktobers die 52. Sitzung eröffnet werden soll, ist bereits der Oktoberaufstand ausgebrochen. Kurz nach Beginn, so der stenographische Bericht, "erscheinen bewaffnete Nationalgarden auf der Gallerie, was große Aufregung in der Kammer verursacht. [...] Abg. Sierakowski (von der Tribüne): Ich komme eben als Augenzeuge vom Hofe, der Kriegsminister Latour ist aufgehängt. (Große Sensation.)"

Präsident Antonín Strobach schließt die Sitzung und verlässt gemeinsam mit einem Gutteil der Deputierten den Saal. Auch fast alle Stenografen entfernen sich, berichtet Conn. Doch Vizepräsident Franz Smolka eröffnet die Sitzung wieder. Die wieder aufgenommenen Verhandlungen dauern bis 6 Uhr morgens an. Die Sitzung wird dann für permanent erklärt und erst am 31. Oktober geschlossen. Während dieser sogenannten Permanenzsitzung tritt der Reichstag insgesamt 25 Mal zusammen.

Unterdessen geht auch der Aufstand in Wien weiter. Am 18. Oktober 1848 heißt es in der "Wiener Theater-Zeitung": "Der österreichische constituirende Reichstag, hat [...] eine Metamorphose erlitten, er hat sich factisch in eine Revolutionsbehörde umgewandelt."

Verlegung nach Kremsier und Auflösung

Am 31. Oktober wird der Aufstand in Wien niedergeschlagen, der Reichstag – und mit ihm das Stenografenbüro – nach Mähren, in die Kleinstadt Kremsier verlegt, in der er am 22. November erstmals zusammentritt.

In der vergleichsweise ruhigen Umgebung arbeitet man weiter an einer Verfassung und einem Grundrechtekatalog. Diese können jedoch nicht mehr fertiggestellt werden. Die Stenografen führen in Kremsier "ein wahres Schlaraffenleben" (Alt 1948, 14). Sie nützen die freien Stunden, um ihr Kurzschriftsystem weiterzuentwickeln, und legen damit den Grundstein für die sogenannte "Wiener Schule".

Mit der vom Kaiser verordneten Auflösung des Reichstages im März 1849 und der Wiederherstellung des Absolutismus findet auch die erste Blütezeit der Stenografie in Österreich ein jähes Ende. In den darauffolgenden zehn Jahren müssen sich die Parlamentsstenografen mit anderen Arbeiten über Wasser halten.

Das Blatt wendet sich erst nach der militärischen Niederlage Österreichs im italienischen Krieg und dem Verlust der Lombardei. Im Jahr 1860 wird zunächst der k.k. (kaiserlich-königlich) verstärkte Reichsrat einberufen und Conn zur stenografischen Aufnahme der Verhandlungen bestellt. Bei den Sitzungen ist die Öffentlichkeit ausgeschlossen, die Protokolle werden lediglich in Auszügen der "Wiener Zeitung" angeschlossen.

Mit der Februarverfassung 1861 (auch Februarpatent genannt) bricht "ein goldenes Zeitalter für die Stenographie in Österreich heran"; Conn erhält den Auftrag, "das reichsräthliche Stenografenbureau zusammenzusetzen". (Conn 1871, 17f.) Im selben Jahr erscheint auch Conns "Lehrbuch der Kammerstenografie".