Stenographisches Protokoll

621. Sitzung des Bundesrates der Republik Österreich

 

 

Donnerstag, 16. Jänner 1997

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Stenographisches Protokoll

621. Sitzung des Bundesrates der Republik Österreich

Donnerstag, 16. Jänner 1997

Dauer der Sitzung

Donnerstag, 16. Jänner 1997: 13.01 – 21.12 Uhr

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Tagesordnung

1. Bericht des Bundesministers für Arbeit und Soziales über die soziale Lage 1995

2. Erstattung eines Vorschlages des Bundesrates für die Ernennung eines Mitgliedes des Verfassungsgerichtshofes

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Inhalt

Bundesrat

Antrittsansprache des Präsidenten Dr. DDr. h. c. Herbert Schambeck 27

Schreiben der Oberösterreichischen Landtagsdirektion betreffend Mandatsveränderung im Bundesrat 5

Unterbrechungen der Sitzung 45, 99 und 100

Angelobung des Bundesrates Leopold Steinbichler 5

Personalien

Entschuldigungen 5

Bundesregierung

Vertretungsschreiben 33

Ausschüsse

Zuweisungen 34

Fragestunde

Finanzen 5

Erhard Meier (685/M-BR/97)

Dr. Milan Linzer (691/M-BR/97)

Dr. Peter Harring (697/M-BR/97)


Bundesrat
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621. Sitzung / Seite 2

Karl Hager (686/M-BR/97)

Anton Hüttmayr (692/M-BR/97)

Stefan Prähauser (687/M-BR/97)

Ing. Johann Penz (693/M-BR/97)

DDr. Franz Werner Königshofer (698/M-BR/97)

Josef Rauchenberger (688/M-BR/97)

Mag. Harald Himmer (694/M-BR/97)

Dr. Michael Ludwig (689/M-BR/97)

Ing. Walter Grasberger (695/M-BR/97)

Dr. Michael Rockenschaub (699/M-BR/97)

Anna Elisabeth Haselbach (690/M-BR/97)

Franz Richau (696/M-BR/97)

Dringliche Anfrage

der Bundesräte Dr. Susanne Riess-Passer, Helga Moser, Monika Mühlwerth und Kollegen an die Bundesministerin für Frauenangelegenheiten betreffend die Effizienz eines Frauenministeriums angesichts ständig steigender Belastungen für die österreichischen Frauen und einer anwachsenden Frauenarmut sowie die Akzeptanz der Frauenministerin innerhalb der Regierung (1242/J-BR/97)

Begründung: Dr. Susanne Riess-Passer 45

Beantwortung: Bundesministerin Dr. Helga Konrad 47

Redner:

Dr. Michael Rockenschaub 54


Bundesrat
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621. Sitzung / Seite 3

Hedda Kainz 57

Therese Lukasser 59

Helga Moser 60

Johanna Schicker 61

Gottfried Jaud 63

Monika Mühlwerth 64

Albrecht Konečny 65

Bundesministerin Dr. Helga Konrad 67

Dr. Paul Tremmel 68

Verhandlungen

(1) Bericht des Bundesministers für Arbeit und Soziales über die soziale Lage 1995 (III-154-BR/96 und 5381/BR d. B.)

Berichterstatter: Wolfgang Hager 35

(Antrag, den Bericht zur Kenntnis zu nehmen)

Redner:

Helga Moser 35

Aloisia Fischer 36

Hedda Kainz 37

Engelbert Weilharter 43

Therese Lukasser 70

Karl Drochter 72

Monika Mühlwerth 75

Bundesminister Franz Hums 77 und 89

Engelbert Schaufler 81

Mag. John Gudenus 83

Ilse Giesinger 86

Gottfried Jaud 90

Annahme des Antrages des Berichterstatters, den Bericht zur Kenntnis zu nehmen, mit den Stimmen der Bundesräte der ÖVP und der SPÖ, gegen die Stimmen der Bundesräte der Freiheitlichen 91

(2) Erstattung eines Vorschlages des Bundesrates für die Ernennung eines Mitgliedes des Verfassungsgerichtshofes

Verlangen auf Durchführung einer Debatte gemäß § 57 Abs. 2 GO-BR 92

Debatte:

Jürgen Weiss 92

Erhard Meier 95

Dr. Susanne Riess-Passer 96

Wahlergebnis:

Mag. Dr. Eleonore Berchtold-Ostermann: 36 Stimmen

Dr. Michael Graff: 14 Stimmen

Mag. Dr. Eleonore Berchtold-Ostermann wird dem Herrn Bundespräsidenten für die Ernennung eines Mitgliedes des Verfassungsgerichtshofes vorgeschlagen.

Eingebracht wurden

Berichte

16886-18264-EU über Vorhaben im Rahmen der Europäischen Union gemäß Artikel 23e B-VG

Antrag

der Bundesräte Anton Hüttmayr, Franz Richau und Kollegen betreffend Mautpflicht für Kraftfahrzeuge, die auf Wechsel- und Probekennzeichen laufen [97/A(E)-BR/97]

Anfragen

der Bundesräte Erhard Meier und Genossen an den Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten betreffend Unfähigkeit bei der Organisation des Angebotes und Verkaufs der Autobahn-Vignette zu Beginn 1997 (1241/J-BR/97)

der Bundesräte Dr. Susanne Riess-Passer , Helga Moser, Monika Mühlwerth und Kollegen an die Bundesministerin für Frauenangelegenheiten betreffend die Effizienz eines Frauenministeriums angesichts ständig steigender Belastungen für die österreichischen Frauen und einer anwachsenden Frauenarmut sowie die Akzeptanz der Frauenministerin innerhalb der Regierung (1242/J-BR/97)


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621. Sitzung / Seite 4

der Bundesräte DDr. Franz Werner Königshofer und Kollegen an die Bundesministerin für Unterricht und kulturelle Angelegenheiten betreffend eine ausschreiblose Stellenvergabe im Tiroler Schulbereich (1243/J-BR/97)

der Bundesräte DDr. Franz Werner Königshofer und Kollegen an die Bundesministerin für Unterricht und kulturelle Angelegenheiten betreffend eines schulfreien Tages in Tirol (1244/J-BR/97)

der Bundesräte DDr. Franz Werner Königshofer und Kollegen an den Bundesminister für Landesverteidigung betreffend Kasernenstandort Kufstein (1245/J-BR/97)

der Bundesräte Franz Richau, Anton Hüttmayr und Kollegen an den Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten betreffend Mautvignette – Wochenvignette (1246/J-BR/97)

Anfragebeantwortungen

des Bundesministers für Wissenschaft, Verkehr und Kunst auf die Frage der Bundesräte Dr. Paul Tremmel und Kollegen (1138/AB-BR/96 zu 1233/J-BR/96)

des Bundesministers für Wissenschaft, Verkehr und Kunst auf die Frage der Bundesräte Jürgen Weiss und Kollegen (1139/AB-BR/96 zu 1235/J-BR/96)

des Bundesministers für Arbeit und Soziales auf die Frage der Bundesräte Engelbert Schaufler und Kollegen (1140/AB-BR/96 zu 1232/J-BR/96)

des Bundesministers für Arbeit und Soziales auf die Frage der Bundesräte Horst Freiberger und Genossen (1141/AB-BR/96 zu 1231/J-BR/96)

des Bundesministers für Arbeit und Soziales auf die Frage der Bundesräte Jürgen Weiss, Ilse Giesinger und Dr. Reinhard Eugen Bösch (1142/AB-BR/97 zu 1236/J-BR/96)


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Beginn der Sitzung: 13.01 Uhr

Präsident Dr. DDr. h. c. Herbert Schambeck: Meine sehr verehrten Damen und Herren! Hoher Bundesrat! Ich eröffne die 621. Sitzung des Bundesrates.

Das Amtliche Protokoll der 620. Sitzung des Bundesrates vom 19. Dezember 1996 ist aufgelegen, unbeanstandet geblieben und gilt als genehmigt.

Entschuldigt haben sich die Mitglieder des Bundesrates Ludwig Bieringer, Dr. Reinhard Eugen Bösch, Andreas Eisl, Erich Farthofer, Ferdinand Gstöttner, Johann Payer und Karl Wöllert.

Mandatsverzicht und Angelobung

Präsident Dr. DDr. h. c. Herbert Schambeck: Eingelangt ist ein Schreiben der Oberösterreichischen Landtagsdirektion betreffend Mandatsveränderung im Bundesrat. Ich ersuche die Frau Schriftführerin um die Verlesung dieses Schreibens.

Schriftführerin Helga Markowitsch: "Sehr geehrte Damen und Herren!

Es wird mitgeteilt, daß das Mitglied des Bundesrates Hermann Pramendorfer mit Wirkung vom 1. Jänner 1997 (mit Ablauf des 31. Dezember 1996) sein Mandat als Mitglied des Bundesrates zurückgelegt hat. Eine Kopie der diesbezüglichen Verzichtserklärung ist in der Anlage angeschlossen.

Laut Mitteilung des Klubs der ÖVP-Landtagsabgeordneten soll das bisherige Mitglied des Bundesrates Leopold Steinbichler als neues Mitglied in den Bundesrat nachrücken. Der neue Ersatzmann wird voraussichtlich im Rahmen der Sitzung des O.ö. Landtages am 23. Jänner 1997 gewählt.

Mit freundlichen Grüßen

Der Landtagsdirektor

Dr. Helmut Hörtenhuber"

Präsident Dr. DDr. h. c. Herbert Schambeck: Das neue Mitglied des Bundesrates ist im Hause anwesend. Ich werde daher sogleich seine Angelobung vornehmen.

Nach Verlesung der Gelöbnisformel durch die Frau Schriftführerin wird die Angelobung mit den Worten "Ich gelobe" zu leisten sein.

Ich ersuche nun die Frau Schriftführerin um die Verlesung der Gelöbnisformel.

Schriftführerin Helga Markowitsch: Sie werden geloben unverbrüchliche Treue der Republik Österreich, stete und volle Beobachtung der Verfassungsgesetze und aller anderen Gesetze sowie gewissenhafte Erfüllung Ihrer Pflichten.

Bundesrat Leopold Steinbichler (ÖVP): Ich gelobe.

Präsident Dr. DDr. h. c. Herbert Schambeck: Ich begrüße Herrn Bundesrat Leopold Steinbichler herzlich in unserer Mitte. (Allgemeiner Beifall.)

Fragestunde

Präsident Dr. DDr. h. c. Herbert Schambeck: Hoher Bundesrat! Wir gelangen nunmehr zur Fragestunde.


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Bevor wir mit der Fragestunde beginnen, mache ich – vor allem im Hinblick auf die seit der letzten Fragestunde in den Bundesrat neu eingetretenen Mitglieder – darauf aufmerksam, daß jede Zusatzfrage in unmittelbarem Zusammenhang mit der Hauptfrage beziehungsweise der gegebenen Antwort stehen muß. Die Zusatzfrage darf nur eine konkrete Frage enthalten und darf nicht in mehrere Unterfragen geteilt sein.

Um die Beantwortung aller zum Aufruf vorgesehenen Anfragen zu ermöglichen, erstrecke ich die Fragestunde, sofern mit 60 Minuten nicht das Auslangen gefunden wird, im Einvernehmen mit den beiden Vizepräsidenten erforderlichenfalls auf bis zu 120 Minuten.

Ich beginne jetzt – um 13.05 Uhr – mit dem Aufruf.

Bundesministerium für Finanzen

Präsident Dr. DDr. h. c. Herbert Schambeck: Wir kommen zur 1. Anfrage, 685/M, an den Herrn Bundesminister für Finanzen.

Ich bitte den Anfragesteller, Herrn Bundesrat Erhard Meier (SPÖ, Steiermark), um die Verlesung der Anfrage.

Bundesrat Erhard Meier: Sehr geehrter Herr Minister! Meine Frage lautet:

685/M-BR/97

Welche Auswirkungen hat der Beschluß des Rates von Dublin betreffend den Stabilitätspakt nach der Einführung des Euro auf Österreichs Finanzpolitik?

Präsident Dr. DDr. h. c. Herbert Schambeck: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für Finanzen Mag. Viktor Klima: Herr Präsident! Hoher Bundesrat! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte eingangs um Verständnis dafür bitten, daß Sie mir auf der einen Seite 15 sehr interessante Fragen vorgelegt haben – ich nehme an, daß wir sie umfassend besprechen wollen, wofür aber im Durchschnitt vier Minuten sehr wenig sind –, ich aber auf der anderen Seite – Herr Präsident, ich bitte Sie darum, daß wir das kurz klären können – um 14 Uhr im Lokal VI eine Sitzung des Unterausschusses des Budgetausschusses habe. Ich weiß nicht, ob sich all das ausgehen wird. Ich stehe Ihnen gerne zur Verfügung, denn ich habe bis spät in die Nacht heute nichts anderes vor, als hier im Parlament zu sein. (Bundesrat Ing. Penz: Wenn Sie präzise antworten, sind wir fertig!)

Schon, aber es ist eine wichtige Frage, welche Auswirkungen der Stabilitätspakt auf die österreichische Fiskalpolitik hat.

Darauf kann ich Ihnen jetzt eine formale Antwort geben, die in etwa lautet: Die Stabilitätskriterien, zum Beispiel maximal 3 Prozent Defizit aller öffentlichen Haushalte, sind bereits im Vertrag von Maastricht 1992 festgehalten, und im Stabilitätspakt ist – ich sage es jetzt einmal ganz grob formuliert – nichts anderes vereinbart, als daß unter normalen Umständen diese Marke auch eingehalten werden soll. – Punkt.

Das ist es aber nicht in Wirklichkeit. Das wirklich Erfreuliche daran ist nämlich, daß dieser Stabilitätspakt eine ganze Reihe von in Österreich folgenden Maßnahmen initiiert hat: daß wir zum Beispiel erstmals in der österreichischen Geschichte die finanzielle Zusammenarbeit der Gebietskörperschaften Bund, Länder und Gemeinden auf eine neue, tragfähige Basis gestellt haben; daß wir als Folge erstmals in unserer Geschichte einen Konsultationsmechanismus vereinbart haben, wonach die finanziellen Belastungen, die ein Gesetzgeber zu Lasten einer anderen Gebietskörperschaft schafft, zu Gesprächen, zu Verhandlungen über die Kostenträgerpflicht führen müssen und ähnliches. Wir haben einen innerösterreichischen Stabilitätspakt vereinbart.

Vereinfacht gesagt: Dieser Stabilitätspakt bedeutet für die österreichische Fiskalpolitik, daß wir uns mit unserem Haushalt weiterhin an der gemeinsamen Stabilität der Währung, der Inflation,


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der Zinsraten orientieren wollen, aber in einem internationalen Verbund. Es ist sehr wichtig, in diesem "go Europe", in der globalen Auseinandersetzung die europäische Wirtschaft zu stärken, indem wir eine gemeinsame stabile, auf Sparsamkeit ausgerichtete europäische Haushaltspolitik betreiben. Wir werden in den Finanzminister-Räten sehr engagiert darüber zu diskutieren haben, wie sich die Haushaltspolitik in den Ländern entwickelt, welche Maßnahmen gesetzt werden können und müssen, wenn die Finanzpolitik großer Länder aus dem Ruder läuft. Gerade für kleine Länder ist dieser Stabilitätspakt eine sehr wichtige Sache.

Es ist für die Stabilität des Euro und für die Stabilität unserer Zinsentwicklung, unserer Inflationsentwicklung wahrscheinlich nicht so dramatisch, sollte die österreichische Finanzpolitik aus dem Ruder laufen in diesem 350-Millionen-Menschen-Währungsraum – 8 Millionen Österreicher. Es ist aber zum Schutz der Österreicher sehr wichtig, daß nicht die Finanzen eines großen Landes aus dem Ruder laufen, nicht jene Deutschlands oder Frankreichs. Es ist dieser Stabilitätspakt daher von nachhaltiger Bedeutung für die österreichische Fiskalpolitik, aber auch für die gemeinsame europäische Fiskalpolitik.

Man müßte viel länger darüber reden, aber ich hoffe, sehr geehrter Herr Kollege, daß Ihnen diese Antwort jetzt einmal genügt.

Präsident Dr. DDr. h. c. Herbert Schambeck: Wird eine Zusatzfrage gewünscht? – Bitte.

Bundesrat Erhard Meier: Welche Lösung wird angestrebt, um sowohl die Grundlagen für einen starken Euro zu schaffen, als auch jenen Staaten, welche die Kriterien noch nicht erfüllen, aber durch Abwertung das Gleichgewicht innerhalb der EU-Mitgliedstaaten empfindlich stören können – das hat ja auch Österreich betroffen –, zum frühestmöglichen Zeitpunkt den Beitritt zur Europäischen Währungsunion zu ermöglichen?

Präsident Dr. DDr. h. c. Herbert Schambeck: Herr Bundesminister.

Bundesminister für Finanzen Mag. Viktor Klima: Ich halte das, Herr Kollege, was in Ihrer Frage verborgen ist, für eines der wichtigsten Dinge.

Ich habe gestern am Abend eine sehr gute und lange Diskussion in der Bundeswirtschaftskammer mit dem Klub der internationalen Wirtschaft vor 500 österreichischen Exporteuren und Importeuren gehabt. Ich komme gerade von einer Diskussion mit dem Präsidium und dem Vorstand der Industriellenvereinigung. Und ich sage Ihnen: Wir werden in diesem Europa nur dann wettbewerbsfähig sein, wenn wir eine starke gemeinsame Währung haben, wenn wir den Euro als Wettbewerbswaffe in diesem globalen Wettbewerb einsetzen können.

Es hat sich in den Jahren 1995 und 1996 aufgrund der Währungsturbulenzen zum Schaden der österreichischen Wirtschaft ein Wachstumsverlust in der Höhe von 1,5 Prozent eingestellt. Welche Beschäftigungsauswirkungen das hat! – Das gilt es durch eine möglichst breite gemeinsame europäische Währung zu verhindern.

Daher sieht dieser Stabilitätspakt – und das ist sehr interessant! – die gleichen Regeln für jene Staaten vor, die schon Mitglied der Währungsunion sind, und für jene Staaten, die "pre-ins" sind, die noch nicht Mitglied der Währungsunion sind. Nur heißt es dort "Konvergenzprogramm" und nicht "Stabilitätsprogramm".

Es haben alle 15 Mitgliedsländer der Europäischen Union in Zukunft ihre Haushaltsentwicklung sehr präzise darzustellen, ihre Programme, Maßnahmen darzustellen, wenn sie das gemeinsame Ziel – 3 Prozent Gesamtverschuldung aller öffentlichen Haushalte – nicht erreichen können. Einen einzigen Unterschied gibt es: Die "ins" können auch mit Sanktionen belegt werden, wenn sie den gemeinsamen Währungsraum durch Verfehlen der Disziplin tatsächlich belasten.

Also es sind hier die Maßnahmen gesetzt: sowohl beim Konvergenz-/Stabilitätsprogramm, als auch durch das neue europäische Wechselkurssystem, EWS 2, das eine gemeinsame Leitwährung haben wird. Es handelt sich nicht mehr um ein multilaterales Gitter. Alle 15 Währungen


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weniger X – die noch nicht dabei sind – haben sich dann am Euro zu orientieren. Es sind Bandbreiten festgelegt worden, und nur innerhalb dieser darf geschwankt werden. – Das bedeutet: Die österreichische Wirtschaft ist dann geschützt vor Wettbewerbsvorteilen durch Währungsspielereien anderer Länder. Es ist daher maßgeblich, daß wir in Richtung eines gemeinsamen europäischen Währungsraumes zum Schutz der österreichischen Wirtschaft und der Arbeitsplätze gehen.

Präsident Dr. DDr. h. c. Herbert Schambeck: Wird eine Zusatzfrage gewünscht? – Bitte.

Bundesrat Erhard Meier: Welche Maßnahmen sind in Österreich notwendig, damit der Euro technisch – damit meine ich die Umstellungen im Finanzbereich, bei den Banken und so weiter –, aber auch – und das erscheint mir ebenfalls sehr wichtig – aufgrund der Akzeptanz durch die Österreicher und Österreicherinnen wie geplant eingeführt werden kann?

Präsident Dr. DDr. h. c. Herbert Schambeck: Herr Minister, bitte.

Bundesminister für Finanzen Mag. Viktor Klima: Ich glaube, wir haben grundsätzlich zwei Dinge zu beachten: Das erste ist die Frage: Wird Österreich in der Lage sein, die Stabilitätskriterien zu erfüllen, und damit die Berechtigung haben, an diesem Währungsraum teilzunehmen?

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bin aufgrund des sehr disziplinierten Budgetvollzuges 1996 der Überzeugung, daß Österreich auch 1997 seine diesbezüglichen Ziele erreichen wird. Wir haben das erstemal seit fünf Jahren das Budgetziel erreicht! Wir haben es sogar etwas besser erreicht. (Bundesrat DDr. Königshofer: Mit Vorauszahlungen der Wirtschaft!)

Kollege! Wir können dann gerne im Detail darüber diskutieren, denn wenn Sie aus der Wirtschaft kommen, haben Sie das gleiche Verständnis wie ich, wissen Sie, daß Änderungen zum Beispiel im Körperschaftsteuersystem erst 1998 wirken. Daß wir daher eine Liquiditätsüberbrückung brauchen – durch erhöhte Vorauszahlungen –, ist Ihnen aber wahrscheinlich schon beim Beschluß bewußt gewesen – mir auch. Wir brauchen uns daher Dinge, die wir wissen, jetzt nicht vorzuhalten! Wir beide wissen es ja. (Beifall bei der SPÖ.) – Ich meine das nicht böse, aber Sie wissen ja ohnehin – ich weiß es auch –, was wir getan haben.

Wir haben – und das sollten Sie nicht unterschätzen – auch durch entsprechende Disziplin auf der Ausgabenseite das Budgetziel 1996 erreicht. Und ich bin überzeugt davon, daß wir es auch 1997 erreichen werden! Das bedeutet: Österreich wird, wenn wir weiterhin so diszipliniert mit unserem Haushalt umgehen, in der Lage sein, die Kriterien der Stabilität zu erfüllen, sodaß Österreich dabeisein kann.

Die zweite Frage ist, ob wir dabeisein wollen. Das Dabeisein-Wollen ist für mich – und in dieser Hinsicht bin ich mit vielen Vertretern der österreichischen Wirtschaft, arbeitgeber- und arbeitnehmerseitig, einig – ein Muß, weil eine Nichtteilnahme Österreichs für den Fall, daß unser Haupthandelspartner Deutschland, mit dem wir seit 20 Jahren auch in bezug auf die Währung, die D-Mark eng verknüpft sind, dieser Währungsunion beitritt, für uns sehr nachteilige Folgen mit sich brächte.

Das heißt: Aus meiner Sicht – erlauben Sie mir diese politische Bemerkung – ist es für die österreichische Beschäftigungslage, für die österreichische Wirtschaft unerläßlich, gemeinsam mit Deutschland und anderen Staaten an dieser Währungsunion teilzuhaben. Dazu bedarf es aber auch einer Reihe technischer Voraussetzungen – diese sind in der Euro-Verordnung auch schon als solche festgelegt.

Was aber noch viel wichtiger ist – und das haben Sie, Herr Bundesrat, auch angesprochen –, ist die Akzeptanz durch die österreichische Bevölkerung. Ich verstehe schon, daß viele Österreicherinnen und Österreicher, die zum Teil Währungsreformen miterlebt haben, wodurch sie ihr Geld, ihr Sparguthaben verloren haben, ihre Pensionen weniger Wert geworden sind und ähnliches mehr, große Sorge haben dahin gehend, daß das nicht nur ein Umrechnungskurs ist, wie es tatsächlich der Fall ist.


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Wir werden vom 1. 1. 1999 bis zum 31. 12. 2001 nichts anderes erleben, als daß Schilling und Euro in einem festen Verhältnis drei Jahre lang gleich sind – ein bißchen eine Eingewöhnungsphase. Erst von 1. Jänner 2002 bis 30. Juni 2002 wird es ein schrittweises Umtauschen der Banknoten und der Münzen geben. Dann wird einiges technisch sehr Schwieriges auf uns zukommen, nämlich wie man den Greißler dazu bringt, daß er auf der einen Seite Schilling empfängt und Euro zurückgibt – und viele ähnliche Dinge. Das wird sicher nicht einfach werden.

Insbesondere wird es aber wichtig sein, die konkreten Sorgen der österreichischen Bevölkerung zu identifizieren und mit konkreten, nachweisbaren Maßnahmen dagegen anzukämpfen. Ich trete dafür ein, daß da ein professionelles Projektmanagement eingerichtet wird; natürlich mit einem Steering Committee der Politik – Bundeskanzler, Vizekanzler. Es wird ein professionelles Projektmanagement notwendig sein, das all die technischen, rechtlichen, organisatorischen und Informationsmaßnahmen koordiniert, die hier nötig sind – und das möglichst bald, sodaß im Laufe des Jahre 1997 diese Aktivitäten beginnen können.

Denn die Versuchung ist groß – ich sage das in aller Offenheit –: Wenn wir ein Strafmandat in Höhe von 300 S in Zukunft in Euro umrechnen, wird es halt 25,76 Euro ausmachen. Und da ist die Versuchung schon groß, zu sagen: Runden wir auf 26 Euro auf! – Aber genau das darf nicht passieren! Wir dürfen es nicht zu einem Verteuerungsschub, zu einem Inflationsschub kommen lassen. Das heißt: Die öffentliche Hand sollte von der Tendenz her sogar eher nach unten abrunden.

Es wird auch in privaten Geschäften schwierig werden. Wir müssen uns sehr sorgfältig überlegen, ob wir nicht zumindest kurze Zeit eine doppelte Preisauszeichnung machen sollen, daß sich der Konsument davon überzeugen kann, daß das in Schilling und Euro gleich viel ist. Ich weiß, daß es da manchen Widerstand vom Handel gibt – ich verstehe das auch –, aber wir müssen ganz bewußt konkrete, nachvollziehbare, erlebbare Maßnahmen setzen, um die Sorgen der Bevölkerung zu entkräften.

Präsident Dr. DDr. h. c. Herbert Schambeck: Wir gelangen nunmehr zur 2. Anfrage, 691/M, an den Herrn Bundesminister für Finanzen. Ich ersuche den Anfragesteller, Herrn Bundesrat Dr. Milan Linzer (ÖVP, Burgenland) , um die Verlesung seiner Anfrage. – Bitte.

Bundesrat Dr. Milan Linzer: Herr Bundesminister! Meine Frage an Sie lautet:

691/M-BR/97

Wie definieren Sie die bestmögliche Veräußerung im Sinne des Verkaufs-Ermächtigungsgesetzes 1991?

Präsident Dr. DDr. h. c. Herbert Schambeck: Bitte.

Bundesminister für Finanzen Mag. Viktor Klima: Herr Kollege! Verzeihen Sie bitte, wenn ich das doch zum Anlaß dafür nehme, vorweg ein paar allgemeine Bemerkungen zu machen.

Erste Bemerkung: Angesichts der großen Aufgaben und Projekte, die wir vor uns haben – die Modernisierung unseres Landes, den Schritt in diese gemeinsame Währung, in die Währungsunion, und viele Dinge mehr –, erachte ich es für wichtig und notwendig, daß eine Regierung auf möglichst breiter Basis der beiden großen Koalitionsparteien zusammenarbeitet.

Ich bitte um Verständnis dafür, daß wir uns, nachdem ich aufgrund einer bestehenden Ausschreibung vom Kollegen Staribacher sehr diszipliniert über ein halbes Jahr lang mit dem damals einzigen Anbieter exklusiv verhandelt habe, verhandeln mußte – es ist für einen Verkäufer nie schön, wenn er nur einen Anbieter hat, aber das war im laufenden Verfahren – und in dieser Zeit andere österreichische und ausländische Interessenten, die sich interessiert haben, abgewiesen habe, abweisen mußte – ich durfte ihnen keine Informationsmaterialien geben –, gemeinsam für eine neue öffentlich-rechtliche Ausschreibung entschieden haben.

Diese gemeinsame neue öffentlich-rechtliche Ausschreibung verweist auf das entsprechende Bundesgesetz aus dem Jahr 1991 zu diesem Punkt. Und ich darf Ihnen, sehr geehrter Herr


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Kollege, in diesem Zusammenhang sagen, daß wir es uns nicht einfach gemacht haben, die Anforderungen dieses Bundesgesetzes tatsächlich auch zu erfüllen.

Das Bundesgesetz spricht von einer bestmöglichen Veräußerung und definiert im Anschluß daran in den unterschiedlichen Punkten näher, was darunter zu verstehen ist. So ist zum Beispiel von den nationalen Interessen die Rede. Wir haben das immer dahin gehend interpretiert – und ich halte das für sehr vernünftig –, daß wir danach trachten sollten, österreichische Entscheidungsstrukturen zu erhalten, sodaß über für den österreichischen Wirtschaftsplatz wichtige Institute Entscheidungen in Österreich getroffen werden können.

Weiters geht es um eine Verbesserung der Bankenstruktur. Diesbezüglich ist sehr klar davon die Rede, daß die Marktposition der Unternehmen insbesondere im Hinblick auf die Annäherung an die EG – so hat sie damals noch geheißen – und die zunehmende weltweite Liberalisierung zu beachten ist.

Schlußendlich ist eine bestmögliche Veräußerung als grundsätzliche Maximierung des Veräußerungserlöses anzustreben.

Ich darf Ihnen sagen, daß ich hiezu auch vom bekanntesten österreichischen Verfassungsrechtler ein entsprechendes Gutachten angefordert habe. Dieses Gutachten hält im wesentlichen fest, daß der Bundesminister für Finanzen verpflichtet ist, an den Höchstbieter zu veräußern, wenn diese Veräußerung nationale Interessen wahrt und eine Verbesserung der Bankenstruktur zu erwarten ist.

Präsident Dr. DDr. h. c. Herbert Schambeck: Wird eine Zusatzfrage gewünscht? – Bitte.

Bundesrat Dr. Milan Linzer: Herr Bundesminister! Wird es nach dem Erwerb der CA-Anteile durch die Bank Austria zu einer Personalreduktion bei der CA kommen?

Präsident Dr. DDr. h. c. Herbert Schambeck: Herr Minister, bitte.

Bundesminister für Finanzen Mag. Viktor Klima: Auch dazu eine ergänzende Bemerkung: Aus meiner Sicht ist das Gesamtergebnis dieses Projektes – es war ein klar definiertes, transparentes, wirtschaftliches Projekt, das hier abzuwickeln war – eine erfolgreiche Beendigung einer unendlichen Geschichte; erfolgreich auch für den österreichischen Steuerzahler, für den mit nahezu 17,2 Milliarden Schilling Veräußerungserlös für seine Aktien ein bestmöglicher Veräußerungserlös erzielt wurde; aber auch erfolgreich im Sinne der österreichischen Interessen, weil österreichische Entscheidungsstrukturen gewahrt werden konnten – auch in den nachfolgenden Industriebeteiligungen.

Durch das Angebot, das schlußendlich den Zuschlag erhalten hat, hat sich der Käufer also auch verpflichtet, in den Kernbereichen bei den österreichischen Industriebeteiligungen die österreichischen Interessen zu wahren, wenn nötig qualifizierte Minderheiten zu behalten und ähnliches mehr, sodaß das, was wir nicht haben wollen – Stichwort Semperit –, dort, wo es verhinderbar ist, nicht eintritt.

Schlußendlich bin ich überzeugt davon – das ist ja der Kern Ihrer Frage –, daß das ein wesentlicher Schritt in einer Folge von mehreren notwendigen Schritten zur Verbesserung der österreichischen Bankenstruktur ist.

Ich darf nur in wenigen Worten aus dem letzten "Moody’s Banking System Outlook" – das ist eine der größten Rating-Agenturen der Welt – über den österreichischen Kapitalmarkt zitieren. Darin wird sehr trocken festgestellt:

Erstens: Österreich hat keine europäische Bank.

Zweitens: Wir haben eine hohe Fragmentierung der Marktanteile – also: sehr stark zersplittert und ähnliches. In den Niederlanden zum Beispiel hat die ABN-AMRO 35 Prozent Marktanteil.

Wir haben Überkapazitäten und auch ungünstige Kostenstrukturen.


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Das heißt, es wäre eine Lüge, würden wir heute nicht offen sagen, daß im Finanzdienstleistungsbereich in Österreich – da schließe ich die Banken genauso mit ein wie die Versicherungen – Produktivitätssteigerungen notwendig sein werden. Das muß man ganz offen, klar und deutlich sagen – ungeachtet aller Transaktionen.

Ich kann Ihnen im Zusammenhang mit dieser Transaktion berichten, daß der Bieter, der den Zuschlag bekommen hat, die Verpflichtung abgegeben hat, daß er nur über natürliche Fluktuation, also natürlichen Abgang, die nötigen Effizienzsteigerungen durchführen wird. – Aber diese sind überall notwendig.

Präsident Dr. DDr. h. c. Herbert Schambeck: Wird noch eine Zusatzfrage gewünscht? – Bitte.

Bundesrat Dr. Milan Linzer: Noch eine kurze Frage: Herr Bundesminister! Wird die CA als selbständiges Unternehmen erhalten bleiben?

Präsident Dr. DDr. h. c. Herbert Schambeck: Bitte.

Bundesminister für Finanzen Mag. Viktor Klima: Ich muß der Offenheit halber ausführen, daß in beiden Fällen geplant gewesen wäre, die CA-Aktien von der Börse zurückzuziehen. Das Generali-Angebot hat vorgesehen, daß eine Holding-Konstruktion entsteht, der weniger als drei Viertel der Ersten Österreichischen, aber 100 Prozent der CA angehören. Es war vorgesehen, daß die Mitarbeiter der CA dann nicht CA-Aktien, sondern Holding-Aktien bekommen und daß dann nur noch Holding-Aktien an der Börse gehandelt werden.

Das Bank-Austria-Angebot sieht vor, daß – wie in der Strategie beschrieben wurde – eine Zwei-Marken-Strategie auf Dauer beabsichtigt ist. Aber es gibt auch die schriftliche Zusicherung, daß gesellschaftsrechtlich zumindest in den nächsten fünf Jahren – ausgenommen Teilfunktionen – keine Verschmelzungen oder ähnliches passieren.

Präsident Dr. DDr. h. c. Herbert Schambeck: Wir gelangen nunmehr zur 3. Anfrage, 697/M, Bundesrat Dr. Peter Harring (Freiheitliche, Kärnten) an den Herrn Bundesminister für Finanzen. Ich ersuche den Anfragesteller um die Verlesung seiner Anfrage.

Bundesrat Dr. Peter Harring: Herr Bundesminister! Ich darf Sie mit zwei widersprüchlichen Aussagen in der Frage der Anonymität der Spareinlagen konfrontieren.

697/M-BR/97

Wie erklären Sie die Aussage eines EU-Kommissars, daß Sie einerseits bei einem bilateralen Gespräch hinsichtlich der Sparbuchanonymität Kompromißbereitschaft signalisiert haben, andererseits danach gegenüber der Presse erklärten, der EuGH könnte die gesetzliche Grundlage der EU in diesem Punkt zum Fall bringen?

Präsident Dr. DDr. h. c. Herbert Schambeck: Herr Minister, bitte.

Bundesminister für Finanzen Mag. Viktor Klima: Es ist die von Ihnen zitierte Aussage eines EU-Kommissars, die ich selbst gar nicht verfolgt habe – es wird schon in Ordnung sein, Herr Kollege –, mir völlig unverständlich.

Ich habe in einem Gespräch mit dem zuständigen Kommissar Monti der Europäischen Union klargemacht, daß Österreich den Einwänden der Kommission bezüglich der Geldwäschereirichtlinie entspricht. Das heißt, daß wir in der Frage der Wertpapierdepots tatsächlich Maßnahmen setzen mußten und gesetzt haben, um die Anonymität der Wertpapierdepots abzuschaffen – nach dem sogenannten Eisberg-Modell.

Ich habe aber immer klar die Meinung zum Ausdruck gebracht, daß Österreich mit seiner Anonymität des kleinen Sparbuchs nicht der Richtlinie der Geldwäscherei widerspricht. Es geht nämlich nicht darum, daß es eine Richtlinie gibt, wonach wir die Anonymität der Sparbücher abschaffen müssen, sondern es geht um eine Richtlinie gegen die Geldwäscherei. Und es gibt genug Gutachten von österreichischen Universitätsprofessoren, die besagen, daß das kleine


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österreichische Sparbuch, bei dem ja anonyme Überweisungen oder ähnliches nicht möglich sind – sie haben ja eher Barmittelcharakter –, nicht im Sinne der Geldwäschereirichtlinie als Geldwäschereiinstrument zu sehen ist. Daher bin ich überzeugt davon, daß der Standpunkt, den die österreichische Bundesregierung seitens der Finanzminister Lacina, Staribacher, Klima, den Notenbankpräsidenten Schaumayer und Liebscher, Vizekanzler und Bundeskanzler eingenommen hat, richtig ist. Wir werden diesen Standpunkt auch entgegen allfälligen Wünschen der Kommission der Europäischen Union aufrechterhalten.

Nur: Die Kommission kann, wie das eben im Rechts- und Wirtschaftsleben der Fall ist, den Europäischen Gerichtshof anrufen. Wir werden dort unseren Standpunkt klarmachen, vertreten und auch entsprechend rechtlich absichern.

Ich kann Ihnen nicht zusichern, daß wir auch gewinnen werden. Aber ich hoffe darauf, da es ja um eine Geldwäschereirichtlinie geht. Daher habe ich keinerlei Zugeständnisse in Richtung Abschaffung der Anonymität der Sparbücher gemacht.

Präsident Dr. DDr. h. c. Herbert Schambeck: Wird eine Zusatzfrage gewünscht? – Bitte.

Bundesrat Dr. Peter Harring: Herr Bundesminister! Sie haben jetzt selbst eine Reihe von Spitzenpolitikern der österreichischen Bundesregierung aufgezählt. Fällt Ihnen dabei nicht auf, daß die Frage der Anonymität von Spareinlagen von diesen Spitzenpolitikern weniger nach sachlichen Kriterien, sondern eher danach beurteilt wird, wie weit die Entfernung zu Brüssel ist?

Präsident Dr. DDr. h. c. Herbert Schambeck: Bitte.

Bundesminister für Finanzen Mag. Viktor Klima: Herr Kollege! Entschuldigen Sie, aber ich bilde mir ein, ich habe gerade etwas anderes gesagt. Ich versuche wirklich immer, daß wir von einer Diskussion und einer Fragestunde etwas haben. Ich bilde mir ein, ich habe hier und heute dasselbe gesagt, was ich in Brüssel gesagt habe und was auch durch Gutachten belegbar ist. Ich verstehe Ihre Frage nicht.

Präsident Dr. DDr. h. c. Herbert Schambeck: Herr Bundesrat, bitte.

Bundesrat Dr. Peter Harring: Herr Bundesminister! Es gibt wirklich große Unterschiede zwischen den Aussagen, die die österreichischen Politiker in Brüssel machen, und jenen, die sie hier in Wien machen. Sie selbst habe ich eigentlich weniger gemeint, aber Sie haben vorhin eine Reihe von Spitzenpolitikern aufgezählt, die ich eher gemeint habe.

Ich darf aber vielleicht eine andere Zusatzfrage stellen:

Herr Bundesminister! Ist bei Ihnen das angekündigte Mahnschreiben der EU schon eingelangt, oder ist Ihnen bekannt gemacht worden, was in diesem stehen wird? – In den Medien werden immer wieder die harten Bedingungen der EU zitiert, die ja sogar so weit gehen könnten, daß bei jeder Kontobewegung auf österreichischen Sparbüchern ein Ausweis vorgelegt werden müßte, sodaß beispielsweise auch die Zinsenzuschreibung ausweispflichtig wäre. – Was werden Sie diesbezüglich im Interesse der österreichischen Sparer konkret tun?

Präsident Dr. DDr. h. c. Herbert Schambeck: Bitte.

Bundesminister für Finanzen Mag. Viktor Klima: Kurz noch einmal zu Ihrer ersten Zusatzfrage: Ich bedanke mich dafür, daß Sie mich von dem Vorwurf ausgenommen haben, weil ich wirklich weder in Brüssel noch in Wien etwas anderes sage. Ich hoffe, auch im Bundesrat nichts anderes zu sagen als im Nationalrat oder draußen. Falsche Dinge haben kurze Beine, daher sollte man das nicht tun.

Ich kann mich aber auch nicht daran erinnern, daß ein Herr Bundeskanzler oder ein Herr Vizekanzler oder ein Herr Liebscher oder eine Frau Schaumayer oder Lacina oder Staribacher in Brüssel in dieser Frage etwas anderes gesagt hätten. Ich kann mich nicht erinnern.

Zu Ihrer zweiten Zusatzfrage: Es gibt immer wieder Presseinterviews von Mitarbeitern der Kommission und allfällige Ankündigungen zu diesem Thema. Wissen Sie, ich komme aus der Wirt


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schaft und sehe das immer eher sehr ruhig und sachlich. Wenn ein solcher Brief kommt – er ist noch nicht da –, dann werden wir ihn mit Hilfe unserer Rechtsanwälte und unserem Rechtsdienst ordentlich analysieren und eine entsprechende Antwort darauf geben.

Präsident Dr. DDr. h. c. Herbert Schambeck: Wir gelangen nunmehr zur 4. Anfrage, 686/M. Fragesteller ist Herr Bundesrat Karl Hager (SPÖ, Niederösterreich). Ich bitte, die Frage zu stellen.

Bundesrat Karl Hager: Sehr geehrter Herr Bundesminister! Meine Frage lautet:

686/M-BR/97

Wie beurteilen Sie den Budgetvollzug 1996?

Präsident Dr. DDr. h. c. Herbert Schambeck: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für Finanzen Mag. Viktor Klima: Herr Präsident! Hoher Bundesrat! Sehr geehrter Herr Kollege! Ich werde angesichts der Zeitknappheit jetzt nicht ins Detail gehen, aber ich glaube, daß es doch eine beachtenswerte Leistung der Österreicherinnen und Österreicher ist, daß wir, wie ich bereits gesagt habe, zum ersten Mal seit fünf Jahren unsere Planungen tatsächlich erreichen, unser Budgetziel erreichen und sogar ein bißchen besser abschneiden, als es ursprünglich geplant war.

Aus heutiger Sicht kann ich Ihnen sagen, daß wir nicht nur die 89,8 Milliarden Schilling Budgetdefizit mit 89,4 Milliarden Schilling sogar geringfügig unterschreiten werden, sondern daß es insbesondere auch erfreulich ist, daß zum Beispiel die Personalausgaben – sämtliche Personalausgaben des Bundes, inklusive den Pensionen für die öffentlich Bediensteten – nahezu punktgenau getroffen wurden. Der Unterschied beträgt wirklich nur 0,3 Prozent!

Es ist sehr erfreulich, welche Disziplin die Kolleginnen und Kollegen dabei an den Tag gelegt haben. Ich kann Ihnen sagen, daß wir im Budgetjahr 1996 diese 89,4 Milliarden Schilling Defizit und auch die angestrebte Senkung der Defizitquote in Prozent zum Bruttoinlandsprodukt erreichen werden. Sie wissen ja, daß wir ein Ansteigen auf über 6 Prozent prognostizieren mußten. Tatsächlich sind wir aber auf 3,7 Prozent Defizitquote in Relation zum Bruttoinlandsprodukt heruntergekommen.

Präsident Dr. DDr. h. c. Herbert Schambeck: Wird eine weitere Zusatzfrage gewünscht? – Das ist nicht der Fall. Danke.

Wir gelangen nun zur 5. Anfrage, 692/M. Fragesteller ist Herr Bundesrat Anton Hüttmayr (ÖVP, Oberösterreich). Ich ersuche um die Verlesung der Anfrage.

Bundesrat Anton Hüttmayr: Sehr geehrter Herr Bundesminister! Meine Frage lautet:

692/M-BR/97

Verschafft die Haftung der Gemeinde Wien der BA im Zuge der Erstellung des Kaufofferts für die CA-Anteile einen Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen Bietern?

Präsident Dr. DDr. h. c. Herbert Schambeck: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für Finanzen Mag. Viktor Klima: Sehr geehrter Herr Kollege! Ich darf insgesamt doch noch einige Ergänzungen machen. Ich glaube, daß das, was Samstag nacht und Sonntag frühmorgens zwischen den Koalitionsparteien an Zusatzbedingungen und Rahmenbedingungen für diesen Verkauf der Anteile der Republik Österreich an der Creditanstalt verhandelt wurde, tatsächlich sehr viele positive Konsequenzen und Folgen haben wird.

Ich glaube, daß es sehr vernünftig ist, daß sich die Anteilsverwaltung Zentralsparkasse mit ihren Anteilen schrittweise auf unter 25 Prozent und nach sieben Jahren dann auch auf unter 20 Prozent – inklusive der Wiener Holding, das wird immer wieder vergessen – zurückzieht.


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Ich glaube auch, daß es sehr vernünftig ist, daß wir uns auch mit der Frage der Wettbewerbschancengleichheit auf dem österreichischen Kreditsektor ganz allgemein auseinandersetzen. Ich bin daher sehr froh – das betone ich besonders –, daß wir uns vorgenommen haben, nun in aller Vernunft, in aller Ruhe, die Frage des Wettbewerbsvorteils durch Haftungen zu analysieren, über Begutachtungsverfahren zu diskutieren und dann daranzugehen, diese Frage gesetzlich zu regeln. Dabei werden wir über Wettbewerbsvorteile durch Haftungen im Sparkassensektor genauso wie im Hypothekenanstaltensektor – dort erfolgt die Haftung durch die Länder – nachdenken müssen.

Wir werden aber auch zu beachten haben, daß es schon länger entsprechende Diskussionen im Rahmen der Europäischen Union gibt. Gerade der deutsche Bundeskanzler Kohl ist sehr vehement dafür eingetreten, keine schlagartigen, radikalen Veränderungen in diesem Bereich vorzunehmen. Er hat die Kommission – ich möchte es fast so sagen – sehr scharf angegangen und gesagt, er läßt sich den deutschen Sparkassensektor und Landesbankensektor nicht zerschlagen durch die Wünsche der Europäischen Kommission, die Haftungen schlagartig abzuschaffen und ähnliches mehr. – Ich halte den Weg, den wir jetzt in Österreich gegangen sind, für sehr vernünftig.

Zu Ihrer konkreten Frage möchte ich betonen, daß die Haftung, die die Gemeinden bei den Sparkassen in Österreich haben – das trifft auch auf die Haftung der Stadt Wien bei der Bank Austria zu –, eine viel schwächere Haftung ist, als es sie in Deutschland gibt.

In Deutschland haften die Gemeinden im wesentlichen für das laufende Geschäft der Sparkassen. In Österreich hingegen gibt es ausschließlich eine sogenannte Ausfallshaftung. Das heißt, wenn im Liquidationsfall nicht alle Gläubiger bedient werden können, also wenn die Summe der Passiva die Aktiva übersteigt, dann haftet die Haftungsgemeinde nur für diesen Teil, der im Liquidationsfall nicht bedient werden kann. Das ist natürlich eine ganz andere Haftung als etwa die Anstaltshaftung in Deutschland, die eine viel kräftigere und stärkere Haftung ist. Das wird man bei der Erarbeitung eines Haftungsentgeltes entsprechend zu berücksichtigen haben.

Konkret zu Ihrer Frage: Die Haftung der Gemeinde Wien bei der Bank Austria hat aus meiner Sicht Vorteile bei internationalen Emissionen, weil sich dort der Rating-Vorteil mit ein paar Basispunkten einer besseren Finanzierung zu Buche schlägt.

Die Bank Austria hat erklärt, daß sie das durch Eigenmittel finanzieren kann. Diese Frage wird übrigens derzeit auch durch die Kommission der Europäischen Union geprüft.


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Präsident Dr. DDr. h. c. Herbert Schambeck:
Wird eine Zusatzfrage gewünscht? – Bitte.

Bundesrat Anton Hüttmayr: Herr Bundesminister! Und diese Haftung ist EU-konform. – Feststellung.

Meine Zusatzfrage lautet: Planen Sie eine Novellierung des Sparkassengesetzes hinsichtlich Haftungsverzicht und Haftungsentgelt?

Präsident Dr. DDr. h. c. Herbert Schambeck: Bitte.

Bundesminister für Finanzen Mag. Viktor Klima: Wie erwähnt ist aus meiner Sicht ein sehr positiver Erfolg von Samstag nacht, daß sich die Regierungsparteien dazu verstehen, in aller Sorgfalt und in aller Ruhe die Frage der Wettbewerbsverzerrungen durch Haftungen, etwa durch Haftungsgemeinden im Sparkassensektor, zu prüfen. Ich sage nur gleich vorweg: Wir werden dann auch über die Gleichbehandlung in Österreich nachdenken müssen, etwa hinsichtlich der Haftung der Länder bei den Hypothekenanstalten. Das ist zwar noch nicht vereinbart, aber darüber müssen wir als anständige Gesetzgeber schon auch nachdenken.

Aber zunächst geht es darum, daß wir uns dazu verpflichtet haben, ein Gesetz auszuarbeiten, das dieser Frage – entweder Haftungsverzicht oder Haftungsentgelt, das die Wettbewerbsvorteile zumindest teilweise abgelten soll – Rechnung trägt.

Präsident Dr. DDr. h. c. Herbert Schambeck: Wird eine weitere Zusatzfrage gewünscht? – Bitte.

Bundesrat Anton Hüttmayr: Welche Informationen verlangt die EU-Kommission im Zusammenhang mit der bei ihr eingelangten Beschwerde von der EA-Generali?

Präsident Dr. DDr. h. c. Herbert Schambeck: Bitte.

Bundesminister für Finanzen Mag. Viktor Klima: Ich weiß nicht, ob man im Bundesrat etwas "off the record" sagen kann, aber eines sage ich Ihnen schon: Freunde im deutschen Finanzministerium haben nicht viel Freude mit der Beschwerde eines Österreichers darüber gehabt, daß auf diesem Gebiet Wettbewerbsvorteile durch allfällige Haftungen bei Sparkassen oder Landesbanken gegeben sein können. Dieses Thema wird nämlich in der Europäischen Union seit langem diskutiert, aber es gibt keinen Beschluß und keinen Entscheid der Kommission und auch keine Aufforderung an Österreich, diesen Umstand abzustellen. Daher ist aus meiner Sicht klar – und das ist auch die Ansicht unserer Rechtsanwälte –, daß es dabei zu keiner Verletzung von EU-Wettbewerbsrecht kommt.

Die Kommission hat jedenfalls alle erforderlichen Unterlagen aller Angebote, die sie gewünscht hat, im Detail von uns erhalten und wird dann entscheiden, ob ein Prüfungsverfahren anzusetzen ist oder nicht. – Das ist übrigens nichts Außergewöhnliches, das passiert häufig.

Präsident Dr. DDr. h. c. Herbert Schambeck: Wir kommen nun zur 6. Anfrage, 687/M. Fragesteller ist Herr Bundesrat Stefan Prähauser (SPÖ, Salzburg). Ich ersuche um die Verlesung der Anfrage.

Bundesrat Stefan Prähauser: Werter Herr Bundesminister! Meine Frage lautet:

687/M-BR/97

Wie beurteilen Sie die Budgetperspektiven 1997 bis 1999?

Präsident Dr. DDr. h. c. Herbert Schambeck: Herr Minister, bitte.

Bundesminister für Finanzen Mag. Viktor Klima: Herr Bundesrat! Ich habe vielleicht in meiner bisherigen Anfragebeantwortung schon ein bißchen übers Ziel hinausgeschossen und ganz kurz die Erwartungen für das Jahr 1997 aus meiner Sicht ausgeführt. Ohne Zweifel ist es so – darüber bin ich sehr froh, denn es zeigt auch, daß wir eigentlich aus gutem Grund Ruhe bewahrt haben –, daß die Wirtschaftsforscher in ihrer jüngsten Prognose die prognostizierten Wirtschaftsdaten wieder auf das ursprüngliche Niveau angehoben haben, und zwar auf jenes, das wir bei der Budgetprogrammierung für 1997 angenommen haben.

Was heißt das? – Wir haben das Budget für das Jahr 1997 auf Basis eines – sehr vorsichtig – geschätzten Wirtschaftswachstums von 1,2 Prozent erstellt, und auf Basis einer – nach österreichischem Prognosemodell errechneten – Arbeitslosenquote von 7,5 Prozent.

Es hat dann im März eine neue Prognose des Wifo gegeben, in der das Wirtschaftswachstum 1997 mit nur mehr 1,0 Prozent, die Arbeitslosenquote hingegen mit 8 Prozent veranschlagt wurden. Wir haben eingehend darüber diskutiert, ob wir das Budget 1997 aufgrund dieser Prognose nun im Mai 1996 ändern sollen oder ob wir lieber zuwarten sollen.

Ich glaube, es war gut, zuzuwarten, weil die letzte Wirtschaftsprognose des Wifo zeigt, daß wir mindestens 1,2 Prozent Wirtschaftswachstum erreichen und andererseits "nur" – unter Anführungszeichen; das ist natürlich immer noch viel zuviel – 7,5 Prozent Arbeitslosenquote haben werden. Das heißt also, die dem Budget zugrunde liegenden Wirtschaftsdaten werden nun wieder prognostiziert, was sehr erfreulich ist.

Darüber hinaus gibt es sicherlich noch die eine oder andere Risikoposition. Wir haben zum Beispiel die im Rahmen der Krankenanstaltenfinanzierung zugesagten 3 Milliarden Schilling für


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den KRAZAF noch nicht budgetiert. Wir haben eine Risikoposition hinsichtlich der Beiträge für alle Pensionssysteme: Gewerbe, Bauern, ASVG-Pensionisten, aber auch hinsichtlich des FLAF.

Auf der anderen Seite haben wir aber auch ein Hoffnungspotential hinsichtlich zusätzlicher Einnahmen. Ich darf erwähnen, daß wir die Abfindung für die Pensionsrückstellungen der PSK für die Pensionen anläßlich der Umwandlung in eine AG in Höhe von etwa 3,5 Milliarden Schilling noch nicht budgetiert haben. Wir haben auch den sich durch die Veräußerungserlöse reduzierenden Zinsaufwand noch nicht budgetiert, und ähnliche Dinge mehr.

Es ist aus heutiger Sicht – ich klopfe auf Holz – also anzunehmen, daß wir unser Ziel, das Budgetdefizit im Jahre 1997 auf 68 Milliarden Schilling zu senken, auch tatsächlich erreichen können.

Präsident Dr. DDr. h. c. Herbert Schambeck: Wird eine Zusatzfrage gewünscht? – Dies ist nicht der Fall. Danke.

Wir gelangen nun zur 7. Anfrage, 693/M. Fragesteller ist Herr Bundesrat Ing. Johann Penz (ÖVP, Niederösterreich). Ich ersuche um die Verlesung der Anfrage.

Bundesrat Ing. Johann Penz: Herr Bundesminister! Meine Frage lautet:

693/M-BR/97

Halten Sie aufgrund der Erfahrungen im Zuge des Veräußerungsverfahrens der CA-Anteile die Einführung neuer Schutzbestimmungen für Minderheitsaktionäre für notwendig?

Präsident Dr. DDr. h. c. Herbert Schambeck: Bitte.

Bundesminister für Finanzen Mag. Viktor Klima: Herr Kollege! Seien Sie mir nicht böse, wenn ich versuche, von Anlaßfällen doch ein bißchen wegzukommen. Ich erinnere mich, daß zum Beispiel von einem namhaften österreichischen Bankier namens Kahane ein Verfahren gegen die CA selbst läuft, weil er der Meinung ist, daß die CA die Minderheitsaktionäre beim Wienerberger-Deal nicht ordentlich behandelt hat. Ich erinnere daran, daß die CA etwa auch beim Geschäft mit der Gösser-Brauerei die Minderheitsaktionäre nicht so behandelt hat, wie wir alle uns das vorgestellt haben.

Ich trete – das war auch bereits vor drei Monaten das Ergebnis der "Strategiegruppe Kapitalmarkt Österreich" – sehr engagiert dafür ein, daß wir in Österreich ein Übernahmerecht schaffen, das auch die Interessen der Minderheitsaktionäre für den Fall, daß Mehrheitspakete, bestimmende Pakete entstehen, mitberücksichtigt.

Ich trete aber nicht dafür ein – das sage ich gleich dazu –, daß wir das ohne entsprechende Vergleiche, ohne Best-Practice-Studien im internationalen Vergleich machen. Ich trete nicht dafür ein, daß wir das mittels Initiativantrag schlagartig einführen. Ich darf Ihnen von meinen Erfahrungen berichten.

Es gibt auf der Ebene der Europäischen Union keine Richtlinie, die bereits im Entwurf so oft geändert wurde und so leidenschaftlich diskutiert wird wie dieses Übernahmerecht. Man muß sich nämlich auch die Konsequenzen überlegen. Wenn man zum Beispiel, wie es manchmal antönt, jemanden, der ein 33-Prozent-Paket übernimmt, zwingt, den anderen Aktionären, die 67 Prozent besitzen, ein Angebot zu machen, dann führt das ja beinahe zur Zerstörung der Börse, man erzwingt damit 100-Prozent-Eigentümerschaften. Das kann doch nicht in unserem Interesse sein!

Es gibt da die unterschiedlichsten Ausformungen. Manche wollen es so, wie es in Amerika läuft. Klar: In Amerika muß bei einer Übernahme jedem Kleinaktionär ein Angebot gemacht werden – aber niemand sagt etwas über den Preis und über den Zeitpunkt! Das heißt, wann immer der Käufer will, geht er an die Börse, in die Zeitungen und macht den Kleinaktionären ein Angebot zu seinem Preis.


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In einigen Ländern gibt es Regeln, die überhaupt nur dann von einem Abfindungsgebot sprechen, wenn eine neue kontrollierende Mehrheit entsteht. Der Kleinaktionär weiß ja Bescheid, wenn ein bestimmender Mehrheitsaktionär da ist. Wenn nun dieser bestimmende Mehrheitsaktionär das bestimmende Paket verkauft, dann erhebt sich die Frage: Was ändert sich für den Kleinaktionär? – Nichts – es sei denn, man ist der Meinung, daß der Staat ein sehr viel besserer Eigentümer als ein privates Institut ist.

Ich sage es ganz klar: Ich bin dafür – ich halte darüber mit Kollegen Michalek Kontakt, der ja sehr engagiert, und das nicht erst seit Tagen, sondern schon länger, daran arbeitet –, daß tatsächlich ein dem internationalen Standard entsprechendes Übernahmerecht entsteht.

Was ist nun geschehen, meine sehr geehrten Damen und Herren? – Ein Bieter hat bereits bei seinem Angebot den Vorschlag gemacht, daß er allen CA-Aktionären ein Umtauschangebot machen wird und zusätzlich mit entsprechenden Mißbrauchsregeln den privaten Kleinaktionären bis zu einem Gesamtvolumen von 200 000 S – nicht Nominale, sondern Verkaufswert – auch ein Barabfindungsangebot machen wird.

Ursprünglich hieß es in dem Angebot: "...nach bestimmten Bewertungsgrundsätzen." – Es ist aber Samstag nacht dann der Wunsch entstanden, schon jetzt einen bestimmten Preis festzulegen. Generaldirektor Randa hat diesem Wunsch entsprochen. Ich weiß nicht, ob es wirklich das Effizienteste ist, daß wir das so gemacht haben, aber noch einmal konkret: Ja zu einem Übernahmerecht – aber bitte die Best Practice in anderen Ländern anschauen!

In Deutschland etwa gibt es keine gesetzliche Regelung, sondern eine freiwillige Verpflichtung. – Aber auf jeden Fall: Ja zu einem Übernahmerecht.

Präsident Dr. DDr. h. c. Herbert Schambeck: Wird eine Zusatzfrage gewünscht? – Bitte.

Bundesrat Ing. Johann Penz: Herr Bundesminister! Sie bekennen sich also zu einem neuen Übernahmerecht. Wir haben in Österreich derzeit aber eine Reihe von Regelungen, die schon in Kraft sind, daher darf ich Sie in diesem Zusammenhang fragen, ob die CA-Kleinaktionäre im Hinblick darauf, daß es sich dabei um kursrelevante Informationen handelt, rechtzeitig über die Übernahmeofferte informiert wurden, konkret also auch über das Übernahmeoffert der Bank Austria.

Präsident Dr. DDr. h. c. Herbert Schambeck: Bitte.


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Bundesminister für Finanzen Mag. Viktor Klima:
Herr Kollege! Ich habe schon zum Schutz der Republik Österreich, zum Schutz – ich sage das ganz offen – meiner Person, aber auch zum Schutz aller Bieter, aller Interessierten, die dann aber vielleicht kein Angebot gelegt haben, auf Vertraulichkeit bestanden. Ich darf Ihnen frei und offen bekennen, daß es eine Reihe österreichischer Interessenten, aber auch internationaler Interessenten gegeben hat, die sich im Laufe dieses Verfahrens dafür interessiert haben, sich nach Vertraulichkeitserklärung auch Informationsmaterial beschafft haben, dann aber kein Angebot gelegt haben. Diese Interessenten haben wir nicht öffentlich bekanntgegeben.

Es wurde ferner sichergestellt, daß alle zum selben Zeitpunkt vom Bundesministerium für Finanzen mit öffentlicher Aussendung darüber informiert wurde, daß drei Angebote am 16. Oktober um 9 Uhr früh bei uns eingelangt sind. Alles andere ist von uns nicht beeinflußbar gewesen.

Präsident Dr. DDr. h. c. Herbert Schambeck: Wird eine weitere Zusatzfrage gewünscht? – Bitte.

Bundesrat Ing. Johann Penz: Herr Bundesminister! Halten Sie die Funktion des Börsepräsidenten mit der Rolle des Generaldirektors eines börsennotierten Unternehmens, das auch ein Übernahmeangebot gestellt hat, auf Dauer für vereinbar?

Präsident Dr. DDr. h. c. Herbert Schambeck: Bitte, Herr Minister.

Bundesminister für Finanzen Mag. Viktor Klima: Ich habe mich nicht dabei einzumischen, wen die öffentlich-rechtliche Institution Wiener Börsekammer zu ihrem Präsidenten macht. Ich halte aber etwas für dringend notwendig – das war auch bereits vor drei Monaten das Ergebnis der "Strategiegruppe Kapitalmarkt Österreich" –: Wir müssen die österreichische Börse vom ausschließlichen Bankeneinfluß befreien. Wir müssen die österreichische Börse so schnell wie möglich in eine Aktiengesellschaft umwandeln, bei der als Eigentümer dieser Aktiengesellschaft neben den Banken auch die Emittenten, auch die Investoren, auftreten.

Es ist in den entsprechenden Pressemeldungen vor drei Monaten nachzulesen, daß die Arbeiten in die Richtung, die Wiener Börse in eine Aktiengesellschaft umzuwandeln, schon im Gange sind. Dabei besteht die Verpflichtung, das wirklich effizient für den österreichischen Kapitalmarkt zu tun. Auf deutsch: Runter mit den Gebühren! – Aber: Wen sich die Wiener Börsekammer als Präsidenten aussucht, dabei haben wir nichts mitzureden. Ich kann wirklich keinen Einfluß darauf nehmen, wen sie dazu bestimmt. Mit der rechtlichen Umformung wird sich aber auch da etwas ändern. Die Umwandlung der öffentlich-rechtlichen Institution Wiener Börsekammer in eine Aktiengesellschaft – unter Beteiligung nicht nur der Banken, sondern auch der Emittenten und Investoren – ist der richtige Weg.

Präsident Dr. DDr. h. c. Herbert Schambeck: Wir gelangen nun zur 8. Anfrage, 698/M. Fragesteller ist Herr Bundesrat DDr. Franz Werner Königshofer (FPÖ, Tirol). Ich bitte um die Verlesung der Anfrage.

Bundesrat DDr. Franz Werner Königshofer: Sehr geehrter Herr Bundesminister! Meine Frage lautet:

698/M-BR/97

Welchen anderen Weg als den eines neuerlichen Belastungspaketes wird die österreichische Bundesregierung einschlagen, um der Verpflichtung in der Schlußfolgerung des Europäischen Rates von Dublin nachzukommen, mittelfristig einen nahezu ausgeglichenen oder einen Überschuß aufweisenden Haushaltssaldo aufzuweisen?

Präsident Dr. DDr. h. c. Herbert Schambeck: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für Finanzen Mag. Viktor Klima: Herr Kollege! Vorweg eine allgemeine Information, die von Interesse sein mag: Wir werden wahrscheinlich sogar schon 1997 einen sogenannten Primärüberschuß erreichen. Das heißt, wir werden, abgesehen von den Zinszahlungen für die Staatsschuld, in Österreich bereits einen Überschuß haben, das heißt, wir werden mehr einnehmen, als wir für die Finanzierung der Staatsaufgaben tatsächlich ausgeben.

Zu Ihrer konkreten Frage, die auch für die Budgets 1998/99 von Relevanz ist: Für 1998/99 ist die gleiche Haushaltsdisziplin und – ich sage das jetzt einmal überspitzt – ein intelligenter Wandel notwendig. Es ist sehr wichtig, daß wir den Verwaltungsstaat zu einem Leistungsstaat machen. Es ist sehr wichtig, daß wir im öffentlichen Dienst, der tatsächlich fast 50 Prozent aller Nettoeinnahmen für Aktivitätsaufwand und Pensionsaufwand braucht, nicht in der Weise sparen, daß wir den Bediensteten sagen: Ihr bekommt auch 1998/99 keine Gehaltserhöhung. – Das wird nicht zumutbar sein.

Es ist aber auch nicht zumutbar, alle Strukturen unverändert zu lassen, aber weiterhin keine Leute aufzunehmen und nur Arbeitsverdichtung zu betreiben. Das ist auch nicht zumutbar.

Das heißt, wir müssen uns sehr engagiert dem unterziehen, was jeder in der Wirtschaft kennt: Wir müssen innerhalb der Ressorts sehr engagierte Projekte durchführen, um die Leistungserbringung effizienter zu machen.

Wir müssen im Sinne eines serious budgeting auch unsere Förderausgaben straffen. Wir müssen uns bewußt werden, daß Politik-Machen nicht nur bedeuten kann: zusätzliches Geld für neue Aufgaben, sondern wir müssen auch überlegen, ob wir Bestehendes noch brauchen. Es muß auch Abschaffen im positiven Sinn eine politische Kategorie werden.


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Wir haben sehr klare Eckpunkte eines derartigen Projektes "Intelligenter Wandel" abgesteckt, damit wir, ohne die österreichische Bevölkerung mit zusätzlichen Steuererhöhungen, Abgabenerhöhungen und ähnlichem mehr zu belasten, aber mit zumutbaren Strukturveränderungen im öffentlichen Dienst bei Erhalt des hohen Sozialniveaus die Budgetprogramme 1998 und 1999 zielgemäß erfüllen können.

Präsident Dr. DDr. h. c. Herbert Schambeck: Wird eine Zusatzfrage gewünscht? – Bitte.

Bundesrat DDr. Franz Werner Königshofer: Ich danke für diese Ausführungen, möchte aber trotzdem noch eine Zusatzfrage stellen: Welche Neubewertungen oder Auslagerungen von Budgetverbindlichkeiten sind im Zusammenhang mit Budgetkonsolidierung, -sanierung in nächster Zukunft geplant?

Bundesminister für Finanzen Mag. Viktor Klima: Ich habe das akustisch nicht ganz verstanden.

Bundesrat DDr. Franz Werner Königshofer: Welche Neubewertungen oder Auslagerungen von Budgetverbindlichkeiten sind für die Zukunft im Zusammenhang mit der Budgetsanierung geplant?

Präsident Dr. DDr. h. c. Herbert Schambeck: Bitte.

Bundesminister für Finanzen Mag. Viktor Klima: Wir müssen da unterscheiden. Meinen Sie mit Budgetverbindlichkeiten die Finanzschuld des Bundes? (Bundesrat DDr. Königshofer nickt zustimmend.) Das hat allerdings nichts mit der Defizitwirksamkeit zu tun, sondern mit dem wichtigen Kriterium des Schuldenstandes.

Diesbezüglich ist – weil Österreich ja auch diese Stabilitätskriterien erfüllen muß – sehr konkret geplant, daß wir von unserer Gesamtschuld von etwa 69, 70 Prozent des BIP in Richtung 60 Prozent kommen müssen.

Es sind drei Maßnahmenbündel vorgesehen. Das erste Maßnahmenbündel sind Veräußerungserlöse, zum Beispiel CA , PSK, die Anteile an der Bank Austria, ATW, Salinen und so weiter.

Das zweite Bündel sind Änderungen bei der Kreditgewährung. Kollege Bartenstein hat sehr erfolgreich einen Teil der Forderungen des Umwelt-Wasserwirtschaftsfonds gegenüber privaten Betrieben derzeit im Sinne eines Forderungsverkaufes, wie das viele Unternehmen machen, verkauft. Der Verkauf eines großen Teils der Forderungen des Wasserwirtschaftsfonds gegenüber den Gemeinden ist – ohne daß sich dadurch für die Gemeinden etwas verschlechtern würde – dabei noch in Vorbereitung.

Der dritte Bereich ist der Bereich der sogenannten Maastricht-konformen Schuld. Das heißt, wir haben mit dem Städte- und Gemeindebund in den letzten Monaten eine neue Art der Rechnungslegungsvorschriften für die Städte und Gemeinden ausgearbeitet, haben das bereits gedruckt und diese Broschüre an alle Gemeinden verschickt.

Wir machen jetzt auch mit der Österreichischen Kommunalkredit bei 30 Pilotgemeinden einen Pilotversuch. Dieser ist als Hilfe für die anderen Gemeinden gedacht, um zu zeigen, wie man bestimmte Gebührenhaushalte, die sich zu mehr als 50 Prozent aus Privateinnahmen finanzieren, auch innerhalb der Gemeindebudgets organisatorisch so abgrenzen kann, daß man die Schuld nicht in die Maastricht-Definition aufnehmen muß.

Das ist jetzt kein Verschönern, das ist nur eine faire, gleiche Darstellung wie die von anderen europäischen Ländern auch. Wenn es alle anderen nicht machten, würden wir es auch nicht machen, aber wenn es alle anderen machen, wären wir, glaube ich, nicht sehr gut beraten, wenn wir es nicht machten.

Das heißt, wir kommen zu fairen, vergleichbaren Datenstrukturen. Und das betrifft das Pensionistenheim genauso wie den Abwasserverband und all diese Dinge, aber auch zum Beispiel den


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Bereich des Hochleistungsstraßennetzes, zu dem es ja Überlegungen gibt, die ASFINAG in eine gemeinsame Gesellschaft zu bringen und über Privateinnahmen und Gebühreneinnahmen mehr als 50 Prozent des Aufwandes zu finanzieren, sodaß wir das bei der Schuldermittlung nicht berücksichtigen müssen.

Ich möchte nicht den Eindruck erwecken, daß uns das beim Defizit hilft. Das habe ich nie gesagt! Wir reduzieren deshalb nicht das Defizit schmähhalber, wir bringen nur die Schuldenbetrachtung in eine mit den anderen Ländern der Europäischen Union vergleichbare, faire Struktur.

Präsident Dr. DDr. h. c. Herbert Schambeck: Wird eine zweite Zusatzfrage gewünscht? – Bitte.

Bundesrat DDr. Franz Werner Königshofer: Herr Minister! Welche konkreten Privatisierungen oder sonstigen Veräußerungsmaßnahmen, wie Sie jetzt schon einige angesprochen haben, sind in diesem Zusammenhang mittel- oder langfristig noch geplant oder werden durchgeführt? – Es geht mir vor allem um Privatisierungen; Sie haben schon einige angesprochen.

Präsident Dr. DDr. h. c. Herbert Schambeck: Bitte, Herr Minister.

Bundesminister für Finanzen Mag. Viktor Klima: Ich lege hier nicht Wert darauf, jetzt wirklich eine taxative Vollständigkeit zustande zu bringen. Wenn wir daran denken, die Pferdezucht Stadl-Paura zu veräußern, dann ist das ein Volumen in einer Größenordnung von ungefähr 15 Millionen Schilling. Es wird immer wieder solche Fälle in bezug auf Veräußerung geben, von Grundstücken angefangen bis zu solchen Teilaufgaben.

Es gibt allerdings auch größere Bereiche, die Sie angesprochen haben. Aus meiner Sicht ist klar definiert, daß wir die ATW-Anteile veräußern werden. Weiters sind im Koalitionsübereinkommen angeführt die Staatsdruckerei, die Salinen AG, die 49 Prozent PSK-Anteile, die 90 Prozent Bank-Austria-Anteile, die jetzt bei der PTBG sind. (Bundesrat DDr. Königshofer: Austrian Airlines, Flughafen Wien?)

Es steht dazu nichts im Koalitionsübereinkommen, aber ich möchte auch ein bißchen davor warnen. Zum Beispiel Austrian Airlines: Bei der Luftfahrtgesellschaft gibt es deswegen ein großes Problem, weil viele Landerechte – von der Ukraine über Kasachstan, über Indonesien bis Tunesien und was immer – aufgrund von Staatsverträgen zwischen Österreich und dem jeweiligen Land nur an eine Fluggesellschaft gegeben werden dürfen, die unter sogenannter Effective-control eines Eigentümers aus diesem Land steht. Darum machen die Deutschen momentan wilde Konstruktionen mit vinkulierten Namensrechten, weil sie auch die Lufthansa auf unter 51 Prozent abgeben wollen. Es ist also bei der AUA – entschuldigen Sie, wenn ich das so offen sage – deswegen nicht so einfach, weil man ihr schlagartig die Landerechte in, ich glaube, 70 Prozent ihrer Zielflughäfen entziehen würde, was wir ja alle nicht wollen. Das heißt also, da müssen wir ein bißchen nachdenken.

Ähnlich ist es bei der Flughafen Wien AG. Bei der Flughafen Wien AG ist es so, daß – ich bin mir jetzt nicht sicher, ob rechtlich, aber auf jeden Fall vereinbarungsgemäß die drei beteiligten Gebietskörperschaften Niederösterreich, Wien und der Bund jeweils ein Drittel von 51 Prozent halten – alle anderen Anteile von der Flughafen Wien AG an der Börse sind; die Flughafen Wien AG ist eine der wenigen Flughafenbetreiber, die in Wien, in London, in Frankfurt an der Börse notieren. Also alles, was unter ein Drittel geht, müßten, so glaube ich, die beiden anderen Gebietskörperschaften aufgreifen.

Also noch einmal: Das ist alles nicht so einfach, wie es ausschaut.

Präsident Dr. DDr. h. c. Herbert Schambeck: Wir gelangen nunmehr zur 9. Anfrage, 688/M, des Herrn Bundesrates Josef Rauchenberger (SPÖ, Wien) an den Herrn Bundesminister für Finanzen, und ich bitte den Herrn Anfragesteller um die Verlesung seiner Anfrage.


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Bundesrat Josef Rauchenberger:
Sehr geehrter Herr Bundesminister! Da allgemein unbestritten eine weitere Steuerreform in Diskussion steht, darf ich Sie fragen:

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Welche Vorarbeiten für die nächste Etappe der Steuerreform liegen vor?


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Präsident Dr. DDr. h. c. Herbert Schambeck:
Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für Finanzen Mag. Viktor Klima: Aus meiner Sicht, Herr Bundesrat, liegt eine der wichtigsten Vorarbeiten vor. Wir haben nämlich dafür gesorgt, daß dieses 200 Damen und Herren umfassende Gremium, in dem wahrscheinlich Entscheidungsabläufe nicht so schnell vonstatten gehen und die Zusammenarbeit ein bißchen schwierig ist, nun auf ein 15 Personen umfassendes arbeitsfähiges Gremium, das die Steuerung, die Projektverantwortung übernehmen soll, reduziert wird. Das ist nun nach vielen Diskussionen mit dem Vorsitzenden der Steuerreformkommission, einem Universitätsprofessor, in die Wege geleitet.

Aus meiner Sicht wird die Steuerreformkommission eine Aufgabe haben – hoffentlich ohne Schlagzeilenorientierung –, nämlich sich sehr sorgfältig mit drei notwendigen Trends im Bereich der Steuerreform auseinanderzusetzen: erstens mit der Vereinfachung des Steuersystems, der Beseitigung von vielen Ausnahmen. Es geht darum, daß man da mehr Transparenz hineinbringt und vielleicht vorsichtig Senkungen des Tarifs vornehmen kann.

Das ist immer so einfach, wenn man sagt: Weg mit den Ausnahmen, dafür einen niedrigeren Tarif, aber weg mit den vielen arabesken Schlupflöchern und Ausnahmen! – Solange man so allgemein bleibt, sind alle dafür, aber kaum gibt es ein spezifisches Interesse, will schon wieder einer eine Steuerausnahme. Also das wird eine sehr schwierige Aufgabe werden.

Das zweite ist die Harmonisierung des Steuersystems. Es ist unerträglich, daß aufgrund der unterschiedlichen Steuersenkungswettläufe in Europa – weil ja die Finanzierung des Staates beibehalten werden muß – immer mehr jene, die sich nicht wehren können, besteuert werden, also immer mehr die Immobilen. Das heißt, es werden die indirekten Steuern, die Verbrauchssteuern immer mehr erhöht. Deshalb brauchen wir eine Harmonisierung des Steuersystems in Europa, keine Gleichmacherei, sondern eine schrittweise Harmonisierung, Ursprungslandsprinzip, Mehrwertsteuer, Kapitalertragsteuer, aber auch gemeinsame Rechnungslegungsvorschriften, eine gemeinsame Steuerbasis innerhalb Europas für Unternehmen und vieles mehr.

Und das dritte ist die schrittweise, die internationalen Entwicklungen beobachtende Ökologisierung des Steuersystems. Das heißt, wenn möglich, Entlastung des Faktors Arbeit, aber schrittweise stärkere Belastung des Faktors Ressourcenverbrauch – Ressourcenverbrauch im allgemeinen Sinne.

Das werden die wesentlichen Zielsetzungen der Steuerreformkommission sein.

Präsident Dr. DDr. h. c. Herbert Schambeck: Wird eine Zusatzfrage gewünscht? – Bitte.

Bundesrat Josef Rauchenberger: Das sind natürlich sehr wesentliche Grundsätze, wie Sie richtig ausgeführt haben, aber von besonderem Interesse sind weitere Fragen. Daher: Wird in dieser Steuerreform Ihrerseits eine erweiterte Besteuerung der derzeit begünstigten 13. und 14. Monatsgehälter in Aussicht genommen?

Präsident Dr. DDr. h. c. Herbert Schambeck: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für Finanzen Mag. Viktor Klima: Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich glaube, daß wir mit 1. 1. 1997 einen an sich sehr logischen Schritt getan haben, wir haben nämlich die steuerliche Berücksichtigung der Sozialversicherungsbeiträge systemgerecht zum Urlaubsgeld und zum Weihnachtsgeld hinzugerechnet. Das ist aus meiner Sicht ein sehr systemkonformer, ordentlicher Schritt gewesen, und es ist aus meiner Sicht heute nicht beabsichtigt, daran irgend etwas zu verändern.

Präsident Dr. DDr. h. c. Herbert Schambeck: Wird eine weitere Zusatzfrage gewünscht? – Bitte.

Bundesrat Josef Rauchenberger: Sehen Sie aufgrund des Mehrertrages aus dem CA-Verkauf neben den bereits im Budget ausgewiesenen Beiträgen für Entwicklung und Forschung weitere Mittel vor, um den österreichischen Wirtschafts- und Industriestandort zu fördern?

Präsident Dr. DDr. h. c. Herbert Schambeck: Herr Bundesminister, bitte.

Bundesminister für Finanzen Mag. Viktor Klima: Eines der sehr positiven Ergebnisse dieser gemeinsamen Gespräche zwischen den beiden Regierungsparteien am Samstag war, daß wir uns dazu bekannt und entschlossen haben, für die Jahre 1998 und 1999 zusätzlich jeweils 1 Milliarde Schilling für Forschung, Entwicklung und Exportoffensive zur Verfügung zu stellen, weil wir wissen, daß in diesem neuen Wettbewerb, der auf Österreich zukommt, Beschäftigung auf unserem Gott sei Dank hohen Niveau nur dann zu halten ist – was die Arbeitsbedingungen, Löhne und so weiter betrifft –, wenn wir neue Produkte und neue Märkte erschließen. Daher sind diese zusätzlichen Mittel für Forschung und Entwicklung auch ein sehr starker Impuls für die von der österreichischen Bundesregierung vorgenommene Beschäftigungspolitik.

Präsident Dr. DDr. h. c. Herbert Schambeck: Wir gelangen nunmehr zur 10. Anfrage, 694/M, des Herrn Bundesrates Mag. Harald Himmer (ÖVP, Wien) an den Herrn Bundesminister für Finanzen, und ich ersuche den Anfragesteller, Mag. Himmer, um die Verlesung seiner Anfrage.

Bundesrat Mag. Harald Himmer: Herr Bundesminister! Meine Frage lautet:

694/M-BR/97

Wie hoch ist die Gesamtsumme der bisher an die Länderbank beziehungsweise in der Folge an die Bank Austria geflossenen Budgetmittel?

Präsident Dr. DDr. h. c. Herbert Schambeck: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für Finanzen Mag. Viktor Klima: Sie wissen, daß die österreichische Bundesregierung in der Vergangenheit in einer großen Anzahl von Fällen liquidationsbedrohten Unternehmungen, Industrieunternehmungen geholfen hat, auch Industrieunternehmungen, die mehrheitlich oder zur Gänze im Eigentum von Banken standen. Ich erinnere an Steyr. Der von Ihnen konkret angesprochene Fall stammt aus den frühen achtziger Jahren im Zusammenhang mit Eumig, so glaube ich.

Aus diesem Titel wurden im Zeitraum 1983 bis 1991 an die Österreichische Länderbank AG zur Tilgung 198 949 000 S überwiesen. Allerdings der Ersatz für Zinsentgang – weil das die Republik Österreich, wie so oft üblich in den achtziger Jahren, nicht bar gezahlt hat, sondern nur scheibchenweise, ist darauf ein riesiger Zinsbetrag angewachsen – macht eine Summe von 2 415 168 380,94 S aus.

Präsident Dr. DDr. h. c. Herbert Schambeck: Wird eine Zusatzfrage gewünscht? – Bitte.

Bundesrat Mag. Harald Himmer: Herr Bundesminister! Ist es richtig, daß im Jahr 1991 die Länderbank 2,4 Milliarden abgeschrieben hat, dafür vom Bund eine pauschale Abgeltung ebenfalls in der Höhe von 2,4 Milliarden bekommen hat und dieser Kredit bei der Bank Austria aufgenommen worden ist?

Präsident DDr. h. c. Herbert Schambeck: Bitte, Herr Minister.

Bundesminister für Finanzen Mag. Viktor Klima: Herr Bundesrat! Um das richtigzustellen: Es ist anläßlich der Verschmelzung der Österreichischen Länderbank mit der Zentralsparkasse eine Einmalzahlung als Abschlagszahlung für das aus den frühen achtziger Jahren vereinbart worden. Also das Rechtsgeschäft ist im wesentlichen abgeschlossen worden, und man hat eine Abschlagszahlung ausgemacht. Diese wurde vereinbart in der Höhe von 2 425 816 683,79 S.


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Dieser Betrag wurde damals auf dem Kapitalmarkt wieder bei einem Bankinstitut, nämlich bei der Bank Austria, aufgenommen. Für diesen Betrag sind seit dem Jahr 1991 bis 1997 folgende Beträge an Annuitäten aufgewendet worden: für Zinsen 643 916 756,01 S und für Tilgungen 866 353 208,50 S. Die bisherige Annuität insgesamt beträgt 1 510 269 964,51 S.

Präsident Dr. DDr. h. c. Herbert Schambeck: Wir gelangen nunmehr zur 11. Anfrage, 689/M, des Herrn Bundesrates Karl Wöllert (SPÖ, Oberösterreich) an den Herrn Bundesminister für Finanzen, und ich ersuche ihn um die Verlesung seiner Anfrage. (Rufe: Er ist nicht da!)

Herr Bundesrat Dr. Michael Ludwig wird für Herrn Bundesrat Karl Wöllert gemäß § 63 Abs. 3 der Geschäftsordnung diese Anfrage stellen. – Bitte.

Bundesrat Dr. Michael Ludwig: Sehr geehrter Herr Bundesminister! Meine Frage lautet:

689/M-BR/97

Wie ist die Entwicklung der öffentlichen Investitionen (96/97) als Instrument der Beschäftigungspolitik?

Präsident Dr. DDr. h. c. Herbert Schambeck: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für Finanzen Mag. Viktor Klima: Herr Bundesrat! Ich glaube, die österreichische Bundesregierung – das zeigt auch die Akzeptanz dieses Konsolidierungsprogrammes durch die österreichische Bevölkerung, ganz im Gegensatz zu anderen europäischen Staaten – hat hier sehr Kluges gleichzeitig getan: auf der einen Seite die notwendigen Konsolidierungsmaßnahmen ergriffen, auf der anderen Seite beschäftigungsfördernde Impulse gesetzt. Diese beschäftigungsfördernden Impulse haben sich bereits positiv ausgewirkt. Die Dezember-Arbeitslosenzahlen des Jahres 1996 waren erstmals seit langem wieder geringer als die Arbeitslosenzahlen vom Dezember des Jahres 1995. Diese beschäftigungsintensiven Maßnahmen sind in mehreren Sektoren zu setzen – ich sage das in aller Offenheit –: im Sinne einer Vereinfachung des Wirtschaftens. Notwendig ist eine Entbürokratisierung – Stichwort Anlagenrecht, Genehmigungsrecht, Gewerbeordnung und viele dieser Dinge mehr –, notwendig sind aber auch Investitionen des Staates in die Infrastruktur.

Ich freue mich, daß wir eine Zusatzdotierung für den Umweltwasserwirtschaftsfonds, also für die Altlastensanierungsarbeiten und so weiter, zur Verfügung stellen konnten, genauso für den Ausbau der Hochleistungsstrecken auf der Straße wie auch der Hochleistungsstrecken auf der Bahn. Die österreichische Bundesregierung hat die Bahn ermächtigt, zum Ausbau der Infrastruktur – womöglich im höchstmöglichen Umfang über Private-public-partnership-Finanzierungsmodelle – bis zu 60 Milliarden Schilling an Investitionsmittel einzusetzen.

Im Bereich des Hochleistungsstraßennetzes wollen wir auch durch neue Finanzierungsmodelle plus Budgetmittel die entsprechenden Lückenschlüsse schaffen. Schlußendlich möchte ich die neuen Finanzierungsmöglichkeiten über die Bundesimmobiliengesellschaft erwähnen, aber auch den Umstand, daß die Wohnbauförderungsmittel deutlich erhöht wurden. Zusätzlich wurden die Bemessungsgrundlagen für das Bausparen ausgeweitet und viele andere Dinge mehr gemacht.

Wir glauben also, daß mehr als 20 Milliarden Schilling pro Jahr an Investitionsvolumen durch die Maßnahmen der österreichischen Bundesregierung aktiviert werden könnten und damit zusätzlich 30 000 Arbeitsplätze abgesichert werden können. Ich möchte jetzt gar nicht behaupten, daß das zusätzliche sind, aber wenn wir das alles nicht getan hätten, gäbe es auf jeden Fall um 30 000 Arbeitsplätze weniger in Österreich.

Präsident Dr. DDr. h. c. Herbert Schambeck: Wir gelangen nunmehr zum Aufruf der 12. Anfrage, 695/M, des Herrn Bundesrates Ing. Walter Grasberger (ÖVP, Niederösterreich) an den Herrn Bundesminister für Finanzen, und ich ersuche den Anfragesteller um die Verlesung seiner Anfrage.


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Bundesrat Ing. Walter Grasberger:
Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Bundesminister! Meine Frage lautet:

695/M-BR/97

Sind für die nächste Zeit Einsparungsmaßnahmen bei den österreichischen Finanzämtern geplant?

Präsident Dr. DDr. h. c. Herbert Schambeck: Bitte.

Bundesminister für Finanzen Mag. Viktor Klima: Herr Bundesrat! Ich könnte es mir jetzt leichtmachen und sagen, es liegt derzeit nichts Konkretes vor. Das wäre aber viel zu einfach. Genauso wie ich von allen Ressortkollegen verlange, daß sie die Struktur, auch die regionale Verteilung, die Effizienz ihrer Dienststellen überprüfen, genauso wurde – ich glaube, erstmals – im Bundesministerium für Finanzen ein sozialpartnerschaftliches Projekt gestartet. Wir haben eine kleine Arbeitsgruppe, bestehend aus zwei Sektionschefs meines Hauses, jenem, der für die Steuern verantwortlich ist, und jenem, der für den Zoll verantwortlich ist, zwei Präsidenten der Finanzlandesdirektionen plus zwei Personalvertretern, aufgefordert, an einem Projekt "Fit 2001" für die Finanzverwaltung zu arbeiten. Da wird sehr präzise die Struktur der Finanzlandesdirektionen, die nötige Flexibilität innerhalb der Finanzämter, aber auch innerhalb der Finanzlandesdirektionen analysiert werden.

Das heißt, ich kann niemandem zusichern, daß jedes Finanzamt, wie es besteht, bestehenbleibt. Das kann ich nicht und will ich nicht. Ich kann heute niemandem zusichern, daß alle Finanzlandesdirektionen bestehenbleiben, und ich kann niemandem zusichern, daß es nicht innerhalb der Finanzämter selbst zu mehr Bewegung, mehr Mobilität und mehr Spielraum kommen muß. Wir müssen die Ressourcen der Leute besser nützen. Es geht darum, daß wir die hochqualifizierten Leute mit möglichst viel Mobilität einsetzen können. Das heißt, ich kann Ihnen sicher nicht sagen, es wird kein Finanzamt geschlossen.

Präsident Dr. DDr. h. c. Herbert Schambeck: Wird eine Zusatzfrage gewünscht? – Bitte.

Bundesrat Ing. Walter Grasberger: Herr Bundesminister! Sie kennen die konkrete Situation des Finanzamtes in Lilienfeld, Sie wissen, daß dort Bedenken bestehen, ob dieses Finanzamt gehalten werden kann. Sie wissen auch um die Bemühungen, die es um den Erhalt dieses Kleinfinanzamtes gegeben hat. Ich zitiere aus der lokalen Presse, in der steht, daß Sie, Herr Bundesminister, angekündigt haben, "daß das Finanzamt in der derzeitigen Form nicht bestehenbleiben wird. Es besteht aufgrund der Interventionen aber die Hoffnung, daß eine Abteilung nach Lilienfeld übersiedeln könnte. Damit könnten Arbeitsplätze in dieser strukturschwachen Region erhalten bleiben." – Können Sie dazu heute schon Näheres sagen?

Präsident Dr. DDr. h. c. Herbert Schambeck: Bitte, Herr Minister.

Bundesminister für Finanzen Mag. Viktor Klima: Ich möchte, Herr Bundesrat, hier gar nicht so ins Detail gehen – und da bitte ich um Verständnis, denn da gibt es Parallelitäten, man könnte diese Fragen im Chor stellen –, sondern auch gleich für alle Bundesräte doch eher das Prinzip einmal anführen. Es ist ohne Zweifel so, wenn wir die hervorragende Produktivität der Mitarbeiter in den Finanzämtern besser nützen wollen, auch die Mobilität, daß wir über geeignete Größen nachdenken müssen. Es geht darum, daß wir zum Beispiel eine geeignet große Betriebsprüfung als Fachbereich oder eine geeignet große Einbringung als Fachbereich oder eine geeignet große Veranlagung als Fachbereich haben und so weiter.

Das heißt, wir denken schon darüber nach, ob wir nicht durch Konzentration von Aufgaben mehr Effizienz, bessere Poolung und Mobilität erreichen können, sind uns aber dessen bewußt, daß wir natürlich in den heute bestehenden Örtlichkeiten und Regionen erstens Raum und zweitens Beschäftigte, gute Leute zur Verfügung haben. Das heißt, das, was Sie gesagt haben, nämlich daß man sich vorstellen kann, daß man ein Finanzamt von der Zuständigkeit her größer macht, aber in dem bestehenden Ort eine bestimmte Abteilung, eine bestimmte Funktion dieses neuen


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größeren Finanzamtes zusammenfaßt und auch aus beschäftigungspolitischen Gründen in dieser Region läßt, das scheint ein sehr vernünftiger Weg zu sein, aber das ist etwas, was jetzt professionell im Sinne eines Projektes bearbeitet wird.

Also es gibt keine definitiven Absagen oder Zusagen zu diesem Zeitpunkt, aber es ist ein Projekt, das sehr ordentlich, sehr engagiert bearbeitet wird, in diese Richtung, die ich beschrieben habe.

Präsident Dr. DDr. h. c. Herbert Schambeck: Wir gelangen nunmehr zur 13. Anfrage, 699/M, des Herrn Bundesrates Dr. Michael Rockenschaub (Freiheitliche, Oberösterreich) an den Herrn Bundesminister für Finanzen, und ich ersuche den Anfragesteller um die Verlesung seiner Anfrage.

Bundesrat Dr. Michael Rockenschaub: Herr Präsident! Herr Bundesminister! In meine Anfrage hat sich – zumindest in der vorliegenden Fassung – ein schwerwiegender Tippfehler eingeschlichen, denn meine Frage zielt auf Gold und nicht auf Geld ab. Ich hoffe, daß es bei Ihnen richtig angekommen ist, und frage daher:

699/M-BR/97

Um wieviel wurde der Goldbestand bei der Oesterreichischen Nationalbank im Jahr 1996 gesenkt?

Präsident Dr. DDr. h. c. Herbert Schambeck: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für Finanzen Mag. Viktor Klima: Meine sehr geehrten Damen und Herren! Hoher Bundesrat! Ich habe Sie vielleicht ein bißchen mit meinen Antworten gequält, aber ich möchte Ihnen über die formale Antwort hinaus auch die jeweils dahinterliegenden Ideen und Projekte darstellen. Da bin ich jetzt ein bißchen förmlich, Herr Bundesrat, denn ich bin auf diesem Gebiet nicht so daheim, weil es uns nichts angeht – so sage ich jetzt einmal überspitzt. Die Veränderung des Goldbestandes der Oesterreichischen Nationalbank fällt in die Bereiche ihrer autonomen Geld- und Währungspolitik. Das heißt, das ist nicht etwas, bei dem ich permanent mit Entscheidungen konfrontiert bin, und das fällt nicht in die Vollziehung meines Ressorts. (Bundesrat Dr. Rockenschaub: Ist das geheim?) Nein, ich sage es Ihnen eh, aber ich muß es Ihnen vorlesen.

Die Senkung des Goldbestandes der Oesterreichischen Nationalbank ergibt sich aus einem Vergleich des sogenannten Wochenausweises der Oesterreichischen Nationalbank vom 31. Dezember 1995 mit dem Wochenausweis vom 31. Dezember 1996. Demnach hat sich der Goldbestand der Oesterreichischen Nationalbank gegenüber dem Vorjahr um 2,32 Milliarden Schilling verringert. Diese Abnahme – so schreibt mir hier die Nationalbank – ist vorwiegend auf kurzfristige Swap-Transaktionen zurückzuführen. Unter Berücksichtigung offener Gold-Devisenswaps beträgt die errechnete Abnahme der Position "Gold" inklusive der in den "Anderen Aktiven" enthaltenen Goldforderungen lediglich 1,3 Milliarden Schilling und geht im wesentlichen auf Goldverkäufe an die Münze Österreich AG zur Ausprägung von Bullionmünzen und Kinebarren zurück.

Präsident Dr. DDr. h. c. Herbert Schambeck: Wird eine Zusatzfrage gewünscht? – Bitte.

Bundesrat Dr. Michael Rockenschaub: Herr Bundesminister! Sie kennen Medienberichte über Goldverkäufe insbesondere Belgien betreffend. Man hört das aber auch von anderen europäischen Ländern. Diese Goldverkäufe werden immer in Zusammenhang mit der Vorbereitung der Währungsunion gebracht, zumindest in den Medien. Daher meine Frage: Hängen diese Goldverkäufe mit Vorbereitungsmaßnahmen zur Währungsunion zusammen?

Präsident Dr. DDr. h. c. Herbert Schambeck: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für Finanzen Mag. Viktor Klima: In Österreich nicht, denn der Staat hat nichts davon. Die Oesterreichische Nationalbank ist Gott sei Dank aufgrund des OeNB-Ge


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setzes ein unabhängiges, autonomes Institut, und der Staat bekommt dort nur Dividenden und Körperschaftssteuer. Also davon haben wir nichts.


Bundesrat
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Präsident Dr. DDr. h. c. Herbert Schambeck:
Haben Sie noch eine Frage? – Bitte.

Bundesrat Dr. Michael Rockenschaub: Ich habe noch eine Zusatzfrage direkt zu Ihrer jetzt gegebenen Antwort. Es gibt da eine These, die ich in folgende Frage verpacken möchte: Kommen diese Goldverkäufe durch die Nationalbank indirekt nicht insofern dem Bundesbudget zugute, als durch die Auflösung stiller Reserven die Ertragslage und die Dividende entsprechend erhöht werden?

Präsident Dr. DDr. h. c. Herbert Schambeck: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für Finanzen Mag. Viktor Klima: Herr Bundesrat! Ich glaube, daß die Erträge der Nationalbank doch sehr stark von der Währungs- und Zinsentwicklung abhängig sind und daß das eine Quantité négligeable ist, wenn der Bestand um netto 1,3 Milliarden Schilling abgenommen hat. Zumindest ist das kein spürbares Ausmaß.

Präsident Dr. DDr. h. c. Herbert Schambeck: Wir gelangen nunmehr zur 14. Anfrage, 690/M, der Frau Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach (SPÖ, Wien) an den Herrn Bundesminister für Finanzen, und ich ersuche die Frau Vizepräsidentin um die Verlesung ihrer Anfrage.

Bundesrätin Anna Elisabeth Haselbach: Herr Bundesminister! Meine Frage lautet:

690/M-BR/97

Welche Änderungen des Nationalbankgesetzes sind im Zusammenhang mit der Wirtschafts- und Währungsunion notwendig?

Präsident Dr. DDr. h. c. Herbert Schambeck: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für Finanzen Mag. Viktor Klima: Sehr geehrte Frau Vizepräsidentin! Bist du böse, wenn ich es kurz mache? (Bundesrätin Haselbach: Nein, wir schauen alle auf die Uhr!) Es sind Anpassungen des Oesterreichischen Nationalbank-Gesetzes notwendig, insbesondere was die Frage der Autonomie der Nationalbank betrifft, auch was die Unabhängigkeit von währungspolitischen Entscheidungsstrukturen betrifft und ähnliches mehr. Das ist derzeit ressortzuständigerweise in meinem Haus in Vorbereitung, und wir werden doch im Laufe des Jahres 1997 eine entsprechende Anpassung des OeNB-Gesetzes vornehmen müssen. Aber im Detail derzeit etwas zu sagen, dafür ist es noch zu früh.

Präsident Dr. DDr. h. c. Herbert Schambeck: Wir gelangen nunmehr zum Aufruf der letzten Anfrage, nämlich der 15. Anfrage, 696/M, des Herrn Bundesrates Franz Richau (ÖVP, Kärnten) an den Herrn Bundesminister für Finanzen, und ich ersuche den Herrn Bundesrat um die Verlesung seiner Anfrage.

Bundesrat Franz Richau: Sehr verehrter Herr Bundesminister! Meine Frage lautet:

696/M-BR/97

Ist bis Ende 1997 die Erreichung der Konvergenzkriterien und damit die Basis für eine Teilnahme an der Wirtschafts- und Währungsunion aus heutiger Sicht gesichert?

Präsident Dr. DDr. h. c. Herbert Schambeck: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für Finanzen Mag. Viktor Klima: Ja. (Heiterkeit.)

Präsident Dr. DDr. h. c. Herbert Schambeck: Haben Sie eine Zusatzfrage? – Bitte.

Bundesrat Franz Richau: Verehrter Herr Bundesminister! Im Zusammenhang mit der Erreichung der Konvergenzkriterien sind die verschiedenen Steuergesetzgebungen immer wieder im Gerede. Meine Frage: Rechnen Sie mit einer Aufhebung des derzeitigen Systems der Familienbesteuerung durch den Verfassungsgerichtshof?

Präsident Dr. DDr. h. c. Herbert Schambeck: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für Finanzen Mag. Viktor Klima: Ich bin ein Mathematiker und Finanzer, der versucht, nicht zu spekulieren. Ich muß mich darauf vorbereiten, daß auf gewisse Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofes, ob es die Mindest-KöSt oder die Familienbesteuerung betrifft, der Gesetzgeber in einem vom VfGH festgelegten Zeitraum natürlich entsprechend legistisch reagieren muß.

Ich möchte Ihnen daher keine Plausibilitäten oder Einschätzungen geben, weil ich den VfGH als Bundesminister in keiner Weise präjudizieren oder beeinflussen möchte. Wir haben als zuständiges Bundesministerium für Finanzen nach Informationen des Koalitionspartners unseren Standpunkt hinsichtlich der heute in Österreich stattfindenden Familienförderung durch dieses System Kinderbeihilfe, Familienbeihilfe auf der einen Seite, Kinderabsetzbetrag auf der anderen Seite dargelegt, und ich warte mit Geduld die Entscheidung des VfGH ab.

Präsident Dr. DDr. h. c. Herbert Schambeck: Haben Sie noch eine Zusatzfrage? – Bitte.

Bundesrat Franz Richau: Herr Bundesminister! Wie würde sich eine Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes gegen die Mindest-KöSt auswirken?

Präsident Dr. DDr. h. c. Herbert Schambeck: Herr Bundesminister, bitte.

Bundesminister für Finanzen Mag. Viktor Klima: Meinen Sie jetzt bei der Familienbesteuerung? – Bei der KöSt könnte ich es Ihnen sagen: Je nachdem etwa 700 Millionen bis 1 Milliarde oder ein bißchen mehr. Aber bei der Familienbesteuerung habe ich keinerlei Ahnung, in welche Richtung die Entscheidung des VfGH ausfällt.

Ich meine, es gibt grundsätzlich drei unterschiedliche Entscheidungsmöglichkeiten. Die erste wäre: Er sagt, alles ist in Ordnung, so wie es ist. Die zweite wäre, daß er feststellt, daß das System in Ordnung ist, nur aus seiner Sicht die Beträge nicht. Die dritte wäre, daß der VfGH das System als verfassungswidrig erkennt und sagt, wir müssen das über Steuerfreibeträge regeln, was, wie ich jetzt höre, beide Koalitionsparteien nicht wollen. Auch die Österreichische Volkspartei hat festgestellt, daß sie am System der Absetzbeträge an sich festhalten will. Aber wenn der Verfassungsgerichtshof das System ändert, dann müssen wir uns grundsätzlich und überhaupt neu damit auseinandersetzen. Ich kann Ihnen da halbwegs seriös – und das versuche ich immer zu sein – keine Antwort darauf geben.

Präsident Dr. DDr. h. c. Herbert Schambeck: Die Fragestunde ist beendet.

Ankündigung einer dringlichen Anfrage

Präsident Dr. DDr. h. c. Herbert Schambeck: Ich gebe bekannt, daß mir ein Verlangen im Sinne des § 61 Abs. 3 der Geschäftsordnung des Bundesrates auf dringliche Behandlung der schriftlichen Anfrage 1242/J-BR/97 der Bundesräte Dr. Riess-Passer, Moser, Mühlwerth und Kollegen betreffend die Effizienz eines Frauenministeriums angesichts ständig steigender Belastungen für die österreichischen Frauen und einer anwachsenden Frauenarmut sowie der Akzeptanz der Frauenministerin innerhalb der Regierung an die Frau Bundesministerin für Frauenangelegenheiten vorliegt.

Hoher Bundesrat! Im Sinne des § 61 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Bundesrates verlege ich die Behandlung an den Schluß der Sitzung, aber nicht über 16 Uhr hinaus.

Antrittsansprache des Präsidenten

14.33

Präsident Dr. DDr. h. c. Herbert Schambeck: Meine sehr verehrten Damen und Herren! Hoher Bundesrat! Die Erstreihung meiner Person als Bundesrat für das im halbjährigen Wechsel zur


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Vorsitzführung für die nächsten sechs Monate im Bundesrat berufene Bundesland Niederösterreich hat es mir gestattet, die Präsidentschaft in unserer Länderkammer zu übernehmen. Ich tue dies mit respektvollem Dank für diesen erneuten Vertrauensbeweis meines Bundeslandes Niederösterreich und auch mit besonderem Dank an all jene Damen und Herren, die mir schon seit vielen Jahren ihr Vertrauen im öffentlichen Leben in diesem Haus durch mehr als zwei Jahrzehnte durch meine ständige Wahl in das Bundesratspräsidium auch über Fraktionsgrenzen hinweg gewährt haben.

Der Föderalismus, dem wir im Bundesrat auf allen drei Ebenen, nämlich auf Bundes-, Landes- und Gemeindeebene, zu entsprechen suchen, erlaubt es mir, in diesem Augenblick und Zusammenhang auch dankbar jener Stadtgemeinde zu gedenken, aus der ich stamme und in der ich viel lernen konnte, nämlich meiner Heimatgemeinde Baden bei Wien, wo bekanntlich Wolfgang Amadeus Mozart sein "Ave verum" und Ludwig van Beethoven seine IX. Symphonie komponierte, dessen Hymne "An die Freude" zur Europahymne wurde. Ich freue mich, das in Anwesenheit des Bürgermeisters meiner Heimatstadt Baden, des Herrn Landtagsabgeordneten Professor August Breininger, sagen zu können.

Die Verbundenheit zur Heimat hat auch mein hochgeschätzter Vorgänger als Bundesratspräsident verantwortungsvoll zum Tragen gebracht, nämlich Josef Pfeifer aus Kärnten. Ich möchte ihm für diesen seinen Einsatz im vergangenen Halbjahr und für die ausgezeichnete Zusammenarbeit aufrichtig Dank sagen. (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)

Der halbjährige Wechsel in alphabetischer Reihenfolge der Bundesländer in deren Repräsentation im Bundesrat, wie er sich aufgrund des Bundes-Verfassungsgesetzes 1920 in der Vorsitzführung unserer Länderkammer zeigt, ist zum einen ein Ausdruck der Gesamtverantwortung unserer Bundesländer für die Republik Österreich und zum anderen auch ein Zeichen der Dynamik, die in unserem Föderalismus liegen kann.

Der Bundesrat drückt ja in seiner Zusammensetzung geradezu seismographisch das jeweilige Stimmverhalten nach den einzelnen Landtagswahlen in den einzelnen Bundesländern aus. Auf diese Weise kann während einer Legislaturperiode des Nationalrates und damit auch einer Funktionsperiode der österreichischen Bundesregierung im Nationalrat und im Bundesrat ein jeweils verschiedenes Kräftefeld zum Tragen kommen. Und Sie, meine Damen und Herren, sind auch der personifizierte Ausdruck hiefür.

Neben vor allem der Kompetenzverteilung und dem Finanzausgleich erweist sich der Bundesrat als ein Kennzeichen des Föderalismus in der österreichischen Staatsrechtsordnung. Er ist eine Form der Gewaltenteilung.

Wenngleich die Bundesräte von den Landtagen, also den gesetzgebenden Organen der Bundesländer, nominiert werden, sei aber nicht übersehen, daß der Bundesrat als solcher neben dem Nationalrat ein Organ der Bundesgesetzgebung ist, nämlich ein solches, welches der Vertretung der Länderinteressen bei der Bundesgesetzgebung zu dienen hat.

Es wäre daher von Wichtigkeit, wenn Bundesräte schon in den jeweiligen Nationalratsausschüssen an der Behandlung der einzelnen Gesetzesvorschläge mitwirken könnten. In gleicher Weise wäre es erstrebenswert, daß der zuständige Ausschuß des Bundesrates im Interesse der Länder zu einem Gesetzesvorschlag bereits während dessen Vorberatung im Nationalrat, nämlich bis zum Abschluß der Verhandlungen im Nationalratsausschuß, eine Stellungnahme abgeben kann.

Gerade bei dem Umfang, der Zahl und der Zunahme an Sachbereichen der Gesetzgebung, die die Bevölkerung auch von uns erwartet, kann es nur wertvoll sein, wenn möglichst viele rechtzeitig und beratend mitarbeiten.

Aus diesem Grund wäre es begrüßenswert, wenn der Bundesrat im Rahmen eines verantwortungsvollen Mitdenkens auch das Recht erhielte, auf Fehler in Nationalratsausschüssen aufmerksam zu machen, die nämlich das Wollen des Erstgesetzgebers Nationalrat nicht richtig


Bundesrat
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ausdrücken. Eine solche Art Korrekturfunktion könnte der Bundesrat in einem mit dem Nationalrat gemeinsam zu bildenden Ausschuß ausüben.

Erstrebenswert wäre es, könnten Einsprüche des Bundesrates auch bloß gegen Teile von Nationalratsbeschlüssen erhoben werden und das Zustimmungsrecht des Bundesrates auch auf alle Bundesgesetze erweitert werden, welche nachteilige Folgen für die Bundesländer haben, und auch in bezug auf den Finanzausgleich gelten, der für Bund, Länder und Gemeinden in gleicher Weise von großer Bedeutung ist. Es wäre auch begrüßenswert, über Einsprüche des Bundesrates einen gemeinsam mit dem Nationalrat zu bildenden Vermittlungsausschuß befinden zu lassen. Auch sollte der Bundesrat ein Initiativrecht auf Durchführung von Volksbefragungen erhalten.

Im Hinblick auf ihre Bedeutung auch für die Bundesländer und die Gemeinden wäre es weiters bedenkenswert, den Präsidenten des Rechnungshofes und die Volksanwälte durch die Bundesversammlung, also Nationalrat und Bundesrat gemeinsam, wählen zu lassen.

Deutlicher und bestimmender sollte auch das Mitwirkungsrecht des Bundesrates in Angelegenheiten der Europäischen Union werden. So sollte der Bundesrat analog zur Regelung des Nationalrates ein Widerspruchsrecht gegen eine beabsichtigte Abweichung des jeweiligen Mitglieds der Bundesregierung von einer bindenden Stellungnahme des Bundesrates in Angelegenheiten erhalten – lassen Sie mich das betonen –, in denen der Bundesrat nach Artikel 44 Abs. 2 des Bundes-Verfassungsgesetzes das Recht der Zustimmung bereits hat.

Hoher Bundesrat! Weitere Verbesserungen der Stellung des Bundesrates sind nicht Selbstzweck, sondern sind immer auch im Gesamtrahmen einer Verfassungsreform und innerhalb derer einer etwaigen Bundesstaatsreform zu sehen.

Gerade aus dem Grund ist es bedauerlich, daß es trotz verdienstvoller Vorarbeiten – das sei betont: verdienstvoller Vorarbeiten – zu keiner Neukodifikation des Bundes-Verfassungsgesetzes und zu keiner Erfüllung des vor der EU-Mitgliedschaft Österreichs und der vorangegangenen Volksabstimmung 1992 abgeschlossenen Perchtoldsdorfer Abkommens einer Bundesstaatsreform gekommen ist. Sie wurde von den beiden Regierungsparteien schon vor der Volksabstimmung versprochen. Ihre Erfüllung wurde durch wertvolle Vorarbeiten des damaligen Bundesministers Jürgen Weiss, des Staatssekretärs Dr. Peter Kostelka sowie der Herren Landeshauptleute von Vorarlberg Dr. Martin Purtscher und von Burgenland Karl Stix in verdienstvoller Weise vorbereitet.

Zu einer solchen Bundesstaatsreform bedürfte es einer den tatsächlichen Aufgabenbereichen und dem Leistungsvermögen von Bund und Ländern entsprechenden, zeitgemäßen Kompetenzverteilung mit abgerundeten und daher geschlossenen Kompetenzbereichen – was auch von Wichtigkeit für die Rechtsprechung ist, nicht zuletzt auch des Verfassungsgerichtshofes, der hier eine wertvolle Klammerfunktion ausübt –, der Beseitigung befristeter Kompetenzklauseln, der Vereinbarung eines Inkorporationsgebotes, wonach alle künftigen, die Länder betreffenden Verfassungsbestimmungen, besonders die Kompetenzen, in das neu zu kodifizierende Bundes-Verfassungsgesetz aufgenommen werden sollten und nicht in verfassungsrechtliche Nebengesetze, was eine Praxis ist, die ich als Unart bezeichnen möchte, die aber im Parlament seit Jahrzehnten geübt wird.

Es sollten die Verfassungsautonomie der Länder verstärkt, die mittelbare Bundesverwaltung abgeschafft, die Vollziehung der Bundesgesetze in die Vollziehung der Länder übertragen und die Landesverwaltungsgerichte der Länder eingeführt werden. Mit dem diesbezüglichen Begehren des Verwaltungsgerichtshofes erkläre ich mich identisch, und ich darf sagen, daß das alles auch mit ein Teil des Perchtoldsdorfer Abkommens ist, das die Unterschriften des Bundeskanzlers Dr. Vranitzky und des damaligen Vorsitzenden der Landeshauptmännerkonferenz, des Herrn Landeshauptmannes Siegfried Ludwig, trägt.

Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich das auch in dieser Stunde betonen: Es gibt kaum ein Thema der Politik im allgemeinen und des Verfassungslebens im besonderen, welches so sehr in Theorie und Praxis von verschiedenen Seiten und mannigfachen Richtungen ausdis


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kutiert ist, wie das des Föderalismus in Österreich und seine Reformmöglichkeiten. All meinen Kollegen in Praxis und Theorie gilt dafür auch unser Respekt. Trotzdem wird seit Jahrzehnten mit geradezu derselben Regie, aber mit wechselnden Personen erfolgreich versucht, diese notwendige Reform zu verhindern, und wenn das nicht geht, dann sie wenigstens zu verzögern, und wenn dies auch nicht mehr möglich ist, weil die Leute schon auf die Straße gehen, wie einst in Vorarlberg, wenigstens eine nur teilweise Erfüllung föderaler Reformwünsche und das nur gnadenweise zu gewähren.

Nach meiner 28jährigen Mitgliedschaft im Bundesrat und meiner 22jährigen Zugehörigkeit zum Bundesratspräsidium mit wechselnden Mehrheiten im Parlament, nämlich im Nationalrat und Bundesrat, sowie unterschiedlichen Regierungen, die ich erlebt habe, kann ich aus meiner eigenen persönlichen Erfahrung von nahezu drei Jahrzehnten, aufgeteilt in vier Jahrzehnte, nämlich seit 1969, Ihnen sagen, daß diese wertvollen föderalistischen Reformbemühungen auch jeweils – übrigens über alle Fraktionsgrenzen hinweg – mit Geduldsproben und Demutsgesten verschiedenster Art verbunden waren. Da gibt es eine ganze Abstufung dazu, manche entwickeln da eine eigene Unkultur.

Diese Föderalismusaktivitäten verlangen viel Optimismus und viel Zuversicht. Hoher Bundesrat! Lassen Sie sich das niemals nehmen, auch nicht in einer Zukunft, die ich nicht mehr mit Ihnen teilen werde.

Diesen Optimismus und diese Zuversicht habe ich mir selbst nie nehmen lassen, und viele von uns, die heute hier auf der Zuhörerbank sind oder die uns schon vorangegangen sind, haben sie sich auch nicht nehmen lassen. Sonst wäre ich nicht 1969 in den Bundesrat gegangen, darum habe ich nie für eine andere allgemeine Vertretung kandidiert und diesen Weg in all den Jahren freiwillig sehr gerne fortgesetzt.

Hoher Bundesrat! Ich danke allen, die sich von diesem notwendigen Föderalismusengagement anstecken ließen. Es hat zu Föderalismusnovellen und 1988 mit zur neuen Geschäftsordnung des Bundesrates geführt. Ich danke im besonderen dem früheren Präsidenten des Bundesrates Dr. Martin Strimitzer und auch rückblickend nochmals dem früheren Herrn Vizepräsidenten des Bundesrates Walter Strutzenberger, die beide nicht mehr unserem Hause angehören, aber weiter mit ihm geistig verbunden sind – heute ist Herr Präsident Strimitzer anwesend –, für so manche gemeinsame Initiative für Bundesrat und Bundesstaat in Österreich sowie für einzelne derartige Initiativen in einzelnen Landtagen. Mit Dank und Respekt nenne ich die Landtage von Niederösterreich, von Tirol und von Salzburg und zum wiederholten Male von Vorarlberg.

Wenngleich auch in der Zukunft angesichts der derzeitigen politischen Lage in Österreich und wieder anderer Probleme der Politik unseres Landes, mit denen wir uns zu beschäftigen haben, keine föderalistische Totalreform zu erwarten ist – da gebe ich mich keinen Illusionen hin, Hohes Haus –, sollte aber der Weg mit beharrlichen und auch kleinen Schritten fortgesetzt werden, und ich lade Sie auch bei dieser Gelegenheit in unserem Rahmen hiezu aufrichtig ein.

Ein nicht unbedeutender Beitrag zu diesem Weg konnte noch im Dezember vergangenen Jahres geleistet werden. Auf meine Anregung hin haben wir in der Präsidialkonferenz einstimmig – dafür danke ich – die Einsetzung einer Arbeitsgruppe zur Behandlung aller vorliegenden Vorschläge zur Bundesratsreform beschlossen, was im letzten nicht denkbar ist, ohne im Rahmen des Möglichen letztlich an eine Reform der Bundesstaatlichkeit Österreichs wenigstens zu denken. In der heutigen Präsidialsitzung haben wir schon den ersten Termin für die Sitzung dieses besonderen Ausschusses festgelegt.

Wenn nämlich außerhalb des im B-VG Vorgesehenen vor allem, wie kürzlich durch den Vorschlag eines Konsultationsmechanismus, Vertreter des Bundes, der Länder und der Gemeinden zur Vorberatung und Vorbereitung von Gesetzesbeschlüssen des Nationalrates neue Gremien der Politik bilden, welche das Bundes-Verfassungsgesetz nicht einmal im Ansatz kennt, sollte sich der Bundesrat, aber noch viel mehr als der Bundesrat der seit vielen Jahren eine entsprechende Bundesstaats- und Bundesratsreform behindernde und verhindernde österreichische Nationalrat fragen, wo eines Tages der Weg Österreichs als demokratischer Verfassungsstaat


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hinführt, wenn sich das Parlament in beiden Kammern immer mehr zu einem Ratifikationsorgan des außerparlamentarisch Erlaubten und Vereinbarten entwickelt. (Allgemeiner Beifall.)

Hohes Haus! Ich werde mit Ihnen als Politiker und als österreichischer Staatsrechtslehrer, der seit 30 Jahren ein Ordinariat für öffentliches Recht innehat, zu dieser Entwicklung nicht schweigen. Wir werden uns damit mit einem Mindestmaß an Selbstachtung auseinanderzusetzen haben, und ich bin sehr froh, daß über den Kreis unseres Hauses hinaus sich auch Repräsentanten dieses Hauses im Nationalrat schon damit auseinandergesetzt haben.

Bezüglich des Konsultationsmechanismus – lassen Sie mich konkret werden! –, mit dem wir uns auch in der nächsten Zeit eingehend auseinanderzusetzen haben, und zwar über alle Fraktionsgrenzen hinweg, möchte ich schon jetzt betonen, daß er ein Koordinierungsinstrument der zur Vertretung der jeweiligen Gebietskörperschaften nach außen berufenen Organe, der Exekutive, der Bundesregierung, der Landesregierungen, des Städte- und Gemeindebundes, aber kein Vermittlungsgremium gesetzgebender Körperschaften ist, welche nach dem Bundes-Verfassungsgesetz aber zur Gesetzgebung berufen sind. Wir sind verpflichtet, das zu tun, meine Damen und Herren, weil wir den Eid auf diese Verfassung und auf keine andere Realverfassung der Republik Österreich abgelegt haben. (Beifall bei der ÖVP und bei Bundesräten der SPÖ und der Freiheitlichen.)

Meine Damen und Herren! Unabhängig davon sollte mehr als bisher eine Zusammenarbeit zwischen den im Bundes-Verfassungsgesetz vorgesehenen Repräsentanten der Bundesländer, nämlich den Landtagen und den Landesregierungen und vor allem den Landeshauptleuten und Landtagspräsidenten, und mit uns im Bundesrat Platz greifen. Ich bedanke mich bei meinem Amtsvorgänger, Herrn Bundesrat Pfeifer, daß schon der Kontakt mit den Landtagen begonnen wurde, und darf Ihnen mitteilen, daß ich Ende dieses Monats mit dem Bundesratspräsidium dem Präsidium des Oberösterreichischen Landtages einen Besuch abstatten und ein Arbeitsgespräch führen werde. Und ich weiß, daß dem noch viele folgen werden.

Hohes Haus! Nicht in einem Nebeneinander, sondern in einem Miteinander sollten wir alle gemeinsam unseren Bundesländern dienen. Sie verpflichten uns alle, ob im Bundesrat, in den Landtagen oder in den Landesregierungen, denn es gibt ja nicht für die Landtage, für die Landesregierungen, für den Bundesrat und für den Nationalrat verschiedene Bundesländer, sondern es gibt neun Bundesländer, die uns alle gemeinsam verpflichten! Darum sollte auch die Zusammenarbeit all derjenigen, die für die Länder tätig sind, noch mehr als bisher koordiniert werden.

Es wäre begrüßenswert – lassen Sie mich das betonen! –, wenn die Herren und Dame Landeshauptleute von ihrem Rederecht im Bundesrat nicht bloß zu Anlässen, mögen sie noch so bemerkenswert für sie und für uns sein, wie etwa anläßlich der Angelobung, von Verabschiedungen oder zu außerordentlichen Anlässen, wie etwa vor dem EU-Begleitgesetz, in diesem Fall mehr oder weniger im Zustand begnadeter Angst, Gebrauch machen und den Weg zu uns finden würden. Umgekehrt wäre es begrüßenswert, wie bereits öfters angeregt, wenn die Präsidenten des Bundesrates an der Landeshauptleute- und Landtagspräsidentenkonferenz, natürlich ohne Stimmrecht, teilnehmen könnten.

Ich bin überzeugt davon, daß mancher Weg zum EU-Begleitgesetz ohne hektische Motorik anders ausgegangen wäre, wenn man vorher bereit gewesen wäre, in all diesen Gremien rechtzeitig miteinander zu sprechen. Denn viel ist ja zu dieser Föderalismusreform eingebracht worden, die dann, wie man sagte, aus finanziellen Gründen nicht ausgeführt werden konnte oder weil man gegen die Verwaltungsgerichte in den Ländern Bedenken hatte, die man schon seit langem vorhatte.

Meine Damen und Herren! Es geht um die Rechtssicherheit in den Bundesländern, und hier haben wir auch ein mahnendes Wort als zweite Kammer zu sprechen. Gerade jetzt darf ich das sagen, weil wir uns ja in dieser Woche eingehend mit der Höchstgerichtsbarkeit öffentlichen Rechts in einer ganz neuen Form beschäftigt haben, denn es hat in diesem Hause noch niemals ein Hearing zur Nominierung von Mitgliedern des Verfassungsgerichtshofes gegeben. Im Bun


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desrat haben wir das getan, und es wird mir immer zur Ehre gereichen, daß ich das am Beginn meiner Präsidentschaft mit Zustimmung aller drei Fraktionen durchführen konnte.

Hohes Haus! Meine Damen und Herren! Wir verlangen mit Recht das Miteinander aus der Sicht des Föderalismus und Regionalismus in der Europäischen Union. Bedeutende Damen und Herren des Bundesrates haben uns, wofür ich auch heute danke, im Europaparlament vertreten und engagieren sich in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates. Und es wird auch Bedeutendes im EU-Ausschuß des Bundesrates geleistet, wofür ich den Herrn Vorsitzenden Ing. Penz und den Stellvertretenden Vorsitzenden Kollegen Konečny danke. Sie bemühen sich auch um die Subsidiarität, die wir in den Beschlüssen von Maastricht begrüßten. Wir setzen in die Weiterentwicklung von Maastricht II durch die Regierungskonferenz von Turin größte Hoffnungen. Aber, meine Damen und Herren, das, was wir von der EU an Subsidiarität verlangen, sollten wir in der Republik Österreich selbst einbringen, nämlich im Verhältnis zwischen Bund, Ländern und Gemeinden. Der Föderalismus dient der Subsidiarität, der Kostenersparnis und der Bürgernähe, um die Sie alle sich so bemühen. Wer wollte diese Aktualität anläßlich eines Sparpaketes, in einer Zeit der Politik- und Staatsverdrossenheit leugnen?!

Meine Damen und Herren! Gerade in einer Zeit, die sich so mit den Politikern beschäftigt, kommt es darauf an, daß auch wir hier zu dieser Bürgernähe, zu dieser Sparsamkeit und zu diesem Engagement das Unsere vom Föderalismus her beitragen. Dazu haben Sie sich ja dieser Aufgabe gestellt. Denn ich darf das aussprechen, mit Ihnen und vielleicht für Sie: Es geht ja niemand in den Bundesrat, um reich und mächtig zu werden, sondern zum Großteil um hier einen Einsatz zu leisten oder – erlauben Sie mir dieses persönliche Bekenntnis, das mich in meine Schulzeit, in die 4. Klasse des Gymnasiums, zurückführt – um den Idealen seiner Jugend zu dienen. Diese Ideale – das wünsche ich Ihnen, meine Damen und Herren – lassen Sie sich nie in Ihrem Leben nehmen!

Diese Sicht föderalistischer Verantwortung soll zeigen, daß die Politik und auch alle föderalistischen Reformbemühungen nicht Selbstzweck sind und auch nie sein dürfen. Es wäre traurig bestellt, wenn in einem Neben- oder gar in einem Gegeneinander föderalistische Anliegen vertreten werden. Ich danke Ihnen, meine Damen und Herren, daß ich durch viele Jahre hier über die Fraktionsgrenzen hinweg dieses Streben zum Miteinander miterleben durfte. Die freiwillig seit Jahrzehnten von der Landeshauptleutekonferenz in verdienstvoller Weise einstimmig beschlossenen Länderforderungsprogramme und die in unserem Bundesrat von allen drei Fraktionen zwar mit bisweilen auch unterschiedlichen Vorschlägen, aber aufgrund eines gemeinsamen föderalistischen Engagements ergriffenen Initiativen – erlauben Sie mir, das zu sagen – lassen Erwartungen positiv erscheinen, auch wenn nicht alle Wünsche erfüllt werden können.

Seien Sie versichert, daß ich nicht annehme – weder in der mir verbleibenden Zeit als Präsident, aber auch nicht als Mitglied des Bundesrates –, all die von mir gemachten Anregungen zur Bundesratsreform, die in den letzten Jahrzehnten in Publikationen und Bundesratsreden von mir nachlesbar sind, mit Ihnen allen gemeinsam verwirklichen zu können. Es sind auch Vorschläge für die weitere Zukunft und für den Weg, den Sie eines Tages ohne mich im Bundesrat und für den Bundesstaat, für die Republik Österreich, gehen werden. Ich werde Sie immer mitbürgerlich und akademisch dabei begleiten, so wie uns das Engagement und das Interesse derjenigen Damen und Herren, die uns bereits vorangegangen sind, begleitet, und zwar auch heute in dieser Stunde.

Die Zeit bis dahin wollen wir aber gemeinsam nützen. Dazu lade ich die Frau Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach, den Herrn Vizepräsidenten Jürgen Weiss, den Herrn Fraktionsobmann Albrecht Konečny und die Fraktionsobfrau Dr. Susanne Riess-Passer mit ihren reichen Erfahrungen ein.

In diesem gemeinsamen Bemühen um eine zeitgemäße Form der Verbundenheit von Föderalismus und Parlamentarismus – ich weiß mich mit vielen von Ihnen in diesem Raum eins – könnten wir auch einen Beweis an politischer Kultur geben, nämlich beweisen, daß es neben allen Gegensätzlichkeiten, die in einer pluralistischen Demokratie selbstverständlich sind, auch


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eine gemeinsame tragfähige Verantwortung für eine Weiterentwicklung unserer Staatsordnung gibt.

Gerade in unserer Zeit ist diese Solidargesinnung von Wichtigkeit. Sie sollte sich in der sozialen Marktwirtschaft in dem gemeinsamen Bemühen um die Sicherung der Arbeitsplätze auf Bundes-, Landes- und Gemeindeebene zeigen. Ich freue mich, daß ich nach dem Herrn Bundesminister für Finanzen und in Anwesenheit des Herrn Bundesministers für Soziales das sagen darf. Hohes Haus! Es wäre um die soziale Marktwirtschaft in Österreich schlecht bestellt, würde die Gewinnmaximierung um den Preis freigesetzter Arbeitsplätze erkauft werden. (Allgemeiner Beifall.)

Ich bin einst in die Politik gegangen, um in diesem Dienst an der sozialen Sicherheit, am wirtschaftlichen Wachstum und kulturellen Fortschritt in gleicher Weise mitzuarbeiten. Noch viele andere Probleme könnten wir besprechen – und Sie denken auch daran –, die neben dem tagespolitischen Schlagabtausch die Länder- und Fraktionsgrenzen überschreitend Gemeinwohlverantwortung verlangen. Sie dienen auch dieser Gemeinwohlverantwortung in Ihrem öffentlichen Leben und in Ihrem Engagement.

Diese Sozialverantwortung, verbunden mit einem verstehenden Staatsbewußtsein, könnte mit Teil eines leistungsfähigen Europabewußtseins sein, das uns in Österreich mit unseren Bundesländern als EU-Mitglied in der neuen Ordnung Europas einen wichtigen Auftrag erfüllen läßt. Dieser Bundesrat hat als einer der ersten die Initiative ergriffen, daß es zu einer Mitgliedschaft Österreichs bei der Europäischen Union kommt. Ich darf Sie alle einladen, hiezu auf allen Ebenen unseres Bundesstaates, den Sie, meine Damen und Herren im Bundesrat, auch durch Ihre Verantwortungsbereiche repräsentieren, den uns möglichen Beitrag zu leisten.

Für die Mitarbeit, die Sie mir durch Ihr Vertrauen geben, möchte ich Ihnen schon heute herzlich danken und dem Bundesrat der Republik Österreich ein aufrichtiges Glückauf wünschen! – Ich danke Ihnen. (Anhaltender allgemeiner Beifall.)

14.59

Einlauf und Zuweisungen

Präsident Dr. DDr. h. c. Herbert Schambeck: Hoher Bundesrat! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Eingelangt sind Schreiben des Bundeskanzleramtes betreffend Ministervertretungen, die den heutigen Tag betreffen. Ich ersuche die Schriftführung höflich um Verlesung dieser Schreiben.

Schriftführerin Ilse Giesinger: "Der Herr Bundespräsident hat am 15. Jänner 1997, Zl. 300.100/2-BEV/97, folgende Entschließung gefaßt:

Auf Vorschlag des Bundeskanzlers betraue ich für die Dauer der Verhinderung des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten Dr. Johann Farnleitner innerhalb des Zeitraumes vom 16. bis 19. Jänner beziehungsweise am 22. Jänner 1997 den Bundesminister für Landesverteidigung Dr. Werner Fasslabend und am 20. und 21. Jänner 1997 den Bundesminister für Justiz Dr. Nikolaus Michalek mit der Vertretung.

Hievon beehre ich mich, mit dem Ersuchen um gefällige Kenntnisnahme Mitteilung zu machen." (Unruhe.)

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach (den Vorsitz übernehmend): Die Frau Schriftführerin ist am Wort.

Schriftführerin Ilse Giesinger (fortsetzend): Ich verlese das zweite Schreiben:

"Der Herr Bundespräsident hat am 20. Dezember 1996, Zl. 300.100/115-BEV/96, folgende Entschließung gefaßt:


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Auf Vorschlag des Bundeskanzlers betraue ich für die Dauer der Verhinderung des Bundesministers für Land- und Forstwirtschaft Mag. Wilhelm Molterer innerhalb des Zeitraumes vom 16. bis 18. Jänner beziehungsweise am 20. und 21. Jänner 1997 die Bundesministerin für Unterricht und kulturelle Angelegenheiten Elisabeth Gehrer mit der Vertretung.

Hievon beehre ich mich, mit dem Ersuchen um gefällige Kenntnisnahme Mitteilung zu machen."

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Ich danke für die Verlesung dieser Schreiben.

Eingelangt sind fünf Anfragebeantwortungen, die den Anfragestellern übermittelt wurden.

Die Anfragebeantwortungen wurden vervielfältigt und auch an alle übrigen Mitglieder des Bundesrates verteilt.

Die eingelangten Berichte des Bundesministers für Land- und Forstwirtschaft betreffend Österreichischer Waldbericht 1995 und Gewässerschutzbericht 1996 habe ich dem Ausschuß für Land- und Forstwirtschaft zur Vorberatung zugewiesen.

Eingelangt sind ferner Berichte (16886 bis 18264-EU) über Vorhaben im Rahmen der Europäischen Union gemäß Artikel 23e des Bundes-Verfassungsgesetzes. Diese Berichte wurden dem EU-Ausschuß zugewiesen.

In Anbetracht des Umfanges wurde gemäß § 18 Abs. 2 Geschäftsordnung des Bundesrates nach Rücksprache mit den Vizepräsidenten angeordnet, daß eine Vervielfältigung und Verteilung zu unterbleiben hat, alle Vorlagen jedoch in der Parlamentsdirektion zur Einsichtnahme aufliegen.

Der Sozialausschuß hat den ihm zugewiesenen Bericht des Bundesministers für Arbeit und Soziales über die soziale Lage 1995 vorberaten. Der genannte Ausschuß hat darüber einen Ausschußbericht erstattet.

Absehen von der 24stündigen Aufliegefrist

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Im Hinblick darauf sowie mit Rücksicht auf einen mir zugekommenen Vorschlag, von der 24stündigen Aufliegefrist des Ausschußberichtes Abstand zu nehmen, habe ich diese Vorlage sowie die Erstattung eines Vorschlages des Bundesrates für die Ernennung eines Mitgliedes des Verfassungsgerichtshofes auf die Tagesordnung der heutigen Sitzung gestellt.

Ich bitte jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die mit dem Vorschlag der Abstandnahme von der 24stündigen Aufliegefrist des gegenständlichen Ausschußberichtes einverstanden sind, um ein Handzeichen. – Danke, das ist Stimmeneinhelligkeit. Der Vorschlag ist mit der nach § 44 Abs. 3 der Geschäftsordnung des Bundesrates erforderlichen Mehrheit angenommen.

Wird zur Tagesordnung das Wort gewünscht? – Dies ist nicht der Fall.

1. Punkt

Bericht des Bundesministers für Arbeit und Soziales über die soziale Lage 1995 (III-154-BR/96 und 5381/BR der Beilagen)

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Wir gehen nunmehr in die Tagesordnung ein und gelangen zum 1. Punkt: Bericht des Bundesministers für Arbeit und Soziales über die soziale Lage 1995.

Die Berichterstattung hat Herr Bundesrat Wolfgang Hager übernommen. Ich darf ihn um den Bericht bitten.


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Berichterstatter Wolfgang Hager:
Frau Präsidentin! Herr Bundesminister! Meine Damen und Herren! Der Bericht des Sozialausschusses über den Bericht des Bundesministers für Arbeit und Soziales über die soziale Lage 1995 liegt schriftlich vor. Ich verzichte daher auf eine Verlesung.

Der Sozialausschuß stellt nach Beratung der Vorlage am 16. Jänner 1997 mit Stimmenmehrheit den Antrag, den Bericht zur Kenntnis zu nehmen.

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Danke.

Sie alle haben den Bericht schriftlich vorliegen.

Wir gehen in die Debatte ein.

Zu Wort gemeldet hat sich Frau Bundesrätin Moser. – Bitte.

15.06

Bundesrätin Helga Moser (Freiheitliche, Oberösterreich): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Herr Minister! Werte Damen und Herren! Der heute zu diskutierende Sozialbericht über das Berichtsjahr 1995 hat den Nachteil aller Berichte: Er beinhaltet nur jene Fakten, mit denen wir zurzeit gar nicht oder nicht mehr konfrontiert werden.

Dies zeigt sich für mich auch im Geleitwort, das Sie, Herr Minister, diesem Bericht vorangestellt haben – ich zitiere –: Der Berichtszeitraum war geprägt von den beiden Strukturanpassungsgesetzen 1995 und 1996, welche in Feinabstimmung zwischen Steuer- und Sozialpolitik unter Wahrung des politischen Schwerpunktes der sozialen Ausgewogenheit wesentliche Schritte zur Budgetkonsolidierung zum Ziel hatten.

Einen Beitrag zur Budgetkonsolidierung hat die Regierung erreicht, den politischen Schwerpunkt der sozialen Ausgewogenheit aber leider nicht. Diese Aussage treffe ich jetzt nicht als Vertreterin der Opposition, sondern als besorgte Sozialpolitikerin. Es geschieht in letzter Zeit immer öfter, daß ich sehr wohl auch mit Regierungsmitgliedern Ihrer Partei oder Ihnen nahestehenden Interessenverbänden einer Meinung bin, sei es mit Herrn Landeshauptmann-Stellvertreter Hochmair in Oberösterreich, sei es auch, wie dies gestern der Fall war, mit Frau Schmidleithner vom ÖGB, die sehr kritisch anmerken, daß die soziale Ausgewogenheit nicht mehr gegeben ist.

Ebenfalls wurde gestern berichtet, daß Herr Politikwissenschafter Professor Tálos schätzt, daß 700 000 bis 1,5 Millionen Menschen von Armut bedroht sind. Angesichts dieser Zahlen muß ich sagen: Da kann etwas in diesem System nicht stimmen. Und es sind wieder vor allem die Frauen, heute genauso wie auch in der Vergangenheit, die durch Arbeitslosigkeit, geringes Einkommen, mehr Kinder, Scheidung vom Partner oder Tod des Partners enorme Probleme zu bewältigen haben beziehungsweise teilweise nicht mehr bewältigen können.

Herr Minister! Ich frage Sie: Wo bleibt die soziale Ausgewogenheit beispielsweise bei der Dauer des Karenzurlaubes? – 18 Monate Karenzurlaub gibt es für eine Alleinerzieherin, 24 Monate dann, wenn der Mann sechs Monate Karenzzeit übernimmt. Steht für Sie die Teilfamilie nicht gleichwertig neben der Vollfamilie? Hat das Kind einer Alleinerzieherin nicht auch ein Recht darauf, länger in der häuslichen Betreuung aufwachsen zu können? In meinen Augen ist dies nicht nur eine Diskriminierung der alleinerziehenden Mutter, sondern auch des betroffenen Kindes.

Soziale Ausgewogenheit ist auch im Bereich der Löhne und Gehälter nicht gegeben. Von den 240 000 Personen, die 1995 weniger als 12 000 S brutto verdienten, sind 80 000 Männer und 160 000, also doppelt soviel, Frauen, wobei bei den Männern eher eine Konzentration bei den Jüngeren erkennbar ist, bei den Frauen aber leider alle Altersgruppen verstärkt betroffen sind.

Die Studie zeigt auch deutlich, daß bei gleicher Qualifikation die Frauen noch immer weniger verdienen. Es wird daraus auch ersichtlich, daß trotz gleicher Ausbildung in den obersten Einkommensgruppen viel weniger Frauen aufscheinen. Vergleicht man dies mit der Zahl der Hochschulabsolventinnen, wird man feststellen, daß in unserem System etwas nicht stimmen kann.


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Die Konsolidierung der Staatsfinanzen belastet untere Einkommen gerade auch bei Krankheit. Die Erhöhung der Rezeptgebühr und die 50 S Unkostenbeitrag für einen Krankenschein können bei unteren Einkommensgruppen zu Härten führen beziehungsweise dazu, daß Menschen, auch wenn es notwendig ist, nicht mehr zum Arzt gehen. Das heißt, auch hier ist eine soziale Ausgewogenheit nicht erkennbar.

Den Medien war gestern zu entnehmen, daß die Zahl der Krankenstände stark rückläufig ist. Vielleicht liegt das daran, daß uns heuer die Grippewelle noch nicht voll erreicht hat. Vielleicht überlegt sich der eine oder andere aber auch, ob er nicht doch in die Arbeit geht, statt einmal vielleicht einen Tag einzuschieben und zu Hause zu bleiben.

Es kann aber sehr wohl noch einen dritten Grund dafür geben, und der macht mir Angst, nämlich daß es sich manche Menschen nicht leisten können, zum Arzt zu gehen. Das klingt jetzt vielleicht sehr dramatisch. Dabei denke ich jetzt aber nicht an die chronisch Kranken, sondern es sind vor allem größere Familien, bei denen vielleicht auch einmal in kürzeren Abständen mehr Erkrankungen auftreten, sehr stark belastet.

Eine weitere Überlegung ist, inwieweit Arbeitnehmer Angst davor haben, in Krankenstand zu gehen, denn es ist in Zeiten steigender Arbeitslosigkeit immer so, daß Arbeitnehmer auch bei Krankheit, solange es möglich ist, ihren Arbeitsplatz aufsuchen. Auch die sehr wichtige regelmäßige Gesundenuntersuchung könnte so noch weniger angenommen werden als bisher. Arbeitsunfähigkeit, Invalidenpension, mehr Pflegebedarf belasten dann – vom menschlichen Aspekt abgesehen – die Finanzen des Staates in noch höherem Maße.

Auch das eingeführte Bonus-Malus-System für ältere Arbeitnehmer ging nicht in Richtung soziale Ausgewogenheit: Jetzt werden ältere Arbeitnehmer eben noch vor dem Stichtag gekündigt.

Sehr geehrter Herr Minister! Ich habe nur einige unterschiedlich gelagerte Beispiele gebracht, um meine eingangs getroffene Feststellung, daß ich die soziale Ausgewogenheit vermisse, zu untermauern. Herr Minister! Ich bitte Sie, machen Sie Ihren Einfluß in der Regierung geltend, um, basierend auf dem vorliegenden Bericht, eine Verbesserung der sozialen Lage zu erreichen.

Danken möchten ich den Damen und Herren Ihres Ressorts, die meiner Ansicht nach einen sehr genauen, gut aufgebauten und sehr klar strukturierten Bericht erstellt haben. – Danke. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

15.12

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Als nächste zu Wort gemeldet: Frau Bundesrätin Fischer. – Bitte.

15.12

Bundesrätin Aloisia Fischer (ÖVP, Salzburg): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Sehr geehrte Bundesratskollegen! Der Sozialbereich berührt die Menschen in allen Lebenslagen. Er darf nicht starr sein, sondern er muß ständig angepaßt werden.

Das Berichtsjahr 1995 war gekennzeichnet von Ausgabenkürzungen und von Beitragsmehreinnahmen. Ich darf unserer Sozialpolitik ein Lob aussprechen: Es ist gelungen, den Menschen ein dichtes soziales Netz anzubieten. Ich möchte aber doch einige Themen ansprechen, denn trotz aller Qualität sind Verbesserungen notwendig.

Wir müssen den Familien wieder mehr Bedeutung zukommen lassen. Wir brauchen Regelungen, mit denen wir Alleinerzieherinnen helfen können. Es wird meistens keine für alle beglückende Lösung geben, aber es muß möglich sein, dort zu helfen, wo es Not zu lindern gilt.


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Einen großen Teil der Berichterstattung im Sozialbericht nimmt die Arbeitslosigkeit ein. Arbeitsplatzschaffung und Arbeitsplatzsicherung sind ein vorrangiges Ziel, um vielen Menschen die psychische Belastung der Arbeitslosigkeit ersparen zu können.

Da der EU-Beitritt auch für die Landwirtschaft große Einkommenseinbußen mit sich brachte, ist es notwendig, den Arbeitsplatz Bauernhof abzusichern. Neue Schienen werden als Einkommensmöglichkeit aufgenommen, innovative Bauern haben neue Ideen. Es ist aber auch wichtig, daß der Unfallversicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung der bäuerlichen Sozialversicherung ausgeweitet wird. Es finden diesbezüglich umfangreiche Beratungen statt, aber um den bäuerlichen Familien Sicherheit zu geben, ist eine baldige Entscheidung notwendig.

Trotz aller Qualität der sozialen Absicherung ist – Sie wissen das, Herr Bundesminister – die Situation der Mutterschaftsbetriebshilfe unbefriedigend. Seit 1982 ist der Tagsatz gleich. In dieser Frage, meine ich, geht es nicht ums Können, sondern auch ums Wollen. Trotz vieler Gespräche ist es nicht gelungen, wenigstens eine Wertanpassung herbeizuführen. Ich fordere heute und hier – ich ersuche um Ihr Verständnis –, diese Wertanpassung durchzuführen. Es gibt keinen vergleichbaren Bereich, bei dem die Sätze so lange unverändert blieben. Es gibt meiner Meinung nach auch keine verständlichen Argumente dafür, warum dies nicht durchgeführt werden kann.

Große Diskussionen und auch Enttäuschungen haben die Änderungen der Anspruchsvoraussetzungen aufgrund des Strukturanpassungsgesetzes für die vorzeitige Alterspension wegen dauernder Erwerbsunfähigkeit hervorgerufen. Dies bedeutet gerade für Frauen eine große Härte. Wir konnten zwar – darüber waren wir sehr froh – Ausnahmeregelungen erreichen, aber trotz dieser Ausnahmeregelungen können nicht alle Härten beseitigt werden.

Berufsschutzregelung – auch ein Diskussionspunkt im bäuerlichen Bereich. Die Verweisbarkeit auf den allgemeinen Arbeitsmarkt: Es sind zwar im Bescheid die Möglichkeiten festgeschrieben, sie sind aber in der Praxis nicht umsetzbar. Entweder ist der Arbeitsplatz in der Nähe des Wohnortes nicht vorhanden, oder es werden gerade in Zeiten wie diesen Frauen und Männer in diesem Alter nirgends mehr eingestellt. Auch dies stellt eine große psychische Belastung für die Betroffenen dar und ist nicht erklärbar.

Ein Thema möchte ich noch anschneiden: die Anrechnung des fiktiven Ausgedinges. Wir stehen dazu, aber die Werte sind zu hoch. Aufgrund dieser Anrechnungsbedingungen bekommen die Betroffenen eine Pension in Höhe von 4 000, 5 000 oder 6 000 S. Die Enttäuschung dieser Menschen über diese Pensionshöhe nach einem arbeitsreichen Leben ist verständlich. Wir wollen nicht die Abschaffung des fiktiven Ausgedinges, aber die Anrechnung muß auf den tatsächlichen Wert zurückgeführt werden.

Bei aller Diskussion über das Sparpaket ist das Ziel, eine langfristige Absicherung unseres Sozialsystems, welches im internationalen Vergleich sehr positiv dasteht, beizubehalten. Wir haben Sorge zu tragen, daß sich auch in Zukunft jeder Österreicher und jede Österreicherin die soziale Sicherheit leisten und diese im Bedarfsfall auch in Anspruch nehmen kann. – Ich bedanke mich. (Beifall bei der ÖVP.)

15.18

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Als nächste zu Wort gemeldet: Frau Bundesrätin Kainz. – Bitte.

15.18

Bundesrätin Hedda Kainz (SPÖ, Oberösterreich): Frau Präsidentin! Herr Bundesminister! Meine Damen und Herren! Ich habe mich aus ähnlichen Überlegungen, wie sie der Herr Präsident in seiner heutigen Antrittsrede als Grund für seine Motivation zu dieser Tätigkeit angeführt hat, dazu entschlossen, hier wieder den Part der Frauen anzusprechen. Ich sage das deswegen, weil man es mit der Zeit leid ist – vorsichtig ausgedrückt –, bei seinen Zuhörern vielleicht auf Langeweile, teilweise aber auch auf Ablehnung zu stoßen.


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Meine Damen und Herren! Nichtsdestotrotz unterscheidet sich die Situation der weiblichen Bevölkerung eklatant von den durchschnittlichen Verhältnissen, die wir der Gesamtbevölkerung unterlegen. Deshalb habe ich – ich habe Sie jetzt einige Jahre damit verschont – versucht, diese Probleme aus dem Sozialbericht zusammenzufassen. Ich bitte Sie aber, zur Kenntnis zu nehmen, daß die eine oder andere Zahl, weil ich mich nicht nur auf den Sozialbericht beschränkt habe, aus anderen Materien stammt.

Ich möchte meinen Ausführungen voranstellen, daß ich in der Darstellung der Fakten mit Kollegin Moser vielleicht auf einer Linie liege, nicht jedoch mit Ihren Schlußfolgerungen. Das hat mich nämlich auch dazu gebracht, in diesem Katalog, dem ich in einer anderen Ausformung auch eine Liste von Forderungen angefügt habe, heute hier diese Forderungen wegzulassen, weil sie ganz einfach, wenn wir den Sozialbericht diskutieren, der vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales unter der politischen Verantwortung des Sozialministers erstellt wurde, an die falsche Adresse gehen würden.

Dieser Bericht hält Fakten fest, und die Begründung für diese Fakten liegt vielfach in anderen Bereichen.

Eine dieser Fakten – das möchte ich den nun folgenden Ausführungen voranschicken – ist die Frage der Vollbeschäftigung. Vollbeschäftigung ist die Grundlage für all das, was wir dann als positiv oder negativ in einem Sozialbericht vorfinden werden.

Zunächst muß im Zusammenhang mit den Frauen erwähnt werden, daß eben aufgrund gravierend veränderter Beschäftigungsstrukturen, erhöhter Qualifikationserfordernisse und natürlich aufgrund eines zunehmenden Konkurrenzdrucks vor allem die Bedingungen für die Frauen sehr "eng" werden. Der allgemeine negative Beschäftigungstrend trifft Frauen in massiver Weise. Das drückt sich auch aus in der Zahl der unselbständig Beschäftigten, die in Österreich derzeit im Sinken begriffen ist.

Im Jahr 1995 – ich quäle Sie mit diesen Zahlen, weil ich glaube, daß sie auch für jene wichtig sind, die sie selbst im Bericht gelesen haben – betrug die Anzahl der unselbständig beschäftigten Frauen rund 1,4 Millionen. Im September 1996 waren es nur mehr rund 1,3 Millionen, ein bißchen darüber, und im Oktober waren es noch einige zigtausend weniger.

Gegenteilig entwickelte sich die Zahl der Arbeitslosen: Im Jahr 1995 betrug die Anzahl der arbeitslosen Frauen etwa 95 000, im Oktober 1996 – ich erspare mir diese Zwischenberichterstattung – waren es 109 000.

Auch die Zahl der gemeldeten offenen Stellen sinkt weiter. Im Oktober dieses Jahres gab es davon nur noch 16 800.

Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern sind Frauen in Österreich grundsätzlich auch weniger ins Erwerbsleben eingebunden. Die Frauenerwerbsquote betrug 1995 im OECD-Durchschnitt 62 Prozent, in Österreich betrug sie 57 bis 58 Prozent.

Eine Schlußfolgerung daraus könnte sein, daß im Unterschied zu anderen europäischen Frauen sich die Österreicherinnen in stärkerem Ausmaß – zum Teil aus traditioneller Einstellung, zum Teil aber auch aus den bereits angeführten Drucksituationen, vor allem aus Gründen der Kinderbetreuung – längerfristig aus dem Erwerbsleben zurückziehen oder zurückziehen müssen.

Auch die allgemeinen Bedingungen in der Berufswelt – das wissen all jene, die tagtäglich mit diesen Fragen beschäftigt sind, sehr gut – sind in Österreich für Frauen noch immer deutlich schlechter als für ihre männlichen Kollegen, eben auch aufgrund der gesellschaftlichen Situation. Solange Frauen bereit sind, sich aus unterschiedlichsten Motivationen, vor allem aber aus einer traditionellen Einstellung heraus, die die Medien und unter Umständen die Gesellschaft in ihrer Gesamtheit vorgeben, diesem moralischen Druck zu beugen, alleinverantwortlich für die Versorgung ihrer Familien zu sein, so lange werden sie am Arbeitsmarkt immer schlechtere Bedingungen akzeptieren, und die Neigung, sich dagegen aufzulehnen, wird geringer sein.


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Damit wird aber auch ihre Vertretung – das wissen wir als Gewerkschaftsfunktionärinnen sehr gut – schwieriger.

Charakteristisch für Frauen am Arbeitsmarkt ist ein zunehmender Trend zur Teilzeitbeschäftigung. Trotz der damit üblicherweise zusammenhängenden geringeren Bezahlung erhöhte sich die Zahl der teilzeitbeschäftigten Frauen in den letzten zehn Jahren – andere Zahlen sind mir in diesem Bereich nicht zur Verfügung gestanden – von 154 000 im Jahr 1982 auf 227 000 im Jahr 1992. Das ist zugegebenermaßen nicht mehr aktuell, wir wissen jedoch, was sich in der Zwischenzeit auf dem Arbeitsmarkt alles abgespielt hat; ich darf hier beispielsweise nur an die Frage des Ladenschlusses erinnern. Dieser Trend setzt sich aber nicht nur fort, sondern er wird sogar noch gravierend verstärkt.

Die Teilzeitquote der verheirateten Frauen war mit 30 Prozent am höchsten – was an sich logisch ist, denn dort ist das eine Möglichkeit des Dazuverdienens. Bei jenen Frauen, die für sich selbst sorgen müssen, also bei ledigen Frauen, lag die Teilzeitquote nur mehr bei 5 Prozent, weil diese Frauen darauf angewiesen sind, ihre Existenz von ihrem Einkommen zu bestreiten.

Die Doppel- und Dreifachbelastung von verheirateten Frauen und die ungleiche Aufteilung von Hausarbeit, die uns heute noch beschäftigen wird, führen dazu, daß Frauen vermehrt Teilzeitarbeit annehmen. Bei Frauen mit zwei Kindern unter 15 Jahren beträgt die Teilzeitquote 34 Prozent. Bei jenen Frauen, die keine Kinder unter 15 Jahren haben, sind es nur 15 Prozent.

Fast 80 Prozent aller teilzeitbeschäftigten Frauen arbeiten im Dienstleistungssektor, also einem Bereich, der gute Nerven erfordert, arbeitsintensiv ist, in dem aber die Bezahlung – das ist uns auch nicht unbekannt – nur bedingt die Finanzierung einer eigenen Existenz zuläßt.

Zwei Drittel der Teilzeitbeschäftigten sind darüber hinaus als Hilfsarbeiterinnen und angelernte Arbeiterinnen sowie als Angestellte mit Hilfs- oder angelernten Tätigkeiten eingesetzt.

Die Problematik liegt, wie schon gesagt, einerseits in der schlechten Bezahlung und der ökonomischen Abhängigkeit, die traditionelle Verhaltensweisen bei den Frauen weiterhin verstärkt, und andererseits in den nicht vorhandenen Karrierechancen. Karriere ist ein Wort, das eine Frau beinahe nicht mehr in den Mund nehmen kann, weil es im derzeit so stark forcierten Weltbild nicht positiv besetzt ist.

Frauen, die Teilzeitarbeit leisten, sind einem erhöhten Leistungsdruck ausgesetzt und leiden auch unter dem Image der ewigen Dazuverdienerin und der mangelnden Akzeptanz ihrer eigenständigen Berufstätigkeit.

Teilzeitbeschäftigung wird allzu gerne als Lösung zum Abbau von Arbeitslosigkeit propagiert. Eine solche Aussage kann meines Erachtens nur mutwillig erfolgen. Wenn man die Situation seriös hinterfrägt, weiß man genau – die Zahlen beweisen es ja –, daß ein Großteil der Frauen auf die Deckung des Lebensunterhaltes angewiesen ist und Teilzeitarbeit bestenfalls ein kleines und meistens auch da nicht ausreichendes Zubrot sein kann.

Eine weitere Frage, die gerade im Bereich der Frauenberufstätigkeit eine große Rolle spielt und deren Auswirkungen drastisch zunehmen, ist die Frage der geringfügig Beschäftigten. Zu Ihrer Erinnerung: Geringfügig Beschäftigte verdienen monatlich höchstens 3 600 S, sie sind nicht kranken-, nicht pensions- und arbeitslosenversichert. Das bedeutet: kein Wochengeld, kein Karenzurlaubsgeld, kein Arbeitslosengeld, kein Erwerb von Pensionsversicherungszeiten und – falls keine Mitversicherung bei einem Partner besteht – weder eine medizinische noch finanzielle Unterstützung im Krankheitsfall. Das sei in diesem Zusammenhang als Faktum festgestellt.

Einige Zahlen dazu. – Der Trend ist hier auch steigend: Im März 1994 waren 70 000 Frauen geringfügig beschäftigt, während es bei den Männern nur 25 000 waren. Im Mai 1996 waren es bereits 105 000 Frauen, und im September des vergangenen Jahres waren es bereits 108 000 Frauen, die unter diesen Bedingungen arbeiten.


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Die Gesamtzahl hat gegenüber 1995 um 7 Prozent zugenommen. Demgegenüber ist ein Rückgang der Anzahl der vollversicherten Beschäftigten um 27 000 zu verzeichnen, und die Anzahl der geringfügig Beschäftigten in absoluten Zahlen stieg um 10 000.

Bereits 15 Prozent der Beschäftigungsverhältnisse bei Arbeiterinnen sind geringfügig. Bei den weiblichen Angestellten ist die Situation etwas besser, da sind es nur 4 Prozent. Im nächsten Jahr werden wir allerdings auch hier eine andere Berichterstattung mit höheren Zahlen vornehmen müssen, weil sich, wie gesagt, die Ladenöffnungszeiten und die damit verbundenen Beschäftigungsverhältnisse – entweder Teilzeit oder geringfügig – massiv auswirken werden.

Ein gravierender Umstand in diesem Zusammenhang: Die Hälfte aller geringfügig Beschäftigten ist nur geringfügig beschäftigt, hat also ein Einkommen in Höhe von 3 600 S. Ich möchte mich hier wirklich jeder gesellschaftspolitischen Bewertung enthalten, es ist ein Faktum. Während es sich beim Großteil der männlichen geringfügig Beschäftigten um Personen handelt – es sind vorwiegend Studenten oder Pensionisten –, für die das wirklich ein Zubrot ist, handelt es sich bei den Frauen vielfach um Wiedereinsteigerinnen. Das wird auch durch die Tatsache untermauert, daß der stärkste Anstieg im Bereich der geringfügig Beschäftigten ungefähr um das 30. Lebensjahr erfolgt.

Ich habe jetzt von "Wiedereinsteigerinnen" gesprochen, und auch das ist ein weiteres typisch frauenspezifisches Problem auf dem Arbeitsmarkt. Die Gefahr für den Arbeitsplatz besteht darin, daß eine Berufsunterbrechung – bei Frauen eben meistens die Babypause, also die Zeit nach dem Karenzurlaub – dann meistens zu einem Urlaub auf Lebenszeit wird, denn rund 30 Prozent aller Frauen, die ihre Erwerbstätigkeit aus diesen Gründen unterbrochen haben, fassen auf dem Arbeitsmarkt nicht mehr Fuß.

Das ist durchaus verständlich – damit Sie mir nicht unterstellen, ich hätte überhaupt kein Verständnis für Arbeitgeber; wir kennen die Probleme, ich gebe auch zu, daß ich mit einem langjährigen Karenzurlaub nie sehr glücklich war –, denn die rasante technische Entwicklung und die Veränderungen der Arbeitsmittel und -organisation machen es Arbeitnehmerinnen natürlich immer schwieriger, auf dem laufenden zu bleiben, und ich glaube, es ist richtig, hier Überlegungen anzustellen – im Bereich der ÖGB-Frauen tun wir das –, wie wir diese Pause inhaltlich besser überbrücken können.

Es führt diese Tatsache also nicht nur zu einem Karriereknick, zu einem Knick im finanziellen Berufsverlauf. Nach meinen eigenen Berechnungen – ich stelle diese Behauptung auf – erlebt eine Frau durch den Karenzurlaub eine finanzielle Unterbrechung, die einem Stillstand von fünf Jahren entspricht.

Es ist auch das Verständnis der Arbeitgeber für den Wiedereinstieg nicht immer vorhanden. Ich gebe aber durchaus zu, daß es problematisch ist, wenn man für zwei Jahre einen Ersatz eingestellt hat, mit diesem Ersatz zufrieden ist und dann wieder eine Änderung herbeiführen soll.

Wichtig ist es – ich habe gesagt, ich werde keine Forderungen aufstellen, und auch diese Forderung ist nicht an den Sozialminister zu richten, sondern an die Sozialpartner, wobei die Gesetzgebung dann durchaus die Finalisierung vorzunehmen hat –, die vier Wochen Kündigungsschutz nach dem Karenzurlaub auszudehnen, weil die 26 Wochen, die wir fordern, die Voraussetzung dafür bedeuten würden, einerseits wieder Anschluß an die vorher ausgeübte Tätigkeit zu finden oder andererseits im schlimmsten Fall, wenn das nicht mehr möglich ist, mit 26 Wochen einen weiteren Anspruch auf Arbeitslosenunterstützung zu erwerben.

Wiedereinsteigerinnen haben aber auch, wie uns allen bekannt ist, mit den fehlenden Kinderbetreuungseinrichtungen zu kämpfen, und dort, wo sie in ausreichender Zahl vorhanden sind, sind sie nicht immer bedarfsgerecht. Ich glaube daher, es ist gemeinsam mit den Trägern dieser Einrichtungen nach einer weiteren Finanzierungsmöglichkeit zu suchen. Es kann bei den derzeitigen Beträgen ganz einfach nicht bleiben.


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Die Hälfte aller erwerbstätigen Frauen in Österreich hat Kinder unter 15 Jahren zu versorgen, und bei den Alleinerzieherinnen ist diese Situation natürlich ganz prekär, wenn man davon ausgeht, daß deren Anzahl 115 000 beträgt.

Kinderbetreuungseinrichtungen sind also eine Grundvoraussetzung, um die Situation für die Frauen auf dem Arbeitsmarkt und in der Arbeitswelt zu verbessern. Übrigens: Nur 18 Prozent dieser Alleinerzieherinnen sind teilzeitbeschäftigt. Daraus resultiert auch, daß es richtig ist, zu behaupten, daß gerade für Alleinerzieherinnen die Abhängigkeit von Kinderbetreuungseinrichtungen eine ganz besondere ist.

Noch eine Zahl, die Sie vielleicht auch kennen: Der Europavergleich bei Kinderkrippen – also die Versorgung von Kindern unter drei Jahren – fällt für Österreich nicht gerade sehr positiv aus. Dänemark ist mit 48 Prozent versorgt und – um nur eine Zwischenzahl zu nennen – in Italien und Spanien, beides Länder, in denen man eigentlich eine konservative Einstellung zur Frau voraussetzen könnte, sind es immerhin 5 Prozent, während es in Österreich nur 2,4 Prozent sind. Noch dazu ist auch die regionale Verteilung dieser Möglichkeiten eine sehr problematische, weil es, wenn vorhanden, Kleinkinderbetreuungseinrichtungen eher im städtischen Bereich gibt. Im ländlichen Bereich sind Frauen nach wie vor fast ausschließlich auf die Hilfe der Familie angewiesen.

Eine ähnliche Situation haben wir auch bei den Kindergärten: Frankreich 95 Prozent, Italien 85 Prozent – ich schenke mir diese lange Liste –, in Österreich sind es 61 Prozent. Es ist die Situation hier sicher besser, aber auch nicht ausreichend. Wir sind also ein – wenn Sie so wollen – Schlußlicht in der Reihe der europäischen Versorgung, und ich hoffe, daß es uns gelingt – nicht nur dem Sozialminister allein –, gemeinsam diese Aufgaben zu bewältigen.

Ich habe schon darauf hingewiesen, daß die 26 Wochen Behaltefrist ein ganz wesentlicher Umstand für den Wiedereinstieg sind. Diese Bereitschaft muß jedoch die Wirtschaft an den Tag legen, denn die Wirtschaft kann nicht einerseits ihre Bedürfnisse in den Vordergrund stellen, und die Erfüllung dieser Bedürfnisse hat dann die öffentliche Hand über den Gesetzgeber zu erledigen. So, meine Damen und Herren, wird die Geschichte nicht funktionieren. Ich denke, wir müssen als Politiker ehrlich genug sein, unsere Kräfte auch dort wirksam werden zu lassen, wo wir als Mandatare nicht unmittelbar gefordert sind. Sozialpartner werden zwar immer ein bißchen als die Verhinderer positiver Regelungen im Parlament angesehen, aber dort entsteht das, worauf dann der politische Mandatar aufbauen und seine gesetzgebende Stimme erheben kann.

Ein weiteres Problemfeld für Frauen auf dem Arbeitsmarkt entsteht durch das zugegebenermaßen noch immer merkliche Nachhinken der Frauen bei ihrer Ausbildung. Obwohl das Bildungsniveau in den letzten 20 Jahren enorm gestiegen ist, konnte das Defizit bis dato nicht wirklich beseitigt werden.

In Österreich hat sich der Anteil der Frauen, die keine über die Pflichtschule hinausgehende Ausbildung haben, von 73 auf 51 Prozent verringert. Trotzdem hat in Österreich noch immer ein Viertel der 20- bis 25jährigen Frauen lediglich Pflichtschulausbildung. Im Durchschnitt der OECD-Länder sind das nur 9 Prozent. Ich denke, daß bereits im Bereich der Lehrausbildung – auch mit Überwinden traditioneller Vorstellungen – ein wichtiger Ansatz liegt, eine Grundlage für eine bessere Situation für Frauen in der Arbeitswelt zu schaffen, da es eben um die Fragen der Ausbildung geht.

Der Anteil der arbeitslos gemeldeten Frauen, die keinen oder nur einen Pflichtschulabschluß haben – hier habe ich nur eine Wiener Zahl – liegt in Wien bei 50 Prozent. Ich denke, daß das doch ein Umstand ist, dem besonderes Augenmerk zu schenken ist. Und wieder sei darauf hingewiesen, daß das auch eine Aufgabe der Wirtschaft ist, denn Lehrlingsausbildung zu forcieren, qualitativ hochstehende Lehrlingsausbildung zu forcieren, ist Aufgabe der Wirtschaft, wobei die Unterstützung durch die öffentliche Hand zum Teil bereits vorhanden ist und alles darangesetzt wird, sie auch zu geben. Ich erinnere nur etwa daran, daß man bezüglich der Sozialversicherungsbeiträge bei Lehrlingen Erleichterungen schaffen will, daß es Ausbildungs


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beihilfen geben soll, aber der Ausgleich in Form eines Berufsausbildungsfonds ist sicher absolut notwendig.

Ich habe auch schon darauf hingewiesen, daß neben der geringen Ausbildung der Frauen auch der traditionelle Verlauf dieser Ausbildung ein ganz gravierendes Hemmnis ist. Es ist noch immer so, daß sich der Großteil der Frauen auf drei Lehrberufe – nämlich Einzelhandel, Büro und Friseurin – beschränkt. Ich möchte diese Berufsgruppen keinesfalls abwerten, aber wir wissen, daß es dort schlechte Arbeitsbedingungen gibt und die Bezahlung auch nicht so ist, daß eine Existenz damit bestreitbar ist. Aufstiegschancen gibt es in diesen Bereichen keine. Flexibel sind sie vielleicht, das mag schon stimmen.

Eine ähnliche Situation finden wir auch im Bereich der qualifizierten Ausbildung vor, denn auch im Bereich der universitären Ausbildung gibt es geschlechtsspezifische Konzentrationen, und trotz der steigenden Zahlen weiblicher Studierender konzentrieren sich Frauen noch immer auf die humanwissenschaftlichen Zweige und sind in der technischen Ausbildung kaum anzutreffen.

In Handelsschulen ist der Frauenanteil noch immer, über Jahre hinweg, doppelt so hoch wie jener der Männer, in technischen und gewerblichen Schulen stehen nur rund 9 000 Frauen 36 000 Burschen gegenüber.

Ich habe schon gesagt, daß in diesem Zusammenhang die Schaffung eines Berufsausbildungsfonds die Situation hilfreich beeinflussen kann, vor allem ist aber auch die Beratung und Förderung junger Frauen in die Richtung, nichttraditionelle Berufe zu ergreifen, sehr wichtig.

Ich bitte um Verständnis, daß ich heute doch ein bißchen Ansprüche an Ihre Zeit stellen muß, aber ich denke, daß es, davon ausgehend, daß 53 Prozent der Bevölkerung Frauen sind, gerechtfertigt ist, dieses Ansinnen zu stellen. Ich werde mich jedoch jetzt kurz halten, weil über Einkommen immer wieder diskutiert wird und dieses Thema auch im Bericht sehr ausführlich behandelt wird.

Zum Thema Einkommen nur einige Bereiche: Zunächst der grundsätzliche Hinweis darauf, daß es, teilzeitbereinigt, noch immer so ist, daß Frauen ein Drittel weniger als Männer verdienen.

Zum Thema Mindesteinkommen unter 12 000 S auf der Grundlage der Zahlen von 1994: Es gab im Jahr 1994 195 000 Frauen, die weniger als 12 000 S verdienten, und es sind im Jahr 1995 erfreulicherweise etwas weniger, nämlich 160 000. Hier können wir mit Stolz sagen – auch wenn die Zahlen noch nicht unseren Vorstellungen entsprechen –, daß bei den Kollektivvertragsabschlüssen doch die Politik der Mindestlöhne zum Tragen kommt. In der Gesamtheit sind es im Jahr 1995 aber noch immer 240 000 Menschen in Österreich – davon 160 000 Frauen –, die mit weniger als 12 000 S brutto auskommen müssen.

Dem sei jene Zahl der Beschäftigten gegenübergestellt, die über der Höchstbemessungsgrundlage verdienen. Da schaut die Situation dann umgekehrt aus. Es sind 7,2 Prozent der unselbständig Beschäftigten, die über der Höchstbemessungsgrundlage – berechnet mit 37 800 S – liegen, und zwar 36 000 Frauen und 191 000 Männer. (Bundesrat DDr. Königshofer: Das ist die Bilanz von 26 Jahren SPÖ!)

Sie hätten sicher in diesen Jahren auch Gelegenheit dazu gehabt. Ich möchte mir jetzt wirklich jede subjektive und wahrscheinlich nicht sehr faire Bemerkung verkneifen, denn Ihre Arbeit für Arbeitnehmer hat sich nach meiner Einschätzung auf zugegeben plakative Forderungen beschränkt, aber in der Praxis haben wir von Ihren Arbeitnehmervertretungen noch nie etwas gespürt. (Beifall bei der SPÖ. – Neuerlicher Zwischenruf des Bundesrates DDr. Königshofer. – Bundesrat Dr. Rockenschaub: Sie haben es uns ja verboten!)

Nun zum – unter Anführungszeichen – "Einkommen" der Arbeitslosen. Die mittlere Höhe des Arbeitslosengeldbezuges einschließlich Familienzuschlägen liegt für 1995 für Frauen bei 7 500 S, für Männer bei rund 10 000 S. Ich möchte diese Zahlen ganz einfach so im Raum stehen lassen, denn es bleibt jedem selbst überlassen, zu beurteilen, wie man mit solchen


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Beträgen leben kann. Die mittlere Notstandshilfe betrug für Frauen 6 100 S und für Männer 8 000 S.

All das sind Zahlen, die sehr stark untermauern, wie der Sozialschmarotzer in Österreich herrlich und in Freuden leben kann. Es ist dies eine Diskussion, die bei mir wirklich Unmut und manchmal heiligen Zorn hervorruft, weil ich es absolut nicht verstehen kann, wie man mit solcher Präpotenz von solchen Lebensbedingungen sprechen und dann noch böswillige Motive unterstellen kann.

Die Benachteiligung der Frauen setzt sich leider – an und für sich logisch, da durch die Einkommen bedingt – bei den Pensionen fort: Frauen haben als durchschnittliche Alterspension 7 900 S im Gegensatz zu 14 000 S bei Männern, Invaliditätspensionen im Bereich der Arbeiterinnen betragen 5 500 S im Vergleich zu 10 000 S bei den Männern. Pensionen wegen geminderter Arbeitsfähigkeit machen bei den Frauen im Durchschnitt 6 200 S aus, bei Männern 11 200 S.

Meine Damen und Herren! Ich habe schon gesagt, ich habe jetzt von meinem Konzept die letzte Seite weggenommen, weil ich es für unfair und falsch halten würde, hier Forderungen im Zusammenhang mit dem Bericht des Sozialministeriums anzubringen, die überwiegend an andere Verhandlungspartner zu richten sind.

Ich denke, daß der Bericht über die soziale Lage 1995 eine ganze Reihe von positiven Entwicklungen beinhaltet. Wir wissen, daß uns das Sparpaket Belastungen auferlegt hat; ich bekenne mich auch durchaus dazu, daß diese Belastungen für die Frauen stärker ausgefallen sind als für andere Bevölkerungsgruppen und bei den Frauen vor allem für Alleinerzieherinnen. Das wegzuleugnen, wäre falsch. Nur – darauf lege ich großen Wert –: Der Ansatz zur Veränderung dieser Dinge hat anderswo zu erfolgen, und – ich kehre zurück an den Beginn meiner Ausführungen – in erster Linie ist das das Wiedererreichen der Vollbeschäftigung.

Ich darf mich sowohl bei jenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Ministeriums, die für die Erarbeitung dieses Berichtes in der technischen Ausformung verantwortlich waren, als auch bei all jenen – vor allem beim Herrn Minister –, die politisch an der Erstellung dieses Berichtes beteiligt waren, bedanken, auch wenn uns die Ergebnisse nicht in jedem Bereich befriedigen. (Beifall bei der SPÖ.)

15.48

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Als nächster zu Wort gemeldet: Herr Bundesrat Weilharter. – Bitte.

15.48

Bundesrat Engelbert Weilharter (Freiheitliche, Steiermark): Frau Vizepräsidentin! Herr Bundesminister! Meine Damen und Herren! Meine Vorrednerin, Frau Kollegin Kainz, hat in vielen Bereichen sehr treffend und, ich glaube, richtig die Situation der Frauen beschrieben, und zwar so, wie sie zum Teil auch im Bericht dargestellt sind. Ich hoffe nur, Frau Kollegin, daß Sie Ihren Ausführungen auch im Stimmverhalten folgen, das heißt, daß Sie diese soziale Situation nicht zur Kenntnis nehmen und mit uns – das sage ich vorweg – den Bericht beeinspruchen werden. (Bundesrätin Kainz: Nicht im Stimmverhalten, sondern im Arbeitsverhalten! Dort, wo es hingehört! – Bundesrat Dr. Tremmel: Das Stimmverhalten gehört auch zum Arbeitsverhalten!)

Meine Damen und Herren! Die Arbeitsmarktlage war alles eher als erfreulich, und selbst der Bericht spricht davon, daß die Erwerbsquote der Unselbständigen um 0,4 Prozent zurückgegangen ist. Wenn es sich, wie im Bericht dargestellt, in absoluten Zahlen "nur" – unter Anführungszeichen – um 3 000 Personen handelt, so ist aber die Tatsache, daß im Laufe des Jahres 1995 an die 700 000 Personen von der Arbeitslosigkeit betroffen waren, mehr als besorgniserregend. Gerade diese Unsicherheit um den Arbeitsplatz ist die tatsächliche Dramatik der Arbeitnehmer und beweist einmal mehr, daß die sozialistischen Arbeitsplatzgarantien, wie sie in vielen Bereichen ausgesprochen wurden, nicht einmal das Papier wert sind, auf dem sie stehen.


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Meine Damen und Herren! Beispiele dafür gibt es genug. Ich nenne nur ein paar, etwa innerhalb der Verstaatlichten, aber auch beim "Konsum", um nur zwei zu nennen.

Hohes Haus! Meine Damen und Herren! Daß die Arbeitslosenrate, die im Berichtszeitraum laut Regierungsstatistik mit 7 Prozent bezeichnet wird, um 3 Prozent über den EU-Kriterien lag, beweist einmal mehr den Wert der Arbeitsmarktpolitik dieser Regierung als Gesamtes. Auf 7 Prozent kommt man in der Regierungsstatistik deshalb, weil in diese Statistik all jene Personen, die noch nie im Arbeitsmarkt integriert waren, nicht eingerechnet sind. Das heißt, Schulabgänger oder Personen, die noch keine Arbeit gefunden haben, werden als Arbeitslose nicht mitgezählt. Die effektive und absolute Zahl ist daher sicherlich wesentlich höher.

Meine Damen und Herren! Die jüngste Statistik über die Arbeitslosenrate von seiten des Ministeriums spricht von 7 Prozent, Faktum ist aber, daß seit 1991 die Arbeitslosenrate in Österreich permanent nach oben geht. So sind wir 1991 von 5,8 Prozent ausgegangen, sind jetzt laut Regierungsstatistik bei 7 Prozent, was in absoluten Zahlen eine Steigerung von 185 000 auf 231 000 Arbeitslose bedeutet.

Der zweite negative Aspekt dieser politischen Entwicklung ist aber, daß sich analog zu dieser negativen Entwicklung des Arbeitsmarktes die Insolvenzrate permanent erhöht hat. So schreibt eine steirische Zeitung am 14. Jänner dieses Jahres: "Fast 400 Pleiten in der Steiermark. Negativrekord bei den Insolvenzen. Pleitefirmen hinterließen 3,3 Milliarden Schilling Schulden."

Weiter heißt es unter dem Titel "Pleiten" – ich zitiere –: "Österreichweit 5 700 Pleiten. Die Zahl der Firmenpleiten erreichte 1996 laut Kreditschutzverband von 1870 mit 5 700 einen neuen Rekordwert. Hiezu kommen noch 1 250 Privatkonkurse." – Das ist die Bilanz, das Ergebnis Ihrer Sozialpolitik.

Meine Damen und Herren! Ein weiterer Punkt, der in diesem Bericht nur am Rande erwähnt wird, der aber letztlich für die Zukunft besorgniserregend ist, ist der gesamte Bereich des Pflege- und Gesundheitssystems. Allein die Absicht und das Ansinnen der Regierung, daß es unter dem Titel der "Steuerharmonisierung" zu einer Umstellung kommen soll, bedeutet für die Länder und vor allem für die Träger wie Gemeinden eine Reihe von Mehrkosten. Allein die Umstellung dieses Steuersystems von echter auf unechte Umsatzsteuerbefreiung – von der Regierung als Harmonisierung bezeichnet – ist ein schwerwiegender Eingriff in das Gesundheits- und Sozialversicherungssystem.

Meine Damen und Herren! Daß von seiten der Regierung die Absicht besteht, den Mehraufwand durch diese Umstellung in Form von Beihilfen abzugelten, stellt nichts anderes dar und schafft nichts anderes als lediglich eine andere Form von Abhängigkeiten. Die Sozialversicherungsträger, die Länder und Gemeinden sind damit in neuer Form wieder von der Regierung abhängig, und dies, meine Damen und Herren, läßt sich schon allein aufgrund der Begriffsänderung dokumentieren. Die Begriffsänderung von "Vorsteuer" auf "Beihilfe" bestätigt diese Aussage einmal mehr.

Meine Damen und Herren! Es mutet beinahe makaber an, wenn man weiß, daß die Kontrolle dieser Beihilfen und die Überprüfung des Beihilfenanspruchs in Hinkunft durch den Beihilfengeber erfolgen soll. Hier, meine Damen und Herren, kontrolliert der zu Kontrollierende sich selbst. Ein eigenartiges System! Dies, meine Damen und Herren, stellt nicht nur eine eigenartige Form der Kontrolle dar, sondern für diese Art und Weise der Kontrolle von Beihilfenberechtigten werden wir uns als freiheitliche Fraktion nicht hergeben.

Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich abschließend folgendes festhalten: Aufgrund der Tatsache, daß es sich bei diesem Bericht in vielen Bereichen eigentlich um eine Darstellung handelt, die positiver ist als die Fakten – wie etwa die von mir zitierten tatsächlichen Zahlen der Arbeitslosen –, aufgrund dieser schönfärberischen Darstellung werden wir als freiheitliche Fraktion unsere Zustimmung verweigern und diesen Bericht beeinspruchen.


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Wenn Frau Kollegin Kainz – sie ist nicht im Raum, aber ich habe es eingangs erwähnt –, wie ich hoffe, die soziale Situation der Frauen ein so wichtiges Anliegen ist, dann sollte sie unserem Beispiel folgen. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

15.55

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Frau Kollegin Lukasser! Sie wären die nächste. Ich frage Sie aber, da in 5 Minuten die Dringliche aufgerufen werden muß: Wollen Sie noch beginnen oder würden Sie dann nach Beendigung der dringlichen Anfrage das Wort nehmen wollen? (Bundesrätin Lukasser: Ich würde gerne nachher das Wort ergreifen!) Bitte.

Dann unterbrechen wir jetzt die Sitzung bis 16 Uhr.

(Die Sitzung wird um 15.56 Uhr unterbrochen und um 16.04 Uhr wiederaufgenommen. )

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Ich nehme die unterbrochene Sitzung wieder auf.

Dringliche Anfrage

der Bundesräte Dr. Susanne Riess-Passer, Helga Moser, Monika Mühlwerth und Kollegen an die Bundesministerin für Frauenangelegenheiten betreffend die Effizienz eines Frauenministeriums angesichts ständig steigender Belastungen für die österreichischen Frauen und einer anwachsenden Frauenarmut sowie die Akzeptanz der Frauenministerin innerhalb der Regierung (1242/J-BR/97)

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Wir gelangen nunmehr zur Verhandlung über die dringliche Anfrage der Bundesräte Dr. Riess-Passer, Moser, Mühlwerth und Kollegen an die Bundesministerin für Frauenangelegenheiten.

Die Anfrage ist inzwischen allen Bundesräten zugegangen. Es erübrigt sich eine Verlesung durch die Schriftführung.

Ich erteile Frau Bundesrätin Dr. Riess-Passer als erster Anfragestellerin zur Begründung der Anfrage das Wort. – Bitte, Frau Doktor.

16.05

Bundesrätin Dr. Susanne Riess-Passer (Freiheitliche, Wien): Danke, Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Bundesministerin! Hohes Haus! Ich nehme an, ich gehe recht in der Annahme, Frau Bundesministerin, wenn ich sage, daß Sie mit Ausnahme eines kurzen optischen Auftrittes heute zum ersten Mal im Bundesrat sind. (Bundesministerin Dr. Konrad: Nein, das ist falsch!) Ich glaube, ich spreche im Namen aller Kollegen, wenn ich sage, daß wir durchaus Interesse daran haben, Sie öfter hier zu sehen, vor allem deshalb, weil es zahlreiche Angelegenheiten gibt, die für Frauen von Relevanz sind, über die Sie sich äußern sollten und die ganz entscheidend auch die Länder betreffen. Ich nenne als Beispiel nur die Frage der Kinderbetreuungseinrichtungen und die Regionalisierung der Gleichbehandlungseinrichtungen.

Die Länder sind natürlich auch betroffen, wenn in diesen und anderen relevanten Frauenfragen nichts weitergeht. Das ist auch der Grund für diese dringliche Anfrage, die wir heute an Sie stellen, die eine meiner Vorrednerinnen, Frau Kollegin Kainz, im Zuge der Debatte über den Sozialbericht auch schon sehr gut begründet hat, indem sie die Situation der österreichischen Frauen und der zunehmenden Frauenarmut in diesem Land sehr ausführlich hier dargestellt hat.

Sie sind inzwischen, Frau Ministerin, seit fast zwei Jahren im Amt, und da ist es schon an der Zeit, auch einmal eine Bilanz zu ziehen und zu fragen: Was haben Sie in dieser Zeit, in diesen fast zwei Jahren für die österreichischen Frauen erreicht? Welche Meilensteine haben Sie in Ihrer Tätigkeit als Frauenministerin in dieser Zeit gesetzt? Wie hat sich die Situation der Frauen in diesen zwei Jahren verbessert oder verschlechtert, und welche Ihrer selbst gesteckten Ziele haben Sie in dieser Zeit erreicht? Mit einem Wort: Haben Sie in diesen zwei Jahren in Ihrer Funktion als Frauenministerin gute Arbeit geleistet? Die Antwort will gar nicht ich Ihnen geben,


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sondern die Antwort haben Sie eigentlich von Ihren Parteifreundinnen oder Genossinnen bekommen. Die Antwort bekommen Sie auch von Ihrer eigenen Amtsvorgängerin und Ehrenvorsitzenden der SPÖ-Frauen, Johanna Dohnal. Sie gibt Ihnen diese Antwort, und zwar in Form eines Volksbegehrens gegen Sie und gegen Ihre Politik oder – eigentlich müßte man sagen – Ihre Nicht-Politik.

Ich weiß nicht, Frau Ministerin, was Sie bewogen hat, die Idee aufzugreifen, dieses Volksbegehren, das in erster Linie gegen Sie und Ihre Tätigkeit gerichtet ist, von dem Sie im voraus nicht informiert waren, von dessen Inhalt Sie nicht vorab in Kenntnis gesetzt wurden und zu dessen Erarbeitung oder Mitbearbeitung Sie nicht einmal eingeladen wurden, zu unterstützen. Das ist so, als ob Kreisky die Volksabstimmung gegen Zwentendorf durchgeführt hätte oder Sinowatz in Hainburg demonstriert hätte oder sich der frühere Verkehrsminister Klima mit den Transitgegnern auf die Straße gesetzt hätte, um gegen seinen eigenen Transitvertrag zu protestieren. Das ist ein gewisser Hang zum politischen Masochismus, der sich auch darin ausdrückt, daß Sie auf die Straße gehen und gegen ein Sparpaket demonstrieren, das Sie selbst mitbeschlossen haben.

Ich sage das deshalb so drastisch, weil diese Ihre Vorgangsweise nicht akzeptabel ist, und zwar angesichts der Tatsache, daß Sie dieses Belastungspaket, das vor allem die Frauen in Österreich ganz massiv betroffen hat, Studentinnen wie Pensionistinnen, Berufstätige wie Hausfrauen, Alleinerzieherinnen wie Ehefrauen, arbeitslose Frauen wie Witwen, ebenso Frauen, die behinderte, alte oder kranke Angehörige zu pflegen haben, verhindern hätten können, und zwar durch Ihr Veto im Ministerrat. Sie sind Mitglied der Bundesregierung. Sie sitzen an den Schalthebeln der Macht. Sie haben nicht nur die Möglichkeit, sondern auch die Pflicht, Einspruch zu erheben, wenn die berechtigten Interessen der Frauen in der Regierung vom Tisch gewischt werden und wenn die Belastungen für Frauen so groß sind, daß ihre Existenzgrundlagen gefährdet sind. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Sie haben aber nicht das Recht, Frau Ministerin, in der Regierung zu schweigen, in den Medien zu jammern und auf der Straße zu demonstrieren. Sie dürfen sich dann auch nicht wundern, wenn Sie sogar in SPÖ-eigenen Veranstaltungen für diese Ihre Vorgangsweise ausgebuht werden.

Es ist dies auch, Frau Bundesministerin, kein Problem Ihrer mangelnden Kompetenz, die man Ihnen einräumt, weil Sie eben dieses entscheidende Machtinstrument des Einspruchs im Ministerrat haben. Kompetenz ist auch nicht etwas, was man nur zugeteilt bekommt, sondern Kompetenz muß man sich auch schaffen. Ich zitiere hier nur einen inzwischen schon sehr bekanntgewordenen und von Ihnen nie widersprochenen Artikel aus dem "Kurier", in dem es um die Regierungsklausur am Tulbingerkogel gegangen ist. Da heißt es: "Von der Regierungsklausur vergangenen Dienstag am Tulbingerkogel wird folgende Episode kolportiert: Die Regierung rang stundenlang um wichtige Vorhaben, unter anderem um die Aufhebung des Nachtarbeitverbots für Frauen. Die hierauf angesprochene Frauenministerin trug keinen Pieps zur Debatte bei. Plötzlich meldete sich die Grazerin unvermittelt zu Wort und sagte gedrechselt: ,Wir müssen im Westen eine Gleichbehandlungsbeauftragte installieren.’ Der für Personalia zuständige Kanzler Franz Vranitzky fragte irritiert: ,Hast du Unterlagen mit? Was würde das kosten?’ Konrad, aufgeregt – so heißt es hier –: ,Nein. Aber das wäre ja so wichtig und so schön ...’ Vranitzky: ,Beruhige dich doch, Helga ...’ Konrad, zusehends aufgeregter: ,Das ist ja mit den ÖVP-Frauen ausgemacht.’ Vranitzky, leicht genervt: ,Die sitzen aber nicht in der Regierung.’ Gelächter der Kollegen. Konrad, weinerlich" – so schreibt der "Kurier" –: ",Aber mit wem soll ich denn sonst reden? Ich habe ja niemanden, mit dem ich reden kann.’ Eine peinlich berührte Ministerrunde versuchte, sie zu beruhigen. Schließlich brummte der Kanzler, die Frauenministerin solle die Kosten berechnen und dem Ministerrat Bericht erstatten. Danach verfiel Konrad wieder in Schweigen."

Das, meine sehr geehrte Frau Ministerin, geht nicht: In der Regierung schweigen und in den Medien ankündigen. An Ankündigungen fehlt es in Ihrer Amtszeit nicht – angefangen bei der Kindergartenmilliarde über die Regionalisierung der Gleichbehandlungsanwaltschaften, über


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eine eigenständige Pensionsabsicherung für Frauen, über Verbesserungen für Frauen, die durch die Scheidung in eine schwierige Situation gekommen sind, und so weiter und so fort.

Als Ergebnis möchte ich nur aus einem Ihrer jüngsten Interviews zitieren, bei dem Sie gesagt haben: "Wir können nicht feststellen, daß sich für Frauen etwas massiv verbessert hat." – Wir, Frau Ministerin, können das auch nicht feststellen.

Es ist auch bezeichnend, wenn Sie beklagen – auch hier zitiere ich Sie wörtlich –, "wie mühsam die Frauen innerhalb der SPÖ um Gleichberechtigung kämpfen müssen und wie wenig sie dabei von den Genossen unterstützt werden." Es ist auch bemerkenswert, wenn man sich die Koalitionsübereinkommen und Regierungserklärungen der letzten Jahre anschaut, daß sich der Anteil der Frauenpolitik, die darin enthalten ist, immer mehr verringert hat, bis zuletzt, wo es sich dann nur mehr um dürre acht Sätze gehandelt hat.

Was die Frauen von Ihnen brauchen, Frau Ministerin, sind nicht schöne Worte, sondern Taten. Da können Sie noch so viele Studien, Broschüren, Projekte, Modellversuche, Pilotprojekte oder sonst etwas in Gang bringen, all das nützt nichts, wenn Sie die Probleme, die realen Probleme, mit denen die Frauen in diesem Land tagtäglich konfrontiert sind, nicht lösen. Ganz sicher brauchen die Frauen auch nicht eine Millionen Schilling teure Werbekampagne aus Steuermitteln, die ihnen nichts bringt. Da hätten sie mehr davon, wenn Sie dieses Geld für den Härtefonds der Familien aufwenden oder konkret etwas zur Verbesserung der Frauensituation beitragen würden.

Ich weiß nicht, Frau Ministerin, ob Sie sich noch an den Wahlslogan Ihrer Partei und Ihres Bundeskanzlers erinnern, der landauf, landab plakatiert war und gelautet hat: "Franz Vranitzky: Ich werde alles tun, daß Frauen mit ihren Nöten und Problemen nicht allein gelassen werden." Sie sind vor kurzem in einem Interview gefragt worden, wie Sie heute über diesen Slogan denken, und Sie haben geantwortet: "Ich weiß gar nicht, was ich dazu sagen soll. Meine Stimmung wechselt täglich von tief enttäuscht bis wütend. Es geht mir schlecht dabei, aber vielleicht gelingt der Spagat." – Ich kann Ihnen sagen, Frau Bundesministerin, dieser Spagat gelingt Ihnen nicht.

Wir haben deshalb diese dringliche Anfrage an Sie heute eingebracht, weil wir von Ihnen Antworten auf die drängenden, wirklich sehr drängenden und wichtigen Fragen für die Frauen in diesem Land erwarten, und ich bitte Sie, uns diese Antworten zu geben. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

16.14

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Zur Beantwortung hat sich Frau Bundesministerin für Frauenangelegenheiten Dr. Helga Konrad zu Wort gemeldet. Ich darf die Frau Bundesminister bitten, das Wort zu nehmen.

16.14

Bundesministerin für Frauenangelegenheiten Dr. Helga Konrad: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Bundesräte! Frau Bundesrätin Riess-Passer! Sie zitieren sehr ausführlich aus einem Artikel beziehungsweise aus einer Glosse im "Kurier". Ich kann dazu nur sagen, das war wirklich eine mehr als bösartige Verzerrung der Tatsachen. So hat es sich ganz sicher nicht abgespielt, und die Tendenz, die diesen Formulierungen entspringt, ist wohl auch sehr klar ersichtlich.

Tatsache ist allerdings, daß ich bei dieser Regierungsklausur erreichen wollte, daß sich die gesamte Regierung dazu bekennt und eine entsprechende Aussage dahin gehend trifft, daß wir zumindest ab 1998 eine regionalisierte Anwaltschaft im Westen Österreichs einrichten. Das war bei dieser Regierungsklausur nicht möglich. Es ist eher verwunderlich, daß sich auch die Journalistinnen und Journalisten erstens einmal nicht informieren und zweitens nicht darüber wundern, daß ein Großteil der Regierungskolleginnen und -kollegen keine Ahnung hat, was die regionalisierte Anwaltschaft ist. Ich habe eine Unterlage mit. Wenn Sie wollen, kann ich Ihnen so eine lange Liste zitieren, wann immer die Berechnungen vorgelegt wurden – für jedes


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Budget. Sie schütteln den Kopf, daher suche ich mir das gleich heraus und lese Ihnen das vor. (Zwischenruf der Bundesrätin Dr. Riess-Passer. )

Es ist um die Regierungsklausur gegangen. Das wollte ich dort erreichen, ich wollte dort ein Bekenntnis der gesamten Regierung haben. Das war nicht möglich. In der Zwischenzeit ist es mir gelungen, diese erste regionalisierte Anwaltschaft für den Westen Österreichs einzurichten. Das wird ab 1998 möglich sein. Ich habe das bereits im Plenum des Nationalrates verkünden können und freue mich, daß ich das hier auch tun kann. Ich hoffe, daß Sie davon schon Kenntnis genommen haben. Es hat dies nicht die Regierung getan, sondern die Frauenministerin. So ist es. Ab 1998 wird es endlich diese erste regionalisierte Anwaltschaft geben. (Beifall bei der SPÖ.)

Es ist müßig, darauf einzugehen, ob ich dort geschwiegen habe und was bei der Regierungsklausur wie besprochen worden ist. Tatsache ist, daß ich mich gerade bei der Frage Nachtarbeit für Frauen, Nachtarbeitsgesetz für Frauen sehr massiv eingebracht und eingefordert habe, daß neben dem Zeitausgleich auch Ausgleichsmaßnahmen, die für Frauen wichtig sind, berücksichtigt werden, nämlich daß Kinderbetreuung angeboten wird und Transportmöglichkeiten zur Verfügung gestellt werden.

Bei dieser Regierungsklausur – das möchte ich Ihnen auch noch sagen – war das Nachtarbeitsgesetz überhaupt kein Thema. Es hat "Seitengespräche" zwischen dem Kanzler, dem Vizekanzler und dem zuständigen Minister gegeben, das ist richtig. Da war ich nicht hinzugezogen, auch das ist richtig. Aber ich war bei den Verhandlungen, in deren Rahmen es um diese Arbeitszeitregelungen und um das Nachtarbeitsgesetz gegangen ist, dabei und habe intensiv das eingebracht, was für Frauen wichtig ist und was viele nicht unterstützen und so nicht sehen.

Wenn ich nun auf die lange Liste von Fragen, die Sie mir da vorgelegt haben, eingehe und auch auf das zurückkomme, was Sie in Ihrer Begründung angeführt haben, nämlich ob eine ausreichende Unterstützung der Frauenministerin von den Regierungskollegen und auch von Parteichef Bundeskanzler Franz Vranitzky vorhanden ist, dann kann ich nur darauf verweisen, daß wir vorige Woche eine große Klubtagung hatten, bei der der gesamte Klub sehr wohl für einige Anliegen, die mir dringend notwendig erscheinen und vielen Frauen dringend notwendig erscheinen, volle Unterstützung signalisiert und zugesagt hat. – Ich darf dann im Detail noch darauf eingehen.

Tun Sie nicht so, als wüßten Sie nicht, daß die Frauenministerin eine sehr schwierige Funktion hat, nämlich schwierig auch deshalb, weil andere Fraktionen – Ihre Fraktion schon gar nicht – viele Anliegen, die für Frauen wichtig sind, nicht unterstützen. Ich kann Ihnen aber sagen, daß die Unterstützung der Frauenministerin gar nicht groß genug sein kann, und ich lade Sie alle ein, das zu tun. Vorlagen und Möglichkeiten gibt es genügend dazu.

Sie fragen in Ihrer dringlichen Anfrage, was die Frauenministerin in diesen eineinhalb Jahren, in denen sie in der Regierung ist, schon geleistet hat. Hier verweise ich nur auf einige Punkte, die Ihnen vielleicht entgangen sind und die Sie später dann noch einmal fragen werden.

Die Tatsache, daß es zum ersten Mal 600 Millionen Schilling aus Bundesmitteln für den Ausbau von Kinderbetreuungseinrichtungen gibt, ist jedenfalls sicher eine sensationelle Angelegenheit. Ganz bescheiden darf ich das auf meine Fahnen heften, denn diese Bemühungen hat es jahrelang gegeben, auch von meiner Vorgängerin, und wir haben jetzt einmal für zwei Jahre den Ländern 600 Millionen Schilling zur Verfügung gestellt, damit sie zusätzliche Kinderbetreuungseinrichtungen schaffen können. (Bundesrat Dr. Prasch: Nicht zweckgebunden!)

Diese 600 Millionen sind von den Ländern zu kofinanzieren, das heißt, heuer und im nächsten Jahr wird es insgesamt 1,2 Milliarden Schilling zum Ausbau von zusätzlichen Kinderbetreuungseinrichtungen geben. Wenn Sie finden, daß das nichts ist, dann weiß ich nicht, wozu Sie sagen, daß es etwas ist, denn das ist zum ersten Mal gelungen und ein ganz wichtiger Schritt. (Beifall bei der SPÖ. – Bundesrat Dr. Harring: Das war aber alles! Oder haben Sie noch etwas?)


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Wenn Sie gerne möchten, dann zähle ich das weiter auf. Wir haben vor kurzem die Einrichtung eines Business-Frauen-Centers vorgestellt, ein Zentrum, das Frauen, die sich selbständig machen wollen, unterstützen wird, das bereits mit Einrichtungen, die wir in den Bundesländern schaffen werden, die Fühler in alle Bundesländer ausgestreckt hat und Frauen, die sich selbständig machen wollen, die Möglichkeit bietet, Information, Beratung, Begleitung, Vernetzung und ein breites Angebot, das sonst nirgends zur Verfügung steht, zu bekommen. Auch das ist eine Maßnahme, die ganz konkret ist und auch Arbeitsplätze und Möglichkeiten für Frauen schafft.

Ich kann gerne weiter fortsetzen: zur Frage Gewalt. Vor kurzem ist das Gesetz zum Schutz vor Gewalt in der Familie im Nationalrat beschlossen worden. Ich erzähle Ihnen sicher nichts Neues, wenn ich Ihnen sage, daß dieses Gesetz nicht zustande gekommen wäre, wenn nicht auch meine Vorgängerin und ich uns massiv eingesetzt hätten, wenn wir nicht auch die Expertinnen zugezogen und unterstützt und finanziert hätten, die dann gehört wurden und deren Erfahrungen aus der Praxis in dieses Gesetz eingeflossen sind. Dieses Gesetz hätte es ohne unsere und auch ohne meine Arbeit ganz sicher nicht gegeben.

Als Maßnahme – das ist ein Punkt in der dringlichen Anfrage, die Sie an mich gestellt haben – erwähne ich gerne, daß wir – auch ich – der Meinung sind, wir hätten die Interventionsstellen gegen Gewalt im Gesetz verankern sollen. Das ist nicht gelungen. Tun Sie nicht so, als wüßten Sie nicht, daß ein einzelnes Regierungsmitglied das nicht sofort durchsetzen kann, wenn die anderen dagegen sind. Ich bin der Meinung, daß diese Interventionsstellen gegen Gewalt ganz wichtig sind und erst die Möglichkeit schaffen, daß dieses Gesetz in der Praxis auch wirksam werden kann.

Wenn Sie mich also fragen, was ich getan habe, kann ich Ihnen sagen: Ich habe aus dem bescheidenen Budget der Frauenministerin Pilotphasen von Interventionsstellen gegen Gewalt eingerichtet und auch finanziert, und zwar in Wien, Graz und Innsbruck, und zwei neue sind in Linz und Salzburg im Entstehen. Diese Einrichtungen werden wir auch weiterhin finanzieren. Wir werden diese Projektphase vorantreiben und uns gleichzeitig bemühen, schließlich und endlich eine gesetzliche Verankerung dieser Interventionsstellen zustande zu bringen. (Beifall bei der SPÖ.)

Wie gesagt: Ich könnte noch etliche Maßnahmen aufzählen. Aber ich komme zum Volksbegehren, das Sie erwähnt haben und von dem Sie der Meinung sind, daß die Frauenministerin nicht eingebunden war. Da sind Sie einfach schlecht und falsch informiert. Dieses Frauenvolksbegehren unterstütze ich. Ich unterstütze es finanziell, ideell und inhaltlich.

Wir waren selbstverständlich von Anfang an miteingebunden, und ich unterstütze es deshalb, weil ich alle Initiativen, die dazu beitragen, daß Frauen mehr Selbständigkeit, mehr Möglichkeiten haben, gerne unterstütze.

Offensichtlich haben Sie das Frauenvolksbegehren nicht genau angeschaut. Ich habe gehört, Sie wollten einen entsprechenden Antrag einbringen (Bundesrätin Dr. Riess-Passer: Haben wir! Da sind Sie wieder nicht richtig informiert!) oder haben ihn dann schließlich auch eingebracht, aber mit dem Volksbegehren hat dieser Antrag, den Sie eingebracht haben, gar nichts zu tun. (Bundesrat Dr. Harring: Den haben Sie nicht gelesen wahrscheinlich!) Dieses Volksbegehren hat Inhalte, um die sich die Frauenministerin – schon meine Vorgängerin, aber auch ich – intensiv bemüht und zu denen wir demnächst auch parlamentarische Initiativen setzen werden. Es geht etwa um die Verankerung der tatsächlichen Gleichstellung von Männern und Frauen in der Verfassung. Dieser Vorschlag ist erarbeitet, und den wollen wir demnächst einbringen.

Es geht nicht zuletzt auch um die von mir bereits in Arbeit gegebene Möglichkeit, Frauen im Alter eigenständig abzusichern. Hier gibt es bereits weit gediehene Vorschläge, die es möglich machen, daß Frauen im Alter auch eigenständig versorgt werden.

Nicht zuletzt geht es in diesem Frauenvolksbegehren unter anderem um die Umverteilung der Versorgungsarbeit, also der Familienarbeit, das heißt, um die Umverteilung der Arbeiten in Haushalt, Kindererziehung, Pflege und Betreuung kranker und alter Angehöriger. Auch das ist


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eine Forderung des Frauenvolksbegehrens. Daran arbeiten wir schon lange, und wir sind bereit, diesbezüglich die nächsten Schritte zu setzen.

Richtig ist – das möchte ich gar nicht bestreiten –, daß Frauen durch Sparmaßnahmen intensiv betroffen sind. Wir haben noch nie zuvor 100 Milliarden Schilling eingespart – in keiner Zeit, noch nie. Das heißt, da Frauen 52 Prozent der Bevölkerung stellen, sind sie von diesen Einsparungen selbstverständlich auch massiv betroffen. Das will ich nicht beschönigen. Wie gesagt: Meine Aktivitäten kennen Sie trotzdem, obwohl Sie sie kaum unterstützt haben. Frauen sind also davon betroffen, und zwar sind sie deshalb betroffen, weil sie von Sozialleistungen abhängiger sind, und zwar deshalb, weil Frauen die Versorgungsarbeit eben zu einem großen Teil alleine tragen müssen.

Sie haben mir in der dringlichen Anfrage einige Fragen nach den Berechnungen und Schätzungen bezüglich der Gesamtkosten eines eigenständigen Bundesministeriums für Frauen gestellt. Es ist gut, daß Sie das Thema anschneiden. Es gibt kein eigenes Frauenministerium. Die Frauenministerin muß mit geringen Budgetmitteln auskommen. Es fehlen essentielle finanzielle und personelle Ressourcen. Der Ausbau und auch die Zuweisung bestimmter Kompetenzen wären sinnvoll. Auf die Kosten kann ich, wie gesagt, im Detail nicht eingehen, denn das hängt von der Größe eines Ministeriums ab. Etwa diesen geringen personellen Stab zu einem Ministerium zu machen, würde nichts ändern, sondern es müßte bedeuten, auch mehr personelle und finanzielle Ressourcen zur Verfügung zu haben.

Sie fragen nach der zu Jahresbeginn 1997 einzurichtenden Frauensektion und dem Personalaufwand beziehungsweise den Mehrkosten. Die Vorbereitungen für die Frauensektion laufen. Sie soll demnächst ausgeschrieben werden. Was den Personalaufwand betrifft, so geht es um zwei Planstellen, und zwar um eine A-Planstelle, also eine Akademikerin, und eine Sekretärin. Zusätzliche Kosten fallen außer diesen Personalkosten keine an.

Sie kommen dann auf die Kosten der Bewußtseinsbildungskampagne zum Thema "Ganze Männer machen halbe/halbe" zu sprechen. Diese Bewußtseinsbildungskampagne zur Begleitung von gesetzlichen Maßnahmen ist ganz besonders wichtig, und ich möchte hier die Gelegenheit nützen, um Ihnen einmal abseits der veröffentlichten Meinung zu sagen, was wir mit dieser Bewußtseinsbildungskampagne und mit der gesetzlichen Änderung und Regelung intendieren.

Es geht nicht darum, wie fälschlich immer wieder behauptet wird, daß wir uns ganz genau im Detail anschauen wollen, wieviel Geschirr der Mann und welche Teller die Frau abwäscht. Es geht also nicht nur um die Hausarbeit, sondern es geht darum, daß es dringend notwendig ist, eine Umverteilung der Familienarbeit, der Versorgungsarbeit zu erreichen – wie gesagt: Versorgungsarbeit ist als Hausarbeit, Kinderbetreuung und Pflege kranker und alter Angehöriger zu verstehen.

Es geht darum, daß diese Versorgungsarbeit zu gleichen Teilen von beiden Partnern getragen wird. Eine Umverteilung muß deshalb stattfinden, weil es für Frauen aufgrund der Tatsache, daß ihnen diese Versorgungsarbeit ganz alleine angelastet wird und daß Frauen ganz allein für diese Versorgungsarbeit zuständig sind, bedeutet, daß sie ihr Leben lang benachteiligt sind, daß sie auf dem Arbeitsmarkt als unsichere Arbeitskräfte gelten, weil sie alles vereinbaren müssen, daß sie geringfügige Beschäftigungen annehmen müssen, bei denen sie nicht sozialrechtlich abgesichert sind, und daß sie schlecht qualifizierte und meist auch schlecht honorierte Teilzeitjobs annehmen müssen, von denen manche glauben, daß sie das Ideal für Frauen sind. – Aber das sind sie nur auf einen kurzen, schiefen Blick, denn meistens verdienen Frauen in diesen Teilzeitbeschäftigungen nicht soviel, daß sie davon auch leben können.

Die Tatsache, daß sie wenig verdienen, rächt sich dann bis ins Alter. Wir wissen, daß Hunderttausende Frauen im Alter überhaupt nicht abgesichert sind. – Darum geht es also.

Es geht mir darum, daß wir in bezug auf diese Versorgungsarbeit zu einer anderen Einstellung, zu einem anderen Bewußtsein kommen, sodaß diese Versorgungsarbeit von beiden Partnern,


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auch gleichteilig, wenn beide berufstätig sind, getragen wird. (Vizepräsident Weiss übernimmt den Vorsitz.)

Sie wissen sicher – transportiert wird es allerdings immer anders –, daß es nicht darum geht, ein neues Gesetz zu schaffen, sondern daß ich unsere Familiengesetze, Ehegesetze novellieren möchte. Es geht dabei um eine Formulierung, von der ich überhaupt nicht verstehe, daß sie eine solche Aufregung erzeugen kann. Unserer Meinung nach soll es heißen: Die Ehegatten sollen ihre eheliche Lebensgemeinschaft, besonders die Haushaltsführung, die Betreuungsarbeit und die Erwerbstätigkeit, unter Rücksichtnahme aufeinander und auf das Wohl der Kinder einvernehmlich so gestalten, daß die daraus entstehenden Verpflichtungen gleichteilig getragen werden. (Bundesrat Dr. Harring: Das ist aber selbstverständlich!) Ein Zuwiderhandeln soll auch als Eheverfehlung geltend gemacht werden können.

In Ihrer Anfrage gehen Sie auch darauf ein, weshalb die Schaffung eines neuen Scheidungsgrundes eingeführt werden soll, während doch die Tendenz bestehe, Verschuldensscheidungen zu beseitigen. – Dazu kann ich Ihnen sagen, daß wir in einer interministeriellen Arbeitsgruppe in intensiven Gesprächen sind. Es ist Tatsache, daß 90 Prozent der Ehen in beiderseitigem Einvernehmen und daß höchstens noch 10 Prozent aus Verschulden geschieden werden.

Es gibt auch andere Eheverfehlungen, denen wir diese eine hinzufügen wollen, aber auch dann – und das ist keineswegs eine aus Frauensicht ausgemachte Sache –, wenn die Verschuldensscheidung wegfallen sollte, ist es notwendig, daß die Zerrüttung einer Ehe aufgrund verschiedener Fakten festgestellt werden kann. Also diese Tatsache erübrigt sich nicht, sondern ist ein wesentlicher Punkt in diesem Vorhaben.

Sie wollten bezüglich der sogenannten "Kindergartenmilliarde", dieser 600 Millionen Schilling, wissen, ob und in welcher Höhe und in welchem Aufteilungsschlüssel dieses Geld an die Bundesländer ausbezahlt wurde. Dazu kann ich Ihnen sagen: Nein, das ist noch nicht der Fall, denn bis Ende Februar, bis 28. Februar, sollen die konkreten Projekte beim Bund eingereicht werden, und dann erst wird die Entscheidung getroffen, welche Projekte ganz konkret gefördert werden sollen. Der Aufteilungsschlüssel an die Länder entspricht jedenfalls dem Schlüssel nach der Wohnbauförderung.

Wenn Sie das im Detail wissen wollen, kann ich Ihnen das gerne nach Bundesländern gestaffelt sagen, ansonsten kann ich Ihnen das auch gerne schriftlich mitteilen, wenn Sie meinen, daß das jetzt zu ausführlich und zu lang wäre. Jedenfalls geschieht die Aufteilung nach dem Wohnbauschlüssel, und die Länder sind veranlaßt, die Mittel, die ihnen vom Bund für diese Kinderbetreuung zugehen, zu kofinanzieren.

Gefördert werden nur konkrete Projekte. Das heißt, es wird nicht einfach den Ländern das Geld überwiesen, und sie können damit tun, was sie wollen, sondern es sind damit bestimmte Auflagen verbunden, die da heißen, daß zusätzliche Kinderbetreuungseinrichtungen geschaffen werden sollen, daß es Kinderbetreuungseinrichtungen sein sollen, die die Berufstätigkeit der Eltern ermöglichen und unterstützen. Das heißt aus meiner Sicht, daß es sich vor allem um ganztägige Einrichtungen handelt, und das heißt auch, daß Tagesmütter- oder Tagespersonen-Projekte gefördert werden können – allerdings nur die Ausbildung und Weiterbildung.

Ein Vorschlag, den ich eingebracht habe, war, diese Tagesmütter-Projekte weitergehend zu fördern, und zwar dann, wenn die Tagesmütter fix angestellt und sozial- und arbeitsrechtlich abgesichert werden. Das ist von unserem Koalitionspartner nicht mitgetragen worden.

Sie fragen in Ihrer dringlichen Anfrage auch konkret nach den Kosten dieser Bewußtseinsbildungskampagne, die wir gestartet haben. Sie erinnern sich sicher, daß ich schon einmal einen Vorstoß dahin gehend gemacht habe, daß die Teilung der Versorgungsarbeit gesetzlich verankert werden sollte. Damals hat es auch große Aufregung gegeben. Da war sehr breit die Meinung vorhanden, daß das Gesetz allein nicht hilft, sondern daß wir intensive Bewußtseinsarbeit leisten sollten.


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Eine Überlegung war, daß wir diese Bewußtseinsbildungskampagne gestartet haben, eine Kampagne, die sich über mehrere Jahre ziehen soll. Sie hat 1996 begonnen, soll während 1997 laufen und ihren Abschluß voraussichtlich 1998 finden. Es handelt sich also um eine ungefähr dreijährige Kampagne, die mit diesen drei Spots, die wir produziert haben, begonnen hat. Diese drei Spots waren im Fernsehen und auch in den Kinos zu sehen und haben – das war die Absicht – riesige Diskussionen, eine riesige Aufregung ausgelöst, die mir aber durchaus recht ist, denn genau darum ist es gegangen, und genau das ist damit beabsichtigt.

Sie fragen nach den entstandenen Kosten dieser Kampagne. Ich kann Ihnen das dann gerne auch schriftlich geben. Die derzeit angelaufenen Kosten betragen 3 Millionen Schilling. Ausgeschrieben ist die gesamte Kampagne für drei Jahre für die Summe von 10 Millionen Schilling. Die Produktionskosten haben rund 1,3 Millionen Schilling betragen, die Schaltungskosten für Fernsehen und die Kinos 1,5 Millionen Schilling.

Diese Kampagne und auch die Spots sind, wie gesagt, nur ein Teil einer längeren Bewußtseinsbildungskampagne, die vor allem von vielen Diskussionen begleitet sein soll.

Zur Frage, warum gerade Doris Dörrie ausgewählt wurde: Das haben wir nicht im Detail und im einzelnen ausgewählt, sondern der Vorgang ist so, daß ausgeschrieben werden muß, daß drei Projekte ausgewählt wurden und daß dann schließlich eines zum Zug gekommen ist, nämlich das, das Sie jetzt zum Teil in den Spots sehen. Ein Teil dieses Vorschlages war es, Frau Doris Dörrie zu ersuchen, mitzumachen, denn sie engagiert sich in diesem Bereich, ist eine Frau, und so haben wir diese Produktionsfirma damit beauftragt. (Bundesrat Dr. Harring: Interessante Kriterien sind das für die Auswahl! – Engagiert muß man sein, und Frau muß man sein, dann kann man filmen!)

Frau Doris Dörrie ist eine anerkannte Filmemacherin, das nur nebenbei. Ich möchte noch einmal betonen, wir haben nicht Frau Doris Dörrie ausgewählt, sondern wir haben jene Produktionsfirma gewählt, die uns den interessantesten Vorschlag gemacht hat. Frau Doris Dörrie war ein Teil dieses Vorschlages, um das ganz klar zu sagen.

Sie gehen dann in Ihren Fragen darauf ein, wie viele und welche Fraueninitiativen, Frauenforschungs- und Frauenförderungsprojekte im Jahr 1996 unterstützt wurden und welche Projekte 1997 voraussichtlich unterstützt werden, und fragen, ob das auch nicht berufstätigen Frauen zugute kommt.

Dazu kann ich folgendes sagen: Im Jahr 1996 wurden aus den Fördermitteln meines Budgets insgesamt 139 Fraueninitiativen durch eine Subvention unterstützt. Zirka 55 Prozent davon wurden verschiedenen Frauenberatungseinrichtungen sowie den österreichweiten Frauenservicestellen zur Verfügung gestellt. Also mehr als die Hälfte ging an diese Frauenberatungs- und Frauenservicestellen.

Für die Förderung diverser Projekte gegen Gewalt an Frauen und Kindern sowie für den Aufbau und die Installierung der ersten Interventionsstellen gegen Gewalt wurden rund 26 Prozent der Subventionsmittel aufgewendet. Die verbleibenden Mittel, also zirka 19 Prozent, dienten der Förderung verschiedener weiterer Frauen- und Mädcheninitiativen sowie der Frauenforschung und frauenspezifischen Bereichen der Wissenschaft.

Für das Jahr 1997 ist der weitere Ausbau sowohl der Frauenservicestellen als auch der Interventionsstellen gegen Gewalt vorgesehen. Dementsprechend werden sich auch die Schwerpunkte bei der Förderungsvergabe gestalten. Sämtliche geförderten Beratungseinrichtungen stehen sowohl den berufstätigen als auch den nicht berufstätigen Frauen zur Verfügung.

Grundsätzlich stehen alle geförderten Projekte allen Frauen offen, egal, ob berufstätig oder nicht, insbesondere ist es aber so, daß gerade Projekte wie die Frauenberatungsstellen von vielen nicht berufstätigen Frauen aufgesucht werden, da sie dort zum Beispiel auch Beratung für den Wiedereinstieg ins Berufsleben und zur beruflichen Neuorientierung finden. Darüber hinaus ist es bekanntlich so, daß Frauen – unabhängig davon, ob sie berufstätig sind oder nicht – spezifische Beratung in juristischen, medizinischen und sozialen Angelegenheiten suchen, brauchen


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und dort auch finden. Das Angebot vieler Frauenprojekte, zum Beispiel auch im Kultur- und Bildungsbereich, wird ebenfalls sehr häufig von nicht berufstätigen Frauen in Anspruch genommen. Darüber hinaus sind auch nicht berufstätige Frauen von privater Gewalt betroffen und bedürfen daher ebenfalls der Unterstützung und Beratung in frauenspezifischen Einrichtungen.

Zu den Forschungsprojekten, nach denen Sie fragen. Im Jahr 1996 wurden folgende zehn Frauenforschungsprojekte und sechs Forschungsförderungsprojekte unterstützt: Eine Grundlagenstudie zum Thema "Beratungsstelle für Existenzgründerinnen" (Bundesrat Konečny: Herr Präsident! Bitte würden Sie Kollegen Kaufmann und seinen Kollegen etwas mehr Ruhe verordnen! – Bundesrat Prähauser: Oder Karten austeilen! – Vizepräsident Weiss gibt das Glockenzeichen), ein Forschungsprojekt zum Thema "Atypische Beschäftigungsformen und politische Maßnahmen unter besonderer Berücksichtigung von Fraueninteressen", das Forschungsprojekt "Reaktionen von Männern in Organisationen auf Gleichstellungsinitiativen", das Forschungsprojekt "Konsequenzen zunehmender Arbeitszeitflexibilität aus Sicht der Frauen", der Bericht "Frauenhandel und Prostitution in Österreich", das Forschungsprojekt zum Thema "Soziale Aspekte der Lebenssituation von Prostituierten", das Forschungsprojekt "Nebenjob Vater und Hausmann? Wie betriebliche Strukturen innerfamiliäres Engagement von Männern behindern", das Forschungsprojekt "Neue Wege der eigenständigen Alterssicherung von Frauen – Ausgangslage und Reformmodelle", das Projekt "Akzeptanz der neuen Regelungen zum Karenzurlaub" und das Projekt "Sprachliche Gleichbehandlung von Frau und Mann".

Sie fragen, welche konkreten Vorarbeiten betreffend eine Zulassung von Frauen zum Bundesheer geleistet wurden. Dazu kann ich Ihnen sagen, daß ich mit dem Verteidigungsminister diesbezüglich in konkreten Gesprächen bin. Ich rufe in Erinnerung – Sie wissen es hoffentlich –, daß ich an die Frage, ob Frauen zum Bundesheer können, bestimmte Forderungen geknüpft habe, die der Verteidigungsminister auch bereit ist, umzusetzen. Diese Forderungen sind: die Verankerung der Freiwilligkeit in der Verfassung, die Schaffung eines diskriminierungsfreien Arbeitsumfeldes für Frauen, der Zugang zu allen Funktionen für Frauen und die Forderung, daß keine zusätzlichen Kosten aus dem Budget dafür verwendet werden dürfen.

Zwischen dem Verteidigungsminister und mir beziehungsweise im Koalitionsabkommen ist vereinbart, daß wir bis zum März dieses Jahres über die Möglichkeit und den Stand der Dinge berichten werden, und das werden wir auch tun.

Zu den Berechnungen zur Regionalisierung der Gleichbehandlungsanwältin – Sie schreiben da zwar "der Gleichbehandlungsbeauftragten", ich nehme aber an, das soll die Gleichbehandlungsanwältin sein –: Darüber kann ich Ihnen entweder konkrete Unterlagen geben oder aber Ihnen sagen, daß ungefähr 1,3 Millionen Schilling für die erste im Westen Österreichs einzurichtende Stelle vorgesehen sind.

Schließlich – ich schließe damit ab; Sie können das ja dann ergänzen, sollte ich irgend etwas übersehen haben – fragen Sie mich nach den Verhandlungen mit dem Bundesminister für Arbeit und Soziales bezüglich der rechtlichen Gleichstellung von Teilzeitbeschäftigung und Vollzeitbeschäftigung. Tatsache ist, daß bei der Arbeitsvermittlung viele Frauen, die Betreuungspflichten haben, jetzt eine Situation vorfinden, in der ihnen verschiedene Unterstützungen gestrichen werden, wenn sie nur einen Teilzeitjob annehmen wollen. Das kann so nicht gehen.

Mir liegt dazu eine Reihe ganz konkreter Fälle vor, und ich bin mit dem Sozialminister hierüber im Gespräch. Er hat zugesagt, eine entsprechende Weisung zu geben, damit die Betreuungspflichten von Frauen bei der Arbeitsvermittlung berücksichtigt werden.

Das war es im großen und ganzen. – Danke. (Beifall bei der SPÖ.)

16.49

Vizepräsident Jürgen Weiss: Danke, Frau Bundesministerin.

Wir gehen nunmehr in die Debatte ein. Ich mache darauf aufmerksam, daß gemäß § 61 Abs. 7 der Geschäftsordnung die Redezeit jedes Bundesrates mit insgesamt 20 Minuten begrenzt ist.


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Zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesrat Dr. Michael Rockenschaub. Ich erteile es ihm.

16.49

Bundesrat Dr. Michael Rockenschaub (Freiheitliche, Oberösterreich) : Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Frau Ministerin, Sie haben uns am Schluß Ihrer Ausführungen aufgefordert, wir sollen Ihre Beantwortung ergänzen. Diese Aufforderung verstehe ich nach der Beantwortung, die Sie hier abgegeben haben. Es war eine ziemlich ungewöhnliche Beantwortung! Sie haben das für uns zu einer Art Denksportaufgabe gemacht, indem Sie bei den Fragen ständig nach vorne und nach hinten, vor und zurück gesprungen sind. (Bundesrat Konečny: Daran sind Sie gescheitert! – Bundesrat Prähauser: Aufpassen müssen Sie schon!)

Das erschwert es natürlich enorm, Herr Kollege Konečny. Ich glaube, wir alle kennen uns schon aus, wie ich das meine. Üblich ist das bisher nicht gewesen. Es war halt vielleicht eine "sehr kreative Art" der Beantwortung, bei der man die eigentlichen Kernthemen und schwerwiegenden Hauptfragen umschifft und sich auf Randthemen konzentriert hat.

Ich würde Sie beim nächsten Mal darum ersuchen – Sie würden es allen Kollegen des Hauses, nicht nur den anfragenden Kollegen, wesentlich erleichtern –, einfach so vorzugehen wie alle anderen Regierungsmitglieder, nämlich punktweise nach den Fragen, und eine Frage nach der anderen zu beantworten. Das wäre unser Ersuchen für das nächste Mal zur einfacheren Bearbeitung für uns alle.

Ich stelle fest, daß wir erstmals ein Regierungsmitglied haben, das zur Durchsetzung der politischen Ziele ein Volksbegehren braucht. Das ist ja an sich nichts Böses. Es ist nur im Zusammenhang mit der großen Koalition interessant, die wir ja haben, um die großen Probleme des Landes zu lösen.

Im übrigen finden ja gerade wir Freiheitlichen Volksbegehren gar nicht schlecht, im Gegenteil, das ist ja ein Kernelement unseres Konzeptes der Dritten Republik. (Lebhafte Zwischenrufe bei SPÖ und ÖVP.) Ich persönlich sehe das sehr gerne! Ich sehe durchaus mit Freude, daß das Instrument des Volksbegehrens jetzt wirklich schön langsam zu greifen beginnt. Das hat vom Grundsätzlichen her unsere volle Unterstützung!

Meine Damen und Herren! Aufgefallen ist mir im November ein Artikel In den "Oberösterreichischen Nachrichten" mit der Überschrift: "Das Frauenministerium – Ressort an kurzer Leine" und dem Untertitel: "Macht die Frauenministerin einen Vorschlag, schreit die VP nein." – Heute hat die VP getratscht und dafür auch einen Ordnungsruf des Sozialdemokratischen Fraktionsführers erhalten. (Zwischenrufe und ironische Heiterkeit bei der SPÖ.) Die VP sagt nein und die SP schweigt betroffen. – Das hat zugetroffen! Die SP hat eher betroffen geschwiegen, wie wir bei der Beantwortung dieser dringlichen Anfrage festgestellt haben. (Neuerliche Zwischenrufe bei der SPÖ.)

Meine Damen und Herren! Kollegin Kainz – dies wurde schon von Frau Dr. Riess zitiert – hat beim letzten Tagesordnungpunkt in einer halbstündigen Rede die mißliche Situation der Frauen in Österreich hier in einer prägnanten und auch betroffen machenden Form dargelegt. Dem ist im Grunde nichts hinzuzufügen.

Sie schilderte, wie die schlechte Beschäftigungslage, das Abdrängen in einen ungünstigen Arbeitsmarkt, das Abdrängen zur geringfügigen Beschäftigung und so weiter vor allem durch die Maßnahmen des Sparpaketes und der Wirtschaftspolitik in Österreich eingezogen sind. (Bundesrätin Kainz: Bitte nicht unvollständig zitieren, Herr Kollege!) Das ist mit Sicherheit nicht meine Absicht. Ich habe versucht, es zusammenzufassen. Wenn jemand einen anderen Eindruck von Ihrer Rede hatte ... (Bundesrätin Kainz: Die Schlußfolgerungen sind Bestandteil meiner Ausführungen!) Richtig! Und die Schlußfolgerung Ihrer Rede war, daß Sie auf Vorschläge verzichten.

Ich muß schon sagen, das ist für eine Angehörige einer Regierungsfraktion auch keine starke Leistung. Normalerweise wird ja die Opposition dafür geprügelt, daß sie angeblich nur kritisiert und keine Vorschläge macht. Und dann kommt eine Regierungsabgeordnete hier heraus ans


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Rednerpult, kritisiert mit zutreffenden Worten einen mißlichen Zustand in dieser Republik und sagt zum Schluß, sie möchte allerdings auf Vorschläge verzichten. Also da geraten wirklich die Rollen durcheinander!

Meine Damen und Herren! Ein Zuhörer, der die Fraktionseinteilung in diesem Haus nicht kennt, würde nicht leicht erkennen, wer hier der Regierung und wer der Opposition angehört. – Aber das nur nebenbei. (Beifall bei den Freiheitlichen. – Bundesrat Meier: Das erkläre ich ihm schon!)

Weiters war gestern eine ausführliche Stellungnahme der ÖGB-Frauen zu hören, die ebenfalls die steigende Frauenarmut in Österreich beklagt haben. Frau Kollegin Kainz! Sie haben uns vorgeworfen, daß wir sinngemäß nichts oder nur sehr wenig für Frauen oder Arbeitnehmerinnen getan hätten. Wir hoffen darauf, daß die Zusammenarbeit im ÖGB in Zukunft besser wird. Bislang haben Sie nur Maßnahmen gesetzt, um uns dort beinhart auszugrenzen. Das ist die Realität! Da können Sie uns jetzt nicht mangelnde Aktivitäten vorwerfen. (Beifall bei den Freiheitlichen. – Bundesrätin Kainz: Sie glänzen dort permanent durch Abwesenheit! – Bundesrat Prähauser: Das ist für die Freiheitlichen kein Anliegen, den Freiheitlichen geht es nur ums Plakatieren!)

Es ist ja auch vor drei Jahren unser Vertreter im Landes-ÖGB explizit ausgeladen worden, weil es unangenehm war, daß da jemand bei den Beratungen sitzt, der nicht der eigenen Farbe entspricht. Das ist die Realität! Solche Vorkommnisse gab es, meine Damen und Herren.

Insgesamt meine ich, daß wir hier eine Art Abgesang und eine Bankrotterklärung eines Vierteljahrhunderts sozialdemokratischer Frauenpolitik gehört haben und auch diesen Eindruck haben müssen. Die schwerwiegenden Themen bleiben ja schlicht und einfach auf der Strecke, und Alibiaktionen geraten in den Vordergrund, zum Beispiel die Gründung einer Frauensektion. Sehr geehrte Frau Ministerin! Die Gründung einer Frauensektion wird Ihnen überhaupt nichts nützen, wenn Sie als politische Chefin in der Regierung nicht entsprechend handeln können. Da können Sie noch so viele Frauensektionen gründen, dadurch allein wird sich überhaupt nichts ändern. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Über die Werbekampagne "Ganze Männer" kann man unterschiedlicher Meinung sein, weil da einfach auch persönliche Geschmacksfragen eine Rolle spielen. Deshalb will ich nichts weiter darüber sagen. Verblüfft war ich allerdings. Sie haben ja vorhin Ihren Vorschlag eines Gesetzestextes vorgelesen, der damit in Zusammenhang steht, wie das mit der Lastenverteilung im Haushalt formuliert sein soll. Also wenn ich das richtig verstanden habe – ich habe mich sehr bemüht –, wenn ich mich nicht verhört habe, dann, so glaube ich, ist dieser Vorschlag sofort mehrheitsfähig bis zur einstimmigen Absegnung in beiden Kammern dieses Parlaments! (Bundesministerin Dr. Konrad: Wunderbar!)

Wie gesagt, ich habe den Vorbehalt, daß ich vielleicht nicht richtig gehört oder verstanden habe. Aber wenn ich das richtig verstanden habe und derart klare und unstrittige Formulierungen, wie die von Ihnen vorgetragenen, zur Debatte stehen, dann frage ich mich, wozu man dann eine 10 Millionen teure Werbekampagne braucht, um das zu unterstützen. Da werden die Dinge auf den Kopf gestellt, und darüber bin ich verwundert.

Oder geht es im Hintergrund um Dinge, die Sie uns heute nicht bekannt gemacht haben? – In diesem Fall, wenn wir nichts davon wissen, kann man aber auch nichts dazu sagen.

Ich habe befürchtet, daß der Gesetzesvorschlag dahin münden wird, daß der Gesetzgeber tatsächlich den Versuch unternehmen sollte, erstens die Haushaltsarbeit zu definieren – was zwar nicht leicht ist, aber bitte, man möge sich die Mühe einmal machen –, und die so definierte Hausarbeit dann tatsächlich durch zwei zu teilen.

Das in Gesetzestext zu gießen, scheint mir äußerst fragwürdig – seien Sie mir nicht böse, meine Damen und Herren –, obwohl wir an die Regelungswut dieser Republik ja schon gewöhnt sind.

Diese Regelungswut wird ja mittlerweile schon von vielen beklagt, quer durch alle Parteien und über alle Parteigrenzen hinaus. Da ist schon eine Stimmung aufgekommen, wo man sich ge


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dacht hat: Um Gottes willen, wo soll das hinführen? Da werden doch Debatten angezettelt um Paragraphen, die wirklich niemandem etwas bringen.

Ich meine: Entweder eine Partnerschaft funktioniert, dann brauchen wir solche Gesetze nicht. Wenn eine Partnerschaft aber nicht funktioniert – das ist meine persönliche Überzeugung –, dann können Sie noch so viel über Haushaltsarbeit in ein Gesetz schreiben, eine derartige Partnerschaft wird nicht zu retten sein. (Zwischenrufe bei der SPÖ.)

Eines fällt mir zu diesem Thema auch noch ein. Gerade von sozialdemokratischer Seite ist die Hausarbeit in den letzten 25 Jahren propagandistisch abgewertet worden! Das können Sie nicht bestreiten, meine sehr geehrten Damen und Herren von der SPÖ. Und jetzt wundert man sich, daß diese "grausliche" Hausarbeit niemand machen will. Das ist doch die Tatsache! Jetzt unternimmt man alle möglichen Anstrengungen und Werbekampagnen, um die Bevölkerung wieder zu locken, und sagt, man möge sich doch um die Hausarbeit annehmen. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Das ist Ihnen mit vielen Werten passiert, die in dieser Republik Bestand hatten. Ob das nun das Bundesheer ist oder ob es andere Werte sind. Zuerst hat man jahrelang Dinge kaputt getrommelt und dann ist man baß erstaunt vor den Trümmern gestanden!

Das ist meine persönliche Überzeugung. Derartigen Regulierungsversuchen im Privatleben stehen gerade wir Freiheitlichen besonders kritisch gegenüber. Die private Freiheit und das Privatrecht zur freien Gestaltung des Lebens müssen einen entsprechenden Stellenwert haben.

Frau Bundesministerin! Wir haben einfach den Eindruck, daß Sie, weil Ihnen offensichtlich die wirklichen Kompetenzen in der Regierung, in Ihrer Partei nicht zugestanden werden, hier viele Randdinge und Nebenerscheinungen in einem solchen Ausmaß in den Vordergrund stellen, daß Sie der Sache insgesamt oft schaden.

Es gibt sehr viele berechtigte Anliegen, was die Frauen in Österreich oder in der EU betrifft. Mit falschem Stil und falscher Vorgangsweise kann man allerdings manchmal mehr kaputtmachen als helfen, auch wenn das eigentliche Anliegen sehr berechtigt sein sollte.

Ihr Veto, Frau Bundesministerin, zum Sparpaket ist ausgeblieben, das können Sie nicht wegdiskutieren, und das war ein Schlag für alle Frauenanliegen. Da nutzt es eben gar nichts, wenn man nachher oder kurz vorher auf die Straße demonstrieren geht und sein Herz ausschüttet, aber dort, wo es darauf ankommt, Stille und Schweigen herrschten.

Ich glaube, Frau Bundesministerin, wenn Sie heute vor einem Jahr – Ihre Vorgängerin hat das ja fast auf die Spitze getrieben und mit dem Rücktritt ernsthaft gedroht – aus Protest gegen dieses frauenfeindliche Sparpaket zurückgetreten wären, dann hätten Sie für die Frauen in dieser Republik wesentlich mehr erreicht, als wenn Sie jetzt mit einem riesigen Gesichtsverlust weiter in Ihrem Amt verbleiben.

Ich habe mir auch diese Zeitung angeschaut, die wir zugesandt erhalten haben – ich glaube, diese bekommen alle Kollegen. Diese nennt sich "Feminista" und ist die Zeitung des Frauenministeriums. Ich habe die Inhalte mit großem Interesse gelesen. Zum Titel möchte ich sagen, das ist falscher Stil, denn "Feminista" klingt ja ein wenig kriegerisch, ist eine Wortleihe bei Fidel Castro. (Bundesrat Ing. Penz: Herr Kollege! Wieso kriegen Sie diese Zeitung?) Ich finde es auch nicht richtig, daß Sie sich oft, Frau Bundesministerin, zu sehr in einem Täter-Opfer-Spiel befinden: der böse Täter Mann und das arme Opfer Frau. Der Stil dieser Zeitung ist von diesem Täter-Opfer-Spiel eindeutig geprägt. Das finde ich nicht gut, denn damit werden die Dinge allzu sehr vereinfacht.

Sie schreiben in der letzten Ausgabe – ich zitiere –: "Mein Leitmotiv heißt Lebensqualität. Leitmotiv der Frauenpolitik, die in und von der Regierung gemacht wird, muß die Sicherung und die Verbesserung der Lebensqualität der Frauen sein." – Dieses Leitmotiv ist wunderbar, aber tun Sie mehr dafür, Frau Bundesministerin, um dieses Leitmotiv auch in die Realität umzusetzen, denn bisher haben wir davon wenig gesehen.


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Dann möchte ich noch die Frau Bundesministerin zitieren, denn dieses Zitat unterstreicht diese Feindbildpropaganda, daß der Mann ein Feind ist. Auf der letzten Seite dieser Zeitung sagt die Frau Bundesministerin – ich zitiere –: "Gegenüber den Frauen seien es die Männer, die ihre Vorrechte bewahren möchten. Das sind wesentliche Elemente der Gesellschaftsordnung, die ich unsere nenne und die mit geringen Variationen die Gesellschaftsordnung der EU ist." Jetzt kommt Europapolitik auch herein, und da wird es dann äußerst interessant, es heißt nämlich weiter: "Und diese europäische Gesellschaftsordnung ist, auch wenn es auf den ersten Blick verborgen bleibt, eine noch undemokratische."

Dazu fällt mir ein: Wenn wir hier im Bundesrat gesagt haben, daß mit der Demokratie vieles nicht stimmt, sind wir als hinterwäldlerisch und böse Europafeinde gesteinigt worden – und die Frauenministerin beklagt den selbigen Zustand.

Mein Ersuchen an Sie ist, dieses Feindbild Mann etwas zurückzunehmen, da ich nicht glaube, daß das der Sache dienlich ist.

Frau Bundesministerin! Haben Sie sich schon einmal die Frage gestellt, wen Sie eigentlich vertreten, ob Sie wirklich mit Ihren Aktionen, mit Ihrem Aktionismus eine erkleckliche Anzahl oder zumindest einen Großteil – ich will ja gar nicht von der Mehrheit reden – der österreichischen Frauen vertreten? Ich bin mir da nicht so sicher und fordere Sie auf, selbstkritisch zu hinterfragen, ob es nicht so sein könnte, daß Sie eine Art Ideologieministerium einiger "Steinzeitfeministen", wie die "Presse" das heute nennt, in dieser Bundesregierung führen und die Interessen einer ganz geringen Minderheit vertreten.

Stellen Sie Ihre Bemühungen, Frau Bundesministerin, auf die wirklichen Anliegen, auf lebenswichtige, auf existenzielle Anliegen von vielen, vielen Frauen ab, denen es derzeit nicht gut geht, und dann werden Sie in uns jederzeit Mitstreiter haben. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

17.05

Vizepräsident Jürgen Weiss: Als nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Hedda Kainz. Ich erteile es ihr.

17.05

Bundesrätin Hedda Kainz (SPÖ, Oberösterreich): Herr Präsident! Frau Bundesministerin! Meine Damen und Herren! Man merkt die Absicht und ist verstimmt. – Ein Motto, das man den meisten dringlichen Anfragen der F voranstellen kann, aber in diesem Fall, glaube ich, ist es besonders zutreffend.

Wenn ein wesentlicher Teil Ihrer Aussagen in die Richtung geht, daß die Frauenministerin im Ministerrat ihre Aufgaben nicht wahrnimmt, dann frage ich mich, welche Auswirkungen es gehabt hätte, wenn in einer so schwierigen Situation, in der wir uns allesamt befunden haben, als es um die Reparatur des Budgets gegangen ist, die Frau Ministerin zurückgetreten wäre. Zugegeben, es hat uns mit Sorge erfüllt, daß es jene trifft, die die Frauenministerin zu vertreten hat. In der gleichen Situation waren wir als Gewerkschafter auch, und wir haben uns dazu bekannt, diese Verantwortung gemeinsam zu tragen, um den Staat Österreich in eine Zukunft zu führen, in der wir auf Basis eines ordentlichen Budgets unsere Vorstellungen wieder verwirklichen können. (Beifall bei der SPÖ.)

Ihre Aussagen hier haben ja bewiesen, wie Sie sich die Sorge um den Staat und vor allem das Mittragen der Maßnahmen, die zum Funktionieren notwendig sind, vorstellen. Ob in der dritten Republik oder, wie Sie nun die Kurve gekratzt haben, in der zweiten, das spielt keine Rolle, ich glaube, es geht hier um den Grundsatz.

Man hat ja heute wieder gesehen, wie widersprüchlich Ihre Aussagen sind. Einerseits greifen Sie Frau Minister Konrad an, andererseits sagen Sie, daß Sie sich für die Anliegen der Frauen einsetzen, sich aber weigern, die richtige Adresse in dem Zusammenhang zu sehen.

Wenn Sie heute Kritik an einzelnen Maßnahmen üben, dann muß ich Sie darauf aufmerksam machen, daß Frauenpolitik mehr ist als das Erfüllen einzelner, noch so notwendiger Schutzfunk


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tionen. Wie konservativ Ihre Einstellung zur Lebenssituation und den Bedürfnissen der Frauen ist, das haben wir ja hier eindrucksvoll erlebt. (Bundesrat Dr. Tremmel: Inwiefern, Frau Kollegin? – Bundesrat Dr. Harring: Erklären Sie uns das!)

Meine Damen und Herren! Ich habe es streckenweise wirklich schon satt, mich damit auseinanderzusetzen, aber es ist nicht meine Art, die Flinte ins Korn zu werfen. Wir leben in einer Demokratie, und deshalb müssen wir uns auch mit Ihrer Meinung und Ihrer Einstellung zu Frauen befassen, auch wenn es noch so weh tut. Ich darf Ihnen nur ein paar Presseaussagen Ihres Parteivorsitzenden näherbringen, in denen seine Vorstellung von einer Frau zum Ausdruck kommen.

Wenn er im Zusammenhang mit der Frau Heide Schmidt feststellt, sie ist eine verhärmte Politikerin, er sich aber eine richtige Frau wünscht, dann, meine Damen und Herren, ist das sein persönlicher Wunsch, den er sich erfüllen kann, wo immer das angebracht ist. In der Politik ist eine richtige Frau eine Frau, die ihre Verantwortung wahrnimmt und die Aufgaben für ihr Klientel, das sie entsendet und mit diesen betraut hat, erfüllt. (Beifall bei der SPÖ. – Bundesrätin Dr. Riess-Passer: Wenn Ihnen sonst nichts mehr einfällt, dann bedauere ich Sie wirklich! – Bundesrat Dr. Harring: Ist das Ihr Zugang zu Frauenfragen?)

Frau Dr. Riess! Ich weiß nicht, ob das Ihre Auffassung von Frauenarbeit oder von Ihrer persönlichen Arbeit ist, wenn ich hier folgende Aussage lese: Die heutige Form des Zusammenlebens ist denaturiert, das ist kein Ideal im nationalen Sinn. – Meine Damen und Herren, bitte, was heißt das? (Bundesrätin Dr. Riess-Passer: Woher haben Sie das? Das haben Sie geträumt!)

Oder: Partnerschaft besteht doch aus zwei Funktionen, dem dienenden und dem führenden Teil. (Bundesrat Dr. Harring: Wo haben Sie das gelesen?) Im "Kurier" vom 7. 10. 1984. Das ist nicht neu, aber Frauenpolitik ist keine kurzfristige Angelegenheit.

Wir haben in der Anfragebeantwortung der Frau Minister gehört, wie langlebig Vorurteile sind. Meine Damen und Herren! Ich bin seit 1957 in der Industrie tätig, ich erlebe tagtäglich Anliegen von Frauen, angefangen von Arbeiterinnen bis zu hochdekorierten Forscherinnen, und ich weiß es, welche Anliegen diese Frauen haben. Es geht ihnen nicht nur um die Schutzfunktion, sondern auch um die Vorstellung, sich nach ihrem Können, nach ihrer Ausbildung und nach ihren Fähigkeiten entwickeln zu können. Und ich schließe in dieses Entwickeln-Können sogar ein, daß eine Frau frei von moralischen Zwängen durch die Gesellschaft und frei von wirtschaftlichen Zwängen sich auch dafür entscheidet, zu Hause zu bleiben und ihre Familie zu betreuen. Nur: Es muß ihre freie Entscheidung sein. (Allgemeiner Beifall. – Bundesrätin Dr. Riess-Passer: Aber gerade diese Möglichkeit nehmen Sie den Frauen! Das ist ja das Problem! Das ist es, warum wir diese dringliche Anfrage stellen!)

Frau Dr. Riess! Diese Möglichkeiten nehmen den Frauen ihre Lebensumstände, und da sind wir hier im Parlament und die Frauenministerin ganz besonders gefordert. Ich habe das heute schon einmal gesagt: So traurig es ist, aber wir hier an dieser Stelle können nicht alle gesetzlichen Vorgaben so machen, daß sie in der Praxis dann auch funktionieren. Und gerade im Bereich der Frauenvertretung ist einfach ... (Bundesrätin Dr. Riess-Passer: Aber die eigenständige Pensionsvorsorge für Frauen ...!) Die muß aber erst finanziert werden. Stellen Sie sich doch nicht uninformierter hin, als Sie eigentlich sind! So etwas funktioniert ja nur, wenn man es finanzieren kann. (Bundesrätin Dr. Riess-Passer: Dann verplempern Sie nicht Millionen für irgendeinen Unsinn!)

Meine Damen und Herren! Tatsache ist, daß Frauenpolitik über weite Strecken von Bewußtseinsbildung geprägt wird. Ich habe es heute hier auch schon einmal gesagt: Solange Frauen "gezwungen" werden – unter Anführungszeichen –, einerseits durch Wertvorstellungen, die ihnen andere Gruppierungen vorgeben, und andererseits durch wirtschaftliche Zwänge, werden Unternehmer diese Situation immer ausnützen und sich die Bedingungen für die Frauen nicht so positiv verändern, wie es notwendig wäre. Das muß sich auf der einen Seite in Schutzmaßnahmen, die in Form von Gesetzen, Vertragsbedingungen, Kollektivverträgen getroffen werden –


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das brauche ich Ihnen ja nicht zu sagen; wenn Sie sich ein bißchen ehrlich mit diesen Dingen beschäftigen, dann wissen Sie ganz genau, wovon die Rede ist –, und andererseits in der Bewußtseinsbildung ausdrücken. Und wie langlebig und zäh Vorurteile sind, brauche ich Ihnen auch nicht zu demonstrieren.

Die Frage, die Sie heute so hochspielen, nämlich die Frage des Verankerns der gemeinsamen Hausarbeit als Eheverfehlung im Gesetz, haben wir seit 1975 ... (Bundesrätin Dr. Riess-Passer: Wer spielt es hoch? Sie spielen es hoch?) Lassen Sie mich bitte ausreden! Diese Frage haben wir bereits seit 1975 im Familiengesetz verankert, und wir stellen heute fest, daß sich die Bewußtseinsbildung nicht in diese Richtung gefestigt hat. Und Sie haben zu diesem Bild der Frau, nämlich eine gleichberechtigte Partnerin in einer Gemeinschaft zu sein, nichts beigetragen. (Bundesrätin Dr. Riess-Passer: Viel mehr als Sie! Viel mehr als Sie!) Ich erinnere Sie noch einmal an die Aussage: für Frauen den dienenden und ausführenden Teil in der Partnerschaft.

Meine Damen und Herren der F! Das ist nicht unsere Vorstellung von einer Frauenrolle, in der "frau" sich entwickeln und ihren Fähigkeiten gemäß eingesetzt und tätig sein kann. Wir führen unsere eigene Bildungspolitik ad absurdum, wir führen alle unsere Ansätze, den Frauen auch im wirtschaftlichen Bereich bessere Chancen in der Arbeitswelt zu ermöglichen, ad absurdum. All das wäre sinn- und nutzlos, wenn es uns nicht gelingt, die Vorurteile zu beseitigen, denn all diese Dinge müssen in der Gesellschaft akzeptiert sein, und, wie gesagt, ich bestreite, daß Sie dazu beitragen. (Bundesrätin Dr. Riess-Passer: Viel mehr als Sie tragen wir dazu bei!)

Frau Bundesminister! Ich denke, es ist überflüssig, daß wir unsere Unterstützung hier demonstrieren und bekunden. Ich möchte für mich in Anspruch nehmen, daß wir Auffassungsunterschiede haben dürfen, welche wir auch diskutieren, aber wir haben ein gemeinsames Ziel: den Frauen in diesem Staat ihren gerechten Anteil in materieller und ideeller Hinsicht zu garantieren. (Beifall bei der SPÖ und bei Bundesräten der ÖVP.)

17.14

Vizepräsident Jürgen Weiss: Als nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Therese Lukasser. Ich erteile es ihr.

17.14

Bundesrätin Therese Lukasser (ÖVP, Tirol): Herr Präsident! Frau Bundesministerin! Meine Damen und Herren! Ich habe jetzt einige Schwierigkeiten, dem Frauenbild zu entsprechen, das Frau Kollegin Kainz so eindrucksvoll demonstriert hat, aber ich werde mich bemühen. (Beifall und Heiterkeit bei der ÖVP.)

Es geht mir in meinen Ausführungen um die Sache und nicht um persönliche Angriffe – bei allem Verständnis für Ihre schwierige Arbeit.

Zwei Dinge wollte ich Ihnen eigentlich schon lange sagen, ich hatte nur keine Gelegenheit dazu, und ich freue mich, daß ich heute dazu Gelegenheit habe. Das eine ist der Werbespot: "Ganze Männer machen halbe/halbe". Ich muß Ihnen sagen, es ist fast unerträglich, dauernd zu hören, "wer aller es tut". Und wenn Sie dem Anliegen nützen wollen, Frau Bundesminister, lassen Sie diesen Werbespot sofort absetzen! – Das ist das eine. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Das zweite, was ich Ihnen sagen wollte, ist – und dazu habe ich sogar einen Auftrag –: Sie haben mit Ihrem Engagement unter den Männern zumindest einen Fan gewonnen, nämlich meinen Mann. (Heiterkeit.) Er ist von der Halbe/halbe-Forderung begeistert. Er meint, dann müsse er wenigstens nur mehr 50 Prozent der Hausarbeit machen. (Allgemeine Heiterkeit. – Beifall bei der ÖVP.)

Aber nun zu einer seriösen Auseinandersetzung mit der dringlichen Anfrage.

Es geht in der Anfrage um die Effizienz des Frauenministeriums. Wurde die Effizienz anderer Ministerien in dringlichen Anfragen hinterfragt? Wurden die Kompetenz, die Effizienz und die budgetäre Ausstattung in Relation gestellt? (Bundesrätin Dr. Riess-Passer: Ja!) Ich möchte nur


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auf dieses Ringen um diese Kinderbetreuungsmilliarde hinweisen. (Bundesrätin Dr. Riess-Passer: Ja, haben wir gemacht! Gesundheitsministerium, Unterrichtsministerium, Sozialministerium!)

Meine persönliche Meinung geht dahin – gerade im Sinne der budgetären Ausstattung –, daß die Effizienz und Kompetenz wesentlich gesteigert werden könnten, würde der Bereich Frauenangelegenheiten dem Bereich Arbeit und Soziales zugeordnet werden.

Und nun einige Anmerkungen zu den Forderungen des geplanten Frauenvolksbegehrens.

Ich bin seit 18 Jahren Vorsitzende der Tiroler Frauenbewegung in unserem Bezirk. Ich war auch stellvertretende Landesleiterin. – Das ist die eine Seite meiner Frauenkompetenz. Ich bin seit 38 Jahren verheiratet, habe drei Kinder und drei Enkel. – Das ist die andere.

Meine Meinung dazu: Die Anliegen dieses geplanten Frauenvolksbegehrens, so wie ich es vorliegen habe, sind weder neu noch realisierbar noch realistisch. Ein paar Beispiele: Die Gleichstellung ist längst in der Bundesverfassung verankert. Ein Großteil der Frauenarbeitsplätze befindet sich in Klein- und Mittelbetrieben, und es ist problematisch, da einzugreifen.

Wir haben vor einigen Jahren 12 000 S Mindestlohn verlangt, und ich habe zum Beispiel meine Friseurin gefragt: Was sagst du dazu? – Ha, hat sie gesagt, das halten sie eh nicht ein. Dann habe ich am gleichen Tag einen Hotelier gefragt: Was sagst du zu 12 000 S Mindestlohn. Da hat er gesagt: Bring mir sofort jemanden, der für mich um 12 000 S arbeitet!

Also diese zwei Komponenten haben wir. Es ist nicht so leicht, irgend etwas zu verlangen, ohne die ganzen Umstände herum auch zu berücksichtigen.

Die Ungleichbehandlung, die verlangt wird, ist verfassungswidrig. Und wer sollte denn die ergänzenden Beiträge zahlen, wenn man Teilzeitarbeit und geringfügige Beschäftigung arbeits- und sozialrechtlich der vollen Erwerbstätigkeit gleichstellen soll?

Ich möchte aus zeitökonomischen Gründen nicht alle Forderungen besprechen. Ich möchte abschließend nur sagen – und da treffe ich mich wieder mit Frau Kollegin Kainz –: Frauenpolitik darf man nicht isoliert betrachten. Frauenpolitik ist Sozialpolitik, Frauenpolitik ist Familienpolitik, Frauenpolitik ist umfassende Gesellschaftspolitik. – Danke. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen sowie Beifall bei Bundesräten der SPÖ.)

17.20

Vizepräsident Jürgen Weiss: Als nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Helga Moser. Ich erteile es ihr.

17.20

Bundesrätin Helga Moser (Freiheitliche, Oberösterreich): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Ministerin! In der heutigen Tageszeitung "Die Presse" wird über ein Interview, das Sie mit dieser Zeitung geführt haben, berichtet. Sie wurden in diesem Interview gefragt, welche Überlegungen Sie anstellen, um eine halbe Milliarde Schilling, die Sie sich jetzt als Zuwendung vom Finanzminister erwarten, anzulegen. Sie meinten in diesem Interview, daß es Ihnen ein Anliegen ist – weil ja jetzt schon ein Arbeitskreis Vorarbeit geleistet hat –, abzuklären, welche Barrieren es für Frauen in der Informatik gibt. Ich habe ein bißchen Probleme, das jetzt richtig zu verstehen: Meinen Sie vom Arbeitsplatz, vom Angebot her oder meinen Sie vom Denken der Frauen her? – Ich kann mit dieser Aussage eigentlich nicht sehr viel anfangen. Ich würde Sie bitten, mir das zu erklären.

Sie stellten in diesem Interview auch Überlegungen betreffend den Einsatz von Computern im Gesundheitsbereich an und meinten, man könnte die neuen Technologien modellhaft erproben – Sie sprechen hier von einem Modell –, indem etwa chronisch Kranke via Computer von zu Hause aus mit Betreuungspersonal und Ärzten in Kontakt treten.

Frau Ministerin! Seien Sie mir nicht böse, aber als ich das gelesen habe, habe ich mich schon gefragt, in welcher Welt Sie eigentlich leben. Denn gerade chronisch Kranke brauchen nicht nur


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Medikamente, die sie via Computer ordern, oder wollen nicht nur dem Arzt via Computer ihre Befindlichkeit schildern, sondern – und wir haben einen großen Anteil von allein lebenden chronisch Kranken – brauchen Zuwendung. Und gerade wenn chronisch Kranke nicht die Möglichkeit haben, in Familien zu leben, die sie unterstützen, sind das Kommen des Betreuungspersonals, der Besuch eines Arztes – und das wissen Sie genauso gut wie ich – oftmals der einzige zwischenmenschliche Kontakt. Und den wollen wir beseitigen, indem wir über Computer Dinge ordern?

Frau Ministerin! Sie haben in Ihrer Anfragebeantwortung jetzt auch erwähnt, daß die Freiheitlichen Ihre Forderungen betreffend Frauenanliegen nicht unterstützen. Mein Kollege Rockenschaub ist schon auf einige Punkte eingegangen; ich möchte diese nicht wiederholen. Ich persönlich unterstütze aber sicherlich nicht, daß gesetzliche Grundlagen rein von der Ideologie her entwickelt werden. Wenn eine politische Gruppe sagt: Wir wollen auch das private Zusammenleben in Gesetzen festschreiben – dieses Zitat entnehme ich der heutigen "Presse" –, dann wird das von uns sicherlich nicht unterstützt werden.

Ich wünsche mir eine Verwaltung beziehungsweise einen Staat, der Rahmenbedingungen schafft, etwa für die Erziehung der jungen Menschen. (Zwischenruf der Bundesrätin Kainz. ) Das hängt mit den Bildungsinhalten, die man anbietet, und mit den Strukturen zusammen. Das gleiche gilt für den Arbeitsplatz sowie die finanzielle Absicherung. Da sind Rahmenbedingungen zu schaffen!

Schauen Sie einmal, wie viele Ehen scheitern, weil die Alltagsprobleme nicht bewältigt werden können, weil die Menschen nicht in der Lage sind, wenn Probleme auftauchen, diese gemeinsam zu lösen. Machen wir doch bitte etwas im Hinblick auf Bewußtseinsbildung! (Bundesrätin Schicker: Das ist es! – Bundesrat Konečny: Darum geht es!)

Machen wir etwas, damit wir zwischenmenschlich wieder kommunizieren können, aber schreiben wir bitte nicht per Gesetz vor, wie sich ein Paar die Arbeit aufteilt. (Ruf bei der SPÖ: Da haben Sie Rockenschaub nicht zugehört!) Denn genau das ist für mich der Ansatz: Durch solche Aussagen werden Frauen, die sagen, sie bleiben gerne zu Hause, sie widmen einige Jahre ihres Lebens sehr gerne der Erziehung, sie setzen sich für die Familie ein, diskriminiert.

Ich erlebe immer wieder, daß Frauen, wenn sie gefragt werden, welchen Beruf sie haben, dann sagen: Ich bin ja nur Hausfrau. – Bitte werten wir doch einen Beruf – und für mich ist das ein Beruf – nicht gar so ab und setzen wir etwas andere Prioritäten! (Zwischenruf bei der SPÖ.)

Frau Ministerin! Wir waren, bevor Sie gekommen sind, bei der Diskussion über den Sozialbericht und waren uns eigentlich überfraktionell einig, daß gerade für die Frauen etwas getan werden muß. Der Bericht zeigt ja auf, daß Frauen ein geringeres Einkommen haben, daß Frauen weniger Aufstiegsmöglichkeiten haben, daß jedenfalls die Situation der Frau im Arbeitsleben auch sehr problematisch ist. Ich würde mir wünschen, daß wir verstärkt auf diesen Bereich eingehen.

Wenn Kollegin Kainz jetzt gemeint hat: Was kann denn die Frauenministerin für so viele Dinge dafür?, dann frage ich mich schön langsam, wozu wir eine Regierung haben. Zuerst haben Sie mir, als ich Forderungen an den Sozialminister gestellt habe, vorgehalten, er könne diese ja nicht erfüllen. Wenn wir jetzt Forderungen in Frauenfragen an die Frau Minister stellen, dann heißt es, sie sei der falsche Ansprechpartner. Ich bin neu im Bundesrat, vielleicht kann mir einmal jemand erklären, wer jetzt wirklich mein Ansprechpartner ist. – Danke. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

17.27

Vizepräsident Jürgen Weiss: Als nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Johanna Schicker. Ich erteile es ihr.

17.27

Bundesrätin Johanna Schicker (SPÖ, Steiermark): Sehr geehrter Herr Präsident! Frau Bundesministerin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich hätte mich heute wirklich sehr


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gewundert, wenn keine dringliche Anfrage gekommen wäre, und zwar kam sie auch aus dem Grund, weil Sie in der Causa CA nicht so gut abgeschnitten haben, wie Sie sich das erhofft haben, und jetzt brauchen Sie eben irgendeinen neuen Reibebaum, wo Sie sich wieder auslassen können.

Ich habe mich aber nicht zu Wort gemeldet, um heute hier unsere Frauenministerin zu verteidigen, ... (Zwischenrufe bei den Freiheitlichen.) – Ich habe die FPÖ aber schon genannt. Haben Sie das nicht gehört? Ich habe die FPÖ schon genannt. – Ich habe mich nicht zu Wort gemeldet, um unsere Frauenministerin zu verteidigen – das kann sie selbst viel besser –, sondern ich habe mich vielmehr deswegen zu Wort gemeldet, um die Frauenministerin in ihren Bemühungen zu unterstützen, für die Frauen bessere Voraussetzungen für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu schaffen. Und das ist, so glaube ich, eine Forderung, die wohl von allen Frauen hier im Saal mitgetragen werden muß. (Bundesrat Ing. Penz: Auch von den Männern!) Auch von den Männern! Danke für die Beifügung, Herr Kollege! Natürlich auch von den Männern, aber vordringlich von den Frauen, und da spreche ich selbstverständlich auch die Frauen in der FPÖ an.

Viele von uns Frauen, die hier im Bundesrat sind, und auch andere Mandatsträgerinnen, glaube ich, könnten diesen Beruf beziehungsweise dieses Mandat nicht ausüben – Kollegin Lukasser hat das treffend formuliert –, wenn sie nicht Partner hätten, die sie auch im Haushalt unterstützen, die während ihrer Abwesenheit – auf mich trifft das nicht mehr zu, weil mein Sohn schon zu groß ist, aber auf andere sehr wohl – auf die Kinder aufpassen oder auch die Eltern oder Schwiegereltern betreuen, was ja auch in vielen Haushalten der Fall ist. Ich verstehe daher die Aufregung, Frau Kollegin Dr. Riess-Passer, unter den FPÖ-Frauen und auch unter den FPÖ-Männern nicht, wenn die Frauenministerin diese partnerschaftlich getragene Lebensgestaltung auch in das Bewußtsein jener bringen will, die sich bisher jeglicher Beteiligung an der Hausarbeit, an der Kinderbetreuung et cetera entzogen haben.

Ich verstehe diese Aufregung nicht! – Bitte? (Bundesrätin Dr. Riess-Passer: Glauben Sie, die lassen sich durch einen Kinospot überzeugen? Das ist doch nicht Ihr Ernst!) Das ist ein Beitrag zur Bewußtseinsbildung; das glaube ich sehr wohl.

Ihr Vorwurf betreffend die Schaffung einer ausreichenden Zahl von Kinderbetreuungseinrichtungen geht ebenfalls in die falsche Richtung. Ich habe zu Beginn der Ausführungen der Frau Ministerin einen Einwand von Herrn Dr. Prasch gehört. Sie sollten doch wirklich wissen, daß Kindergärten und Kinderbetreuungseinrichtungen in erster Linie in die Kompetenz der Länder fallen. (Ruf bei den Freiheitlichen: Und Gemeinden!) Länder und Gemeinden, sehr richtig! Aber in erster Linie haben die Länder die Kompetenz für Kinderbetreuungseinrichtungen. Trotzdem hat die Frau Bundesministerin anläßlich der letzten Budgetverhandlungen erreicht, daß vom Bund 600 Millionen Schilling über die Länder für den Ausbau von Kinderbetreuungseinrichtungen mit flexiblen Öffnungszeiten et cetera zur Verfügung gestellt werden. Das – bitte, das muß man hier schon sagen – war das alleinige Verdienst der Frauenministerin in Zusammenarbeit mit den sozialdemokratischen Frauen, um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie für Frauen zu erleichtern, denn bis jetzt bestand und besteht noch immer ein großes Manko an Kinderbetreuungseinrichtungen. Ich erinnere nur daran: Im Vergleich zu anderen EU-Ländern liegen wir im unteren Drittel. Also da haben wir wirklich einen großen Nachholbedarf. Aber, wie gesagt, hier sind vor allem die Länder gefordert, ihren Verpflichtungen nachzukommen, aber auch die Wirtschaft, möchte ich meinen, sollte sich in dieser Sache nicht vor der Verantwortung drücken und vermehrt Betriebskindergärten einrichten. Jeder größere private Betrieb könnte, um den Frauen zu helfen, Betriebskindergärten schaffen. (Bundesrat Dr. Rockenschaub: Die öffentliche Hand!) Ja, ich habe nichts dagegen.

Warum aus der geforderten und dringend benötigten Kindergartenmilliarde letztendlich "nur" – unter Anführungszeichen – 600 Millionen Schilling geworden sind, brauche ich, glaube ich, heute hier auch nicht mehr auszuführen. (Zwischenruf bei den Freiheitlichen.) Na ja gut, da müssen Sie aber die ÖVP fragen, vielleicht bei einer Ihrer nächsten dringlichen Anfragen. Das lag nicht in unserem Bereich. Das ist nicht durchgegangen. Das kann ich von dieser Stelle aus wirklich sagen.


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Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frauenprobleme – und das haben auch die Kollegin Kainz und die Kollegin Lukasser vorhin schon angesprochen – können nur gemeinsam mit Männern gelöst werden. Dazu stehe ich, und ich glaube – wir wissen das auch –, nur in diesem Sinne ist auch die Aktion "Ganze Männer für halbe/halbe" zu verstehen. – Ich danke Ihnen. (Beifall bei der SPÖ und bei Bundesräten der ÖVP.)

17.32


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621. Sitzung / Seite 64

Vizepräsident Jürgen Weiss:
Als nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Gottfried Jaud. Ich erteile es ihm.

17.32

Bundesrat Gottfried Jaud (ÖVP, Tirol): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Ministerin! Hoher Bundesrat! Für die Entwicklung unserer Gesellschaft, glaube ich, sind die Veränderungen in Frauenangelegenheiten von großer Bedeutung. Bitte erinnern wir uns zurück: Unsere Mütter hatten noch keine Chance. Sie mußten auf Gedeih und Verderb, ob der Mann jetzt gut oder schlecht war, bei ihm bleiben. Sie konnten nicht einmal nach Hause zurückgehen, denn auch das war verpönt. Die haben alle gesagt: Du mußt bei deinem Manne bleiben.

Gott sei Dank ist das heute anders. (Bundesrätin Crepaz: Aber nicht durch eure Hilfe!) Wir dürfen also hier nicht so reden, als würden wir uns im tiefsten Mittelalter befinden. Ich glaube, daß sich sehr viel bewegt hat.

Ich selbst bin in einem patriarchalischen Haushalt aufgewachsen. Ich muß sagen, ich mache es anders. Das Beispiel hat mir nicht gefallen. Ich mache meine täglichen Einkäufe, koche an den Wochenenden und helfe auch sonst im Haushalt mit. Auch Backen gehört bei mir dazu. Das mache ich, bitte schön. Nur: Das mache ich freiwillig. (Beifall und Bravoruf bei der ÖVP.)

Ich hätte sicherlich nur zur Hälfte Freude an dieser Arbeit, wenn mich eine gesetzliche Regelung dazu zwingen würde (Beifall eines einzelnen Bundesrates), wie ich überhaupt glaube, daß ein Eingreifen in die Familienautonomie von Gesetzes wegen sehr schwierig, ja teilweise vielleicht sogar unverantwortlich und sehr bedenklich ist. Es würde damit nämlich ein weiterer Grund für Streit und für das Auseinandergehen der Paare geschaffen, und wir alle kennen ja unsere Gesellschaft und wissen, daß es sehr schwierig ist, diese Partnerschaft in Zukunft aufrechtzuerhalten.

Einen weiteren Aspekt möchte ich in der Beziehung jetzt noch einbringen, und zwar das patriarchalische Verhalten der jungen Männer. Ich spreche auch ab und zu mit jungen Frauen, und da stelle ich folgendes fest: Wenn sie versuchen, eine Partnerschaft einzugehen, wenn sie eine Bekanntschaft machen, so läßt sich der junge Mann bei dem Mädchen behaglich nieder und glaubt, sie würde ihn so bedienen wie seine Mutter. Das macht sie zwei-, dreimal, dann merkt sie, "hoppla", sie ist dann sehr enttäuscht von den jungen Männern, gibt auf und bleibt dann meist allein.

Ich glaube, daß eine große Aufgabe der Mütter darin liegt, die jungen Männer anders zu erziehen, nämlich sie schon ab dem 10. Lebensjahr, wenn sie das schon ein bißchen geschickt können, entsprechend zur Hausarbeit heranzuziehen, damit sie in der heutigen modernen Gesellschaft auch partnerschaftsfähig werden. (Bundesrätin Schicker: Unsere Kinder machen das schon!) Ja, auch meine Söhne kochen genauso wie der Vater. Wir geben ein gutes Beispiel. (Bundesrätin Crepaz: Auf das männliche Vorbild kommt es an!)

Obgleich die Sehnsucht der Jugend nach Ehe und Familie sehr groß ist, gibt es, wie ich bereits gesagt habe, immer mehr allein lebende Menschen. Ich glaube, wir sollten nicht versuchen, durch mehr gesetzliche Regelungen einzugreifen. An erster Stelle soll und muß unser eigenes Beispiel stehen. Damit würden wir die Familien am meisten unterstützen. Frauenpolitik sollte in erster Linie Familienpolitik sein, eine Politik für Familien und Partnerschaften im harmonischen Miteinander, jeder nach seinen Fähigkeiten. – Ich danke Ihnen. (Beifall bei ÖVP und SPÖ sowie bei Bundesräten der Freiheitlichen. – Bundesrätin Kainz übergibt Bundesrat Jaud ein T-Shirt mit entsprechendem Werbeaufdruck.)

17.36

Vizepräsident Jürgen Weiss: Als nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Monika Mühlwerth. Ich erteile ihr das Wort. (Unruhe.) – Ich bitte, sich wieder zu beruhigen und der Rednerin zuzuhören.

17.36

Bundesrätin Monika Mühlwerth (Freiheitliche, Wien): Sehr geehrter Herr Präsident! Frau Minister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe mit Interesse vermerkt, daß Kollegin Kainz – sie ist jetzt nicht da – beklagt hat, daß die freie Wahlmöglichkeit der Frauen nicht gegeben ist. Wir haben am 28. November 1996 im Nationalrat einen Entschließungsantrag eingebracht, in dem genau das gefordert wird, nämlich die Möglichkeit, frei und ohne jede Diskriminierung zu entscheiden, ob man zu Hause bleiben und sich der Kindererziehung widmen oder berufstätig sein oder beides miteinander verknüpfen möchte.

Wenn Frau Kollegin Kainz sagt, das sei aus ökonomischen Gründen so schwierig, das könne sich ja niemand leisten, dann muß ich jetzt fragen: Wo war die sozialdemokratische Regierung, der Sie ja angehören, was haben Sie in den letzten 20 Jahren gemacht, daß es heute nicht möglich ist, sich frei zu entscheiden, welche Form des Familienlebens man haben möchte? (Beifall bei den Freiheitlichen. – Bundesrat Prähauser: "frau" haben möchte!)

Viel von dem, was heute schon angesprochen wurde von den anderen Kolleginnen und Kollegen und natürlich auch von Ihnen, Frau Minister, ist durchaus richtig, und es sind sinnvolle Forderungen. Nur: Als ich Ihren Ausführungen zugehört habe, ist mir aufgefallen, daß diese wenig Konkretes enthalten. Es gibt viele Absichtserklärungen. Es gibt Frauenservicestellen, Gleichbehandlungsstellen. Alles mögliche wird eingerichtet, aber damit ist den einzelnen Frauen tatsächlich und unmittelbar noch in keiner Weise geholfen.

Es werden – das fällt mir immer wieder auf – hauptsächlich Frauen angesprochen, die berufstätig sind. Die Hausfrauen kommen eigentlich gar nicht wirklich vor. Es gibt sie wohl, aber sie werden nie angesprochen. Das zeigt sich auch immer wieder, wenn man Frauenmagazine oder die hinteren Seiten der Zeitschrift "NEWS" durchblättert: Wesentlich und wichtig sind immer nur diese sogenannten Powerfrauen. Das sind die tollen starken Frauen, die ganz locker, ohne Probleme Familie, Haushalt und Beruf unter einen Hut bringen können, die hübsch und gepflegt ausschauen, die gertenschlank sind und ein bißchen dem Bild eines Models entsprechen. Und so möchte dann jede sein.

Es gibt viele Frauen, die dann versuchen, auch diesem Bild zu entsprechen. Nur scheitert das natürlich, denn das geht gar nicht so einfach.

Das geht bei einigen wenigen Frauen, die gut betucht sind, die sich ein Kindermädchen leisten können, die jemanden haben, der die Wohnung aufräumt, die all diese Arbeiten im Haushalt, die uns Frauen, auch uns, die wir hier sitzen, belasten, nicht selber erledigen.

Da läuft natürlich schon etwas in die falsche Richtung, und das muß auch entsprechend transportiert werden.

Es wird immer vom Karenzjahr gesprochen, das für Alleinerzieherinnen jetzt ohnehin schon auf eineinhalb Jahre verlängert worden sei; zwei Karenzjahre sind nur dann möglich, wenn der Mann sich bereit erklärt, wenigstens ein halbes Jahr zu Hause zu bleiben. Wenn aber Frauen darüber hinaus noch zu Hause bleiben und ihre Kinder betreuen wollen, dann wird der Wiedereinstieg in den Beruf mit zunehmendem Alter immer schwieriger.

Frau Ministerin! Da hätten Sie ein weites Betätigungsfeld, und ich würde mir wünschen, daß Sie sich auch einmal dafür einsetzen würden, daß auch – ich sage es unter Anführungszeichen – für "ältere" Frauen – mit 30, 35 ist eine Frau noch nicht "älter", auch mit 40 halte ich mich nicht für "älter", und ich nehme an, auch Sie empfinden das so – etwas geschieht, denn in diesen Alterskategorien wird es eben immer schwieriger – mit jedem Jahr! – den Wiedereinstieg in den Beruf zu schaffen.


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Das hängt natürlich auch mit dem sich rasch ändernden Arbeitsmarkt zusammen, und da wäre es wirklich wichtig, eine etwa drei Monate oder ein halbes Jahr – über den Zeitraum kann man ja dann durchaus sprechen – dauernde Art von Wiedereinstiegsschulung für Frauen, die längere Zeit zu Hause waren, vorzusehen. (Bundesrätin Schicker: Das gibt es doch überall bereits über das Arbeitsmarktservice! Die Wirtschaft nimmt die Frauen nicht an! Das ist doch nicht die Schuld der Frauenministerin!)

Ich weiß, daß es all diese Dinge theoretisch gibt. Es gibt theoretisch Schulungen und alles, in der Praxis schaut das aber alles anders aus. Ich weiß, Sie zitieren gern die Theorie, aber schauen Sie sich das in der Praxis an! Die Theorie stimmt nämlich überhaupt nicht oder nur zu einem ganz geringen Teil.

Es sind viele Dinge schon von meinen Kollegen gesagt worden. Ich möchte jetzt nicht noch einmal diese ganze Kampagne-Geschichte aufwärmen, sondern möchte nur einen Satz dazu sagen: Diese 3 Millionen hätte man wesentlich effizienter und besser verwenden können.

Gerade in der Frauenpolitik hat es manchmal den Anschein – obwohl es nicht so gemeint ist, aber es kommt so heraus –, als ob es da nur ein Gegeneinander gäbe, die Männer gegen die Frauen und die Frauen gegen die Männer. Ich glaube, das Wesentliche – auch der Gesellschaftspolitik allgemein; die Gesellschaft besteht nun einmal aus Männern und Frauen, es gibt ja nicht nur Frauenpolitik allein – ist – und das sollten wir uns alle zu Herzen nehmen – das Miteinander und nicht das Gegeneinander. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

17.43

Vizepräsident Jürgen Weiss: Als nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Albrecht Konečny. Ich erteile es ihm.

17.43

Bundesrat Albrecht Konečny (SPÖ, Wien): Herr Präsident! Frau Minister! Meine Damen und Herren! Ich bin Kollegin Moser sehr dankbar, weil sie letztlich auch klar zum Ausdruck gebracht hat – und daran sollten wir festhalten –, daß Sie (zu den Freiheitlichen) von uns eine grundlegende ideologische Differenz trennt. Ich meine, das ist etwas, worauf wir Sozialdemokraten stolz sein können. (Beifall bei der SPÖ.)

Wir wollen keine Gemeinsamkeiten konstruieren, wo es sie nicht gibt. Wir wollen keine Bündnisse anbieten, wo sie nicht möglich sind, und wir wollen keine Widersprüche wegharmonisieren, wo sie objektiv existieren.

Wenn wir über dieses Thema sprechen, das Sie zum Gegenstand einer dringlichen Anfrage gemacht haben – bei der Sie offenbar nicht bedacht haben, daß die Länge der Antwort in einer Relation zur Länge der Frage steht, und Sie dann daher etwas ermüdet waren und auch Ihre Aufmerksamkeit entsprechend nachgelassen hat –, es einigermaßen ernsthaft beleuchten wollen – und ich unternehme diesen Versuch, obwohl ich weiß, daß ich bei einigen nur hämische Gesichter sehen werde; ich habe ja das Pech, vor einigen von ihnen zu sitzen –, dann ist doch wohl eines klar: daß es dabei um kein Thema geht, das nach den schlichten Regeln von Regierung und Opposition, von Erfolg und Versagen auf der politischen Ebene abgehandelt werden kann.

Ich sage das nicht, um irgend etwas zu entschuldigen, sondern weil es einfach wahr ist. Bei grundlegenden gesellschaftlichen Fragen ist die Politik ein Akteur, aber sie ist keineswegs der einzige Akteur. Wenn sie agiert – und das ist der Kernpunkt –, dann muß sie das machen, was heute hier so heftig kritisiert worden ist, nämlich Bewußtsein bilden bei denen, die in dieser Gesellschaft leben und vielleicht auch ein bißchen Einfluß ausüben. (Beifall bei der SPÖ.)

Ich behaupte nicht – und es wäre auch eine glatte Lüge –, daß jeder Sozialdemokrat – in diesem Fall sehr bewußt mit der männlichen Endung ausgesprochen – der größtdenkbare Vorkämpfer der Gleichberechtigung der Frauen ist. Ich will mich hier kommentarmäßig zu anderen Parteien nicht äußern. Mir ist die Frage zu ernst, um sie so anzugehen, wie das einige Sprecher von Ihnen getan haben. Wahr ist – und auch da kann man etwas nicht wegharmonisieren, was


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objektiv existiert –: Wenn wir davon sprechen, daß wir Frauen einen entsprechenden Anteil an Leitungsfunktionen in diesem Land, in der Politik und in der Verwaltung, zuerkennen wollen, dann gibt es in der betreffenden Generation, die davon betroffen ist, eine entsprechende Anzahl von Männern, die, wären sie 20 Jahre älter, diesen Job erreicht hätten, ihn aber in ihrer Generation nicht erreichen können.

Das ist ein Gegensatz. Wer sagt, das sei kein Gegensatz, lügt – vielleicht unabsichtlich. Aber wenn wir dieses Anliegen ernst nehmen, dann wird der eine oder andere – das gilt vor allem für die Jüngeren unter uns –, wenn er ein Mann ist, einen Schritt zurücktreten müssen, und der, der ... (Bundesrat Dr. Tremmel: Schauen Sie unsere Fraktion an! Schauen Sie sich das an!) Danke für diesen Zuspruch. Darf ich trotzdem fortsetzen?

Diese Gegensätze sind zu besprechen, diese Gegensätze sind bewußtzumachen, diese Gegensätze gehören in den gesellschaftlichen Diskurs hinein, und das nicht in Form eines Vorwurfes, das nicht in Form einer unreflektierten Kritik, aber als Aufzeigen von Rahmenbedingungen.

Nun ist es schon richtig, daß man von verschiedenen Seiten in dieses Thema einsteigen kann, und es ist auch richtig, daß wir meinen, daß die Berufstätigkeit in die Wahlfreiheit der Frauen fallen muß. Diese Wahlfreiheit fällt halt in immer mehr Fällen, nicht nur, aber sicher auch aus ökonomischen Gründen, aber auch, weil das halt ein mögliches Stück Selbstverwirklichung ist, zugunsten der Berufstätigkeit aus.

Wir teilen aber nicht die Meinung – Sie haben vorhin im Chor gerufen: woher und von wann?, ich sage es daher gleich vorneweg: Jörg Haider, "Die Freiheit, die ich meine", 1993 –, wir sind ausdrücklich nicht der Meinung, wie sie im folgenden Zitat zum Ausdruck kommt: Die feministische Illusion von der Selbstverwirklichung der Frau im Beruf hat sich als verhängnisvoller Irrtum erwiesen. – Zitatende.

Ich weiß nicht, wo der "verhängnisvolle Irrtum" liegt. Frauen erfüllen in optimaler Weise zahllose berufliche Funktionen. (Bundesrat DDr. Königshofer: Männer auch!) – Das gehört jetzt in den Bereich der hämischen Bemerkungen. Natürlich Männer auch, aber das war ja sozusagen der Normalzustand, daß in all diesen leitenden Funktionen Männer gesessen sind. Darüber ist nicht zu diskutieren. Wir haben aber gleichzeitig eine Familienstruktur – und da komme ich zum Thema Hausarbeit –, in der aus der alten Struktur übernommen schon eine bestimmte Arbeitsteilung stattfindet. Ich will mich nicht als historischer Politiker betätigen, wie gut oder wie schlecht es damals war, aber eine innere Logik hat es schon: Einer geht außer Haus, also geht arbeiten, und die andere hält das Haus in Ordnung. Historisch gesehen ist es so.

Wenn nun beide arbeiten gehen, dann kann das ja wohl keine faire Arbeitsteilung sein, daß die eine arbeiten geht und – ich weiß nicht – zu 80 Prozent – außer Mistausttragen, wie die Statistik zeigt – den Haushalt erledigt und der andere nur arbeiten geht. Die Frage wäre ja eher – das Wort "Nur-Hausfrau" ist heute ein paar Mal gefallen –, ob man nicht vielleicht den Begriff des "Nur-Berufstätigen" in die politische Diskussion einführen sollte, um da die Proportionen zurechtzurücken. (Bundesrätin Moser: Berufstätigkeit ist anerkannt, Hausarbeit nicht!)

Ich habe bewußt gesagt: einführen. Die Hausarbeit ist tatsächlich an den Frauen hängengeblieben, und der soziale und gesellschaftliche Wandel hat hier nicht adäquat Berücksichtigung gefunden. Gesellschaftspolitik – und das ist in sehr wirkungsvoller Weise das, worum sich die Frau Ministerin bemüht – heißt, durch Gesetzesbestimmungen, durch öffentliche Auftritte, durch Information, durch eine bewußt losgetretene Diskussion deutlich zu machen, was in dieser Gesellschaft möglich und sinnvoll und erwünscht ist.

Es geht nicht darum, ein Gesetz zu schaffen, das die Verordnungsermächtigung enthält, die Anzahl der Teller im Geschirrspüler aufzuteilen. – Unter uns gesagt: Es ist ja die harmlosere Variante, einen sauberen Teller wieder aus einem Geschirrspüler herauszunehmen; da steht ja eher eine positive Konkurrenz dahinter, wer damit etwas abdienen darf; es gibt verdammt unangenehmere Sachen im Haushalt zu erledigen. (Bundesrat Mag. Gudenus: Sie banalisieren das Thema aber jetzt schon sehr!)


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Aber, Herr Kollege, reden Sie doch nicht vom Banalisieren! Kommen Sie heraus, damit wir wissen, was banal ist. (Heiterkeit und Beifall bei Bundesräten der SPÖ.)

Die Tatsache ... (Bundesrat Dr. Böhm: Das war aber nicht sehr sachlich!) – Ich gebe eines zu, Herr Professor: Beim Kollegen Gudenus tue ich mir mit der Sachlichkeit ein bißchen schwer. Herr Kollege, ich bin länger da als Sie, und ich habe den Kollegen Gudenus hier so oft gehört, daß ich mir mit der Sachlichkeit tatsächlich wirklich schwertue. Ich bitte gebührend um Entschuldigung, aber Sie werden, wenn er hier öfter auftritt, dies nachempfinden lernen.

Darf ich zu meinem Thema zurückkehren, ob "banal" nach Meinung des Herrn Gudenus oder nicht ... (Zwischenruf des Bundesrates Mag. Gudenus. ) – Es langt!

Ich glaube also, daß wir in einer solchen gesellschaftlichen Auseinandersetzung nicht um Detailregelungen ringen sollen, aber angeben sollen und angeben wollen, wie diese Last verteilt wird. Und die Sanktion besteht ja nicht in der Ersatzvornahme oder in der einstweiligen Verfügung über die nächste Maßnahme, die im Haushalt zu setzen ist, sondern sie besteht darin, daß neben anderem gesellschaftlich nicht akzeptierten Verhalten auch diese Verweigerung der Mitarbeit im Haushalt im Falle der Scheidung einfach ein Belastungspunkt, um es einmal so zu sagen, ist.

Ich glaube nicht, daß wir damit eine Scheidung mehr produzieren. Bei vielen Paaren ist diese Frage aber eine heißumstrittene. Wir werden mit dem Gesetz auch nicht wirklich beeinflussen, wie diese innerfamiliären Diskussionen ausgehen werden, aber wir können versuchen – und Gesellschaftspolitik heißt immer, den Versuch unternehmen –, hier eine Leitlinie über das Erwünschte vorzugeben.

Ich glaube, daß Österreich mit dieser schwierigen Entscheidung – das war ja nicht so ganz klar –, ein Ministerium zu schaffen, das tatsächlich im wesentlichen ein Ministerium ist, das die Aufgabe hat, Impulse zu geben und zu hoffen, daß aus diesen Impulsen eine breite Bewegung wird, letztlich doch eine richtige Entscheidung getroffen hat. Mag sein, daß die, die vor langer Zeit diese Entscheidung getroffen haben, sich bei den Amtsinhaberinnen ein bißchen entschuldigen müssen, denn es ist ein Ressort, das nicht mit einem Milliardenbudget ausgestattet ist. Es ist im wesentlichen ein Ressort, das versuchen muß, andere Ressorts, andere Gebietskörperschaften, im Bereich der Kindergärten etwa, zum Handeln zu motivieren. Wenn wir daran den Erfolg dieses Ministeriums und den Erfolg dieser Ministerin messen, dann gibt es in dieser Bundesregierung wenige, die sich mit ihr messen können. (Beifall bei der SPÖ.)

17.55

Vizepräsident Jürgen Weiss: Als nächste zu Wort gemeldet hat sich Frau Bundesministerin Dr. Helga Konrad. Ich erteile ihr das Wort.

17.55

Bundesministerin für Frauenangelegenheiten Dr. Helga Konrad: Sehr geehrte Damen und Herren! Ich wollte auf ein paar Anregungen eingehen, die hier in der Debatte gefallen sind, und ich glaube, daß ich vorweg noch einmal betonen kann: Wir würden heute nicht hier debattieren, ich wäre heute nicht im Bundesrat, wenn es nicht diese Bewußtseinsbildungskampagne "Ganze Männer machen halbe/halbe" gäbe, denn das hat also doch... (Bundesrat Dr. Bösch: Die Freiheitlichen hätten Sie dazu eingeladen!) – Das freut mich. Ich meine aber, es war diese Kampagne, die sehr wohl die Diskussion über ein wichtiges Thema entfacht hat.

Und wenn es heute hier in der Debatte mehrmals geheißen hat: Reden wir doch über die Situation der Frauen im Arbeitsleben!, dann bitte ich Sie doch, soweit mitzudenken und soweit ehrlich zu sein, daß genau das das Thema ist. Gerade die Tatsache, daß Frauen allein für diese Versorgungsarbeit zuständig sind, bewirkt doch ihre Benachteiligung im Arbeitsleben, bewirkt, daß sie unsichere Arbeitskräfte sind, bewirkt ihre Diskriminierung und Benachteiligung bis hin ins Alter. Ich bitte Sie, das einmal ernsthaft zu überlegen. Genau das ist das Thema.

Wenn Sie sagen, die Hausfrau wird abgewertet, wird nicht entsprechend bewertet, dann bitte ich Sie, einmal genau hinzuschauen: Genau das ist das Thema, denn wir reden ja von einer Umver


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teilung dieser Versorgungsarbeit. Wenn also auch Männer diese Versorgungsarbeit mittragen und mitleisten sollen, bitte, worum geht es denn dann anderes, als diese Arbeit aufzuwerten? Es geht ja darum, auch Männer, die sonst eben anderes machen, was, wie sie häufig sagen, wichtiger ist, in diese Arbeit miteinzubeziehen.

Also ich bitte Sie, doch noch einmal ernsthaft zu überlegen und zu sehen: Genau darum geht es, genau das ist das Thema – und nichts anderes.

Oder: Sie sprechen von Auseinandersetzungen, davon, daß Ehen dadurch zerbrechen. Ich meine, nur dann, wenn in einer Ehe beide zufrieden sind und auch ihre Verwirklichung finden, die für viele Frauen oft anders ausschaut als das, was sie tatsächlich tun, nur dann halten Ehen auch. Ich bitte Sie, genau hinzuschauen und auch zu sehen, daß die Frage der Umverteilung der Versorgungsarbeit auch ein Beitrag dazu ist.

Sie sagen auch: Wie schaut die freie Wahlmöglichkeit für Frauen aus? Auch da bitte ich Sie, genau hinzusehen: Wenn diese Versorgungsarbeit allein auf den Frauen lastet, dann haben sie diese Wahlmöglichkeit nicht. Wenn aber Männer diese Versorgungsarbeit mit den Frauen teilen, dann haben sie sehr wohl die Möglichkeit zu sagen: Ich bleibe zu Hause!, oder aber: Ich verbinde Kinder und Familie mit dem Beruf. Ich bitte Sie, das so zu sehen. Das ist genau das Thema.

Und wenn Sie dann vom Wiedereinstieg und von den Schwierigkeiten in diesem Zusammenhang sprechen, dann bitte ich Sie auch da, zu sehen, daß das genau das Thema ist, denn je länger Frauen aus der Arbeitswelt draußen sind, je länger sie etwa in grauen Arbeitsverhältnissen irgend etwas versuchen, umso schwieriger ist der Wiedereinstieg. Und auch hier komme ich wieder zum Thema: Umverteilung der Versorgungsarbeit.

Ein Letztes – obwohl es noch einiges mehr dazu zu sagen gäbe. Sie sagen: Mischen wir uns doch nicht in Privates ein! Schauen Sie doch bitte genau hin und geben Sie doch zu, daß dieses Private eminent öffentliche Auswirkungen hat. Das Private ist nur scheinbar privat, und für Frauen hat es sehr nachteilige Auswirkungen für ihr ganzes Leben, bis hin ins Alter.

Und ich wollte Sie eigentlich nur bitten, die Problematik "Umverteilung der Versorgungsarbeit" wirklich als Ganzes zu sehen und nicht als irgendwelche Teilchen, gegen die man einfach sein muß. Wie Herr Abgeordneter Konečny richtig gesagt hat: Es geht nicht um Teller und darum, wie viele Teller es sein sollen. Ich bitte Sie, das so zu sehen, und ich bitte Sie auch, das zu unterstützen. (Beifall bei der SPÖ.)

18.00

Vizepräsident Jürgen Weiss: Als nächster zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesrat Dr. Paul Tremmel. Ich erteile es ihm.

18.00

Bundesrat Dr. Paul Tremmel (Freiheitliche, Steiermark): Herr Präsident! Frau Bundesministerin! Meine Damen und Herren! Ich schließe dort an, Frau Ministerin, wo du geendet hast und wo auch Kollege Konečny geendet hat: Bewußtsein bilden. Das wollen auch wir, Bewußtsein darüber bilden, wie wir die Gleichbehandlung, die ja in gewissen Bereichen nicht vorhanden ist, erreichen können.

Mich hat es ein bißchen betroffen gemacht, daß Frau Kollegin Kainz – und ich gestehe das auch –, die die Problemkreise der betroffenen Frauen hervorragend herausgearbeitet hat, als Schlußfolgerung uns gesagt hat: Sie machen das ja nur plakativ! Man konnte aus ihren Worten heraushören: Die Vorschläge der F zu diesem Bereich sind nicht ernst zu nehmen.

Frau Kollegin! Nicht, daß ich mir das verbiete, aber das ist jedenfalls kein Gesprächsklima. Bitte, glauben Sie mir – Sie alle hier in diesem Haus haben selbst diese Erfahrung gemacht –, es gibt immer wieder Anregungen, die möglicherweise zuerst nicht akzeptiert werden, aber doch in Beschlüsse münden. Solche Anregungen hat auch die Regierung erhalten – ich nenne nur CA


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und Bank Austria –, und die Vorschläge zur Realisierung eines politischen Projekts sind teilweise auch von uns gekommen.

Bitte nehmen Sie zur Kenntnis, daß wir mehr als Opposition sind! Wir wollen auch mehr sein als Opposition. Wir wollen auch am Staatsgeschehen mitwirken.

Sehr geehrte Frau Ministerin! Wir wollen auch mitwirken – auch ich als Mann möchte mitwirken –, daß es endlich zur Gleichbehandlung vieler diskriminierter Frauenbereiche kommt. Das war ja auch der Anlaß unserer dringlichen Anfrage. Es ist in deiner Beantwortung auch unbestritten geblieben – nicht direkt ausgesprochen, aber unbestritten geblieben –, daß teilweise die Unterstützung der Ministerkollegen, teilweise auch die Unterstützung der eigenen Fraktion für Frauenanliegen nicht in dem Ausmaß gegeben ist, wie es der Fall sein sollte, damit man eine Regierungsvorlage vorlegen kann, die verfassungsmäßig eindeutig festschreibt, daß es – selbstverständlich! – die Gleichbehandlung von Mann und Frau geben muß. – Diese Unterstützung war nicht immer vorhanden. (Beifall bei den Freiheitlichen. – Präsident Dr. Schambeck übernimmt den Vorsitz.)

Umverteilung der Arbeit, halbe/halbe – darüber ist schon genug gesprochen worden. Persönlich, rein formal, meine ich, daß man einen Bereich nur dann normieren und juridisch regeln sollte, wenn die einzelnen Tatbestände erfaßbar sind. Wenn ein Grauschleier übrigbleibt, dann, sagt der Jurist, ist das eine Lex imperfecta, und eine Lex imperfecta, ein nicht perfektes Gesetz, ist kein gutes Gesetz und erreicht meistens das Gegenteil dessen, was beabsichtigt war.

Vorredner haben herausgearbeitet – ich unterstelle nichts –, daß gerade diese Causa bewußt so gewollt wurde, meine aber, daß neben engagierten Frauenrechtlern durchaus auch Juristen mitarbeiten hätten sollen, die vor einer solchen Vorgangsweise warnen. – Das ist der eine Punkt, den ich erwähnen möchte.

Einen zweiten Punkt möchte ich in aller Deutlichkeit anmerken. Auch Kollegin Kainz, die heute schon mehrmals zitiert wurde, hat davon gesprochen, und auch der Sozialbericht, zu dem wir die Debatte unterbrochen haben, zeigt es in erschreckender Weise, und ich zitiere aus "Zum Geleit" die Worte des Bundesministers Hums:

"Der Berichtszeitraum dieses Sozialberichtes war geprägt von den beiden Strukturanpassungsgesetzen 1995 und 1996, welche in Feinabstimmung zwischen Steuer- und Sozialpolitik" – eine sehr elegante Umschreibung für die Herabsetzung des sozialen Levels – "unter Wahrung der politischen Schwerpunkte der sozialen Ausgewogenheit wesentliche Schritte zur Budgetkonsolidierung zum Ziel hatten."

Ich darf hier betonen – mein Vorredner Michael Rockenschaub hat es ebenfalls schon erwähnt –: Genau zu diesem Punkt hätte man nein sagen müssen, da Frauenanliegen sehr stark betroffen sind. Daher darf das in diesem Strukturanpassungsgesetz nicht geschehen. Das wäre eine Notwendigkeit gewesen. Ich weiß schon, daß das unheimlich schwer ist, wir als Minderheitsfraktion wissen das, wir haben aber auch die Zähigkeit – und ich wünsche sie dir auch –, wirklich wichtige Anliegen durchzusetzen.

Ich muß noch einiges aus dem Sozialbericht zitieren, da einem teilweise die Haare zu Berge stehen. Auf Seite 9 ist zu lesen:

"Weiterhin bemerkenswert sind die Unterschiede in den durchschnittlichen Pensionshöhen von Frauen und Männern. Die durchschnittliche Alterspension der Männer betrug in der gesetzlichen Pensionsversicherung 13 879 S, die der Frauen hingegen 7 922 S."

Oder auf Seite 11 steht: "Insgesamt gab es ..." (Zwischenruf bei der SPÖ.) Es gehört eben dazu, Herr Kollege! Das ist eine soziale Frage, die auch die Frauen betrifft, und das sollten wir bedenken. Bitte, seien Sie so freundlich und machen Sie das nächste Mal den Zwischenruf lauter, dann kann ich auch schneller darauf reagieren.


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"Insgesamt gab es 1995 240 000 Personen (160 000 Frauen und 80 000 Männer), die bei der Annahme einer Vollbeschäftigung weniger als 12 000 S brutto verdienten, also hätte ungefähr jede(r) dreizehnte unselbständig Beschäftigte von einem Mindestverdienst von 12 000 S profitiert."

In der Steiermark ist die Arbeitslosigkeit leider Gottes – auch mit einem entsprechenden Frauenanteil – mit 8,7 Prozent beinahe Spitze in Österreich.

Zum mittleren monatlichen Arbeitslosengeld heißt es hier: "Das mittlere monatliche Arbeitslosengeld betrug 1995 pro Monat 8 900 S, die Unterschiede zwischen Frauen und Männern sind jedoch erheblich. Der Median liegt bei den Frauen bei 7 400 S und bei den Männern bei 9 900 S."

Ich lese noch weiter, denn auch das sollte man hier sagen: "Beinahe 60 Prozent der arbeitslosen Frauen erhielten 1995 ein Arbeitslosengeld, das den Ausgleichszulagenrichtsatz für Alleinstehende in der Pensionsversicherung unterschreitet oder bestenfalls erreicht."

Sehr geehrte Frau Ministerin! Wir wollten mit unserer dringlichen Anfrage auf die wirklichen Diskrepanzen, auf die wirklichen Fehler hinweisen, die derzeit auch in der österreichischen Frauenpolitik – nicht in bezug auf deine Person und das, was du hier zu realisieren versuchst – vorhanden sind. Das sind echte Diskriminierungen, wenn eine Frau mit drei Kindern zu Hause um 8 900 S im Akkord arbeiten muß. Das sollten wir uns überlegen!

Zum Bereich Familie – damit komme ich zum Schluß – noch eines: Ich bin 33 Jahre verheiratet, und ich wäre nicht 50 Prozent von dem, was ich bin, wenn ich nicht eine anständige Partnerin, meine Frau, zu Hause hätte. Vielleicht sollte man auch in dieser Richtung eine Bewußtseinsbildung pflegen und man der Wertigkeit der Familie und der Wertigkeit der Frau wieder entsprechenden Schwerpunkt verleihen.

Frau Ministerin! An all diese Ersuchen haben wir mit unserer dringlichen Anfrage gedacht. Wir meinen, daß die Schwerpunktsetzung, die du vorgenommen hast, nicht ganz richtig und leider Gottes auch nicht zeitangepaßt und zeitgemäß ist. Natürlich ist Bewußtseinsbildung wichtig, aber zuerst müssen wir die Probleme der wirklich diskriminierten Frauen lösen! – Und das wollten wir mit dieser dringlichen Anfrage erreichen. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

18.10

Präsident Dr. DDr. h. c. Herbert Schambeck: Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall.

Die Debatte ist geschlossen.

Fortsetzung der Tagesordnung

Präsident Dr. DDr. h. c. Herbert Schambeck: Hoher Bundesrat! Meine Damen und Herren! Ich nehme die Verhandlungen zur Tagesordnung wieder auf.

Wir setzen die Verhandlung über den Tagesordnungspunkt 1, Bericht des Bundesministers für Arbeit und Soziales über die soziale Lage 1995, fort.

Ich bitte Frau Bundesrätin Therese Lukasser, das Wort zu nehmen.

18.11

Bundesrätin Therese Lukasser (ÖVP, Tirol): Verehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wieder behandeln wir einen Tätigkeitsbericht des Bundesministers für Arbeit und Soziales, und ich möchte zunächst auf einige Äußerlichkeiten hinweisen. Der vorliegende Bericht hat etwas abgespeckt im Vergleich zu den vorhergehenden – es sind diesmal 470 Seiten –, er liegt uns wieder in zwei Teilen vor, und der redaktionelle Teil ist wesentlich leichter zu handhaben, wenn, wie dies der Fall ist, der Datenband extra gebunden ist.


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Zum inneren Aufbau: Dem Abschnitt Sozialbericht folgen die Kapitel "Tätigkeitsbericht des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales" und die Beiträge der Interessenvertretungen. Das umfassende Werk ist übersichtlich gestaltet, gut lesbar gedruckt und mit vielen Graphiken versehen. Über die inhaltlichen Schwerpunkte gab der vorgetragene Bericht, der jetzt schon etwas zurückliegt, Auskunft.

Auch ich möchte namens meiner Fraktion allen danken, die an der Erstellung dieses Berichtes mitgearbeitet haben, und all jenen, die sehr viel Mühe und Zeit aufgewendet haben, dem Bericht substantiellen Inhalt zu verleihen.

Konkret möchte ich zu zwei Themen Stellung nehmen. Zunächst zum Pflegegeld: Laut Bericht bezogen im Mai des Jahres 1996 268 218 Personen ein Pflegegeld nach dem Bundespflegegeldgesetz. Der Aufwand des Bundes dafür betrug 19 Milliarden Schilling. Als wir im Jahre 1993 das Bundespflegegeldgesetz beschlossen hatten, lauteten die Bewertungen von "Meilenstein der Sozialpolitik" bis "Jahrhundertgesetz".

Wie weit haben sich die Erwartungen in der Praxis erfüllt? – Daß das Pflegegeld allein nicht pflegt, war schon bei der Einführung hinlänglich bekannt. Auch die Gefahr der zweckwidrigen Verwendung war dem Gesetzgeber bewußt. In einer Vereinbarung zwischen dem Bund und den Ländern nach Artikel 15a Abs. 2 B-VG haben sich deshalb die Länder verpflichtet, flächendeckend für ein ausreichendes Angebot sozialer Dienste zu sorgen, insbesondere für die Koordination der angebotenen Dienste, für die Information und Beratung sowie für die Sicherstellung der Qualitätsstandards.

Prognosen von Experten sagen wegen der ständig steigenden Lebenserwartung bis zum Jahre 2020 eine Verdoppelung der Zahl der Pflegebedürftigen voraus, wobei die erforderliche Pflege wegen der geänderten Familienstrukturen – Kinderlosigkeit, Singles und so weiter – immer weniger im Familienverband geleistet werden kann. Diese Prognosen sollen nicht als schicksalhaft und unvermeidlich hingenommen werden, sie müssen eine besondere Herausforderung sein, insbesondere für die Gesundheits- und Familienpolitik, aber auch für die Betroffenen selbst. Die Menschen sollen nicht nur einsam älter werden, sondern auch länger gesund und mobil bleiben.

Meine Damen und Herren! Herr Minister! Hohes Haus! Gerade in Zeiten des Sparpakets spielt Geld bei der Pflege eine wesentliche Rolle. Immer weniger Bürger glauben daran, daß es dem Staat gelingen kann, die Eigenvorsorge, familiäre und nachbarschaftliche Hilfe sowie die gegenseitige menschliche und persönliche Verantwortung durch allgemeine Versorgungseinrichtungen zu ersetzen. Es stellt sich überhaupt die Frage, ob der Staat diese Aufgabe übernehmen soll. Die Lösung der Probleme kann nur durch ein Umdenken und durch neue Strukturen in der Sozialpolitik erreicht werden.

Folgende Maßnahmen erachte ich für notwendig:

Erstens: die Schaffung von mehr Eigenverantwortung und das Forcieren von privaten Dienstleistungsunternehmungen, die sich erfahrungsgemäß als kostengünstiger herausgestellt haben als öffentliche Einrichtungen.

Zweitens: Es muß selbstverständlich sein, daß die Möglichkeit der Pflege für alle gewährleistet ist, insbesondere auch für Menschen mit geringem Einkommen, und für jene, die nicht auf familiäre Hilfe zählen können.

Drittens: Um die wachsenden Pflegebedürfnisse auch in Zukunft bewältigen zu können, ist es notwendig, schon heute neue Wege der Sozialpolitik zu gehen. Mit den traditionellen Säulen allein, also durch Einkommensrisikoabsicherung – Pension, Pflegegeld und so weiter – sowie durch Schaffung von Einrichtungen – Krankenhäuser, Pflegeheime –, können diese Probleme nicht mehr bewältigt werden. Schwerpunkte der Sozialpolitik müssen vielmehr im Bereich der vorbeugenden Hilfe – wie ich es jetzt einmal nenne –, der Hilfe zur Selbsthilfe und der Hilfe zur Gesundung der persönlichen Lebenssituation gesetzt werden. Zur Nutzung der notwendigen individuellen und gesellschaftlichen Potentiale muß daher die von der Familie und den Nachbarn geleistete Hilfe anerkannt und aufgewertet werden.


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Herr Präsident! Herr Bundesminister! Hohes Haus! Lassen Sie mich noch zu einem anderen Schwerpunkt des vorliegenden Berichtes einige Anmerkungen machen. Es geht um die Kapitel "Finanzierung der Sozialversicherung" und "Kennzahlen der Pensionsversicherung". Von Zeit zu Zeit geistert das Schlagwort "Unfinanzierbarkeit des Sozialsystems" durch die Medien. Was heißt unfinanzierbar? – Für das Pensionsversicherungssystem gilt das gleiche, was für den Wohlfahrtsstaat insgesamt gilt: Theoretisch braucht ein Pensionsversicherungssystem nach dem Umlageverfahren nie unfinanzierbar zu werden. Das heißt, alles, was die Alten, das heißt, die aus dem Erwerbsleben Ausgeschiedenen, an Pensionen, Gesundheitsleistungen, Pflege und anderem erhalten sollen, können die jeweils Jungen, das heißt, die Erwerbstätigen, über Beiträge oder Steuern aufbringen. Also: Die Jungen finanzieren die Alten direkt.

Die immer aktueller werdende Frage ist: Welche Belastung kann oder soll der nächsten Generation zugemutet werden? Ab dem Jahre 2008, also in elf Jahren, werden die Alten, das heißt alle, die in Pension sind oder davor stehen, infolge des Geburtenrückganges politisch die Mehrheit der Stimmbürger stellen. Theoretisch könnten sie dann jederzeit die Erwerbstätigen zwingen, einen immer größer werdenden Anteil ihres erarbeiteten Wohlstandes abzutreten.

Daß dies keine Gedankenspielereien sind, belegt die von den Sozialpartnern erarbeitete Studie "Soziale Sicherheit im Alter". Vielleicht ist sie bekannt. Dort wird beschrieben, was passiert, wenn nichts passiert. Der Beitragssatz müßte fast verdoppelt werden.

Wir stehen also vor der Entscheidung: Wie wollen wir unsere Altersvorsorge gestalten? Jeder Österreicher weiß oder sollte wissen, daß alle Pensionsanwartschaften, die er durch seine Beiträge zur Pensionsversicherung erwirbt, durch nichts gedeckt sind. Zwar kann sich jeder auf das Gesetz berufen, doch ob er tatsächlich in 30 Jahren seine Ansprüche in voller versprochener Höhe erhält, ist völlig offen. Seine Ansprüche richten sich nämlich an die nächste Generation, an die Generation, die teilweise noch gar nicht geboren ist oder in den Kinderschuhen steckt.

Sie wissen, ich rede vom ungeschriebenen Generationenvertrag. Eltern erziehen Kinder, Kinder sind moralisch verpflichtet, ihre Eltern im Alter zu erhalten. Eine Konsequenz dieses Umlagesystems ist aber, daß auch die Pensionen der Kinderlosen von den Kindern der anderen bezahlt werden. Hier zeigt der Generationenvertrag die enge Verflechtung zwischen Sozial- und Familienpolitik.

Hohes Haus! Meine Damen und Herren! Die im Bericht angeführten Strukturanpassungsgesetze 1995 und 1996 waren notwendige Maßnahmen zur Budgetkonsolidierung. Man mußte einer Entwicklung begegnen, die auf der einen Seite allen alles verspricht – von der kostenlosen Bildung über kostenloses Studium, Gesundheit zum Nulltarif, Pensionen nach kürzesten Lebensarbeitszeiten –, auf der anderen Seite aber Steuern und Beiträge einheben muß, die jede Leistungsbereitschaft zu ersticken drohen.

Dieser Wohlfahrtsstaat ist unfinanzierbar. Wir alle müssen uns anstrengen und ihn auf den jederzeit finanzierbaren Sozialstaat zurückführen. Unsere Zustimmung, die meiner Fraktion, gilt nicht dem Sozialabbau, sondern dem Illusionsabbau. – Danke sehr. (Beifall bei der ÖVP und des Bundesrates Kraml. )

18.21

Präsident Dr. DDr. h. c. Herbert Schambeck: Zu Wort gemeldet hat sich weiters Herr Bundesrat Karl Drochter. Ich erteile es ihm.

18.21

Bundesrat Karl Drochter (SPÖ, Wien): Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Bundesminister! Geschätzte Damen und Herren des Bundesrates! Ich glaube, daß der vorliegende Bericht über die soziale Lage 1995 ein sehr umfassender ist, daß er informativ und für die tägliche politische Arbeit unverzichtbar ist. Ich möchte mich auch beim Herrn Bundesminister und bei den Beamten für die Erstellung dieses Berichtes bedanken.


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Die Jahre 1995 und 1996 – das kann man hier zweifelsohne feststellen – waren geprägt von Diskussionen und Forderungen nach nationalen und internationalen, vor allem europäischen Beschäftigungsinitiativen. Der Kampf gegen die Arbeitslosigkeit wurde auf nationaler Ebene sehr intensiv geführt, auf europäischer Ebene haben wir aber sicher noch einen Nachholbedarf.

Kollege Weilharter von der Freiheitlichen Partei hat in seiner gewohnt oberflächlichen Art die Beschäftigungspolitik des sozialistischen Bundesministers und der Bundesregierung kritisiert. (Bundesrat Waldhäusel: Na, na!) Mir ist eigentlich bisher nur ein Vorschlag der Freiheitlichen Partei zur Beschäftigungspolitik in Österreich bekannt, und das ist jener des Parteivorsitzenden Haider, der meinte, daß die "ordentliche Beschäftigungspolitik" im Dritten Reich Vorbild für eine Beschäftigungspolitik der Republik Österreich im auslaufenden 20. Jahrhundert sein könnte. Ich darf nur in Erinnerung rufen, daß das Ergebnis dieser "Beschäftigungspolitik" bekannt ist und daß es leider heute immer noch Tausende Menschen in Österreich gibt, die an den Folgen derselben leiden.

Ich darf auch ergänzend sagen, daß unser Bundeskanzler und unser Sozialminister, ja die Regierung insgesamt, bemüht waren, bei der Regierungskonferenz der Beschäftigungspolitik, der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit auf europäischer Ebene eine besondere Dimension zu geben. Obwohl wir natürlich mit der Arbeitslosensituation in Österreich nicht zufrieden sein können, erlaube ich mir doch anzumerken, daß die Beschäftigungszahlen in Österreich nach wie vor über der 3-Millionen-Grenze liegen und daß unsere Arbeitslosenzahlen zu den niedrigsten in Europa gehören.

Im Jahresschnitt 1995 waren in Österreich 215 000 Menschen arbeitslos, im Dezember 1995 waren es 267 000. Herr Bundesminister Klima hat schon gesagt, daß die Beschäftigungsinitiativen, die von der Bundesregierung gesetzt worden sind – ich denke an die Beschäftigungsinitiative Bau oder auch an jene Erneuerungsmaßnahmen, die bei den Bundesbahnen in Auftrag gegeben worden sind –, sicherlich dazu beigetragen haben, daß zumindest 30 000 Arbeitsplätze in Österreich gesichert werden konnten. Ich bin auch froh darüber, daß, wie Herr Bundesminister Hums vor wenigen Tagen berichten konnte, die Arbeitslosenzahlen nach 19 Monaten – im Vergleich Dezember 1996 zu Dezember 1995 – um 6 000 geringer waren. Das ist aber sicherlich kein Grund für die Sozialdemokraten, sich ruhig zurückzulehnen, denn wir wissen, daß die Herausforderungen hinsichtlich Beschäftigung groß und die Prognosen für das Jahr 1997 nicht sehr günstig sind.

Ich möchte mich etwas näher mit der Arbeitslosigkeit und ihren Ursachen auseinandersetzen. 85 Prozent aller Arbeitslosen vom Dezember 1996 – insgesamt sind es über 220 000 – verfügen leider über eine sehr mangelhafte Ausbildung. Deshalb erscheint es mir als besonders notwendig, über alternative Strategien zur Bekämpfung dieser strukturellen Arbeitslosigkeit nicht nur nachzudenken, sondern noch mehr Aktivitäten als in der Vergangenheit zu setzen, denn die in der letzten Zeit sehr häufig diskutierten Maßnahmen wie geringere Lohnerhöhungen und Liberalisierung der Arbeitszeit werden nicht ausreichend sein, um in der Zukunft wieder mehr Menschen in Beschäftigung zu bringen. Neben den auch heute schon vom Finanzminister erwähnten verstärkten Forschungsbemühungen und Entwicklungsimpulsen sollte meiner Meinung nach noch stärker als bisher nicht auf den wichtigen Faktor Aus- und Weiterbildung vergessen werden.

Das Risiko, arbeitslos zu werden, betrifft nicht alle Altersgruppen und Qualifikationsgruppen im gleichen Ausmaß und Umfang. Alle bisherigen Untersuchungen zeigen sehr deutlich – auch Frau Bundesrätin Kainz hat in ihrem Beitrag darauf hingewiesen –, daß gering qualifizierte Arbeitnehmer überproportional von Arbeitslosigkeit betroffen sind. Dies ist auch bei der Durchleuchtung beziehungsweise Analyse der Zahlen vom Dezember 1996 sehr klar ersichtlich.

Von den 222 000 Arbeitslosen hatten 117 000 nur Pflichtschulabschluß und weitere 105 000 eine Lehrausbildung. Ich glaube, daß uns diese Zahlen sehr deutlich einen künftigen Weg vorzeigen. Nach dem Pflichtschulabschluß muß viel mehr als bisher darauf geachtet werden, daß es weitere Qualifizierungsmaßnahmen für unsere Jugend gibt. Ebenso ist eine Verbesserung beziehungsweise eine Weiterentwicklung der Lehrlingsausbildung unerläßlich. Ich möchte die


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Gelegenheit nützen, die Arbeitgeber darauf hinzuweisen, daß sie doch mehr Lehrlinge einstellen sollten, als es derzeit der Fall ist. Es wird nämlich unter vorgehaltener Hand behauptet, daß es eine Übereinkunft zwischen den Arbeitgebern gibt, die Lehrlingszahlen von Burschen und Mädchen so gering als möglich zu halten. Ich glaube nicht, daß das tatsächlich stimmt, aber ganz ohne einer diesbezüglichen Diskussion in den dortigen Reihen kann man sich die doch beträchtlich geringeren Lehrlingseinstellungen im Jahr 1996 und zu Beginn des Jahres 1997 nicht erklären. (Bundesrat Ing. Penz: Hätten Sie den "Konsum" noch, könnten Sie die Lehrlinge einstellen!)

Würde es die Firma Maculan noch geben, könnten wir noch mehr Lehrlinge einstellen. Wenn es nicht den Konkurs der Schelling in Vorarlberg gegeben hätte, wo wir heute die Kosten des Privatkonkurses zu zahlen haben – mit über 340 Millionen Schilling der höchste in Österreich –, und die Raiffeisenbüros, -banken und -werkstätten mehr Lehrlinge einstellten, Kollege Penz, dann würden sie sicherlich einen sinnvollen Beitrag zur Entspannung der Lehrlingssituation leisten. (Bundesrat Ing. Penz: Würde man den Bauern ein gutes Einkommen ermöglichen, dann wäre das kein Problem!) Ich glaube, daß die öffentliche Hand immer ihren Beitrag leistet, um die schwierige Situation der Bauern aufgrund von Dürre, zuviel Regen oder Heuschreckenschwärmen zu entspannen.

Wir sollten uns ernsthaft mit der Lehrlingsausbildung auseinandersetzen und Anreize schaffen, wie zum Beispiel einen Lastenausgleich zwischen ausbildenden Betrieben und Betrieben, die nicht ausbilden. Ich glaube auch, daß es sinnvoll wäre, die derzeit zirka 230 Lehrberufe in Flächenberufe zusammenzufassen. Geichzeitig ist im Auge zu behalten, daß wir zukunftsorientierte Berufe gestalten. Ich glaube, daß das wirklich sinnvoll wäre, weil auch bei einer weiteren Internationalisierung der Wirtschaft auf hochqualifizierte Facharbeiterinnen und Facharbeiter nicht verzichtet werden kann. Bernhard Felderer vom Institut für Höhere Studien formulierte vor wenigen Wochen meiner Meinung nach sehr treffend – ich zitiere –: Zum Unterschied vom reichlich vorhandenen Finanzkapital beziehungsweise physischen Kapital qualifizierter Arbeitnehmer einer Bevölkerung ist es jene Gruppe, die der wirklich knappe Faktor in der Wirtschaft ist.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Arbeitgeber und ihre Interessenvertretungen verwenden Schlagwörter wie "Globalisierung", "Flexibilisierung", "Deregulierung", "Redimensionierung" immer öfter in ihren politischen Äußerungen. Ich habe den Eindruck, daß sie dies als Druckmittel und zur Verunsicherung der Arbeitnehmer einsetzen. Es ist daher meiner Meinung nach höchste Zeit, daß der bewußt lancierten negativen Panikmache entgegengetreten wird und viel mehr zusätzliche Aktionen zu setzen sind, um die Arbeitslosigkeit in Österreich, aber auch in ganz Europa künftig stark zu verringern. Viele, die über Globalisierung und Flexibilisierung reden, reduzieren den Menschen, insbesondere den Arbeitnehmer, bewußt auf eine ökonomische Position in ihren wirtschaftlichen Überlegungen. Sie reduzieren die Arbeitnehmer ausschließlich auf einen Kostenfaktor bei ihren Wirtschaftskonzepten, was wir sicher nicht zur Kenntnis nehmen können.

Ich möchte aber auch betonen, daß wir grundsätzlich nicht gegen die Ausweitung, sprich Internationalisierung des Welthandels sind. Wir wollen ihn nicht verhindern oder behindern. Er muß nach unserer Vorstellung nur dringend sozialer und ökologisch verträglicher gestaltet werden.

Wir haben in Österreich die Situation, daß Arbeitnehmer täglich mit Forderungen nach Lohnreduzierung, Abbau von Sozialleistungen und weiteren Minimierungsvorschlägen staatlicher Aufgaben verunsichert werden. Wir als Gewerkschafter treten dafür ein, daß endlich weltweit Sozialklauseln gegen Sozialdumping in internationalen Vereinbarungen verankert werden, denn weltweite Unterdrückung, Ausbeutung von Frauen, wachsende Armut und Kinderarbeit dürfen nicht noch weltweit mit Wettbewerbsvorteilen belohnt werden.

Frau Kollegin Moser von den freiheitlichen Bundesräten hat sich in ihrem Diskussionsbeitrag zur Armut geäußert. Ich muß leider sagen, ich hätte mir eigentlich mehr erwartet, es war sehr oberflächlich. Sie hat aber – und das ist ihr anzurechnen – auf die sehr informierte und bezüglich dieser Herausforderung sehr aktive Vizepräsidentin Kollegin Schmidleithner verwiesen. Ich glaube, daß das der erste Schritt sein könnte, daß sie sich einmal wirklich mit der Armut ausein


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andersetzten, nicht nur Überschriften sagten und oberflächlich diskutierten, sondern sich mit den Ursachen der Armut beschäftigten und vielleicht nach einiger Zeit auch Vorschläge beziehungsweise Forderungen zur Abwendung oder Verringerung der Armut brächten.

Meine Damen und Herren! Armut ist und muß kein Schicksal sein, denn der Verarmung kann und muß man wirksam entgegensteuern. Armut ist nicht mehr allein eine Angelegenheit der zweiten oder dritten Welt, auch Bevölkerungsteile reicherer Länder können der Armut anheimfallen. Die Ursachen für Armut liegen auf verschiedenen Ebenen. Besonders gefährdet und betroffen sind Arbeitslose, alleinerziehende Frauen, Kinder und Jugendliche – besonders dann, wenn deren Eltern geschieden wurden –, aber auch ältere Menschen und Behinderte. Armut ist heute nicht mehr auf traditionelle Randschichten der Gesellschaft begrenzt. Gemessen am Erwerbsstatus sind in Österreich 46 Prozent der Arbeitslosenhaushalte, 25 Prozent der Hilfsarbeiterhaushalte und 14 Prozent der Arbeiterhaushalte betroffen; aber auch 8 Prozent der Angestelltenhaushalte sind von Armut bedroht.

Differenziert man nach Geschlechtern, zeigt sich sehr deutlich – und das hat gestern auch Frau Vizepräsidentin Schmidleithner sehr deutlich gesagt –, daß Armut weiblich war und immer noch ist.

Man kann die Verarmungsursachen näher analysieren und wird dabei feststellen, daß vor allem atypische Beschäftigungsverhältnisse wesentlich zur Verarmung beitragen. Dazu gehören Teilzeitbeschäftigung, befristete Dienstverhältnisse, Arbeit auf Abruf, Stundenarbeit und geringfügige Beschäftigungsverhältnisse. Diese Beschäftigungsformen werden überwiegend von Frauen ausgeübt. Sie sind nicht nur instabil, sondern meist auch mit niedrigem Einkommen verbunden.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich darf dazu ein typisches Beispiel bringen. Bei einem Teilzeiteinkommen von monatlich 8 000 S, was ungefähr 6 000 S netto entspricht, sind Sozialleistungen – netto berechnet nach 14 Jahreszehntel – in folgender Höhe zu erwarten: Krankengeld monatlich 4 800 S, Arbeitslosengeld 3 850 S, Notstandshilfe 3 650 S. Sollte eine Kollegin oder ein Kollege – meistens sind es ja Frauen, über 80 Prozent – das ganze Arbeitsleben, also in 35 Versicherungsjahren, niemals über 8 000 S hinausgekommen sein, so ist eine monatliche Rente oder Pension in der Höhe von 4 500 S zu erwarten.

Ich glaube, wir sollten dieser Entwicklung mit all unserer Kraft gegensteuern. Wir müssen uns bemühen um eine gerechtere Verteilung der Arbeit, mehr Vollarbeitsplätze, umfassende Maßnahmen wie Festlegung von Mindestlöhnen – es ist heute schon auch in anderen Zusammenhängen über Mindestlöhne gesprochen worden – und eine Prüfung und eine ausführliche Diskussion darüber, wie eigentlich Mindeststandards in Österreich aussehen sollen, und das sage ich, um nur einige Möglichkeiten hier anzuführen.

Verbreitung der Armut und damit Vertiefung der Spaltung unserer Gesellschaft darf zu keiner akzeptablen oder geduldeten Entwicklung unserer Gesellschaft werden. Wir haben heute in Europa und besonders in Österreich ein anerkanntes, bewährtes Sozialsystem, aber auch eine Gesellschaftsordnung, um die uns viele Länder beneiden. Sie werden daher verstehen, daß wir nicht zulassen werden, daß diese Gesellschaftsordnung und dieses bewährte Sozialsystem in Österreich zerschlagen wird.

Wir werden daher auch weiterhin die Bemühungen unseres Ministers Hums bei der Auseinandersetzung mit dieser Herausforderung tatkräftigst unterstützen. (Beifall bei der SPÖ.)

18.40

Präsident Dr. DDr. h. c. Herbert Schambeck: Zu Wort gemeldet ist weiters Frau Bundesrätin Monika Mühlwerth. Ich erteile es ihr.

18.40

Bundesrätin Monika Mühlwerth (Freiheitliche, Wien): Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Minister! Sehr geehrte Damen und Herren! Auffallend an diesem Bericht über die soziale Lage betreffend den Lehrstellenmarkt ist, daß dem Lehrstellenmarkt gerade eine halbe Seite ge


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widmet ist. Kein Gedanke zur Lehrlingsausbildung ist hier abgedruckt, eine halbe Seite genügt anscheinend.

Die Interessen, die Kommentare, die sozialen Grundlagen im Anhang lassen jedes Teil über die Lehrlingsausbildung vermissen, die Interessenvertretungen schreiben ein bißchen etwas, das alles ist aber doch sehr dünn.

Es hat also den Anschein, daß sich das Sozialministerium für Österreichs Lehrstellensuchende nicht besonders interessiert. Das ist natürlich bemerkenswert, besonders im Hinblick darauf, daß alle Zahlen rückläufig sind. So ist nach Ihrem Bericht die Zahl der Lehrlinge von 1994 auf 1995 um 5 Prozent gesunken, die Zahl der Lehrstellen um 10 Prozent und die Zahl der Lehrstellensuchenden um weitere 5 Prozent. 1996 hat die Zahl der Lehrlinge noch einmal um 6 Prozent abgenommen, und das ist sogar dem Vorsitzenden der Gewerkschaft, Herrn Verzetnitsch, aufgefallen, und er hat sich auf die Suche gemacht, wie das wohl so ist mit einer Lehrstelle. Er hat bei Gas- und Wasserleitungslehrlingen zu suchen begonnen und ist draufgekommen, daß 148 Lehrstellensuchende auf eine einzige Lehrstelle kommen. Da kann ja wohl etwas nicht stimmen.

Was wird da wohl nicht stimmen? – Eine Ursache ist ganz sicher der Rückgang von Betriebsgründungen. Das ist natürlich darauf zurückzuführen, daß die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen keine besonderen Anreize bieten, einen Betrieb neu zu gründen.

Die Jugendarbeitslosigkeit ist Gott sei Dank in Österreich noch nicht so dramatisch hoch wie im EU-Durchschnitt. Im EU-Durchschnitt beträgt sie nämlich bereits mittlerweile 20 Prozent, in Österreich, glaube ich, sind es etwa 6 Prozent, aber wenn diese Tendenz, die ja fallend ist, weiter anhält, dann nähern wir uns in raschen Schritten eben diesem EU-Durchschnitt. Ich glaube nicht, daß wir danach trachten sollten, alles, was uns die EU vormacht, möglichst rasch nachzuvollziehen.

Das soziale Ansehen eines Lehrlings ist auch nicht gerade das beste, es rangiert nämlich auf einer imaginären Werteskala ganz unten. Die seinerzeitige Werbekampagne "Karriere mit Lehre" hat daran leider überhaupt nichts geändert.

Ursachen dafür gibt es genügend, und das beginnt schon bei einer völlig verfehlten Bildungspolitik. Noch immer schicken Eltern ihre Kinder weit lieber in eine AHS als in eine Hauptschule, denn das Image der Hauptschule ist natürlich auch völlig am Boden. Das hängt vor allem in Wien mit dem überproportional hohen Ausländeranteil zusammen, aber auch damit, daß die Hauptschule insgesamt zu einer Restschule verkommen ist.

Der Polytechnische Lehrgang kann beruhigt abgeschafft werden. Man bräuchte ihm keine Träne nachzuweinen. Ein Berufsbildungsjahr wäre wesentlich effizienter und sinnvoller.

Zu den Betrieben selbst muß gesagt werden, daß man zwar einerseits will, daß die Betriebe mehr Lehrlinge ausbilden, sie aber gleichzeitig dafür in Form von einer Kommunalabgabe und einer Lehrlingsbesteuerung bestraft werden, was natürlich dazu führt, daß die Bereitschaft der Betriebe, Lehrlinge auszubilden, natürlich sinkt, und das mit dem Wissen, daß die Ausbildung eines Lehrlings Zeit des Arbeitgebers, des Lehrherrn, in Anspruch nimmt und Arbeit ist.

Die teilweise restriktiven Jugendschutzbestimmungen, die oft geradezu grotesk anmuten, wie zum Beispiel der Malerlehrling, der nicht auf ein Gerüst steigen darf, ermuntern die Betriebe natürlich auch nicht gerade zur Aufnahme eines Lehrlings.

Herr Minister Hums! Gehen Sie einmal zu Klein- und Mittelbetrieben und fragen Sie dort die Unternehmer, warum sie immer weniger bereit sind, Lehrlinge auszubilden.

Ich kann Ihnen meine Erfahrungen aus dem Bezirk Neubau sagen, das ist mein Heimatbezirk. Der siebente Bezirk hat, auch wenn die Zahlen rückläufig sind, immer noch eine sehr große Anzahl von Klein- und Mittelbetrieben.


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Wenn Sie jetzt den Unternehmer auf die Lehrlingsausbildung ansprechen, dann wird er Ihnen sagen, daß er in den meisten Fällen mit einem angelernten Mitarbeiter wesentlich besser dran ist, weil der verdient in etwa das gleiche, aber wenn er den Anforderungen überhaupt nicht entspricht und nicht bereit ist, das Maß an Arbeit zu vollbringen, das gefordert wird, wird dieser gekündigt. Bei einem Lehrling ist das sehr schwierig. Nach einer zweimonatigen Probezeit muß er den Lehrling praktisch behalten, bis er ausgelernt ist, auch wenn dieser noch so faul ist.

Es zeigt sich da einfach, daß sich Schutzbestimmungen, die gut gemeint sind und an sich auch sinnvoll waren, in ihr Gegenteil verkehren. Was haben Sie denn davon, wenn Sie großartige Schutzbestimmungen haben und dann sagt aber jeder Lehrherr: Ich stelle einfach keinen Lehrling mehr ein, weil das ist mir wirklich zu blöd.

Es geht gar nicht darum, keine Schutzbestimmungen zu haben und dem freien Markt das Wort zu reden, und der Lehrherr soll mit dem Lehrling verfahren können, wie immer er will. Er soll nicht dem Wohl und Wehe des Ausbildners ausgesetzt sein, aber es muß das rechte Maß der Dinge natürlich wie bei allem im Leben immer bedacht werden. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Die Regierung, meine Damen und Herren und auch Herr Minister, hat natürlich für eine Verbesserung dieser tristen Situation Sorge zu tragen. Außer Absichtserklärungen ist bis jetzt wenig geschehen. Ich weiß schon, daß immer wieder davon gesprochen wurde, was man für Lehrlinge alles machen muß, aber geschehen ist bislang nichts oder nicht sehr viel. Mir ist daher auch klar, wieso dem Lehrstellenmarkt in dem Sozialbericht gerade eine halbe Seite gewidmet wurde, weil mit einem Bericht, der nur fallende Tendenzen aufzuweisen hat, sind natürlich keine Lorbeeren zu holen. Ganz im Gegenteil, es ist sogar peinlich. Aber die Regierung und damit auch Sie, Herr Minister, tragen dafür die Verantwortung. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

18.49

Präsident Dr. DDr. h. c. Herbert Schambeck: Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesminister Hums. – Bitte.

18.49

Bundesminister für Arbeit und Soziales Franz Hums: Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Nicht zum allgemeinen Sozialbericht, sondern zu einzelnen Teilen möchte ich jetzt kurz Stellung nehmen, und zwar hat mich meine Vorrednerin dazu veranlaßt.

Im Lehrlingsbereich liegen Teilkompetenzen im Sozialbereich, aber es ist mir ein ganz besonderes Anliegen, zu trachten, daß junge Menschen Ausbildung finden, zu trachten, daß junge Menschen Beschäftigung finden. Das ist nicht nur mein Anliegen, das war auch Anliegen all der Sozialminister, die vor mir waren, denn nicht von ungefähr hat Österreich, wie Sie ja auch erklärt haben, die weitaus niedrigste Jugendarbeitslosigkeit in ganz Europa. Das ist nicht durch Zufall so, das ist durch massive Arbeit so gekommen, und an dem müssen wir gemeinsam auch festhalten.

Lehrlinge. – Sie dürften in letzter Zeit die Nachrichten zu wenig verfolgt haben, obwohl positive Nachrichten natürlich schwerer vermittelbar sind.

Gerade im Lehrlingsbereich haben wir massive Anstrengungen unternommen, auch mit zusätzlichen Förderungen, die allein das nicht bewirken können, aber derzeit ist es so, daß es 1996 bei Schulabgang 8 500 15jährige Burschen und Mädchen mehr gibt als zwei Jahre vorher, das sind 4 700 mehr als ein Jahr vorher. Noch nicht alle haben eine Lehrstelle, aber Sie müssen berücksichtigen, es sind eben 8 500 mehr. Wir haben hier zusätzliche Maßnahmen getroffen, eine ganze Reihe von Fördermaßnahmen, beispielsweise für Mädchen, die Berufe ergreifen, in denen weniger als 40 Prozent Frauenanteil ist. Hier bekommen die Unternehmungen 4 000 S pro Monat. Eine Fördermaßnahme!

Die Legende, daß Maler-Lehrlinge nicht auf das Gerüst dürfen oder Dachdeckerlehrlinge nicht auf das Dach – das sind absolute Legenden, die wir Ihnen jederzeit widerlegen, und wenn Sie in der Praxis Probleme haben, dann rufen Sie bitte bei uns an, rufen Sie beim Arbeitsinspektor an, der wird Sie informieren. Natürlich ist gerade für junge Menschen, die erstmals im Berufsleben


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stehen, ein besonderes Maß an Jugendschutz auch im Arbeitnehmerschutzbereich erforderlich. Was hätten wir davon, wenn wir das wahllos aufheben würden und dann erhebliche Unfälle zur Kenntnis nehmen müßten? Aber bitte geben Sie nicht das ungesiebt weiter, was Sie vielleicht in der Zeitung lesen, etwa daß Maler nicht auf das Gerüst dürfen. Das stimmt überhaupt nicht.

Wir haben erstmals, auch nach langen Diskussionen mit dem Koalitionspartner, erreicht, daß wir den Lehrwerkstätten, in denen Unternehmungen über ihren Bedarf hinaus Lehrlinge ausbilden, zusätzliche Förderungen geben, denn wir dürfen eines nicht: daß wir gerade diesen jungen Menschen – da stimme ich mit Ihnen völlig überein – jetzt keine Ausbildungsmaßnahmen geben. (Zwischenruf der Bundesrätin Mühlwerth. )

Wir haben – und das dürfte Ihnen auch entgangen sein – im Sozialministerium mit dem Arbeitsmarktservice festgelegt, daß diese 15jährigen Menschen, die jetzt aus der Schule gekommen sind, innerhalb von sechs Monaten entweder einen Lehrplatz finden – was nicht immer sofort möglich ist – oder eine von ihnen angestrebte sonstige Beschäftigung oder eine zusätzliche berufsfördernde Maßnahme ergreifen können, denn nicht alle sind sofort nach dem Schulabschluß in der Lage, eine Lehre zu finden. Wo hat es das je vorher gegeben? Sagen Sie mir ein zweites Land in Europa oder sonst irgendwo, wo es diese Garantie für junge Menschen gibt, daß sie innerhalb von sechs Monaten entweder eine Lehre – das ist leider nicht immer möglich, ich bemühe mich, so viele Lehrplätze wie möglich zu finden – oder eine von ihnen freigewählte Beschäftigung haben oder zumindest durch eine berufsfördernde Maßnahme unterstützt werden? (Beifall bei der SPÖ und bei Bundesräten der ÖVP.)

Ich hoffe, Sie haben das bisher auch gewußt! Ansonsten würde ich Sie bitten, das auch weiterzutragen.

Die Regierung ist dabei, mehr und mehr auch die Klein- und Mittelunternehmungen zu fördern. Wir haben natürlich das Problem, daß viele große Unternehmungen auch aus dem Bereich der früheren verstaatlichten Industrie Lehrwerkstätten geschlossen haben. Es ist notwendig – ich bin diesbezüglich mit dem Wirtschaftsminister im ständigen Kontakt –, daß wir die gesamte Lehrausbildung reformieren. Wir müssen in der Grundausbildung ein bißchen zurücknehmen und müssen auf Weiterbildung setzen. Wir müssen aber auch vermehrt schauen, daß die Grundausbildung breitflächiger wird. Wir haben auch hier bereits bestimmte Maßnahmen und Förderungen getroffen. Es gibt eine ganze Palette von Maßnahmen für junge Menschen. 600 Millionen zusätzlich stehen für junge Menschen im Bereich der Arbeitsmarktförderungen zur Verfügung, und wir werden danach trachten, dieses Problem auch zu lösen, obwohl nicht wegdiskutiert werden kann, daß es natürlich erheblich schwerer ist, wenn wir gerade in diesen Jahrgängen, wie gesagt, 8 500 15jährige mehr als vor zwei Jahren haben. Das ist eine Herausforderung für alle, und ich bitte aber auch, daß wir diese Kampagne – es ist fast eine Kampagne – der Verunsicherung der Unternehmer nicht ständig fortsetzen, indem ununterbrochen erklärt wird, was die Lehrlinge alles nicht dürfen. Das stimmt ganz einfach nicht.

Zur Frage der Kündigung, des Kündigungsschutzes: Hier ist eine andere Voraussetzung gegeben. Sicher haben junge Menschen in ihrer Entwicklung fallweise auch kurze Perioden, innerhalb derer sie vielleicht Probleme haben. Wenn wir dann die jungen Mädchen und Burschen sofort kündigen und aus der Ausbildung nehmen würden, dann wäre das nicht nur für den Betrieb, nicht nur für die jungen Menschen, sondern für die Wirtschaft und für die ganze Volkswirtschaft fürchterlich schlecht, denn diese jungen Menschen, die wegen vorübergehender kurzer Schwierigkeiten aus der Lehre ausscheiden, wären Lehrabbrecher, die dann nie mehr den richtigen Schritt gehen würden. Das hat doch alles einen Sinn, was hier beschlossen wurde, und wir dürfen jetzt nicht mit einem quasi falsch verstandenen Neoliberalismus alles wegdiskutieren, was es bisher an sinnvollen Maßnahmen gegeben hat.

Ich bin bereit – und das läuft auch schon –, mit den Vertretern der Wirtschaft, der Klein- und Mittelunternehmungen, mit den Arbeitnehmervertretungen genau nochmals alle Arbeitnehmerschutzbestimmungen durchzugehen, Branche für Branche, und Sie sind herzlich eingeladen, hier mitzuwirken.


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Wir haben auch bereits – ich bin zwar nicht der Meinung, daß das wirklich dramatisch wirken wird, aber um ein Zeichen zu setzen – die Krankenversicherungsbeiträge für Lehrlinge im ersten Halbjahr um eineinhalb Prozentpunkte gesenkt, im Zusammenhang mit den zusätzlichen Einnahmen, die aus der Werkvertragsregelung kommen.

Ich bin auch durchaus willens, gewisse Ausgleichsregelungen zu schaffen, beispielsweise – das wurde auch schon mit der ÖVP einmal diskutiert, auch im Zusammenhang mit der Krankenscheingebühr; ein Diskussionspunkt von mir – die Mittel für die Krankenversicherung durch eine maßvolle Beitragssatzanhebung und durch eine Harmonisierung der Beitragssätze zu regulieren, die bei den Angestellten 3,4 Prozent, bei den Arbeitern 3,95 Prozent betragen, mit einer ganz maßvollen Korrektur, fünf Hundertstel, zehn Hundertstel. Das kann man durchaus dazu verwenden, daß man auf der einen Seite die Krankenscheingebühr wegbringt, auf der anderen Seite den Dienstgeberteil davon nimmt und für die Lehrlinge im ersten und zweiten Lehrjahr die Krankenversicherungsbeiträge überhaupt wegnimmt. Aber nicht die Mitversicherung ist das Ziel, denn dadurch haben sie ja bestimmte Leistungen nicht, sondern dieser Ausgleich: ein Modell, das mit dem Koalitionspartner zu diskutieren ist, und es ist auch wichtig, daß mit dem Koalitionspartner diskutiert wird, denn es gibt eine ganze Palette von Maßnahmen, die getroffen wurde und die getroffen wird.

Ich bin mit der jetzigen Situation sicher noch nicht zufrieden. Ich bin mit dem Wirtschaftsminister, mit den Sozialpartnern dabei, noch mehr Lehrstellen für junge Menschen zu erschließen. Da gebe ich Ihnen völlig recht. Diesbezüglich sind noch mehr Anstrengungen von Tag zu Tag notwendig, aber sie werden getroffen, und sie sind in weiten Bereichen auch erfolgreich.

Sie sind deswegen erfolgreich, weil derzeit auch die Diskussion in der Krankenversicherung läuft. Ohne zusätzliche Maßnahmen, ohne wesentliche Anstrengungen hätten wir im heurigen Jahr zwischen 7 und 8 Milliarden Schilling Defizit gehabt im Bereich der Krankenversicherungen, hätten erhebliche Leistungsverschlechterungen in Kauf nehmen müssen. Eine der Gebietskrankenkassen hat ja bereits beschlossen, das Krankengeld beispielsweise auf ein halbes Jahr zu reduzieren. Daher haben wir im Vorjahr beschlossen, daß wir auf der einen Seite die Finanzierungssituationen verbessern, vor allem durch Ausgabensenkungen, dort, wo es ohne Qualitätsverlust für die Versicherten geht, auch durch andere Maßnahmen, und haben gleichzeitig beschlossen, daß der gesetzliche Anspruch auf Krankengeld auf ein Jahr angehoben wird – eine entscheidende Maßnahme auch gegen Armut. Denn wenn diese Krankengeldreduzierung auf das frühere gesetzliche Maß von einem halben Jahr möglich gewesen wäre, wäre das eine eminente Armutsfalle, die wir beseitigt haben.

Wenn wir die Finanzierbarkeit – und eine der Zeitungen schreibt auch heute, daß wir heuer schon ausgeglichen sein werden – wieder gesichert haben, dann müssen wir schauen, daß auch jene Kassen, die inzwischen satzungsmäßig auf ein Jahr mit dem Krankengeld zurückgehen müssen, sich wieder erfangen, wir müssen danach trachten, daß die Finanzierungssituation so wird, daß wir wieder in allen Bereichen satzungsmäßig über das gesetzliche Maß von einem Jahr auf eineinhalb Jahre gehen können.

Das sind Herausforderungen, die wir anzunehmen haben. Denn eines ist klar im Bereich der Krankenversicherung: Erfreulicherweise leben wir länger, erfreulicherweise kann die Medizin Jahr für Jahr mehr. Das bringt bei all den Kostensenkungsmöglichkeiten natürlich auch ein gerechtfertigtes Ansteigen der Kosten mit sich.

Wir haben daher das ungerechtfertigte Ansteigen mittels vieler Maßnahmen drastisch reduziert. Im Vorjahr habe ich zur Unterstützung der Krankenversicherungen, die in Wirklichkeit verhandeln, sehr eingehende und auch erfolgreiche Gespräche mit den Vertretungen der Ärzte, der Apotheker und der Pharmaindustrie geführt und habe Verständnis gefunden, sodaß es im vorigen Jahr und teilweise auch im vorvorigen Jahr erhebliche kostendämpfende Maßnahmen gegeben hat.

Auch im Spitalsbereich haben wir drastische Kostenbegrenzungen für die Krankenversicherungen erreicht. Im Verwaltungsbereich der Krankenversicherungen – dafür muß ich auch den


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dortigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern danken – haben wir im Vorjahr drastische Kostendämpfungen durchgeführt. Man könnte sagen: Wir haben einen Sanierungsbedarf gehabt, und zwar nicht der Versicherungen, sondern der Gesundheitsvorsorge und der Finanzierbarkeit der Krankenbehandlung. Und wir haben das gemeinsam geschafft, und ich möchte allen, die dabei mitgewirkt haben, auch hier dafür danken.

Wir dürfen jetzt aber nicht leichtsinnig sein und sagen, wir sind jetzt ausgeglichen, und es muß nicht in diesem Maße weitergehen. Dieses Ausgeglichensein ist teilweise auch dadurch entstanden, daß aus verschiedenen Gründen weniger Krankenstandstage angefallen sind. Wir können aber ein Krankenversicherungssystem nicht so aufbauen, daß wir bei jeder Grippewelle erneut in Schwierigkeiten kommen würden. Das heißt, wir müssen diesen konsequenten Kurs der Konsolidierung fortsetzen.

Ein weiterer Diskussionspunkt: Wir haben voriges Jahr als Kompromiß beschlossen – ich stehe zu jeder Beschlußfassung, bis sie mit dem Koalitionspartner wieder verändert wird –, daß die Aktiven als Anteil die Krankenscheingebühr einbringen. – Ich habe hier im Bundesrat bereits erklärt: Wenn es mit dem Koalitionspartner gelingt, diese Krankenscheingebühr durch eine wirklich minimale Anhebung von Beitragssätzen aufzuheben, damit wir auch in Zukunft im Interesse aller die Finanzierbarkeit sichern und beispielsweise wieder überall auf diese 78 Wochen Krankengeld kommen können, dann bin ich sehr wohl dazu bereit. Gleichzeitig könnte man auch im Bereich der Lehrlinge eine Korrektur vornehmen. Es gibt also ein breites Band von Möglichkeiten in allen Bereichen.

Zum Bericht selbst: Er kommt von meinem Ministerium, daher möchte ich hier nicht nochmals das Ganze darstellen. Die wichtigste Herausforderung ist: Wir haben 1995 im Gegensatz zu sehr vielen anderen Staaten den Stand der Beschäftigung weitgehend halten können. Das allein kann jedoch nicht beruhigen. Wir dürfen auch in den nächsten Jahren im internationalen Gleichklang in der Europäischen Union das Ziel der Vollbeschäftigung nicht aus den Augen lassen.

Wir haben auch in der Zeit der Budgetkonsolidierung Infrastrukturinvestitionen sowie verstärkte Förderungen in den Bereichen der Technologie und der wissenschaftlichen Verbindung mit der Wirtschaft zur Verbesserung des Wirtschaftsstandortes Österreich aufgrund der noch höheren Qualität der Facharbeit vorgenommen, und es wird auch in Zukunft eine Reihe von Maßnahmen geben.

Es wird bei der EU eine neue Gruppe für Beschäftigung geben. Aber die Gruppe allein macht es nicht. Umdenken ist notwendig, und das Umdenken in der EU wird von uns entscheidend mitgeprägt. Beim letzten Ministerrat der Arbeits- und Sozialminister konnte ich den Wunsch deponieren, den ich weiter verfolgen werde, daß die Arbeitsminister mit dem ECOFIN – mit den Finanzministern – dahin kommen, daß alle währungs- und wirtschaftspolitischen Maßnahmen der Europäischen Union auch auf ihre beschäftigungspolitische Wirksamkeit hin geprüft werden.

In Österreich haben wir, gemessen im EU-Maß, eine Arbeitslosenrate von 4,1 Prozent, die Europäische Union hat eine Arbeitslosenrate von 10,9 im Durchschnitt. Ich sage das nicht zur Beruhigung, sondern nur zur Feststellung der Qualität der Österreicherinnen und Österreicher. Das ist aber keine Auswirkung der Politik allein: Wir haben zwar dazu beigetragen, es ist jedoch die hohe Qualität der Facharbeit, durch die unser Standort in Österreich gesichert wird, und dieser muß weiter ausgebaut werden.

An dieser Stelle schließt sich wieder der Kreis: Wir empfinden die derzeitige Situation auf dem Lehrstellenmarkt als nicht befriedigend. Es ist mir daher ein besonderes Anliegen, daß wir diese ständig verbessern. Denn es geht nicht nur um das persönliche Schicksal der jungen Menschen, sondern darum, daß sie mit einer hohen Qualifikation das Schicksal des Wirtschaftsstandortes Österreich beeinflussen und damit auch ein funktionierendes, abgesichertes Sozialsystem, für die Grundvoraussetzung ein gutes Wirtschaftsergebnis ist, gewährleisten.

1995, 1996 und auch im heurige Jahr bestand für das Sozialministerium in erster Linie die große Herausforderung, den hohen Sozialstandard in Österreich auch in wirtschaftlich schwierigeren


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Zeiten finanziell abzusichern, und allen, die daran mitwirken, gilt mein herzlicher Dank. – Danke sehr. (Beifall bei der SPÖ und bei Bundesräten der ÖVP.)

19.05

Präsident Dr. DDr. h. c. Herbert Schambeck: Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Engelbert Schaufler. Ich erteile es ihm.

19.05

Bundesrat Engelbert Schaufler (ÖVP, Niederösterreich): Herr Präsident! Herr Minister! Verehrte Damen! Geschätzte Herren! Ich freue mich, daß über diesen Bericht heuer etwas früher als in den vorangegangenen Jahren diskutiert werden kann. Vielleicht gelingt es in Zukunft, diesen Bericht noch aktueller auf die Tagesordnung des Bundesrates zu setzen. Das soll aber schlußendlich nicht zu Lasten der Qualität und der Quantität gehen; denn meinem Gefühl nach –das auch hat eine Vorrednerin schon zum Ausdruck gebracht – ist der heurige Bericht doch etwas weniger informativ und dadurch etwas weniger interessant als die vorangegangenen. Positiv möchte ich jedoch vorweg anmerken, daß zum Teil auch Entwicklungen während der ersten Jahreshälfte 1996 im vorliegenden Bericht enthalten sind.

Sozialpolitik ist die Summe aller Maßnahmen, die es den Menschen ermöglicht, ihr Leben leichter zu bewältigen, und über die Summen all dieser Maßnahmen soll der vorliegende Bericht Aussagen treffen. Ich habe mir auch schon in den vorangegangenen Jahren die Berichte immer angesehen, weil ich dazu gerne spreche, und daher kann ich ebenso wie Kenner feststellen: Die Gesamtentwicklung führt der Tendenz nach, trotz mancher positiver Lösungen – ich meine vor allem die Vorsorge durch das Pflegegeldgesetz –, nicht zu einem engeren sozialen Netz. Es ist einerseits bedauerlich, daß durch verschiedene Maßnahmen im Bereich des ASVG Verschlechterungen von den Versicherten hingenommen werden mußten. Auf einige dieser Punkte, die meines Erachtens unzureichend gelöst wurden, komme ich später noch zu sprechen. Andererseits waren und sind Veränderungen notwendig, um das soziale Netz insgesamt nicht zu überlasten, damit es nicht reißt, sondern das System finanzierbar bleibt.

Mir persönlich – das haben auch andere Redner schon ausgeführt – bereitet die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt am meisten Sorge, und es ist dies sicher die mit Abstand wichtigste politische Frage unserer Gesellschaft in diesem Jahr und in den kommenden Jahren. Seit Jahren sind wir nicht in der Lage, die Tendenz der ständig steigenden Arbeitslosigkeit zu stoppen, obwohl es eigentlich vornehmstes Ziel der Politik sein muß, es allen Menschen, die arbeitsfähig und arbeitswillig sind, zu ermöglichen, eine entsprechende Arbeit zu finden und auszuüben.

Österreich befindet sich derzeit im internationalen Vergleich in einer relativ günstigen Position. Die Arbeitslosenrate beträgt bei uns zurzeit 4,1 Prozent im Vergleich zu 11,1 Prozent im Durchschnitt der Europäischen Union. Nach der herkömmlichen österreichischen Berechnungsweise liegt der Wert allerdings bei 7,5 Prozent, und das bedeutet, daß jeder dreizehnte unselbständig Beschäftigte Probleme hat, dauerhaft beschäftigt zu sein. Dazu kommt, daß in absoluten Zahlen die Anzahl der unselbständig Beschäftigten seit 1995 nicht mehr gestiegen ist, sondern, im Gegenteil, im letzten Jahr um über 20 000 auf 3 047 000 gefallen ist, während sich gleichzeitig die Zahl der Arbeitslosen um 15 000 auf 230 000 Personen erhöht hat. Diese waren im Durchschnitt 242 Tage, das heißt, mehr als sieben Monate, vorgemerkt. Alle Experten gehen davon aus, daß auch von einem zukünftigen kräftigeren Wirtschaftswachstum – sofern es 3 Prozent nicht übersteigt – kein besonderer Beschäftigungseffekt ausgehen wird.

Von dieser Situation sind am stärksten ältere Arbeitnehmer, Frauen und Jugendliche betroffen. Für mich stellt insbesondere die Frage der Jugendarbeitslosigkeit das mit Abstand größte gesellschaftspolitische Problem dar. Ich sehe es als Grundverpflichtung unserer Gesellschaft an, jedem Schulabgänger und Lehrling nach erfolgter Ausbildung die Chance auf den Eintritt in das Berufsleben und damit auch die Chance auf die eigenständige Bewältigung des Lebens zu geben.

Einige Fakten dazu: Jährlich treten zirka 100 000 Schulabgänger starker Jahrgänge in das Berufsleben ein, und viele haben Probleme, einen Job zu finden. Im Dezember 1996 waren in der Altersgruppe der Fünfzehn- bis Vierundzwanzigjährigen über 42 000 als arbeitslos gemeldet,


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davon zirka 17 000 Pflichtschulabgänger, 17 000 Lehrabgänger und etwa 8 000 Absolventen weiterbildender beziehungsweise höherer Schulen. Wir benötigen also – der Herr Minister hat auch gerade davon gesprochen – Arbeitsplätze für jugendliche Lehrabgänger, die ihre Ausbildung abgeschlossen haben, und Arbeitsplätze für jene, die eine Schul- und Universitätsausbildung haben.

Im Rahmen des Arbeitsmarktservice stehen zirka 5 000 Lehrstellensuchenden nur 2 400 offene Stellen gegenüber. Dadurch wird auch das unterstrichen, was der Herr Minister ganz klar gesagt hat: Wir müssen auf diesem Gebiet mehr tun. Unsere Aufgabe wird schwierig sein, sie ist aber meines Erachtens bewältigbar. Mit Hilfe der Vermittlung neuer auf dem Markt verlangter Zusatzqualifikationen, höherer Mobilität im regionalen Bereich, neuer Einstiegsmöglichkeiten in der Wirtschaft und im öffentlichen Bereich und der Organisation privater Überbrückungshilfen ist eine entscheidende Verbesserung dieser Situation nicht nur möglich, sondern auch realistisch.

Wir sollten daher alles daran setzen und nicht eher Ruhe geben, bis Problemlösungsmöglichkeiten in Gang gesetzt und realisiert sind. Auch – und gerade – die Jugendarbeitsplätze sind nicht losgelöst vom allgemeinen Arbeitsmarkt zu sehen. Wenn wir allen Arbeitswilligen und Arbeitsfähigen dauerhafte Arbeitsplätze geben wollen, müssen wir die Zahl der vorhandenen Arbeitsplätze erhalten und auch neue schaffen.

Positiv ist – das freut mich – die Entwicklung bei der illegalen Beschäftigung. Obwohl die Anzahl der Überprüfungen durch das Arbeitsinspektorat wesentlich zugenommen hat, ist dennoch die Zahl der – ich möchte das locker sagen – schwarz Beschäftigten, die aufgegriffen wurden, um ein Drittel zurückgegangen, ebenso die Anzahl der Betriebe, in denen Vergehen festgestellt werden mußten. Es scheint, daß durch die Kompetenzübertragung von der Arbeitsmarktverwaltung zur Arbeitsinspektion der richtige Weg beschritten wurde. Ich hoffe, daß zum Vorteil aller, sowohl der Arbeitnehmer als auch der Arbeitgeber, diese unlautere Konkurrenz künftig im wesentlichen ausgemerzt sein wird.

Zum Pensionsbereich, in dem wesentliche Veränderungen vorgenommen wurden, möchte ich anmerken – jetzt komme ich auf meine Ankündigung zurück –, daß in manchen Bereichen Begleitmaßnahmen fehlen. – Ein Beispiel dazu: Im Gegensatz zu früher werden Invaliditätspensionen und Berufsunfähigkeitspensionen nur mehr befristet auf zwei Jahre zugesprochen. Das führt in der Praxis für den Versicherten zu der unangenehmen Situation, daß er vor die Wahl gestellt wird, sich zu entscheiden, ob er seiner Gesundheit und seinem Leben zuliebe die Pension annimmt oder seinen Arbeitsplatz behält. Denn wir haben keine begleitenden Maßnahmen und keine Schutzbestimmungen. Sollte der Betreffende in diesen zwei Jahren voll rehabilitiert werden, ist jedenfalls sein Arbeitsplatz nicht mehr vorhanden. Ich kenne kaum einen Fall, in dem ein Versicherter dann wieder seinen alten Arbeitsplatz einnehmen konnte. Ich glaube, Herr Minister, daß wir dieses Problem lösen müssen. Wir müssen nachdenken und gemeinsam eine Möglichkeit suchen, um diese Situation zu meistern.

Ein weiteres Problem, für mich eher ein Kuriosum, ist: Es besteht ein Unterschied zwischen den Bedingungen beim Antritt einer Invaliditätspension und einer Pension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit. Falls ein Versicherter in die Invaliditätspension eintritt, bekommt er seine Pension auch dann ab Anfallsdatum, wenn sein Urlaub noch nicht verbraucht und eine Urlaubsentschädigung durch den Dienstgeber ausbezahlt wird. Bei einem angehenden Pensionisten wegen geminderter Arbeitsfähigkeit gebührt jedoch die Pension für jenen Zeitraum nicht, für den die Urlaubsentschädigung oder auch Abfindung durch den Arbeitgeber bezahlt wird. Denn es wird die Ansicht vertreten, daß sich in diesem Fall das Dienstverhältnis und damit auch der Beitragszeitraum um den Zeitraum, für den Urlaubsentschädigung bezahlt wird, verlängern. Das Kuriosum ist diesfalls offensichtlich, denn nach dem Gesetz dürfen Urlaubsentschädigung oder Abfindung eindeutig nur dann bezahlt werden, wenn das Dienstverhältnis bereits beendigt ist. Hier besteht also ein gewisser Widerspruch. Dazu kommt noch, daß bei Pensionen wegen geminderter Arbeitsfähigkeit das Anfallsalter der Frauen bei 55, bei Männern bei 57 liegt. Das betrifft also die älteren, denn Invaliditätspensionen und Berufsunfähigkeitspensionen können eigentlich in jedem Lebensalter anfallen, also auch bei jüngeren Personen.


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Ich meine, daß auf diesem Gebiet etwas geschehen sollte. Man müßte Pensionen wegen geminderter Arbeitsfähigkeit, Invaliditätspensionen und Berufsunfähigkeitspensionen gleichsetzen. Ich ersuche Sie, Herr Minister, hier eine Regelung zu treffen, gemäß welcher die Urlaubsentschädigung beziehungsweise die Abfindung nicht in Betracht gezogen werden.

Noch etwas irritiert mich bei der Festsetzung des Eintrittsalters von 55 Jahren bei Frauen und 57 Jahren bei Männern ein bißchen: Seinerzeit mußten wir die diesbezügliche obergerichtliche Entscheidung hinnehmen: Das unterschiedliche Pensionsalter bei Männern und Frauen hält verfassungsrechtlich eigentlich nicht mehr. Jetzt hat man jedoch neuerlich eine unterschiedliche Entscheidung getroffen. – Im Sinne einer positiven Regelung für die Frauen kann ich in Anbetracht dessen nur hoffen, daß sich kein aufmüpfiger Mann ans Obergericht wendet.

Herr Minister! Verehrte Damen! Geschätzte Herren! Abschließend möchte ich noch zu einem leidigen Thema, zu dem jetzt täglich in den Medien Stellung genommen wird, nämlich zur Krankenscheingebühr, ein paar Sätze verlieren. Es kommt zu hohen Verwaltungskosten und zu viel Unsicherheit über Gebührenpflicht und Gebührenbefreiung. Dabei ist mir insbesondere unangenehm aufgefallen, daß bei der Befreiung von der Krankenscheingebühr eine Gruppe auf der Strecke geblieben ist, nämlich die Invaliden. Selbst Schwerstinvalide mit Invalideneinstellungsschein, mit Prozentsätzen von über 50 und 90 und mehr sind von der Gebühr nicht befreit. Ich glaube, daß es sich hiebei wohl um ein Versehen handelt. Denn gerade Invalide mit Einstellungsschein sind in vielen Gesetzen bevorzugt, damit ihr persönlicher Nachteil ein wenig aufgewogen wird, zum Beispiel durch mehr Urlaub oder andere Dinge, die für Behinderte gewisse Vorteile bringen. – Ich meine, wir sollten in diesem Zusammenhang nicht nur die rein monetären Richtlinien der Gebührenbefreiung sehen, sondern doch auf die Invaliden Rücksicht nehmen.

Meines Erachtens wäre es allerdings besser – darüber sind wir uns einig, Herr Minister –, die Krankenscheingebühr zur Gänze aufzuheben, ohne aber die Beiträge zu erhöhen, was für mich undenkbar ist. – Ich hätte einen anderen Vorschlag: Führen wir doch eine gebührenfreie, unter strengsten Datenschutzbestimmungen aufgelegte Chipcard so früh als möglich ein! Vielleicht schaffen wir es mit 1. 7. 1997. Ich glaube, damit könnten wir mehr einsparen, als diese Krankenscheingebühr insgesamt bringt. (Beifall bei der ÖVP.)

Wir würden uns dabei eine Menge an Verwaltungskosten und Ärger ersparen, und wir könnten so die Gesamtkosten der Krankenanstalten und die Ärztekosten wesentlich verringern. Das wäre das Ziel, das anzupeilen ist. – Danke schön. (Beifall bei der ÖVP.)

19.20

Präsident Dr. DDr. h. c. Herbert Schambeck: Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Mag. John Gudenus. Ich erteile es ihm.

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Bundesrat Mag. John Gudenus (Freiheitliche, Wien): Herr Präsident! Herr Bundesminister! Meine Damen und Herren! Liebe Kollegen! Mein Kollege Konečny meinte vorhin, daß man gewisse Dinge nicht wegharmonisieren muß. – Ich bin der Meinung, daß man in manchen Bereichen durchaus Harmonie ausstrahlen kann.

Diese Harmonie erkenne ich zum Beispiel darin, daß meiner Überzeugung nach jeder, der hier sitzt, und jeder, der sich im Berufsleben bewegt – die wenigen, die sich nicht so verhalten, seien hier nicht erwähnt –, bemüht ist, die soziale Lage der Österreicher zum Besseren zu gestalten. Es trifft zweifelsohne zu, daß sich die Sozialdemokraten in ihrer Urzeit, die Christlichsozialen mit Vogelsang und viele andere in der Politik Tätigen vom Anfang des 20. Jahrhunderts bis jetzt um die soziale Lage der Österreicher bemüht haben.

Es ist vielleicht für das heutige Thema signifikant, wenn ich die satirische Zeichnung von George Grosz vorzeige, die im Adolf Czettel-Bildungszentrum gezeigt wird: Sie zeigt einen Hingekauerten, und darunter steht: "Und gönnt dem Arbeitslosen sein tägliches Sterbegeld." – Diese Dramatik besteht Ende des 20. Jahrhunderts nicht mehr, aber in den zwanziger Jahren war diese Gefahr für manch einen Arbeitnehmer zweifelsohne gegeben.


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Ich glaube, gute Wirtschaftspolitik ist das beste Mittel, um eine gute Sozialpolitik betreiben zu können. Denn die Sozialpolitik erhält ihre Mittel und ihre Ressourcen von denen, die ihre Beiträge zahlen, und von denen, die hohe Steuern zahlen. Ich möchte sagen: Nur Gewinn ist sozial, denn nur mit Gewinn können wir den Sozialstaat finanzieren. – Wir betreiben jetzt 50 Jahre Wirtschaftspolitik und Sozialpolitik, müssen nunmehr aber erkennen, daß wir wahrscheinlich das Optimum dieser Politik des Geldausschüttens überschritten haben.

Ein Beispiel aus den jüngsten Tagen zeigt, wie man an der österreichischen Wirklichkeit oder an den Bedürfnissen der österreichischen Wirtschaft, aber auch den österreichischen Autofahrern vorbeigeht, indem nämlich die Herstellung eines simplen Druckwerkes, nämlich des Autobahnmautpickerls, nach Chicago vergeben wird. Ich bezeichne diese Vorgangsweise als schlichtweg asozial und gegen die Interessen der österreichischen Arbeiter gerichtet, wobei ich unter "Arbeitern" nicht nur jene verstehe, die Schwielen an den Händen haben, sondern auch jene, die an der Hochschule oder Rechtsanwälte sind, oder auch die Hausfrau. Gegen all jene ist diese Maßnahme gerichtet, denn damit werden die österreichischen Arbeiter, Arbeiterinnen und Arbeitnehmenden gefrotzelt. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Das trifft nicht auf Sie zu, Herr Bundesminister, aber es trifft auf die Entscheidungsfinder zu. (Bundesrat Hüttmayr: Herr Kollege! Das ist entweder Populismus oder Uninformiertheit!) Sie können es so bezeichnen! Aber fragen Sie Herrn und Frau Österreicher, wie sie es empfinden, wenn ein solcher Auftrag, der in Österreich sehr wohl erfüllt werden kann, nach Chicago vergeben wird! Das hat wirklich nichts mit Populismus zu tun, sondern nur mit Einsicht in die Wirklichkeit. (Beifall bei den Freiheitlichen. – Zwischenruf des Bundesrates Ing. Penz. ) Haben Sie etwas gegen den Altösterreicher Kollegen Sichrovsky? Es ist wirklich eine Ungeheuerlichkeit, ihn dorthin zu schieben, wo er jetzt sein Brot erwirbt! Sie wollen jetzt vielleicht noch dazu sagen: Deshalb, weil die Pickerln dort gemacht werden! – Pflanzen Sie jemand anderen! (Bundesrat Ing. Penz: Sie lassen sich auch gut pflanzen!) Das ist eine Möglichkeit, Herr Kollege! Wir werden beim Bauernstand dann das auspflanzen, was Sie eingepflanzt haben. Dieser wird sich mit der Zeit auch über Sie beklagen!

Meine Damen und Herren! Ein viel strapaziertes Wort im Zusammenhang mit der sozialen Lage ist das Wort "Solidarität". Jedesmal, wenn ich das Wort "Solidarität" höre, reißt es mich, und zwar aufgrund meiner christlichen Erziehung. Denn das Wort "Solidarität" steht in tiefem Zusammenhang mit gelebtem Christentum. Es wird jedoch heute mißbraucht, indem man es im Zusammenhang mit Beitragserhöhungen nennt, gesetzliche Steuererhöhungen und die Senkung von Leistungen durch verschiedene Einrichtungen damit begründet. Das soll Solidarität sein? – Wenn Sie das darunter verstehen, dann bitte ich Sie, das Wort nicht mehr zu verwenden! Nennen wir das doch schlicht und einfach: Steuererhöhungen, Beitragserhöhungen oder Schröpfen! Das ist viel zutreffender!

Heute können wir in der Zeitung lesen – es wurde schon erwähnt –, daß sich 950 000 Österreicher und Österreicherinnen an der Armutsgrenze befinden. – Wie kommt es, meine Damen und Herren, daß 50 Jahre Sozialpolitik in dieser zweiten Republik dazu führen, daß fast eine Millionen Österreicher an der Armutsgrenze und Armutsschwelle leben, Herr Bundesminister? Wie kommt es dazu, daß eine Politik, nach der 50 Jahre lang die Umverteilung gepredigt wird, zu einer Gefährdung von einer Million Österreichern beigetragen hat? (Bundesrat DDr. Köngishofer: Weil Verluste und Budgetdefizite unsozial sind!) Vermutlich wird es so sein, Herr Kollege! Ich danke für die Einwendung!

Die Staatsverschuldung, die ins Unermeßliche gestiegen ist, hat zu dieser Situation beigetragen. Sie ist derzeit so hoch, daß ich ein wenig den Verdacht hege, daß die Bundesregierung die Flucht in den Euro deshalb antritt, um die finanzielle Situation der Republik Österreich nicht mehr in Schilling beziffern zu müssen. Ich habe den Eindruck, daß die Flucht in die EU diese Situation insgesamt am besten charakterisiert. Man flieht aus der Gebietskörperschaft, in der man selbst nicht mehr Herr der Situation ist, die man aber selbst 50 Jahre lang betrieben hat.

Man preist nun die Mondialisierung, man preist die "global players". Die Verwendung des Begriffes "global player" empfinde ich übrigens im Zusammenhang mit Sozialpolitik als besonders


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zynisch: Denn übersetzt bedeutet "global player" in etwa "Weltspieler". Sozialpolitik hat allerdings mit Spiel überhaupt nichts zu tun! Die eine Million Armutsgefährdeten werden wenig Verständnis dafür haben, daß einzelne Österreicher versuchen, sich als "global players" zu gebärden. – Helmut Frisch sagte vor wenigen Tagen: Durch die Teilnahme an der EU und an der Währungsunion werden wirtschaftspolitischer Spielraum und wirtschaftspolitische Autonomie aufgegeben, und wir sind nicht mehr in der Lage, unsere Aufgaben für uns selbst zu erledigen. Wir werden gezwungen, Aufgaben der anderen auch noch zu unserer nicht sehr rosigen sozialen Situation dazu zu nehmen.

Wer vertritt denn nun die Arbeitenden, meine Damen und Herren? – Darauf könnte man sehr einfach sagen: Sie vertreten die Arbeitenden! (Bundesrat Ing. Penz: Auf der einen Seite nennen Sie den christlichen Ansatz, auf der anderen Seite sind Ihnen die Leute egal!) Wenn Sie einen Einwurf zu machen haben, können Sie sich ja zu Wort melden und mir diesen Vorwurf nachher machen! In diesem Zusammenhang liegen Sie total falsch, das möchte ich Ihnen doch sagen! (Bundesrat Ing. Penz: Ich danke Ihnen für die Belehrung!)

Wer vertritt nun die Arbeitnehmer? (Bundesrat Prähauser: Die Sozialdemokraten!) Das ist eine einfache Aussage! Das ist das, was ich mir von Ihnen erwartet habe! Ich danke für das Stichwort! – Aber warum laufen Ihnen die Arbeiter davon? Warum wählen immer mehr Arbeitende die Freiheitliche Partei? (Zwischenrufe bei der SPÖ. – Ruf: Weil sie Ihnen auf den Leim gegangen sind!)

Zehn Jahre lang gehen die Arbeiter auf den Leim! Zehn Jahre lang haben Ihre Leute dazu beigetragen, daß die Freiheitlichen eine Erfolgsbilanz aufzuweisen haben, wie einst nach dem Krieg Betriebe, die ein gutes Produkt anzubieten hatten. (Bundesrat Prähauser: Man kann Lügen auf den Leim gehen!) Wir sind es, die die Arbeitenden vertreten, und nicht die Sozialdemokraten! Sie haben abgedankt, meine Herren! Die Arbeitenden werden von den Freiheitlichen vertreten! (Beifall bei den Freiheitlichen. – Bundesrat Prähauser: Jede Märchenstunde hat einmal ein Ende!)

Die Regierungsprogramme und die diversen Absichtserklärungen, in denen stets von einem Wachstum gesprochen wird, wurden nur von einem Mann halbwegs realistisch gesehen, nämlich von Herrn Bundeskanzler Vranitzky, der das Wort "Nullwachstum" gepredigt hat. Aber wo ist die realistische Sicht, daß man den Leuten sagt: In der nächsten Zeit wird es keine Zuwachsraten mehr geben!? Ich höre niemanden, der auf Ihrer Seite sagt: Liebe Österreicher und Österreicherinnen! Wir haben eine Rezession zu prognostizieren, und daher haben wir zu prognostizieren, daß die Zahl der Arbeitslosen steigt! – Das muß man den Österreichern einmal mutig sagen, denn es gibt überhaupt keinen Grund, auch wenn Sie Sozialdemokrat sind und gern rot sehen, die Zukunft rosig zu sehen.

Unser Wohlfahrtsstaat, meine Damen und Herren, und somit auch das Sozialsystem sind durch die Permanenz des Budgetdefizits stärkstens gefährdet. 1996 werden für die Zinsen der Staatsschulden 97 Milliarden Schilling gezahlt. Das ist etwa soviel wie das Nettodefizit, welches 89 Milliarden Schilling beträgt. Die Umverteilungseffekte in Form von Steuern und Transferzahlungen werden für die Nutznießer, aber auch für die, die das zahlen müssen, immer weniger transparent. Durchschauen Sie dieses System? – Es werden schöne Bücher, Berichte, Budgetvorhersagen, Budgetbetrachtungen, Sozialberichte verfaßt. Aber können Sie durchschauen, wie die Gelder laufen? – Und immer wird es schlechter für den Österreicher! Knapp 1 Million leben an der Armutsgrenze. Mit diesen Büchern wird bestenfalls verschleiert, wie es für Herrn und Frau Österreicher steht. Sie werden aber keinesfalls klüger daraus, sodaß sie sagen können: Ich müßte mich selbst beschränken.

Das Pensionssystem ist in ärgster Gefahr. Es ist gewissermaßen knapp vor dem Zusammenbrechen. Aber darüber spricht man nicht gerne! Das Ganze erinnert ein bißchen an die Situation eines Gewichthebers. (Zwischenruf des Bundesrates Ing. Penz. ) Sie können beim Leichtgewicht antreten, Herr Kollege! (Bundesrat Ing. Penz: Mit Ihnen nehme ich es noch jederzeit auf!) Aber es gibt einige, die könnten beim Schwergewicht antreten.


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Das ganze System erinnert ein bißchen an die Situation eines Gewichthebers, vergleichbar mit unserer Sozialpolitik, mit dem Konsum, mit der verstaatlichten Industrie: Zuerst müssen sie Anabolika einnehmen, dann stemmen sie, dann überheben sie sich, und zum Schluß sind sie impotent. Nicht wahr? (Zwischenrufe bei ÖVP und SPÖ.) Das ist unser Sozialsystem! Darüber müssen wir einmal reden. Dieses System wollen wir doch nicht perpetuieren! Ich glaube, diese gute Absicht haben wir alle!

Ich glaube, meine Damen und Herren, ... (Bundesrat Prähauser: Kollege Penz! Das letztere könnte stimmen!) Machen Sie sich später aus, wann Sie Anabolika nehmen wollen. Das ist ja jetzt nicht notwendig, oder? (Bundesrat Prähauser: Jetzt habe ich Sie einmal unterstützt, das sollten Sie doch würdigen!)

Meine Damen und Herren! Die Arbeitslosigkeit ist kein Ergebnis des Wirkens finsterer Mächte, sondern resultiert aus genau erkennbaren politischen Fehlentscheidungen. Derzeit wird jedoch alles ein bißchen maskiert – es ist ja Fasching! Es werden Arbeitsbeschaffungsprogramme ausgearbeitet, es gibt Umschulungen, es werden Frühpensionierungsprogramme auf die Beine gestellt. Geben Sie doch lieber einmal zu, daß die Zeit der einfachen Lösungen vorbei ist!

Es gibt fast keine Lohnerhöhungen mehr, und es werden auch keine Arbeitszeitverkürzungen mehr greifen. Warum werden Arbeitszeitverkürzungen nicht mehr greifen? – Weil dann die "global players" nicht mehr in Österreich bleiben, sondern anderswo hingehen! Diese suchen sich den Ort, an dem sie den besten Standortvorteil haben, wo Arbeitnehmer billig und flexibel sind. Wenn zu teuer angeboten wird, gibt es keine Chance. – Machen Sie da nicht mit! Wehren Sie sich gegen die Politik, die derzeit gemacht wird! (Bundesrat Prähauser: Würden Sie als Arbeitnehmervertreter sagen: Löhne hinunter?) Das habe ich nicht gesagt! Ich will sie weder erhöhen noch senken! (Bundesrat Prähauser: Sagen Sie uns, wie Sie es besser machen würden!) Aber Sie müssen dazu beitragen, daß es eine Renaissance der wahren Sozialpolitik gibt.

Die praktizierte Sozial- und Tarifpolitik kann sich nur schwerlich auf das System der sozialen Marktwirtschaft berufen. Unsere Krise ist das Ergebnis der Mißachtung der Grundsätze der sozialen Marktwirtschaft. Dies geschah möglicherweise in guter Absicht. Aber man hat die Grundsätze der sozialen Marktwirtschaft insofern mißachtet, daß immer mehr ausgegeben als eingenommen wurde. Der Bereich des Sozialen wird mißverstanden und opportunistisch interpretiert. Ökonomische, sozialpolitische und gesellschaftspolitische Grundsätze bleiben auf der Strecke. Soziale Marktwirtschaft kann nur dann sozial sein, wenn sie effizient ist. Gewinn ist sozial. Ich frage Sie: Wo ist heute in Österreich wirklich mit Gewinn zu wirtschaften? Welche Betriebe arbeiten mit Gewinn und können dann ehrlich eine Sozialpolitik betreiben?

Die derzeitige Lohnfindung trägt neofeudale Züge. Auch auf diese Weise mißachtet und schafft man Arbeitslosigkeit. Es werden nämlich Gruppen, die an ihrem Arbeitsplatz gut abgesichert sind, gegenüber jenen Gruppen bevorzugt, die auf der Suche nach Arbeit sind beziehungsweise die den Arbeitsprozeß schon hinter sich haben und um ihre Pension bangen müssen. – Das ist die neofeudale Politik, die in manchen Bereichen Platz gegriffen hat!

Das größte Problem ist die Erosion der sozialen Marktwirtschaft in der Sozialpolitik. Die Sozialpolitik hat schrittweise das Selbsthilfe- und Versicherungsprinzip durch das Versorgungs- und Fürsorgeprinzip ersetzt. Wir befinden uns also in einer Sozialfalle. Sozialpolitik heißt, an jene zu denken, die beschäftigt sind, aber ganz besonders sich um jene zu sorgen, die keine Arbeit haben und in der nächsten Zeit keine Arbeit bekommen werden. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

19.37

Präsident Dr. DDr. h. c. Herbert Schambeck: Zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Ilse Giesinger. Ich erteile es ihr.

19.37

Bundesrätin Ilse Giesinger (ÖVP, Vorarlberg): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Minister! Hoher Bundesrat! Die Einführung der Krankenscheingebühr von 50 S ab 1. 1. 1997, deren Verwaltungsaufwand die Unternehmen tragen, berechtigt zu der Frage, ob es


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in der heutigen Zeit noch sinnvoll ist, diese Art der Bestätigung der Versicherung bei den Krankenkassen weiter aufrechtzuerhalten.

Meinen Informationen zufolge werden zum Beispiel in Vorarlberg die Krankenscheine gar nicht mehr zur Abrechnung der Ärzte bei den Krankenkassen verwendet, sondern praktisch nur für die Daten des Patienten.

Diese Kosten der Krankenscheine, also das Drucken von Krankenscheinen, das Anfordern der Krankenscheine durch die Betriebe, das Ausstellen der Krankenscheine durch die Betriebe, die Bezahlung von 50 S durch die Patienten für deren Ausstellung, das Abrechnen der Betriebe mit den Krankenkassen – um nur einige wenige zu nennen –, sind meiner Meinung nach in der heutigen Zeit überholt.

In Niederösterreich und Burgenland wurden mit einem Chipkartensystem gute Erfolge erzielt. Kaum ein europäisches Land hat noch Krankenscheine. In Belgien gibt es zum Beispiel die Chipkarte, in Dänemark einen Jahresausweis, in Deutschland wird ebenfalls die Chipkarte verwendet, in Frankreich ein Formular, in Italien ein Scheckbuch, in Luxemburg und in den Niederlanden eine Versicherungskarte, um nur einige zu nennen.

Wenn nun in Vorarlberg bei den Interessenvertretungen der Arbeitgeber, Arbeitnehmer und Ärzte sowie bei der Vorarlberger Gebietskrankenkasse die Bereitschaft besteht, den Krankenschein durch eine Versicherungskarte als Übergangslösung zu ersetzen, und dafür ein Modell entwickelt wurde, so leuchtet nicht ein, warum dieses Modell – nämlich das Ersetzen des Krankenscheines durch eine möglichst maschinenlesbare Versichertenkarte – nicht als Pilotprojekt eingeführt werden soll. Die Versichertenkarte wird zum Beispiel in Luxemburg – nur nebenbei erwähnt – schon seit zehn Jahren verwendet.

Als jedoch die Vorarlberger Bundesräte an Sie eine Anfrage mit fünf Fragen stellten, wieweit Ihre Überlegungen zur Einführung zeitgemäßer Formen der Verrechnung einzelner ärztlicher Leistungen und bezüglich der Möglichkeit eines Pilotversuches in Vorarlberg gediehen sind, gaben Sie die Antwort – ich zitiere wörtlich –: "Wie den Anfragestellern sicherlich bekannt ist, hat der Nationalrat in seiner Sitzung vom 29. November 1996 beschlossen, daß ich im Rahmen meiner Kompetenzen zum 1. 1. 1998 die Voraussetzungen zur Einführung eines Chipkartensystems schaffen möge.

Im Hinblick auf diesen Auftrag des zuständigen Parlamentsausschusses und dessen Terminisierung halte ich die Anregung zur Durchführung eines Pilotversuches für obsolet und erlaube mir daher, auf die einzelnen Fragen der gegenständlichen Anfrage nicht mehr gesondert einzugehen." – Zitatende. Das war die ganze Antwort!

Wir wollten bei unserer Anfrage auch wissen, wieweit Ihre diesbezüglichen Überlegungen gediehen sind, erhielten darauf jedoch keine Antwort. Daher bin ich skeptisch – und mit mir auch die anderen Bundesräte –, ob tatsächlich mit 1. 1. 1998 eine Chipkarte den Krankenschein ersetzen wird.

Die Industrie hat sich einmal bereit erklärt, einen Teil der Kosten der Umstellung zu übernehmen. Aber die Industrie beziehungsweise die Wirtschaft kann nicht alle Kosten übernehmen, denn schließlich profitieren davon die Ärzte, die Arbeitnehmer und die Krankenkassen ebenso. Das AMS in Vorarlberg rechnet zum Beispiel damit, daß für das Ausstellen und Verwalten von Krankenscheinen für zirka 13 700 Personen zwei Bedienstete benötigt werden, ich wiederhole: zwei Bedienstete! Die Kosten, die entstehen, kann sich jeder ausrechnen! Und die Betriebe erbringen schon seit Jahren einen kostenlosen Service, obwohl das an und für sich nicht Aufgabe eines Betriebes ist, denn es geht dabei ja um die Krankenkassen und um die Patienten.

Durch den Wegfall der Krankenscheine würden sich die Sozialversicherungen nach einem Papier des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger 576,2 Millionen Schilling pro Jahr ersparen. Demgegenüber betragen die Mehrkosten 118,5 Millionen Schilling pro Jahr. Dies würde dann immerhin noch eine Einsparung von 457,7 Millionen Schilling pro Jahr für die Sozial


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versicherungsträger bedeuten. Die bisherige kostenlose Arbeit der Betriebe trotz des rauhen Winds, der derzeit in der Wirtschaft herrscht, könnte meiner Meinung nach dadurch honoriert werden, daß die Wirtschaft keine Kosten bezahlt und dadurch auch die indirekten Lohnnebenkosten gesenkt werden, was gleichzeitig auch ein Signal für die Wirtschaft wäre.

Es ist für mich unverständlich, daß Einsparungen von zirka 458 Millionen Schilling bei den Sozialversicherungsträgern nicht schon längst genutzt wurden beziehungsweise werden, zumal die Krankenkassen enorme Defizite haben. In Ihren vorherigen Ausführungen, Herr Minister, haben Sie das selbst bestätigt. In Anbetracht dessen ist es für mich als Unternehmerin verwunderlich, daß man, obwohl es zum Beispiel in Luxemburg schon seit zehn Jahren die Chipkarte gibt, in Österreich nur mit Mühe daran geht, das überhaupt einzuführen, denn ein solches System wäre praktischer und viel kostengünstiger.

Herr Sozialminister Hums! Sie haben heute gesagt – Sie haben es auch im Sozialbericht geschrieben, und es steht auch im Ausschußbericht des Bundesrates über die soziale Lage –, daß die größte Herausforderung für die Zukunft für Österreich und für die EU darin besteht, die Sicherung der Vollbeschäftigung zu erreichen. In Anbetracht dessen sind gerade wir als Gesetzgeber verpflichtet, dementsprechend wirtschaftliche Rahmenbedingungen zu schaffen. Das bedeutet für mich auch: nur soviel Staat wie unbedingt notwendig und so viel Freiheit für die Bevölkerung, aber auch für die Wirtschaft wie möglich. – Denn im Betrieb selbst kann am besten abgeschätzt werden, was wichtig und notwendig ist, um das Bestehen des Betriebs zu sichern. Das wissen die Arbeitgeber und auch die Arbeitnehmer, und die Praxis zeigt es.

Die Realität schaut aber leider anders aus. Anstatt daß wir von der Gesetzgebung her die Rahmenbedingungen ändern, beschränken wir uns auf das Reden. Wir sagen: Wir schaffen Arbeitsplätze. – Ich habe aber noch nie gesehen, daß man durch Reden Arbeitsplätze schafft! Denn Arbeitsplätze schaffen die Betriebe und die Arbeitnehmer mit ihrer Arbeit, wenn sie die Aufträge gut ausführen und wenn sie termingerecht liefern. Wenn am nächsten Tag der Auftrag ausgeliefert sein muß, kann man nicht sagen: Um sechs Uhr ist Schluß, es darf nicht mehr gearbeitet werden. – Denn sonst wird der Auftrag storniert und man bekommt keinen Anschlußauftrag mehr. – So schaut es nämlich in der Wirtschaft aus! (Beifall bei der ÖVP.)

Ich habe in den letzten Tagen oft mit Unternehmerinnen und Unternehmern gesprochen, und ich habe festgestellt und war richtig schockiert darüber, daß eine sehr düstere Stimmung herrscht. Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in Österreich stimmen nicht mehr. Viele Betriebe lagern aus. Sie sprechen nicht einmal mehr darüber. Sie sind unzufrieden, aber sie sagen nichts, sondern machen ihre Konzepte und gehen in andere Länder, ohne etwas zu sagen. Das ist das ärgste, denn das bedeutet für mich, daß sie resigniert haben. – So schaffen wir sicherlich keine Arbeitsplätze!

Ich möchte hier ein Beispiel nennen: Mit dem Arbeitsruhegesetz haben wir festgelegt, daß man 66 Stunden offenhalten kann. Wir haben das aber an derartige Bedingungen geknüpft, daß die kleinen Handelsbetriebe keine Möglichkeiten und Chancen haben, am Samstag länger offenzuhalten, weil sie sonst die Leute am nächsten Samstag nicht zur Verfügung haben. Es bestätigt sich jetzt auch in der Praxis, daß es keine Zukunft haben wird, wenn die Kleinen und die Großen nicht zusammen offen haben. Alle Möglichkeiten des Offenhaltens nützen nichts, wenn Bedingungen daran geknüpft werden, die der einzelne Betrieb nicht erfüllen kann.

Wir in der Politik belasten die Betriebe noch mehr und regeln alles noch enger beziehungsweise knüpfen – wie vorher gesagt – Bedingungen an Erleichterungen, die letzten Endes gerade für Klein- und Mittelbetriebe, aber auch für die Industrie, untragbar sind, siehe Krankenschein. Herr Bundesminister! Ich richte daher nochmals im Namen der Vorarlberger Bundesräte an Sie das dringende Ersuchen, in Vorarlberg den Pilotversuch mit der Versicherungskarte zu genehmigen, zumal Fachleute der Meinung sind, daß dieser Termin wegen Abklärung vieler sensibler Bereiche nicht zu halten ist. Selbst der Präsident des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger, Richard Leutner, zweifelt daran, daß die Chipkarte ab 1. 1. 1998 eingeführt werden kann. Mit Ihrer Antwort auf unsere Anfrage haben Sie uns keinesfalls zufriedengestellt.


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Ich bitte Sie daher nochmals, bezüglich Einführung eines Pilotversuches in Vorarlberg mit uns Bundesräten und den dafür zuständigen Stellen in Vorarlberg zu sprechen und Ihre Entscheidung zu ändern beziehungsweise noch einmal zu überdenken, um doch eine gemeinsame zufriedenstellende Lösung zu finden. – Danke. (Beifall bei der ÖVP.)

19.48

Präsident Dr. DDr. h. c. Herbert Schambeck: Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesminister Hums. Ich erteile es ihm.

19.48

Bundesminister für Arbeit und Soziales Franz Hums: Sehr geehrte Frau Bundesrätin! Sie haben den Entschließungsantrag bereits zitiert. – Zur Chipkarte selbst: Ich habe bereits im Vorjahr den Hauptverband ersucht, die Vorarbeiten zur Einführung einer Chipkarte zu beschleunigen, was sicherlich im Interesse der Wirtschaft, der Ärzte und der Versicherten selbst ist.

Das ist meinerseits geschehen. Diese Arbeiten können aber nicht im Sozialministerium selbst vorgenommen werden. Denn zuständig – und daher auch mein Appell an den Hauptverband – ist die Selbstverwaltung, bei der die Unternehmer und die Arbeitnehmer vertreten sind. Sie müssen gemeinsam praxisorientiert, und zwar sehr rasch, dieses Chipkartensystem entwickeln. Natürlich ist es vernünftig, wenn wir in Österreich, das zwar sehr langgezogen, aber in Summe nicht sehr groß ist, ein gemeinsames System finden. Dieses soll von den Partnern Wirtschaft und Arbeitnehmer praxisorientiert sehr rasch entwickelt werden. Ich bekenne mich zu dieser Selbstverwaltung, weil es sinnvoll ist, Bürokratie nicht von oben zu verordnen.

Etwas ist natürlich klar: Wenn man dieses System der Chipkarten mit dem System der Bankomatkarten vergleicht – was oft geschieht –, dann wird klar: Das Vorhandensein einer Bankomatkarte setzt natürlich das Vorhandensein von Bankomaten voraus. Es müssen daher überall – etwa bei den Ärzten und bei den Unternehmungen – die entsprechenden technischen Einrichtungen vorhanden sein.

Aber noch einmal: Vom Blickwinkel des vorhandenen Zeitbudgets wird von mir aus alles getan, daß die entsprechenden Voraussetzungen geschaffen werden, soweit das Ministerium das tun kann, und ich bin gerne bereit, auch Ihren Vorschlag nochmals zu deponieren. Nur: Wir sollten in Österreich möglichst rasch ein einheitliches System finden. Denn es hat keinen Sinn, wenn jemand aus Vorarlberg nur ein bißchen über die Landesgrenze geht und dann für ihn alles nicht mehr funktioniert. Manches wird zu einfach dargestellt. Es soll aber auch nicht komplizierter gemacht werden als nötig. Es soll sehr rasch eine Lösung gefunden werden. Dazu stehe ich.

In dem Entschließungsantrag ist klar definiert – ich hoffe, daß sich keiner der Partner davon distanzieren will –: Den Versicherten dürfen dadurch keine zusätzlichen Kosten erwachsen. – Das muß klar sein, und das wurde auch im Parlament beschlossen. Keiner der Partner soll von Beginn an schon wieder versuchen, das Vereinbarte wieder zu negieren.

Außerdem steht in dem Entschließungsantrag – auch in voller Übereinstimmung mit der ÖVP, denn die partnerschaftliche Finanzierung des Sozialversicherungssystems ist die Grundlage unseres Systems –, daß die Wirtschaft, die sich damit Geld erspart, auch für die Kosten der Einführung aufkommt. Das wurde im Parlament auch mit den Stimmen der ÖVP beschlossen. Und dazu sollte man sich auch bekennen, denn längerfristig ist das ein erheblicher Vorteil.

Noch einmal zur Krankenscheingebühr: Sie alle wissen, daß die Situation voriges Jahr sehr dramatisch war. Das Krankengeld hätte bereits in manchen Bereichen reduziert werden müssen. Wenn es gelungen ist, diese Konsolidierung jetzt durchzuführen, dann war das eine gemeinsame Leistung vom Sozialministerium und von den Versicherungen. Es sind viele Gespräche im Vorfeld von den Verhandlungspartnern geführt worden, und es konnten Kosten im Bereich der Ärzte, die auch Verständnis zeigten, und in vielen anderen Bereichen reduziert werden. Wir dürfen nur nicht gleich allzu optimistisch werden, denn wenn wir jetzt sagen, daß gerade ein Ausgleich erreicht wurde, dann dürfen wir das System nicht so anlegen, daß bei der nächsten Grippewelle wieder alles dahin ist.


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Betreffend die Krankenscheingebühr selbst, die damals in diesem Kompromiß enthalten war: Ich wäre froh, wenn es gemeinsam mit dem Koalitionspartner gelänge, diese Krankenscheingebühr wieder zu beseitigen. Aber ich kann den Versicherungen jetzt nicht zumuten, daß sie dann auch wieder die damit verbundenen Finanzmittel verlieren. – Daher mein Vorschlag: Die Krankenscheingebühr wird beseitigt, gleichzeitig wird aber eine ganz geringe, im Hundertstelbereich liegende Beitragssatzanhebung vorgenommen. Gleichzeitig soll jenen Unternehmungen, die Lehrlinge ausbilden, Kosten erspart werden. Denn das, was von den Dienstgebern hereinkommt, könnten wir dazu verwenden, um einen Ausgleich zu schaffen, damit wir in den ersten beiden Lehrjahren von den Lehrlingen keine Krankenversicherungsbeiträge einheben müssen.

Dieses Angebot habe ich mehrfach gemacht. Allein kann der Sozialminister das nicht umsetzen, sehr wohl aber mit dem Koalitionspartner. Es soll fair verhandelt werden, ohne daß jemandem etwas ohne sachliche Begründung zugemutet wird.

Zur Flexibilisierung der Arbeitszeit, die Sie angesprochen haben: Erstens haben wir in Österreich bedeutende Wirtschaftsstandortvorteile. Das zeigt sich daran, daß viele Unternehmungen in Österreich Filialen eröffnen und hier investieren. Die Qualität der Arbeitnehmer ist hoch, und es herrscht sozialer Friede.

Daher richte ich immer wieder den Appell an die Sozialpartnerschaft: Schaffen Sie bitte ein faires Ausgleichssystem! Denn dieses faire Ausgleichssystem in der Sozialpartnerschaft ist die Grundlage des sozialen Friedens und damit die Grundlage für die Qualität des Wirtschaftsstandortes.

Im Hinblick auf das Thema Flexibilisierung der Arbeitszeit ist von meinem Ressort im Sommer ein Impuls ausgegangen, mit dem Bewegung in die Situation gekommen ist. Es wurde ein Vorentwurf erstellt, und dieser Entwurf für eine Novelle des Arbeitszeitgesetzes sieht sehr weite Möglichkeiten der Flexibilisierung vor. Innerhalb des in Österreich bestehenden Systems aber, mit dem unsere Sozialpartnerschaft sehr viel zum Fortschritt beigetragen hat, soll der Gesetzesrahmen branchenorientiert von den Kollektivvertragspartnern genützt werden. Und sie nützen diesen Rahmen, glauben Sie mir das! Die Sozialpartner haben den gesetzlichen Rahmen in allen Bereichen genützt, manchmal im Vertrauen auf die Novellierung sogar schon überschritten.

Geben wir den Sozialpartnern doch endlich die Möglichkeit, neue, flexiblere Arbeitszeitregelungen ohne Übervorteilung der Arbeitnehmer zu beschließen! Daher richte ich den Appell an den Koalitionspartner, dieses Gesetz mit sehr weiten Spielräumen für die Flexibilisierung endlich zu beschließen und nicht deshalb liegenzulassen, weil man gleichzeitig ein gutes System, das System der Sozialpartnerschaft, das System der branchenorientierten Kollektivverträge über Bord werfen will. Das ist mein Appell an Sie, und ich hoffe auf die Unterstützung der Unternehmungen in Gewerbe und Industrie! – Danke. (Beifall bei der SPÖ und bei Bundesräten der ÖVP.)

19.54

Präsident Dr. DDr. h. c. Herbert Schambeck: Weiters zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Gottfried Jaud. Ich erteile es ihm.

19.54

Bundesrat Gottfried Jaud (ÖVP, Tirol): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Minister! Hoher Bundesrat! Erlauben Sie mir, auf einige Bemerkungen des Kollegen Drochter etwas zu erwidern. Seine Ausführungen haben so geklungen, als wäre die Wirtschaft nicht bereit, Lehrlinge aufzunehmen. (Bundesrätin Kainz: So ist es ja!)

Glauben Sie mir: Auch für uns ist es sehr bedauerlich, wenn wir nicht alle Lehrlinge beschäftigen können. Mich selbst hat im Herbst ein junger Mann angerufen und um eine Lehrstelle gefragt. Ich mußte ihm jedoch absagen. – Glauben Sie mir: Das ist sehr bedauerlich!

Wir würden gerne alle, die sich um Lehrstellen bewerben, beschäftigen. Wir könnten dies auch, wenn die Wirtschaft ein entsprechende Dynamik hat. Die Wirtschaft muß laufen. Man kann


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jedoch keine Lehrlinge einstellen, wenn kein Bedarf an Lehrlingen besteht. Damit die Wirtschaft läuft, bedarf es allerdings entsprechender Rahmenbedingungen, und wir in diesem Hause tragen ein gerüttelt Maß an Schuld, daß die Rahmenbedingungen der Wirtschaft nicht mehr unseren Bedürfnissen entsprechen. (Beifall bei der ÖVP und bei den Freiheitlichen.)

Es sind nicht nur die finanziellen Belastungen, die die Wirtschaft bremsen, es sind auch gesetzliche Vorschriften, die den Unternehmer mehr und mehr ins Abseits drängen, und zwar dorthin, wo eigentlich normalerweise nur jene hingehören, die hinter Gitter kommen. Damit verliert der Unternehmer natürlich auch zunehmend Freude an der Arbeit. Und auch aufgrund der internationalen Konkurrenz stimmen in Österreich die Rahmenbedingungen nicht.

Herr Sozialminister! Ich habe jetzt gehört, daß Sie beabsichtigen, die Lehrlinge zu entlasten und bei den anderen Versicherten ein wenig zu erhöhen beziehungsweise die Einführung der Chipkarte der Wirtschaft aufzulasten: Dazu sage ich Ihnen, wir sind gerne bereit, all das zu bezahlen. Sie müssen jedoch dann die Verantwortung für die vermehrte Arbeitslosigkeit tragen. Denn jeder Schilling Mehrbelastung in der Wirtschaft bedeutet mehr Arbeitslosigkeit. Bitte glauben Sie uns das! (Beifall bei der ÖVP.)

Lassen Sie mich abschließend sagen: Geben Sie der Wirtschaft die nötigen Rahmenbedingungen, und Sie werden sich wundern, wozu die Wirtschaft bei freier Entfaltung imstande ist! Nehmen Sie also die Fesseln von der Wirtschaft! Befreien Sie uns von den Fesseln auf gesetzlicher Ebene und auch betreffend finanzielle Verpflichtungen. Die Wirtschaft kann all das: Sie kann unseren Wohlstand halten und vermehren, und sie kann auch die Arbeitslosigkeit sofort beenden! (Beifall bei der ÖVP und bei den Freiheitlichen.)

19.58

Präsident Dr. DDr. h. c. Herbert Schambeck: Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Es ist dies nicht der Fall.

Die Debatte ist daher geschlossen.

Wird von der Berichterstattung ein Schlußwort gewünscht? – Das ist ebenfalls nicht gegeben.

Wir gelangen daher zur Abstimmung .

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, den vorliegenden Bericht zur Kenntnis zu nehmen, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmenmehrheit .

Der Antrag auf Kenntnisnahme dieses Berichtes ist somit angenommen .

2. Punkt

Erstattung eines Vorschlages des Bundesrates für die Ernennung eines Mitgliedes des Verfassungsgerichtshofes

Präsident Dr. DDr. h. c. Herbert Schambeck: Hoher Bundesrat! Wir gelangen nun zum 2. Punkt der Tagesordnung: Erstattung eines Vorschlages des Bundesrates für die Ernennung eines Mitgliedes des Österreichischen Verfassungsgerichtshofes.

Die Erstattung dieses Vorschlages ist notwendig geworden, da das Mitglied des Verfassungsgerichtshofes, Herr Rechtsanwalt Dr. Dietrich Roessler, die im Artikel 147 Abs. 6 Bundes-Verfassungsgesetz vorgesehene Altersgrenze erreicht hat und mit 31. Dezember 1996 aus dem Verfassungsgerichtshof ausgeschieden ist.

Gemäß § 1 Abs. 2 Verfassungsgerichtshofgesetz 1953 wurde die vakante Stelle im Amtsblatt der Wiener Zeitung und in den für Amtliche Kundmachungen bestimmten Landeszeitungen mit einer Bewerbungsfrist bis 28. Oktober 1996 ausgeschrieben.


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Den Mitgliedern des Bundesrates wurde die Möglichkeit der Einsichtnahme in die eingelangten Bewerbungen gegeben.

Der Bundesrat hat in seiner 620. Sitzung vom 19. Dezember 1996 die Abhaltung einer Parlamentarischen Enquete beschlossen, die ein Hearing der Bewerber um die Stelle eines Mitgliedes des Verfassungsgerichtshofes, für welchen dem Bundesrat das Vorschlagsrecht zukommt, zum Gegenstand hat.

Die am 14. Jänner 1997 abgehaltene Parlamentarische Enquete zielte darauf ab, den 24 Kandidaten, die sich um die Stelle eines Mitgliedes des Verfassungsgerichtshofes beworben haben, Gelegenheit zu geben, die Gründe für deren Bewerbung persönlich den Mitgliedern des Bundesrates darlegen zu können.

Ich gebe bekannt, daß mir ein von fünf Bundesräten unterstütztes Verlangen gemäß § 57 Abs. 2 der Geschäftsordnung des Bundesrates vorliegt, über den Wahlvorschlag für die Ernennung eines Mitgliedes des Verfassungsgerichtshofes eine Debatte durchzuführen.

Wir gehen in die Debatte ein.

Zu Wort gemeldet hat sich Herr Vizepräsident Jürgen Weiss. Ich erteile es ihm.

20.00

Bundesrat Jürgen Weiss (ÖVP, Vorarlberg): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In seiner Einleitung hat der Herr Präsident darauf hingewiesen, daß der Nominierung eines Mitgliedes des Verfassungsgerichtshofes zur Ernennung durch den Herrn Bundespräsidenten erstmals eine Anhörung aller Bewerberinnen und Bewerber vorangegangen ist.

Ich glaube, auch im Namen vieler anderer Teilnehmer an dieser Anhörung sagen zu können, daß sich das durchaus bewährt hat. Wir können stolz darauf sein, daß diese Auseinandersetzung in einer sehr sachlichen Atmosphäre abgewickelt wurde. – Das waren wir uns zunächst selbst schuldig, weil es nie ganz befriedigend war, Kandidaten zu wählen, die man persönlich vielleicht nicht ausreichend kannte und von denen man sich kein Bild machen konnte.

Schließlich sind wir es auch den Bewerberinnen und Bewerbern schuldig, daß sie das Gefühl haben, daß man sich mit ihrem Interesse an einem ganz wichtigen öffentlichen Amt ernsthaft auseinandersetzt und nicht den Eindruck vermittelt, daß ihre Bewerbung ohnedies nur zu den Akten gelegt worden wäre. Ich meine, daß das für die politische Kultur in diesem Land ein ganz wichtiger Beitrag war.

Allerdings muß man sich auch dessen bewußt sein, daß ein solches Hearing nur Teil der Entscheidungsfindung sein kann, jedoch niemals die Entscheidung vorwegnehmen oder ersetzen kann. Ein solches Hearing in Form einer Aussprache mit dem Kandidaten rundet das Bild ab, das man sich aufgrund seiner früheren Kenntnis der einzelnen Person und aufgrund der Bewerbungsunterlagen machen konnte. Es kann aber keinesfalls das Bild selbst sein.

Wir haben heute eine zweite Premiere in diesem Zusammenhang: Es findet erstmals eine Debatte über eine solche Nominierung statt. Ich denke, auch das ist ein begrüßenswerter Fortschritt, und meine, daß wir als Fraktion, die einen Vorschlag eingebracht hat, die Verpflichtung haben, die Gründe für unsere Entscheidung darzulegen, insbesondere auch jenen, die am Hearing nicht teilnehmen konnten und die vorgeschlagene Person daher vielleicht gar nicht kennen. Wir sind es auch den anderen Bewerbern schuldig, transparent zu machen, warum wir uns für eine bestimmte Lösung entschieden haben. Und wir sind es schließlich, wie ich meine, auch dem Herrn Bundespräsidenten schuldig, der die Ernennung auszusprechen hat, wenngleich er jetzt nicht mehr die Möglichkeit hat, aus einem Dreiervorschlag eine ihm geeignet erscheinende Person auszuwählen.

Wir schlagen vor – das ist bekannt –, Frau Dr. Eleonore Berchtold-Ostermann dem Herrn Bundespräsidenten zur Ernennung als Mitglied des Verfassungsgerichtshofes namhaft zu machen. Ich bitte insbesondere jene um Vergebung, daß ich sie nochmals kurz vorstelle, die schon beim


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Hearing Gelegenheit hatten, sich mit ihr auseinanderzusetzen, oder die in die Bewerbungsunterlagen Einsicht genommen haben.

Frau Dr. Eleonore Berchtold-Ostermann ist 1947 geboren, wird also dem Gerichtshof noch geraume Zeit ihre Dienste zur Verfügung stellen können. Sie ist in Wien geboren und wohnt in Wien. Sie hat Rechtswissenschaft studiert, zusätzlich auch das Lehramt an mittleren und höheren kaufmännischen Schulen. Nach jeweils mehrjähriger Tätigkeit als Universitätsassistentin und im Verfassungsdienst des Bundeskanzleramtes ist sie seit 1982 als Rechtsanwältin in einer kleineren Kanzlei in Wien tätig, was durchaus typisch für den Anwaltsberuf in Österreich ist.

Die Gründe, die für diese Nominierung sprechen, sind nicht zugleich – wir legen Wert darauf, das zu betonen – Gründe gegen die Ernennung anderer Bewerberinnen und Bewerber. Ich konnte im Gespräch mit vielen Kolleginnen und Kollegen feststellen, daß es erfreulich ist, daß man mehr als eine Handvoll, vielleicht ein gutes Dutzend wirklich hervorragend qualifizierter Kandidaten vorschlagen könnte. In diesem Zusammenhang bedaure ich es, daß dem Bundesrat aufgrund der Bundesverfassung nur ein sehr kleines Vorschlagskontingent zusteht, was eigentlich für einen Bundesstaat untypisch ist: Sechs Mitglieder sowie den Präsidenten und den Vizepräsidenten nominiert die Bundesregierung, drei Mitglieder der Nationalrat und drei der Bundesrat. Wenn man das einander gegenüberstellt, ergibt sich ganz klar ein Kräfteungleichgewicht zugunsten des Bundes, während sonst in Bundesstaaten Gerichtshöfe dieser Art, die ja auch eine schiedsgerichtliche Funktion bei der Zuständigkeitsverteilung ausüben, gleichgewichtig besetzt werden. – Das möchte ich nur am Rande einfügen, damit man nicht denkt, der Bundesrat habe ohnedies für die Länder ein ganz gewichtiges Vorschlagsrecht wahrzunehmen.

Wenn man mehrere und sicherlich in gleicher Weise geeignete Kandidaten für eine Funktion zu benennen hat, dann muß man die Überlegung anstellen, bei welcher Person die meisten Gründe dafür sprechen, gerade denjenigen oder diejenige zu ernennen.

Ein maßgeblicher Gesichtspunkt für die Ernennung war für uns, daß ein Rechtsanwalt ausgeschieden ist und es gute Gründe gibt, dafür zu plädieren, daß ihm jemand aus diesem Berufsstand nachfolgt. Das ist bereits ansatzweise, wenngleich nicht ausdrücklich, in der Bundesverfassung grundgelegt, in der davon ausgegangen wird, daß die Vorschläge der Bundesregierung aus dem Kreise der Richter, Verwaltungsbeamten und Professoren eines rechtswissenschaftlichen Faches an einer Universität zu erfolgen haben. Daraus geht ganz offenkundig hervor, daß jene Personen, die aufgrund ihrer rechtswissenschaftlichen Ausbildung und Berufstätigkeit sonst in Frage kämen, in erster Linie von den gesetzgebenden Körperschaften namhaft zu machen sind.

Das hat auch eine innere Logik, weil Anwälte im Verfassungsgerichtshof gewissermaßen in zweifacher Hinsicht den Bürger repräsentieren. Sie nehmen diese Aufgabe einerseits in der Form wahr, daß sie als Rechtsanwälte ihre Klienten bei Gericht, bei Verwaltungsbehörden, aber letztlich auch beim Verfassungsgerichtshof individuell vertreten. Als Mitglieder des Verfassungsgerichtshofes repräsentieren sie die Bürger kollektiv. Sie bilden praktisch stellvertretend ein gewisses Gegengewicht zu jenen Kräften im Verfassungsgerichtshof, die aus der Lehre und aus der Rechtsanwendung von der anderen Seite kommen. Ich halte einen solchen Ausgleich innerhalb des Gerichtshofes für außerordentlich wichtig. Daher plädierten wir dafür, sich bei der Auswahl in erster Linie auf jene Personen zu konzentrieren, die aus dem Stand der Rechtsanwälte kommen.

Wir bekennen uns auch als Volkspartei angesichts des nach wie vor sehr stark männerdominierten Verfassungsgerichtshofes ganz ausdrücklich dazu, eine qualifizierte Frau – ich lege Wert darauf, das zu betonen – nicht übergehen zu wollen. Ich halte nichts von Quoten, die um jeden Preis erfüllt werden müssen. Aber wenn wir guten Gewissens sagen können, daß in diesem Fall eine qualifizierte Frau zur Verfügung steht, dann sehe ich keinen Grund, warum wir die Zusammensetzung des Verfassungsgerichtshofes nicht auf diese Art und Weise langsam in eine Richtung lenken sollten, die der heutigen gesellschaftlichen Zusammensetzung entspricht, insbesondere als Organ der Gesetzgebung.


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Es gibt heute eine dritte Neuerung. Es liegt nämlich – wie wir einer Meldung der Austria Presse Agentur entnommen haben – ein zweiter Wahlvorschlag vor, und zwar der freiheitlichen Fraktion lautend auf Dr. Michael Graff. Ich weiß nicht, was er sich gedacht hat, als er davon erfahren hat. Möglicherweise ging es ihm wie Kaiser Franz Josef, indem er sich dachte: Mir bleibt auch nichts erspart! (Beifall bei ÖVP und SPÖ. – Bundesrätin Dr. Riess-Passer: Er hat sich doch beworben, oder?) Natürlich! Aber er wird sich doch seinen Teil denken dürfen!

Sie haben der APA gegenüber zwei Gründe angeführt, warum Sie ihn vorschlagen. (Bundesrätin Dr. Riess-Passer: Ich werde die Gründe auch darlegen, wenn Sie mir Gelegenheit dazu geben!) Das interessiert mich selbstverständlich, denn die Ausführungen in der APA waren nicht sonderlich aufschlußreich. Sie haben argumentiert, daß er im Hearing besser abgeschnitten habe. (Bundesrat Dr. Böhm: Bei weitem!) Das ist ein subjektives Werturteil. (Bundesrätin Dr. Riess-Passer: So wie Ihres auch!)

Ich möchte das jetzt fortsetzen: Das ist ein subjektives Werturteil, das möglich und selbstverständlich zulässig, aber nicht zwingend ist und das wir uns von Ihnen nicht aufzwingen lassen. – Das zum einen.

Zum zweiten: Ich hatte beim Hearing den Eindruck, daß beide Personen – so wie andere auch, ich nenne jetzt nur Dr. Heinrich Keller – zu einem Kreis von Bewerbern gehören, von denen man sagen kann: Sie bringen wirklich die entsprechenden Qualifikationen ein. Daher halte ich es nicht für richtig, wenn man Frau Dr. Ostermann diese Qualifikation absprechen will. (Bundesrätin Dr. Riess-Passer: Das haben wir auch nicht getan!)

Da müssen Sie schon mit sich selbst einig werden! Denn wenn Sie sagen, er ist besser, dann sprechen Sie ihr indirekt die Qualifikation für dieses Amt ab. Wenn Sie das nicht tun wollen, dann können Sie unserem Vorschlag guten Gewissens zustimmen! (Bundesrätin Dr. Riess-Passer: Sie können meine Ausführungen erst kommentieren, wenn Sie sie gehört haben, aber nicht schon vorher! – Zwischenrufe bei den Freiheitlichen.) Das habe ich nicht getan. Ich habe Ihnen gesagt: Wir haben uns aus einem Personenkreis, der uns vergleichbar qualifiziert erscheint, für jene Person entschieden, die dazu beiträgt, die Repräsentanz der Frauen im Gerichtshof zu erhöhen, und das, so denke ich, aus guten Gründen. (Beifall bei der ÖVP und bei Bundesräten der SPÖ. – Weiterer Zwischenruf der Bundesrätin Dr. Riess-Passer. )

Es wäre auch ein umgekehrter Weg denkbar, nämlich daß Sie sich zuerst bei uns äußern und Ihre Ausführungen dann erst an die Medien geben. Das wäre auch eine Variante, Frau Kollegin!

Sie haben einen zweiten Gesichtspunkt angeführt. Es gäbe eine gewisse Unvereinbarkeit dadurch, daß der Ehegatte von Frau Dr. Berchtold-Ostermann im Verfassungsdienst des Bundeskanzleramtes als Abteilungsleiter tätig ist. – Ich halte es für nicht fair, Frau Kollegin Riess-Passer, daß Sie diesen Einwand im Hearing verschwiegen haben – das müßte Ihnen damals schon bekannt gewesen sein –, denn auf diese Art und Weise nehmen Sie Frau Dr. Berchtold-Ostermann die Möglichkeit, dazu selbst Stellung zu nehmen. Ich nehme aber jetzt gerne hier Stellung, denn der Einwand ist wirklich nicht so gewichtig, daß man sich mit ihm nicht auseinandersetzen könnte.

Je mehr Frauen in qualifizierten Funktionen und Leitungsfunktionen berufstätig sind, desto eher werden sich die Wege mit ebenfalls in qualifizierten Funktionen tätigen Ehegatten immer wieder kreuzen. Natürlich ist ein Gremium wie der Verfassungsgerichtshof, wie auch viele andere, nicht frei von potentiellen Unvereinbarkeiten. Wir könnten zum Beispiel lange darüber diskutieren, wie befangen etwa ein Professor ist, wenn er über das Zutreffen einer von ihm bisher vertretenen Lehrmeinung oder in einer Angelegenheit, in der er als Gutachter tätig war, urteilen soll. Oder: Wie soll sich ein Beamter verhalten, der eine Funktion in einer Dienststelle des Landes oder des Bundes ausübte und nachher doch aus einem gewissen ... (Bundesrat Dr. Tremmel: Das eine hat mit dem anderen überhaupt nichts tun!) Ich rede jetzt nur über die Probleme der Unvereinbarkeit im allgemeinen, die Sie ja zur Diskussion gestellt haben! (Bundesrat Dr. Tremmel: Der Verfassungsdienst des Bundeskanzleramtes ist nichts Allgemeines!)


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Es gibt natürlich immer wieder Berührungspunkte mit früheren Tätigkeiten und nach wie vor bestehenden Interessen, wobei ich jetzt gar nicht parteipolitische Positionen, sondern Werthaltungen und dergleichen meine. Ich möchte nicht wissen, welche Art der Unvereinbarkeit parteipolitischer Art Sie gefunden hätten, wenn wir Herrn Dr. Michael Graff vorgeschlagen hätten! (Beifall bei der ÖVP. – Bundesrätin Dr. Riess-Passer: Da hätten wir zugestimmt!)

Ich denke, diese Probleme – da sind wir uns wohl einig – lassen sich niemals durch gesetzliche Vorschriften, sondern nur durch Verantwortungsgefühl, persönliche Anständigkeit und Redlichkeit, in einem konkreten zweifelhaften Fall die Befangenheit wahrzunehmen, lösen. Frau Dr. Berchtold-Ostermann, die ich vorher persönlich nicht kannte, hat mir beim Hearing in sehr beeindruckender Weise den Eindruck vermittelt, daß dieses Verantwortungsgefühl bei ihr auf jeden Fall vorhanden ist. (Beifall bei der ÖVP und bei Bundesräten der SPÖ.)

20.15

Präsident Dr. DDr. h. c. Herbert Schambeck: Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Erhard Meier. Ich erteile es ihm.

20.15

Bundesrat Erhard Meier (SPÖ, Steiermark): Sehr geehrter Herr Präsident! Hohes Haus! Der Bundesrat diskutiert den Vorschlag für die Ernennung eines Mitgliedes des Verfassungsgerichtshofes. Der Bundesrat hat dieses Recht anläßlich dieser Enquete mit dem Hearing meiner Ansicht nach sehr ernstgenommen und sich bemüht, einer solchen Aufgabe gerecht zu werden.

Meine Damen und Herren! Ernennungen, Berufungen von Persönlichkeiten, also Personalentscheidungen, sind immer schwierige Entscheidungen, wo immer sie stattfinden. Es ist auch nicht leicht für die Bewerberinnen und Bewerber, sich zu stellen, denn bei 25 Bewerbern steht die Chance grundsätzlich 1 : 24.

Ich möchte auch die Frage aufwerfen und beantworten: Ist eine Nichtnominierung als Abwertung oder Scheitern des Betroffenen anzusehen? – Ich glaube nicht. Wenn es jemand so sieht, dann müßten wir umlernen beziehungsweise aus solchen Verfahren noch lernen. Ich meine: Verlierer sind jene, die nicht nominiert werden können, nicht. Es sollte sich aber jeder von uns, der bei dieser Entscheidung mitwirkt, auch die Situation der Bewerber bewußt machen.

Ich betrachte dieses Hearing – ich glaube, auch für die sozialdemokratische Seite sprechen zu dürfen – nicht als bloße Alibihandlung, nachdem ohnedies schon feststeht, für wen man sich entscheiden wird. Dieses Hearing war vielmehr ein wesentlicher Beitrag zur Meinungsbildung, die sicherlich erst dieser Enquete folgte.

Es stellten sich 25 Persönlichkeiten, 22 Männer und drei Frauen. Für mich wären viele dieser Bewerber durchaus geeignet, wobei man sagen muß, daß bei einer Vorstellung viele Komponenten auftreten und zu beurteilen sind: einerseits der persönliche Lebensweg, die Herkunft, die Familie, die berufliche Ausbildung, der Werdegang in juristischer Hinsicht, andererseits aber auch die Grundhaltung zu Fragen des Rechts und des Verfassungsrechts, und wir haben auch entsprechende Fragen gestellt.

Die Bundesräte sind nicht alle juristisch gebildete Fachleute, aber als Teil der Legislative und als Kontaktträger haben wir Vorstellungen betreffend die institutionellen Wirkungsweisen unseres Staates und natürlich auch der Grundgesetze. Daß sich unser Handeln und auch das Wirken eines Höchstgerichtes streng nach der Verfassung richten muß, braucht nicht betont zu werden. Das wurde auch im Hearing von allen Seiten immer wieder bekräftigt.

Es stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage der Interpretation und des Spielraumes. Es erhebt sich die Frage, ob alles Nötige in den Gesetzen enthalten ist. Und der Gerichtshof gibt indirekt in gewisser Form auch Ratschläge, was der Gesetzgeber tun könnte oder wohin der Weg führen sollte. – Ich glaube, daß diese Tendenzen bei der Beurteilung auch wichtig sind. Es gab also Interpretationsbreiten. Daher wird auch sehr interessant sein, das Protokoll nach der Enquete noch einmal nachzulesen.


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Bei der Enquete waren auch der Vizepräsident und der Präsident des Verfassungsgerichtshofes anwesend. Ich habe beide Herren beobachtet und mir dabei die Frage gestellt, welche Meinung sie sich bei diesem Hearing von den Kandidaten und Bewerbern eigentlich gebildet haben. Ich habe mich aber auch gefragt, wie sie über Stellungnahmen und Äußerungen betreffend die Gestaltungen der Verfassungsgerichtshoftätigkeit gedacht haben. Denn manche haben auch Vorschläge eingebracht, was etwa, wenn sie Verfassungsrichter werden, von ihrer Seite eingebracht werden könnte. Die Bewerber waren verschiedentlich dabei sehr offen, sie verhielten sich aber auch diplomatisch und natürlich – das gehört ja auch dazu – juristisch geschult.

Die Meinungsbildung ist also erfolgt, und eine Frau wurde vorgeschlagen. Das haben wir von meinem Vorredner gehört. Ich glaube, man sollte es gar nicht erwähnen müssen, daß es eine Frau ist, die vorgeschlagen wird. Bei diesem Verhältnis von 3 : 22 neigt man aber noch immer dazu, zu denken: "Da schau her, es wurde eine Frau ausgewählt!"

Ich möchte von meiner Seite und auch namens der sozialdemokratischen Fraktion sagen, daß Frau Dr. Eleonore Berchtold-Ostermann in vieler Weise einen sehr guten Eindruck auf uns gemacht hat, sodaß Sie für uns zu den bevorzugten Kandidaten bei der Ernennung zu einem Höchstrichter des Verfassungsgerichtshofes gehörte.

Es ging bei dem Hearing auch darum, ob die Kandidaten Rechtslehrer oder Praktiker sind oder ob sie gemischte Funktionen innehaben. Und auf Frau Dr. Berchtold-Ostermann trifft eben zu, daß Sie Rechtsanwältin ist, aber auch Universitätsassistentin am Institut für öffentliches Recht war und im Verfassungsdienst und als Schriftführerin bereits am Verfassungsgerichtshof tätig war.

Es gab eine Reihe von Bewerbern, die ausgezeichnete Qualifikationen in der Rechtslehre hatten, ihre Bewerbungen enthielten teilweise einige Seiten von Literaturangaben über ihre Werke und über Zeitschriften, an denen sie im Zuge ihrer bisherigen Tätigkeit mitarbeiten. Das möchte ich ausdrücklich betonen.

Vom staatspolitischen Standpunkt finde ich es gut, daß sich so viele qualifizierte Bewerber gefunden haben, und ich glaube, daß es sicherlich in Österreich noch viele andere gibt, die dafür qualifiziert wären. Das muß auch positiv vermerkt werden!

Für den Bundesrat ist meiner Meinung nach die Einstellung der Bewerber und Bewerberinnen zum Thema Föderalismus bedeutsam. Dazu haben wir die Bewerber natürlich auch befragt, denn gerade der Verfassungsgerichtshof wird sehr oft mit Fragen des Föderalismus, die Bund, Länder und Gemeinden, aber auch einzelne Bürger betreffen, befaßt sein. Und ich glaube, doch gespürt zu haben, daß alle Bewerber auch dem Föderalismus einen besonderen Stellenwert einräumen, wobei ich hoffe, daß sie nicht nur beim Hearing des Bundesrates eine solche Meinung vertreten haben.

Ich meine, es ist sowieso Sache jedes einzelnen Bundesrates und jeder einzelnen Bundesrätin, ob er oder sie die genannte Kandidatin unterstützt. Ich wünsche unserem Verfassungsgerichtshof, daß er all die schwierigen Probleme unserer Zeit im Rahmen und auf Grundlage unserer Verfassung in der Zukunft erfolgreich lösen möge. Das Zusammenwirken im Zuge der Gewaltenteilung zwischen Legislative, Exekutive und Judikative, wobei der Verfassungsgerichtshof eine Grundlage der Judikative darstellt, möge in Zukunft so funktionieren, daß es für uns alle auch in Zukunft eine Basis unserer demokratischen Republik Österreich bildet. Die Dame oder der Herr, die oder der letztlich von uns dem Herrn Bundespräsidenten zur Ernennung vorgeschlagen wird, möge im Verfassungsgerichtshof so wirken, wie wir uns das im Bundesrat vorstellen! (Beifall bei SPÖ und ÖVP.)

20.24

Präsident Dr. DDr. h. c. Herbert Schambeck: Zu Wort gemeldet ist weiters Frau Bundesrätin Dr. Susanne Riess-Passer. Ich erteile es ihr.

20.24

Bundesrätin Dr. Susanne Riess-Passer (Freiheitliche, Wien): Herr Präsident! Hohes Haus! Ich möchte mich der grundsätzlichen Beurteilung des Herrn Kollegen Meier betreffend dieses


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Hearing, das wir hier im Bundesrat durchgeführt haben, anschließen. Ich meine, es ist von allen, die daran teilgenommen haben, und zwar sowohl von den Bundesräten als auch von den Bewerbern, die hier Rede und Antwort gestanden sind, als außerordentlich positiv zu bewerten.

Ich möchte beiden Fraktionen hier dafür danken, daß sie unser Anliegen unterstützt und dadurch diese gemeinsame Initiative möglich gemacht haben, mit welcher, wie ich meine, nicht nur dem Bundesrat, glaube ich, sondern auch dem Verfassungsgerichtshof ein guter Dienst erwiesen wurde.

Der Ablauf dieses Hearings – das haben schon meine Vorredner gesagt – hat gezeigt, daß es eine ganze Reihe von wirklich hoch qualifizierten und geeigneten Bewerbern gegeben hat. Es ist deshalb bedauerlich, daß die Auswahl aufgrund einer immerhin seit einigen Jahrzehnten geübten Praxis nicht ausschließlich nach sachlichen und fachlichen Kriterien erfolgt. Es gibt – das ist kein Geheimnis und wurde auch nicht bestritten – seit Jahren eine Abmachung zwischen den Regierungsfraktionen, nach der die Richterstellen im Verfassungsgerichtshof je zur Hälfte SPÖ und ÖVP zugeordnet werden. Herr Kollege Konečny hat das in einem Zeitungsinterview, charmant wie er ist, als Usance bezeichnet. Ich würde das ein bißchen weniger charmant als Proporz bezeichnen. (Bundesrat Konečny: Wie kommen Sie auf die Idee?) Aber unterm Strich meinen wir eigentlich dasselbe.

Ich möchte – damit wende ich mich ausdrücklich auch an Ihre Adresse, Herr Kollege Weiss – betonen, daß das überhaupt nichts über die fachliche Qualifikation der Bewerber aussagt und diese auch nicht in Frage stellen soll. Aber es ist eine Tatsache, daß diese Praxis dazu führt, daß besser qualifizierte oder gleich gut qualifizierte Bewerber unter Umständen deshalb von vornherein chancenlos sind, weil sie im Sinne der Farbenlehre in dem konkreten Fall eben nicht entsprechen. Die, die beim Hearing dabei waren, haben gehört, wie einer der Bewerber bei diesem Hearing auch gesagt hat, daß seine eigenen Parteifreunde – ich nenne jetzt keinen Namen – ihm bedeutet haben, daß seine Bewerbung mehr oder weniger sinnlos sei, weil es doch in diesem Fall um einen schwarzen Posten gehe. – Das ist eine Vorgangsweise, die demokratiepolitisch wirklich nicht korrekt und akzeptabel ist! (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Ich betone noch einmal – wie meine Vorredner –, daß es bei diesem Hearing eine Reihe von höchst qualifizierten Bewerbern gegeben hat. Wir haben uns die Entscheidung auch nicht leicht gemacht. Ich möchte Ihnen, Herr Kollege Weiss, der Sie mich vorher schon kommentiert haben, sagen, daß Sie leider meine Gedanken nicht richtig gelesen haben. Ich möchte Ihnen nun ganz konkret unsere Entscheidungsgrundlagen und -gründe nennen.

Wir haben von den 25 Bewerbern fünf in die engste Wahl gezogen, und ich sage Ihnen auch, welche das waren: die Professoren Schäffer, Ruppe und Raschauer und die Rechtsanwälte Graff und Keller. Jeder von diesen fünf Bewerbern wäre uns gleich lieb in dieser Funktion, und jeder wäre unserer Meinung nach gleich gut geeignet, die Funktion im Verfassungsgerichtshof auszuüben.

Ich begründe auch, warum wir Frau Dr. Berchtold-Ostermann nicht in die engere Wahl gezogen haben. Sie können jetzt anderer Meinung sein, Herr Kollege Weiss, aber ich denke, daß Sie sich so demokratisch verhalten werden, daß Sie uns auch eine Meinung zugestehen. Ein Grund dafür, sie nicht in die engere Wahl zu ziehen, war in erster Linie die Tatsache, daß ihr Mann im Verfassungsdienst des Bundeskanzleramtes tätig ist. Ich weiß, daß das von vornherein keinen Ausschließungsgrund darstellt. Aber es gibt eine ganze Reihe von Positionen für Juristen im öffentlichen Dienst, und wir meinen, daß es durchaus zumutbar ist, daß sich einer von den beiden dafür entscheidet, eben nicht in einer Funktion tätig zu sein, bei der es in vielen Fällen zu Interessenkollisionen kommen kann. Sie werden mir nicht ausreden können, Herr Kollege Weiss, daß es tatsächlich Fälle gibt, bei denen es zu Überschneidungen kommen kann. In Anbetracht dessen müssen Sie uns zugestehen, daß wir uns darüber Gedanken machen.

Ich habe Frau Dr. Berchtold-Ostermann beim Hearing deswegen keine diesbezügliche Frage gestellt, weil ich das zu diesem Zeitpunkt noch nicht wußte. Sie haben das vielleicht gewußt,


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denn Sie kennen sie offensichtlich viel besser als ich. Eigentlich hätten ja Sie sie fragen können, dann hätten wir das vielleicht ausräumen können. (Zwischenruf des Bundesrates Weiss. )

Da es Sie so interessiert, warum wir uns letztendlich dafür entschieden haben, Dr. Graff vorzuschlagen, werde ich es Ihnen sagen. Ich schicke zunächst noch einmal voraus: Ich habe Dr. Graff vorher ebensowenig wie alle anderen Bewerber persönlich gekannt. Ich kenne keinen von ihnen.

Wir haben uns auch von Ihrem Argument, Herr Kollege Weiss, daß, wenn ein Praktiker aus dem Verfassungsgerichtshof ausscheidet, nach Möglichkeit wieder ein Praktiker nachfolgen soll, überzeugen lassen, weil wir der Argumentation, daß dort nicht nur Universitätsprofessoren und Richter sitzen sollen, sondern auch Menschen, die in der Praxis mit den Problemen zu tun haben, durchaus etwas abgewinnen können, wobei ich noch einmal hinzufüge: Die drei von mir genannten Professoren sind höchst qualifiziert.

Das weitere Argument für unsere Entscheidung war, daß meine Kollegen und ich, die an dem Hearing teilgenommen haben, in verschiedenen Gesprächen mit Kollegen aus beiden Fraktionen der Regierungsparteien festgestellt haben, daß Kollege Graff bei beiden Fraktionen einen sehr guten Eindruck hinterlassen hat. Ich erspare Ihnen jetzt die Peinlichkeit, die Namen derjenigen aus Ihrer Fraktion zu nennen, die mir gesagt haben, daß Graff mit Abstand der Beste gewesen sei. Ich könnte das jetzt sagen, aber ich verzichte darauf. Sie werden es wahrscheinlich selbst wissen.

Aus den genannten Gründen waren wir der Meinung, daß Dr. Graff von den fünf von mir Genannten offensichtlich die größten Chancen auf eine mehrheitliche Unterstützung hat. Und Sie müssen uns zugestehen, daß auch wir unsere Entscheidungsgrundlagen festlegen, so wie Sie das ja auch gehandhabt haben.

Ich glaube, daß es nicht im Sinne des Hauses und der Bewerber wäre, wenn nur ein Bewerber und kein weiterer dazu vorgeschlagen werden könnte. Die Tatsache, daß wir einen anderen Bewerber als Sie vorschlagen, bedeutet ja bei Gott nicht, daß Ihre Bewerberin nicht qualifiziert ist. Sie selbst haben ja gesagt, daß es eine ganze Bandbreite von gleich gut Qualifizierten gegeben hat. Tun Sie also nicht so, als würden wir Frau Dr. Berchtold-Ostermann dadurch abwerten. Das ist beschämend, und eine solche Argumentation ist Ihrer auch nicht würdig, Herr Kollege Weiss, das möchte ich schon einmal sagen. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Es ist ganz reizend, daß Sie das Argument schon vorgegeben haben, indem Sie gesagt haben, ich sei in die Medien gegangen. – Ich bin überhaupt nicht in die Medien gegangen! Sie sind jedoch mit Ihrem Kandidaten in die Medien gegangen, schon lange bevor von einem Hearing überhaupt die Rede war. Dann haben Sie Frau Dr. Berchtold-Ostermann den Medien gegenüber vorgeschlagen. Ich habe das nicht gewußt, ich konnte den Medien gar nichts sagen, denn ich habe keine Ahnung gehabt, wie der ÖVP-Klub entscheidet: Ich war gestern gar nicht in Österreich, und ich hatte keine Gelegenheit, mit irgendeinem Journalisten darüber zu reden. Kollege Penz weiß das, weil er mit mir in Paris war. (Rufe bei der ÖVP: Aha! – Allgemeine Heiterkeit.) Ich bin also unverdächtig, ich habe einen Zeugen. (Zwischenruf des Bundesrates Ing. Penz. ) Oder Ihnen, Herr Kollege, man kann nicht wissen, wem das mehr schadet!

Ich habe den Medien gegenüber jedenfalls keinen einzigen Kandidaten genannt. Heute vormittag bekomme ich einen Anruf von der APA. So erfuhr ich, daß die ÖVP Frau Dr. Berchtold-Ostermann vorschlägt. Ich wurde gefragt: Unterstützen Sie diesen Vorschlag? Darauf habe der APA gegenüber genau das gesagt, was ich hier gesagt habe: Ich habe mit keinem Wort gesagt, daß Frau Dr. Berchtold-Ostermann nicht qualifiziert sei, sondern ich habe genauso argumentiert wie hier, auch betreffend unseren Vorschlag des Herrn Kollegen Graff.

Wenn Sie schon so sensibel sind, Herr Kollege Weiss, was das In-die-Medien-Gehen betrifft, dann zitiere ich jetzt aus der "Kronen Zeitung" von morgen, Freitag, 17. Dezember. Da steht auf Seite zwei unter der Überschrift "Höchstrichterin" – passen Sie jetzt gut auf –: "Der Bundesrat entschied auf Vorschlag der ÖVP, eine Frau, die Rechtsanwältin Dr. Eleonore Berchtold-Ostermann, zur neuen Verfassungsrichterin zu küren." – Herr Kollege! In Anbetracht dessen


Bundesrat
Stenographisches Protokoll
621. Sitzung / Seite 99

muß ich Ihnen sagen: Es ist eine Chuzpe sondergleichen, daß Sie uns jetzt hier vorwerfen, daß wir Informationen an die Medien geben! (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Glauben Sie, daß Sie diesem Haus, den Bewerbern und dem Verfassungsgerichtshof einen guten Dienst erweisen, wenn Sie dafür sorgen, daß eine Entscheidung, die in einer geheimen Abstimmung gefällt wird, die noch gar nicht stattgefunden hat, in der morgigen Zeitung schon gedruckt vorzufinden ist? – Schämen Sie sich, Herr Kollege Kaufmann, schämen Sie sich! (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Das ist unverzeihlich! Das ist unverzeihlich, das sage ich Ihnen! Damit haben Sie auch diesem Hearing, das ein sehr gutes Hearing war und dessen Ergebnis von allen, die daran teilgenommen haben, sehr positiv zu bewerten war, keinen guten Dienst erwiesen. Denn Sie machen es zur Farce, wenn Sie, bevor die geheime Abstimmung stattgefunden hat, das Ergebnis schon verkünden! Und dann erklären Sie mir noch, daß Sie ohne Berücksichtigung parteipolitischer Gesichtspunkte entschieden haben. – Das ist nicht ernst zu nehmen, Herr Kollege Kaufmann!

Ich möchte an Sie, meine Damen und Herren, appellieren: Gestehen Sie, nachdem es eine ganze Reihe von sehr gut qualifizierten Bewerbern gegeben hat – in diesem Punkt sind wir uns alle einig, auch mit Herrn Kollegen Meier –, jedem Bundesrat das Recht zu, in einer geheimen Abstimmung seine eigene Entscheidung zu fällen. Spielen wir jetzt nicht ein Spielchen, bei dem man Abwertungen konstruiert oder irgendwelche Konstruktionen zustande bringt! Und ich bitte Sie, in Zukunft wenigstens soviel Anstand zu haben, das Ergebnis der Abstimmung abzuwarten, bevor Sie in die Medien gehen. Denn sonst passiert genau das, was Sie angeblich immer verhindern wollen, daß nämlich der Bundesrat nicht ernstgenommen wird. Deshalb bitten wir Sie, in Zukunft solche Vorgangsweisen zu unterlassen! (Beifall bei den Freiheitlichen.)

20.34


Bundesrat
Stenographisches Protokoll
621. Sitzung / Seite 100

Präsident Dr. DDr. h. c. Herbert Schambeck:
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Es ist dies nicht der Fall.

Die Debatte ist geschlossen.

Meine Damen und Herren! Bevor wir nun in den Wahlvorgang eingehen, unterbreche ich nun kurz die Sitzung zur Aufstellung einer Wahlzelle.

(Die Sitzung wird um 20.35 Uhr unterbrochen und um 20.37 Uhr wiederaufgenommen. )

Präsident Dr. DDr. h. c. Herbert Schambeck: Ich nehme die unterbrochene Sitzung wieder auf.

Wir gehen nun in den Wahlvorgang selbst ein.

Meine Damen und Herren! Da mir zwei Wahlvorschläge vorliegen, die auf Frau Rechtsanwältin Mag. Dr. Eleonore Berchtold-Ostermann beziehungsweise auf Herrn Rechtsanwalt Dr. Michael Graff lauten, werde ich die Wahl mittels Stimmzettel durchführen. Im Einvernehmen mit den Fraktionen wird die Wahl in einer Wahlzelle erfolgen. Ich ersuche daher, daß Sie nach dem Namensaufruf durch die Schriftführung Ihren Stimmzettel, den Sie von einem Bediensteten des Hauses mit einem Kuvert überreicht bekommen, in der Wahlzelle ausfüllen und den ausgefüllten Wahlzettel im Kuvert in der bereitgestellten Urne hinterlegen.

Ich weise darauf hin, daß gemäß § 57 Abs. 4 der Geschäftsordnung alle Stimmzettel gültig sind, aus denen der Wahlwille eindeutig erkennbar ist und die unbeschadet eingebrachter Wahlvorschläge auf einen wählbaren Kandidaten lauten.

Ich ersuche nun die Schriftführung um den Namensaufruf in alphabetischer Reihenfolge.

(Über Namensaufruf durch die Schriftführerinnen Markowitsch und Giesinger stimmen die Bundesräte in der Wahlzelle ab und werfen die Stimmzettel in die Urne.)

Präsident Dr. DDr. h. c. Herbert Schambeck: Ich unterbreche die Sitzung, damit die Stimmen ausgezählt werden können.

(Die Sitzung wird zum Zwecke der Stimmenauszählung unterbrochen. )

Präsident Dr. DDr. h. c. Herbert Schambeck: Hoher Bundesrat! Meine Damen und Herren! Ich nehme die unterbrochene Sitzung wieder auf und gebe das Ergebnis der Abstimmung bekannt.

Von 52 abgegebenen Stimmen waren zwei ungültig und 50 gültig. Auf den Wahlvorschlag Mag. Dr. Eleonore Berchtold-Ostermann entfallen 36 Stimmen, auf den Wahlvorschlag Dr. Michael Graff entfallen 14 Stimmen.

Frau Mag. Dr. Eleonore Berchtold-Ostermann ist somit gewählt .

Der Bundesrat schlägt daher dem Herrn Bundespräsidenten Frau Rechtsanwältin Mag. Dr. Eleonore Berchtold-Ostermann für die Ernennung eines Mitglieds des Verfassungsgerichtshofes vor.

Hohes Haus! Die Tagesordnung ist erschöpft.

Eingelangt ist ein Entschließungsantrag der Bundesräte Hüttmayr, Richau und Kollegen betreffend Mautpflicht für Kraftfahrzeuge, die auf Wechsel- oder Probekennzeichen laufen, den ich dem Wirtschaftsausschuß zuweise.

Ich gebe noch bekannt, daß seit der letzten beziehungsweise in der heutigen Sitzung insgesamt sechs Anfragen, 1241/J bis 1246/J, eingebracht wurden.

Die Einberufung der nächsten Sitzung des Bundesrates wird auf schriftlichem Weg erfolgen. Als Sitzungstermin ist Donnerstag, der 6. Feber 1997, 13 Uhr, in Aussicht genommen.

Für die Tagesordnung dieser Sitzung kommen jene Vorlagen in Betracht, die der Nationalrat bis dahin verabschiedet haben wird, soweit sie dem Einspruchsrecht beziehungsweise dem Zustimmungsrecht des Bundesrates unterliegen.

Die Sitzung beginnt mit einer Fragestunde. Es werden Anfragen an den Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten zum Aufruf gelangen.

Die Ausschußvorberatungen sind nicht, wie ursprünglich vorgesehen, für Dienstag, 4. Februar, sondern ebenfalls für Donnerstag, 6. Februar 1997, ab 10 Uhr in Aussicht genommen.

Die Sitzung ist geschlossen .

Schluß der Sitzung: 21.12 Uhr