Fachinfos - Fachdossiers 24.04.2025

Was ist ein Verfassungskonvent?

Was war der Österreich-Konvent?

Im Regierungsprogramm wird vorgeschlagen, einen Verfassungskonvent zur Modernisierung der Bundesverfassung und besonders der Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern abzuhalten (S. 134).

Mit der Bezeichnung als Konvent wird an den Österreich-Konvent angeknüpft, der 2003–2005 stattgefunden hat: Damals wurde zum ersten Mal in der Geschichte der Republik eine breite und öffentliche Verfassungsdebatte organisiert.

Im Folgenden wird dargestellt, wie Verfassungsreformen in Österreich sonst vorbereitet wurden und warum es zur Einsetzung des Konvents kam. Die Grundlagen des Österreich-Konvents und dessen Arbeitsweise werden erklärt und es wird skizziert, wie die Verfassungsdebatten danach fortgesetzt wurden.

Wie sind Verfassungsdebatten in Österreich abgelaufen?

Das Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) ist das zentrale Verfassungsdokument Österreichs. Maßgebliche Teile stammen aus dem Jahr 1920 und machen die Bundesverfassung zu einer der ältesten in Geltung stehenden Verfassungen der Welt (siehe das Fachdossier 100 Jahre Bundes-Verfassungsgesetz). Zugleich ist sie eine Verfassung, die besonders flexibel ist und einfach geändert werden kann. Für die meisten Änderungen der Bundesverfassung ist es lediglich erforderlich, ein Gesetz gemäß Art. 44 Abs. 1 B-VG als Verfassungsgesetz zu bezeichnen und bei der Anwesenheit von mindestens der Hälfte der Mitglieder des Nationalrates mit einer Mehrheit von zwei Dritteln zu beschließen. Verfassungsrecht ist in Österreich – anders als z. B. in Deutschland – nicht auf eine Verfassungsurkunde beschränkt. Es gibt eine große Zahl an Bundesverfassungsgesetzen und auch einzelne Verfassungsbestimmungen in einfachen Bundesgesetzen (vgl. Öhlinger/Eberhard 2022, S. 25 ff.).

Seit der Verfassungsgebung 1920 stand die Bundesverfassung zur Diskussion. Diese wurde von Beginn an durch die Beziehungen zwischen Bund und Ländern bestimmt. 1920 konnte noch keine Einigung über die Verteilung der Kompetenzen zur Gesetzgebung und Vollziehung zwischen beiden erzielt werden. Das erfolgte zum Großteil erst 1925, wobei in vielen Bereichen Fragen bis in die 1960er-Jahre offen blieben (vgl. Bußjäger/Oberdanner 2023).

Verfassungsreformen, die mehr als eine punktuelle Änderung oder Ergänzung des Verfassungsrechts zum Inhalt hatten, wurden bis zum Österreich-Konvent in Expertenkommissionen oder in Regierungsverhandlungen erörtert. So tagte von 1964 bis 1974 ein Expertenkollegium Grundrechtsreform, dem weitere Gremien folgten (vgl. Loebenstein 1991). Die angestrebte Schaffung eines Grundrechtskatalogs gelang nicht, 1988 wurde nur das BVG über den Schutz der persönlichen Freiheit beschlossen. Diskussionen über eine Reform des Bundesstaats waren hingegen immer durch die politischen Interessen verschiedener Akteure auf Landes- und Bundesebene (v. a. Parteien, Bundesländer) dominiert. Fallend (2004) betont, dass es letztlich immer um Kompromisse zu einzelnen Fragen ging und nie grundsätzliche Debatten geführt wurden. Öffentliche Debatten über die Verfassung und mögliche Reformen blieben auf wenige Zeitpunkte und Initiativen einzelner Personen beschränkt (Schaller 1997).

Warum kam es zur Einsetzung des Österreich-Konvents?

Der Beitritt Österreichs zur EU 1995 veränderte das Gefüge der Bundesverfassung vor allem im Hinblick auf die Stellung der Bundesländer. Die EU-Verträge machen keinen Unterschied, ob ein Mitgliedstaat föderal aufgebaut ist oder nicht. Daher wurden parallel zu den EU-Beitrittsverhandlungen Verhandlungen zwischen der Bundesregierung und den Landesregierungen über eine mögliche Bundesstaatsreform geführt. Sie scheiterte 1994 u. a. am Widerstand der Länder gegen eine Einführung von Verwaltungsgerichten. Diese hätte die Stellung der Landeshauptleute als oberste Verwaltungsorgane eingeschränkt (Pernthaler/Schernthanner 1995).

Mit der Bildung einer ÖVP-FPÖ-Koalition 2000 trat eine neue Situation ein: Der Koalition fehlte – im Unterschied zu früheren Regierungen – die Mehrheit für Verfassungsänderungen zur Erreichung politischer Ziele. So konnte eine große Verwaltungsreform 2001 nicht umgesetzt werden, da die erforderlichen Verfassungsmehrheiten nicht zustande kamen (Weiss 2002). Damit setzte eine Diskussion darüber ein, wie Regieren mit einfachen Mehrheiten in Österreich erleichtert werden könnte. Dafür brauchte es, wie Verfassungsexpert:innen betonten, eine grundlegende Verfassungsreform (vgl. Öhlinger 2002a).

Diese Zeit war auch durch Auseinandersetzungen über die rechtlichen Grundlagen der EU und deren Verhältnis zu den Mitgliedstaaten geprägt. Angesichts der größer werdenden Rolle der EU wurde gefragt, ob sich diese zum Bundesstaat entwickle und eine Verfassung benötige (Öhlinger 2002b). Da in Konferenzen keine Einigung zwischen den Regierungen der Mitgliedsstaaten erzielt werden konnte, setzte der Europäische Rat 1999 ein neues Gremium ein und beauftragte es zunächst mit der Ausarbeitung eines Grundrechtskatalogs für die EU. Dieses Gremium nannte sich selbst Konvent. Mit der Bezeichnung Konvent wurde an historische Versammlungen zur Verhandlung von Staatsverfassungen angeknüpft – den Konvent von Philadelphia 1787, den Nationalkonvent der französischen Revolution und den Verfassungskonvent von Herrenchiemsee, der 1948/49 das Deutsche Grundgesetz ausarbeitete. Im Grundrechte-Konvent berieten – erstmals in der Geschichte der europäischen Einigung – Vertreter:innen der Regierungen, der nationalen Parlamente und der EU-Organe gemeinsam. Daraus entwickelte sich eine große Dynamik, die viele bisherige Blockaden löste (Closa 2003). 2001 wurde außerdem ein europäischer Zukunftskonvent eingesetzt, der eine Verfassung der EU vorbereiten sollte (Neisser 2004).

Diese Entwicklungen wurden von allen politischen Parteien in Österreich mit großem Interesse verfolgt. Eine neue Form der Verfassungsberatung wurde als Chance für Österreich gesehen (Blümel 2004; Neisser 2003). Im Jänner 2003 schlugen die Präsidenten von Nationalrat und Bundesrat, Andreas Khol und Herwig Hösele, die Einsetzung einer parlamentarischen Enquete-Kommission vor. Dagegen gab es allerdings Vorbehalte der Länder (Khol/Konrath 2005), weswegen mit dem Österreich-Konvent ein neues Gremium geschaffen wurde. Dieses basierte auf einer politischen Vereinbarung der vier damals im Parlament vertretenen Parteien, der Bundesregierung, der Landeshauptleutekonferenz, der Landtagspräsident:innen sowie von Städte- und Gemeindebund. Gemeinsam formulierten diese als Gründungskomitee die Grundsätze des Konvents. Auf Grundlage des Bundesgesetz betreffend die finanzielle und administrative Unterstützung des Österreich-Konvents wurde bei der Parlamentsdirektion ein Büro eingerichtet, das den Konvent fachlich und organisatorisch unterstützte.

Wie arbeitete das Österreich-Konvent?

Der Österreich-Konvent setzte sich aus 70 (ab Juli 2004: 71) Mitgliedern zusammen. Das Gründungskomitee bestellte Franz Fiedler, den Präsidenten des Rechnungshofes, zum Vorsitzenden des Konvents. Dem Präsidium gehörten Vertreter:innen des Nationalrates, der Landtage und des VfGH sowie der Bundesminister für Justiz an. Das Präsidium nominierte neun Personen als Expertenmitglieder, die Parlamentsparteien nominierten 18 Mitglieder. Weitere Mitglieder kamen von den Höchstgerichten, von Rechnungshof, Volksanwaltschaft, Bundesregierung, den Bundesländern, von Städten und Gemeinden sowie den Sozialpartnern. Nur die Regierungsmitglieder aus Bund und Ländern konnten sich vertreten lassen.

Der Konvent arbeitete in zehn nicht-öffentlichen Ausschüssen, im öffentlichen Plenum und im Präsidium. Sämtliche Unterlagen und Protokolle wurden veröffentlicht (siehe unten). Es fanden Hearings gesellschaftlicher Organisationen statt und es war möglich, Vorschläge an den Konvent zu richten.

Mit Ausnahme des Ausschusses IV, der sich mit den Grundrechten befasste, waren alle Ausschüsse in der einen oder anderen Weise mit dem Verhältnis von Bund und Ländern in Gesetzgebung, Verwaltung, Gerichtsbarkeit, Rechtskontrolle und Finanzen befasst. Daraus ergab sich das Problem, das der Konsens über eine Frage in einem Ausschuss (z. B. die Beibehaltung der mittelbaren Bundesverwaltung) Auswirkungen auf die Diskussionen anderer Ausschüsse hatte (z. B. Kompetenzverteilung), die Koordination aber fehlte (Konrath 2005, S. 358 f.).

Die Erwartung an den Konvent war, umfassende Entscheidungsgrundlagen für den Nationalrat und den Bundesrat zu schaffen, die auch von den Ländern mitgetragen wurden. Durch die Einbindung von Politiker:innen, die in ebendiesen Institutionen vertreten waren, sollten dementsprechend gut informierte Entscheidungen getroffen werden (Khol 2005). Eine Einigung war aber v. a. auch deswegen nicht mehr möglich, weil die Spitzenvertreter:innen der Parteien und Länder erst in den letzten Wochen des Konvents Vorschläge einbrachten, über die zuvor nicht diskutiert worden war (Konrath 2005, S. 361). Im Bericht des Österreich-Konvents wurden daher letztlich nur die Beratungen und die verschiedenen erarbeiteten Textentwürfe dargestellt. Darüber hinaus legte der Vorsitzende einen eigenen Entwurf für ein neues B-VG vor, über den allerdings nicht mehr beraten wurde.

Was passierte nach dem Österreich-Kovent?

Unabhängig vom Konvent fanden auch andere Verhandlungen statt, die dem traditionellen Muster von Verfassungsreformen folgten. 2004 einigten sich Bundes- und Landesregierungen darauf, den Tierschutz zur Bundessache zu erklären. Gleichzeitig verhandelten sie über eine Neuorganisation der Sicherheitsbehörden und über den Finanzausgleich für die Periode 2005–2008. An diesen Verhandlungen nahmen die Vertreter:innen der Länder im Konvent teil, aber ohne je auf die Konventsberatungen Bezug zu nehmen (Konrath 2012, S. 340).

Nach Abschluss des Konvents wurde dessen Bericht in einem eigens dafür eingerichteten besonderen Ausschuss des Nationalrates beraten. Dieser beendete seine Tätigkeit im Juli 2006, ohne konkrete Initiativen vorzulegen. Nach den Nationalratswahlen 2006 kam es zu einer Neuauflage einer SPÖ-ÖVP-Koalition, die wieder über eine Zweidrittelmehrheit im Nationalrat verfügte. Im Regierungsprogramm bekannte sie sich zu Reformen auf Basis der Arbeiten des Österreich-Konvents. Dazu wurde eine Expertengruppe eingesetzt, die sich insbesondere mit rechtstechnischen Fragen befasste. Sie bereitete ein Gesetzespaket vor, das eine sogenannte Bereinigung (= Reduktion) des Verfassungsrechts zum Inhalt hatten (314 d. B., XXIII. GP). Gleichzeitig wurde auch das Wahlalter in Österreich auf 16 (aktiv) bzw. 18 (passiv) Jahre gesenkt.

Nach dem Konvent befanden zahlreiche Mitglieder und Wissenschaftler:innen, dass dieser "gescheitert" sei, da es weder gelungen wäre, eine große Verfassungsreform zu erreichen, noch einzelne Funktionsprobleme der Verfassung zu beheben (vgl. Parlamentskorrespondenz Nr. 646/2006; Bußjäger 2005; Wiederin 2008). Es wurde jedoch auch gewürdigt, dass der Konvent Probleme in umfassender Weise aufgearbeitet und Reformmöglichkeiten aufgezeigt hatte (Eberhard 2005).

Nach 2006 kehrte die österreichische Verfassungspolitik wieder zur alten Praxis der Expertenkommissionen zurück. Im Unterschied zu der Zeit vor 1990 gelang es jetzt aber, einige größere Reformen vorzubereiten und umzusetzen. Dazu gehörten vor allem die Reform des Bundeshaushaltsrechts (Steger 2010) und die Schaffung von Verwaltungsgerichten der Länder und des Bundes, die einer der zentralen Diskussionspunkte des Konvents gewesen war (1618 d. B., XXIV. GP).

Wo fanden sonst noch Konvente statt?

Ab Mitte der 1990er-Jahre fanden nicht nur in der EU, sondern in vielen Staaten Verfassungsreformprojekte statt, die sich mit Föderalismus und Dezentralisierung befassten. Dabei dominierten politische Verhandlungen und Expertenbeiträge (Benz/Knüpling 2012).

Besondere Beachtung erlangte der mehr als 12-jährige Reformprozess in der Schweiz (1987–1999). Er wurde vom Parlament geleitet und bot der Öffentlichkeit viele Möglichkeiten zur Mitwirkung. Der Prozess wurde von allen Parteien – trotz mehrerer in der Zwischenzeit stattfindenden Wahlen – durchgehend unterstützt.

In Irland setzte das Parlament 2012 einen Verfassungskonvent (Constitutional Convention) ein, der zehn Themen einer Verfassungsreform beraten sollte. Dieser Konvent setzte sich aus Politiker:innen und zufällig ausgewählten Bürger:innen zusammen. Einzelne Vorschläge, die er ausarbeitete, wurden – wie es in Irland für Verfassungsänderungen erforderlich ist – dem Volk zur Entscheidung vorgelegt. Diese Methode wurde in Irland mehrheitlich positiv aufgenommen und seither mehrfach eingesetzt (siehe das Fachdossier Wie funktionieren BürgerInnenräte zu Gesetzesvorhaben in Europa?).

Weiterführende Hinweise

Die Tätigkeit des Österreich-Konvents wurde umfassend dokumentiert. Alle Diskussionsunterlagen und Protokolle des Konvents, seiner Ausschüsse und des Präsidiums stehen nach wie vor auf der Website des Konvents zur Verfügung. Sie werden um eine Bibliographie zur Tätigkeit und zu den Themen des Konvents sowie um die Quellensammlung der Verfassungsreform ergänzt. Die Quellensammlung verknüpft sämtliche Debatten des Konvents mit vorangegangenen Initiativen, Fachliteratur, Judikatur und Medienberichterstattung.

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