Der Bundesrat hat eine Frist von acht Wochen für die Erhebung eines begründeten Einspruches. Diese Frist beginnt mit dem Einlangen der Gesetzesbeschlüsse des Nationalrates in der Bundesratskanzlei. Üblicherweise nimmt der Bundesrat jene Beschlüsse, die seiner Mitwirkung unterliegen, in der nächstfolgenden Sitzung in Verhandlung. Sofern eine entsprechende Mehrheit besteht, wird jeweils der Beschluss gefasst, gegen den Gesetzesbeschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben. Das Gesetz kann dann vor Ablauf der 8-Wochen-Frist ans Bundeskanzleramt übermittelt und nach der Beurkundung durch den:die Bundespräsident:in und der Gegenzeichnung durch den:die Bundeskanzler:in im Bundesgesetzblatt veröffentlicht werden und in Kraft treten.
Findet der Antrag, keinen Einspruch zu erheben, im Plenum des Bundesrates keine Mehrheit, kann der Gesetzesbeschluss des Nationalrates erst nach Ablauf der 8-Wochen-Frist ans Bundeskanzleramt weitergeleitet werden (z.B. 943 d.B., 945 d.B., 949 d.B., 951 d.B., 2082 d.B. XXVII. GP). Dieser Fall tritt vor allem dann ein, wenn die Regierungsfraktionen keine Mehrheit im Bundesratsplenum haben.
So verfügten die Regierungsfraktionen ÖVP und Grüne etwa von Jänner 2020 bis Oktober 2021 über keine Mehrheit im Bundesrat. Ab November 2020 waren die Mehrheiten besonders knapp, denn die Regierungsfraktionen hatten 30 und die Opposition hatte 31 Stimmen. Hinzu kam, dass der Bundesrat der NEOS als einziger Vertreter seiner Partei keinen Fraktionsstatus hat und daher entsprechend der Regelungen der Geschäftsordnung des Bundesrates (GO-BR) auch kein Ausschussmitglied ist. Dementsprechend kam es in den Ausschüssen zu einer Pattstellung zwischen Regierungs- und Oppositionsfraktionen. Wurde ein Vorhaben von keiner der beiden Oppositionsfraktionen im Ausschuss unterstützt, wurde der Antrag, keinen Einspruch zu erheben, mit Stimmengleichheit abgelehnt. In diesen Fällen verblieb das Vorhaben dennoch nicht bis zum Ablauf der 8-Wochen-Frist im Ausschuss. Denn die Geschäftsordnung des Bundesrates sieht vor, dass auch bei Stimmengleichheit im Ausschuss ein:e Berichterstatter:in fürs Plenum zu wählen ist, der:die über den Verlauf der Verhandlungen zu berichten hat (§ 32 Abs. 6 GO-BR). Im Plenum kann dann neuerlich ein Antrag, keinen Einspruch zu erheben, eingebracht werden, über den abgestimmt wird (§ 43 Abs. 1 GO-BR). Dort wurde dann der Antrag je nachdem, ob der Bundesrat der NEOS die Regierungs- oder die Oppositionsfraktionen unterstützte, angenommen oder nicht (sofern alle Mitglieder des Bundesrates anwesend waren).
Für kurze Zeit kam es im Bundesrat neuerlich zu der hier beschriebenen Konstellation: Am 23. März 2023, mit der Konstituierung des Niederösterreichischen Landtags infolge der Niederösterreichischen Landtagswahl verschoben sich die Mandate im Bundesrat zugunsten der Opposition. Allerdings änderte sich die Mehrheit infolge der Konstituierung des Kärntner Landtages noch vor der nächsten regulären Plenarsitzung des Bundesrates am 14. April 2023 wiederum zugunsten der Regierungsfraktionen. Die Wahl des Salzburger Landtages am 23. April 2023 führte zu keinen Mandatsverschiebungen.
Hinzu kam, dass sich mit 27. Juni 2023 die Gesamtzahl der Mandate des Bundesrates von 61 auf 60 reduzierte. Denn der Bundespräsident hat die Zahl der Mitglieder des Bundesrates alle 10 Jahre auf Grundlage der Ergebnisse der Registerzählung ("Volkszählung") festzulegen (siehe die Entschließung vom 26. Juni 2023). Da ein Mandatar der FPÖ aus Wien sein Mandat verlor, verfügen die Regierungsfraktionen seither über eine knappe Mehrheit von 31 zu 29 Stimmen.
Nunmehr sollte die Mandatsverteilung im Bundesrat wieder länger stabil bleiben, da die nächsten Landtagswahlen (Steiermark und Vorarlberg) regulär für Herbst 2024 vorgesehen sind.
Insgesamt fanden seit der XXII. GP Anträge, keinen Einspruch zu erheben, in 46 Fällen keine Mehrheit. Dementsprechend konnten diese Gesetze erst nach Ablauf der 8-Wochen-Frist in Kraft treten. Diese Vorgehensweise ist eine Möglichkeit der Opposition, Gesetzesbeschlüsse zumindest zu verzögern. Das Erheben eines Einspruchs hat im Vergleich dazu meist einen geringeren Verzögerungseffekt, da die Fassung eines Beharrungsbeschlusses sehr zeitnah nach einem Einspruch erfolgen kann.