Abschied vom gesamtstaatlichen Kaiserreich

Erneut Regierung ohne Parlament

Da die kaiserlichen Zwangsmaßnahmen die Ungarn nicht zum Einlenken bringen, versucht Franz Joseph 1865 in Verhandlungen über einen Ausgleich zu treten. Als Ausgleich werden im Habsburgerreich Verhandlungen und bindende Vereinbarungen bezeichnet, durch die die Organisation der Monarchie neu geordnet wird. Ab 1865 wird über den Ausgleich zwischen dem Königreich Ungarn (oder den Ländern der Stefanskrone) und den österreichischen Ländern verhandelt. Ein Ziel ist die Aufwertung Ungarns, in dem viele der gesellschaftlich führenden Gruppen einen eigenen, unabhängigen Staat wollen. Gegen Ende des Habsburgerreiches wird dann auch über einen Ausgleich mit Böhmen diskutiert, der aber nicht mehr zustande kommt.

Kaiser Franz Joseph nutzt jedenfalls den Anlass der Verhandlungen, um das Grundgesetz über die Reichsvertretung auszusetzen und den Reichsrat nicht mehr einzuberufen.

Die Verhandlungen zwischen kaiserlicher Regierung und Vertretern Ungarns ziehen sich aber wegen des Kriegs gegen Preußen und Italien 1866 in die Länge. Die Kriegsfolgen sind weitreichend: Österreich muss trotz günstigen Kriegsverlaufs gegen Italien letztendlich die reiche Provinz Lombardo–Venezien abtreten. Die Niederlage gegen Preußen bedeutet das Ende der österreichischen Großmachtstellung in Deutschland und eine immense Staatsverschuldung.

Ausgleich gegen Zugeständnisse

Die Kriegsverluste zwingen den Kaiser zu weitgehenden Zugeständnissen an die Ungarn und er muss auch dem Reichsrat umfassende Mitwirkungsrechte gewähren.

Eine Einigung mit den ungarischen Adeligen über den Ausgleich gelingt im März 1867. Der cisleithanische Reichsrat (vormals "Engere Reichsrat"), der zur Bestätigung des Ausgleichs einberufen worden ist, stimmt diesem Ende des Jahres zu.

Die Abgeordneten nutzen die Verhandlungen über den Ausgleich dafür, den Ausbau der konstitutionellen Monarchie voranzutreiben. So führt der Reichsrat – für die in der österreichischen Hälfte des Reichs geltenden Staatsgrundgesetze – eine (zeitliche) Einschränkung des Notverordnungsrechts und die Ministerverantwortlichkeit ein. Das folgt dem Vorbild anderer moderner Verfassungen in Europa und den USA.

Staatsgrundgesetz von 1867: die "Dezemberverfassung"

Im Dezember 1867 verabschiedet der Reichsrat die Staatsgrundgesetze über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger, die Einsetzung eines Reichsgerichts, die richterliche Gewalt sowie die Ausübung der Regierungs- und Vollzugsgewalt. Diese Gesetze werden als "Dezemberverfassung" bezeichnet. Das passiert gemeinsam mit der Erlassung des Delegationsgesetzes. Das ist jenes Gesetz, das die gemeinsamen Angelegenheiten aller Länder der österreichischen Monarchie (also von Österreich und Ungarn gemeinsam) und die Art ihrer Behandlung regelt.

Das alles wird nicht in einer Verfassungsurkunde festgeschrieben (wie es damals schon in vielen Staaten üblich ist). Die wichtigsten Themen einer modernen Verfassung – Organisation des Staates, Wahlen, Regierung, Grundrechte – werden in einer Reihe einzelner Gesetze geregelt. Dieses Verständnis von Verfassung wird in vieler Hinsicht in der Republik Österreich beibehalten. Auch heute gibt es noch eine große Zahl an Verfassungsgesetzen.

Besonders hervorzuheben an der "Dezemberverfassung" ist das Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger. Es regelt die wichtigsten Grund- und Menschenrechte wie Gleichheit vor dem Gesetz, Abschaffung der Zensur, Glaubens- und Gewissensfreiheit und Freiheit der Wissenschaft und ihrer Lehre. Dieses Staatsgrundgesetz ist bis heute ein wichtiger Teil der österreichischen Bundesverfassung.

Für das damalige Österreich haben die darin festgeschriebene Gleichberechtigung aller Volksstämme sowie deren Recht auf Wahrung der Nationalität und Sprache besondere Bedeutung.

Die Geburt der Doppelmonarchie

Seit 1848 haben Politiker und Wissenschaftler darüber gestritten, was die Habsburgermonarchie überhaupt für ein Gebilde sei. Mit den Nationalstaaten, die inzwischen in großen Teilen Europas entstehen sind, hat sie nichts zu tun. Mit dem Ausgleich 1867 kommen diese Debatten zu einem vorläufigen Ende (als Ausgleich werden im Habsburgerreich Verhandlungen und bindende Vereinbarungen bezeichnet, durch die die Organisation der Monarchie neu geordnet wird). Die Doppelmonarchie Österreich-Ungarn ist ein ganz neues Modell, politische Herrschaft zu organisieren.

Mit dem Ausgleich wird das Ende des Habsburgerreiches abgewendet. Das Reich ist nun so organisiert, dass es zwei "Hälften" gibt, die politisch und wirtschaftlich weitgehend selbständig, aber doch auch eng verbunden sind. Jede Reichshälfte hat ein Parlament, eine Regierung, eigene Gesetze und Gerichte. Um das zu ermöglichen, wird der alte ungarische Landtag zum Parlament der ungarischen Reichshälfte aufgewertet. Auf Ungarisch wird es aber bis heute als Országgyűlés-Landtag bezeichnet. Auf Deutsch ist jedoch die Benennung als "Reichstag" lange üblich.

Der Reichsrat in Wien wird zum Parlament der "im Reichsrat vertretenen Königreiche und Länder" (wie der offizielle Namen für Cisleithanien lautete). Die österreichische Reichshälfte ist damit der einzige Staat der Welt, der nach seinem Parlament benannt wird.

Einige politische Fragen, die sogenannten "pragmatischen Angelegenheiten" sollen aber weiter von beiden Reichshälften und beiden Parlamenten behandelt werden: die Außenpolitik, das Kriegswesen und das Finanzwesen der gesamten Monarchie. Die Gesetzgebung dafür wird von Delegationen erledigt – bestehend aus je 60 Mitgliedern des österreichischen Reichsrats und des ungarischen Reichstags. Im ungarischen Parlamentsgebäude wird dafür ein eigener Verhandlungssaal eingerichtet. In den meisten Fällen erfolgen der Austausch und die Entscheidung aber schriftlich.