Jahrtausendwende im Parlament

Den Anforderungen (und Möglichkeiten) einer modernen Gesellschaft folgend öffnete sich der parlamentarische Betrieb in den frühen 2000ern. Nationalrat und Bundesrat wurden wichtige Schauplätze der Innenpolitik.

Das Jahr 2000 leitete eine neue Phase in der Entwicklung von Nationalrat und Bundesrat ein: Ihre Bedeutung als Schauplatz der Innenpolitik stieg an. Die Kontrollrechte des Nationalrates wurden deutlich erweitert. Das Parlament öffnete sich für die Bürger:innen und wurde zu einem zentralen Lernort für Demokratie in Österreich.

Häufige Wahlen und neue Parteien

Zwischen 2000 und 2019 fanden insgesamt sechs Wahlen zum Nationalrat statt – obwohl 2007 die Dauer der Gesetzgebungsperiode auf fünf Jahre verlängert worden war. Abgesehen von der XXIV. Gesetzgebungsperiode (2008-2013) wurden alle anderen vorzeitig beendet. Mit dem Bündnis Zukunft Österreich (BZÖ; gegründet 2005, erstmaliger Wahlantritt 2006, seit 2013 nicht mehr im Nationalrat), dem Team Stronach (gegründet 2012, erstmaliger Antritt 2013, seit 2017 nicht mehr im Nationalrat), den NEOS (ab 2013) und der Liste Pilz (2017-2019) kamen vier neue Parteien in den Nationalrat. Die Grünen, die seit 1986 dem Nationalrat angehört hatten, schafften bei den Nationalratswahlen 2017 erstmals nicht den Wiedereinzug in den Nationalrat. Das gelang erst bei den Wahlen 2019 wieder.

Damit intensivierte sich die Entwicklung der 1990er-Jahre: Die Zahl der politischen Parteien nahm zu, die Formen politischen Engagements, politischer Debatten und Auseinandersetzungen veränderten sich. Die Mitgliederzahlen der Parteien gingen weiter zurück, die Forderungen nach neuen Formen politischer Beteiligung nahmen zu. Neue öffentliche Demonstrationsformen entstanden. Das zeigte sich besonders in den Wahlergebnissen der früheren Großparteien SPÖ und ÖVP. In der XXIII. Gesetzgebungsperiode (2006-2008) hatten beide Parteien zum letzten Mal gemeinsam mehr als zwei Drittel der Mandate im Nationalrat und damit eine Mehrheit für Verfassungsänderungen. Seither verfügen alle Regierungskoalitionen nur mehr über eine einfache Mehrheit. Bei Gesetzesbeschlüssen im Nationalrat, die eine qualifizierte Mehrheit benötigen, müssen die Regierungsparteien daher zumindest eine Oppositionspartei zur Unterstützung gewinnen und inhaltliche Zugeständnisse machen.

Premieren

Als es im Mai 2019 zu einer Regierungskrise kam, fand erstmals in der Geschichte des Nationalrats ein Misstrauensantrag gegen die gesamte Bundesregierung eine Mehrheit. Bundespräsident Alexander Van der Bellen musste daraufhin die Bundesregierung unter Bundeskanzler Sebastian Kurz entlassen. Der Nationalrat wurde im Oktober 2019 neu gewählt, die neue Bundesregierung, in der erstmals die ÖVP und die Grünen eine Koalition bildeten, trat ihr Amt im Jänner 2020 an. Bis dahin führte eine Expert:innenregierung die Regierungsgeschäfte. An ihrer Spitze stand die erste Bundeskanzlerin Österreichs, die frühere Präsidentin des Verfassungsgerichtshofs Brigitte Bierlein.

Bereits 2016 hatte es eine andere Premiere gegeben: Die Amtszeit von Bundespräsident Heinz Fischer endete, bevor sein Nachfolger gewählt werden konnte. Grund dafür war, dass die Stichwahl für den Bundespräsidenten aufgehoben worden war und die Wiederholung erst im Herbst 2016 durchgeführt werden konnte. Deswegen übten von 8. Juli 2016 bis 26. Jänner 2017 die drei Präsident:innen des Nationalrats als Kollegium die Funktion des Bundespräsidenten bzw. der Bundespräsidentin aus.

Neue Bedeutung des Bundesrates

Von 1945 bis 2000 hatte der Bundesrat meist nur eine eingeschränkte politische Bedeutung: Die politischen Mehrheitsverhältnisse entsprachen in der Regel jenen im Nationalrat. Seit Mitte der 1980er-Jahre konnte man auf einen Gleichklang beider Kammern vertrauen. Die Veränderungen seit 2000 haben aber auch die Bundesländer und damit den Bundesrat erfasst. Es kam daher immer wieder zu Einsprüchen gegen Gesetzesbeschlüsse des Nationalrates (suspensives Veto) und erstmals zur Verweigerung der Zustimmung zu Beschlüssen (absolutes Veto).

Außerdem begann der Bundesrat, seine Mitwirkungsrechte in EU-Angelegenheiten sehr intensiv zu nutzen. Er entwickelte ein eigenständiges Profil als "Europakammer". Mit parlamentarischen Enqueten, die mindestens zweimal im Jahr stattfinden, versucht sich der Bundesrat nun auch als "Zukunftskammer" zu etablieren.