Neue Aufgaben, politische Veränderungen

Am 1. Jänner 1995 tritt Österreich der EU bei. Unmittelbar darauf wählt der Nationalrat die ersten österreichischen Mitglieder des Europäischen Parlaments. Die ersten Wahlen zum EU-Parlament, an denen sich alle wahlberechtigten Österreicher:innen und in Österreich lebende Bürger:innen der EU beteiligen können, finden am 13. Oktober 1996 statt.

Die EU wird zum Alltag im Parlament

Die Anpassung der Arbeitsabläufe von Nationalrat und Bundesrat an die neue Situation nimmt noch einige Zeit in Anspruch. 1996 werden detaillierte Regeln für die Mitwirkung im Parlament in EU-Angelegenheiten im Geschäftsordnungsgesetz des Nationalrates verankert, 1997 folgt die Geschäftsordnung des Bundesrates. Wie in vielen anderen Parlamenten ist die Befassung mit EU-Themen zunächst auf einige wenige Abgeordnete und spezialisierte Ausschüsse beschränkt. Es gibt aber immer neue Initiativen, die Auseinandersetzung mit EU-Themen zu fördern und die Information der Abgeordneten zu verbessern. Nationalrat und Bundesrat zeigen sich experimentierfreudig und probieren neue Formate wie z. B. spezielle EU-Sitzungen. Mit dem Vertrag von Lissabon, der 2010 in Kraft tritt, wird die Zusammenarbeit in der EU auf neue Beine gestellt. Zum ersten Mal erhalten die Parlamente der Mitgliedstaaten unmittelbare Mitwirkungsrechte in der EU. Nationalrat und Bundesrat nutzen das für eine umfangreiche Erweiterung ihrer Rechte: EU-Themen werden seither in allen Ausschüssen und Plenarsitzungen diskutiert. Der Hauptausschuss des Nationalrates in EU-Angelegenheiten und dessen ständiger Unterausschuss haben ebenso wie der EU-Ausschuss des Bundesrates viele Möglichkeiten, sich mit wichtigen Entscheidungen, die in der EU getroffen werden sollen, zu befassen und Einfluss auf die Europapolitik zu nehmen.

Untersuchungsausschüsse erhalten neue Regeln

Zwischen 1980 und 1990 tagen sechs Untersuchungsausschüsse des Nationalrates, die großes öffentliches Interesse erhalten und zu Rücktritten von Politikern sowie strafrechtlichen Verurteilungen führen. Die Untersuchungen im Parlament müssen allerdings auf Grundlage der Strafprozessordnung durchgeführt werden. Das führt zu vielen Problemen und großer Unzufriedenheit. In den 1990er-Jahren gibt es keinen einzigen Untersuchungsausschuss. Die Zeit wird genutzt, um neue Verfahrensregeln zu schaffen. Besonderes Augenmerk wird auf einen fairen Umgang mit Auskunftspersonen gelegt. Als erstes Parlament der Welt führt der Nationalrat dafür die Funktion des Verfahrensanwalts bzw. der Verfahrensanwältin ein.

Ab 2006 gibt es dann wieder regelmäßig Untersuchungsausschüsse im Nationalrat. Sie werden kurz nach Wahlen oder aufgrund großen öffentlichen Drucks eingesetzt. Bald wird deutlich, dass die Verfahrensordnung von 1997 viele Fragen offen lässt. Das betrifft den Umgang mit vertraulichen Informationen ebenso wie die Dauer der Sitzungen oder die Lösung von Konflikten in den Untersuchungsausschüssen. Vor allem aber fordern die Oppositionsparteien, dass es ein Minderheitsrecht auf Einsetzung von Untersuchungsausschüssen, Ladungen von Auskunftspersonen und Anforderungen von Akten geben solle.

Von 2010 bis 2014 wird im Nationalrat eine Reform der Untersuchungsausschüsse beschlossen. Seither kann ein Viertel der Mitglieder des Nationalrates die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses verlangen. Der Präsident bzw. die Präsidentin des Nationalrates ist grundsätzlich Vorsitzende:r des Untersuchungsausschusses, ein:e Verfahrensrichter:in unterstützt die Vorsitzführung. Der Verfahrensanwalt bzw. die Verfahrensanwältin ist weiter für die Sicherung der Rechte der Auskunftspersonen zuständig. Konflikte im Ausschuss und zwischen dem Ausschuss und der Regierung oder Behörden können vor den Verfassungsgerichtshof gebracht werden.