Stenographisches Protokoll

612. Sitzung des Bundesrates der Republik Österreich

 

 

Donnerstag, 25. April 1996

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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612. Sitzung des Bundesrates der Republik Österreich

Donnerstag, 25. April 1996

Dauer der Sitzung

Donnerstag, 25. April 1996: 9.04 – 18.00 Uhr

*****

Tagesordnung

1. Strukturanpassungsgesetz 1996

2. Bundesgesetz, mit dem das Berggesetz 1975 geändert wird

*****

Inhalt

Bundesrat

Schreiben des Präsidenten des Niederösterreichischen Landtages betreffend Mandatsveränderung im Bundesrat 5

Schreiben des Präsidenten des Salzburger Landtages betreffend Mandatsveränderung im Bundesrat 5

Angelobung der Bundesräte Aloisia Fischer und Mag. Karl Wilfing 6

Vertagungsantrag gemäß § 51 GO-BR und Verlangen nach Abführung einer Debatte gemäß § 49 GO-BR

Dr. Peter Kapral 7

Dr. Paul Tremmel (zur Geschäftsordnung) 8

Annahme des Antrages von Dr. Peter Kapral, eine Debatte gemäß § 49 GO-BR durchzuführen 8

Debatte:

Dr. Helmut Prasch 8

Albrecht Konečny 9

Dr. Drs h. c. Herbert Schambeck 10

Gottfried Waldhäusl 11

Josef Pfeifer 13

Ing. Johann Penz 13

Jürgen Weiss 14

Dr. Paul Tremmel 15

Vertagungsantrag gemäß § 51 GO-BR von Dr. Peter Kapral 8


Bundesrat
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612. Sitzung / Seite 2

Ablehnung des Vertagungsantrages von Dr. Peter Kapral 17

Verzeichnis des Ergebnisses der namentlichen Abstimmung 17

Erklärung des Landeshauptmannes von Salzburg

Landeshauptmann Dr. Franz Schausberger 76

Debatte:

Stefan Prähauser 81

Andreas Eisl 84

Ludwig Bieringer 85

Landeshauptmann Dr. Franz Schausberger 87

Dr. Drs h. c. Herbert Schambeck 89

Personalien

Krankmeldungen 5

Entschuldigungen 5

Nationalrat

Beschlüsse und Gesetzesbeschlüsse 7

Bundesregierung

Vertretungsschreiben 6

Ausschüsse

Zuweisungen 7

Verhandlungen

(1) Beschluß des Nationalrates vom 19. April 1996 betreffend Strukturanpassungsgesetz 1996 (72 und 95/NR sowie 5161, 5162, 5163, 5164, 5165 und 5166/BR d. B.)

Berichterstatter: Karl Hager 18

(Antrag, gegen den vorliegenden Beschluß des Nationalrates, soweit dieser dem Einspruchsrecht des Bundesrates unterliegt, keinen Einspruch zu erheben)

Redner:

Dr. Peter Kapral 19

Gottfried Jaud 22

Hedda Kainz 24

Dr. Reinhard Eugen Bösch 29

Dr. h. c. Manfred Mautner Markhof 31

Johanna Schicker 33

Ursula Haubner 34

Ing. Johann Penz 38

und (tatsächliche Berichtigung) 58

Staatssekretär Mag. Karl Schlögl 42

Katharina Pfeffer 44

Dr. Helmut Prasch 46

Karl Pischl 48 und 104

Johann Kraml 53

Gottfried Waldhäusl 54


Bundesrat
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612. Sitzung / Seite 3

Dr. Paul Tremmel (zur Geschäftsordnung) 58

und 92

Peter Rodek 58

Horst Freiberger 62

Mag. Dieter Langer 63

Jürgen Weiss 69

Bundesminister Dr. Nikolaus Michalek 72

Gertrude Perl 74

Ilse Giesinger 96

Michaela Rösler 97 und 106

Bundesminister Mag. Viktor Klima 100

Alfred Gerstl 103

Engelbert Weilharter 105

Annahme des Antrages des Berichterstatters, gegen den Beschluß des Nationalrates, soweit dieser dem Einspruchsrecht des Bundesrates unterliegt, keinen Einspruch zu erheben, mit den Stimmen der Bundesräte der ÖVP und der SPÖ, gegen die Stimmen der Bundesräte der Freiheitlichen 108

(2) Beschluß des Nationalrates vom 20. März 1996 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Berggesetz 1975 geändert wird (7/A und 68/NR sowie 5150/BR d. B.)

Berichterstatter: Mag. Dieter Langer 108

(Antrag, keinen Einspruch zu erheben)

Redner:

Peter Rieser 109

Josef Pfeifer 110

Engelbert Weilharter 111

einstimmige Annahme des Antrages des Berichterstatters, keinen Einspruch zu erheben 112

Eingebracht wurden

Berichte

3746-5019-EU über Vorhaben im Rahmen der Europäischen Union gemäß Artikel 23e B-VG

Bericht der Bundesregierung über die Regierungskonferenz 1996; Österreichische Grundsatzpositionen (III-148-BR/96)

Anfragen

der Bundesräte Peter Rodek und Kollegen an die Frau Bundesministerin für Gesundheit und Konsumentenschutz betreffend geplante Reduktion der Anzahl der Krankenhausbetten im Krankenhaus St. Josef in Braunau durch den Krankenanstaltenplan (1174/J-BR/96)

der Bundesräte Anton Hüttmayr und Kollegen an den Bundesminister für öffentliche Wirtschaft und Verkehr betreffend Parkplatzsituation am Bahnhof Attnang-Puchheim (1175/J-BR/96)

der Bundesräte Anton Hüttmayr und Kollegen an den Bundesminister für öffentliche Wirtschaft und Verkehr betreffend Verlegung des Bahnhofes Schörfling am Attersee (1176/J-BR/96)


Bundesrat
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612. Sitzung / Seite 4

der vom Vorarlberger Landtag entsandten Bundesräte Jürgen Weiss, Ilse Giesinger und Dr.  Reinhard Eugen Bösch an den Bundesminister für Finanzen betreffend Erweiterungsbau beim Finanzamt Bregenz (1177/J-BR/96)

der Bundesräte Jürgen Weiss, Ilse Giesinger und Kollegen an den Bundeskanzler betreffend Wiederverlautbarung von Bundesgesetzen (1178/J-BR/96)

der Bundesräte Franz Richau und Kollegen an den Bundesminister für Inneres betreffend Schließung von Gendarmerieposten im Bundesland Kärnten (1179/J-BR/96)

der Bundesräte Ing. Walter Grasberger und Kollegen an den Bundesminister für Finanzen betreffend die Zukunft des Finanzamtes Lilienfeld (1180/J-BR/96)

Anfragebeantwortungen

des Bundesministers für öffentliche Wirtschaft und Verkehr auf die Frage der Bundesräte Ing. Walter Grasberger und Kollegen (1075/AB-BR/96 zu 1162/J-BR/96)

des Bundesministers für Finanzen auf die Frage der Bundesräte Jürgen Weiss , Ilse Giesinger und Dr. Reinhard Eugen Bösch (1076/AB-BR/96 zu 1163/J-BR/96)

der Bundesministerin für Frauenangelegenheiten auf die Frage der Bundesräte Ursula Haubner und Dr. Susanne Riess-Passer (1077/AB-BR/96 zu 1168/J-BR/96)


Bundesrat
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Beginn der Sitzung: 9.04 Uhr

Präsident Johann Payer: Ich eröffne die 612. Sitzung des Bundesrates.

Das Amtliche Protokoll der 611. Sitzung des Bundesrates vom 26. März 1996 ist aufgelegen, unbeanstandet geblieben und gilt daher als genehmigt.

Krank gemeldet haben sich die Mitglieder des Bundesrates DDr. Franz Werner Königshofer, Dr. Günther Hummer und Karl Wöllert.

Entschuldigt haben sich die Mitglieder des Bundesrates Erich Farthofer, Erhard Meier, Dr. Kurt Kaufmann und Dr. Michael Rockenschaub.

Mandatsverzichte und Angelobungen

Präsident Johann Payer: Eingelangt sind ein Schreiben des Präsidenten des Niederösterreichischen und eines des Präsidenten des Salzburger Landtages betreffend Mandatsveränderungen im Bundesrat.

Ich ersuche die Frau Schriftführerin um Verlesung dieser Schreiben.

Schriftführerin Ilse Giesinger: "Der Präsident des Landtages von Niederösterreich

Betrifft: Wahl eines Mitgliedes und eines Ersatzmitgliedes des Bundesrates

Sehr geehrter Herr Präsident!

Das Mitglied des Bundesrates, Herr Dipl.-Ing. Richard Kaiser, hat sein Mandat per 19. 3. 1996 zurückgelegt. Weiters hat sein Ersatzmitglied, Frau Landtagsabgeordnete Monika Lugmayr, erklärt, auf das freiwerdende Mandat als Mitglied des Bundesrates nicht nachfolgen zu wollen und auch auf ihre Funktion als Ersatzmitglied des Bundesrates zu verzichten.

Auf Vorschlag des Niederösterreichischen Landtagsklubs der ÖVP wurden in der 37. Sitzung des NÖ Landtages am 28. März 1996 anstelle von Herrn Dipl.-Ing. Richard Kaiser Herr Mag. Karl Wilfing, Abteilungsleiter, 2170 Wetzelsdorf, Fasanweg 23, als Mitglied des Bundesrates und anstelle von Frau Landtagsabgeordneter Monika Lugmayr Frau Hildegard Schorn, Bäuerin, 2435 Ebergassing, Bauerngasse 15, als Ersatzmitglied gewählt.

Die Kanzlei des Bundesrates wurde zu Handen des Herrn Direktors des Bundesrates, Parlamentsrat Dr. Walter Labuda, verständigt. Ebenso wurde das Bundeskanzleramt, Sektion V/2, von der Wahl in Kenntnis gesetzt.

Franz Romeder"

"Der Präsident des Salzburger Landtages

Betreff: Wahl des 3. Bundesrates (Ersatzmitgliedes) durch den Salzburger Landtag Aloisia Fischer, Albin Berendt

Sehr geehrter Herr Präsident!

Der Salzburger Landtag hat in der heutigen Sitzung nach dem Mandatsverzicht von Bundesrat Ing. Georg Leberbauer und dem Verzicht von Albin Berendt als Ersatzmitglied Frau Aloisia Fischer, geboren am 23. Jänner 1954 in Taxenbach, wohnhaft in Hummendorf 19, 5721 Piesendorf, gewählt. Als Ersatzmitglied für Frau Bundesrätin Aloisia Fischer wurde wieder Albin Berendt, Lederergasse 3, 5204 Straßwalchen, bestätigt.

Ich beehre mich, von diesen erfolgten Wahlen Mitteilung zu machen.


Bundesrat
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Mit besten Grüßen Helmut Schreiner"

Präsident Johann Payer: Die neuen Mitglieder des Bundesrates sind im Haus anwesend. Ich werde daher sogleich ihre Angelobung vornehmen.

Nach Verlesung der Gelöbnisformel durch die Frau Schriftführerin wird die Angelobung mit den Worten "Ich gelobe" zu leisten sein.

Ich ersuche die Frau Schriftführerin um Verlesung der Gelöbnisformel und anschließend um den Namensaufruf.

Schriftführerin Ilse Giesinger: "Sie werden geloben unverbrüchliche Treue der Republik Österreich, stete und volle Beobachtung der Verfassungsgesetze und aller anderen Gesetze sowie gewissenhafte Erfüllung Ihrer Pflichten."

Frau Aloisia Fischer.

Bundesrätin Aloisia Fischer (ÖVP): Ich gelobe.

Schriftführerin Ilse Giesinger: Mag. Karl Wilfing.

Bundesrat Mag. Karl Wilfing (ÖVP): Ich gelobe.

Präsident Johann Payer: Ich begrüße die neuen Mitglieder des Bundesrates recht herzlich in unserer Mitte. (Allgemeiner Beifall.)

Einlauf und Zuweisungen

Präsident Johann Payer: Eingelangt sind drei Anfragebeantwortungen, die den Anfragestellern übermittelt wurden.

Die Anfragebeantwortungen wurden vervielfältigt und auch an alle übrigen Mitglieder des Bundesrates verteilt.

Eingelangt sind weiters vier Schreiben des Bundeskanzleramtes betreffend Ministervertretungen.

Ich ersuche die Schriftführung um Verlesung dieser Schreiben.

Schriftführerin Ilse Giesinger: "Der Herr Bundespräsident hat am 11. April 1996, Zl. 800.420/49/96, folgende Entschließung gefaßt:

Auf Vorschlag des Bundeskanzlers betraue ich für die Dauer der Verhinderung des Bundesministers für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel am 19. April 1996 den Bundesminister für Landesverteidigung Dr. Werner Fasslabend und am 22. April beziehungsweise am 25. und 26. April 1996 die Staatssekretärin Frau Dr. Benita Ferrero-Waldner mit der Vertretung.

Hievon beehre ich mich, mit dem Ersuchen um gefällige Kenntnisnahme Mitteilung zu machen."

"Der Herr Bundespräsident hat am 15. April 1996, Zl. 800.420/52/96, folgende Entschließung gefaßt:

Auf Vorschlag des Bundeskanzlers betraue ich für die Dauer der Verhinderung des Bundesministers Dr. Martin Bartenstein am 25. und 26. April 1996 in seiner Funktion als Bundesminister für Umwelt den Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft Mag. Wilhelm Molterer und in seiner Funktion als Bundesminister für Jugend und Familie die Bundesministerin für Unterricht und kulturelle Angelegenheiten Elisabeth Gehrer mit der Vertretung.

Hievon beehre ich mich, mit dem Ersuchen um gefällige Kenntnisnahme Mitteilung zu machen."


Bundesrat
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"Der Herr Bundespräsident hat am 11. April 1996, Zl. 800.420/47/96, folgende Entschließung gefaßt:

Auf Vorschlag des Bundeskanzlers betraue ich für die Dauer der Verhinderung des Bundesministers für Landesverteidigung Dr. Werner Fasslabend am 20. April innerhalb der Zeiträume vom 24. bis 26. April sowie vom 28. bis 30. April 1996 den Bundesminister für Inneres Dr. Caspar Einem mit der Vertretung.

Hievon beehre ich mich, mit dem Ersuchen um gefällige Kenntnisnahme Mitteilung zu machen."

"Der Herr Bundespräsident hat am 15. April 1996, Zl. 800.420/54/96, folgende Entschließung gefaßt:

Auf Vorschlag des Bundeskanzlers betraue ich für die Dauer der Verhinderung des Bundesministers Dr. Rudolf Scholten innerhalb des Zeitraumes vom 22. bis 25. April 1996 in seiner Funktion als Bundesminister für Wissenschaft, Forschung und Kunst den Bundesminister für Justiz Dr. Nikolaus Michalek und in seiner Funktion als Bundesminister für öffentliche Wirtschaft und Verkehr die Bundesministerin Dr. Helga Konrad mit der Vertretung.

Hievon beehre ich mich, mit dem Ersuchen um gefällige Kenntnisnahme Mitteilung zu machen.

Für den Bundeskanzler:

Ministerialrat Dr. Wiesmüller"

Präsident Johann Payer: Diese Schreiben dienen zur Kenntnis.

Den eingelangten Bericht der Bundesregierung über die Regierungskonferenz 1996, Österreichische Grundsatzpositionen, habe ich dem EU-Ausschuß zur Vorberatung zugewiesen.

Eingelangt sind ferner Berichte (3746-5019-EU) über Vorhaben im Rahmen der Europäischen Union gemäß Artikel 23a B-VG. Auch diese Berichte habe ich dem EU-Ausschuß zugewiesen.

In Anbetracht des Umfanges habe ich gemäß § 18 Abs. 2 Geschäftsordnung des Bundesrates nach Rücksprache mit den Vizepräsidenten angeordnet, daß eine Vervielfältigung und Verteilung zu unterbleiben hat, alle Vorlagen jedoch in der Parlamentsdirektion zur Einsichtnahme aufliegen.

Eingelangt sind jene Beschlüsse des Nationalrates, die Gegenstand der heutigen Tagesordnung sind.

Ich habe diese Beschlüsse den in Betracht kommenden Ausschüssen zur Vorberatung zugewiesen.

Die Ausschüsse haben ihre Vorberatungen abgeschlossen und schriftliche Ausschußberichte erstattet.

Wird zur Tagesordnung das Wort gewünscht?

Herr Dr. Kapral. – Bitte, zur Tagesordnung.

Vertagungsantrag

9.15

Bundesrat Dr. Peter Kapral (Freiheitliche, Wien): Herr Präsident! Herr Staatssekretär! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Tagesordnung der heutigen Sitzung umfaßt zwar lediglich zwei Punkte, der erste der beiden Tagesordnungspunkte ist aber von großer Bedeutung und verdient eine sorgfältige Behandlung.


Bundesrat
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Dazu gehört auch, daß den Bundesländern ausreichend Gelegenheit geboten wird, zu den einzelnen Bestimmungen Stellung zu nehmen. Dies gilt sowohl für das Begutachtungsverfahren als auch für jene Vorgangsweise, die sich sehr bewährt hat, nämlich daß man zwischen dem Gesetzesbeschluß des Nationalrates und der Behandlung hier im Bundesrat einen Zeitraum von etwa zwei Wochen verstreichen läßt, um den Ländern nochmals Gelegenheit zu geben, allfällige Einwendungen zu erarbeiten. Beides war im Zusammenhang mit dem Strukturanpassungsgesetz nicht der Fall. Das geht aus den Stellungnahmen der Länder beziehungsweise aus der Tatsache hervor, daß wir uns bereits heute, am 25. April, drei Werktage nach der Beschlußfassung im Nationalrat – wenn man die Ausschußberatungen mitrechnet, standen nach dem Nationalratsbeschluß nur ein und ein halber Werktag zur Verfügung –, mit diesem Gesetzesbeschluß des Nationalrates befassen.

Ich habe bereits vor Ostern an Sie, sehr geehrter Herr Präsident, brieflich die Bitte gerichtet, die heutige Sitzung zu verschieben beziehungsweise die Behandlung des Tagesordnungspunktes 1 für einen späteren Zeitpunkt vorzusehen. – Bedauerlicherweise habe ich bis heute keine Antwort erhalten.

Ich stelle daher den Antrag, Punkt 1 von der Tagesordnung abzusetzen und seine Behandlung auf einen späteren Zeitpunkt zu vertagen, um den Bundesländern Gelegenheit zu geben, in merito Stellung zu nehmen. Gleichzeitig stelle ich den Antrag, darüber eine Debatte abzuführen.

9.18

Präsident Johann Payer: Es ist der Antrag auf eine Debatte gestellt worden. Ich lasse zuerst über den Antrag, eine Debatte abzuführen, abstimmen.

Herr Bundesrat Dr. Tremmel meldet sich zur Geschäftsordnung zu Wort. – Bitte.

9.18

Bundesrat Dr. Paul Tremmel (Freiheitliche, Steiermark) (zur Geschäftsordnung): Das Verlangen auf Debatte ist eine imperative Vorgabe der Geschäftsordnung und ist nicht einer Abstimmung zu unterziehen. Ich bitte, in die entsprechenden Ausführungen der Geschäftsordnung Einsicht zu nehmen.

9.19

Präsident Johann Payer: Ich lasse jetzt abstimmen, ob über den Antrag des Dr. Kapral eine Debatte stattfinden soll. Ich bitte diejenigen, die dafür sind, um ein Handzeichen. – Das ist die Mehrheit.

Gibt es Wortmeldungen? – Bitte, Herr Bundesrat.

9.19

Bundesrat Dr. Helmut Prasch (Freiheitliche, Kärnten): Herr Präsident! Herr Staatssekretär! Es paßt der Willkommensgruß: guten Morgen, nachdem wir die geschäftsordnungsmäßigen Fragen endlich geklärt haben. Ich darf hoffen, daß Sie alle sehr gut ausgeruht sind, nachdem Sie in den letzten zwei Wochen genügend Gelegenheit gehabt haben, sich rund um die Uhr mit den Details der heute zu beschließenden Gesetzesmaterien zu beschäftigen. Das wird zweifelsohne notwendig gewesen sein, denn sonst müßte ich schon jetzt an dieser Stelle den Vorwurf erheben, daß Sie heute gar nicht im Bilde sind, welche Folgen das zur Beschlußfassung vorliegende Strukturanpassungsgesetz haben wird.

Die freiheitlichen Bundesräte sind, wie das Bundesrat Kollege Dr. Kapral zum Ausdruck gebracht hat, der Meinung, daß eine intensive Vorbereitung auf diese heutige Bundesratssitzung und insbesondere auf die zur Beschließung vorliegenden Gesetzesmaterien nicht möglich war.

Ich möchte Ihnen deshalb die Kritik der Kärntner Landesregierung zur Kenntnis bringen, die sich in ähnlicher Weise geäußert hat, wie wir das heute in unserem Antrag formuliert haben. – Ich zitiere aus der Stellungnahme des Amtes der Kärntner Landesregierung: Bereits in der ersten Anmerkung heißt es, "daß für den Fall, daß ernsthaftes Interesse an einer sachlichen Auseinandersetzung mit dem zur Begutachtung übermittelten Entwurf besteht, eine nicht unter


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zwei Wochen liegende Frist" – wie im gegenständlichen Fall – "zur Abgabe einer Stellungnahme zugestanden" werden sollte.

Weiters übt das Amt der Kärntner Landesregierung Kritik an der Form der Zuleitung: "Die Zuleitung des Entwurfes im Wege der Verbindungsstelle der Bundesländer zog jedenfalls eine vermeidbare Verzögerung bei der Postzustellung nach sich, wodurch" – heißt es hier wörtlich – "die unzumutbar knappe Frist noch zusätzlich reduziert wurde." Eine derartige Vorgangsweise ist nicht nur mit der Idee des kooperativen Bundesstaates unvereinbar, sie muß vor allem "in Fragen der Steuergesetzgebung mit Nachdruck abgelehnt werden, ..." – Das ist ein Standpunkt, den wir Freiheitlichen nur unterstreichen können!

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Auch was die einzelnen Bestimmungen und den Inhalt dieser Bestimmungen betrifft, die heute zur Beschlußfassung vorliegen, wird ebenfalls von den Ländern – meine Kollegen werden in der Folge noch aus der Sicht der anderen Bundesländer darüber zu berichten wissen – wesentliche Kritik geübt, die wir nicht vergessen sollten.

"Neben den Folgewirkungen des steuerrechtlichen Teils des Strukturanpassungsgesetzes 1996" wird vom Amt der Kärntner Landesregierung etwa auch "eine Wettbewerbsverzerrung auf dem Energiesektor" befürchtet.

Weiters vermißt das Amt der Kärntner Landesregierung "eine fundierte Darstellung der budgetären Folgen". "In den weiteren Erläuterungen wird eine detaillierte Information darüber unterlassen", übt das Amt der Kärntner Landesregierung Kritik.

"Wenn sich allerdings selbst das Bundesministerium für Finanzen" – so heißt es weiter – "seiner Vorbildwirkung bei der Umsetzung dieses Gesetzesauftrages nicht bewußt ist, wird man diesem ... Auftrag auch auf Ebene der anderen Bundeszentralstellen nicht den Stellenwert beimessen, den der Gesetzgeber dieser Regelung unterlegte."

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sie sehen, daß die Bundesländer sehr wohl sehr massive und fundierte Kritik an dem heute zur Beschlußfassung vorliegenden Strukturanpassungsgesetz zu üben haben.

Zu den einzelnen Bestimmungen wird immer wieder auch auf die große verfassungsrechtliche Problematik dieser geplanten Strukturanpassung verwiesen. Man hat "verfassungsrechtliche Bedenken" insofern – so heißt es weiter –, "als diese Lücken nicht vor der Beschlußfassung im Nationalrat geschlossen werden" konnten. Anhand des Beispiels verschiedener Steuergesetze, Einkommensteuergesetz, Umsatzsteuergesetz, wird erläutert, daß die geplante Verordnungsermächtigung – wörtlich – "schon deshalb vefassungsrechtlich bedenklich zu sein" scheint, "als eine nähere Determinierung jener Gesichtspunkte, an denen sich der Bundesminister für Finanzen bei der Begriffsbestimmung zu orientieren hat, völlig fehlt."

Das ist die Meinung der Bundesländer zu dem heute vorliegenden Strukturanpassungsgesetz. – Ich bin der Meinung: Wenn wir unsere Aufgabe als Ländervertreter wirklich ernst nehmen, dann müssen wir diese Kritik, die von allen Landesregierungen in ähnlichen Form gekommen ist, aufgreifen und ernst nehmen. Ich bitte Sie daher, unserem Antrag, den Tagesordnungspunkt 1 von der heutigen Tagesordnung abzusetzen, stattzugeben. – Danke. (Beifall bei den Freiheitlichen. )

9.25

Präsident Johann Payer: Wünscht noch jemand das Wort? – Herr Bundesrat Konečny, bitte.

9.25

Bundesrat Albrecht Konečny (SPÖ, Wien): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es beeindruckt mich immer wieder, wie Mandatare, deren Partei seit Jahren für die ersatzlose Abschaffung dieses föderalistischen Organs Bundesrat eintritt, sich hier mit Krokodilstränen ... (Bundesrat Dr. Kapral: Solange es besteht, werden wir es auch nützen!) Herr Kollege! Sie hatten Ihre Wortmeldung, jetzt bin ich dran! – Es beeindruckt mich, wie gesagt, immer wieder, wenn Ihre Fraktion Krokodilstränen um die Rechte der Länder vergießt.


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Wir wollen einmal klar festhalten: Das, was wir heute debattieren und – wie ich annehme – beschließen werden, ist das Ergebnis eines breit angelegten, selbstverständlich die Länder miteinbeziehenden Verhandlungs- und Diskussionsprozesses. Es verhält sich nicht so, daß dieses Paket das Licht der Öffentlichkeit erblickt hat, als uns allen ein beachtlicher Stoß Papier auf die Schreibtische gelegt wurde. (Bundesrat Dr. Tremmel: Zu Weihnachten haben Sie das noch gar nicht gewußt!) Herr Kollege! Sie können sich kein Urteil darüber bilden, was ich gewußt habe! Ihre Lesegeschwindigkeit und Ihre Informationskanäle kenne ich nicht, Sie meine aber auch nicht. Lassen wir daher dieses Thema!

Dieser Diskussionsprozeß, der zu einem guten Teil auch im Licht der Öffentlichkeit geführt wurde und nachvollziehbar ist, auch für Sie, selbst wenn man nicht die qualitätsvollsten österreichischen Tageszeitungen heranzieht, soll mit dieser Beschlußfassung zu Ende kommen.

Ich halte es für selbstverständlich, daß eine solche große nationale Kraftanstrengung unsere Unterstützung verdient. Ich betone, ohne die Stellungnahme irgendeines Amtes der Landesregierung herunterreden zu wollen, weder des Amtes der Kärntner noch allenfalls des Amtes der Wiener Landesregierung: Hier geht es um eine politische Einigung, in die die politischen Vertreter dieser Bundesländer, und zwar aller neun, eingebunden sind. Ich bin nicht bereit, als Bundesrat letztlich Aufträge von Beamten, die das pflichtgemäß, aber nicht als Bestandteil eines politischen Entscheidungsprozesses erarbeitet haben, hinzunehmen. Föderalismus heißt nicht, daß jeder von uns seiner Landesbürokratie verpflichtet ist. Föderalismus heißt, daß wir den Bürgerinnen und Bürgern der gesamten Republik, aber natürlich in erster Linie unseres jeweiligen Bundeslandes verpflichtet sind. Ich glaube, der Verantwortung für jene Menschen, die in Wien für meine Partei bei Landtagswahlen gestimmt haben und wieder stimmen werden, durch die Ablehnung Ihres Antrages Rechnung zu tragen. Ich glaube, daß dies mit großer Gewißheit und gutem Gewissen Vertreter aus allen neun Bundesländern teilen können. (Beifall bei der SPÖ und bei Bundesräten der ÖVP. )

9.28

Präsident Johann Payer: Es gibt eine weitere Wortmeldung von Herrn Professor Dr. Schambeck.

9.28

Bundesrat Dr. Drs h. c. Herbert Schambeck (ÖVP, Niederösterreich): Herr Präsident! Herr Bundesminister! Herr Staatssekretär! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gerade die Freiheitliche Partei war jene Fraktion in der Länderkammer, die besonders lautstark kritisiert hat, daß die Regierungsbildung noch nicht zustande gekommen ist, daß die notwendigen budgetären Voraussetzungen für das Jahr 1996 noch nicht auf dem Tisch liegen, die einen langfristigen Finanzplan für die kommenden Jahre urgiert hat. Aber jetzt, Herr Bundesrat Dr. Kapral, tun Sie für Ihre Partei das Gegenteil von dem, was Sie bisher immer moniert haben. Das trägt nicht zur Glaubwürdigkeit bei!

Ich möchte Ihnen sagen, daß der Bundesrat als Teil der Bundesgesetzgebung Mitverantwortung trägt, daß der Staatshaushalt – unter Berücksichtigung des notwendigen Gleichgewichts von Bund, Ländern und Gemeinden – entsprechend zum Tragen kommen kann.

Ich möchte Ihnen sagen, daß aus der Sicht meiner Fraktion unsere Bundesrätinnen und Bundesräte ausreichend Gelegenheit hatten, am Zustandekommen dieses Strukturanpassungsgesetzes und außerdem auch an der Festlegung der notwendigen budgetären Maßnahmen mitzuwirken, weil sie bei den Vorberatungen dabeisein konnten und konsultiert wurden. Ich bin unserer Klubführung sehr dankbar, daß wir bis zum letzten Stadium, auch über abschließende Abänderungsanträge, informiert wurden, und ich darf hinzufügen: auch unsere zuständigen ersten Repräsentanten der Bundesländer.

Wir wissen ganz genau, daß wir jetzt, im April 1996, die große Verpflichtung in der Gesamtverantwortung haben, daß ein Budget zustande kommt und jene Strukturanpassungsmaßnahmen getroffen werden, um eine entsprechende Weiterentwicklung Österreichs als Sozialstaat mit sozialer Marktwirtschaft auch für die Zukunft zu gewährleisten. Und ich sage Ihnen: Gerade die Verhandlungen des letzten halben Jahres – ich rechne das ausklingende vergangene Jahr zu


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diesen sechs Monaten dazu – haben gezeigt, mit welcher Gesamtverantwortung wir vorgegangen sind.

Meine Partei war für Neuwahlen, um das Votum der Bevölkerung einzuholen und unsere Vorstellung miteinbringen zu können. Die Regierungsmitglieder und die Parteirepräsentanten der beiden Regierungsparteien haben es sich wahrlich nicht leichtgemacht! Zwei davon sitzen heute hier auf der Regierungsbank, die das sicherlich auch bestätigen könnten. Es gab kontroversielle Standpunkte, es kam dann jedoch zu einer Einigung, die heute auch die Beschlußfassung des Bundesrats, der Länderkammer des Parlaments, benötigen.

Lassen Sie mich betonen: Wir befinden uns unter großem Zeitdruck, denn wesentliche Teile des Gesetzes, das auf der Tagesordnung steht, zielen darauf ab, daß die Reduzierung von Ausgaben und die Erschließung neuer Maßnahmen, Hoher Bundesrat, mit 1. Mai budgetwirksam werden. Da können wir doch nicht den Weg gehen, den die freiheitliche Fraktion jetzt vorschlägt! Das wäre auch in der Öffentlichkeit nicht zu vertreten!

Ein weiteres Hinausschieben und eine Fortschreibung des Budgets 1995 über April hinaus – lassen Sie mich das betonen – würden zu erheblichen finanziellen Nachteilen für den zu sanierenden Bundeshaushalt führen. Darüber hinaus wären mit einer Verzögerung auch nachteilige finanzielle Auswirkungen – das muß ich Herrn Dr. Kapral entgegenhalten – nicht nur für den Bund, sondern auch für die Länder und für die Gemeinden, die wir hier in der Länderkammer zu vertreten haben, verbunden. Es ist aus keinem Land bekannt, daß eine Beeinspruchung oder auch nur eine Verzögerung des Gesetzes durch den Bundesrat gewünscht würde. Ich habe einen solchen Brief nicht erhalten. Die Länder waren in den Verhandlungen über die Budgetsanierung und über die dazu notwendigen Maßnahmen, auch betreffend die Regelung über den Finanzausgleich und die Krankenanstaltenfinanzierung, miteingebunden. Es haben entsprechende Gespräche mit den kompetenten Vertretern stattgefunden. Das möchte ich unterstreichen und mich auch in der Länderkammer dafür bedanken.

Hoher Bundesrat! Die Gesetzgebungszuständigkeit der Landtage – und das ist von Wichtigkeit für die Länderkammer – ist von keiner einzigen Bestimmung des Strukturanpassungsgesetzes betroffen, sodaß sich unter diesem Gesichtspunkt kein besonderer Prüfungsaufwand als notwendig erweist. Zudem wurden den Ländern bereits vor Abschluß des Gesetzgebungsverfahrens im Nationalrat unverzüglich die in Aussicht genommenen Abänderungsanträge übermittelt, sodaß bereits eine begleitende Kontrolle möglich war. Ich möchte Herrn Klubdirektor Prof. Dr. Zögernitz und allen Zuständigen unseres ÖVP-Klubs dafür herzlich danken, daß wir diese Gelegenheit in unserer Fraktion hatten. Anscheinend hatten Sie bei der Freiheitlichen Partei diese Gelegenheit nicht.

Die die Länderinteressen besonders berührende Änderung des Übergangsgesetzes, nämlich die Zusammenlegung von Gerichtsbezirken ohne Zustimmung der Länder – das möchte ich heute auch aussprechen –, wurde bereits im Nationalratsausschuß aus dem Strukturanpassungsgesetz herausgelöst und zurückgestellt. Außerdem – auch das möchte ich nicht unerwähnt lassen, Herr Dr. Kapral, und Sie daran erinnern – ist die Tagesordnung der heutigen Bundesratssitzung auch mit Ihrer Zustimmung bereits beschlossen worden. Das haben wir vorgestern gemeinsam beredet. (Zwischenruf des Bundesrates Dr. Kapral. ) Zu diesem Zeitpunkt hätten Sie bereits Gelegenheit gehabt, auch das zu sagen. Meine Fraktion hat dafür gestimmt.

Herr Dr. Kapral! Ich gebe zu, Sie haben Ihre Redner nicht nominiert. Aber das ist eine Frage der internen Fraktionsdisziplin. Meine Fraktion war dafür, daß wir eine Debatte darüber abführen. Und meine Fraktion ist dafür, daß wir die Tagesordnung erfüllen und das Unsere zur Budgetsanierung in Österreich beitragen. Das sind wir den Ländern, den Gemeinden und dem Bund schuldig! (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)

9.34

Präsident Johann Payer: Gibt es noch Wortmeldungen? – Bitte, Herr Bundesrat Waldhäusl.

9.34

Bundesrat Gottfried Waldhäusl (Freiheitliche, Niederösterreich): Herr Präsident! Hohes Haus! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Gegensatz zu den Vorrednern von ÖVP und SPÖ


Bundesrat
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möchte ich gleich vorweg eines festhalten: Ich vertrete hier nicht die beiden Regierungsparteien. (Bundesrat
Konečny: Dafür hätten wir uns auch sehr bedankt! – Weitere Zwischenrufe bei SPÖ und ÖVP.) Ich vertrete nicht die Regierungsparteien, die, wie bereits von Präsidenten Schambeck festgestellt worden ist, ein Budget zu sanieren haben, das sie selbst verwirtschaftet haben. Aber – das ist jetzt wichtig – ich vertrete in der Länderkammer das Land Niederösterreich, und ich bin nicht bereit, aus gewissen anderen Gründen Parteipolitik von ÖVP und SPÖ zu vertreten. (Beifall bei den Freiheitlichen. )

Herr Präsident Schambeck! Ich bitte ein wenig um Ihre Aufmerksamkeit! Man hätte fast in Heiterkeit ausbrechen können, wenn man Ihnen zugehört hat. (Bundesrat Dr. Schambeck: Auch dazu trage ich bei! – Beifall und Heiterkeit bei ÖVP und SPÖ. – Bundesrat Dr. Schambeck: Ich habe einmal ein politisches Witzbuch herausgegeben! – Heiterkeit.) Haben Sie das über Ihre eigene Partei oder über Österreich im allgemeinen geschrieben? (Bundesrat Dr. Schambeck: Das Buch ist vergriffen, aber im Klub hat es einen Sonderplatz!) Ein Witzbuch über die ÖVP werde ich mir sicherlich kaufen!

Jetzt möchte ich fortschreiten. Herr Präsident Schamböck hat hier am Rednerpult behauptet ... (Rufe bei der ÖVP: Schambeck!) Er hat meinen Namen auch einmal ganz falsch ausgesprochen, also steht das auch mir zu! (Bundesrat Dr. Schambeck: Ich habe ihn überhaupt nicht ausgesprochen!) Sie haben ihn überhaupt nicht ausgesprochen? (Heiterkeit bei der ÖVP.)

Herr Professor! Sie haben hier behauptet, daß vor allem die niederösterreichischen Bundesräte und der Klub der ÖVP Niederösterreich sehr wohl genügend Zeit gehabt haben, sich alle Änderungen durchzusehen und eventuelle Auswirkungen auf die Länder, hinsichtlich Finanzen et cetera, zu kontrollieren und zu begutachten. Sie haben dann gesagt, daß die niederösterreichischen Freiheitlichen diese Möglichkeit nicht gehabt haben. (Bundesrat Ing. Penz: Sie haben nicht zugehört!) Sie haben dann Zeit, Herr Präsident, nein, Präsident sind Sie nicht, entschuldigen Sie, Herr Direktor Penz, hier zu sprechen! Wenn Sie jetzt nicht zuhören und dazwischenreden, vergeuden Sie nur die Zeit! (Zwischenrufe des Bundesrates Dr. Schambeck und des Bundesrates Pramendorfer. )

Sie haben behauptet, daß auch der oberste Repräsentant von Niederösterreich – soweit ich weiß, ist das noch immer Landeshauptmann Dr. Erwin Pröll – begutachtet habe und Einsicht nehmen konnte. Darauf bezieht sich meine Bemerkung von zuerst, daß ich bei Ihrer Rede fast in Heiterkeit ausgebrochen wäre. Sie werden jetzt aber sicherlich nicht in Heiterkeit ausbrechen, denn ich lese Ihnen jetzt etwas Schönes vor. – Das Amt der Niederösterreichischen Landesregierung, die Landesamtsdirektion, hat nämlich betreffend Änderung des Umweltförderungsgesetzes geschrieben: "Die NÖ Landesregierung beehrt sich, zum Entwurf eines Bundesgesetzes, mit dem das Umweltförderungsgesetz geändert wird, wie folgt Stellung zu nehmen:

Grundsätzlich muß bedauert werden, daß derart tiefgreifende umweltpolitische Maßnahmen, wie sie in der vorliegenden Novelle enthalten sind, mit einer extrem kurz bemessenen Begutachtungsfrist ausgesendet werden. Aus diesem Grund war auch eine ordnungsgemäße Befassung der betroffenen Fachabteilung des Amtes der NÖ Landesregierung und eine fristgerechte Beschlußfassung durch die NÖ Landesregierung nicht möglich.

Eine Nichtabgabe einer Stellungnahme bedeutet jedoch keine generelle Zustimmung.

Unterzeichnet: NÖ Landesregierung, Landeshauptmann" – ehemaliger Königsmacher – "Dr. Erwin Pröll". (Beifall bei den Freiheitlichen. )

Sie haben weiters erwähnt, daß ein Mehraufwand des Landes geprüft worden ist und dieser nicht vorliegt. – Dazu zitiere ich denselben Absender: "Änderung des Altlastensanierungsgesetzes". Die ersten zwei Absätze erspare ich euch, denn sie lauten genauso wie im bereits zitierten Schreiben.

Dann heißt es: "In der Zeit, die zur Begutachtung zur Verfügung stand, war eine Erhebung dieses Mehraufwandes nicht möglich. Unterzeichnet: NÖ Landesregierung, Dr. Erwin Pröll, Landeshauptmann". (Beifall bei der Freiheitlichen. )


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Zum Strukturanpassungsgesetz 1996 heißt es: "Grundsätzlich muß bedauert werden, daß derart tiefgreifende finanz- und steuerpolitische Maßnahmen, wie sie in der vorliegenden Sammelnovelle enthalten sind, mit einer derart extrem kurzen Bemessungsbegutachtungsfrist ausgesendet werden. Aus diesem Grund war eine ordnungsgemäße Befassung der betroffenen Fachabteilung des Amtes für NÖ Landesregierung und eine fristgerechte Beschlußfassung durch die NÖ Landesregierung nicht möglich. Eine Nichtabgabe einer Stellungnahme bedeutet keine generelle Zustimmung." (Bundesrat Dr. Prasch: So ist es!)

So könnte ich noch länger fortfahren. So dick ist der Stoß. Mir tut das fast weh: Die Bundesräte der ÖVP haben Bescheid gewußt und haben Pröll, dem obersten ÖVP-Mann von Niederösterreich, nichts gesagt. Seid ihr zerstritten mit eurem Königsmacher? Oder habt ihr ein ÖVP-internes Problem in Niederösterreich? (Beifall bei den Freiheitlichen. )

In diesem Fall ist ein Ausbruch der Heiterkeit sehr wohl berechtigt. Ich schäme mich im Namen meiner Fraktion für die ÖVP-Fraktion von Niederösterreich im Interesse der niederösterreichischen Bürger! (Beifall bei den Freiheitlichen. )

9.41

Präsident Johann Payer: Meine Damen und Herren! Ich habe von meinem Recht, die Redezeit für diese Debatte auf fünf Minuten zu beschränken, nicht Gebrauch gemacht. Ich ersuche Sie aber aus zeitökonomischen Gründen, da wir inhaltlich heute noch sehr viel vorhaben, sich selbst in Ihrer Redezeit etwas zu beschränken.

Es liegt mir weiters die Wortmeldung des Kollegen Pfeifer vor. Ich erteile ihm das Wort. (Bundesrat Eisl: Jetzt bin ich gespannt!)

9.41

Bundesrat Josef Pfeifer (SPÖ, Kärnten): Herr Präsident! Hohes Haus! Meine Damen und Herren! Daß Kollege Waldhäusl die Regierung beziehungsweise die ÖVP oder SPÖ hier nicht vertritt, ist ein Riesenglück für dieses Haus. Ich kann nur sagen: Gott sei Dank! (Beifall bei SPÖ und ÖVP. )

Jetzt zu dir, Kollege Prasch! Wenn etwas – wie die Beamtenmeinung, die ich hochschätze, auch die der Kärntner Beamten – euch in den Kram paßt, dann ist alles für euch gut, wenn euch etwas aber nicht in den Kram paßt, dann ist alles wieder umgekehrt. – Das haben wir immer wieder von Ihnen erlebt und erleben es auch immer wieder. (Zwischenruf des Bundesrates Dr. Prasch. )

Ich kann nur eines sagen: Diese Stellungnahme lag doch vor, bevor der Nationalrat Beschlüsse fassen konnte.

Meine Damen und Herren! Ich schließe mich den Ausführungen meines Fraktionsführers Konečny und des Herrn Professors Schambeck an, um Schaden abzuwenden. Denn auch ich habe hier im Bundesrat einen Eid geleistet und fühle mich verpflichtet, einen größeren Schaden für diese Republik abzuwenden.

Noch etwas, liebe Kärntner Freunde: Ich werde es nicht zulassen und auch nicht mitmachen, daß die Diskussion, die wir in Kärnten zu führen haben, auf Wiener Ebene und hier im Bundesrat weitergeführt wird. (Beifall bei der SPÖ. )

9.43

Präsident Johann Payer: Weiters zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesrat Ing. Penz. Ich erteile dieses.

9.43

Bundesrat Ing. Johann Penz (ÖVP, Niederösterreich): Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Bundesminister! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es war hier in diesem Haus eigentlich immer üblich, daß man sich gegenseitig Respekt gezollt hat. Ich empfinde es als einen Akt der Höflichkeit, daß man jenen Rednern zuhört, die hier am Rednerpult stehen. (Zwischenruf des Bundesrates Waldhäusl. ) Und wenn man die notwendige geistige Kapazität hat, dann merkt


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man sich auch, was die Leute hier sagen, welche Namen sie nennen und was sie zum Ausdruck bringen.

Ich möchte daher in aller Klarheit festhalten – das ist auch im Protokoll nachlesbar –, daß Herr Präsident Dr. Schambeck kein einziges Mal in seiner Wortmeldung vom heutigen Tag den Namen des Bundeslandes Niederösterreich oder den Namen Dr. Erwin Pröll in den Mund genommen hat. (Bundesrat Waldhäusl: Sie müssen besser aufpassen! – Bundesrat Dr. Pasch: Es ging um den obersten Niederösterreicher! Haben Sie nun aufgepaßt oder nicht?)

Herr Dr. Prasch! Sie können mir glauben, daß ich weiß, daß Dr. Pröll der Landeshauptmann von Niederösterreich ist. (Bundesrat Dr. Prasch: Hoffentlich!) Dazu brauche ich Ihre Belehrung wirklich nicht und auch nicht jene von Kollegen Waldhäusl. (Beifall bei der ÖVP. )

Mir ist Ihre Vorgangsweise verständlich, daß Sie hier zum Auftakt vielleicht einen gewissen Schwung hineinbringen möchten. Wenn es aber Ihre Strategie und Ihre Politik sein sollte, zu diffamieren und Dinge zu behaupten, die gar nicht gesagt wurden, dann möchte ich Sie doch bitten, davon Abstand zu nehmen! (Bundesrat Waldhäusl: Hören Sie besser zu!) Sie haben hervorragende Persönlichkeiten auch in der Freiheitlichen Partei und auch hier im Bundesrat, die das nicht notwendig haben, meine Damen und Herren! Wir sind es der österreichischen Bevölkerung schuldig, daß wir in einer solchen Stunde, in der es um die Sanierung des österreichischen Staatshaushaltes, um den Wirtschaftsstandort Österreich in Europa und in der Welt, um die Arbeitsplätze dieser Bevölkerung und um die Zukunft unserer Kinder geht, mit Ernsthaftigkeit und auch mit dem entsprechenden Niveau diskutieren. – Das wäre meine Bitte an diesem heutigen Tage! (Beifall bei der ÖVP. – Bundesrat Dr. Prasch: Jawohl, Herr Oberlehrer! )

9.46

Präsident Johann Payer: Weiters zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesrat Weiss. Ich erteile dieses.

9.46

Bundesrat Jürgen Weiss (ÖVP, Vorarlberg): Herr Präsident! Herr Bundesminister! Hohes Haus! Herr Kollege Waldhäusl hat am Beginn seiner Ausführungen das Bedürfnis gehabt, klarzustellen, daß er nicht für die Regierungsparteien spreche. – Nachdem ich seine Ausführungen gehört habe, muß ich sagen: Gott sei Dank! (Beifall bei der ÖVP. )

Sie haben eine Reihe von Stellungnahmen des Amtes der Niederösterreichischen Landesregierung zitiert. Man könnte das beliebig fortsetzen, quer durch Österreich. Dem ist auch nichts entgegenzusetzen. Es ist gar keine Frage, daß ein so komplexes Unterfangen wie die zukunftssichere Sanierung des Staatshaushaltes natürlich auch mit Mängeln im Detail behaftet sein kann. Das kennen wir auch aus dem Ausland und aus ähnlichen großen Projekten. Es ist auch völlig richtig, daß man solche Mängel nicht verschweigt und unter den Teppich kehrt. Man soll sich ihnen stellen. Ich halte es für die Pflicht jener, die die Gesetze zu vollziehen haben, daß sie frühzeitig darauf aufmerksam machen, wo Probleme liegen könnten, um zu sensibilisieren, daß man vielleicht manches noch ändert oder in künftige Überlegungen einfließen läßt. Es wird auch die nachfolgende Debatte vielfach Gelegenheit bieten, zu sagen, daß da und dort bei guter Zeit und Gelegenheit etwas verbessert werden könnte. – Das ist das eine.

Das zweite ist aber, wie man mit dieser Detailkritik umgeht und welchem Zweck sie dient. In diesem Punkt unterscheiden wir uns grundlegend, Herr Kollege Waldhäusl. (Bundesrat Waldhäusl: Gott sei Dank!) Wir wollen durch diese Detailkritik, die auch wir teilweise vorbringen und mittragen, dazu beitragen, daß das Gesamte in seinem Kern erhalten bleibt und verbessert wird. – Das ist Ihnen jedoch offenbar kein Anliegen.

Wenn Sie hier festgehalten und betont haben, daß Sie die Länder vertreten, dann muß ich Ihnen sagen: Sie sind uns allerdings ein einziges Schreiben schuldig geblieben, nämlich jenes der politischen Führung des Landes Niederösterreich – oder auch Kärntens oder auch Vorarlbergs – vertreten durch die gewählte Organe, aus deren Kritik im Detail und deren Hinweis auf Verbesserungsmöglichkeiten der Schluß gezogen werden könnte, daß dieses Gesetzespaket


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heute nicht behandelt oder beeinsprucht werden sollte. – Das Gegenteil ist nämlich der Fall: Wenn Sie sich die Mühe machen und sich mit den Zuständigen der Länder diesbezüglich unterhalten – ich habe das in meinem Land getan –, dann können Sie feststellen, daß diese großes Interesse daran haben, daß dieses Sanierungswerk endlich abgeschlossen wird.

Ich ersuche Sie, bei allen Diskussionen, die wir heute noch dazu führen werden, zu bedenken: Dieses Gesetzespaket ist mit allen Mängeln und mit allen guten Auswirkungen, die es hat, entscheidungsreif, und durch ein Vertagen auf die nächste Sitzung gewinnen wir in der Sache selbst nichts. Das Land erleidet darunter allerdings Schaden. (Beifall bei ÖVP und SPÖ. )

9.49

Präsident Johann Payer: Zu Wort gemeldet sich Herr Bundesrat Dr. Tremmel. – Bitte, Herr Bundesrat.

9.49

Bundesrat Dr. Paul Tremmel (Freiheitliche, Steiermark): Herr Präsident! Herr Bundesminister! Meine Damen und Herren! Geschätzter Vorredner Herr Bundesrat Weiss, Sie waren als Minister besonders verdienstvoll. (Bundesrat Dr. Schambeck: Er ist immer verdienstvoll!) Eilen Sie nicht immer voraus, Herr Präsident! Herr Bundesrat Weiss war als Minister besonders verdienstvoll deswegen, weil in seiner Zeit legistische Richtlinien erlassen wurden. (Bundesrat Dr. Schambeck: Bundesrichtlinien!) Jawohl, es wurden Richtlinien des Bundes erlassen, wie ein Bundesgesetz entstehen sollte. Und ich bin mir ganz sicher, daß Sie genau wissen, was in diesen Richtlinien steht, daß nämlich ein Gesetz einfach formuliert sein, daß es keine Schachtelnovellierungen enthalten und daß es einen Zeitraum des Versuches geben sollte, so wie man etwa beim Wasserrechtsgesetz vorgegangen ist. Auf diese Feststellung wurde besonderer Wert gelegt. All das haben Sie, Herr Weiss, richtig, gut, hervorragend formuliert.

Ich habe Verständnis dafür, wenn eine Gesetzesvorlage zur Beschlußfassung vorliegt, die im Detail – wie Sie selbst erwähnt haben – noch nicht ganz ausgefeilt ist. Ich meine jedoch, daß im gegenständlichen Fall – und ich werde heute noch einige Beispiele in der weiteren Debatte darüber bringen – ganz erhebliche Mängel der Gesetzwerdung vorhanden sind. Einen davon hat Herr Präsident Schambeck unbewußt erwähnt, nämlich jenen, welcher in der Novellierung des Übergangsgesetzes 1920 noch in der Vorlage des Ausschusses in einem Konvolut von 300 und noch mehr Seiten enthalten ist: Daß diese einem kleinen Abgeordneten wie mir nicht auffällt oder entgehen könnte, verstehe ich, es ist aber unwahrscheinlich, daß diese etwa der Steiermärkischen Landesregierung – ich werde die Stellungnahme dann später zitieren – und auch anderen Landesregierungen überhaupt nicht aufgefallen ist, daß nämlich erhebliche Länderrechte, Verfassungsrechte beschnitten werden sollten.

Meine Damen und Herren! Das scheint Sie an und für sich nicht zu rühren. Ich werde Ihnen aber, wie gesagt, diese Stellungnahme dann in der materiellen Debatte noch zu Gemüte führen. (Bundesrat Konečny: Das Gehör genügt!)

Herr Kollege Pfeifer! Wenn Sie von Schaden sprechen, dann kann ich Ihnen sagen: Wir sind auch für Schadensbegrenzung, und zwar dahin gehend, daß das explodierende Defizit von 1,3 Billionen Schilling nicht weiter explodiert.

Meine Damen und Herren! "Strukturanpassungsgesetz" ist eigentlich der falsche Name für dieses Gesetz. Es müßte "Umschuldungs- oder Schuldenverschiebungsgesetz" heißen. Herr Kollege Konečny hat forsch gesagt, daß es keine Auswirkungen auf die Länder gibt: Lesen Sie doch etwa im Finanzausgleich einmal nach, welche Auswirkungen die Finanzverteilung auf die einzelnen Bundesländer hat. (Bundesrat Konečny: Lesen Sie zuerst einmal das Protokoll, was ich gesagt habe!) Wie mit einem Regenwurm an der Angel hat man die Länder geködert, damit sie zustimmen, meine Damen und Herren! Sie gehen darüber hinweg, was hier verankert ist. Ich gebe zu: Nicht jeder ist an finanziellen Auswirkungen interessiert. Wir sollten es allerdings sein. Aber wenn Sie über föderalistische verfassungsrechtliche Bedenken hinweggehen, meine Damen und Herren, dann ist das nicht nur bedauerlich, sondern dann gefährden Sie das, was Sie immer wieder herbeiwünschen und herbeiloben wollen, nämlich daß der Bundesrat in seiner Effizienz erhalten bleibt. (Beifall bei den Freiheitlichen. )


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612. Sitzung / Seite 16

In einem Brief des Bundeskanzleramtes vom 19. 4.1984 wurde im Zusammenhang mit Stellungnahmen zu Bundesgesetzen in bezug auf Artikel 98 verlangt, daß dem Bund bei Landesgesetzen mit finanzieller Folgewirksamkeit zumindest eine sechswöchige Stellungnahmefrist eingeräumt wird. – In diesem Fall, meine Damen und Herren, währte die Frist zur Stellungnahme nur wenige Tage. Bei einem Gesetzeswerk, das mit den Gegenüberstellungen und mit den Regierungsvorlagen ein Konvolut von 1 400 Seiten ist, geben Sie den Bundesräten nur eineinhalb Tage Zeit, dieses durchzusehen. Im Ausschußbericht ist nichts vorhanden, was auf die Verschiebungen, Absetzungen und Korrekturen hindeutet. Dabei sind allein 70 Seiten Korrekturen, meine Damen und Herren, zugegangen. Noch gestern ist eine Korrektur zugegangen. Ein ordentlicher Bundesrat, der sich entsprechend vorbereiten wollte, hatte nicht die Möglichkeit dazu!

Sie haben gesagt, daß die Landesregierungen haben nicht entsprechend agiert haben. Ich habe hier ein Schreiben der Steiermärkischen Landesregierung, unterzeichnet durch Landeshauptfrau Klasnic beziehungsweise durch den Leiter des Verfassungsdienstes, Dr. Gerhard Willinger, für die Steiermärkische Landesregierung. – In diesem heißt es: "Die eingeräumte Frist zur Stellungnahme ist so kurz, daß eine ernsthafte Befassung mit dem Entwurf nicht erwartet werden kann. Diese Vorgangsweise stellt einen Affront gegenüber den Ländern dar, zumal sich der Bund im Rahmen des Verfahrens gemäß Artikel 98 B-VG eine Begutachtungsfrist von jedenfalls sechs Wochen" – ich habe das Schreiben des Bundeskanzleramtes zitiert – "vorbehalten hat. Wenngleich eine so lange Frist in dringlichen Fällen nicht immer eingehalten werden kann, muß doch eine Mindestfrist von zwei Wochen als unbedingt erforderlich angesehen werden, soll nicht die Anfrage des Bundes eine bloße Alibihandlung sein."

Herr Professor Schambeck! Sagen Sie mir, ob das eine Zustimmung ist! – Ich glaube, das ist keine Zustimmung. So verhält es sich mit allen maßgeblichen Gesetzesmaterien: Im Hinblick auf das Budgetbegleitgesetz, das Beamten-Dienstrechtsgesetz, das Budgetkonsolidierungsgesetz, das Studienförderungsgesetz, das Gesetz für die land- und forstwirtschaftlichen Bundesanstalten, das Weingesetz, das Militärauszeichnungsgesetz, das Auslandseinsatzgesetz, das Familienlastenausgleichgesetz, das Umweltförderungsgesetz, das Altlastensanierungsgesetz hörte ich: Das hat keine Auswirkungen auf die Länder und auf die föderalistische Struktur. – Ja was hat denn dann überhaupt noch eine solche Auswirkung nach Ihrer Meinung, Herr Kollege Konečny?

Es gibt auch eine Zustimmung, zum Beispiel zum Sicherheitspolizeigesetz. Aber in diesem Fall würde schlicht und einfach eine Gebührenerhöhung ausreichen, meint man in der Stellungnahme, denn dieses Strukturanpassungsgesetz oder Umschuldungsgesetz, wie ich es bezeichnen würde, soll nur die riesengroßen Budgetlöcher stopfen. – Ich bezweifle allerdings, daß sie gestopft werden können.

Meine Damen und Herren! Weil es wirklich ganz erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken und Vorbehalte gibt, daß das, was Sie jetzt tun, zur Sanierung der Staatsfinanzen ausreicht, und weil eine ordnungsgemäße Befassung aufgrund der Zeitknappheit und der hingeschluderten Gesetze, die teilweise wirklich mit Fehlern behaftet sind – ich werde sie in der materiellen Debatte noch darlegen –, hier nicht möglich ist, stelle ich den Antrag auf namentliche Abstimmung gemäß § 54 der Geschäftsordnung und bitte Sie, Herr Präsident, die Unterstützungsfrage zu stellen. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

9.58

Präsident Johann Payer: Gibt es noch weitere Wortmeldungen? – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Ich bitte diejenigen, die die namentliche Abstimmung unterstützen, um ein Handzeichen. – Das ist ausreichend. Es gibt daher eine namentliche Abstimmung.

Wir müssen die Namensliste vorbereiten, und ich bitte um ein wenig Geduld.


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612. Sitzung / Seite 17

Ich komme nun zum Antrag des Dr. Kapral: Sie haben den Antrag des Dr. Kapral auf Vertagung des Tagesordnungspunktes 1 gehört. Ich lasse darüber gemäß § 54 Abs. 3 der Geschäftsordnung des Bundesrates nun namentlich abstimmen.

Die Stimmabgabe erfolgt nach Aufruf des Namens mündlich mit "Ja" – wenn man dem Antrag des Dr. Kapral zustimmt – oder "Nein".

Ich ersuche nunmehr die Schriftführung um Aufruf der Bundesräte in alphabetischer Reihenfolge.

(Über Namensaufruf durch die Schriftführerinnen Markowitsch und Giesinger geben die Bundesrätinnen und Bundesräte ihr Stimmverhalten mit "Ja" oder "Nein" bekannt.)

Präsident Johann Payer: Wir kommen nun zum Ergebnis der namentlichen Abstimmung.

Ich gebe bekannt: Es entfallen auf den Antrag des Bundesrates Dr. Kapral 11 "Ja"-Stimmen und 40 "Nein"-Stimmen.

Das ist die Minderheit. Der Antrag ist abgelehnt, und es bleibt daher bei der vorgesehenen Tagesordnung.

*****

Mit "Ja" stimmten die Bundesräte:

Dr. Bösch;

Eisl;

Dr. Harring, Haubner;

Dr. Kapral;

Mag. Langer;

Dr. Prasch;

Dr. Riess-Passer;

Dr. Tremmel;

Waldhäusl, Weilharter.

Mit "Nein" stimmten die Bundesräte:

Bieringer;

Crepaz;

Drochter;

Fischer, Freiberger;

Giesinger, Ing. Grasberger, Gstöttner;

Hager, Haselbach, Hüttmayr;

Jaud;

Kainz, Konečny, Kraml;


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612. Sitzung / Seite 18

Dr. Ludwig, Lukasser;

Markowitsch, Dr. h. c. Mautner Markhof;

Payer, Ing. Penz, Perl, Pfeffer, Pfeifer, Pischl, Platzer, Ing. Polleruhs, Pramendorfer;

Rauchenberger, Mag. Repar, Richau, Rieser, Rodek, Rösler;

Dr. Drs h. c. Schambeck, Schaufler, Schicker;

Mag. Tusek;

Weiss, Winter.

*****

Ankündigung einer Erklärung des Landeshauptmannes von Salzburg

Präsident Johann Payer: Bevor ich in die Tagesordnung eingehe, gebe ich noch bekannt, daß mir der neugewählte Landeshauptmann von Salzburg, Dr. Franz Schausberger, mitgeteilt hat, in der heutigen Sitzung eine mündliche Erklärung abgeben zu wollen. Ich werde – falls sich dagegen kein Einwand erhebt, dem Herrn Landeshauptmann um 15 Uhr – jedoch ohne Unterbrechung des Redners – das Wort erteilen.

Werden dagegen Einwendungen erhoben? – Dies ist nicht der Fall. Ich werde daher in diesem Sinne vorgehen.

Überdies gebe ich noch bekannt, daß mir ein von fünf Bundesräten unterstütztes Verlangen gemäß § 38 Abs. 4 der Geschäftsordnung vorliegt, im Anschluß an die Erklärung des Herrn Landeshauptmannes eine Debatte durchzuführen.

1. Punkt

Beschluß des Nationalrates vom 19. April 1996 betreffend Strukturanpassungsgesetz 1996 (72 und 95/NR sowie 5161, 5162, 5163, 5164, 5165 und 5166/BR der Beilagen)

Präsident Johann Payer: Wir gehen nunmehr in die Tagesordnung ein und gelangen zum 1. Punkt der Tagesordnung: Strukturanpassungsgesetz 1996.

Die Berichterstattung hat Herr Bundesrat Karl Hager übernommen. Ich bitte um den Bericht.

Berichterstatter Karl Hager: Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Bundesminister! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wegen der angespannten budgetären Lage sind in Begleitung des Bundesfinanzgesetzes 1996 Einsparungen im größtmöglichen Maße vorzunehmen. Ziel des gegenständlichen Beschlusses des Nationalrates ist eine längerfristige Entlastung des Bundeshaushaltes unter Berücksichtigung der sozialen Ausgewogenheit der geplanten Maßnahmen sowie die Erschließung neuer Einnahmen. Dies soll durch kostensenkende Regelungen in verschiedensten Bereichen – wie zum Beispiel im öffentlichen Dienst, im Bereich der Sozialleistungen, der Sozialversicherung, des Steuerrechts, des Familienlastenausgleichs und im Bereich der Universitäten und Hochschulen –, verbunden mit neuen Abgaben und Ausgliederungen aus der öffentlichen Verwaltung, erreicht werden.

Hinsichtlich der Gliederung des Strukturanpassungsgesetzes 1996 darf ich auf den Ausschußbericht verweisen.

Als Bundesverfassungsgesetze normiert sind Artikel 40 (Änderung des Endbesteuerungsgesetzes) und Artikel 63 (Änderung des Finanz-Verfassungsgesetzes 1948). Diese Bundesverfassungsgesetze schränken die Zuständigkeit der Länder in Gesetzgebung und Vollziehung


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612. Sitzung / Seite 19

nicht ein und bedürfen daher nicht der Zustimmung des Bundesrates gemäß Artikel 44 Abs. 2 B-VG.

Verfassungsbestimmungen enthalten die Artikel 15 (Änderung des Pensionsreform-Gesetzes 1993) Z. 1 und 2, Artikel 39 (Änderung des Einkommensteuergesetzes 1988) Z. 39 (§ 34 Abs. 7 Z. 5), Z. 72 (§ 117 Abs. 7 Z. 1) und Z. 78 (§ 124a), Artikel 41 (Änderung des Körperschaftsteuergesetzes 1988) Z. 14 (§ 26b Abs. 1 und 4), Artikel 42 (Änderung des Umgründungssteuergesetzes) (Z. 10), Artikel 55 (Änderung des Bundesfinanzierungsgesetzes) Z. 1 (§ 2 Abs. 1 Z. 10), Artikel 64 (Änderung des Finanzausgleichsgesetzes 1993) Z. 10 (§ 8 Abs. 4), Z. 17 (§ 25 Abs. 5) und Artikel 65 (Finanzausgleichsgesetz 1997) § 8 Abs. 8 sowie § 23 Abs. 3. Diese Verfassungsbestimmungen schränken die Zuständigkeit der Länder in Gesetzgebung und Vollziehung nicht ein und bedürfen daher nicht der Zustimmung des Bundesrates gemäß Artikel 44 Abs. 2 B-VG.

Artikel 59 (Änderung des BIG-Gesetzes) unterliegt gemäß Artikel 42 Abs. 5 B-VG nicht dem Einspruchsrecht des Bundesrates.

Der Finanzausschuß stellt nach Beratung der Vorlage am 23. April 1996 mit Stimmenmehrheit den Antrag, gegen den vorliegenden Beschluß des Nationalrates – soweit dieser dem Einspruchsrecht des Bundesrates unterliegt – keinen Einspruch zu erheben.

Präsident Johann Payer: Ich danke für die Berichterstattung.

Wir gehen in die Debatte ein.

Zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesrat Dr. Peter Kapral. Ich erteile dieses.

10.11

Bundesrat Dr. Peter Kapral (Freiheitliche, Wien): Herr Präsident! Herr Bundesminister! Sehr geehrte Damen und Herren! Hohes Haus! Es kommt heute aufgrund des Verhaltens der altkoalitionären Regierungsparteien und ihrer Vertreter mehr als sonst nur zu einer Scheindebatte. Es ist den Vertretern der Länder im Gesetzgebungsverfahren des Bundes – das sind die Damen und Herren Bundesräte – nicht fundiert möglich, die Meinung der Länder zu diesem umfangreichen und unübersichtlichen Konvolut eines Strukturanpassungsgesetzes einzubringen. Der Name "Strukturanpassungsgesetz" ist überdies noch eine irreführende und reichlich vermessene Bezeichnung für ein Gesetz, mit dem rund 90 Novellierungen bestehender Gesetze und rund zehn neue Gesetze im Rahmen eines einzigen Gesetzesbeschlusses verabschiedet werden sollen. Strukturelle Maßnahmen, die auf eine nachhaltige Sanierung des Krisenfalles in Österreich abzielen, sind nicht wirklich enthalten. – Ich komme darauf noch zurück. Dennoch möchte ich zu diesem Tagesordnungspunkt einige grundsätzliche Bemerkungen machen:

Zunächst möchte ich den Umstand betonen, daß Österreich zwar ein föderalistisch aufgebauter Bundesstaat ist, daß aber im Falle des Falles doch die Rechte der Länder gerne übergangen werden, und zwar wenn es dem Bund gefällt, den Weg des Zentralismus zu gehen. Wie läßt sich sonst erklären, daß in den Stellungnahmen der Bundesländer, die wir ja eingangs gehört haben, zu den einzelnen Artikeln bemerkt wird, daß man sich wegen der Kürze der eingeräumten Begutachtungsfrist außerstande sehe, eine meritorische Stellungnahme abzugeben, und dies obwohl gewichtige Interessen der Länder betroffen sind, wie zum Beispiel die Einhebung einer zeitabhängigen Maut in Form einer Vignette. Bestimmungen im Einkommensteuergesetz, die sich auf die Altstadterhaltung und -sanierung negativ auswirken werden, oder auch die beabsichtigte Änderung des Altlastensanierungsgesetzes – um nur einige Beispiele zu nennen – zeigen, daß eine eingehende Befassung der Länder zweckmäßig und richtig gewesen wäre.

Es sollten sich daher jetzt mehr Stimmen der Kritik hier im Bundesrat erheben als nur die der freiheitlichen Opposition, wenn die Damen und Herren Bundesräte ihrer Aufgabe als Vertreter der Länderinteressen tatsächlich nachkommen wollen. Das viel strapazierte Argument, das allen berechtigten Änderungswünschen, von welcher Seite sie auch immer gekommen sein mögen, entgegengesetzt wurde, daß ein Aufschnüren des Paketes verhindert werden müsse, um die


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Sanierung des Staatshaushaltes nicht zu gefährden, kann im Falle dieser sachlichen und fundierten Kritik nicht akzeptiert werden. Die politischen Väter des Paketes sind von ihrer Unfehlbarkeit so überzeugt, daß sie das Begutachtungsverfahren zu einer Farce verkommen haben lassen. (Bundesrat Mag. Langer: Hört, hört!)

Ein Wort zur erfolgreichen Sanierung, deren sich die Koalitionspolitiker, sich quasi mit Vorschußlorbeeren bekränzend, rühmen: Einer Sanierung müssen immer eine Fehlentwicklung, eine Krise, eine Katastrophe vorausgegangen sein. Und mehr als 25 Jahre sozialistische beziehungsweise sozialdemokratische Finanzpolitik haben Österreich und seine Staatsfinanzen in eine solche krisenhafte Situation geführt. Daß in den letzten zehn Jahren dieser sozialdemokratischen Politik des uneingeschränkten Geldausgebens und des Anhäufens eines enormen Schuldenberges vom Koalitionspartner ÖVP die Mauer gemacht wurde, ändert daran nichts beziehungsweise macht diese Sache noch schlimmer. Wenn man sich jetzt seitens der ÖVP dessen rühmt, daß man sich erfolgreich für eine Sanierung eingesetzt habe, nicht zuletzt dadurch, daß nach kurzer Zeit die Wähler neuerlich zur Urne gerufen wurden, so übersieht man blauäugig, daß ein und dieselben Politiker der ÖVP, die sich jetzt als große Sanierer bezeichnen, in verantwortlicher Regierungsposition voll an der verschwenderischen Ausgaben- und Schuldenpolitik mitgewirkt haben. (Beifall bei den Freiheitlichen. – Zwischenruf des Bundesrates Bieringer. )

Dieses Spekulieren mit dem mangelnden Erinnerungsvermögen der Bürger und Bürgerinnen muß immer wieder aufgezeigt werden. Seien Sie versichert: Wir von der freiheitlichen Opposition werden immer wieder darauf hinweisen und diesen Umstand, daß Verschwendung und Sanierung in einer Person zusammenlaufen, aufzeigen. Sozialdemokratische Finanzminister haben ihr Ministeramt zur Verfügung gestellt. ÖVP-Politiker, die an ebenso verantwortlicher Position an der ungezügelten Ausgabenpolitik der letzten Jahre mitgewirkt haben, sind nach wie vor in wichtigen Schlüsselpositionen tätig und gerieren sich in der Öffentlichkeit jetzt als die großen Sanierer. (Bundesrat Mag. Langer: Abkassierer!)

Auch lobende Worte in der internationalen Presse, die hier im Hohen Haus zur eigenen Rechtfertigung – ich verweise auf Ausführungen von Herrn Professor Schambeck in einer der letzten Sitzungen – zitiert wurden, sind kein Beweis des Gegenteils. Das Vorschußlob für eine erfolgreiche Sanierung ist kein Gegenbeweis, mit dem die falsche Finanz- und Wirtschaftspolitik der vergangenen Jahre, die uns in diese – fast möchte ich sagen: katastrophale – Lage der öffentlichen Finanzen geführt hat, entkräftet werden kann. Erst die Zukunft wird zeigen, inwieweit es seine Rechtfertigung erfährt. Das Ausmaß der Belastungen, die das Belastungspaket dem einzelnen auferlegt, ist dem Bürger in seinem vollen Umfang noch gar nicht bewußt geworden. Das diesbezügliche böse Erwachen wird noch kommen.

Meine Damen und Herren von den altkoalitionären Parteien! Noch gelingt es Ihnen, den Bürgern teilweise weiszumachen, daß Sie Einsparungen bei den öffentlichen Ausgaben und neue Einnahmen im Verhältnis 2 : 1 festgelegt haben. – Wirtschaftsforscher haben Ihnen aber schon vor einiger Zeit nachgewiesen, daß dem nicht so ist, daß man bestenfalls von einem Verhältnis 1 : 1 zwischen Einsparungen und neuen zusätzlichen Einnahmen sprechen kann. Aber auch dieses Verhältnis stimmt nicht. Vielmehr wird die Zukunft zeigen, daß neue Belastungen nahezu vier Fünftel des Belastungspaketes ausmachen werden und lediglich ein Fünftel auf Einsparungen entfallen dürfte.

Daß Sie für dieses Belastungspaket die irreführende Bezeichnung "Strukturanpassungsgesetz" gewählt haben und daß der Finanzminister immer wieder gerne vom "Schließen von Steuerlücken" spricht, ist ein weiterer Beweis dafür, daß Sie bemüht sind, dem österreichischen Steuerzahler Sand in die Augen zu streuen.

Sie haben sich bemüht, zumindest Scheinerfolge bei der Bewältigung der großen Strukturprobleme, mit denen sich dieses Land konfrontiert sieht, zu erzielen. Ein Beispiel hiefür ist der Bereich der Gesundheitspolitik. Andere Strukturprobleme sind jedoch nach wie vor ungelöst. Dazu gehören der ganze Bereich der öffentlichen Verwaltung, das Problem der Altersvorsorge und der Pensionen. Gewisse Themen sind im Augenblick zwar aus der öffentlichen Diskussion


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verschwunden, gelöst sind die Probleme aber nicht. Auch im Bereich der Gesundheitspolitik sind die strukturellen Probleme nicht wirklich einer Lösung nähergebracht worden. Eine zukunftsgerichtete Politik fehlt überhaupt.

Bei den sogenannten Einsparungen wurden vor allem auch die Bereiche Wissenschaft, Forschung und Entwicklung stark betroffen. Als Vorsitzender des Wissenschaftsausschusses macht mich das sehr betroffen. Ich will hier nicht den Studentendemonstrationen und den Streiks an den Universitäten, die in den vergangenen Tagen und Wochen abgehalten wurden, das Wort reden. Sicher waren diese Aktionen aber zum Teil von echter Sorge um die Güte und das Niveau der wissenschaftlichen Ausbildung in diesem Land getragen – leider aber nur zum Teil. Der Großteil dieser Aktionen hatte einen anderen Hintergrund. Sie hatten zum Teil echte gesellschaftspolitische Änderungen zum Gegenstand. Auch manche Äußerungen von Vertretern des Mittelbaus, der Professoren und der Rektoren in diesem Zusammenhang dürfen nicht auf die Goldwaage gelegt werden. Sie zeigen aber dennoch, daß auch die Wissenschaftspolitik in diesem Land an einem Scheideweg angelangt ist. Die Vorgangsweise, die im Belastungspaket gewählt wurde, negiert die Notwendigkeit einer grundsätzlichen Neuorientierung, daß man sich nämlich auch mit den wirklich heißen Eisen wie Studentenzahlen, Zugang zu den Universitäten, Anbot an Studienrichtungen, dem Niveau der Ausbildung und damit auch dem Niveau der Ausgebildeten auseinandersetzen muß.

Ein Land wie Österreich, dessen natürliche Ressourcen begrenzt sind, lebt vom Geistkapital, vom Wissensstand und den Fähigkeiten seiner akademisch ausgebildeten Führungskräfte und vom Wissen und den Fähigkeiten aller im Arbeitsprozeß eingebundenen Kräfte, nicht zuletzt auch von der Tüchtigkeit unserer Facharbeiter. In diesen Bereich zu investieren, lohnt sich, hier unüberlegt zu sparen, rächt sich hingegen über kurz oder lang. Eine falsche Politik auf diesem Gebiet gefährdet unsere Zukunft, unseren Wohlstand und die noch gute Position Österreichs unter den Wirtschaftsländern dieser Welt. Es bedarf daher einer wohlüberlegten Vorgangsweise und nicht einer auf Konfrontation angelegten Politik, die die Interessen der Betroffenen negiert.

Von der Öffentlichkeit bedauerlicherweise nur unzureichend aufgedeckt wurde seit Jahren eine Politik der ständigen Kürzung öffentlicher Investitionen betrieben. Trotzdem ist der Spielraum für konjunkturelle Maßnahmen fast vollständig vertan worden. Im Hinblick auf das Sparbelastungspaket und die Notwendigkeit der Maßnahmen zur Linderung der augenblicklichen konjunkturellen Situation – ich darf nur daran erinnern, daß wir in diesem Winter die höchsten Arbeitslosenzahlen seit 1945 hatten – ist der Spielraum äußerst gering.

Die Behauptung, daß das aus den Fugen geratene Budget 1993, bei dessen Vollzug bekanntlich ein um rund 50 Prozent höherer Abgang als präliminiert entstanden ist, zum Abfedern negativer konjunktureller Auswirkungen notwendig war, erweist sich einmal mehr als Schutzbehauptung für mangelnde Disziplin. Mit diesem Budget hat sich die heute das Belastungspaket erzwingende Entwicklung deutlich nach außen manifestiert.

Jetzt führen Sie zum Beispiel eine Mautvignette ein, mit deren magerem Nettoerlös in der Höhe von 1,5 Milliarden Schilling ein rund 37 Milliarden Schilling umfassendes Straßenausbauprogramm zu finanzieren sein wird. Sie beabsichtigen, 60 Milliarden Schilling – bei genauem Hinhören stellt sich heraus, daß die 60 Milliarden Schilling auf fünf Jahre verteilt ausgegeben werden sollen – für den Ausbau der Schieneninfrastruktur aufzubringen. Woher diese Mittel kommen sollen, ist und bleibt aber offen.

Die Forschungsmilliarde wird immer wieder strapaziert. Um die Schaffung von 40 000 Arbeitsplätzen, von denen noch bei einem Beschäftigungsgipfel im Februar die Rede war, ist es bedenklich ruhig geworden. Das ist auch eine Sand ins Auge streuende Aussage. Sie wollen das Selbständigwerden fördern, führen aber gleichzeitig eine Mindeststeuer für die GesmbHs ein, die prohibitiv wirkt. Sie sichern – zumindest Ihrer Behauptung nach – den Wirtschaftsstandort Österreich und beseitigen für den Unternehmungsbereich wichtige steuerliche Maßnahmen beziehungsweise gestalten sie um. Tatsächlich erreichen Sie damit aber nur, daß allfällige Investoren das letzte Vertrauen in eine berechenbare und gestaltbare Wirtschaftspolitik dieses Landes verlieren.


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Sie sichern all dies mit Bundesverfassungsgesetzartikeln und Verfassungsbestimmungen ab, um die Unzulänglichkeit dieser Bestimmungen, wie rückwirkendes Inkrafttreten oder Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes, einer Überprüfung durch die Höchstgerichte zu entziehen. Sie lehnen sich zurück und lassen sich als die großen Sanierer den Ihnen wohlgesonnenen Medien und im Staatsrundfunk feiern.

Meine Damen und Herren! Meine Fraktionskollegen werden noch einige eklatante Beispiele Ihres Versagens aus der Sicht der Bundesländer bringen. Ich möchte abschließend noch auf die ursprünglich zur Behandlung vorgesehene Novellierung des Übergangsgesetzes 1920 zu sprechen kommen, mit der eine gravierende Beschneidung der Länderrechte vorgesehen ist.

Dieser Beschluß wurde im Nationalrat zurückgestellt und soll am 8. Mai behandelt werden. Ich erwähne das deswegen, weil die Länder in ihren Äußerungen dazu darauf hingewiesen haben, daß sie am 10. Mai in der Landeshauptmännerkonferenz zu dieser Thematik Stellung nehmen werden. Aber hier zeigt sich einmal mehr eklatant, wie Sie mit Länderrechten und Länderwünschen umspringen.

Bereits am 8. Mai wollen Sie im Nationalrat einen diesbezüglichen Beschluß fassen. Es trifft Sie gar nicht, daß die Meinungsbildung der Länder erst am 10. Mai erfolgt. Bei der in dieser Novelle vorgesehenen Abschaffung des Zustimmungsrechtes der Länder hinsichtlich der Änderung der Bezirksgerichtseinteilung zeigt sich einmal mehr, was Sie unter Föderalismus verstehen. Wenn die Länder nicht willig sind, sich den Intentionen des Bundes zu fügen, dann wird die Macht des Zentralstaates voll zur Geltung gebracht: Den Ländern wird mit einem Federstrich das ihnen eingeräumte Recht genommen.

Föderalismus darf aber nicht Gegenstand eines Lippenbekenntnisses sein, ein schönes Wort, das man in Sonntagsreden verwendet, sondern er muß tatsächlich gelebt werden. Die Bundesstaatsreform ist auf die lange Bank geschoben. Bekanntlich hat der EU-Beitritt Kompetenzverschiebungen über die nationalen Institutionen hinaus zu internationalen Gremien gebracht. Den Ländern wurden in diesem Zusammenhang Versprechungen für einen Ausgleich von Kompetenzverlusten gegeben. Eingelöst werden diese aber nicht, und damit wird dem Föderalismus ein schlechter Dienst erwiesen. Man sucht den Kontakt mit den Ländern nur dann, wenn man ihre Unterstützung braucht. Das sogenannte Strukturanpassungsgesetz und dessen Behandlung im Hohes Haus ist ein Lehrbeispiel dafür, wie man mit den Interessen der Länder nicht umgehen sollte. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Die sachlichen Einwände gegen diesen Gesetzesbeschluß sind bei vielen Gelegenheiten in der Vergangenheit dargelegt worden und werden auch heute noch erörtert werden. Meine Fraktion wird jedenfalls dem Antrag, keinen Einspruch zu erheben, nicht beitreten. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

10.32

Präsident Johann Payer: Zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesrat Gottfried Jaud. Ich erteile dieses.

10.32

Bundesrat Gottfried Jaud (ÖVP, Tirol): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Minister! Hoher Bundesrat! Sehr geehrte Damen und Herren! Lassen Sie mich am Beginn folgendes feststellen: Wenn es 1970 keine SPÖ-Regierung gegeben hätte, würden wir heute kein Sparpaket brauchen! (Beifall bei den Freiheitlichen. – Bundesrat Kraml: Das ist aber sehr weit hergeholt!)

Seit 1970 ist die Sozialistische Partei, heute Sozialdemokratische Partei, die führende Kraft in Österreich. Die Sozialdemokratische Partei trägt daher auch die Verantwortung für die heute so hohe Verschuldung des österreichischen Staates. (Bundesrat Mag. Langer: Seit zehn Jahren sind Sie mit schuld!)

In der Zeit der ÖVP-Regierungsmehrheit, meine Damen und Herren, die immerhin 25 Jahre währte, wurde von den ÖVP-Finanzministern eine sehr verantwortungsvolle Budget- und Geld-


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oder Währungspolitik betrieben. Im Verhältnis zu heute war der Staat praktisch schuldenfrei. Der österreichische Schilling war in dieser Zeit besser und stabiler als die D-Mark. Diese Behauptung, daß der Schilling die bessere Währung als die D-Mark sei, habe ich damals nicht in Österreich gehört, sondern von deutschen Finanzfachleuten. Trotzdem wurde in den Jahren vor 1970 von den Sozialisten im Parlament vehemente Kritik an der ÖVP-Finanzpolitik geübt. Ich erinnere mich noch ganz genau daran, meine Damen und Herren, als der sozialistische Abgeordnete Benya 1968 oder 1969 hier im Parlament sagte: 9 Milliarden Staatsschulden und eine Arbeitslosenquote von 2,3 Prozent sind ein Wahnsinn! (Bundesrat Dr. Tremmel: Das war Kreisky!) – Nein, das war Benya.

Als dann die Sozialisten die Steuergelder der Österreicher verwalteten, wurde alles ganz anders. Finanzminister Androsch warf das Geld mit beiden Händen beim Fenster hinaus; natürlich mit Unterstützung der SPÖ-Regierungsmehrheit. Statt einer antizyklischen Finanzpolitik wurde eine prozyklische Finanzpolitik betrieben. Zudem wurden von SPÖ-Finanzminister Androsch die Steuergelder für Konsumation ausgegeben, anstatt Investitionen zu forcieren. Nach meiner Meinung war das insgesamt eine dumme und falsche Finanzpolitik, die uns in die heutige Situation geführt hat.

Grotesk wird diese Situation dann noch dadurch, daß der damalige Finanzminister Androsch uns heute sagen möchte, was eine gute Finanzpolitik ist, ein Mann, der mit dem Begriff "deficit spending" ein Volk darüber getäuscht hat, daß gemachte Schulden auch einmal zurückgezahlt werden müssen. (Vizepräsident Dr. Schambeck übernimmt den Vorsitz.)

Die ÖVP hat seit dem Jahre 1970 immer wieder vor dieser Schuldenpolitik gewarnt, auch zu der Zeit, als sie Verantwortung trug. Es ist aber natürlich nicht besonders populär, eine verantwortungsvolle, sparsame Budgetpolitik einzumahnen. Trotzdem hat die ÖVP bis zum heutigen Tag davor gewarnt, zu hohe Schulden zu machen.

Der ehemalige ÖVP-Finanzminister Dr. Stephan Koren hat 1972 ganz vehement vor der Schuldenpolitik der SPÖ gewarnt. Er hat auch die heutige Situation, so wie sie jetzt herrscht, vorausgesagt, nämlich eine Staatsverschuldung, die keine Konjunkturmaßnahmen mehr zuläßt, und eine hohe Arbeitslosigkeit. Die SPÖ-Regierung unter Bundeskanzler Kreisky machte es sich aber ganz einfach. Sie bezeichnete Stephan Koren damals kurzerhand als Kassandrarufer vom Dienst und hat ihn damit mundtot gemacht. Sie alle kennen den gut durchdachten Ausspruch von Bundeskanzler Kreisky zur damaligen Zeit: Ein paar Millionen Schilling Schulden bereiten mir weniger Kopfzerbrechen als ein paar tausend Arbeitslose. (Bundesrat Rauchenberger: Das gilt heute auch noch!) – Das war ein guter Gag, nicht mehr. Solche Aussprüche haben ebenso kurze Beine wie die sozialistische Finanzpolitik. Natürlich haben die Wahlerfolge der Prasser in diesem Staat Teile der ÖVP hinsichtlich der Richtigkeit ihrer Politik verunsichert.

Das vorliegende Sparpaket der Koalitionsregierung, Strukturanpassungsgesetz genannt, beinhaltet auch Verfassungsbestimmungen. Es ist ein weiteres Verdienst der ÖVP, daß von den ursprünglich 31 Verfassungsbestimmungen, die im Entwurf enthalten waren, nur mehr 12 unbedingt notwendige Verfassungsbestimmungen im heute zum Beschluß vorliegenden Strukturanpassungsgesetz enthalten sind. Diese Verfassungsbestimmungen sind deshalb notwendig geworden, weil die Sozialdemokratische Partei mit ihrem Finanzminister vor einem halben Jahr noch keine Ahnung davon hatte oder die Augen davor verschloß, wie die Finanzsituation des Bundes tatsächlich aussieht.

Die ÖVP war 1995 nicht bereit, dem dilettantischen Budgetvoranschlag des SPÖ-Koalitionspartners die Zustimmung zu geben. Die deshalb notwendige Wahl hat das vorliegende Reformprogramm erst ermöglicht, und dieses Reformprogramm gibt uns die entsprechende Offensivkraft für die Zukunft. Das Budget 1996 beginnt am 1. Jänner 1996, und damit die Durchführbarkeit und die Wirksamkeit dieses Budgets gesichert sind, war es eben notwendig, diese zwölf Verfassungsbestimmungen in das Gesetz aufzunehmen. Ich bekenne mich dazu, denn dieses Reformprogramm gibt uns Kraft für die Gestaltung unseres Wirtschaftsstandorts und für die Erhaltung und Schaffung von Arbeitsplätzen, für die Absicherung unserer Familien und unserer Position in Europa, kurz: vor allem für Österreich.


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Als Tiroler bin ich dafür, daß die Vignette eingeführt wird. Wir alle müssen gemeinsam die Verantwortung für die Budgetkonsolidierung tragen, auch wenn in Tirol die Autobahnvignette kontroversiell diskutiert wird. Wenn wir in andere EU-Länder fahren, sind wir ohne weiteres bereit, eine viel höhere Maut zu bezahlen, und regen uns darüber überhaupt nicht auf. Durch Tirol fahren jedoch viele Fahrzeuge aus anderen Staaten, benützen unsere Autobahnstruktur und belasten unsere Umwelt ohne jede Gegenleistung. Gästen, die zu uns nach Tirol kommen, kann die Autobahngebühr von Tourismusbüros ja refundiert werden. Ein weiterer Grund meiner Zustimmung ist, daß mit den Einnahmen aus der Autobahnmaut wichtige Straßenbauvorhaben finanziert werden können. Wir in Tirol erwarten uns vor allem den Bau der Umfahrung Landeck.

Lassen Sie mich zum Schluß noch einige Bemerkungen zu den staatlichen Versicherungen machen. Die Sozialversicherung erhält wesentliche Mehreinnahmen aufgrund der Versicherungspflicht von Werkverträgen. Diese Mehreinnahmen sollen aber nicht in ein Faß ohne Boden fließen. Auch die staatlichen Versicherungen sind aufgerufen, eine Änderung ihrer Finanzgestaltung herbeizuführen. Es geht nicht an, daß, wenn zuwenig Geld vorhanden ist, einfach Beiträge erhöht und so die Produktionskosten in Österreich in die Höhe getrieben werden. Wir alle müssen uns nach der Decke strecken, also auch die staatlichen Versicherungen. Denn nur wenn der Wirtschaftsstandort wettbewerbsfähig bleibt, bleibt Österreich ein erstklassiger Arbeitsplatzstandort, und dann haben die Menschen in unserem Land eine sichere Zukunft.

Ein besonderes Anliegen betreffend die Volksgesundheit sind die ärztlichen Untersuchungen, die nach dem Mutter-Kind-Paß durchgeführt werden sollen. Bisher hat es dafür finanzielle Anreize gegeben. Ich freue mich darüber, daß Minister Bartenstein, wie uns im Ausschuß gesagt wurde, dieses Problem bereinigen möchte, Anreizsysteme überprüft und neue einführen will. Ich halte ein Anreizsystem, daß eine möglichst lückenlose Untersuchung nach dem Mutter-Kind-Paß vorgenommen wird, für unerläßlich. Es wäre ein grober politischer Fehler im Hinblick auf die Erhaltung der Volksgesundheit, die lückenlose Mutter-Kind-Paß-Untersuchung aufzugeben oder auch nur aufzuweichen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Schulden, die sich in 25 Jahren angesammelt haben, können ganz sicher nicht in 25 Jahren getilgt werden. Dennoch werden wir von der ÖVP unermüdlich auf die Erstellung eines geordneten Staatshaushalts dringen. Wie in der Vergangenheit wird die Volkspartei mit Wolfgang Schüssel die kommenden Herausforderungen meistern, und damit geben wir den Menschen Vertrauen, Hoffnung und Optimismus für die Zukunft. – Ich danke Ihnen. (Beifall bei der ÖVP.)

10.44

Vizepräsident Dr. Drs h. c. Herbert Schambeck: Zu Wort gemeldet ist weiters Frau Bundesrätin Hedda Kainz. Ich erteile es ihr.

10.44

Bundesrätin Hedda Kainz (SPÖ, Oberösterreich): Herr Präsident! Herr Staatssekretär! Meine Damen und Herren! Ich möchte meine Bemerkungen damit einleiten, daß ich die Formulierung von Dr. Kapral ganz entschieden zurückweise, daß ich mich an einer Scheindebatte beteilige. Ich gebe ihm recht: Die Materie ist umfangreich. Sie war nicht leicht zu bewältigen. (Bundesrat Dr. Tremmel: Sie war nicht zu bewältigen!) Es wird also noch einiger Nachträge bedürfen. (Bundesrat Dr. Kapral: Diese werden aber nichts nützen!) Ich werde durchaus auch für mich in Anspruch nehmen, Kritik an der einen oder anderen inhaltlichen Passage zu üben. Ich weise aber noch einmal ganz entschieden die Behauptung Dr. Kaprals zurück, daß es sich hier um eine Scheindebatte handelt. (Bundesrat Dr. Tremmel: Was ist es denn?) In vielem könnte ich Ihnen vielleicht inhaltlich recht geben, da ich in Ihrer Argumentation jedoch nur die Tendenz, die Oppositionsrolle wahrzunehmen, sehe, habe ich ehrliche Schwierigkeiten, Ihre Gedankengänge nachzuvollziehen und in meinen Überlegungen unterzubringen. – Das zur FPÖ.

Was mich jedoch ehrlich erschüttert hat, waren die Aussagen des Herrn Kollegen Jaud, der hier eine Wahlkampfrede gehalten hat, völlig vergessend, daß der Wahlerfolg nicht in dem Maß eingetreten ist, wie sich die ÖVP das erwartet hätte. Am meisten haben mich seine Ausführun


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gen erschüttert, mit denen er heute herrschende Zustände aus der Vergangenheit ableitet, völlig vergessend, daß das, was wir heute zu beraten haben, Ergebnis des Umstandes ist, daß es nicht rechtzeitig zur Erstellung der notwendigen Budgets und auch zur Vornahme notwendiger Kurskorrekturen gekommen ist.

Herr Dr. Kapral! Wenn Sie gemeint haben, daß heute einer Kurskorrektur zwangsläufig eine Krise vorausgehen muß, dann kann ich das nur zurückweisen. Ich denke nicht, daß Krisen Kurskorrekturen notwendig machen, sondern daß Kurskorrekturen Maßnahmen sind, mit denen man permanent die eigene Arbeit hinterfragt, was dann auch zu Reaktionen führen muß. – Das zur Einleitung. (Zwischenruf des Bundesrates Dr. Kapral. )

Ich nehme jetzt für mich in Anspruch, inhaltlich Kritik vor allem am Bereich des Sozialen zu üben. Ich nehme an, Sie verstehen, wenn Sie mein tagtägliches Betätigungsfeld in Betracht ziehen, daß ich zu diesem Bereich einige kritische Bemerkungen mache und daß ich auch davon ausgehe, daß die einschneidenden Veränderungen vor allem im Bereich der Sozialmaßnahmen anhand der grundsätzlichen Aussagen, die derzeit formuliert werden, nicht immer abschätzbar sind. Die tatsächlichen Auswirkungen werden die Betroffenen wahrscheinlich noch stärker belasten, als wir das jetzt vermuten. Das gebe ich gerne zu, und ich halte diese Befürchtung für berechtigt. Es wird also die Durchführung der entsprechenden Verordnungen aufmerksam zu beobachten sein.

Ich halte es jedoch für nicht gerechtfertigt und der Sache in keiner Weise dienlich, wenn man deshalb das Kind mit dem Bad ausschüttet und sagt, daß es heute noch zu keiner Beschlußfassung kommen kann, sondern eine Zurückstellung der Materie notwendig ist. Die eingeleiteten Maßnahmen, ob kritikwürdig oder nicht, sind notwendig und müssen so schnell wie irgendwie möglich umgesetzt werden. Wir haben keine Zeit mehr, die Lösung der Problematik hinauszuschieben. Viele Ihrer Behauptungen machen die Materie nicht besser, nicht richtiger und auch nicht leichter verkraftbar. Aber wie gesagt: Die Detailauswirkungen werden einige Gruppierungen voraussichtlich noch schwerer treffen, als wir das jetzt befürchten.

Ich möchte jetzt auf eine Gruppe zu sprechen kommen, die mir sehr am Herzen liegt, nämlich auf die alleinerziehenden Frauen, und zwar auf deren Situation, in der dann eben mehrere Maßnahmen greifen. Es kommen bei notwendigen Maßnahmen vielleicht Strukturmängel vielleicht zum Tragen, etwa gerade dann, wenn es darum geht, Kinderbetreuungseinrichtungen im ausreichenden Maße sicherstellen zu können. Die nicht im entsprechenden Umfang budgetierte Finanzierung von zusätzlichen Kinderbetreuungseinrichtungen ist sicher eine Maßnahme, die die Situation verschärft.

Grundsätzlich muß ich leider feststellen – ich tue dies in voller Verantwortung und eingedenk dessen, daß wir dieses Paket auch mittragen –, daß Frauen im Zusammenhang mit den notwendigen Korrekturen verstärkt und stärker als andere Gruppen betroffen sind, vor allem deshalb, weil im Bereich der Sozialversicherung viele Leistungen von den Versicherungsverläufen abhängig sind, die Berechnung und die Korrekturmaßnahmen betreffend die durchschnittlichen Versicherungsverläufe von einer – unter Anführungszeichen – "normalen" Erwerbstätigkeit ausgehen und diese Durchschnittsverläufe bei Frauen in dem angenommenen Maß nicht ausgewiesen werden können.

Frauen haben ihre gesellschaftliche Aufgabe zu erfüllen und können deshalb keinen durchschnittlichen Versicherungsverlauf erwerben. Ich denke daher, daß die Wahrnehmung der gesellschaftspolitischen Aufgabe durch die Frauen, unsere Zukunft eben dadurch zu sichern, daß sie Kinder bekommen, dementsprechend zu honorieren ist. Und deshalb sind aus frauenpolitischer Sicht einige Maßnahmen besonders schmerzvoll, die ich jetzt, ohne sie zu werten, anführen möchte.

So möchte ich etwa den Wegfall der Geburtenbeihilfe nennen, denn die Kompensationsleistung Kleinkinderbeihilfe wird nur ausbezahlt, wenn kein Anspruch auf Karenzurlaubsgeld besteht.

In diesem Zusammenhang muß auch die Problematik berücksichtigt werden, die auch Herr Kollege Jaud erwähnt hat. Ich gebe ihm recht, seine Schlußfolgerungen sehe ich jedoch anders:


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Im Zusammenhang mit der Frage der Mutter-Kind-Paß-Untersuchungen darf mit den Veränderungen im Bereich der Geburtenbeihilfe nicht der Umstand eintreten, daß durch fehlende Anreizmaßnahmen die wirklich wichtige und notwendige Einrichtung der Mutter-Kind-Untersuchungen in Frage gestellt wird. Es ist daher unerläßlich, daß die flankierenden Maßnahmen so gestaltet werden, daß die Inanspruchnahme dieser Leistung auch sichergestellt ist und ein Anreiz für eine wirklich wirksame Inanspruchnahme gegeben wird.

Die De-facto-Kürzung des Karenzurlaubsgeldanspruches würde ich, sollte dadurch der behauptete frauenpolitische Aspekt eintreten, durchaus begrüßen. Die Zahlen beweisen jedoch, daß uns in diesem Zusammenhang gesellschaftspolitisch ganz einfach noch die notwendige Grundlage fehlt und es einfach noch einer entsprechenden Entwicklung bedarf. Die konkreten Auswirkungen aus dieser Verkürzung werden die Frauen jetzt ganz empfindlich treffen, vor allem wieder die Gruppe der alleinstehenden Mütter, insbesondere in Anbetracht der Tatsache, daß für die Kinder unter drei Jahren keine ausreichenden Betreuungseinrichtungen zur Verfügung stehen.

Ich habe es an dieser Stelle schon einmal gesagt: Wir in Linz sind sehr stolz darauf, für jedes dreijährige Kind einen Unterbringungsplatz zur Verfügung stellen zu können. Nicht so positiv schaut die Situation jedoch für die kleineren Kinder aus, und daher ist die Verkürzung des Karenzurlaubsgeldanspruches ein wesentliches Erschwernis, vor allem für Frauen, die ihre Aufgabe allein zu erfüllen haben.

Im Zusammenhang mit der Kürzung des Karenzurlaubsgeldbezuges muß ich auch darauf hinweisen, daß noch korrespondierende Änderungen notwendig sind, weil sich zum Beispiel der Kündigungsschutz für Väter im Bereich des Arbeitslosenversicherungsrechtes jetzt nicht mit dieser Teilung vereinbaren läßt. Es wird notwendig sein, den Kündigungsschutz für Väter auch bis zum Zeitpunkt der Bekanntgabe der Schwangerschaft auszudehnen, um eben der verpflichtenden Teilung des Karenzurlaubes entsprechend Rechnung zu tragen.

Die Einschränkung der Sondernotstandshilfe auf 52 Wochen, die ja bei ihrer Einführung im Jahr 1974 eine ganz andere Begründung hatte, ist ebenfalls eine wesentlich erschwerende Maßnahme. Diese Tatsache trifft auch wieder in Anbetracht der fehlenden Kinderbetreuungseinrichtungen vor allem die alleinstehenden Mütter. Ich rede in diesem Fall nur von alleinstehenden Müttern und nicht von Alleinerziehenden, weil die Situation der Väter eine ganz andere ist.

Die Erhöhung der notwendigen Versicherungszeiten für die vorzeitige Alterspension bei langer Versicherungsdauer auf 450 Monate ist unter Berücksichtigung des vorher Gesagten, daß Frauen oft keine entsprechenden Versicherungsverläufe aufweisen können, in erster Linie wieder eine Erschwernis, und zwar eine ganz beträchtliche, vor allem für jene Frauen, die ihre gesellschaftliche Aufgabe erfüllen, Kinder zu haben und sie zu erziehen. Ich gehe jetzt von der klassischen Situation der Hauptverantwortung der Mutter aus. Denn es gibt jetzt zwar positive Veränderungen im Hinblick auf die Beteiligung der Väter, diese kommen jedoch keinesfalls den Frauen zugute, die jetzt ins Pensionsalter kommen.

Betrachten wir die Situation doch auch ein bißchen im Hinblick auf diese Belastungen! Herr Kollege Jaud! Sie haben ständig ein "Mißwirtschaften" – unter Anführungszeichen – der Sozialdemokraten behauptet. Das weise ich ganz entschieden zurück. Ich denke, daß Sie in Ihren Forderungen einfach ein anderes Klientel angesprochen haben. Die klassische Rollenverteilung, die sich in der Praxis allerdings nicht umsetzen ließ, hatte für Sie immer Bedeutung. Die Doppelbelastung der Frauen hätte mit Maßnahmen auch im Bereich der Arbeitswelt erleichtert werden können. Dies scheiterte jedoch immer aufgrund Ihrer Widerstände.

Wenn wir in der derzeitigen Situation – Flucht aus dem Arbeitsrecht, Erschwernis im Bereich der unselbständig Erwerbstätigen – auch wieder an diesem Punkt scheitern sollten, können Sie sich, wie ich meine, Ihrer Verantwortung für diese Situation nicht entziehen!

Die Einführung von Abschlägen bei Inanspruchnahme einer Pension vor dem 56. beziehungsweise 51. Lebensjahr trifft wiederum vor allem Frauen. Und ich befürchte, daß wir in Zukunft be


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treffend diese Frage einer ablehnenden Mehrheit gegenüberstehen werden. Ich nehme in diesem Fall die Sozialdemokraten nicht grundsätzlich aus. Es ist mir aber doch ein echtes Bedürfnis, darauf hinzuweisen, daß mit dieser Feststellung nicht jene Damen und Herren gemeint sind, die die Sozialpolitik federführend gestalten, sondern daß wir diese eigenartige frauenfeindliche Haltung eher in der breiten Mittelschicht unserer Funktionäre finden, auch bei den Sozialdemokraten.

Die frauenfeindliche Politik in den Reihen der ÖVP tut mir vor allem deshalb besonders weh, weil ich weiß, daß in den Reihen der ÖVP-Gewerkschafter auch andere zu finden sind. Von einer Frauenpolitik im Kreis der FPÖ habe ich bis jetzt überhaupt noch nichts gemerkt. Darüber kann und will ich mich auch nicht äußern.

Ich bekenne mich jedenfalls, trotz der spezifischen Belastungen, zum Strukturanpassungsgesetz. Denn Strukturanpassung ist für mich die Reaktion auf Entwicklungen, die nicht mehr adäquat sind. Ich denke, daß dieser Terminus dem Grundsatz, der damit ausgedrückt werden soll, angemessen ist. Es gibt natürlich Berufsgruppen und Bevölkerungsgruppen, die nebst der genannten spezifischen Gruppe jetzt besonders betroffen sind. Die Einschränkung der steuerlich absetzbaren Kosten für Familienheimfahrten bei Pendlern zum Beispiel wird sicherlich für einige Gruppierungen eine schwere Belastung sein. Die Abschaffung der Berücksichtigung der Sonderausgaben an und für sich ist für Gruppierungen mit nicht hohen Einkommen auch eine Erschwernis.

Für die generelle Befristung der Invaliditäts- und Berufsunfähigkeitspension habe ich – das gebe ich ganz offen zu – überhaupt kein Verständnis. Ich sehe keine Begründung dafür, daß jetzt eine Veränderung vorgenommen wird. Es hat befristete Invaliditätspensionen gegeben, und die damit verbundenen Untersuchungen wurden durchgeführt. Vielleicht fehlt mir in diesem Zusammenhang ein Argument, das mir jemand nachliefern könnte.

Die fehlende Ausnahmeregelung für den Bezug der Familienbeihilfe bis zum 27. Lebensjahr bei Studierenden sehe ich für Familien ebenfalls als gravierende Erschwernis. Wir sind davon ausgegangen, jeder Einkommensgruppierung die Weiterbildung und die entsprechende Berufsausbildung, vor allem ihrer Kinder, zu ermöglichen.

Unzureichende Kompensationsmaßnahmen für den Wegfall der Schüler- und Studentenfreifahrten: Alle, die Kinder haben und in dieser Situation sind, wissen, was ich damit meine. Die Herabsetzung der Altersgrenze im Studienförderungsbereich sehe ich für alle Fälle der Weiterbildung im Erwachsenenbereich als ein Erschwernis an, besonders für jene Menschen, die im zweiten Bildungsweg ihre Qualifikation erwerben. Qualifikation wird übrigens ununterbrochen von der Wirtschaft gefordert, wenn sie allerdings konkret Leistungen beisteuern soll, schaut das schon wieder etwas anders aus. Ich kann mich noch sehr gut an unangenehme Diskussionen im Rahmen der Kollektivvertragsverhandlungen erinnern, als es darum gegangen ist, Weiterbildungsmaßnahmen – zum Ziel der nötigen Qualifikation in den Betrieben – zu fördern. Sie waren unerfreulich, um das mit einem einzigen Ausdruck zusammenzufassen.

Meine Damen und Herren! All das, was ich jetzt aus meiner Sicht als ernstgemeinte Kritik – ich betone: als sachliche Kritik – angeführt habe, trifft im besonderen Ausmaß die Arbeitnehmer. – Vor allem deshalb, weil es im Bereich der unselbständig Erwerbstätigen keine Gestaltungsmöglichkeiten gibt. Den Vorwurf, ich greife wieder die Wirtschaft an, möchte ich nicht auf mich nehmen, aber das ist Faktum. Ein Arbeitnehmer ist verpflichtet, seine Verhältnisse lückenlos jeder entsprechenden Behörde, jeder Einrichtung klarzulegen. Er hat keine Entscheidungsfreiheit, dies zu gestalten.

Die Frage der Einbeziehung der Werkverträge in die Sozialversicherungspflicht wurde heute positiv vermerkt. Auch ich halte das durchaus für positiv, möchte jedoch darauf hinweisen, daß die Frage, ob jemand im Rahmen eines Werkvertrages oder eines Dienstvertrages beschäftigt wird, sehr oft überhaupt nicht vom Arbeitnehmer zu entscheiden ist. Ich erinnere Sie nur an jene Fälle, in denen man Fleischhauern das Tranchieren von Schweinehälften in Form von Werkverträgen zugeordnet hat. Daß der Arbeitnehmer, wenn er diese Tätigkeit ausüben will und muß,


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um seine Existenz zu sichern, diese Feinheiten – ob Werkvertrag oder Dienstvertrag – vielleicht auch ändern muß, ist – und ich denke zu Recht – keine Entscheidung, die der Arbeitnehmer selbst trifft, sondern die ihm aufgezwungen wird. In der genannten Situation muß er die unterschiedlichen Leistungen differenzieren, wenn es beispielsweise darum geht, Krankengeld zu beziehen, denn im Werkvertrag fällt er aus all diesen Leistungen heraus.

Meine Damen und Herren! Ich habe jetzt – vor allem im Lichte der vorher sehr generell und in ihrer Zielsetzung klar erkennbaren Aussagen, zum Teil politisches Kleingeld einheimsen zu wollen – doch sehr konkret einige Punkte angesprochen, die in diesem Konsolidierungsprogramm, in diesem Strukturanpassungsgesetz natürlich als Kompromiß der Regierungsparteien zu sehen sind. Deshalb, Herr Kollege Jaud, sind mir Ihre Aussagen passagenweise so unverständlich. (Bundesrat Jaud: Auch mir sind sie teilweise unverständlich!) Das hätte ich eigentlich nicht anders erwartet.

Aber aufgrund Ihrer Aussagen drängt sich mir die Befürchtung auf, daß die Partnerschaft in einer Koalition und das damit notwendig verbundene Verständnis für die Bedürfnisse beider großen Gruppen nicht im nötigen Ausmaß vorhanden ist. Vermutlich wird es auch nicht leicht gelingen, die notwendigen weiteren Maßnahmen zu ergreifen und das Verständnis aufzubringen, um dieses Strukturanpassungsgesetz umzusetzen.

Ich erlaube mir jedoch – ich mache das ganz bewußt zum Schluß –, einige positive Maßnahmen zu vermerken: Es ist wirklich positiv zu werten, daß es im Strukturanpassungsgesetz auch gelungen ist, die aktive Beschäftigungspolitik eindeutig zu verankern. Es ist ein umfangreiches Sonderprogramm für WiedereinsteigerInnen vorgesehen. Ich habe mir nur eine Zahl herausgenommen: Im Jahr 1996 waren es 100 Millionen Schilling, die dafür verwendet werden sollen. Ich denke, daß dieser Betrag nicht unbeträchtlich ist, wenn man von bestehenden Verhältnissen ausgeht.

Wenn sich allerdings die Situation in die Richtung entwickelt, daß man jedes strukturelle Problem und das Reagieren auf tatsächlich vorhandene Probleme in anderen Bereichen dazu ausnützt, um im eigenen Interesse sogenannte – unter Anführungszeichen – "Strukturanpassungen" vorzunehmen, dann, glaube ich, werden wir in diesem Bereich – dem Bereich der aktiven Arbeitsmarktpolitik – noch mehr Anstrengungen unternehmen müssen. Ich behaupte allerdings, daß all diese Anstrengungen nicht notwendig wären, wenn man auch in den Betrieben mit entsprechender Sensibilität – und manchmal auch mit etwas mehr Professionalität – an die Probleme herangehen würde. (Bundesrat Jaud: Die Arbeitsmarktpolitik ist aber eine gute Wirtschaftspolitik, gnädige Frau!) Die ist aber verbunden mit der Vollbeschäftigung. Ich bestätige Ihnen durchaus, daß wir für eine vernünftige Wirtschaftspolitik eintreten. Bitte, schauen Sie sich das Strukturanpassungsgesetz an. Vereinfacht dargestellt muß ich sagen, daß die Wirtschaft ihre Vorstellungen darin auch erfolgreich verankert hat. (Zwischenruf des Bundesrates Jaud .)

Wir gehen davon aus, daß wir eine funktionierende Wirtschaft brauchen, eine funktionierende Wirtschaft muß aber auch Vollbeschäftigung bedeuten! Nicht funktionierende Wirtschaftseinheiten und sämtliche Schwierigkeiten, die im Bereich der Wirtschaft auftauchen, werden der öffentlichen Hand zugeordnet. Meine Damen und Herren, das wird nicht funktionieren! (Bundesrat Jaud: Nehmen Sie den "Konsum" oder entsprechende Dinge!)

Man könnte glauben, wir hätten keine Argumente, wenn die Tragik mit dem "Konsum" nicht passiert wäre. Ich könnte Ihnen eine ganze Reihe von Unternehmen aufzählen, bei denen es (Bundesrat Eisl: Das war ein Musterunternehmen!) – nicht Salz in meine Wunden streuen – allein unternehmerische Fehlleistungen sind, die – zum Teil – bewußt herbeigeführt werden; nicht nur bei Österreichern, auch bei Multis. Deshalb habe ich erst auch von den Gestaltungsmöglichkeiten gesprochen, ohne diese dezidiert angeführt zu haben. (Zwischenrufe bei der ÖVP und den Freiheitlichen.) Muß ich Ihnen, die Sie aus der Wirtschaft kommen, sagen, wie Multis mit ihrer Steuerpflicht in Österreich umgehen? Es gibt doch eine ganze Reihe von funktionierenden Unternehmen, die in Österreich keinen Schilling Steuer bezahlen, weil sie ihre Gestaltungsmöglichkeiten in Anspruch nehmen.


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Deshalb bin ich auch froh, daß es in diesem Strukturanpassungsgesetz, neben der Aufrechterhaltung von sozialdemokratischen Grundsätzen, doch gelungen ist, einigen der Steuerschlupflöcher Riegel vorzuschieben. Die Tragik, die ich jetzt angesprochen habe, liegt jedoch darin, daß das oft keine Schlupflöcher sind, sondern viele Maßnahmen im Rahmen der Gestaltungsmöglichkeiten korrekt sind. Wie gesagt, dafür habe ich kein Verständnis.

Gerade dort – ohne die Österreicher jetzt als besser hinstellen zu wollen –, wo es über Grenzen hinweg möglich ist, alles zu nutzen, um sich in Österreich der Verantwortung zu entziehen, habe ich absolut kein Verständnis.

Abschließend glaube ich sagen zu können, daß es doch in dieser notwendigen Strukturanpassung, auch wenn es manchen Bevölkerungsgruppen sehr weh tut, manchen nur weh tut, gelungen ist, den wirklich einkommensschwachen Bevölkerungsgruppen die Belastung in erträglichem Ausmaße zuzuordnen.

Ich hätte mir als Sozialdemokratin und Gewerkschafterin gewünscht, das eine oder andere sozial verträglicher gestaltet zu sehen. Nichtsdestotrotz müssen wir uns zu dieser notwendigen Kurskorrektur, dieser Strukturanpassung, bekennen. Ich denke, daß das ein verständlicher Kompromiß ist und wir alle aufgefordert sind, ihn auch mitzutragen. (Beifall bei der SPÖ.)

11.09

Vizepräsident Dr. Drs h. c. Herbert Schambeck: Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Dr. Reinhard Eugen Bösch. Ich erteile es ihm.

11.09

Bundesrat Dr. Reinhard Eugen Bösch (Freiheitliche, Vorarlberg): Herr Vizepräsident! Herr Staatssekretär! Meine Damen und Herren! Ich kann nahtlos anknüpfen an die regierungskritischen Äußerungen meiner beiden Vorredner. Ich werde mir allerdings als Oppositionspolitiker erlauben, da und dort etwas mehr Polemik hineinzulegen, obwohl es mir schwerfallen wird, Sie zu übertreffen, Herr Kollege Jaud! (Heiterkeit bei der ÖVP.) Ich gratuliere Ihnen dazu. (Beifall bei den Freiheitlichen.) Aber Ihre Krokodilstränen fließen umsonst, wenn keine Taten folgen, Herr Kollege!

Wir diskutieren heute das Strukturanpassungsgesetz, wobei wir als Oppositionspartei eigentlich dieselben Argumente verwenden könnten, die wir in den letzten zehn Jahren verwendet haben; mit dem Unterschied, daß diesmal nicht nur eine parlamentarische, sondern auch eine breite, öffentliche Oppositionsbewegung stattfindet, weil dieses Strukturanpassungsgesetz und die dazugehörigen Budgets 1996 – und in weiterer Folge auch 1997 – nämlich keine in die Zukunft gerichteten Visionen sind, sondern eine stümperhafte Reparaturanweisung über 25 Jahre Sozialismus und zehn Jahre große Koalition. Herr Kollege Jaud, auch das haben Sie richtig erkannt. (Bundesrat Ing. Penz: Einige Jahre FPÖ!) Nicht freiheitliche Oppositionspolitiker behaupten das, sondern die freie Presse und auch Ihre eigenen Leute.

Hans Sallmutter, Chef der Gewerkschaft der Privatangestellten, hat beispielsweise Ihr Unterfangen als eine "sozial nicht ausgewogene Mogelpackung" bezeichnet. Klaus Firlei, SPÖ-Abgeordneter in Salzburg und Professor für Arbeits- und Sozialrecht, sprach davon, daß hier die Maxime des gerechten Sparens nicht stimmen soll und daß das Paket vor allem jene, die den Sozialstaat am meisten bräuchten, auch am tiefsten treffe.

Auch Erhard Busek, der es sich in der Zwischenzeit schon leisten kann, die Wahrheit auszusprechen, sagt in der Presse, er glaube, daß dieses Sparpaket das Problem der Verschuldung nicht löse. Schließlich seien keine strukturellen Reformen im öffentlichen Dienst, bei den Lehrern oder im Gesundheitsbereich, passiert, und die Eingriffe ins Steuerrecht erhöhten auch nicht gerade Österreichs internationale Verläßlichkeit. Dies sei charakteristisch für die Ära Vranitzky: Es ist immer ein Weiterhanteln. Resümierend vermerkte Erhard Busek das, was er eigentlich wissen muß: Lange Ausdauer im Amt bedeutet noch nicht, daß man tiefe Spuren im Lande hinterlassen hat.


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Schon im März wurde in der Tageszeitung "Die Presse" die Koalition richtigerweise als eine große Enttäuschung bezeichnet. In der Struktur sei die neue Regierung ein sachpolitisches Trauerspiel, in den Festlegungen der koalitionsfreie Raum eine reine Augenauswischerei. Das Kabinett Vranitzky V sei eine Verwaltungs- und keine Gestaltungskoalition geworden. Inhaltlich habe man sich mit keinem anderen Thema beschäftigt, außer mit der Zahl der Regierungsmitglieder. Es würde nur das getan, was seitens des Budgets ohnehin notwendig war, für alles andere fehlte aber das Wollen. Die Zusammensetzung der jetzigen Ministerliste ist nicht auf sachpolitisches Durchsetzen gerichtet, sondern orientiere sich am parteipolitischen Proporzdenken.

Wir Freiheitlichen begrüßen wohl die quantitative Kürzung der Bundesregierung, qualitativ allerdings, muß ich Ihnen sagen, fand ein Absturz statt. Denn dieselben Leute, die die Misere verursacht haben, treten nun an, um sie vermeintlich zu beheben.

Die Österreichische Volkspartei hat Wahlen vom Zaun gebrochen, um eine Änderung herbeizuführen, Herr Kollege Jaud! (Bundesrat Jaud: Das ist auch gelungen!) Die politischen Kräfteverhältnisse sind aber die alten geblieben, (Bundesrat Bieringer: Sie sind schwächer geworden!) , ein klarer Wille zur Neugestaltung des Landes fehlt aber Ihrer Koalitionsvereinbarung, Ihrer Regierungserklärung, Ihren Budgetreden und den Strukturanpassungsgesetzen. (Zwischenruf bei der ÖVP.)

Diese Regierung hat – ich nehme nur einen der Minister heraus, denn über Caspar Einem, den Innenminister, werden wir in der nächsten Sitzung reden können – einen Sozialminister bestellt, der die Stirn hat, sich ins Fernsehen zu setzen und dort zu beteuern, daß unser Pensionssystem gut abgesichert sei.

Meine Damen und Herren! Mit Ministern, die die Realität verleugnen, werden Sie keinen Staat machen können. Wer die Probleme wegschiebt, anstatt sie aufzuzeigen und zu lösen, untergräbt die Glaubwürdigkeit und das Vertrauen in unser System. Die Tatsache, daß der Altersaufbau in Österreich schon längst keine Pyramide mehr ist und daß im Jahr 2030 auf einen Erwerbstätigen ein Pensionist kommen wird, stört diesen Sozialminister anscheinend nicht.

Die ÖVP, die angetreten ist, das Land zu erneuern, hat mit dem koalitionsfreien Raum, den sie herausverhandelt hat, bewiesen, mit welcher "Ernsthaftigkeit" sie diese Erneuerung betreiben will.

Meine Damen und Herren von der ÖVP! Sie dürfen jetzt zu den staatspolitisch brennenden Problemen der Homosexualität und dem Alkohol am Steuer Ihre freie Meinung sagen. Ich gratuliere Ihnen dazu.

Im "Standard" vom 11. 3. war zutreffend zu lesen: "Vranitzky und Co lösen jetzt (hoffentlich) die Probleme, die es ohne sie nicht gäbe." Und um diese Probleme, die Sie verursacht haben, in den Griff zu bekommen, meine Damen und Herren der Regierungsparteien, haben Sie der Bevölkerung ein Belastungspaket auf die Schultern gelegt, das seinesgleichen sucht. Sie führen aber keine Strukturveränderungen herbei, sondern Sie handeln nach der Parole: so weiterwurschteln wie bisher, nur mit etwas weniger Geld.

Sie haben die Budgetbegleitgesetze in einer beispiellosen "Ho-ruck-Aktion" durch den Nationalrat gepeitscht, Sie haben die Begutachtungsfristen – wir haben die Stellungnahmen der Landesregierungen gehört – zu knapp bemessen. Die Frist des Beschlusses im Nationalrat am 19. 4. zum heutigen Tag, zur Beschlußfassung im Bundesrat am 25. 4., ist zu kurz. In den wenigen Stunden Ausschuß, die wir hatten, hat sich keiner von uns, auch Sie nicht, meine Damen und Herren der großen Koalition, ein Bild über die 1 500 Seiten und die knapp 100 Gesetze machen können.

In diesen Gesetzen wird für die Länder noch mancher "Hund" begraben liegen. Deshalb protestieren wir Freiheitlichen gegen diese Vorgangsweise, die jedem ernstzunehmenden Parlamentarismus hohnspricht. Wir werden selbstverständlich Einspruch erheben. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

11.16


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612. Sitzung / Seite 31

Vizepräsident Dr. Drs h. c. Herbert Schambeck:
Zu Wort gemeldet ist weiters Herr Bundesrat Dr. h. c. Manfred Mautner Markhof. Ich erteile es ihm.

11.17

Bundesrat Dr. h. c. Manfred Mautner Markhof (ÖVP, Wien): Herr Präsident! Herr Staatssekretär! Hoher Bundesrat! Zum vorliegenden Strukturanpassungsgesetz 1996, bestehend aus 98 Gesetzen, darunter einigen Verfassungsbestimmungen, möchte ich mich zunächst mit einigen Anmerkungen allgemeiner Natur äußern.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir eingangs folgende Feststellung: Angesichts der angespannten Lage des österreichischen Staatshaushaltes ist es höchst an der Zeit gewesen, ein Konsolidierungspaket zu schnüren, das als eine Art Notbremse anzusehen ist und das – zumindest in ersten Ansätzen – eine strukturelle Trendwende einleitet.

Zweifellos wäre es auch mir lieber gewesen, hätte es mehr Zeit für eine ausführliche und detaillierte Behandlung der im Strukturanpassungsgesetz zusammengefaßten Gesetze gegeben. Dennoch bin ich mir sehr wohl bewußt, daß am raschen Zustandekommen des Sparpakets kein Weg vorbeiführt.

An dieser Stelle ist es mir ein Anliegen, all jenen zu danken, die in den letzten Monaten, in einem enormen Kraftakt, an der Bewerkstelligung dieser überaus schwierigen und äußerst wichtigen Aufgabe mitgewirkt haben. Besonderen Wert lege ich auf eine weitere Bemerkung: Das Sparpaket ist in erster Linie deshalb notwendig, damit in unserem Land wieder genügend Handlungsspielraum geschaffen wird, um zukunftsorientierte Investitionen tätigen zu können, die die Grundlage für die Sicherung des Wirtschaftsstandortes Österreich sind.

So sehr ich von der Notwendigkeit überzeugt bin, daß Österreich zu jenen EU-Staaten zählen muß, die vom Beginn an der Europäischen Währungsunion teilnehmen, so entschieden möchte ich allerdings jenen Stimmen widersprechen, die der österreichischen Bevölkerung darzulegen versuchen, daß die EU-Mitgliedschaft Österreichs und das Streben nach Erreichung der Maastricht-Kriterien die Gründe für die durch das Sparpaket zu erbringenden Opfer sind.

Meine Damen und Herren! Ich kann es nicht oft genug betonen, die Sanierung unserer Staatsfinanzen bleibt uns – mit oder ohne Maastricht-Kriterien – nicht erspart. Wir sind an einem Wendepunkt angelangt, an dem gewisse Strukturen in unserem Land, die nicht mehr zeitgemäß und auf Dauer nicht mehr finanzierbar sind, verändert werden müssen.

Österreich ist keine Insel der Seligen, und es kann keine solche sein. Österreich im allgemeinen und die heimische Wirtschaft im speziellen sind dem globalen Wettbewerb ausgesetzt, in dem nur die Besten und die Fähigsten bestehen können. Das wiederum bedeutet, daß wir jene Rahmenbedingungen schaffen müssen, die der Kreativität, dem Unternehmergeist und dem Leistungsgedanken in unserem Land verstärkt zum Durchbruch verhelfen.

In diesem Zusammenhang ist eine schlanke, effiziente und sparsame Verwaltung ein ganz wesentlicher Aspekt. Zu den wichtigsten Maßnahmen im Rahmen des vorliegenden Konsolidierungspaketes zählen sicherlich jene, die die stark angestiegenen Ausgaben im öffentlichen Dienst einbremsen. Es ist unbestritten, daß eine gut funktionierende Verwaltung die Grundlage für das Zusammenleben in einem Staat bildet. Verwaltung und Bürokratie dürfen aber nicht zu einer Art Selbstzweck werden, und sie dürfen vor allem nicht zum Abschreckungsmittel für ambitionierte Menschen mit Unternehmergeist, für in- und ausländische Investoren et cetera werden.

Damit, meine sehr geehrten Damen und Herren, bin ich beim Thema Wirtschaft angelangt. Als Unternehmer muß ich sagen, daß das Paket einige steuerliche Bestimmungen enthält, die mich natürlich auch nicht mit Freude erfüllen. Aber im Bewußtsein dessen, daß das Sparpaket eine absolute Notwendigkeit für das weitere Wohl unseres Staates darstellt, ist auch die Unternehmerschaft dieses Landes bereit, im Sinne der Ausgewogenheit der Maßnahmen ihren


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Beitrag zu leisten. Allerdings möchte ich es nicht unterlassen, darauf hinzuweisen, daß die Grenzen der Belastbarkeit der heimischen Wirtschaft erreicht sind.

Meine Damen und Herren! Die größte Herausforderung der Gegenwart und der nahen Zukunft ist sicherlich der Arbeitsmarkt, nämlich die Schaffung von Arbeitsplätzen, wie dies auch schon von den Vorrednern angesprochen wurde. Arbeitsplätze können in erster Linie durch florierende und durch neue Unternehmen geschaffen werden. Ich habe bereits das Thema Verwaltung und Bürokratie angesprochen: Eine Aufblähung der Verwaltung einerseits und die Frühpensionen auf der anderen Seite sind sicher nicht die geeigneten Instrumente zur Entlastung des Arbeitsmarktes; denn dies ist – und das bekommen wir alle deutlich vor Augen geführt – nicht mehr finanzierbar.

Was Österreich braucht, ist eine neue Unternehmungsgründungswelle. Ich appelliere daher an alle Parteien, daß dieser Standpunkt nicht nur Gegenstand von Sonntagsreden sein darf, sondern daß wir hierzulande ernsthaft die Formeln "Deregulierung und Flexibilisierung" in die Tat umsetzen und an der Durchforstung des immer weniger überblickbaren Gesetzesdickichts arbeiten. Klare rechtliche Rahmenbedingungen sind eine Grundvoraussetzung für wirtschaftliches Agieren. Wir müssen aber zunehmend hinterfragen, ob wir nicht schon an einem Punkt angelangt sind, an dem die Gesetzesflut bereits kontraproduktive Züge annimmt.

Darüber hinaus – ich halte das für einen äußerst wichtigen Punkt – bedarf es einer Offensive in den Bereichen Forschung, Entwicklung und Technologie. Auf diesen Gebieten müssen wir in Österreich wesentlich mehr unternehmen, als dies in der Vergangenheit der Fall war. Angesichts der zunehmenden internationalen Konkurrenz können à la longue nur die Unternehmen reüssieren, die imstande sind, sowohl innovative und kreative Produkte als auch Dienstleistungen anzubieten.

An dieser Stelle möchte ich auch die im Strukturanpassungsgesetz beinhaltete Postreform erwähnen und feststellen, daß die Ausgliederung der Post sehr zu begrüßen ist und daß ich zuversichtlich bin, daß es bis Ende 1999 zum Börsengang der Post kommt. Gerade in dem immens wichtigen und zukunftsorientierten Bereich der Telekommunikation, der rasches und flexibles Agieren erfordert, ist es wichtig, daß Initiative und Einfallsreichtum nicht durch veraltete Strukturen behindert werden.

Meine Damen und Herren! Aus der außerordentlich großen Themenfülle des Strukturanpassungsgesetzes möchte ich noch einen Bereich herausgreifen, der mir besonders am Herzen liegt: die Umwelt. Es ist meiner Ansicht nach als positives Signal zu werten, daß trotz des Sparpaketes zusätzliche Mittel für Umweltmaßnahmen zur Verfügung stehen werden.

Mit den Sondertranchen in den Bereichen des Abwasser- und Kanalbaues sowie im Bereich der Altlastensanierungen werden nicht nur wichtige Akzente für die Umwelt gesetzt, sondern es wird dies in den nächsten Jahren auch zusätzliche Arbeitsplätze bringen. Ökologie und Ökonomie sind keineswegs Gegensätze, dies kann ich nicht oft genug betonen. Gerade in Österreich, wo immer wieder eine Vorreiterrolle in Umweltbelangen hervorgekehrt wird, sollte das vorhandene Know-how noch in viel stärkerem Maße wirtschaftlich genützt werden. Meine Damen und Herren! Im Umwelttechnologie-Sektor liegen enorme Chancen.

Wenngleich es in Anbetracht der Vielfalt der behandelten Materien noch vieles zum Thema Strukturanpassungsgesetz zu sagen gäbe, möchte ich nun zum Ende meiner Ausführungen kommen.

Wir alle wissen, daß das Strukturanpassungsgesetz aus einer außerordentlichen Situation heraus entstanden ist. Ich meine aber, daß es sich dabei, trotz aller Schönheitsfehler, die da und dort vorhanden sein mögen, doch um ein ausgewogenes Paket handelt, das dem Ziel der Budgetsanierung gerecht wird. Selbstverständlich müssen die Bemühungen in bezug auf die Gesundung der Staatsfinanzen auch in den nächsten Jahren mit großer Ernsthaftigkeit erfolgen. Insbesondere der Prozeß von Strukturreformen wird auch in den kommenden Jahren zu den vorrangigen Aufgaben der österreichischen Politik gehören. Da mit dem Strukturanpassungsgesetz wesentliche Schritte gesetzt werden, um eine längerfristige Entlastung des öster


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reichischen Bundeshaushaltes zu bewirken – ein Ziel, dessen Erreichung für das zukünftige Wohl dieses Landes unumgänglich ist –, erheben meine Parteifreunde und ich keinen Einspruch. – Ich danke. (Beifall bei der ÖVP.)

11.25

Vizepräsident Dr. Drs h. c. Herbert Schambeck: Zu Wort gemeldet ist weiters Frau Bundesrätin Johanna Schicker. Ich erteile es ihr.

11.26

Bundesrätin Johanna Schicker (SPÖ, Steiermark): Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Staatssekretär! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sparaufrufe beziehungsweise geplante gesetzliche Veränderungen, verbunden mit Einsparungen auf allen Gebieten, können keine Euphorie in der Bevölkerung hervorrufen. Das ist uns klar.

Wenn wir aber hören, daß die Mehrheit der Bevölkerung bereit ist, Sparmaßnahmen mitzutragen, dann ist das für mich ein Zeichen der Mitverantwortung, Mitverantwortung dafür, daß unser Staat auch weiterhin einen finanziellen Handlungsspielraum in bezug auf die Ankurbelung der Wirtschaft, der Beschäftigung und die Absicherung unseres Sozialwesens haben wird.

Ich möchte meine Ausführungen heute auf die familienpolitischen und die im Sozialbereich liegenden Maßnahmen beschränken, da ich annehme, daß auf die steuerlichen Änderungen noch einige nachfolgende Redner detailliert eingehen werden beziehungsweise einige Vorredner darauf schon eingegangen sind.

Es ist eine undankbare Aufgabe, Leistungen für Familien zu reduzieren. Das ist unbestreitbar. Konnten in guten Jahren die familienpolitischen Leistungen von Jahr zu Jahr verbessert beziehungsweise erhöht werden, so sind wir hingegen nun leider gezwungen, Konsolidierungsmaßnahmen zu ergreifen, um auch in Zukunft das Fördersystem sicherstellen zu können.

Obwohl, wie bereits gesagt, eine Reduzierung von Leistungen weh tut, in manchen Familien wahrscheinlich sehr weh tut, muß doch ausdrücklich darauf hingewiesen werden, daß Österreich bei der gesamten Familienförderung international gesehen einen Spitzenplatz einnimmt. Österreich bringt doppelt soviel für Familien auf als der Durchschnitt aller westlichen Industriestaaten und liegt 80 Prozent über dem EU-Durchschnitt. Seit 1992 hat Österreich die Familienleistungen um mehr als 30 Milliarden Schilling pro Jahr erhöht.

Es wird für uns Politiker aber nicht einfach sein, die jetzigen Sparmaßnahmen auf diesem Sektor plausibel zu erklären, denn jeder von uns weiß, daß bisher gewährte Förderungen und Leistungen als selbstverständlich hingenommen und als fixer Bestandteil des Einkommens betrachtet werden.

Als zu hart empfinde ich den Wegfall der Freifahrt für Studenten: Denn nicht alle Studenten wohnen in Universitätsstädten, sodaß hier manche Familien besonders hart getroffen werden. Ich hoffe aber doch, daß es hier in Härtefällen noch zu Sonderregelungen kommen wird.

Ich könnte mir aber im Studienbereich durchaus andere Einsparungen vorstellen: Seniorenstudenten zum Beispiel sollten einen Beitrag zu ihrem Hobby, dem Studieren, leisten. Denn etwas anderes als ein Hobby kann es doch nicht sein. Es ist zwar erfreulich, daß sich ältere interessierte Mitbürger noch weiterbilden wollen, jedoch soll dies nicht auf Kosten der Allgemeinheit geschehen.

Nun zum Pflegegeld: Die geplanten Änderungen betreffend das Pflegegeld haben ebenfalls für sehr große Aufregung in der Bevölkerung gesorgt. Die Behindertenverbände haben schärfstens mit dem Argument protestiert, daß man die Ärmsten in der Gesellschaft besonders bestraft. Wie schaut es aber in Wirklichkeit damit aus?

Zum ersten, zur Reduzierung der Pflegestufe 1 von bisher rund 2 600 S auf 2 000 S: Die Einstufung in Pflegestufe 1 erfolgt, wie wir wissen, aufgrund von Einschränkungen der Tätigkeit im täglichen Leben. Die Einstufung in die Pflegestufe 1 erfolgt aufgrund von geringen Ein


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schränkungen im Bewegungsapparat und im Gehbereich, sodaß zum Teil Einkäufe nicht allein getätigt werden können, alle anderen täglichen Arbeiten jedoch allein bewältigbar sind. In diesem Fall sind meiner Meinung nach 2 000 S ein ausreichender Beitrag für diese zusätzlichen Aufwendungen.

Was die Halbierung des Taschengeldes für Pflegegeldbezieher in Heimen betrifft, hat die FPÖ – wie so oft – unwahre Behauptungen in den Raum gestellt. Es wurde behauptet, daß man mit 569 S für die persönlichen Bedürfnisse bei weitem nicht das Auslangen finden könne. Nicht einmal ein Paar Schuhe, so hat es wörtlich geheißen, könne man sich dafür kaufen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die FPÖ sollte eigentlich auch wissen, wie uns allen bekannt ist, daß Heiminsassen nach wie vor 20 Prozent ihrer Pension als Taschengeld behalten können und sich diese Reduzierung allein auf das Pflegegeld bezieht. Darüber hinaus verbleibt den Heiminsassen nach wie vor die zusätzliche Pension, die im Mai beziehungsweise Oktober eines jeden Jahres ausbezahlt wird. Also warum diese unwahren Behauptungen?

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Erfreulich ist für mich hingegen die Tatsache, daß kurz vor Ende der Beratungen über das Sparpaket noch ein Betrag in Höhe von 600 Millionen Schilling für zusätzliche Kinderbetreuungseinrichtungen ausverhandelt werden konnte. Leider ist es nicht die zugesagte Kindergarten-Milliarde geworden, aber trotz allem ist es erfreulich, daß hier ein positiver Abschluß getätigt werden konnte.

Weiters freut es mich, daß in der ÖVP in dieser Angelegenheit eine positive Bewußtseinsänderung vor sich gegangen ist, denn es ist, glaube ich, auch bekannt, daß sich die ÖVP bis zuletzt dagegen gewehrt hat, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie durch zusätzliche Mittel für Kinderbetreuungseinrichtungen zu fördern. Das muß auch ganz klar und deutlich gesagt werden. (Bundesrat Pischl: Nicht pauschalieren!) Das ist nicht pauschaliert, das ist die Tatsache. Es ist bisher bei den Verhandlungen nie durchgegangen, sonst hätten wir es schon früher bekommen. Es ist des öfteren gefordert worden, aber leider war dafür kein Verständnis vorhanden. (Bundesrat Pischl: Auf das Wie kommt es an!)

Aber jetzt ist es Gott sei Dank ausverhandelt, und ich bin sehr froh darüber, und viele Frauen sind auch sehr froh darüber. Mein besonderer Dank gilt in dieser Frage unserem Finanzminister, Mag. Klima, der in den Verhandlungen nicht müde wurde, immer wieder auf die Notwendigkeit für zusätzliche Mittel für Kinderbetreuungseinrichtungen hinzuweisen. Damit wird die Vereinbarkeit von Beruf und Familie weiter gefördert, und das kommt in erster Linie den Frauen zugute. Es wird letztlich aber auch an den Ländern liegen, diese Förderungsmittel zu lukrieren, denn auch sie müssen ihren Teil dazu beitragen, und ich hoffe, daß die Bundesländer dazu bereit sind. – Ich danke Ihnen. (Beifall bei der SPÖ.)

11.33

Vizepräsident Dr. Drs h. c. Herbert Schambeck: Zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Ursula Haubner. Ich erteile es ihr.

11.33

Bundesrätin Ursula Haubner (Freiheitliche, Oberösterreich): Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Staatssekretär! Meine Damen und Herren des Hohen Hauses! Vor uns liegt ein 100-Milliarden-Belastungspaket, was in seinem Umfang als Strukturanpassungsgesetz für den Normalbürger kaum nachvollziehbar ist. Umfang: 98 Novellen. Wir haben uns die Mühe gemacht, dieses Gesetz abzuwiegen: Es wiegt zwölfeinhalb Kilo. Zwölfeinhalb Kilo Papier, das in atemberaubendem Eilzugstempo von ÖVP und SPÖ abgesegnet wird.

Ich glaube nicht, daß wir heute eine Scheindebatte führen, aber ich fühle mich schon in gewisser Weise als eine Marionette, die Gesetze nachzubestimmen hat, die eigentlich schon in Kraft sind. Ein Beispiel: die Einmalzahlung für Bundesbedienstete für das Jahr 1996, die bereits mit 1. April an alle Bundesbediensteten geleistet wurde und welche wir heute eigentlich erst beschließen sollen.


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Außerdem wurde den Familien ein Betrag von 2,9 Milliarden gekürzt, die Beamten im öffentlichen Dienst wurden mit 16 Millionen zur Kasse gebeten, nämlich in Form einer Nullohnrunde und durch die Verschärfung bei Frühpensionen.

Es ist natürlich klar, daß die derzeitige Regierung dieses Gesetz schnell durchpeitschen will, bevor die Bürger allzu hellhörig werden. Die Studenten waren bisher die einzigen, die vehement aufbegehrt haben.

Aber nicht nur die Bürger werden überfahren, sondern auch die Länder, wie aus deren Stellungnahme ersichtlich ist. Es ist vielleicht den Abgeordneten aus Oberösterreich nicht sehr angenehm, wenn ich hier zitiere, welche Stellungnahme das Amt der oberösterreichischen Landesregierung abgegeben hat. Das Amt der oberösterreichischen Landesregierung hat gewichtige Einwände und Bedenken aufgezeigt und hat diese Bedenken auch präzisiert, vor allem im Zusammenhang mit dem Bundespflegegesetz.

Ich darf zitieren: "Bereits anläßlich der letzten Novelle zum Bundespflegegesetz, BGBl. Nr. 131/1995, hat das Amt der oberösterreichischen Landesregierung das Bundesministerium für Arbeit und Soziales dringend ersucht, die geplante Änderung des Pflegegeldgesetzes mit den Ländern zu koordinieren, um der Artikel-15a-B-VG-Vereinbarung über gemeinsame Maßnahmen des Bundes und der Länder für pflegebedürftige Personen gerecht zu werden. Auch die Landessozialreferentenkonferenz (Schreiben der Verbindungsstelle der Bundesländer vom 27. 10. 1995, VST-274/100) forderte ausdrücklich, Änderungen der Pflegevorsorge mit den Ländern vorzuberaten. Diese Forderung wurde insbesondere auch im Hinblick auf das Ruhen des Pflegegeldes bei Krankenhausaufenthalten, so wie dies jetzt vorgesehen ist, aufgestellt."

Und weiter heißt es: "Im Hinblick auf die notwendige Koordinierung und auf die zu treffenden verwaltungstechnischen und legistischen Maßnahmen wurde das Bundesministerium für Arbeit und Soziales wiederum ersucht, ein koordiniertes Vorgehen mit den Ländern herbeizuführen und die Novelle zu einem späteren Zeitpunkt in Kraft zu setzen. (Dies ist tatsächlich nicht geschehen, und der Inkrafttretenstermin wurde lediglich um einen Monat verschoben.)"

Wir sehen anhand dieses Beispiels also, daß nicht nur Bürger protestieren, sondern daß auch die Verwaltung und die Länder ihre Bedenken anmelden und sich die Regierung darüber hinwegsetzt. Es wird das Pflegegeld der Stufe 1 ohne Verwaltungsvereinfachung auf zirka 2 000 S gekürzt, und das Taschengeld wird bei Unterbringung in einem Heim von bisher 1 138 S auf 569 S reduziert.

Es ist noch nicht sehr lange her, daß dieses Pflegegeld als großartige soziale Leistung – und vor allem als Wahlzuckerl – eingeführt wurde. Schon damals hätte man wissen sollen, daß dies auf Dauer nicht finanzierbar ist.

Meine Damen und Herren! Alte und pflegebedürftige Menschen werden wieder einmal zu Almosenempfängern, aber die Belastungsverlierer sind noch wesentlich zahlreicher: Es sind dies unter anderem die Gewerbetreibenden und die leistungswilligen Arbeitnehmer, der Tourismus, und ganz gravierend sind die Familien und die Frauen betroffen.

Meine Vorrednerinnen von der sozialdemokratischen Fraktion haben schon darauf hingewiesen, daß auch sie mit vielen Dingen nicht einverstanden sind. Ich möchte hier nur einige Punkte aufzählen: Kürzung aller Familienbeihilfen um 100 S monatlich, das Einfrieren der verbleibenden Kinderbeihilfen und der Kinderabsetzbeträge über jeweils drei Jahre, der Wegfall der Geburtenbeihilfe und die Reduzierung der Karenzzeit um sechs Monate. Weiters nicht zu vergessen: 10 Prozent Selbstbehalt bei Schülerfreifahrten und der Wegfall der Freifahrten ab dem 19. Lebensjahr sowie der Selbstbehalt bei Schulbüchern.

Mir ist daher nicht ganz verständlich, was damit gemeint ist, wenn in einer Broschüre des Familienministeriums großartig proklamiert wird, daß eine fünfköpfige Familie – hier wird eine fiktive Familie angeführt, in der die Tochter elf Jahre und der Sohn vier Monate alt ist – vom österreichischen Staat kostenlose Schulbücher und Schulfreifahrten bekommt. (Bundesrat Mag.


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Langer: Das ist unerhört!) In meinen Augen ist das, was hier aufgezeigt wird, eine Unwahrheit. Wir alle wissen, daß es bei den Schulbüchern ebenso wie bei den Schülerfreifahrten Selbstbehalte gibt.

Meine Damen und Herren! Ich verstehe die ÖVP nicht, wenn sie als Familienpartei dies alles zuläßt. Wir Freiheitlichen sind sehr wohl auch für sinnvolle Reformen, gerade was den Familienbereich anlangt. Ich frage im speziellen die Vertreter der ÖVP: Warum kann man sich nicht endlich zum Ausbau familienpolitischer Leistungen durchringen? – Nämlich als Stammleistungen aus dem FLAF, wie zum Beispiel die Idee des Kinderbetreuungsschecks, der den Eltern in einheitlicher Höhe zugute kommt und für Tagesmütter, öffentliche Kinderbetreuungseinrichtungen oder für die eigene Abgeltung beziehungsweise für die eigene soziale Absicherung verwendet werden kann.

Aber wahrscheinlich paßt das als gesamtes nicht in die sozialistische Familienideologie, die alles, was an Erziehungsarbeit zu Hause geleistet wird, eher konservativen Tendenzen zuordnet. Auch Frau Frauenministerin Konrad hat sich vor einiger Zeit in der Pressestunde dahin gehend geäußert.

Familienarbeit ist meiner Meinung nach dieser Regierung sehr wenig wert, und deshalb nützen verschiedene Sonntagsreden von "Neubewertung und Aufwertung der Familienarbeit" herzlich wenig. Als eine solche "Sonntagsaktion" befinde ich auch eine Studie, die das Familienministerium durchführen ließ. In dieser Studie plädierten die Befragten zu 72 Prozent für eine Verlängerung der Karenzzeit auf drei Jahre. Man veranlaßt Untersuchungen, man läßt Studien durchführen und kürzt dann trotz eindeutiger Ergebnisse die bisherigen zwei Jahre Karenzzeit auf de facto eineinhalb Jahre.

Das Verlorengehen von Familienarbeit, das durch diese De-facto-Kürzung des Karenzjahres natürlich nicht nur die Familien betrifft, sondern vor allem – wie es auch meine Vorrednerinnen schon gesagt haben – die 280 000 Alleinerzieherinnen, die dadurch ihre Kinder noch wesentlich früher öffentlichen Betreuungseinrichtungen übergeben müssen, ist ein Faktum, das nicht außer acht gelassen werden darf. Es handelt sich bei den genannten Betreuungseinrichtungen um Institutionen, von denen angeblich österreichweit 200 000 fehlen und wovon wir kurzfristig 40 000 benötigen. Diese 40 000 Einrichtungen kosten allen 3 Milliarden Schilling, und die Frauenministerin will uns nun weismachen, daß durch die Bereitstellung von 600 Millionen Schilling die Härten in diesem Bereich abgefedert sind.

Meine Damen und Herren! Ich sehe diese 600 Millionen eher als Dank der männerdominierten Regierung gegenüber der Frauenministerin für ihre Disziplin, die sie geleistet hat, als es um die Zustimmung zum Sparpaket gegangen ist. (Beifall bei den Freiheitlichen. – Bundesrätin Schicker: Das war die ÖVP, Frau Kollegin!) Ich glaube, die Frauenministerin hätte andernfalls ihre Daseinsberechtigung verloren.

Ich erinnere mich an den Weltfrauentag am 8. März, an dem die Frauenministerin zum Protest gegen dieses Belastungspaket, dem sie zuvor in der Regierung selbst zugestimmt hat, aufgerufen hat. Sie hat also zu einem Protest gegen ihre eigenen Beschlüsse aufgerufen!

Meine Damen und Herren! Eine weitere typische Stammleistung des FLAF wird ebenfalls, wie schon hinlänglich bekannt, ersatzlos gestrichen, und zwar die Geburtenbeihilfe. Wenn man bedenkt, daß bereits 25 Prozent der Österreicher keine Kinder haben, so kann man feststellen, das ist sicher der falsche Weg. Bei der gänzlichen Streichung besteht nämlich die Gefahr, daß die Untersuchungen nach dem Mutter-Kind-Paß nicht mehr in demselben Ausmaß in Anspruch genommen werden wie bisher.

Erfahrungen aus Deutschland, wo es diese Geburtenbeihilfe auch nicht mehr gibt, haben gezeigt, daß nur mehr 40 Prozent der Eltern diese Untersuchungen in Anspruch nehmen. Ich bin sehr gespannt, welche Vorschläge uns Herr Familienminister Bartenstein machen wird, nachdem er von Überlegungen hinsichtlich eines neuen Anreizsystems spricht.


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Wir Freiheitlichen in Oberösterreich haben in diesem Zusammenhang im Landtag einen Antrag eingebracht, daß das Land Oberösterreich den bisher bestehenden Familienzuschuß in bis zu einer Höhe von maximal 4 000 S gewährt. Wir werden jetzt sehen, wie ehrlich es vor allem die ÖVP in Oberösterreich mit ihrer Familienförderung meint, und ob sie diesem Antrag zustimmt oder ihn, wie so viele andere, auf die lange Bank schiebt.

Ich habe hier eine Aussage der Dritten Landtagspräsidentin Angela Ortner, die gesagt hat (Bundesrat Mag. Tusek: Erste Landtagspräsidentin!) – ich korrigiere: der Ersten Landtagspräsidentin Angela Ortner (Bundesrat Bieringer: Nur keine Diskriminierung der Frauen! – Ironische Heiterkeit bei der ÖVP) –, bei der Familienförderung müssen wir mehr tun als bisher. Wir Freiheitlichen in Oberösterreich werden Sie dann im Zusammenhang mit unserem Antrag beim Wort nehmen.

Meine Damen und Herren! Vor diesem Hintergrund kürzt man den FLAF durch die Sparpakete 1 und 2 um fast 20 Prozent und ist damit einverstanden, daß vor allem auch die zukünftige Dotierung des Fonds auf der Einnahmenseite sukzessive bis zum Jahr 2000 verringert wird, und zwar von 2,2 Prozent auf 1,9 Prozent. Mich als verantwortungsvolle Familien- und Frauenpolitikerin beunruhigt vor allem, daß die Dotierung des FLAFs in Zukunft nicht von den Bedürfnissen der Familien abhängen wird, sondern von der jeweiligen Budgetsituation.

Im Rahmen einer Diskussion hat mich einmal ein junger Mann gefragt: Wie ist es eigentlich? Haben wir, die Bevölkerung, in den letzten Jahren so über unsere Verhältnisse gelebt, daß nun derart einschneidende Maßnahmen notwendig sind? Ich habe ihm darauf geantwortet, daß nicht die Bevölkerung, nicht der fleißige Arbeiter und Angestellte, nicht der Bauer und auch nicht der Gewerbetreibende über seine Verhältnisse gelebt hat, sondern wir haben uns eine Regierung geleistet, die gerade vor den Wahlen den Bürgern immer die Illusion eines sozialistischen Wohlfahrtsstaates vorgegaukelt hat, Versprechen gemacht hat, worauf jeder Anspruch hat, und nachher eigentlich immer ihre Versprechen gebrochen hat.

Wir haben nach wie vor eine Regierung, die keine effizienten und strukturverändernden Reformen setzt, sei es in der Verwaltung, bei der Zusammenlegung der Sozialversicherungsanstalten, sei es bei den Privilegien, der Politiker-Privilegien, in die nicht einschneidend eingegriffen wird, oder auch bei den Privilegien bei der Nationalbank.

Ich möchte in diesem Zusammenhang einige Privilegien der Nationalbank, die auch in den Bereich Familie hineinspielen, erwähnen. Für die Angestellten der Nationalbank gibt es zum Beispiel eine Kinderprämie in Höhe von 5 000 S. Für andere Familien streicht man die Geburtenbeihilfe.

Ferner gibt es gestaffelte Familienbeihilfen in der Oesterreichischen Nationalbank, und – zusätzlich zum staatlichen Karenzgeld – es gibt für das erste und zweite Karenzjahr ebenfalls eine Art Karenzgeld. Aus diesem Grund muß ich sagen: Das ist eine Regierung, die den Weg des geringsten Widerstandes geht, wenn es sich um Sparmaßnahmen handelt. Sie verordnet nämlich jenen Sparmaßnahmen, bei denen wenig Widerstand erwartet wird, bei jenen Personengruppen, die keine Lobby haben. Die Familien und natürlich auch die Frauen sind so eine Gruppe. Frauen sind einerseits durch die falsche Lenkungswirkung des Bonus-Malus-Systems für ältere Arbeitnehmer und andererseits durch die Verschlechterung im Bereich Pflegegeld betroffen.

Meine Damen und Herren! Die neue Armut trifft nicht mehr, wie bisher, Randgruppen, sondern wird zunehmend weiblich. Wir Österreicher haben uns dieses familien-, bildungs- und wirtschaftsfeindliche Maßnahmenpaket wirklich nicht verdient, und wir Freiheitlichen werden daher gegen dieses Strukturanpassungsgesetz Einspruch erheben. Von den positiven Ansätzen zur Reform des FLAF ist nichts mehr zu hören. Bei der Karenzgeldregelung gibt es nur Verschlechterung, und bei den Freifahrten in Richtung Aufnahme Verkehrsverbünde rührt sich überhaupt nichts mehr. Wir werden daher als Freiheitliche dieser Sparphilosophie, der Sparphilosophie einer Regierung, die jahrelang verschwendet hat, nicht unsere Zustimmung geben. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

11.48


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612. Sitzung / Seite 38

Vizepräsident Dr. Drs h. c. Herbert Schambeck:
Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Ing. Johann Penz. Ich erteile es ihm.

11.48

Bundesrat Ing. Johann Penz (ÖVP, Niederösterreich): Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Staatssekretär! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In den zurückliegenden Jahren sind die öffentlichen Ausgaben und die Sozialaufwendungen weit über das wirtschaftliche Wachstum hinaus gestiegen. Nicht die Regierung, sondern wir alle, sehr geehrte Frau Kollegin Haubner, haben über unsere Verhältnisse und daher letztlich auch auf Kosten nachfolgender Generationen gelebt. Daß das nicht so weitergehen kann, ist uns allen klar und auch bewußt. Deshalb gibt es nur einen wirksamen, schweren und langwierigen Weg zur Gesundung der öffentlichen Finanzen: den Weg der Einsparungen, der nachhaltigen Konsolidierung. Zum Konsolidierungskurs, meine Damen und Herren, gibt es keine Alternative.

Man muß sich vor Augen halten, was passiert wäre, wenn im Oktober des vergangenen Jahres nicht sozusagen ein großer Krach entstanden wäre und Neuwahlen ausgeschrieben worden wären. Die fortgeschriebene Budgetkrise hätte bedeutet: Abwertung des Schillings, höhere Geldentwertung, noch ungleich größere Probleme auf dem Arbeitsmarkt, was vor allem wieder die sozial Schwachen und die Familien in besonderer Weise getroffen hätte.

Die Senkung des Budgetdefizits – und somit der Neuverschuldung des Staates – ist Ziel des Arbeitsübereinkommens zwischen der Sozialdemokratischen Partei und der Österreichischen Volkspartei. 1995 betrug die Neuverschuldung fast 5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Ohne entsprechende Maßnahmen würde die jährliche Neuverschuldung auf rund 7 Prozent des Bruttoinlandsproduktes ansteigen. Unsere Kinder würden keinen Spielraum mehr haben, um entsprechende Aktionen setzen zu können. Deshalb dürfen wir, wenn wir nicht nach dem Motto "hinter uns die Sintflut" leben wollen, nicht alles auf einmal und alles für uns in Anspruch nehmen. Daher ist es ein Gebot der Stunde, jetzt zu sparen, eingegangene Verpflichtungen einzulösen und Schulden abzuzahlen, damit auch die nachfolgende Generation noch atmen und agieren kann.

Budgetsanierung ist somit zunächst einmal eine moralische Verpflichtung nachfolgenden Generationen gegenüber. Ferner haben wir auch eine Verpflichtung gegenüber der Europäischen Union. Natürlich hat das eine mit dem anderen nicht unmittelbar etwas zu tun, jedoch sollte man nicht vergessen, daß wir bei der Erfüllung der EU-Konvergenz-Kriterien selbst durchaus auch Nutznießer dieser Budgetsanierung sein werden.

Der Schilling gehört zu den stabilsten Währungen dieser Welt, weil unser wirtschaftliches Klima auch international Vertrauen genießt und schafft. (Bundesrat Dr. Harring: Noch!) Der starke Schilling basiert auf einer starken Wirtschaft. Da kann sich die Opposition, die die Politik, welche die Rahmenbedingungen für diese Stabilität schafft, immer wieder in Grund und Boden verdammt, durchaus ein Scherzel abschneiden. Die Beständigkeit des Schillings widerlegt nämlich auch Ihr Madigmachen von allem und jedem, wie wir das auch heute gehört haben.

Weil wir an Stabilität und wertbeständigem Geld interessiert sind und dies auch auf europäischer Ebene Grundlage des Wohlstandes werden soll, bekennen wir uns zur Europäischen Währungsunion, zu ihrem Fahrplan und zu einer europäischen Währung. Man soll die Ein- und Umstellungsprobleme, die damit verbunden sind, nicht vom Tisch wischen, aber man muß gerade deshalb auch die Vorteile sehen, die eine einheitliche Währung mit sich bringen wird: So zum Beispiel den Wegfall der Transaktionskosten, eine wesentlich verbesserte Preistransparenz, die Einsparung von Absicherungskosten, weil das Wechselkursrisiko entfällt, den Wegfall von Störungen durch unterschiedlich nationale Geldpolitiken, eine solide Haushaltspolitik nach strengen Regeln, zusätzliche Einnahmen durch Einlagen von Drittländern in einer stabilen Euro-Währung und letztlich auch ein höheres Wirtschaftswachstum und größere internationale Stabilität. (Bundesrat Eisl: Das glauben Sie selbst nicht, was Sie erzählen! Das erzählen Sie schon 20 Jahre!)


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Die Euro-Währung würde neben dem amerikanischen Dollar und dem japanischen Yen zu einer gleichberechtigten Handels- und Reservewährung werden. Daran teilnehmen und teilhaben kann aber nur derjenige, Herr Kollege Eisl, der das versteht und der seine Wirtschaft und seine Finanzen in Ordnung hält. (Zwischenruf des Bundesrates Dr. Tremmel .)

Da haben wir gute Chancen, Herr Kollege Dr. Tremmel! Und dafür sind wir auch bereit, diesen Weg des Konsolidierungsprogrammes zu gehen. (Zwischenruf bei den Freiheitlichen.) Zwei Drittel des Konsolidierungsbedarfes, der bis Ende 1997 zirka 100 Milliarden Schilling ausmacht, wird über ausgabenseitige Sparmaßnahmen erfolgen.

Das bedeutet, daß der Staat sparsamer sein muß als bisher. Kurzum: Alle großen Ausgabenbereiche – Personalaufwand, Verwaltungsaufwand, Sozialaufwand, Förderungsausgaben und Finanzausgleich – werden auf der Höhe des Jahres 1995 stabilisiert.

Zugegeben: Mit dem Sparpaket werden nicht alle Probleme auf einmal gelöst. Es ist dies aber ein wichtiger Schritt zur Zukunftssicherung Österreichs. Das Sparpaket bringt viele notwendige Änderungen mit sich, die im Rahmen des Sammelgesetzes des nahezu 100 Gesetzesmaterien umfassenden Strukturanpassungsgesetzes geregelt werden können.

Die außerordentliche Situation verlangt rasche und außerordentliche Maßnahmen. Das gilt auch für die notwendigen Verfassungsbestimmungen, die – wie mehrere Redner heute bereits angesprochen haben – auf das Wesentliche und im wesentlichen terminbezogen reduziert wurden.

Bei der Debatte über Details darf aber der Blick auf das Ganze nicht vergessen werden. Der Finanzteil ist nur ein kleiner Teil der Strukturanpassungsgesetze. Der Großteil besteht aus anderen, auch ausgabenseitigen Reformmaßnahmen. Man darf das Sparpaket nicht punktuell, sondern nur im Lichte der gesamten Verantwortung für unsere Heimat Österreich sehen: Es gibt vier vorrangige Bereiche dieses Sparpaketes. Das erste betrifft die Stabilität des Landes und der Arbeitsplatzsituation in allen Wirtschaftssektoren, der zweite die Absicherung des Wirtschaftsstandortes Österreich, der dritte die Stabilität der Währung und der vierte die politische und moralische Verantwortung gegenüber der Jugend und auch der älteren Generation. – Kurzum: Wir brauchen dieses Strukturanpassungsprogramm und das Sparpaket, um die Zukunft unserer Heimat gestalten zu können.

Wir müssen reformieren, um das zu erhalten, was unsere Vorgängergeneration aufgebaut und uns diesen international hohen Standard erreichen hat lassen. Dieser Grundsatz gilt allgemein, besonders aber auch in der Familienpolitik, die wesentlich für die Zukunft unseres Landes steht. Frau Kollegin Haubner! Österreichs Leistungen für die Familien sind international gesehen an der Spitze, und ich bin dankbar, daß Frau Kollegin Schicker das auch angeschnitten hat. Sie werden es auch in Zukunft bleiben, obwohl da und dort kürzergetreten werden muß. Politik schafft nämlich Rahmenbedingungen, nicht weniger, aber auch nicht mehr. (Bundesrat Dr. Tremmel: Ihre Politik schafft schlechte Rahmenbedingungen!) Man muß auch ihre Möglichkeiten und ihre Grenzen sehr realistisch sehen. Die Bereitschaft zu verantworteter Elternschaft ist daher eine sehr persönliche Entscheidung, auf die Staat und Politik kaum Einfluß nehmen können. Das spiegelt sich auch in der Entwicklung wider: Die Summe aller familienpolitischen Maßnahmen und Leistungen hat hierzulande in all den Jahren weder zu einer Veränderung bei Geburten- noch zu einer bei den Abtreibungszahlen geführt oder etwas geändert. Das ist die Realität, die wir zu sehen haben. Aber im Interesse aller, die Familie leben und erleben wollen, sind wir verpflichtet, das hohe Niveau, das wir erreicht haben, auch für die Zukunft abzusichern. (Vizepräsidentin Haselbach übernimmt den Vorsitz.)

Die tagesaktuelle Diskussion über punktuelle Neuregelungen darf auch nicht den Blick dafür trüben, was an zusätzlichen familienpolitischen Leistungen, die auch unangetastet bleiben, erreicht worden ist. Ich nenne unter anderem nur das zweite Karenzjahr mit Arbeitsplatzgarantie, den wahlweisen Karenzurlaub für beide Elternteile, die Altersstaffel bei der Familienbeihilfe und die damit – was heute wohl auch mit Bedacht verschwiegen wird – höhere Beihilfe für Studenten. Es sind die Mehrkinderstaffel, das Karenzersatzgeld für Hausfrauen und Studenten, die Lehrlingsfreifahrt und die Lehrlingsfahrtenbeihilfe, die Anrechnung der Kindererziehungszeiten auf die


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Pension und dadurch auch eine im Schnitt um rund 10 Prozent höhere Pension für Frauen, die Bäuerinnenpension oder auch die zweite Woche Pflegeurlaub unangetastet geblieben. – Von einem familienpolitischen Rückschritt, Frau Kollegin Haubner, kann also wirklich keine Rede sein, auch wenn es im Bereich von familienpolitischen Leistungen zu Neuregelungen kommt. (Zwischenruf der Bundesrätin Haubner. )

Für eine durchschnittliche Familie – angenommen mit zwei Kindern im Alter von zwei und sieben Jahren – ändert sich im Bereich der familienpolitischen Leistungen durch die Konsolidierungsmaßnahmen nichts, aber auch gar nichts! Die Altersstaffel bei der Familie bleibt weiterhin bestehen, ebenso der gestaffelte Kinderabsetzbetrag, dazu auch der Alleinverdienerabsetzbetrag mit Selbstbehalten bei Schülerfreifahrt und Gratisschulbuch. (Zwischenruf des Bundesrates Dr. Tremmel. ) Für Studenten kommt die Familienbeihilfe jedenfalls und ausnahmslos bis zum 26. Lebensjahr zur Auszahlung.

Darüber hinaus gibt es zahlreiche sachlich gerechtfertigte und bewußt sozial gestaltete Ausnahmen, zum Beispiel für Präsenz- und für Zivildiener, für behinderte Studierende, für unvorhergesehene oder unabwendbare Ereignisse wie Krankheit, fehlende Laborplätze oder ähnliches. Aber natürlich gibt es auch eine Bindung der Beihilfe an die Leistung, die auch ein Toleranzsemester mit einschließt, und es gibt sogar die Möglichkeit, Guthaben aus dem ersten oder zweiten Studienabschnitt mitzunehmen.

In diesem Zusammenhang wird es aber sicher auch notwendig sein, sich grundsätzliche Gedanken über die Struktur unserer Universitäten zu machen. Es ist nun einmal ein Faktum, daß die Zahl der Studienabbrecher in manchen Studienrichtungen bei 80 Prozent liegt, im Durchschnitt aber bei 50 Prozent. Überdies gehört die Studiendauer an Österreichs Universitäten zu den längsten der Welt, das sind beides Faktoren, die sich in den Kosten niederschlagen.

Gleichzeitig ist aber die generelle Quote der Akademiker gemessen an der Gesamtzahl der Erwerbstätigen in Österreich im internationalen Vergleich relativ gering. Notwendig wären daher genaue Verlaufsanalysen der einzelnen Studien und Untersuchungen, die aufzeigen, warum das Studium jeweils nicht beendet wird. Als Grund für die hohe Zahl der Studienabbrecher, das lange Studium und die relativ geringe Absolventenzahl können nämlich nur zum Teil falsche Erwartungen herangezogen werden, mit denen viele ein Studium beginnen, dann enttäuscht sind und andere Lebensentwürfe suchen.

Frühe Studienberatung, Kenntnis der individuellen Neigung und die Beendigung der höheren Schule mit Blick auf das gewählte Studium und Wissen um seine Eigenheiten könnten hier hilfreich sein und sind notwendig. Dies setzt aber auch eine intensivere Nutzung der Möglichkeiten der Vorbereitung und der Information voraus.

Der Entfall der Freifahrt für Studierende bedeutet natürlich – das soll gar nicht bestritten werden – eine Belastung, besonders auch für jene, die aus peripheren Regionen in die Universitätsstädte pendeln müssen. Die Verkehrsträger sind aber nun gefordert, den Studierenden spezielle Tarife anzubieten, und ich hoffe sehr, daß die Verkehrsunternehmungen dabei Weitblick zeigen. Denn nur die Kunden, die sie heute durch ein attraktives Angebot gewinnen, werden sie auch morgen frequentieren. Wir müssen also reformieren, damit wir den hohen Standard in Österreich erhalten, und das auch in anderen Punkten.

Weil wir mit den verfügbaren Mitteln haushalten müssen, entfällt die Familienbeihilfe für im Ausland lebende Kinder von Nicht-Österreichern. Weil wir die Mittel gezielt und sozial treffsicher einsetzen müssen, gibt es die Geburtenbeihilfe in Form der Kleinkindbeihilfe nur noch für diejenigen, die sie tatsächlich brauchen. Für diejenigen, die gesundheitliche Vorsorge entsprechend dem Mutter-Kind-Paß durchführen, bleibt auch die jeweilige Unterstützung aufrecht.

Im Rahmen einer Untersuchung mit dem Titel "Familie und Familienpolitik in Österreich", die vom Familienministerium in Auftrag gegeben wurde, kürzlich vorgelegt worden ist und heute schon – ich weiß jetzt nicht, von wem – zitiert wurde, wurde die Bevölkerung auch nach den Ursachen für die niedrige Kinderzahl befragt. Die Befragung ergab, daß im Bundesländervergleich Wohnungsknappheit und die hohen Kindererziehungskosten natürlich auch eine Ursache für


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den Geburtenrückgang sind. Ich darf mit Freude feststellen, daß in Niederösterreich – und ich stehe hier als Vertreter dieses Bundeslandes – Wohnungsknappheit und die hohen Kindererziehungskosten im Vergleich der Bundesländer die geringste Rolle spielen. Auch das unzureichende Vorhandensein von Kinderbetreuungseinrichtungen wird in Niederösterreich in einem wesentlich geringeren Maß als in anderen Bundesländern als Motiv dafür gesehen, keine Kinder zu bekommen. Diese Studie stellt der niederösterreichischen Familienpolitik und seiner familienfreundlichen Wohnbauförderung ein hervorragendes Zeugnis aus. Wohnbaupolitik ist nämlich auch angewandte Familienpolitik, und daher hat das Land Niederösterreich mit Landesrat Freibauer auch seine Förderungsrichtlinien zugunsten kinderreicher Familien geändert.

Vor diesem Hintergrund ist die Abstimmung der Wohnbauförderung auch mit den Bundesländern unter Berücksichtigung der Bevölkerungszahl von wesentlicher Bedeutung. Erst am Montag dieser Woche wurde in Niederösterreich die Förderung von insgesamt 12 000 Wohneinheiten beschlossen, was einem Gesamtbauvolumen von nahezu 13 Milliarden Schilling entspricht. Der Impuls, der für die Bauwirtschaft und zur Sicherung der Arbeitsplätze davon ausgeht, ist nicht minder beachtlich.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Beitrag, den die Landwirtschaft zur Konsolidierung im Hinblick auf dieses Strukturanpassungsgesetz leistet, reicht weit über die Erwähnung hinaus, die das Landwirtschaftsressort unmittelbar im Strukturanpassungsgesetz findet, daß nämlich noch heuer zwei Bundesanstalten, nämlich jene für Pferdezucht sowie für Fortpflanzung und Besamung, eingespart und bis Ende des Jahres aufgelöst werden. Die Bauern tragen vielmehr alle Maßnahmen, vor allem auch jene in sozial- und pensionsrechtlichen Belangen, solidarisch mit, und das vor dem Hintergrund sinkender landwirtschaftlicher Einkommen.

Diese Neuerungen betreffen in der bäuerlichen Sozialversicherung vor allem auch die Bestimmungen über die Anwartschaft. Sie werden bei allen vorzeitigen Alterspensionen bekanntermaßen verschärft. Die Bauern tragen auch die Erhöhung des Beitragssatzes in der Bauern-Pensionsversicherung sowie die Änderungen bei der Berechnung der Pensionen mit: Ab 1. April 1996 wurde der Beitragssatz von 12,5 auf 13,5 Prozent erhöht. Mit 1. 1. 1997 wird es darüber hinaus auch keine Erhöhung der Pensionen geben.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Strukturanpassungsgesetz hin oder her: Wie kaum ein anderer Sektor ist die Landwirtschaft dem Gesetz der Strukturanpassung unterworfen. Das Jahr 1995 ist für die Bauern enorm schwierig gewesen. Nicht nur aufgrund des EU-Beitritts, sondern vielmehr auch aufgrund des GATT-Übereinkommens, in dem ein Abbau der Exportstützungen vereinbart wurde, stand die Landwirtschaft vor gewaltigen Umstellungen und Herausforderungen.

Trotz der schwierigen Ausgangssituation hat die österreichische Landwirtschaft das erste Jahr in der Europäischen Union, wie der Agrarexperte des Wirtschaftsforschungsinstitutes Matthias Schneider kürzlich attestierte, relativ gut überstanden, aber nur durch höhere Direktzahlungen. Denn die reale Endproduktion sank um 4 Prozent, die Wertschöpfung hingegen um 5 Prozent. Die landwirtschaftlichen Erzeugerpreise brachen EU-bedingt im Schnitt um nicht weniger als 22 Prozent ein, die Konsumentenpreise hingegen sind nur um 1 Prozent gesunken. Die Abwanderung hält unvermindert an: 1995 waren in der heimischen Land- und Forstwirtschaft 165 000 Personen beschäftigt, das sind um 5,5 Prozent weniger als 1994.

Was besonders nachdenklich stimmt: Immer mehr familieneigene Arbeitskräfte verlassen ihre Betriebe. Vor allem sind es mitversicherte Bauernsöhne, die aus der Landwirtschaft abwandern und sich einen anderen Beruf suchen. In den meisten Fällen wird ein landwirtschaftlicher Nebenerwerb angestrebt, was freilich angesichts der aktuellen Arbeitsmarktsituation auch immer schwieriger wird.

Kurzum: Nur der hohe Abgang von Arbeitskräften ließ im Vorjahr trotz stagnierender Nettowertschöpfung die Agrareinkommen je Beschäftigtem nominell um 5 Prozent steigen. Bereits die ersten Monate 1996 zeigen aber, daß dieses Jahr für die Bauern ein besonders schwieriges Jahr werden wird: Die degressiven Ausgleichszahlungen sinken um 35 Prozent. Die Rinder


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seuche BSE bringt vor allem die Rinderproduzenten – unverschuldet! – in enorme Schwierigkeiten, und der Witterungsverlauf wirft natürlich auch seine Schatten auf die pflanzliche Produktion voraus.

Daher ist es 1996 wichtiger denn je, daß sich die Bauern sowohl auf die auf EU- als auch auf die auf nationaler Ebene gemachten Zusagen 100prozentig verlassen können. Deshalb ist es positiv, daß trotz des Sparpaketes der Europavertrag, den die Regierung mit den heimischen Bauern geschlossen hat, auf Punkt und Beistrich – wie vereinbart – eingehalten wird.

Deshalb ist es auch von großer Bedeutung, daß die österreichische Landwirtschaft eine langfristige Orientierung hat: Gerade die dramatischen Ereignisse in Europa zeigen uns nämlich – Stichwort: Rinderseuche –, daß die ökologische Ausrichtung der Landwirtschaft in Österreich ein richtiger Weg ist, den österreichische Bauernbundpolitiker vorgegeben haben und der nunmehr auch in Europa einen entsprechenden Niederschlag findet.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir sind international federführend und verfügen damit längerfristig auch über hervorragende Voraussetzungen. Die österreichischen Umweltprogramme haben unzweifelhaft große Erfolge gezeitigt. Die Geldknappheit zwingt leider auch zu einem Einstiegsstopp im ÖPUL-Programm. Davon ausgenommen wird freilich bewußt die biologische Landwirtschaft, weil dies in Hinblick auf ein Förderungsprogramm für umweltgerechte Landwirtschaft ein verkehrtes Signal gewesen wäre.

Wir dürfen uns trotz knapper Mittel nicht vom eingeschlagenen, als richtig erkannten Weg abbringen lassen, sondern müssen ihn konsequent weitergehen und weiterverfolgen, gerade auch im Rahmen der Europäischen Union. Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das bedeutet für uns, daß erstens die Preis- und Einkommenspolitik auf die multifunktionalen Leistungen der Landwirtschaft abzustellen ist, daß zweitens konkrete und dauerhafte Abgeltungen der Umweltleistungen zu einer zentralen Maßnahme weiterzuentwickeln sind, daß drittens die sichere Versorgung der heimischen Konsumenten mit Qualitätsprodukten weiterhin zu fördern ist und daß viertens aus ökologischer und ökonomischer Verantwortung heraus die Erzeugung nachwachsender Rohstoffe und Energieträger zu fördern ist.

Daher ist auch der Effekt der Besteuerung der Energieabgabe auf Strom und Gas ein richtiger Weg. Ein Steuerungseffekt wird sicherlich auch darin liegen, daß diese Energieträger sparsamer genutzt werden. (Bundesrat Mag. Langer: Weil er auch für die selbsterzeugte Energie gilt!) Gleichzeitig werden Alternativen in ihren Kosten auch attraktiv, und es wäre ratsam, diese alternative Energienutzung noch bewußter zu fördern, damit wir einen Effekt verhindern, der für unsere Umwelt verhängnisvoll sein könnte. Daß nämlich durch die Energiebesteuerung auf Gas und Strom plötzlich auch die Allesbrenner in den Haushalten quasi zur privaten Müllverbrennungsanlage werden und damit unsere Umwelt verschmutzen, Herr Kollege Langer, das vergessen Sie leider in Ihrer Kritik immer wieder.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir von der Österreichischen Volkspartei werden dieser Vorlage gerne unsere Zustimmung geben. (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)

12.15

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Als nächster zu Wort gemeldet ist der Herr Staatssekretär.

12.15

Staatssekretär im Bundeskanzleramt Mag. Karl Schlögl: Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Präsidentin! Herzlichen Dank für die sehr engagierte Diskussion, die heute geführt worden ist. Sie ist in vielen Bereichen sehr kontroversiell gewesen.

Auch einige Bundesräte der beiden Regierungsparteien haben sich kritisch zu dem einen oder anderen Punkt in diesem Strukturanpassungspaket geäußert. Ich halte es für notwendig und wichtig, daß wir im Hinblick auf ein so umfangreiches Paket, das insgesamt Einsparungsmaßnahmen von fast 100 Milliarden Schilling beinhaltet, über die einzelnen Auswirkungen diskutie


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ren. Es wäre ungerecht und unfair, zu behaupten, daß diejenigen, die dieses Paket geschnürt haben, unfehlbar sind.

Natürlich sind wir uns dessen bewußt, daß in diesem Paket manche Dinge enthalten sind, die wir uns gerne erspart hätten. Manche Bereiche sind reformiert und verändert worden, wobei wir jedoch hoffen, daß wir dort in finanzkräftigeren Zeiten wieder neue und andere Regelungen treffen können. In Summe bin ich überzeugt davon, daß es zu diesem Paket keine oder nur eine geringfügige Alternative gegeben hätte.

Wenn wir uns die internationale Entwicklung ansehen, so müssen wir doch feststellen und festhalten, daß dieser österreichische Weg ein Weg ist, auf dem uns viele Staaten in ähnlicher Form folgen. Wenn ich mir nur die Entwicklung in Deutschland anschaue, wo 350 Milliarden Schilling eingespart werden müssen – zum Teil mit viel gravierenderen sozialpolitischen Auswirkungen als in Österreich –, so glaube ich, daß der Zeitpunkt, zu dem dieses Sparpaket geschnürt worden ist, richtig gewählt war. Die Form und die Inhalte sind richtig – bei all der notwendigen Kritik, die ich auch bejahe und manchmal auch einsehe. Es ist eine wichtige, entscheidende Weichenstellung für die Zukunft.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wichtig ist, daß dieses Paket einige Grundprinzipien enthält, die deutlich herausgestrichen werden. – Ganz wichtig ist, daß man von dem Grundprinzip ausgegangen ist, daß die Sparmaßnahmen sozial gerecht sein und alle Bevölkerungsgruppen betreffen sollen, und zwar insofern, als diejenigen, die in unserem Land wenig verdienen, wenig zu diesem Paket beitragen, hingegen diejenigen, die in unserem Land mehr verdienen, deutlich mehr dazu beitragen.

Grundprinzip ist auch, daß wir mit diesem Paket unser Land nicht kaputt sparen wollen, sondern daß es begleitend ein umfangreiches Infrastruktur- und Investitionsprogramm gibt, das vor allem durch Privatisierungen und Verkäufe von Bundesvermögen finanziert wird.

Entscheidend und wichtig ist, daß in vielem, was mit diesem Paket geleistet wird, bereits auch Reformen für die Zukunft enthalten sind, daß es sich nicht um Einmalmaßnahmen handelt, sondern um Maßnahmen, die langfristig wirken, Strukturen aufbrechen und Strukturen verändern.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Schlußendlich gibt es auch einige Maßnahmen in diesem Paket, die dazu dienen, Schlupflöcher – vor allem im Steuerbereich – zu schließen, mit denen aber auch versucht wird, den Mißbrauch, der in manchen Bereichen aufgetreten ist, zu bekämpfen. Wir haben gemeinsam in den letzten Jahren und Jahrzehnten sehr viele soziale Errungenschaften entwickelt. Manche dieser sozialen Errungenschaften sind jedoch von einigen in einem Ausmaß ausgenützt worden, das nicht mehr zu rechtfertigen ist. Ich glaube, daß mit diesem Paket, vor allem im Sozialbereich, ein Teil dieser Mißbräuche abgestellt wird.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es wurde von der Freiheitlichen Partei von Katastrophe, von Krise, von einer verfehlten Finanz- und Wirtschaftspolitik gesprochen. – So sehr ich das vom Standpunkt der Freiheitlichen Partei als der Oppositionspartei im Bundesrat verstehe, sosehr muß ich doch darauf hinweisen, daß viele Länder Europas und viele Länder dieser Welt hocherfreut wären, wenn sie Wirtschaftskennzahlen wie Österreich hätten. Durch unsere gemeinsame Arbeit ist es gelungen, daß wir die niedrigste Inflationsrate seit sieben Jahren haben: Wir haben derzeit eine Inflationsrate von nur mehr 1,5 Prozent! Wir haben eine Arbeitslosenrate, die im internationalen Vergleich die zweitniedrigste ist. Wir haben 3,8 Prozent Arbeitslose in Österreich. Das ist ein Prozentsatz, der zugegebenermaßen für österreichische Verhältnisse sehr hoch, für europäische Verhältnisse aber denkbar niedrig ist: Die Bundesrepublik Deutschland hat eine Arbeitslosenrate von knapp 11 Prozent, Spanien von 22 Prozent. Der europäische Durchschnitt liegt bei 10,8 Prozent. – Ich glaube daher, daß wir uns mit unseren Zahlen durchaus sehen lassen können.

Der Schilling ist die härteste und stabilste Währung in Europa neben der D-Mark. Das österreichische Wirtschaftswachstum war auch im vergangenen Jahr ein ansehnliches, und selbst im Jahre 1996 sagen alle Wirtschaftsforschungsinstitute ein Wirtschaftswachstum von etwa 1 Prozent voraus.


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Schlußendlich haben wir einen sozialen Frieden, um den uns viele andere Staaten beneiden. Wenn ich nur daran denke, welche Maßnahmen in anderen Staaten getroffen worden sind und welche Reaktionen diese Maßnahmen hervorgerufen haben – ich möchte nur an die großen Unruhen in Frankreich Ende des vorigen Jahres erinnern –, so zeigt das doch, daß all unsere Maßnahmen sehr ausgewogen sind.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Einen Vorwurf möchte ich ganz entschieden zurückweisen, nämlich daß dieses Paket gegen die Interessen der Länder und Gemeinden gerichtet und ohne Länder und Gemeinden geschnürt wurde. Gerade dieses Konsolidierungspaket und gerade die Budgets 1996 und 1997 sind für mich ein Musterbeispiel dafür, wie man die Länder und Gemeinden einbinden kann. Es hat noch nie in der Geschichte der Zweiten Republik ein solches Zusammenwirken aller Gebietskörperschaften gegeben, um den Staatshaushalt zu sanieren, wie bei diesem Paket. Ich möchte darauf hinweisen, daß die eigentlichen Architekten dieses Paketes – nämlich Finanzminister Klima, Wirtschaftsminister Ditz und Landeshauptmann Stix und Landesstatthalter Sausgruber – dieses Paket in enger Kooperation zwischen Bund und Ländern geschnürt haben.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das ist kein Paket gegen die Länder, sondern das ist ein Paket für die Länder. Das ist ein Paket, das den Ländern und Gemeinden enorme zusätzliche finanzielle Mittel bringt. Wissen Sie, daß durch diese Strukturmaßnahmen allein im Jahre 1997 8 Milliarden Schilling zusätzlich in die Länderkassen und 4,1 Milliarden Schilling zusätzlich in die Gemeindekassen wandern werden? – Mit diesem Geld können die Länder und Gemeinden ihre Haushalte, die zugegebenermaßen in den letzten Jahren auch einigermaßen in Unordnung geraten sind, wieder deutlich sanieren. Ich halte das für notwendig und wichtig.

Wenn oft darüber gesprochen worden ist, daß wir in den letzten zwei Jahren sehr starke Defizite haben: Zugegeben, der Staatshaushalt ist in manchen Bereichen aus den Fugen geraten – keine Frage –, aber das hat natürlich auch Gründe: 1992 hatten wir beispielsweise bereits eine Neuverschuldung von unter 3 Prozent. Durch verschiedene Maßnahmen, wie beispielsweise durch die Durchführung von zwei Steuerreformen in den Jahren zwischen 1990 und 1994, durch die Tatsache, daß wir das zweite Karenzurlaubsjahr eingeführt haben, das den Staatshaushalt mit fast 8 Milliarden belastet hat, durch die Tatsache, daß wir als einziges Land Europas eine Pflegevorsorge eingeführt haben, die von fast 300 000 Menschen in Anspruch genommen wird und die uns insgesamt fast 20 Milliarden Schilling kostet, ist dieser Budgethaushalt durcheinandergeraten. Darum war es notwendig und wichtig, diese Maßnahmen zu treffen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich glaube, zusammenfassend sagen zu dürfen, daß dieses Paket ein wichtiges und zukunftsorientiertes Paket ist und daß damit bewirkt wird, daß aufgrund der Maßnahmen, die vorige Woche im Nationalrat und, so hoffe ich, heute auch hier im Bundesrat beschlossen werden, der erfolgreiche sozialpolitische und wirtschaftspolitische Weg Österreichs auch in Zukunft fortgesetzt und gesichert werden kann. (Beifall bei der SPÖ und bei Bundesräten der ÖVP.)

12.25

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Als nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Pfeffer. Ich erteile ihr dieses.

12.25

Bundesrätin Katharina Pfeffer (SPÖ, Burgenland): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Herr Staatssekretär! Hohes Haus! Meine Damen und Herren! Daß die Budgetkonsolidierung notwendig geworden ist und damit auch Einschränkungen bei den staatlichen Ausgaben im Sozialbereich verbunden sind, ist uns inzwischen klar geworden. Ich glaube aber, daß man feststellen muß, daß auch andere Staaten ähnliche, ja sogar größere Probleme, bei der Bewältigung ihrer Aufgaben haben und daß sich der österreichische Weg deutlich von jenem Weg unterscheidet, den andere Staaten gehen. – Das Gesamtpaket dieses Konsolidierungsprogrammes ist auch mit jenen Absichten verbunden, die die Bundesregierung in ihrem Arbeitsprogramm bekundet.

Wir haben in den letzten Wochen immer wieder Meldungen aus anderen Staaten mit hohem Lebensstandard vernommen, daß sie gewaltige Einschränkungen vornehmen müssen. In der


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Bundesrepublik Deutschland beispielsweise hat man die Absicht, um 50 Milliarden Mark – das sind mehr als 350 Milliarden Schilling – zu kürzen, in Schweden soll um umgerechnet 48 Milliarden Schilling gekürzt werden, in Großbritannien um 65 Milliarden und in Italien um umgerechnet 66 Milliarden. Das zeigt, daß das nicht ein österreichisches Phänomen ist, sondern ganz Westeuropa betrifft. Ich möchte gar nicht davon reden, was sich im vergangenen Jahr in Frankreich gerade auf diesem Sektor abgespielt hat.

Wenn hier immer wieder gesagt wurde, daß die Sicherung von Arbeitsplätzen und die Kreditwürdigkeit Österreichs im Vordergrund steht, dann möchte ich hinzufügen, daß diese Priorität für alle zu gelten hat. Denn nur wenn wir Arbeitsplätze haben und die Wirtschaft gesichert ist, können auch andere Maßnahmen, die es uns ermöglichen, die sozialen Standards aufrechtzuerhalten, gesetzt werden.

Ich glaube, man sollte es sehr neutral und sehr objektiv sehen: Es gab auch in der Vergangenheit im Bereich des Sozialen Veränderungen, Kürzungen und Rücknahmen. Jetzt sind wir natürlich besonders gefordert, denn es hat sich noch nie um ein vergleichbares Ausmaß an Kürzungen gehandelt. Insgesamt haben wir mit dem Sozialkapital 30 Milliarden budgetwirksam und budgetstabilisierend in den Vorschlägen verankert. Ich glaube aber, daß in der Struktur dieses Programmes eindeutig erkennbar ist, daß keine einseitigen Belastungen entstehen, daß alle Bevölkerungsgruppen betroffen sind und daß ausdrücklich Wert darauf gelegt werden wird, daß in der Gewichtung die Einkommensschwachen, also die Schwächeren in unserer Gesellschaft, geschont beziehungsweise nur zu einem wesentlich geringeren Ausmaß betroffen sind. Ich meine, das ist ganz wichtig, um jene soziale Ausgewogenheit zu erhalten, die wir zu Recht aus sozialpolitischer Sicht verlangen. Gerade wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten wissen, daß Arbeit für den Menschen mehr als eine reine Existenzgrundlage ist: Arbeit ist darüber hinaus ein Teil dessen, was allgemein als Sinn des Lebens bezeichnet wird.

In diesem Strukturanpassungsgesetz haben wir einen Schritt gesetzt, arbeitnehmerähnliche Arbeitsverträge sozialrechtlich abzusichern. Ich sage bewußt: Das war ein erster Schritt, und wir müssen weitere Regelungen anstreben, um die Umgehung arbeits- und sozialrechtlicher Bestimmungen und Absicherungen weiter zu verhindern. Dazu gehört die Lösung für die Sozialversicherungspflicht für geringfügig Beschäftigte genauso wie das Zusammentreffen von mehreren geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen auch bei Werkverträgen.

Diese Maßnahmen werden auch die Lebenssituation der Frauen verbessern. Trotz einzelner Maßnahmen in diesem Strukturanpassungsgesetz, die schmerzhaft sind, finden wir auch emanzipatorische – zugegebenermaßen würde ich mir mehr davon wünschen –, vor allem aber beschäftigungssichernde Maßnahmen.

Hinsichtlich Bundespflegegeldgesetz beruhigt mich, daß es Stichproben geben wird, anhand derer überprüft werden soll, ob das Pflegegeld zu Recht bezahlt wird oder ob etwas geändert werden muß. Es stimmt mich traurig, daß zu solchen Maßnahmen gegriffen werden muß, aber es wurde mit dem Pflegegeld sehr viel Schindluder getrieben, sodaß dies ganz einfach notwendig geworden ist.

Eine Bemerkung zu den Pensionen: Die Entwicklung, nicht nur im materiellen Bereich, in den letzten 40 Jahren ist gewaltig. Wir haben 1959 in Summe zirka 900 000 – genau: 875 447 – Pensionisten zu verzeichnen gehabt. Ende 1995 hat sich diese Summe verdoppelt. Ich brauche die Begründung dafür nicht anzuführen, warum es diese rasante Entwicklung im Bereich der Pensionisten und Pensionistinnen gibt, wegen der wir es nicht geschafft haben, daß mit der Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts und auch der Budgetentwicklung in gleichem Maße Schritt gehalten werden konnte. Eines, so glaube ich, müssen wir aber immer wieder herausstreichen: Es wird nach Abschluß dieser Verhandlungen zu keinen Kürzungen bei den bestehenden Pensionen kommen. In den letzten Monaten ist in der Öffentlichkeit immer wieder das Gerücht herumgegeistert, daß es eine Erhöhung der Krankenversicherungsbeiträge bei den Pensionisten geben wird, weil sie auch mehr Kosten verursachen. – Dazu sage ich sehr deutlich: Die Pensionisten haben über Jahre und Jahrzehnte ihre Beiträge bezahlt und haben sicher in jungen Jahren entsprechende Leistungen weniger in Anspruch nehmen können. Jetzt, da sie verstärkt


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davon Gebrauch machen können, sollen sie wieder zur Kasse gebeten werden. Dazu wird mir von den Pensionistenvertretern bei verschiedensten Kundgebungen signalisiert: Sagen Sie nein! – Die Pensionisten haben ihren Beitrag zum Sparpaket schon mit dem Entfall der Pensionsanpassung geleistet.

Meine Damen und Herren! Nach wie vor werden wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten uns für die Beschäftigung der arbeitenden Menschen einsetzen und deren Probleme zu lösen versuchen. – Ich danke schön. (Beifall bei der SPÖ und bei Bundesräten der ÖVP.)

12.31

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Als nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Dr. Prasch. – Bitte sehr.

12.31

Bundesrat Dr. Helmut Prasch (Freiheitliche, Kärnten): Frau Präsidentin! Herr Staatssekretär! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte noch auf einige Punkte hinweisen, die aus den Ausführungen des Herrn Staatssekretärs hervorgegangen sind, insbesondere auf Ihre Aussage, Herr Staatssekretär, daß Länderinteressen von diesem Belastungspaket nicht oder nur am Rande betroffen seien. Meine Fraktionskollegen und ich sind der Meinung, daß dieses Belastungspaket Länderinteressen nicht nur massiv berührt, sondern auch massiv in diese Länderinteressen eingegriffen wird.

Wir haben vor dem Eingehen in die heutige Tagesordnung versucht, deutlich zu machen, in welcher Form dieses Strukturanpassungsgesetz in den Ländern zur Begutachtung verteilt wurde, daß die Fristen nicht gepaßt haben und daß sehr wohl etwa die Landesregierungen von Niederösterreich, die der Steiermark oder die von Kärnten massive auch verfassungsrechtliche Bedenken gegen dieses Strukturanpassungsgesetz haben. Daher ist die Aussage, daß dieses Strukturanpassungsgesetz Länderinteressen nicht berühre – jedenfalls aus unserer Sicht – nicht richtig. (Staatssekretär Mag. Schlögl: "Positiv berührt" habe ich gesagt!)

Positiv berühren? – Ich möchte fast so weit gehen und sagen, daß die Bundesregierung versucht hat, sich die Zustimmung der Länder teilweise insofern zu erkaufen, als daß man bei der Budgetplanung und Budgeterstellung versucht hat, gewisse Zuckerln als Anreiz unterzubringen. (Zwischenruf des Bundesrates Payer. ) Als Beispiel, Herr Präsident, möge die Erhöhung der Wohnbauförderung dienen, die man von 24,5 Milliarden auf 30 Milliarden Schilling erhöht hat. – Das ist an sich eine positive Tatsache. Während der Budgetverhandlungen hat man dann allerdings die Erhöhung um 5,5 Milliarden Schilling wieder herausgenommen und es den Ländern praktisch freigestellt, über dieses Geld zu verfügen. Und das ist genau dieses berühmte Zuckerlwerfen, mit dem man – wie ich meine – versucht, sich die positive Zustimmung der Länder zu holen.

Was werden die Länder damit machen? – Es ist ja nirgends festgeschrieben, daß dieses Geld auch tatsächlich für die Wohnbauförderung verwendet werden soll. Vielmehr schaut es so aus, daß in vielen Bundesländern, in denen die Finanzsituation ebenfalls sehr angespannt ist, dieses Geld eher zum Stopfen von Budgetlöchern als zweckgebunden und, wie ursprünglich vorgesehen, für die Wohnbauförderung und vor allem für den sozialen Wohnbau verwendet werden wird.

Ich möchte noch darauf eingehen, was Kollege Weiss in der Einwendungsdebatte gesagt hat – leider ist er nicht da –, er hat nämlich hier ganz offen zugegeben, daß dieses Strukturanpassungsgesetz natürlich Mängel hat. – Ich verstehe absolut nicht, daß Politiker wie Jürgen Weiss, der die Lage der Länder noch viel besser kennt als manch andere Kollegen, heute ganz einfach ein Gesetz mit beschließt, von dem er schon jetzt weiß, daß es wirklich gravierende Mängel hat. (Bundesrat Payer: Er hat nicht gesagt, daß die Mängel gravierend sind!)

Ich möchte auch sagen, daß es gerade die ÖVP ist, die in ihrer Wirtschaftspolitik immer wieder kritisch feststellt, daß wir eine zu große Menge an Gesetzen haben. Die ÖVP weist immer wieder zu Recht darauf hin, daß es einfach zuviel ist, wenn Gesetze beschlossen werden, um danach laufend novelliert zu werden, weil das letztendlich einen Gesetzesdschungel ergibt, in


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dem sich niemand mehr auskennt. Wenn man schon vor der Beschlußfassung eines Gesetzes weiß, daß es bald wieder novelliert werden muß, wie es beim vorliegenden Strukturanpassungsgesetz der Fall sein wird, dann wäre es wohl gescheiter, diese Materie, mit der noch dazu so wichtige Dinge behandelt werden, ein bißchen zurückzustellen, ein bißchen genauer darüber nachzudenken, die Länder ein bißchen stärker einzubinden, die Stellungnahmen der Bundesländer ein bißchen genauer durchzulesen und zu studieren, um dann wirklich Nägel mit Köpfen aus der Sicht der Bundesregierung – für uns ist es ja nicht so – zu machen.

Ich darf mir noch erlauben, einige für mich besonders markante Punkte aus diesem Strukturanpassungsgesetz beziehungsweise aus den Begleitgesetzen dazu herauszugreifen, die mich sehr stören: – Mich stört vor allen Dingen die Tatsache, daß man Steuergesetze in den Verfassungsrang gehoben hat, und zwar nur mit einem Ziel, nämlich daß rückwirkende Eingriffe möglich werden. Ich halte diesen Weg, daß man diese Gesetze in den Verfassungsrang erhoben hat, einfach für falsch, weil damit jede Rechtsschutzmöglichkeit für den Bürger ausgeschaltet wird.

Was mich besonders wundert, ist die Tatsache, daß sich gerade die SPÖ und die ÖVP zu diesem Schritt hinreißen lassen und mit der Verfassung spielen. Gerade diese beiden Parteien sind es nämlich, die den Freiheitlichen immer wieder vorwerfen, daß sie mit Verfassungsgesetzen aufräumen wollen. (Bundesrat Prähauser: Diesen Vorwurf machen wir Ihnen zu Recht!) Herr Kollege! Erstens stimmt das nicht. Zweitens sind wir jetzt diejenigen, die sich zwar nicht immer als Gralshüter der Verfassungsordnung und der Bundes-Verfassung aufspielen, die heute aber die Verfassung verteidigen wollen und darauf aufmerksam machen müssen, daß Sie den Rechtsschutz für die Bürger ausschalten, indem Sie Steuergesetze mittlerweile bereits in den Verfassungsrang erheben.

Herr Staatssekretär! Ich möchte mir jetzt noch erlauben, auch auf das Thema Lehrlingsentschädigungen aufmerksam zu machen. Es wurde heute immer wieder von Kollegen der SPÖ und ÖVP darauf aufmerksam gemacht, welche beschäftigungspolitischen Effekte dieses Strukturanpassungsgesetz hat. – Die Lehrlingsentschädigung wird jedoch in diesem Sparpaket gesenkt. Das ist für mich unverständlich. Es gibt Branchen, wie Sie genau wissen, Herr Staatssekretär, in denen die Lehrlingsentschädigung im Monat nur etwas mehr als 2 000 S beträgt. Wenn man tatsächlich einen Beitrag dazu leisten möchte, daß die Unternehmer entlastet werden, dann hätte man voriges Jahr oder vor zwei Jahren nicht die Lehrlingsentschädigungen in die Kommunalabgabe einbinden sollen. Hätte man das vermieden, so hätte das eine 3prozentige Entlastung für die Unternehmer ergeben, und zwar eine tatsächliche Entlastung. So wird hingegen wiederum am falschen Fleck gespart, nämlich bei den kleinsten und bei den kleinen Verdienern – nämlich bei den Lehrlingen –, und das genaue Gegenteil von dem, was man eigentlich vorhatte, erzielt.

Was macht die Gewerkschaft? – Der Österreichische Gewerkschaftsbund findet überhaupt nichts an dieser Tatsache. Vielmehr wird noch einen Schritt weitergegangen. Meine sehr geehrten Damen und Herren von den Koalitionsparteien! Erinnern Sie sich, was Sie den Österreicherinnen und Österreicher vor dem 17. Dezember versprochen haben. Zum Beispiel haben Sie die sogenannten Überstundenregelungen tabuisiert und gesagt: Hände-weg! Man hat vor allem von seiten der SPÖ versprochen, daß die bestehenden Überstundenregelungen niemals angetastet werden. Die Gewerkschaft ist sogar so weit gegangen, daß sie gesagt hat: Wenn jemand die Senkung von Lohnnebenkosten fordert, dann meint er wahrscheinlich sogar die Besteuerung des Weihnachts- und Urlaubsgeldes beziehungsweise der Überstunden.

Nach den Wahlen schaut die ganze Sache dann allerdings etwas anders aus: Heute redet man nicht über die Besteuerung der Überstunden, nein, man geht viel weiter und redet über die Verlängerung der täglichen Arbeitszeit, was selbstverständlich und selbstredend den Tod jeder Überstundenentlohnung bedeutet. Und was besonders interessant ist: Auch die Arbeitnehmerinteressengemeinschaften – die Arbeiterkammer und der Österreichische Gewerkschaftsbund – schweigen dazu.

Nun noch ein letztes zur Beschäftigungssituation überhaupt: Wie Sie sich erinnern werden, hat der seinerzeitige Wirtschaftsminister Schüssel unmittelbar vor dem EU-Beitritt versprochen, daß in Österreich bis zum Jahr 2000 an die 70 000 neue Arbeitsplätze entstehen sollen. Meine


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Damen und Herren! Nach Vorliegen der jüngsten Ergebnisse der großen Wirtschaftsforschungsinstitute wissen wir, daß wir derzeit eine Rekordarbeitslosigkeit in Österreich haben. In Kärnten – darauf darf ich Sie aufmerksam machen – beträgt sie bereits 13 Prozent. (Bundesrat Hüttmayr: Wie viele Beschäftigte haben wir derzeit?) Das kann ich Ihnen jetzt im Augenblick nicht auswendig sagen. (Bundesrat Hüttmayr: Schauen Sie einmal nach, wie hoch die Nettobeschäftigung ist!) Warum? (Bundesrat Hüttmayr: Sie verzerren die Statistik!) Wir in Kärnten haben eine sehr schlechte Wirtschaftslage, Herr Kollege! (Bundesrat Hüttmayr: Faktum ist, daß es in Österreich mehr Beschäftigte gibt, als Sie darstellen!)

Herr Kollege! Führen Sie in dieser heiklen Frage bitte keine parteipolitische Polemik! An den nackten Fakten ist nicht zu rütteln. Es waren an die 13 Prozent Arbeitslose in den Wintermonaten. Daran ist nicht zu rütteln. (Bundesrat Hüttmayr: Es gibt aber netto mehr Beschäftigte!) Beim Operieren mit diesen Zahlen würde ich sehr vorsichtig sein, meine sehr geehrten Damen und Herren, denn die wirtschaftliche Situation ist momentan wirklich großteils nicht mehr verkraftbar.

Ich wollte eigentlich darauf aufmerksam machen, daß der damalige Wirtschaftsminister Schüssel gesagt hat, daß es 70 000 neue Arbeitsplätze geben wird, wir jedoch jetzt eine Rekordarbeitslosigkeit haben. Und was noch schlimmer ist: Diese Arbeitslosenrate wird sich im EU-Durchschnitt bei etwa 8 Prozent einpendeln. Und wenn bei uns die durchschnittliche Arbeitslosigkeit während eines Jahres bei 8 Prozent liegen wird, dann sind das bis zum Jahr 2000 genau um 70 000 Arbeitsplätze weniger, als wir derzeit haben. Das ist eine Situation, an der wir alle arbeiten müssen. Wir müssen insbesondere versuchen, auch in den Bundesländern neue Beschäftigungsoffensiven in den Landtagen zu starten, wenn es die Bundesregierung schon nicht macht. – Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

12.40

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Als nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Pischl. – Bitte

12.40

Bundesrat Karl Pischl (ÖVP, Tirol): Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Sehr geehrter Herr Staatssekretär! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Prasch hat darauf hingewiesen, welch kritische Sichtweise und Stellungnahmen es von den Ländern gegeben hat. – Ich glaube, es ist fraglos auch richtig und sinnvoll, daß man von seiten der Länder auf diese Dinge hinweist. Ansonsten reißt es womöglich ein, daß für die Abgabe von Stellungnahmen wirklich nur mehr etwa ein Woche zur Verfügung steht. In diesem Fall handelt es sich aber tatsächlich um eine außerordentliche Situation, und eine solche Situation erfordert eben auch ein außerordentliches Zusammenwirken der einzelnen Institutionen bis hin zu den Gemeinden.

Ich kann aber nur wiederholen – das habe ich, wie ich glaube, von Ihnen auch nicht gehört –: Es hat kein Land verlangt, daß wir hier gegen diese Strukturgesetze stimmen sollen. Es gab zwar eine kritische Betrachtung, und es gibt Mängel: Wo gehobelt wird, fallen Späne. Ich glaube, es ist uns allen klar – auch den Ausführungen des Herrn Staatssekretärs haben wir das entnehmen können, daß es da und dort sicherlich Mängel geben kann. Diese wurden jedoch nicht bewußt in den Gesetzesrahmen gegossen. Diese Mängel werden sich bei der Durchführung zeigen, und wir werden in den nächsten Jahren Erfahrungen sammeln können.

Gewisse Unsicherheiten dürfen aber nicht dazu führen, daß dringend notwendige Entscheidungen einfach hinausgeschoben werden. Ich weiß nicht, wie lange das nach Ihren Vorstellungen dauern sollte. Ich meine: Wir müssen jetzt zu Entscheidungen kommen, um arbeiten zu können.

Eine kritische Betrachtung auch von den Rednern von den Regierungsparteien hier vom Pult aus ist – wie auch angeführt wurde – sinnvoll und notwendig, weil es auch darum geht, daß die Politik nach diesen beiden Budgets weiterentwickelt werden soll. Und darüber, wie diese Weiterentwicklung ausschauen wird, müssen wir uns heute schon klar werden, das müssen wir thematisch anreißen. Wir müssen Perspektiven gewinnen und vielleicht auch ein bißchen visionär sein.


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Daher glaube ich, daß dieses Arbeits- und Regierungsprogramm umgesetzt werden muß. Es bringt – wie schon von verschiedenen Rednern aufgezeigt – entscheidende gesetzliche Änderungen. Es mündet eben ein ganzes Konvolut in das Strukturanpassungsgesetz 1996, und dieses haben wir heute im Bundesrat zu diskutieren und – wie ich hoffe – auch zu beschließen.

Frau Kollegin Kainz hat darauf hingewiesen, daß sie Bedenken hat, ob die Österreichische Volkspartei zu diesen Vereinbarungen steht. Frau Kollegin Kainz! Ich möchte Sie beruhigen: Die Volkspartei steht zu diesem gemeinsamen, teilweise sicherlich für alle schmerzhaften Programm. (Bundesrätin Kainz: Ich frage mich, zu wem Sie stehen!) Ich möchte noch hinzufügen: Es handelt sich um einen politischen Kompromiß zwischen den beiden Parteien. Und ein solcher Kompromiß muß möglich sein, damit die Probleme überhaupt bewältigt werden können und die Zukunft gestaltet werden kann. Die Österreichische Volkspartei bekennt sich dazu und will durch diese Maßnahmen zu einer zukünftigen glaubwürdigen Politik auch entsprechend beitragen.

Der entscheidende Schwerpunkt der Politik dieser neuen Bundesregierung liegt eben in der Konsolidierung des Haushaltes. So werden in den nächsten Tagen vom Nationalrat die zwei Budgets 1996 und 1997 beschlossen werden. Im Zusammenhang mit diesen Budgets wurde die Notbremse gezogen, was den allgemeinen Ausgabenrahmen angeht, um sicherzustellen, daß der da und dort vorhandene Wildwuchs an oft ungerechtfertigten Leistungen abgestellt wird.

Wir haben in den letzten Jahren in verschiedenen Bereichen über unsere Verhältnisse gelebt. Dies soll kein Vorwurf an den Bürger in unserem Lande sein. Die Feststellung dieser Tatsache muß vielmehr zu einer kritischen Betrachtung und Überprüfung von politischen Entscheidungen führen: Viel zu oft, meine Damen und Herren, mußten parteipolitische Wahlzuckerln eingelöst werden, die vom Bürger gar nicht gefordert worden waren. (Beifall der Bundesräte Dr. Tremmel und Waldhäusl. ) Darüber hinaus haben wir gemeinsam Beschlüsse gefaßt, in denen man eine Politik des Geschenke-Machens betrieben hat, ohne eine soziale Staffel dafür einzuführen.

Herr Kollege Dr. Tremmel! Auch Ihre Fraktion hat bei den verschiedensten Beschlüssen dieser Art mitgestimmt! Ich glaube, wir sollten uns hier nicht gegenseitig Schuld zuweisen, sondern wir sollten uns gemeinsam darüber klar sein, daß mit dieser Politik jetzt einfach Schluß gemacht werden muß.

Es wird in den nächsten zwei Jahren zur Umsetzung dieser Sparbudgets kommen, die in ihrer Auswirkung – so hoffe ich sehr – die Schaffung neuer Strukturen und Rahmenbedingungen zulassen wird. Daher betrachte ich diese Maßnahmen als eine Chance für die Zukunft. Ich bekenne mich zum Sparen und kann nur hoffen, daß diese Sparmaßnahmen sozial treffsicher sind und jeder in unserer Gesellschaft seinen Beitrag dazu leistet. Ob die Entwicklung so laufen wird, werden wir erst in der nächsten Zeit sehen. Diese Frage hat auch der Herr Staatssekretär etwas offengelassen.

Herr Staatssekretär! Was die Ausgewogenheit dieses Budgets aufgrund der Strukturanpassungsgesetze anlangt, hege ich noch etwas meine Zweifel, und zwar wenn es um den für mich äußerst wichtigen, aber sehr sensiblen Bereich der Familie geht. Ich kann mich auf weite Strecken den heutigen Ausführungen von Frau Kollegin Kainz, von Frau Kollegin Schicker, aber auch von Frau Haubner anschließen. Mit Feinfühligkeit betriebener Familienpolitik müssen wir alle – das ist mein Wunsch an die Bundesregierung – einen entsprechenden neuen Stellenwert einräumen.

Meine Damen und Herren! Die Familienpolitik in ihrer Gesamtheit und deren Stellenwert in der Gesellschaft wurde zu meinem Leidwesen in der Regierungserklärung kaum angesprochen. Es ist für mich ein eigenartiges Phänomen in unserer Gesellschaft, mit welchem Engagement man Bedürfnisse schafft und welcher Stellenwert manchen politischen Diskussionen gegeben wird. Ein Beispiel dazu: Erinnern Sie sich, mit welcher Vehemenz und mit welchem Engagement die Mautdiskussion um die 550 S geführt wurde und wird. Betreffend die Auswirkungen des Strukturanpassungsgesetzes für die Familien und die Kinder und deren Anliegen gibt es hingegen kaum Politikerstimmen, die sich erheben, und schon gar keinen Medienrummel.


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Hohes Haus! Als Leiter des Familienreferates des Bundeslandes Tirol bin ich täglich mit konkreten Fragen und Problemen des Familienalltags konfrontiert. Deshalb möchte ich heute schon darauf hinweisen, daß wir die Zeit bis zu den nächsten Budgetverhandlungen für das Jahr 1998 nützen müssen, um neue, bessere und mehr zielorientierte Grundlagen für die Familie schaffen zu können, damit sich ab 1998 – und ich hoffe, daß wir das gemeinsam bewältigen – das Humankapital unserer Gesellschaft besser als bisher entwickeln kann.

Meine Damen und Herren! Es steht – hoffentlich für uns alle – außer Frage, daß die Kinder und damit die Familien zusätzlich zu anderen Maßnahmen von diesen Sparpaketen in einzigartiger Weise betroffen sind. Die von den Familien erbrachten Vorleistungen in Form der Kürzung der Familienbeihilfe von 1 200 S pro Jahr ab 1995 und die echten Nullrunden bei der Anpassung an die Lebenshaltungskosten seit 1993 wurden leider Gottes in diesem Konsolidierungspaket nicht oder zuwenig gewürdigt: Es sind weitere Kürzungen erfolgt.

Herr Finanzminister! Die Notwendigkeit dafür läßt sich für mich aus dem Ziel der Budgetkonsolidierung nicht oder nur sehr schwer begründen. Denn der Familienlastenausgleichsfonds wäre strukturell nicht expansiv und würde sich nicht akut auf das Defizit auswirken, wenn es keine Einnahmenkürzungen und systemfremde Finanzierungsverpflichtungen in der Vergangenheit gegeben hätte. Deshalb finde ich folgende Formulierung im Ausschußbericht etwas eigenartig – ich darf zitieren –: Im Lichte der zentralen Forderung nach einer Sicherheit der familienpolitischen Leistungen auf Dauer und auf einem hohen Niveau ist durch die vorliegende Gesetzesnovelle die Zuerkennung der Leistungen im Rahmen des Familienlastenausgleichsfonds an die Familien ein Hauptanliegen. Dadurch, und nur dadurch, kann sowohl dem Spargedanken entsprochen als auch die Aufrechterhaltung der Sozialleistungen sichergestellt werden.

Meine Damen und Herren! Bevor ich ganz kurz auf diesen Satz eingehe, möchte ich feststellen, daß es für mich schon fast symptomatisch ist, welche Einstellung wir auch hier im Hohen Bundesrat gegenüber den Familien aus unserer Gesellschaft mitbringen, wenn wir hier von Sozialleistungen reden.

Meine Damen und Herren! Als im Jahre 1954 der Familienlastenausgleichsfonds beschlossen wurde, hat niemand von den Sozialleistungen gesprochen, sondern man hat von der Abgeltung zusätzlicher Leistungen, die in den Familien erbracht wurden, gesprochen und die entsprechenden Beschlüsse zur Schaffung eines solchen Fonds gefaßt. Dieser Fonds wurde nicht aus Budgetmitteln gespeist. Es hat langdauernde und langwierige Verhandlungen gegeben, und die Arbeitnehmer in diesem Staate haben einen Lohnverzicht geleistet, damit dieser Fonds überhaupt entwickelt werden kann. (Beifall bei den Freiheitlichen.) Nur durch die Haltung der Gewerkschaft war es damals möglich, daß auch Mittel aus Einkommensteuer und Körperschaftsteuer mit einbezogen werden konnten.

Jetzt aber noch einmal zurück zu dieser Darstellung im Bericht, meine Damen und Herren! Ich weiß nicht, ob man jetzt in Zukunft argumentieren kann – Herr Bundesminister, ich habe in diesem Zusammenhang großes Bauchweh und große Bedenken – durch die Reduzierung aus der Einkommensteuer und Körperschaftsteuer heraus, die den Familienlastenausgleichsfonds speisen sollte, denn für mich sind diese Schritte für 1996 und 1997 einfach sehr starke Kürzungen. Ich weiß, daß man einfach Zahlen annehmen mußte, um überhaupt Verrechnungen durchführen zu können. Ich hoffe nur, daß für diese beiden Jahre die angenommenen Zahlen entsprechend wirksam werden, denn diese Kürzung bedeutet für mich – wahrscheinlich auch für viele Familien, die sich damit beschäftigen –, daß der Familienlastenausgleich von der Bundesregierung an eine kurze oder kürzere Leine genommen werden soll. Der Spielraum für familienpolitische Leistungen beziehungsweise sinnvolle Maßnahmen wird dadurch in der Entscheidung sehr stark eingeengt.

Herr Bundesminister! Es ist in dem Zusammenhang natürlich auch das große Problem, ob wir nicht doch den Weg gehen sollten, daß ab 1998 – zumindest sollte es eine Überlegung sein – wieder ein entsprechender Spielraum für Familien gegeben ist, um den Prozentanteil gerade aus der Körperschaftsteuer und Einkommensteuer etwas zu heben. Wir müssen diesen eingeschlagenen Weg – es wird auf beiden Seiten unserer Parteien Gruppen geben, die diesen ein


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geschlagenen Weg gerne weitergehen wollen; und diesbezüglich, Frau Kollegin Kainz und Frau Kollegin Schicker, hoffe ich, daß wir zusammenarbeiten können – auf alle Fälle gemeinsam verhindern.

Ein Beispiel möchte ich in dieser Debatte noch einbringen, warum wir wachsam sein sollten, was mit dem Familienlastenausgleichsfonds geschieht, und daß wir immer wieder beim Herrn Finanzminister einmahnen müssen, wenn es darum geht, neuen Perspektiven oder neuen Bedürfnissen Rechnung zu tragen.

Das Bundesministerium für Jugend und Familie hat in der Novelle zum FLAF zwei Vorschläge gemacht, die vom Bundesministerium für Finanzen dann allerdings gestrichen worden sind. – Erstens wurden die Mittel für die Beratungsförderung um zirka 30 Millionen Schilling aufgestockt. Ich bin der Auffassung: Wenn man den Familien schon Milliardenbeträge wegnimmt, dann hätten wir auf dem Sektor der Beratungstätigkeit etwas großzügiger sein müssen.

Zweitens – das betrachte ich ebenfalls als sehr entscheidend für die Zukunft – wurden für die Familienforschung 20 Millionen vom Familienministerium gewünscht. Die Familienforschung steckt in Österreich noch in den Kinderschuhen. Nun zeigt aber gerade die gegenwärtige Situation der Familie für mich sehr deutlich, wie wichtig eine wissenschaftliche Politikberatung auf diesem Gebiet gewesen wäre. Meine Damen und Herren! Forschung dient der Sachlichkeit und der Treffsicherheit bei Entscheidungen. In anderen Bereichen ist entsprechende Forschung längst selbstverständlich geworden, denken Sie nur an die Studien des Wifo!

Darüber hinaus möchte ich auch daran erinnern, daß diese neue Bundesregierung in der Regierungserklärung auf die Forschung besonderes Augenmerk gerichtet hat. Es stellt sich daher für mich, Herr Finanzminister, die Frage, warum nicht auch die Forschung im Bereich der Familie Berücksichtigung fand.

Hohes Haus! Es ist für mich auch etwas paradox, wenn immer wieder darauf hingewiesen wird, daß die armen Kinder entlastet werden müssen und wir ihnen die Zukunft nicht verbauen dürfen. Gleichzeitig wird für diese Kinder schon in der Gegenwart viel kassiert. Auch dazu muß man Überlegungen anstellen, wie das ab dem Jahre 1998 zu verändern sein wird. Keines der aktuellen Probleme darf zu Lasten der Kinder gelöst werden. Für mich signalisiert die jetzige Situation eine Art Verlängerung der Vergangenheit und leider Gottes keinen Aufbruch in die Zukunft.

Hohes Haus! Die Übernahme von Verantwortung für Kinder darf auch in Zukunft nicht zur Armut führen. Armut kann verschiedene Ursachen haben: zum Beispiel mangelnde Leistungsfähigkeit oder auch mangelnden Leistungswillen der Person, ungünstige Erwerbs- und Arbeitsplatzsituationen, aber auch die Übernahme von Verantwortung für Kinder. Die primäre Aufgabe der Familienpolitik besteht daher darin, jene Armut zu vermeiden – oder zumindest zu versuchen, dieser entgegenzuwirken –, die aus der Übernahme von Verantwortung für Kinder entsteht. Armut bedeutet für mich nicht nur, daß man weniger hat als andere, sondern sie bedeutet auch Isolation, erhöhtes Konfliktrisiko, Aggression und, was ein besonders großes Problem ist, Schwierigkeiten auf der Beziehungsebene. Deshalb müssen wir uns heute schon für die Zukunft die Schaffung eines Maßnahmenbündels überlegen, mit dessen Hilfe Armut infolge der Übernahme von Verantwortung für Kinder überwunden werden kann. Das sollte und muß das Ziel unserer Bemühungen der nächsten Monate sein.

Nur durch das Zusammenspiel mehrerer Maßnahmen kann der komplexen Wirklichkeit entsprochen werden. Komponenten eines solchen Maßnahmenbündels könnten etwa sein: steuerfreies Existenzminimum durch einen Freibetrag, gewichtet nach dem Kindesalter und bezogen auf den Ausgleichszulagenrichtsatz, eine Familienbeihilfe gestaffelt nach der Zahl der Kinder, ein Betreuungsscheck. Ich glaube, unsere diesbezüglichen Vorstellungen liegen ohnedies nicht weit auseinander; ähnliches wurde heute auch von Frau Kollegin Haubner angesprochen.

Ich bekenne mich und die Volkspartei bekennt sich voll und ganz dazu: Betreuungsscheck für Mütter und Väter etwa bis zum vierten Lebensjahr des jüngsten Kindes, Anrechnung für Pensionszeiten, Alleinverdienerabsetzbetrag in der Höhe des Existenzminimums, Ausgleichszu


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lagenrichtsatz nach dem vierten Lebensjahr des jüngsten Kindes, Familienzuschuß nach gewichtetem Pro-Kopf-Einkommen zur Sicherung des Existenzminimums für jene Familien, bei denen die anderen Maßnahmen noch nicht ausreichen.

Hohes Haus! Ich weiß schon: Man redet sich hier sehr leicht. Aber wer soll es im Grunde genommen finanzieren? – Ich glaube, es wäre notwendig, daß wir die Strukturierung, Finanzierung und Durchführung solcher wünschenswerter Maßnahmen in Kooperation vornehmen. Das soll nicht nur Sache des Bundes, sondern auch Sache der Länder sein. Es soll eine Kooperation zwischen den Gebietskörperschaften stattfinden, wobei für mich ein neu definierter Familienlastenausgleichsfonds, der auch von der Dotierung her, Herr Bundesminister, neu diskutiert werden sollte, überwiegende Finanzierungsquelle sein sollte.

Hohes Haus! Die Sicherung des Humanvermögens ist die große Herausforderung an die zukünftige Familienpolitik. Zweifellos ist die Sicherung der materiellen Existenz jedes einzelnen Menschen und der Gesellschaft eine bedeutsame Aufgabe, die ständig bewältigt werden muß. Es zeigt sich aber auch, daß dies als Selbstzweck und in den alten Strukturen zunehmend schwieriger, ja fast unmöglich wird.

Meine Damen und Herren! Wenn wir heute von der Familie und den Kindern reden – es haben auch schon einige Vorredner darauf hingewiesen –, möchte ich auch den Bereich der Kinderbetreuung für die Fraktion der Österreichischen Volkspartei ansprechen. Ich persönlich –ich hoffe, im Namen meiner ganzen Fraktion sprechen zu können – bin froh und glücklich darüber, daß 600 Millionen Schilling vom Bund als einmalige Leistung für 1997 zur Verfügung gestellt werden. Darüber hinaus bin ich froh, daß man einen Kompromiß gefunden hat, daß dieser Betrag nicht nur für bauliche, sondern auch für organisatorische und strukturelle Maßnahmen verwendet werden kann. So ist sichergestellt, daß Länder und Gemeinden für die betroffenen Familien bedarfsgerechte und vor allem – denn darauf kommt es letzten Endes an – kindgerechte Betreuungsangebote entwickeln können. Dadurch ist es uns möglich, nebst den ausschließlich institutionalisierten Kinderbetreuungseinrichtungen auch flexible und vor allem familienfreundliche Angebote wie unter anderem auch ein Angebot an Tagesmüttern oder Kinderspielgruppen zu schaffen.

Frau Kollegin Kainz! Durch diese Entscheidung und Zurverfügungstellung der Mittel wird sicherlich auch eine Verbesserung eintreten können, was die Vereinbarkeit zwischen häuslicher und außerhäuslicher Arbeitsleistung betrifft.

Sehr wichtig ist für mich auch, daß man im Rahmen dieser Flexibilität auch die Möglichkeit von Sozialkontakten vor allem für Kinder schafft. Wir leben heute nun einmal in einem Staat, in dem die Kinderzahl nicht ständig wächst; es gibt sehr viele Einkindfamilien. Daher ist es so wichtig, daß diese Kinder entsprechend früh mit anderen Kindern zusammenkommen können.

Meine Damen und Herren! Abschließend möchte ich aber noch einen Gedanken zu einem Thema einbringen, das mich in den letzten Tagen immer wieder beschäftigt hat und das auch von den Medien wieder einmal aufgenommen und breitgetreten wurde: In den letzten Wochen gab es wieder die Diskussion, ob es nicht notwendig sei, eine gesetzliche Grundlage dafür zu schaffen, wie Haus- und Familienarbeit zwischen Mann und Frau aufgeteilt werden müssen. – Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir in diesem Zusammenhang die Frage: Haben wir wirklich keine anderen Sorgen? (Bundesrat Dr. Tremmel: Sagen Sie das der Frau Ministerin!) – Das sage ich ohnedies. Ich sage es Frauen in der Österreichischen Volkspartei, und ich möchte es auch in die andere Richtung sagen. (Bundesrätin Kainz: Wir haben auch andere Sorgen, jetzt aber vor allem auch diese!)

Meine Damen und Herren! In der Regierungserklärung heißt es unter anderem: Nicht mehr der Staat ist für alle und alles zuständig und verantwortlich. Meine Damen! Ich identifiziere mich mit diesem Satz des Herrn Bundeskanzlers voll und ganz. Ich hoffe, daß alle Damen auch in beiden Regierungsparteien darüber nachdenken, die glauben, sich auf dem Weg der gesetzlichen Verankerung der Teilung von Haus- und Familienarbeit profilieren zu müssen. Für mich ist eine solche gesetzliche Verankerung eine Einmischung in die Intimsphäre einer Familie. Meine


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Damen und Herren! Wir brauchen keine Einmischung! Wir müssen den Partnern nicht sagen, was der einzelne zu tun hat, sondern wir müssen ihnen helfen, wenn es Probleme in ihrer Beziehungsebene gibt, indem man sie berät und neue Rahmenbedingungen dafür schafft, daß eine gedeihliche Entwicklung möglich ist. (Beifall bei der ÖVP und bei Bundesräten der Freiheitlichen.)

Herr Bundesminister! Für eine solche erweiterte Beratungstätigkeit würden wir natürlich auch Mittel brauchen, um die vorhandenen Einrichtungen in stärkerem Maß und entsprechend bedarfsorientiert ausbauen zu können. Wir wollen die Möglichkeit haben, auf Spannungs- und Problemfelder in diesem Bereich individuell einzugehen, wir wollen jedoch kein diesbezügliches Gesetz.

Zusammenfassend möchte ich sagen: Ich werte die Umsetzung des Sparpaketes als Chance für mehr solidarische Entwicklung und einen Abbau der Wohlstandsegoismen, die in den letzten Jahren verstärkt aufgetreten sind. Ich hoffe, daß dadurch auch die Sicherung unseres Humanvermögens zur Aufgabe der Politik wird. Denn die Leistungen der Familie, auf denen alle Teilsysteme unserer Gesellschaft aufbauen, werden als selbstverständlich und kostenlos zu erbringende Leistung erwartet und meist als solche auch hingenommen. Erst wenn zufolge Überforderung repariert werden muß, wird bewußt, was in und durch die Familie geleistet wird. – In diesem Sinne wird die Fraktion der Österreichischen Volkspartei dieser Gesetzesvorlage zustimmen. (Beifall bei der ÖVP und bei Bundesräten der SPÖ.)

13.08

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Als nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Kraml. – Bitte.

13.08

Bundesrat Johann Kraml (SPÖ, Oberösterreich): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Herren Bundesminister! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Budgetkonsolidierung steht in allen Staaten der EU auf der Tagesordnung. Österreich steht mit dieser Strukturanpassung nicht alleine da. Gerade in den letzten Tagen haben wir gehört, daß zum Beispiel in der Bundesrepublik Deutschland 50 Milliarden Mark, das sind rund 350 Milliarden Schilling, eingespart werden müssen, damit der Staatshaushalt wieder in Ordnung kommt. Und in Frankreich, England und Italien verhält es sich nicht viel anders. In all diesen genannten Ländern kommt zur schwierigen Budgetsituation auch noch eine sehr hohe Arbeitslosenrate hinzu. Ein schrumpfendes Wirtschaftswachstum in fast allen Ländern erschwert die Lage noch zusehends.

Österreich ist ein Land mit einem hohen Sozialstandard und mit einer im Verhältnis zu den meisten anderen Ländern der EU niedrigen Arbeitslosenrate. Die Maßnahmen, die wir mit dem vorliegenden Strukturanpassungsgesetz einleiten, sollen dazu beitragen, diesen Standard abzusichern. Es soll dort zurückgenommen werden, wo die Kosten für den Staat nicht mehr finanzierbar sind, es soll jedoch keine rigorosen Kürzungen geben. Ich gebe schon zu, daß die Tatsache, daß zurückgenommen werden muß, nicht überall auf Verständnis stößt. Eine verantwortungsvolle Politik kommt aber nicht darum herum, alle Ausgaben des Staates gerade in wirtschaftlich sehr schwierigen Zeiten daraufhin zu überprüfen, ob und wieweit sie noch zeitgemäß sind.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es gilt, die Qualität und die Quantität des Wirtschaftsstandortes Österreich zu erhalten, und natürlich sind auch die Konvergenzkriterien zu erfüllen. 98 Änderungen liegen dem Strukturanpassungsgesetz zugrunde, die zum Teil tiefe Einschnitte bringen, mit denen aber auch zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen werden. So sollen zum Beispiel der Ausbau der Schieneninfrastruktur oder die Bestimmungen des Poststrukturgesetzes großen Unternehmen ermöglichen, sich ohne Zwänge frei auf dem Markt zu bewegen. Das wird bei der künftigen sehr harten Konkurrenz sehr wichtig sein. Durch den Gang an die Börse soll 1999 die Reform für die Post abgeschlossen werden; und auch in der Umwelttechnologie liegen Chancen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Den meisten Platz in den Medien haben natürlich die Berichte über die Änderungen im Sozialbereich eingenommen. Zu diesen Änderungen kann mit gutem Recht gesagt werden, daß die geplanten Einsparungen sozial ausgewogen sind. Das ist


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sehr wichtig. Denn etwa die Vorgangsweise in Frankreich hat uns im letzten Jahr gezeigt, wie es ausgehen kann, wenn man zu scharf auf einer Seite einschneidet.

In den letzten Wochen hat es an mehr oder weniger intelligenten Vorschlägen nicht gemangelt. Locker und frei wurde über die Freiheit der Versicherungspflicht diskutiert, und dabei kam das bisherige System der Pflichtversicherung nicht besonders gut weg. – Ich frage: Wer übernimmt denn bei den privaten Versicherungen zum Beispiel den Schutz bei Invalidität, die Versicherung der Hinterbliebenen oder die Anrechnung der Kindererziehungszeiten? – Für private Versicherungen hat es bisher allerdings immer schon Möglichkeiten gegeben.

Im Zuge der Diskussion um das Strukturanpassungsgesetz ist es jetzt modern geworden, auch von den großen Freiheiten zu sprechen, etwa vom freien Arbeitsmarkt und von der großen Flexibilität. Es wird zum Beispiel über flexible Arbeitszeiten, flexible Ladenschlußzeiten und insgesamt andere Jahresarbeitszeiten diskutiert. – Nur: Es kann nicht so sein, daß all diese große Freiheiten nur auf Kosten der Arbeitnehmer in Anspruch genommen werden. Die Arbeitnehmer waren bisher schon bereit, flexibel zu handeln, wenn es der Arbeitsmarkt verlangt hat.

Meine Damen und Herren! In diesen Tagen wird in den Medien auch immer wieder auf das amerikanische Beschäftigungssystem hingewiesen. Tatsächlich ist die Arbeitslosenrate von 5,5 Prozent für amerikanische Verhältnisse eine Traumzahl. In der allgemeinen Euphorie wird aber übersehen, daß es sich hiebei zum Teil um sogenannte Minderjobs handelt und man aufgrund des niedrigen Stundenlohnes zumeist zwei bis drei solcher Jobs haben muß, damit man überhaupt eine Familie ernähren kann. Zu diesen schlecht bezahlten Arbeitsplätzen kommt dann auch noch ein sehr dünnes und lückenhaftes Sozialnetz, das fast keine Sicherheiten bietet. Und es kommt dort soweit, daß, wenn Großkonzerne Tausende Arbeitnehmer entlassen, die Aktienkurse steigen. Das kann doch nicht das Ziel sein, das wir erreichen wollen!

Meine Damen und Herren! Wir haben in Österreich – ich habe das bereits erwähnt – einen hohen Sozialstandard, den wir mit dem vorliegenden Strukturanpassungsgesetz erhalten können werden. Und vor allem werden wir die entsprechenden Anpassungen im sozialen Frieden durchführen können. Ich weiß schon: Jeder von uns hätte sich für die Befassung mit dieser Materie etwas mehr Zeit gewünscht. Das war aber aufgrund der Dringlichkeit der Sache nicht möglich. – Das Strukturanpassungsgesetz ist – wie heute bereits einmal erwähnt worden ist – entscheidungsreif, und die sozialdemokratische Fraktion wird daher zustimmen. (Beifall bei der SPÖ und bei Bundesräten der ÖVP.)

13.15

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Als nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Waldhäusl. Ich erteile es ihm.

13.15

Bundesrat Gottfried Waldhäusl (Freiheitliche, Niederösterreich): Frau Präsidentin! Herr Minister! Hohes Haus! Geschätzte Damen und Herren! Eingangs möchte ich zur Wortmeldung von Herrn Kollegen Weiss in der Einwendungsdebatte folgendes feststellen: Ich habe betont, daß ich nicht den Regierungsparteien angehöre. Kollege Weiss hat dann gesagt, daß er sehr froh darüber ist. (Bundesrat Bieringer: Das stimmt doch nicht!) Ich möchte hier an Ort und Stelle feststellen, daß es mich mit Stolz erfüllt, nicht den Regierungsparteien anzugehören. Denn mit dieser Bankrottwirtschaft und mit diesen Raubrittermethoden möchte ich nichts zu tun haben. (Beifall bei den Freiheitlichen. – Zwischenruf des Bundesrates Drochter. ) Wir Freiheitlichen sind es letztendlich, die jetzt die Aufgabe haben, die betroffenen Bürger vor dieser Regierung zu beschützen. (Zwischenruf des Bundesrates Bieringer. )

Es hat weiters eine Kritik des Präsidenten Schambeck an meinen Ausführungen gegeben. Er hätte Landeshauptmann Pröll nicht zitiert. – Ich möchte darauf hinweisen, daß er erwähnt hat, daß jeder Angehörige des ÖVP-Klubs Niederösterreich über dieses Strukturanpassungsgesetz informiert wurde. Und nachdem ich nichts davon gehört habe, daß Landeshauptmann Pröll aus der ÖVP ausgetreten ist, nehme ich an, daß er noch immer diesem Klub angehört!


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Meine Damen und Herren! Jetzt zum Strukturanpassungsgesetz. (Zwischenrufe des Bundesrates Rauchenberger und des Bundesrates Bieringer. ) Meine Damen und Herren! Sie alle haben die Möglichkeit, sich noch zu Wort zu melden! Wie schon gesagt: Ihre Zwischenmeldungen verlängern nur die Dauer meiner Rede. Sie können aber weder den Inhalt meiner Rede beeinflussen, noch können Sie einen konstruktiven Beitrag zu meiner Rede bringen. Kollege Penz hat aus landwirtschaftlicher Sicht bereits einige Anmerkungen, und zwar – das möchte ich betonen – positive Anmerkungen gemacht. Er hat erwähnt, daß die Bauern 1995 bereits durch den EU-Beitritt schwere Einbußen in allen Bereichen hinnehmen mußten. In diesem Punkt gebe ich ihm selbstverständlich recht. Es ist nur eines hinzuzufügen: Aufgrund dieser Einbußen haben die Landwirte gleichsam ihren Beitrag zur Budgetkonsolidierung bereits geleistet. Eine weitere Belastung ist aus der Sicht der Landwirte und ihrer Interessenvertreter daher nicht gerechtfertigt. In diesem Punkt widerspreche ich Kollegen Penz, der sagt, daß auch diese letzten Einschnitte, ob im sozialen Bereich oder in anderen Bereichen, von den Bauern sehr wohl mitgetragen werden. Sie werden zwar zwangsläufig von ihnen mitgetragen, aber sicherlich halten die Bauern, die draußen auf ihrem Hof fleißig arbeiten, nichts von dieser Art der Politik, infolge welcher sie ein Jahr nach dem EU-Beitritt, bei dem sie wirklich stark zum Handkuß gekommen sind, noch einmal in die Tasche greifen müssen.

Kollege Penz hat Prozentzahlen genannt. – Ich verweise darauf, daß in der Regierungserklärung steht, daß sich die Bundesregierung zur Sicherung der bäuerlichen Familienbetriebe bekennt. Ich habe davon allerdings noch nicht viel gemerkt. Kollege Penz hat es in Prozenten ausgedrückt, ich möchte es nun in Zahlen ausdrücken: Voriges Jahr sind leider Gottes 10 000 Arbeitsplätze in der Land- und Forstwirtschaft verlorengegangen, und die Betroffenen drängen jetzt auf den Arbeitsmarkt. Wir haben heute schon oft genug gehört, daß aufgrund der hohen Arbeitslosenrate auf dem Arbeitsmarkt ein Konkurrenzkampf zwischen den aus der Landwirtschaft Flüchtenden und den Arbeitssuchenden in den anderen Betriebssparten entsteht. Und diesen Konkurrenzdruck, meine Damen und Herren, möchte ich meinen bäuerlichen Berufskollegen selbstverständlich nicht zumuten. Ich hoffe daher, meine Herren Minister, daß der Satz "Sicherung der bäuerlichen Familienbetriebe" so ernstgenommen wird, daß sich die Zahl von 10 000 verlorenen Arbeitsplätzen hoffentlich in Zukunft nicht in einem solchen Ausmaß erhöhen wird. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Bevor ich zu den Auswirkungen des Strukturanpassungsgesetzes im sozialen Bereich und in anderen Bereichen komme, möchte ich noch ein paar Bemerkungen zur Landwirtschaft selbst machen. Es wird davon gesprochen, daß in der Landwirtschaft die Wettbewerbsbedingungen unbedingt angepaßt werden müssen. Im Hinblick darauf vermisse ich im Rahmen des Strukturanpassungsgesetzes einige Änderungen. Die Mehrwertsteueranpassung ist noch nicht durchgeführt worden, und bei den Betriebsmitteln ist im Hinblick auf die EU noch immer keine Anpassung erfolgt. Auch eine Senkung der Einheitswerte, die sicherlich aufgrund der sinkenden Erzeuger- und Einkommenspreise gerechtfertigt ist, wäre sinnvoll.

Es gibt andere Aktivitäten im Bereich der Betriebsmittelsenkung. Auf diesem Gebiet ist der Österreichische Bauernbund ziemlich aktiv. Ich möchte hier folgendes festhalten: Um den österreichischen Bauern die Betriebsmittel zu senken, richtete Mag. Franz Ledermüller – der Direktor des Österreichischen Bauernbundes – eine Anfrage an einen deutschen Betrieb betreffend Saatgutimporte, damit die österreichischen Bauern billiger zu Saatgut kommen. – Und diese widersprüchliche Situation ist eine Katastrophe: Auf Tausenden Hektar wird in Österreich von österreichischen Bauern Saatgut produziert. Wenn jetzt der Bauernbund aber will, daß in Zukunft das Saatgut aus Deutschland importiert wird, gleichzeitig aber Tausende Hektar in Österreich erzeugt werden, dann sind die Bauern, die hier Saatgut produzieren, in ihrer Existenz gefährdet. Daher sage ich: So etwas Hirnverbranntes wie dieses Schreiben von Ledermüller habe ich bislang selten entdeckt. (Beifall bei den Freiheitlichen. – Zwischenruf des Bundesrates Pramendorfer. ) Sie kommen zu Wort, wenn Sie sich melden und der Präsident Ihnen das Wort erteilt. (Bundesrat Prähauser: Die Frau Präsidentin!) Ja: die Frau Präsidentin.

Ein wesentlicher Bestandteil der Agrarpolitik – ich glaube, wir haben es in den letzten Wochen gesehen; ich nenne nur das Stichwort: Rinderwahn – ist sicherlich der Konsumentenschutz, insbesondere durch die Kennzeichnung der Produkte. Jetzt sind alle Fraktionen aufgefordert,


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gemeinsam tätig zu werden, um den Konsumenten die Verunsicherung zu nehmen. – Wir haben das Zeichen "A" verwendet, wir haben dann noch zusätzlich das AMA-Gütesiegel eingeführt, und trotzdem ist es uns leider Gottes noch nicht gelungen, für den Konsumenten sicherzustellen, daß er beim Kauf eines Produktes mit dem AMA-Gütesiegel auch wirklich die Gewähr hat, daß er ein österreichisches Produkt und zum Beispiel kein englisches Beef in Händen hält. Denn bei 75 Prozent garantiertem österreichischen Bestandteil ist nicht gewährleistet, daß in den restlichen 25 Prozent wirklich nichts anderes enthalten ist. Und kommen Sie mir jetzt bitte nicht wieder mit der Ausrede, daß auch Gewürze beigemengt werden müssen. Haben Sie schon jemals eine Wurst gegessen, in der 25 Prozent Gewürz waren? – Sicherlich nicht! Darum ist es nun Aufgabe aller vertretenen Fraktionen, in Zukunft eine exakte Kennzeichnung durchzuführen. Sie können ruhig den Kopf schütteln, Herr Kollege Grasberger! Im Interesse des Konsumenten – das sind wir ihm schuldig – wird in Zukunft nur eine Agrarpolitik möglich sein, bei der es keinen Etikettenschwindel gibt. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Man sollte darüber nachdenken, ob es sinnvoll ist, diese Kennzeichnung unbedingt über die AMA durchzuführen, vor allem wenn man bedenkt, wieviel Negatives sich die AMA in letzter Zeit in puncto Landwirtschaft geleistet hat. In Anbetracht dessen wäre das, Stichwort: Parteiproporz, sicherlich nicht sinnvoll. Die SPÖ ist zum Beispiel in der AMA sowieso zu schwach vertreten. Darum regt sie sich auch ein bißchen über die AMA auf. – Vielleicht sollte man dieses Problem im Interesse der betroffenen Konsumenten doch einmal ohne Parteipolitik lösen! (Zwischenruf des Bundesrates Ing. Grasberger. ) Auch Sie können sich das Wort erteilen lassen, das ist laut Geschäftsordnung jederzeit möglich!

Ein wesentlicher Bestandteil einer Reform wäre – das, meine Damen und Herren, steht auch im Regierungsübereinkommen, ich habe das wirklich mit Freude gelesen – eine Vereinfachung beziehungsweise eine Entbürokratisierung. Daß es wirklich notwendig ist, einmal entsprechende Taten zu setzen, geht auch aus einer Stellungnahme der Bundesarbeitskammer hervor – ich zitiere –: "Die Bundesförderungen für die Landwirtschaft stiegen von 1989 bis 1994 gar von 9 auf 15,6 Milliarden Schilling (plus 73 Prozent). 1994 gingen davon 8,1 Milliarden Schilling direkt an die Bauern, 7,5 Milliarden (48,2 Prozent) gingen an ,Institutionen’, wie der Bericht das nennt." – Gemeint ist der Grüne Bericht. Weiters wird in dieser Stellungnahme aufgezeigt, daß das Förderungssystem hohe Effizienzverluste beinhaltet und die sogenannte Transferrate sehr gering ist. Da heißt es: "Ebenfalls erklärungsbedürftig ist bei kontinuierlich sinkender Agrarquote die Steigerung des Personal- und Sachaufwandes von 2,8 Milliarden auf 3,14 Milliarden."

Ich betone: Das ist kein freiheitliches Papier, sondern eine Stellungnahme der Bundesarbeitskammer: Es wird darin sehr deutlich erwähnt, daß fast 50 Prozent der Förderung an "Institutionen" gehen. – Man müßte noch hinterfragen, um welche Institutionen es sich handelt. Denn wenn 50 Prozent direkt an die Bauern und 50 Prozent an Institutionen gehen, dann glaube ich, daß man das wirklich hinterfragen sollte, weil es sich ja letztendlich um Bauern- und Steuergelder handelt.

Eine Forderung, die wir Freiheitlichen schon längst an die Politik in Brüssel stellen, die jedoch auch dieses Mal noch nicht erfüllt wird, ist, daß endlich einmal Bestrebungen Platz greifen, daß wir die Kompetenz innerstaatlich zurückbekommen.

Außerdem ist ein schon lange gehegtes Ziel der freiheitlichen Agrarpolitik das Prinzip der Arbeitsplatzsicherung im Einklang mit einer vernünftigen Ökologisierung. Das heißt, daß man das Verständnis des Konsumenten für die Bauern gewinnt. Beispiel: ehrliche Kennzeichnung von Produkten. Meine Damen und Herren! Wir alle sind gefordert, eine Ökologisierung unter dem Aspekt der Arbeitsplatzsicherung zu betreiben. Ich verweise nur darauf: 10 000 Arbeitsplätze sind in der Landwirtschaft verlorengegangen, und die Betroffenen drängen jetzt zusätzlich auf den Arbeitsmarkt. (Bundesrat Richau: Die Forstarbeiter im Bärental!) Auch Sie, werter Kollege, haben jederzeit die Möglichkeit, das Wort zu ergreifen!

Sofort wirksam werdende Verschlechterungen im agrarischen Bereich, meine Damen und Herren, sind vor allem im sozialen Bereich spürbar. Ich denke etwa nur an den Entfall der Geburtenbeihilfe. Es ist statistisch nachzuvollziehen, daß speziell im landwirtschaftlichen Bereich


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die kinderreichsten Familien beheimatet sind. Und der Entfall der Geburtenbeihilfe, meine Herren Minister, ist sicherlich ein schwerer Einschnitt in das Budget der Landwirte. Die Kürzung des Pflegegeldes ... (Bundesminister Mag. Klima: Ich habe in meine Budgetplanung doch nicht das Kinderkriegen der Bauern aufgenommen!) Ich meine natürlich das Budget des bäuerlichen Landwirtes, das er für sich selbst erstellen muß! Auch ein Landwirt macht zu Hause jedes Jahr ein Budget. So wie Sie, Herr Minister, darauf achten, daß Sie mit Ihrem Taschengeld über die Runde kommen, muß auch der Bauer dafür sorgen, daß er sein Auskommen hat! (Beifall bei den Freiheitlichen. – Zwischenbemerkung des Bundesministers Mag. Klima. )

Herr Minister! Trotzdem kritisiere ich, daß der Entfall der Geburtenbeihilfe ein finanzieller Einschnitt für die Landwirte ist. Und auch von der Kürzung des Pflegegeldes, meine Damen und Herren, sind die Bauern stark betroffen, überhaupt wenn man bedenkt, daß diese, bedingt durch ihre schwere Arbeit, das Pflegegeld oft etwas früher als manche andere Personen beanspruchen müssen.

Weiters gibt es noch immer kein Arbeitslosengeld für Nebenerwerbslandwirte, es sei denn, der Einheitswert ist sehr niedrig. Auch in diesem Fall sollte die Regierung irgendwann einmal tätig werden.

Zur Verschlechterung bei den Frühpensionisten: Denken Sie einmal daran, daß es auch Bauern gibt, die aufgrund einer Krankheit in Frühpension gehen müssen, und nicht nur solche, die bei der Eisenbahn beschäftigt sind. – Das wäre auch zu erwähnen.

Anpassung einer Energiesteuer auf Strom in Einklang mit den Betriebsmitteln: Die Anpassung, die wir vorzunehmen versuchen, bedeutet sicherlich eine Mehrbelastung der landwirtschaftlichen Betriebe, denn der Faktor Strom als Betriebsmittel hat in einem landwirtschaftlichen Betrieb doch ein Ausmaß, das nicht geringzuschätzen ist. Von der Umstrukturierung des Katastrophenfonds sind die Landwirte leider Gottes – man rufe sich nur die letzten Jahre in Erinnerung – immer wieder betroffen. Auch in diesem Fall wäre zu überdenken, ob wirklich gesichert ist, daß das Geld, wenn Katastrophen eintreten, auch vorhanden ist.

Letztendlich möchte ich – Kollege Penz hat es schon erwähnt – die Erhöhung des Pensionsbeitrages um 1 Prozent nennen. Man kann – wie Sie – sagen: Das ist zumutbar. Man kann jedoch auch in Erinnerung rufen – eine Caritas-Umfrage hat das ergeben –, daß bereits Tausende Landwirte – es sind bereits fast 40 Prozent – an der Armutsgrenze leben. Im Hinblick auf diese Auskunft der Caritas ist diese Anhebung um 1 Prozent sicherlich nicht gerechtfertigt! (Präsident Payer übernimmt den Vorsitz.)

Meine Damen und Herren! Zum Abschluß möchte ich noch auf einen wesentlichen Punkt eingehen, und zwar – Kollege Penz hat auch das schon erwähnt – auf den ÖPUL-Einstiegsstopp der Regierung. Dieses Thema ist deswegen wichtig, meine Damen und Herren, weil hier eindeutig offenbar wird, daß die Regierung in Budgetnöten ist und von den Bauern verlangt, daß gespart wird. Sie bestimmen im Zusammenhang mit einem vernünftigen ÖPUL-Programm, wie es Kollege Penz dargestellt hat, daß die Bauern am Teil A nicht mehr teilnehmen können, es sei denn, sie sind bisher daran beteiligt gewesen. Ein Neueinstieg ist jedoch nicht mehr möglich. Wenn man dann diese Regelung hinterfragt, was wir natürlich jedesmal sinnvollerweise und ehrlicherweise tun, dann findet man heraus, daß dieser Neueinstiegsstopp zwar laut Auskunft des Ministers EU-konform, jedoch rechtlich von der EU noch nicht gedeckt ist. Das heißt im Klartext: Nun, da die Bauern ihre Mehrfachanträge ausfüllen, sagen die Vertreter der Bauern, die Kämmerer: Ihr dürft nicht mehr teilnehmen. (Bundesrat Ing. Penz: Sie sind ja auch Kämmerer!) Aber Gott sei Dank kein schwarzer! (Beifall bei den Freiheitlichen. – Bundesrat Ing. Penz: Sie sind aber gescheit!)

Kollege Penz! Sie waren zuerst noch nicht da, als ich gesagt habe: Auch Sie haben die Möglichkeit, über eine Wortmeldung das Wort zu ergreifen. (Ironische Heiterkeit bei den Freiheitlichen.)

Meine Damen und Herren! Diese Maßnahme lassen sich die Vertreter von den Bauern per Unterschrift bestätigen. Das heißt: Wenn jetzt ein Landwirt aufgrund dieser – sogenannten –


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Aufklärung unterschreibt und diesen Einstieg nicht mitmacht, bekommt er dann natürlich auch keine Förderung, obwohl die Regelung noch nicht EU-konform ist. Und rechtlich verhält es sich so, daß, solange etwas per Gesetz von der EU nicht übernommen ist, jeder Antragsteller die Möglichkeit hat, noch in dieses Programm einzusteigen. Erst wenn die Genehmigung von der EU vorliegt, kann man sagen: Okay, jetzt darf ich nicht mehr.

Nur um die Budgetnöte des Bundes zu lindern, werden die Bauern hinters Licht geführt und von der Rechtsberatung der Bauernkammer bewußt geschädigt. Meine Damen und Herren! Das ist nicht in Ordnung! Das ist deswegen nicht in Ordnung, weil man diesfalls die Bundesregierung und nicht die betroffenen Bauern unterstützt. – Ich sage daher hier bewußt folgenden Abschlußsatz: In diesem Fall hat sich die ÖVP-Bauernvertretung eindeutig nicht als Vertreter, sondern als Verräter der Bauern ausgezeichnet! (Beifall bei den Freiheitlichen.)

13.33

Präsident Johann Payer: Zu einer tatsächlichen Berichtigung hat sich Herr Bundesrat Ing. Penz gemeldet. – Ich erteile das Wort. (Bundesrat Dr. Prasch: Bitte um eine Redezeitbeschränkung!) Die Redezeit ist auf fünf Minuten beschränkt.

13.33

Bundesrat Ing. Johann Penz (ÖVP, Niederösterreich): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Herren Bundesminister! Meine Damen und Herren! Ich möchte zur Feststellung des Kollegen Waldhäusl, daß Bauern keine Förderungen erhalten, weil die Bundesregierung einen Einstiegsstopp verhängt hat, folgendes sagen. (Bundesrat Waldhäusl: Da hätten Sie früher kommen müssen! Das habe ich nicht gesagt! – Bundesrat Prähauser: Zu Wort melden!) Das haben Sie wortwörtlich gesagt.

Ich möchte nur richtigstellen, daß die Bauern sehr wohl Anträge stellen können und auch Förderungen erhalten, die national finanziert und von der EU kofinanziert werden. Dies ist im Rahmen des ÖPUL für die Jahre 1996 und 1997 gesichert. Seitens der Europäischen Union werden 2,9 Milliarden Schilling zur Verfügung gestellt, und auf nationaler Ebene werden etwa 4 Milliarden Schilling zusätzlich gezahlt. Darüber gab es im vergangenen Jahr eine sehr heftige Auseinandersetzung, im Zuge welcher der Finanzminister dann auch die Bereitschaft bekundet hat, über den Teil hinaus, den die Europäische Union finanziert, national Geldmittel zur Verfügung zu stellen. Daß also jene landwirtschaftlichen Betriebe, die im vergangenen Jahr an diesen Aktionen nicht teilgenommen haben, im heurigen Jahr auch nicht teilnehmen sollen, ist auch im Sinne der Kontinuität zu sehen. Und daher ist die Feststellung, die Kollege Waldhäusl getroffen hat, schlicht und einfach falsch.

13.35

Präsident Johann Payer: Zur Geschäftsordnung hat sich Herr Bundesrat Dr. Tremmel gemeldet. – Bitte, Herr Bundesrat.

13.35

Bundesrat Dr. Paul Tremmel (Freiheitliche, Steiermark) (zur Geschäftsordnung): Meine Damen und Herren! Ich bitte, die Geschäftsordnung wörtlich zu interpretieren: Bei einer tatsächlichen Berichtigung ist eine Sachverhaltsdarstellung tatsächlich zu berichtigen. Ich konnte nicht entnehmen, was Herr Direktor Penz hier tatsächlich berichtigt hat. (Beifall bei den Freiheitlichen. – Ruf bei den Freiheitlichen: Es gab nichts zu berichtigen!)

13.36

Präsident Johann Payer: Die Interpretationsbreite ist in einem solchen Fall sicher sehr groß, Herr Dr. Tremmel!

Zu Wort gemeldet hat sich nun Herr Bundesrat Dr. Peter Rodek. – Bitte.

13.36

Bundesrat Peter Rodek (ÖVP, Oberösterreich): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Herren Bundesminister! Ich möchte zunächst auch eine tatsächliche Berichtigung durchführen: Peter Rodek, Herr Präsident, genügt. Doktor bin ich nicht. – Ist das eine tatsächliche


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Berichtigung? (Bundesrat Ing. Penz: Das ist eine tatsächliche Feststellung!) Dies ist eine tatsächliche Feststellung? – Gut!

Ich glaube, daß es heute gar nicht so sehr, wie es Kollege Waldhäusl ausgedrückt hat, um die Wurst geht. Es geht vielmehr um die Beschlußfassung des Strukturanpassungsgesetzes 1996. Es handelt sich hiebei um eine Zusammenfassung von wichtigen und auch notwendigen Gesetzesänderungen, welche insgesamt auf eine Konsolidierung des Bundeshaushaltes für die nächsten Jahre und die damit verbundene Absenkung des Budgetdefizites von 6 auf 2,7 Prozent des Bruttoinlandsproduktes abzielen.

Dieser Konsolidierungsbedarf ist, wie schon zum Ausdruck gekommen ist, beträchtlich. Dessen Ausmaß wurde erst nach dem Kassasturz im Anschluß an die Wahl 1995 zur Gänze ersichtlich. Diese Wahl hat die Erstellung dieses Reformprogramms erst ermöglicht und gibt uns jetzt die Offensivkraft für die Zukunft. Denn erinnern wir uns an die Aussagen des damaligen Finanzministers Staribacher, der zunächst von 20 Milliarden, dann von 30 Milliarden, schließlich von 50 Milliarden Schilling Fehlbetrag gesprochen hat, während nunmehr aber tatsächliche Einsparungen in der Höhe von 100 Milliarden Schilling notwendig sind.

Sicherlich muß man zugeben, daß die Staatsverschuldung in den letzten Jahren dramatisch gestiegen ist, allein durch zusätzliche Zinsenzahlungen, ohne daß Gegenmaßnahmen gesetzt werden, wären 30 Milliarden Schilling erforderlich. Das ist ein Betrag, der sinnvollerweise in wirtschaftliche Bereiche eingesetzt werden könnte. Aber die Belastungen für künftige Generationen würden sonst dramatisch steigen, und die Zukunft unseres Wirtschaftsstandortes wäre durch Inflation gefährdet. Da uns die Zukunft der kommenden Generationen am Herzen liegt, wir eine Basis für die Aufrechterhaltung des Erreichten und Entwicklungsmöglichkeiten für die Zukunft schaffen müssen, war es daher ein Gebot der Stunde, Maßnahmen zu setzen, die geeignet sind, durch Stabilisierungseffekte das Wachstumspotential der Wirtschaft bestmöglich auszuschöpfen, um damit für eine Beschäftigungssicherung zu sorgen. Daß ein Sanierungsprogramm in der Größenordnung von 100 Milliarden Schilling allerdings nicht ohne schmerzhafte Opfer abgeht und mitunter wohl auch Härten für den einzelnen mit sich bringt, ist wohl jedem verständlich.

Werte Kolleginnen und Kollegen! Eine der gravierendsten Maßnahmen des Strukturanpassungsgesetzes sind die Änderungen im Sozialbereich. Ich möchte jedoch vorausschicken, daß unser Staat ein soziales Niveau erreicht hat, das international gesehen seinesgleichen sucht. Obwohl dem so ist, muß man aber auch zugeben, daß es durch wahltaktische Manöver in der Ära Kreisky zeitweise zu Auswüchsen gekommen ist, die – ich denke etwa an die Heiratsbeihilfe – die Finanzierbarkeit dieser Systeme in Frage gestellt haben und leider Gottes aus dem sozialen Netz für manche bereits schon eine Hängematte werden ließen. Reformen sind daher dringend notwendig geworden und werden von der Bevölkerung auch verstanden. Dort und da wird ganz offen vom sozialen Mißbrauch gesprochen.

Betonen möchte ich aber, daß diese Reformen jetzt so rechtzeitig eingeleitet worden sind, sodaß nicht – wie Kollegin Pfeffer bereits ausgeführt hat –, so wie in Schweden, tief in das gesamte Sozialsystem eingegriffen werden muß, daß nicht, wie in Italien, ganze Kategorien von Sozialleistungen einfach abgeschafft werden müssen und damit wirklich die Ärmsten der Armen getroffen werden. Wir haben so reformiert, daß die notwendigen sozialen Reformschritte ohne soziale Unruhen, wie sie etwa in Frankreich zu verzeichnen gewesen sind, gesetzt werden konnten.

Als Beispiel für Reformen möchte ich die Anhebung des Pensionseintrittsalters anführen. Das ist eine Maßnahme, ohne deren Durchsetzung das derzeitige Pensionssystem langfristig sicherlich nicht mehr finanzierbar wäre, und zwar aus verschiedenen Gründen.

Erstens ist in Österreich das tatsächliche Pensionseintrittsalter im Durchschnitt viel niedriger als in vergleichbaren anderen Ländern. Erschreckend ist dabei die rasante Abnahme des Eintrittsalters innerhalb der letzten 25 Jahre. Lag es 1970 noch bei 62 Jahren, ist es bis 1995 bereits auf


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57 Jahre gesunken. 80 Prozent unserer Pensionisten müssen daher als Frühpensionisten eingestuft werden.

Ein Blick auf die Erwerbstätigkeit innerhalb der 60- bis 64jährigen Bevölkerung in anderen Ländern zeigt uns, daß in Portugal am spätesten in Pension gegangen wird. In der genannten Alterskategorie sind dort noch 40 Prozent erwerbstätig, in Deutschland sind es immerhin noch 20 Prozent – Deutschland liegt somit in etwa im Mittelfeld –, während Österreich mit 9,9 Prozent das Schlußlicht bildet. Der Durchschnitt in der Europäischen Union beträgt 23,3 Prozent. Wir liegen also weit unter dem Durchschnitt.

Bei uns in Österreich kam es leider auch zu einer Verschiebung hinsichtlich der Pensionsakzeptanz. Wenn früher Pensionisten oder Ältere miteinander gesprochen haben, dann hat es geheißen: Was, du mit deinem jugendlichen Aussehen bist schon in Pension? Das darf ja nicht wahr sein! – Wenn hingegen die Leute heute miteinander reden, dann heißt es: Was, du bist noch nicht in Pension? Du bist ganz schön blöd, daß du noch nicht in Pension gegangen bist! – Logischer- und richtigerweise sind daher in diesem Strukturanpassungsgesetz Maßnahmen geschaffen worden, um den vorzeitigen Pensionseintritt zu erschweren, gleichzeitig aber doch echte Frühpensionen und Frühpensionierungen aus Krankheitsgründen zu ermöglichen.

Als zweites Indiz für die Notwendigkeit von Reformmaßnahmen mag gelten, daß aufgrund einer längeren Ausbildungszeit der Eintritt in das Berufsleben viel später erfolgt und daher wesentlich später Beiträge zur Sozialversicherung geleistet werden. Es ist daher richtig, daß im Zuge des Strukturanpassungsgesetzes der Preis für den Ein- beziehungsweise Nachkauf von Schul- beziehungsweise Studienzeiten erhöht wird, wobei ich aber auch kritisch vermerken möchte, daß es aufgrund der unterschiedlichen Pensionssysteme für einen Beamten wesentlich lukrativer ist, diese Zeiten nachzukaufen, als für einen ASVG-Versicherten.

Staatssekretär Schlögl ist jetzt nicht mehr da, denn sonst hätte ich ihm ein Kompliment betreffend seine Bemühungen gemacht, ein einheitliches Pensionssystem zu schaffen. Diese sind aus dem genannten Grunde wirklich zu begrüßen. (Bundesminister Mag. Klima: Ich gebe das an ihn weiter!) Bitte, das ist euer Hobby.

Es darf auch weiterhin nicht übersehen werden, daß es nicht nur zu einer späteren Einzahlung und zu einer früheren Auszahlung der Pensionen kommt, sondern daß sich auch die durchschnittliche Lebenserwartung etwa alle zehn Jahre um zirka zweieinhalb Jahre erhöht. Sie beträgt nun 73 Jahre bei den Männern und bereits 80 Jahre bei den Frauen. Daher können die Menschen die Pensionen wesentlich länger in Anspruch nehmen.

Konsequenz aus dem vorher Gesagten ist, daß der Pensionszuschuß des Bundes immer höher geworden ist. Mußten 1970 nur 9,7 Milliarden zu den ASVG-Pensionen zugeschossen werden, werden es heuer bereits 63 Milliarden Schilling sein, nicht dazugerechnet die 215 000 Beamtenpensionen, die den Bund mehr kosten als die Pensionen aller 1,8 Millionen ASVG-Pensionen zusammen.

Meiner Meinung nach – da beziehe ich mich jetzt auf Kollegen Bösch – kann daher der Generationenvertrag nicht eingehalten werden, der darauf basiert, daß die arbeitenden Generationen mit ihren Beiträgen die Pensionen der Ruhestandsgeneration sichern. Dies ist deswegen nicht möglich, weil jetzt bereits 2 Millionen Pensionisten 3 Millionen Aktiven gegenüberstehen. Das heißt: Bei einer gleichbleibenden Entwicklung müßte der gegenwärtige Beitragssatz von 22,8 Prozent bis zum Jahr 2030 auf über 55 Prozent erhöht werden. – Jetzt stehen die geburtenstarken Jahrgänge der sechziger Jahre alle voll im Arbeitsprozeß und können durch ihre Beitragsleistungen die Pensionen der jetzigen Generationen noch absichern. Diese Frauen und Männer werden aber bereits ab 2015 das Pensionsalter erreichen, und dann werden ihnen schwache Geburtsjahrgänge im Arbeitsprozeß gegenüberstehen.

Ich möchte Ihnen hier auch ein Schaubild zeigen. Es handelt sich hiebei um die Wohnbevölkerung von Oberösterreich, ähnliche Entwicklungen zeigen sich aber auch in anderen Bundesländern. Sehen Sie sich die Bevölkerungsentwicklung an: Die 90jährigen bilden natürlich die Spitze. Der dicke Bauch des Diagramms stellt den Altersbereich von 20 bis 60 Jahren dar. Die


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starken Geburtsjahrgänge des Jahres 1960, also die jetzt 30jährigen, stehen jetzt voll im Arbeitsleben und können sicherlich den Turm oben noch erhalten. Aber sehen wir uns jetzt die Entwicklung bis zum Jahr 2021 an: Wenn die jetzt 30jährigen dann das Pensionseintrittsalter erreichen, also 60 sind, dann sind die geburtenstarken Jahrgänge, die diese Turbanform des Diagramms bedingen, oben, und unten kommt sehr wenig nach. Diese wenigen müssen dann aber die breite Schicht oben erhalten.

Ich zweifle daher die optimistische Darstellung von Sozialminister Hums wirklich an, der in der "Pressestunde" von einer Sicherung der Pensionen über das Jahr 2000 hinaus gesprochen hat und offensichtlich von den derzeitigen und von gleichbleibenden Verhältnissen ausgegangen ist.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die derzeitige Pensionsreform, so wichtig und notwendig sie auch ist, kann daher nur als erster Schritt zu einer noch umfassenderen Reform des Pensionssystems gesehen werden, und wir werden um Überlegungen hinsichtlich der Eigenvorsorge bei den Pensionen nicht hinwegkommen.

Die weiteren Maßnahmen im Sozialbereich, werte Kolleginnen und Kollegen, werden zwar von der Opposition heftig kritisiert, finden jedoch meistens breite Akzeptanz in der Bevölkerung. Warum sollte zum Beispiel das Pflegegeld nicht ab dem zweiten Tage eines Krankenhausaufenthaltes ruhen, da dort ohnedies die Pflege auf Kosten der Allgemeinheit gewährleistet ist? Oder: Warum sollte das Pflegegeld nicht mit dem Todestag, sondern erst mit dem darauffolgenden Monatsende enden? – Entsprechende Änderungsmaßnahmen würden für den einzelnen kaum spürbare Verluste, für den Staat aber wesentliche Einsparungen bringen.

Auch im Bereich der Arbeitslosenversicherung werden Maßnahmen gesetzt, die den wirklich Arbeitswilligen kaum benachteiligen – zum Beispiel die Bestimmungen über die Kontrollmeldung –, aber den Mißbrauch von Arbeitslosengeld weitestgehend eindämmen. Ich denke da zum Beispiel an den Zusammenhang von Arbeitslosengeld und Schwarzarbeit. All das sind Bestimmungen, die von der Opposition immer wieder gefordert werden und jetzt eigentlich begrüßt werden müßten.

Ich möchte zu Kollegen Waldhäusl, obwohl er jetzt nicht da ist, ein Wort sagen: Er hat kritisiert, daß Kollege Penz gesagt hat, daß die Pensionserhöhung um 1 Prozent den Landwirten zumutbar ist. – Wir dürfen nicht übersehen, daß das Gesamterfordernis für die bäuerliche Sozialversicherung derzeit 27,4 Milliarden Schilling beträgt und der Bundeszuschuß bereits 20 Milliarden Schilling ausmacht. Das heißt: 7 Milliarden Schilling leisten die Landwirte selbst durch Direktbeiträge zur Aufrechterhaltung dieses Sozialversicherungssystems. Der Staatszuschuß wird praktisch 1 : 1 direkt an die Landwirte transferiert. Daher ist eine Pensionserhöhung von 1 Prozentpunkt der Beiträge ohne weiteres zumutbar.

In einem Punkt bin ich aber – das kommt selten genug vor – mit Kollegen Waldhäusl einer Meinung: Ich persönlich bedauere, daß die Benachteiligung der Nebenerwerbslandwirte hinsichtlich Ablehnung des Arbeitslosengeldes nicht aufgehoben wird, wenn der Einheitswert mehr als 54 000 S beträgt. Ich persönlich kann nicht einsehen, warum im Falle der Arbeitslosigkeit eines Ehegatten, wenn beide berufstätig sind, unabhängig vom Einkommen des anderen Ehepartners, das Arbeitslosengeld zur Gänze ausbezahlt wird, während einem Nebenerwerbslandwirt bei einer Grenze von 54 000 S das Arbeitslosengeld nicht mehr gebührt.

In meinem Bezirk bedeutet 54 000 Einheitswert in etwa ein Eigentum und einen Besitz von zirka drei Hektar. Und niemand kann mir erklären, daß man von drei Hektar seinen Lebensunterhalt bestreiten kann. Man möge bedenken, daß ein solcher Nebenerwerbslandwirt höchstwahrscheinlich nicht freiwillig eine andere Arbeit aufgenommen hat, sondern weil er eben von seinem Landwirtschaftsbetrieb nicht leben kann. Wenn er nun aber arbeitslos werden sollte, bekommt er nichts. Daher gibt es nur zwei Möglichkeiten: Entweder wird er von der Versicherungspflicht befreit, oder es wird sein Arbeitslosenanspruch wie bei jedem anderen auch anerkannt.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Strukturanpassungsgesetz wird im Bereich der Sozialmaßnahmen Einsparungen in der Höhe 19,4 von Milliarden Schilling erbringen. Insgesamt sollen durch ausgabenseitige Einsparungen 66 Milliarden und durch neue Einnahmen


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33 Milliarden aufgebracht werden, wie es die ÖVP immer mit ihrer Regelung von ein Drittel zu zwei Dritteln schon gefordert hat. Das 100-Milliarden-Sanierungsprogramm ist so gestaltet, daß man es sozial vertreten und zugleich die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft aufrechterhalten werden kann. Nur eine wettbewerbsfähige Wirtschaft sichert die Arbeitsplätze und damit den Menschen in diesem Lande ihre Zukunft. Das Strukturanpassungsgesetz 1996 schafft die dafür notwendigen Voraussetzungen. Daher wird meine Fraktion ihre Zustimmung erteilen. (Beifall bei der ÖVP und bei Bundesräten der SPÖ.)

13.52

Präsident Johann Payer: Zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesrat Horst Freiberger. Ich erteile ihm dieses.

13.52

Bundesrat Horst Freiberger (SPÖ, Steiermark): Herr Präsident! Herr Minister! Hohes Haus! Meine Damen und Herren! Erstmals in der Geschichte der Republik werden zwei Budgets für 1996 und für 1997 zugleich beschlossen. (Bundesrat Mag. Langer: Aber nicht hier!) Auch hier in diesem Haus, wenn auch in einem anderen Raum. (Bundesrat Dr. Harring: Jetzt hat er es!) Gewußt habe ich das schon länger!

Gut ein Drittel der erforderlichen 100 Milliarden Schilling werden durch Mehreinnahmen aufgebracht, zwei Drittel durch Einsparungen. Dies war eine entscheidende politische Frage, da unser Koalitionspartner das Budget ursprünglich ausschließlich durch Einsparungen sanieren wollte. Einsparungen im Budget bedeuten jedoch natürlich in den meisten Fällen, daß Leistungen gestrichen oder reduziert werden müssen. Solche Leistungen kommen aber in erster Linie den sozialen Schwächeren zugute, und deshalb, meine Damen und Herren, hat die SPÖ auch auf zusätzliche Mehreinnahmen gesetzt, weil in diesem Fall vor allem die finanziellen Leistungsfähigeren in die Pflicht genommen werden konnten.

Bei den Einsparungen haben wir darauf geachtet, daß sie so ausfallen, daß die sozial Schwächsten weitestgehend verschont bleiben. Und das ist auch gelungen.

Meine Damen und Herren! Mit diesem Strukturanpassungsgesetz werden notwendige, aber gerechte Sparmaßnahmen gesetzt. Charakteristisch ist, daß auch Unternehmen einen beträchtlichen Beitrag zu leisten haben. Die Möglichkeit der Verlustabschreibungen, aber auch andere Möglichkeiten der Steuergestaltung werden eingeschränkt. Darüber hinaus wurde für die von den Kapitalgesellschaften zu bezahlende Körperschaftssteuer ein Mindestbetrag von 50 000 S pro Jahr festgelegt. Die Kapitalertragssteuer wird von 22 auf 25 Prozent erhöht.

Die Reformen bei der Lohn- und Einkommensteuer zeigen die soziale Stoßrichtung dieses Paketes besonders deutlich. Der allgemeine Absetzbetrag wird bei höheren Einkommen gesenkt, und bei Einkommen von über 500 000 S pro Jahr fällt er zur Gänze weg. Sonderausgaben werden nur noch zu einem Viertel steuerlich berücksichtigt; bei Jahreseinkommen zwischen 500 000 S und 700 000 S besteht für dieses Viertel eine Einschleifregelung, und bei Einkommen ab 700 000 S können überhaupt keine Sonderausgaben mehr abgesetzt werden.

Als Gewerkschafter begrüße ich diese Maßnahmen, weil dadurch bei der Bevölkerung Verständnis für das Sparen aufgebracht wird und jene Gruppen, die finanziell bessergestellt sind, stärker davon betroffen sind. Die Konsolidierung des Budgets ist vor allem deshalb notwendig, um politische Gestaltungsmöglichkeiten, auch im Hinblick auf wirtschaftliche Impulse, zu bekommen. Trotz dieses Konsolidierungskurses und des Sparens war es möglich, Gelder für die Ankurbelung der Bauwirtschaft bereitzustellen, um diesem Sektor wieder eine Initialzündung zu geben.

Ich erinnere, meine Damen und Herren, an den Baugipfel mit den Sozialpartnern und den Verantwortlichen der Regierung. Durch diese öffentlichen Aufträge ist es möglich, von der Arbeitslosigkeit betroffene Menschen wieder zu beschäftigen. Zu den Auswirkungen der einzelnen Reformmaßnahmen im Sozialbereich möchte ich nur noch punktuell Stellung nehmen, da von vielen Vorrednern bereits auf die Änderungen im einzelnen eingegangen wurde.


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Grundsätzlich ist es Ziel der SPÖ, sozial ausgewogene Regelungen umzusetzen. Unser Anliegen ist die gerechte Beteiligung aller Bevölkerungsgruppen, unter größtmöglicher Schonung der sozial Schwachen. Mit den von mir bereits angesprochenen Investitionen in die Infrastruktur wird eine aktive Beschäftigungspolitik betrieben. Darüber hinaus werden Maßnahmen für eine aktive Arbeitsmarktpolitik ergriffen. Durch die Kofinanzierung aus dem Europäischen Sozialfonds stehen dafür mehr Mittel als bisher zur Verfügung.

Meine Damen und Herren! Von der Möglichkeit dieser aktiven Arbeitsmarktpolitik sollten wir in den einzelnen Regionen verstärkt Gebrauch machen. Diese Maßnahmen schaffen zwar nicht automatisch neue Arbeitsplätze, aber sie erhöhen die Chancengleichheit für die von der Arbeitslosigkeit betroffenen Menschen und heben deren Qualifikationsstand.

Hohes Haus! Ich möchte Ihnen kurz von zwei Projekten aus meinem Bezirk berichten, die zurzeit zwar noch ein Pilotversuch sind, jedoch sehr vielversprechend anlaufen: Das erste Projekt wurde im Regionalbeirat des Arbeitsmarktservices von der Wirtschaftsseite beantragt. Es handelt sich dabei um einen sogenannten "Ausbildungsverbund", in dessen Rahmen mehrere Betriebe ein gemeinsames Qualifizierungsprogramm erarbeiten. Da viele Ausbildungserfordernisse in den einzelnen Firmen deckungsgleich sind, muß nicht jeder Betrieb eine interne Ausbildung durchführen, sondern wird dies im Verbund vor Ort organisiert.

Die Ausbildungskosten, aber auch die Lohn- und Gehaltskosten für die Teilnahme während der Arbeitszeit werden zu zwei Dritteln vom Arbeitsmarktservice übernommen, und nur ein Drittel der Kosten sind vom Betrieb zu tragen. Dieses – meiner Meinung nach – sehr sinnvolle Projekt sollte Nachahmer finden, da sich die Betriebe im einzelnen die oft notwendige Qualifizierung ihrer Mitarbeiter und die damit verbundenen Ausbildungskosten nicht leisten.

Meine Damen und Herren! Zum zweiten Projekt: Wir mußten verstärkt feststellen, daß Jugendliche mit Teilleistungsschwächen immer schwieriger in den Wirtschaftsprozeß zu integrieren waren. Die Möglichkeiten für dieses Klientel waren sehr gering. Die meisten bestehenden Ausbildungseinrichtungen sind nämlich eher mit Ghettos zu vergleichen, da keine Integration in die Wirtschaft erfolgt. Von der Arbeitnehmerseite wurde nun ein Konzept erarbeitet, das sich mit der Unterstützung dieser Jugendlichen befaßt. Das Modell nennt sich "Individualisierte Berufsfindung und Berufsbildung für am Arbeitsmarkt benachteiligte Jugendliche". Im wesentlichen besteht der Unterschied zu den herkömmlichen Einrichtungen darin, daß die Ausbildung nach der Berufsfindung in Partnerbetrieben stattfindet. In diesen Partnerbetrieben werden die Jugendlichen von der Einrichtung – im Rahmen der Ausbildung – betreut und bei auftretenden Schwächen sofort unterstützt und speziell trainiert.

Dem Betrieb kosten die Jugendlichen im Rahmen dieses Projekts nichts. Sie müssen sich lediglich dazu verpflichten, kooperativ mit der Einrichtung zusammenzuarbeiten, um die Jugendlichen optimal zu betreuen. Meine Damen und Herren! Obwohl dieses Projekt erst im Pilotversuch läuft, haben einige dieser Partnerbetriebe ihre Jugendlichen bereits in ein ordentliches Dienstverhältnis übernommen und sind mit dieser Form der unterstützten Ausbildung sehr zufrieden.

Hohes Haus! Solche oder ähnliche Modelle bringen Chancengleichheit am Arbeitsmarkt und müssen im Rahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik forciert werden. Darüber hinaus ist jedoch das wichtigste Ziel, die Arbeitslosigkeit abzubauen. Die vorhandene Arbeit muß gerechter aufgeteilt werden, und es müssen notwendige, nicht marktfähige Arbeiten finanziert werden.

Das nun zur Beschlußfassung vorliegende Strukturanpassungsgesetz eröffnet politische Gestaltungsmöglichkeiten und sichert die sozialen Standards. Wir von der SPÖ werden diesem Gesetz die Zustimmung geben. (Beifall bei der SPÖ.)

14.00

Präsident Johann Payer: Zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesrat Mag. Dieter Langer. Ich erteile dieses.

14.00

Bundesrat Mag. Dieter Langer (Freiheitliche, Wien): Herr Präsident! Meine Herren Minister! Hohes Haus! Sehr geehrte Damen und Herren! Kollege Freiberger hat in seinen Ausführungen


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sehr oft von der sozialen Ausgewogenheit der Maßnahmen des Sparpaketes gesprochen. (Bundesrat Prähauser: Zu Recht!) Ich ersuche ihn, ab dem 1. Juli beispielsweise bei den Pensionisten nachzufragen, wenn dann, zum ersten Mal, die Freibetragsbescheide nicht mehr gelten werden und sie dadurch einen höheren Abzug bei der Lohnsteuer haben werden. Sie können auch bei denjenigen Haushalten nachfragen, die durch die Energieabgabe belastet werden, da sich der Strom- und der Gaspreis erhöht. Ich könnte Ihnen noch zahlreiche andere Beispiele aufzählen. Einige von diesen Belastungen, die die sozial Schwachen ganz besonders treffen, sind heute von meinen Kolleginnen und Kollegen schon dargelegt worden. (Bundesrat Hüttmayr: Sind alle Pensionisten sozial schwach?) Besonders trifft es die sozial Schwachen, aber auf diese nehmen Sie keine Rücksicht. (Rufe bei der ÖVP.) Sie nehmen auch auf die Familien keine Rücksicht, denn sonst hätten Sie es nicht nötig, daß Sie ein Feigenblatt vor Ihren Familienminister hängen, um darzulegen, nachdem Sie den Familien etwas weggenommen haben, wie gut Sie eigentlich für die Familien gearbeitet haben. Das ist offenbar die neue Familienpolitik der ÖVP. Unter diesem Aspekt scheint man zu glauben, daß wir das Strukturanpassungsgesetz unbedingt beschließen müssen, damit dieses Land nicht Schaden erleidet.

Sehr geehrte Damen und Herren! Ich möchte hier nochmals klarstellen, daß es nicht die Freiheitlichen waren, die unser Land in diese Situation gebracht haben, sondern daß es Ihre zehnjährige großkoalitionäre Tätigkeit beziehungsweise Untätigkeit war, die diese Maßnahmen, die Sie als Sünder dastehen lassen, die Sünden jedoch der Bevölkerung bezahlen lassen, notwendig machen. Das möchte ich klarstellen. (Beifall bei den Freiheitlichen. – Bundesrat Ing. Penz: Sünden kann man nur vergeben!) Da wenden Sie sich aber bitte an eine höhere Instanz, die Ihnen vielleicht nicht unbekannt ist. Von der Bevölkerung werden Sie aber die Rechnung bekommen und nicht die Vergebung.

Durch Ihre Untätigkeit in den vergangenen zehn Jahren ist das Budgetdefizit aus dem Gleichgewicht geraten. Man kann es nicht oft genug wiederholen, Sie hören es nicht gerne, aber es ist nun einmal eine Tatsache, daß die Abschlußzahlen des Budgets in den Jahren 1993, 1994 und 1995 um Milliarden, um zig Milliarden, höher waren als prognostiziert und es daher notwendig ist, dieses Strukturanpassungsgesetz, diese einschneidenden Maßnahmen, die die Bevölkerung treffen, vorzunehmen. Sie nennen dieses Konvolut Strukturanpassungsgesetz. Das ist irreführend, denn an den Strukturen ändert sich letztlich nichts. Die Probleme, die seit zehn Jahren existieren, sind gleichgeblieben.

Es stimmt auch nicht, Kollege Freiberger, daß Sie hier ausgaben- und einnahmenseitig von zwei Dritteln zu einem Drittel sprechen können. Denn es pfeifen schon alle Spatzen von den Dächern, daß das Verhältnis mindestens 1 : 1 ist. Die Wirtschaftsforscher haben bereits prognostiziert, daß das Budgetdefizit einnahmenseitig zu 80 Prozent, was Sie als Sanierung bezeichnen, und ausgabenseitig nur zu 20 Prozent abgedeckt wird.

Sie haben sich daher wieder einmal als Abkassierer dargestellt. (Zwischenrufe bei der ÖVP.) Eben nicht, das ist noch viel ärger, wenn Sie rechnen können! (Bundesrat Ing. Penz: Ich schon!) Sie haben sich als Abkassierer demaskiert und betätigen sich als Sandmänner, indem Sie versuchen, der Bevölkerung Sand in die Augen zu streuen. Zusätzlich agieren Sie als Verschleierungstänzer, weil Sie verschleiern wollen, daß Sie, sowohl die Damen und Herren von der sozialdemokratischen als auch von der ÖVP-Seite, Ihre Wahlversprechen gebrochen haben.

Ich erinnere diesbezüglich an den Brief des Herrn Bundeskanzlers, worin er versprach, es persönlich zu verhindern, daß an den Pensionen gerüttelt wird. Das ist schon ein gebrochenes Versprechen, und offenbar plagt ihn das schlechte Gewissen, genauso wie es den ÖVP-Familienminister plagt, wenn er dieses Versprechen gibt und den Verrat an den Familien als Erfolg verkaufen will.

Aber auch die Regierungskoalition hat anscheinend ein schlechtes Gewissen, sonst wäre es nicht notwendig, so viele Verfassungsbestimmungen in dieses Strukturanpassungsgesetz aufzunehmen. In diesem Fall rühmt sich die ÖVP, dafür gesorgt zu haben, daß anstatt der ursprünglich zirka 80 geplanten Verfassungsbestimmungen – ich weiß nicht, wie viele es genau waren – dann letztlich von den restlichen 20 nur 12 oder 14 übriggeblieben sind. Auch das ist mehr als


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genug. Sie müssen auch ein schlechtes Gewissen haben, weil Sie bei vielen Bestimmungen das Augenmaß verloren haben und auch damit gerade die wirtschaftlich Schwachen treffen.

Aber Sie verstoßen auch – das ist eine der gravierendsten Verfehlungen, die Ihnen vorzuwerfen ist – gegen den Grundsatz von Treu und Glauben und erschüttern damit das Vertrauen des Bürgers in die Kontinuität der Gesetzgebung.

Herr Kollege Jaud hat viel von Vertrauen und Hoffnung gesprochen, die wir setzen müssen. Ich behaupte, Sie haben gerade mit der Vorlage dieses Sparpaketes das Vertrauen der Bevölkerung erschüttert. Sie haben behauptet, Sie treten für die Sicherung des Wirtschaftsstandortes Österreich ein und sorgen für die entsprechenden Rahmenbedingungen. Sie vergessen aber – abgesehen von den Belastungen, auf die ich noch zu sprechen komme – auf eine der wichtigsten Rahmenbedingungen, die notwendig sind, damit eine kontinuierliche und gute Wirtschaftsentwicklung gewährleistet ist, nämlich das Vertrauen der Wirtschaft und der Unternehmer darin, daß unternehmerische Entscheidungen letztlich kurz-, aber auch mittelfristig halten und nicht durch eine zuwiderlaufende Gesetzgebung konterkariert werden. (Bundesrat Jaud: Alle Daten beweisen, daß die Wirtschaft das als gut bezeichnet, was jetzt gemacht wird!)

Ich komme gleich darauf zurück. Sie können sich dann zu Wort melden und mir beweisen, daß das, was ich jetzt erörtern werde, für die Wirtschaft gut ist. Hören Sie bitte genau zu!

Als Gesetzgeber sind Sie verpflichtet, dafür zu sorgen, daß die Rahmenbedingungen über einen übersehbaren Zeitraum unverändert bleiben. Unternehmerische Entscheidungen, die zu einem Zeitpunkt gefällt wurden, als Sie Ihre Bedingungen aufgestellt haben – und bevor Sie diese wieder änderten –, müssen umsetzbar sein.

In diesem Zusammenhang ist zum Beispiel die Frage des Standortes zu erwähnen. Es wurde angesprochen, daß Österreich ein besonders guter Wirtschaftsstandort ist. Leider deckt sich diese Aussage nicht mit den Meinungen ausländischer Unternehmen. Denn der Standort Österreich ist in den letzten Jahren leider in der Bedeutung gesunken. Zu der Standortfrage gehören die Fragen des Wirtschaftsklimas, der Bürokratie, der Lohnnebenkosten und der unbezahlten Leistungen, die die Unternehmen für den Staat erbringen müssen, wie dies zum Beispiel bei der Lohnverrechnung und der Krankenkassenverrechnung der Fall ist. All diese Dinge sind weitere Punkte, die zum Vertrauen in die Kontinuität der Gesetzgebung zählen.

Es kann sich doch lediglich um ein billiges und durchschaubares Ablenkungsmanöver der Wirtschaftsverantwortlichen innerhalb des ÖVP-Wirtschaftsbundes handeln, wenn Sie eine Kampagne unter dem Titel "Stopp der Gesetzesflut" starten, und man dann ein Konvolut vor sich hat, worin mit 98 Artikeln Gesetze geändert werden und die Unübersichtlichkeit der Gesetzgebung damit erst recht demonstriert wird. Das kann nur ein Ablenkungsmanöver sein.

Meiner Meinung nach ist es jedoch noch viel ärger, wenn eine Unterschriftenaktion des Wirtschaftsbundes gestartet wird, die auf Abschaffung der Getränkesteuer plädiert, und dann derselbe Wirtschaftsbund und dieselben Wirtschaftsvertreter im Nationalrat einem Antrag der Freiheitlichen, der sich mit der Abschaffung der Getränkesteuer beschäftigt, nicht zustimmen. Das sind wirklich nicht die Wirtschaftsvertreter, die wir uns wünschen. Bei einer solchen Vorgangsweise wundert es mich nicht, daß sich die Wirtschaftskammer bei einem derartigen Vertrauensbruch der Regierung gegenüber den Unternehmern nicht dazu durchringen kann, eine Sondersitzung darüber einzuberufen, sondern bestenfalls bereit ist, darüber einen Kaffeeklatsch abzuhalten.

Das ist aber nicht nur eine Standortfrage, sondern für viele Betriebe auch eine Überlebensfrage. Da nützt es nichts, wenn hier lauthals ein Bekenntnis oder eine Absichtserklärung abgegeben wird, daß 50 000 neue Betriebe mit 80 000 neuen Arbeitsplätzen geschaffen werden oder eine Gründerwelle ansteht, wenn Sie nicht einmal in der Lage sind, die derzeit bestehenden Betriebe am Leben zu erhalten.

Wir stehen bekanntlich seit vier Jahren vor der anhaltend größten Pleitenwelle, die dieses Land nach dem Zweiten Weltkrieg erlebt hat, eine Pleitenwelle, die sich von Jahr zu Jahr steigert, sei


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es jetzt im Hinblick auf die Anzahl der betroffenen Betriebe, die Anzahl der betroffenen Arbeitsplätze oder die Höhe der Insolvenzsummen. Sie stehen vor der höchsten Staatsverschuldung, vor der größten Arbeitslosigkeit und vor der negativsten Zahlungsbilanz in der Geschichte der Zweiten Republik.

Meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, Sie geben es nicht zu, aber Sie stehen vor dem Scherbenhaufen rot-schwarzer Wirtschaftspolitik. (Beifall bei den Bundesräten Dr. Kapral und Dr. Tremmel. – Rufe bei SPÖ und ÖVP.) Das ist eben leider nicht zum Applaudieren, wenn es sich um einen Scherbenhaufen handelt.

Sehr geehrte Damen und Herren! Wie wollen Sie also das Vertrauen von Neuunternehmern in Neugründungen schaffen, wenn Sie bestehende Unternehmen gefährden – mit der Erhöhung der Lohnnebenkosten, mit willkürlicher Änderung der Verlustvortragsbestimmungen, um nur beispielsweise etwas zu erwähnen, oder der Anhebung der Mindestkörperschaftsteuer? – Das ist prohibitiv, Kollege Himmer, prohibitiv für neue Unternehmer, wenn diese sehen, wie Sie mit den bestehenden Unternehmen umgehen. (Zwischenruf des Bundesrates Mag. Himmer. ) Sie agieren ohne Bedachtnahme auf die Auswirkungen, die Ihre Maßnahmen haben.

Ich denke zum Beispiel an Wien – da müßten Sie eigentlich auch mitgedacht haben –, als sowohl vom Bürgermeister bis zu Ihrer nicht vorhandenen Opposition in Wien, bis zu Ihrem Stadtrat Görg, gegen das Mautpickerl auf den Stadtautobahnen zu Felde gezogen wurde. Oder betrachten Sie es etwa, im Gegensatz zu Ihren Kollegen aus Wien, als richtig, daß die Auswirkungen dieser Maßnahme auf die Verkehrs- und Umweltbelastung nicht bedacht worden sind? (Zwischenruf des Bundesrates Mag. Himmer. ) Wieso ist dann Ihr Kollege, Stadtrat Görg, sosehr gegen das Mautpickerl für die Stadtautobahnen? (Bundesrat Mag. Himmer: Ich betrachte es als Gegenmaßnahme, daß die B 301 gebaut wird! – Bundesrat Ing. Penz: Sie brauchen nur die Argumente aufzunehmen!) Entschuldigung, worum geht es Ihnen denn; um den Ausbau der Straßen im Umfeld von Wien oder um die Maut auf den Stadtautobahnen? (Bundesrat Mag. Himmer: Sie schaffen den intellektuellen Sprung nicht und ich schon!) Da muß man aber schauen, Herr Kollege Himmer! Hier ist der Bundesrat, hier springen Sie einmal Ihren intellektuellen Sprung! Denn ich glaube, Sie haben den intellektuellen Sprung nicht geschafft, den Stadtrat Görg schon vorgegeben hat.

Eine weitere Änderung in Wien betrifft die Abschreibungsbedingungen. Ich denke hier an die Assanierungsaufwendungen nach dem Stadterneuerungsgesetz. Was das bedeutet, haben sowohl Bürgermeister als auch Finanzstadtrat festgestellt.

Ich möchte hier gar nicht von der Ungerechtigkeit reden, daß es in Zukunft keine Möglichkeiten mehr für steuerfreie Mietzinsrückstellungen geben soll, weil die Divergenz zwischen dem Einkommensteuergesetz und dem Mietrechtsgesetz ganz einfach zu groß ist und von den Einnahmen Steuer bezahlt werden muß. Diese Einnahmen stehen also nicht mehr voll zur Verfügung, weil sie schon teilweise dem Finanzminister abgeführt wurden, die vollen Beträge aber müssen der Mietzinsreserve zur Verfügung gestellt werden. Das heißt, die Differenz aus der eigenen Tasche hinzuzuzahlen. (Bundesminister Mag. Klima: So ein Unfug! Unsinn!) Es kann niemand erklären, was daran gerecht sein soll!

Es wäre sicher nicht so, wenn die Gemeinde Wien als größter Hausherr Österreichs im Rahmen der Wohnhäuserverwaltung auch von diesen Steuermaßnahmen betroffen wäre. Aber die Gemeinde Wien ist eben nicht steuerpflichtig, und daher ist es offenbar ganz gleich, ob man jetzt eine Maßnahme setzt, die in sich innerhalb unseres Gesetzesgefüges unschlüssig ist.

Der Bürgermeister beklagt den Schaden für die Stadterneuerung, wenn sich die Abschreibungsbedingungen bezüglich der Assanierungsaufwendungen ändern. Denn – auch das hat er offenbar richtig erkannt – auf diesem Sektor geht ohne private Mittel nichts weiter. (Bundesminister Mag. Klima: Aber nicht nur Steuern subventionieren die Mittel!) In der Vergangenheit hat sich das als bewährtes Instrument, als Priorität bei der Maßnahme der Stadterneuerung herausgestellt und Investitionsvolumen in Milliardenhöhe geschaffen. (Bundesminister Mag. Klima: Wer verbietet private Mittel?) Entschuldigung, Herr Minister? (Bundesminister Mag. Klima: Wer


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verbietet private Mittel für das Wegreißen von Häusern und den Neubau von Häusern? Gar niemand!)

Herr Minister! Es verbietet niemand, es wird nur auch unter diesen Voraussetzungen niemand machen. Vor allem besteht die Ungerechtigkeit darin, daß Sie Assanierungsmaßnahmen erzwingen können und damit letztlich jemanden bestrafen, indem Sie ihm diese Möglichkeiten, die Sie bisher eingeräumt haben, in Zukunft nicht mehr einräumen. So ist das ganz einfach. Leider ist es aber auch so, daß das – da beginnt es, bedenklich zu werden – auch für rückwirkende Investitionen gelten wird. Denn auch in diesem Fall, sehr geehrte Damen und Herren, lagen ursprünglich unternehmerische Entscheidungen zugrunde, die darauf vertraut haben, daß der Gesetzgeber, zumindest während der Laufzeit der Abschreibungen, nichts an den Bedingungen ändert.

In Zukunft wird es eben so sein, daß statt der Zehntel- oder Fünfzehntel-Abschreibung in diesem Bereich die 1,5 Prozent Platz greifen werden. Es handelt sich hier um ein Abschreibungsvolumen, von dem letztlich Steuer gezahlt werden muß, das aber in der ursprünglichen Kalkulation nicht vorhanden war. Sie können mir nicht plausibel erklären, warum derjenige, der einmal eine positive Aktion gesetzt hat, indem er im Assanierungsverfahren oder im Stadterneuerungsgebiet seine Investitionen getätigt hat, rückwirkend bestraft werden soll.

Es ist bereits eine gefährliche Entwicklung, aber noch viel gefährlicher wäre es, wenn sich bewahrheiten sollte, was zwischen den Zeilen der Ziffer 71 im Artikel 39 steht, wonach die steuerfreien Beträge, die nach diesen Assanierungsbestimmungen gebildet wurden, als steuerfreie Beträge nach den Bestimmungen der Mietzinsreserve zu behandeln sind. Das könnte nämlich bedeuten, daß die bisher begünstigte Zehntelabsetzung für die Assanierungsmaßnahme nach dem Stadterneuerungsgesetz auch für die Vergangenheit rückgängig zu machen ist und daß im Zuge der rückwirkenden Verminderung der Abschreibbarkeit eine Rücklage, sprich steuerfreier Betrag, in Höhe der Differenz zu bilden ist. Diese Rücklage wäre dann aufzulösen und von einem Geld aufzubringen, das ja an sich nicht mehr vorhanden ist, sehr geehrte Damen und Herren, und das einer beträchtlichen Steuerprogression unterliegt. Diesem Geld stehen keine tatsächlichen Einnahmen gegenüber.

Dieses Vorgehen nenne ich eine gezielte Vermögensvernichtung. Wenn dies unbewußt geschieht, dann ist das ein Beweis für die Oberflächlichkeit, mit der man dieses Konvolut behandelt hat. Wenn es bewußt geschieht, dann kann ich das nur als Böswilligkeit betrachten.

Ein weiterer Punkt ist die Regelung für die Verlustvorträge, die auch rückwirkend gilt, die für die Wirtschaft und für die Unternehmen überraschend kommt und die die unternehmerische Planung der vergangenen Jahre konterkariert. Denn plötzlich soll 1996 und 1997 kein Verlustabzug mehr möglich sein. Gemäß Ziffer 72 des Artikels 39 sollen die Verlustvorträge der Jahre 1989 und 1990 nur zu je einem Fünftel in den Jahren 1998 bis 2002 abgezogen werden können. Wenn die Unternehmen zu diesem Zeitpunkt allerdings nicht so viel oder überhaupt nichts abzuziehen haben, sind diese Beträge leider verfallen. So steht es eben im Gesetz und daran ist nichts zu ändern, auch wenn man noch so oft sagt, diese Verlustvorträge seien nicht verloren. Sie verfallen, wenn sie keine Möglichkeit haben, in diesem Jahr bei den Fünftelbeträgen einen Abzug vornehmen zu können.

Das nenne ich "vertrauensbildende Maßnahmen" des Gesetzgebers, der – in diesem Fall – jedoch nicht das Parlament, sondern die Koalitionsregierung ist.

Sehr geehrte Damen und Herren! In der Kürze der Zeit ist es nicht möglich, alle Punkte anzuführen, wie zum Beispiel die Sozialversicherungspflicht bei Werkverträgen, wobei ich jedoch überhaupt nicht verstehe, warum Kolporteure, die auch als Werkvertragsnehmer arbeiten, plötzlich von dieser Bestimmung ausgenommen sind. Offenbar ist das die Verbeugung der Regierung vor der Hofberichterstattung der Zeitungen.

Ferner denke ich an die nicht aufkommensneutrale Energiesteuer, an die Vorziehung der Rückstellungsnachversteuerung und an das Vorsteuerabzugsverbot für den Fiskal-LKW, das sogar rückwirkend mit 15. Februar gilt.


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Eine Reihe von Branchen werden damit ungerechtfertigterweise betroffen. Über Antrag der freiheitlichen Unternehmer wurde im Vorstand der Wiener Wirtschaftskammer eine einstimmige Resolution gefaßt, die eigentlich genau besagt, worum es geht. Für eine Vielzahl von Branchen stellt der Fiskal-LKW ein unverzichtbares, betriebsnotwendiges Transportmittel dar und kann auch durch den steuerlich anerkannten Kastenwagen nicht gleichwertig ersetzt werden. Wenn das der Fall wäre, könnte sich der Herr Finanzminister von der Abschaffung des Fiskal-LKWs nicht ein steuerliches Mehraufkommen von zirka 700 Millionen Schilling jährlich erwarten.

Die Betriebsnotwendigkeit eines PKWs oder Kombis für einen Handelsvertreter würde sogar die Aufnahme dieser Berufsgruppe in den gesetzlichen Ausnahmenkatalog rechtfertigen, wie das zum Beispiel bei Taxis oder bei Fahrschulen, aber auch bei Hotel-PKWs, die der Beförderung von Hotelgästen dienen, der Fall ist.

Gerade in Zeiten des verschärften Wettbewerbs und des verschärften Kostendrucks wird der klein- und mittelbetrieblich strukturierten gewerblichen Wirtschaft unter Mißachtung fundamentaler, steuerrechtlicher Prinzipien ein schwerer Schlag versetzt. Die Tatsache, daß in der Bundesrepublik Deutschland der Vorsteuerabzug für betrieblich angeschaffte PKWs und Kombis uneingeschränkt möglich ist, wird durch diese Problematik im Hinblick auf die nunmehr auch EU-bedingte, härtere Wettbewerbssituation zusätzlich verschärft. – Soweit die Wiener Wirtschaftskammer. Der PKW ist in diesen Bereichen oder in vielen dieser Bereiche ein unverzichtbares Handwerkszeug, wie zum Beispiel die Maurerkelle, wird jetzt aber zusätzlich besteuert. Leider ist auch das notwendige Augenmaß nicht gegeben.

Meine Damen und Herren! Nur eine florierende Wirtschaft und gewinnmachende Unternehmen sichern auf Dauer Steueraufkommen und Arbeitsplätze. Aber ich sage: Kurzfristig wird vor dem Hintergrund der anhaltend größten Insolvenzwelle der Nachkriegszeit, mit Forderungsverlusten für Wirtschaft und Banken in gigantischen Milliardenhöhen, vor dem Hintergrund einer sich rasant ins Negativ bewegenden Zahlungs- und Leistungsbilanz und der bislang höchsten Arbeitslosenrate in der Zweiten Republik, die Steuerschraube angezogen. Denn nicht nur einnahmenseitige, sondern auch ausgabenseitige Maßnahmen bedeuten Belastungen und erschweren das Wirtschaften.

Die Folgen werden sein, daß der Konsum zurückgeht, die Umsätze fallen – schon jetzt ist die Auftragslage rückläufig –, die Gewinne ausbleiben, die Stimmungslage der Wirtschaft, ein wichtiger Indikator für die Entwicklung der Wirtschaft, ins Negative geht. Dafür erhöhen wir die Abgabenquote, die internationale Wettbewerbsfähigkeit geht zurück. (Bundesrat Jaud: Sie reden daran vorbei!)

Ich rede jetzt nicht vorbei! Sie sind mit Ihrem Handeln dafür verantwortlich, und das ist es nämlich, worum es geht. Die internationale Wettbewerbsfähigkeit geht zurück, der Wirtschaftsstandort Österreich wird unattraktiver, die Investoren bleiben aus. (Zwischenrufe bei der ÖVP.) Hören Sie einmal zu, wer von der Wirtschaftskammer das sagt. (Bundesminister Mag. Klima, Mag. Langer die Zeitung zeigend: Herr Kollege! Schauen Sie, das heutige "WirtschaftsBlatt"! – Zwischenrufe bei SPÖ und ÖVP.) Lesen Sie andere Zeitungen und Artikel und nicht unbedingt immer nur jene, die gerade Ihren Standpunkt vertreten! (Bundesrat Dr. Kapral: Das ist ja eine rote Zeitung! – Bundesminister Mag. Klima: Das "WirtschaftsBlatt" ist nicht gerade eine rote Zeitung!)

Ich gebe schon zu, Herr Minister, daß es Ihr Recht ist, sich die Artikel herauszusuchen, die gerade Ihnen angenehm sind, genauso wie es mir vorbehalten bleibt, diejenigen herauszunehmen – das sind letztlich auch die Indikatoren, die die Wirtschaftsforscher angeben –, die meine Thesen und Theorien untermauern.

Die Maßnahmen des Belastungspaketes werden nach meinem Dafürhalten dafür sorgen, daß entweder durch rigorose Einsparungen der Betriebe oder durch weitere Insolvenzen eine Reihe von Arbeitsplätzen verlorengeht.

Sehr geehrte Damen und Herren! Die geplanten Steuererhöhungen und -belastungen sind wirtschafts- und standortfeindlich und damit arbeitsplatzvernichtend. Sie sind ein Verstoß gegen den


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Grundsatz von Treu und Glauben und damit eine Zerreißprobe für das Steuersystem. Sie sind teilweise verfassungsrechtlich bedenklich, sozial nicht ausgewogen, und sie sind auch familien-, behinderten- und frauenfeindlich. Wir können daher dem Strukturanpassungsgesetz nicht zustimmen. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

14.29

Präsident Johann Payer: Zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesrat Jürgen Weiss. – Bitte, Herr Bundesrat.

14.29

Bundesrat Jürgen Weiss (ÖVP, Vorarlberg): Herr Präsident! Meine Herren Bundesminister! Hohes Haus! Die Diskussion über das Strukturanpassungsgesetz in den gesetzgebenden Körperschaften, aber auch in der Bevölkerung, erinnert ein bißchen an jene Diskussionen, die man führt, wenn eine Decke zu kurz geworden ist und man sich darüber unterhält, wohin man sie denn nun ziehen soll.

Aus unserer eigenen Lebenserfahrung wissen wir alle, daß die Lösung des Problems nicht daran liegt, daß man mit dem Hin- und Herziehen der zu kurzen Decke überhaupt nicht mehr aufhören will. Wir laufen Gefahr, uns auf dieser Ebene der Diskussion zu verlieren.

Im Interesse der Rechtssicherheit und der Bevölkerung gibt es viele Stimmen, die sagen: Wir wissen, daß saniert werden muß. Wir sind nicht in allen Fällen der Überzeugung, daß man punktgenau immer das Richtige getroffen hat, aber macht nun einmal ein Ende mit der Verunsicherung, was auf uns zukommen wird und notwendig ist.

Die Leute draußen wollen wissen, woran sie sind. Ich denke, daß wir ihnen diese Klarheit schuldig sind. (Beifall bei der ÖVP.)

Wir hatten zu Beginn der heutigen Sitzung schon die Möglichkeit, ausführlich darüber zu diskutieren, welche Position die Länder zu diesem Gesetzespaket einnehmen. Sie ist in vielen einzelnen Fragen zwangsläufig durchaus kritisch. Es wird auch viele Bundesdienststellen geben, die hinsichtlich der Vollziehbarkeit einzelner Bestimmungen unterschiedliche Meinungen haben. Es ist auch gut, daß man das artikuliert.

Das Wesentliche kann aber nicht die Schlußfolgerung sein, daß man vor lauter einzelnen Bäumen den Wald nicht mehr sieht, daß man sich vor lauter Beschäftigung mit dem Detail, mit dem Großen, Ganzen nicht mehr auseinandersetzt. Das heißt in der Folge, nun endlich diesen längst überfälligen Beitrag zur Sanierung des Bundesbudgets zu leisten.

Es ist schon zu Beginn der Sitzung erwähnt worden, daß es natürlich in einer Reihe von Länderstellungnahmen Einwände gegeben hat, und man muß zugeben, daß ein strukturelles Problem dieses Gesetzespaketes damit verbunden ist, daß wir beispielsweise beim Vollziehungsaufwand vielfach im Blindflug agieren. Es wäre in manchen Fällen zweckmäßig, darüber reden zu können, ob etwa die Befürchtung einer Landesregierung, daß beim Altlastensanierungsgesetz in einem bestimmten Punkt mit einem explosionsartigen Anstieg des Verwaltungsaufwandes zu rechnen wäre, gerechtfertigt ist.

Es gibt auch kleinere Bereiche, etwa im Überwachungsgebührengesetz und bei der Änderung der Straßenverkehrsordnung, bei denen wir künftig die Situation haben, daß solche Gebühren zwar auf kurzem Wege eingehoben werden können, aber durchaus nicht müssen. In allen diesen Fällen ist durch die Bezirkshauptmannschaft ein Bescheid zu erlassen.

Auch in jenen Fällen, in denen beispielsweise Unfallbeteiligte Bedienstete des Gendarmeriepostens in Anspruch nehmen wollen und dafür die Gebühr von 500 S zu entrichten haben, ist ein Bescheid der Bezirkshauptmannschaft fällig, wenn die Gebühr nicht an Ort und Stelle beglichen werden kann oder beglichen werden will. Dabei tritt noch die kuriose Situation ein, daß der Erlös dieser Gebühr jener Gebietskörperschaft zufließt, die die Organe besoldet, also in diesem Fall die Gendarmeriebeamten. Die Bezirkshauptmannschaft, die aber die Arbeit mit dem Inkasso hat, geht dabei leer aus.


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Das zeigt nur, wie nachbesserungsfähig manche Details in diesem Punkte sind und welche Herausforderungen an ein solch großes Gesetzesvorhaben, natürlich auch an die Einhaltung von § 14 des Bundeshaushaltsgesetzes gestellt werden. Ich möchte in dem Zusammenhang zur Diskussion stellen – nicht nur auf die Sondersituation Strukturanpassungsgesetz bezogen, sondern ganz allgemein, weil man mit dieser Bestimmung des Haushaltsgesetzes in der gesetzgebenden Körperschaft Nationalrat, aber auch bei uns hier ein bißchen leichtfertig umgeht –, ob man die Verpflichtung, die Folgekosten von Gesetzen transparent zu machen, nicht in der Bundesverfassung verankern sollte, damit es auch einen Sanktionsmechanismus gibt, wenn diese Bestimmung in gravierender Weise mißachtet wird. Wir alle wissen, daß man sich aus verschiedenen Gründen – es sind nicht immer die schlechtesten, aber leider auch nicht immer die besten – über diese Bestimmung hinwegsetzt.

Ich denke auch, daß der Konsultationsmechanismus, der dem Grunde nach zwischen den Gebietskörperschaften vereinbart ist, für diese Budgetsanierung ein ganz wichtiger Ansatzpunkt wäre, damit man zu mehr Kostentransparenz und Kostenbewußtsein, nicht nur in der Verwaltung, sondern vorrangig in der Gesetzgebung, kommt.

Seitens des Parlamentarismus – auch das muß uns interessieren – ist natürlich vielfach Kritik am Zustandekommen dieses Gesetzespaketes geübt worden. Zweifellos haben wir es hier mit einer Situation zu tun, deren Wiederholung man sich nicht wünschen kann; weder seitens der Regierung noch seitens der gesetzgebenden Körperschaften, aber auch nicht von den Ländern.

Es ist auch ein wenig problematisch, wenngleich im großen Zusammenhang verständlich, daß einzelne legistische Vorhaben in dieses Paket hineingenommen wurden, die zwar durchaus mit Budgetsanierung, aber nicht unbedingt mit Bundesbudget zu tun haben. Diese Vorhaben böten durchaus auch allein Anlaß zu Diskussionen, etwa das Bundesstraßenfinanzierungsgesetz oder das Poststrukturgesetz, beides wichtige Vorhaben.

Die von den legistischen Richtlinien genannten Kriterien für die Zusammenfassung in einer Sammelnovelle scheinen mir hier jedoch ein bißchen stark strapaziert zu sein, wenngleich ich das Bemühen und auch die Wichtigkeit des Erfolges, daß diese budgetentlastenden Maßnahmen so rasch wie möglich in Kraft treten sollen, anerkenne.

Ein weiteres Problem stellen für mich – das sage ich ganz offen – die nach wie vor zahlreichen Verfassungsbestimmungen dar, wenngleich sie keine Zuständigkeiten der Länder berühren. Hinsichtlich des Finanz-Verfassungsgesetzes stellt sich die Frage allein deshalb nicht, weil es sich hier nicht um die Schaffung eines neuen Rechtes, sondern lediglich um die Inkorporierung, also die rechtsbereinigende Hereinnahme bereits bestehender rechtlicher Regelungen in das Stammgesetz selbst, handelt, die zudem im Einvernehmen mit den Ländern und Gemeinden erfolgt und inhaltlich durchaus sinnvoll ist.

Eine verfassungsändernde Bestimmung, die in der Regierungsvorlage enthalten war, wurde im Ausschuß herausgelöst und vom Nationalrat in der Zwischenzeit noch gar nicht beschlossen. Es handelt sich hiebei um die Änderung des Übergangsgesetzes 1920, die sich auch auf das bisherige Zustimmungsrecht der Länder auswirkt, wenn die Gerichtssprengelgrenzen verändert werden sollen.

Ich denke, es wäre keine dem Beitrag der Länder zur Budgetsanierung adäquate Vorgangsweise gewesen, ihnen die Zustimmung zu dieser Einschränkung auf die Weise abzunötigen, daß ihnen in Wahrheit gar keine andere Möglichkeit geblieben wäre, als zu diesem gemeinsamen Paket zu stehen. Ich halte es für eine faire Vorgangsweise, daß man das herauslöst und getrennt behandelt. Es ist auch bekannt, daß ich dem Standpunkt des Justizministers in dieser Frage sehr viel abgewinne, weil vielfach Gründe der Verwaltungsökonomie gegen die Aufrechterhaltung von Kleinstbezirksgerichten sprechen. Es ist auch für die Rechtssuchung – ich weiß das aus vielen Anlaßfällen – nicht immer ein gutes Gefühl, bei allem mit demselben Richter zu tun zu haben. Diesen Gesichtspunkt sollte man dabei auch nicht außer acht lassen.

Ich bin aber sehr dafür, daß man solche Maßnahmen nicht einseitig trifft, daß sich der Bund nicht einseitig begünstigt, sondern daß man sich mit den Ländern ins Einvernehmen setzt und


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ein vernünftiges verfassungsrechtliches Gerüst für solche Angelegenheiten schafft. (Beifall bei der ÖVP.)

Ich würde mir unabhängig davon wünschen, daß es gelingt, in möglichst vielen Fällen mit den Ländern ins Einvernehmen zu kommen. Wir wissen ja aus einigen Bundesländern, in jüngster Zeit Niederösterreich, daß das durchaus möglich ist, sofern der gute Wille aller Beteiligten und eine sachgerechte Vorgangsweise vorhanden sind.

Hinsichtlich der Verfassungsbestimmungen wurde im Nationalrat mehrfach damit argumentiert, daß sie nur dazu dienen, ein kurzfristig rückwirkendes Inkrafttreten verschiedener Bestimmungen abzusichern und die damit verbundenen großen Risken des Einnahmenausfalles oder der Verkürzung von Ausgaben nicht auf das Bundesbudget rückschlagen zu lassen.

Diese Argumentation muß man ein bißchen relativieren, weil nicht alle Verfassungsbestimmungen, zugegebenermaßen aber die meisten, dieser Absicherung des rückwirkenden Inkrafttretens dienen. Das Erstaunliche ist, daß viele Bestimmungen des Strukturanpassungsgesetzes rückwirkend gelten, insbesondere im Sozialbereich. (Bundesminister Mag. Klima: Rückwirkend gelten müssen!) In diesem Bereich haben wir eine ganze Reihe von zwangsläufig technisch notwendigen Rückwirkungen, ohne daß in diesen Fällen die Notwendigkeit einer Verfassungsbestimmung gesehen wurde. Da haben wir meiner Meinung nach einen Klärungsbedarf, warum man sich in verschiedenen Fällen traut, die Rückwirkung vor dem Verfassungsgerichtshof zu argumentieren, und in anderen Fällen wiederum nicht.

Ich will jedoch anerkennen, daß man sich die Mühe genommen hat, diese große Zahl der ursprünglich vorgesehenen Verfassungsbestimmungen nicht durchzusetzen, sondern sich in der Regel dem rechtsstaatlichen Anspruch, daß die Rechtsunterworfenen auch ein Recht auf Rechtskontrolle haben, nicht verweigert hat.

Ich denke, wir sind diesbezüglich auch an einem Punkt angelangt, an dem von seiten des Gesetzgebers ein Schlußpunkt hinter die bisherige Praxis, den Verfassungsgerichtshof dadurch auszuschalten, daß man über eine einfach gesetzliche Regelung Verfassungsbestimmung schreibt, gesetzt werden sollte. Wenn wir nämlich auf diesem Weg, auf dem in großer Zahl die Rechtskontrolle ausgeschaltet würde, mit großer Intensität weitergingen, kämen wir bald zu einem Zustand, den man als parlamentarischen Absolutismus bezeichnen müßte.

Es fehlt auch nicht an mahnenden Stimmen aus dem Verfassungsgerichtshof selbst. Darüber könnte man lange referieren. Denn auch dort entwickelt es sich allmählich zu einer Gratwanderung, ob in der Summe dem Rechtsschutzbedürfnis der Bevölkerung noch ausreichend entsprochen wird. Ich meine, das sollte man für die weitere Entwicklung des Rechts – Haushaltsrecht und Budgetrecht sind mit den Strukturanpassungsgesetzen ja nicht abgeschlossen – bedenken und berücksichtigen.

Es ist von den freiheitlichen Bundesräten in einer Pressekonferenz argumentiert worden – bemerkenswerterweise wurde sie während der Sitzung abgehalten, was für eine besondere Wertschätzung der Diskussion hier spricht –, daß nur ein Einspruch gegen das Strukturanpassungsgesetz die Länderinteressen vertrete und alles andere ein Verrat an den Landesinteressen wäre. Ich behaupte, das Gegenteil ist richtig. Wir haben keinen einzigen Fall, in dem aus einem Land, sei es von einem Finanzreferenten, einem Sozialreferenten, einem Landeshauptmann oder einem Landtagspräsidenten, gefordert worden wäre, dieses Gesetz soll jetzt in dieser Form nicht in Kraft treten.

Ganz im Gegenteil: Es gibt unzählige Bekenntnisse zu dieser Sanierungspartnerschaft, die in guter Absicht angefangen wurde, indem nämlich maßgebliche Vertreter der Länder in die Verhandlungen, wie man nun diese Sanierungsziele konkret umsetzen könne, eingebunden waren. Die Länder waren also nicht nur von vornherein informiert – das blieb ja nicht exklusiv, das wissen zwei der dort stundenlang, tagelang Beteiligten –, sondern es hat ein intensiver Rückkoppelungsprozeß mit den anderen Ländern stattgefunden, sodaß man durchaus guten Gewissens sagen kann: Alles andere als eine Zustimmung zu diesem Sanierungspaket wäre ein Verrat an den Landesinteressen.


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Ich trete nach wie vor dafür ein, daß wir es den Ländern selbst überlassen, was nun die Länderinteressen seien, und uns das nicht aus der "Republik Bärental" vorgeben lassen. Ich vertrete nach wie vor das Land Vorarlberg und stimme in diesem Sinne zu. (Beifall bei der ÖVP.)

14.42

Präsident Johann Payer: Zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesminister Michalek. Ich erteile dieses.

14.42

Bundesminister für Justiz Dr. Nikolaus Michalek: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Für das von der Bundesregierung vorgelegte Konsolidierungsprogramm hat natürlich auch das Justizressort seinen Beitrag zu leisten. Durch eine allgemein sparsamste Mittelverwendung und die vorgesehenen, zum Teil auch heute in dem Paket enthaltenen Strukturmaßnahmen wird jedoch sichergestellt, daß die erforderlichen personellen und sachlichen Ausstattungen für die Justiz gewährleistet sind.

Eine für die Justiz besonders wichtige Strukturmaßnahme – dieses Thema wurde heute schon mehrfach angesprochen – stellt die Reform der Bezirksgerichtsorganisation dar, die vor allem die Stärkung der Leistungskraft der Bezirksgerichte im Interesse der rechtsschutzsuchenden Bevölkerung, aber natürlich auch weitreichende Einsparungseffekte nach sich ziehen würde.

Meine Damen und Herren! Die Justiz bedarf zur Erfüllung der ihr übertragenen Aufgaben nicht nur der ihr eingeräumten Autorität, sondern auch des Vertrauens der Bevölkerung, nicht nur des Vertrauens in die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Rechtsprechung, sondern auch in die Funktionstüchtigkeit, insbesondere in die rasche Erledigung der an die Justiz herangetragenen Aufgaben.

Es war mir daher stets ein besonderes Anliegen, die Rahmenbedingungen für eine effiziente und bürgerbedarfsgerechte Rechtsprechung zu verbessern. Wir können auf eine Reihe von diesbezüglichen erfolgreichen Maßnahmen in den letzten Jahren auf legislativer, organisatorischer Ebene, im Bereich des Personals oder auch der Ausstattung der Gerichte hinweisen.

Für eine Verbesserung der Leistungskraft jedes Betriebes, auch eines Bezirksgerichtes, ist heute aber auch eine gewisse Betriebsgröße unabdingbar. Nur ein Gericht mit mehreren Richtern bietet etwa die Möglichkeit für eine gewisse, heute auch in der Juristerei notwendige Spezialisierung. Es ist nicht mehr möglich, daß ein Jurist alle Bereiche des Rechtes kennt und abdecken kann. Es bedarf einer gewissen Spezialisierung im Zivilrechtsbereich, im Strafrechtsbereich, im Familienrecht oder auch in der Justizverwaltungstätigkeit. Denn auch Bezirksgerichte sind Verwaltungseinheiten, die heute optimal gemanagt werden müssen.

Es bedarf auch einer gewissen Größe des Gerichtes, damit im Falle der Verhinderung eines Richters eine unkomplizierte Vertretung möglich ist, oder vor allem auch deshalb, daß zumindest immer ein Richter am Gericht anwesend ist.

Kleinstgerichte, deren richterlich zu erledigender Arbeits- und Geschäftsanfall nicht einmal die Arbeit eines Richters auslastet, haben Richterüberkapazitäten, die zum Teil natürlich wirtschaftlich nicht sinnvoll, durch andere Arbeiten des Richters ausgeglichen werden, zum Teil führt das aber dazu, daß der Richter nun auch an einem zweiten Gericht ernannt werden muß und dort seine Arbeit versieht und daher nur einige Tage in der Woche bei dem einen beziehungsweise bei dem anderen Gericht anwesend ist. Es liegt auf der Hand, daß es für die betroffene, rechtssuchende Bevölkerung von Nachteil ist, wenn der Richter nur einzelne Tage in der Woche – und selbst in diesem Fall ist nicht vorhersehbar wann – bei ihrem zuständigen Gericht tätig ist.

Meine Damen und Herren! Begrenzte Ressourcen erfordern es, auch ein besonderes Augenmerk auf eine bundesweit – sowohl im städtischen Ballungsraum wie auch im ländlichen Raum – möglichst große Gleichmäßigkeit, sowohl was die Auslastung der Richter als auch die der Rechtsgewährung an die Bevölkerung betrifft, zu legen. Auch der Rechnungshof hat schon mehrfach auf die Möglichkeit und die Notwendigkeit betriebswirtschaftlicher Rationalisierungs-


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und Einsparungsmaßnahmen bei den kleineren Bezirksgerichten hingewiesen. (Bundesrat Ing. Penz: Deswegen braucht man keine Verfassungsänderung!)

Die Justiz weist im Vergleich zu anderen Behördenstrukturen eine sehr hohe Dezentralisierung auf. Es gibt mehr als doppelt so viele Bezirksgerichte als Bezirkshauptmannschaften, obwohl der Bürger im Laufe seines Lebens ungleich häufiger die weiter entfernt gelegene Bezirkshauptmannschaft als das nähergelegene Bezirksgericht aufsucht. Denken Sie etwa daran, daß die Bezirkshauptmannschaften für die Ausstellung von Führerscheinen oder Reisedokumenten, für Jugendwohlfahrtsangelegenheiten, Gewerbeanmeldungen, Kraftfahrzeuganmeldungen, Zulassungen und vieles andere zuständig sind.

Zur möglichsten Aufrechterhaltung der dezentralen Struktur der Justiz und als Gegenmaßnahme gegen die Konzentrationstendenzen in den Ballungsräumen hat die Justiz in vorbildlicher Weise eine große Anzahl von Maßnahmen gesetzt, insbesondere massive Kompetenzverlagerungen von den Gerichtshöfen in die Bezirksgerichtsebene: alle Familienrechtsstreitigkeiten etwa, einschließlich Ehescheidungen, alle Zivilprozesse bis zu 100 000 S anstatt, wie bisher, 30 000 S, fast alle Strafsachen mit einer Strafandrohung bis zu einem Jahr Freiheitsstrafe oder auch andere Rechtsangelegenheiten.

Diese Kompetenzverlagerung hat ein Ausmaß angenommen, das wirklich an der Grenze des noch Vertretbaren ist. Ich sehe, abgesehen von Geldwertanpassungen bei der Streitwertgrenze, wirklich keine Möglichkeit mehr, den Aufgabenbereich der Bezirksgerichte auszuweiten. Diese Kompetenzverlagerungen, so massiv sie auch waren, haben sich aber naturgemäß bei den Kleinst- und Kleingerichten auch nur geringfügigst ausgewirkt. Eine Verbesserung der Leistungskraft der Justiz auf der Bezirksgerichtsebene durch eine Vergrößerung der Betriebseinheit ist daher nur durch eine Änderung der im großen und ganzen noch aus dem vorigen Jahrhundert stammenden Bezirksgerichtsstruktur, also durch eine maßvolle Zusammenlegung von Kleinst- und Kleinbezirksgerichten, möglich.

Diese Entwicklung wird heute dadurch erleichtert, daß sich die Verkehrsverhältnisse in den letzten Jahrzehnten doch entscheidend verbessert haben und daß die allgemeine Mobilität der Bevölkerung – denken Sie etwa an die regelmäßigen Einkaufsfahrten in die Einkaufszentren – ungleich höher ist als früher und daß schließlich auch die Grundbücher von überall aus abgefragt werden können.

Im Hinblick auf die derzeitige Rechtslage, wonach Verordnungen der Bundesregierung zur Änderung der Bezirksgerichtsstruktur der Zustimmung der Landesregierung bedürfen, hat das Bundesministerium für Justiz, nach erfolgreichem Abschluß unserer diesbezüglichen Bemühungen in Niederösterreich, seit mehreren Jahren auch intensive Gespräche mit den Landesregierungen der Steiermark, von Oberösterreich und Salzburg geführt. Die übrigen Bundesländer kommen für diese Maßnahmen ohnehin nicht in Frage. Diese Gespräche haben leider zu keinem befriedigenden Ergebnis geführt. Im Gegenteil: Ich habe eher den Eindruck gewonnen, daß die betroffenen Landesregierungen, mit Rücksichtnahme auf die örtlichen Wünsche, immer weniger imstande sind, ihre Zustimmung zu geben.

Meine Damen und Herren! Auch bei einer veränderten Verfassungsrechtslage, wonach Bezirksgerichtsstrukturmaßnahmen innerhalb eines Bezirkshauptmannschaftssprengels – ich betone immer nur innerhalb eines Bezirkshauptmannschaftssprengels – nicht mehr der Zustimmung, sondern nur noch der Anhörung der Landesregierung bedürfen, ist es nicht unser Ziel, pro Bezirkshauptmannschaft nur ein Bezirksgericht einzurichten, und schon gar nicht sprechen wir von einer mindestens fünf Richter beschäftigenden Bezirksgerichtsgröße. Solche in der Öffentlichkeit getroffenen Äußerungen sind reine Stimmungsmache.

Auch bei geänderter Verfassungsrechtslage trete ich für die schon bisher in Niederösterreich angewandten und mit den Landesregierungen von Oberösterreich, Steiermark und Salzburg debattierten Parameter für die Zusammenlegung ein, nämlich daß der richterlich zu erledigende Geschäftsanfall nicht einen Richter auslastet oder dieser Geschäftsanfall zwar etwas größer ist – ich habe unlängst in einer parlamentarischen Anfragebeantwortung gesagt, etwa eineinhalb


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Richter auslastet –, aber ganz nahe am benachbarten Standort des übernehmenden Gerichtes ist.

Ich habe diesen meinen Standpunkt sowohl gegenüber den Landeshauptleuten – den früheren und den jetzigen muß ich schon sagen – als auch gegenüber dem Parlament mündlich und schriftlich bekräftigt. Selbstverständlich werde ich, wie bisher, auch weiterhin vor etwaigen Maßnahmen die Gespräche mit den Landesregierungen suchen, mir die Meinungen konkret anhören und unsere Argumente konkret vorbringen, um zu möglichst einvernehmlichen Lösungen zu gelangen.

Ich habe auch immer betont, daß die Zusammenlegungsmaßnahmen im Interesse der rechtssuchenden Bevölkerung durch entsprechende Begleitmaßnahmen abgefedert werden – etwa so wie dies in Niederösterreich geschehen ist, durchaus eingehalten wurde und funktioniert. Es kann Ihnen vom Landeshauptmann abwärts jeder bestätigen, daß durch regelmäßige Gerichtstage am Standort des bisherigen Bezirksgerichtes eine Alternative für die örtliche Bevölkerung entsteht. Eine Betreuung ist entweder am festgesetzten Tag des Gerichtstages dort oder an jedem anderen Tag beim übernehmenden Bezirksgericht möglich. Die Beibehaltung des Notariates wie auch die Ausstattung der Gemeinde durch Überlassung der Grundbuchabfragemöglichkeit vom Gericht an die Gemeinde, soweit diese nicht ohnehin schon alle dafür ausgestattet sind, bleiben aufrecht.

Darüber hinaus werden wir im Interesse der Gerichtsbediensteten, wie das auch in Niederösterreich geschehen ist, mit den Standesvertretungen Lösungskonzepte erarbeiten, sodaß es zu keinen dienstrechtlichen Verschlechterungen kommt.

Bei diesen Maßnahmen steht für uns die Steigerung der Leistungskraft der Bezirksgerichte entschieden im Vordergrund. Darüber hinaus bewirken solche Zusammenlegungen aber auch mannigfache Ressourceneinsparungen. In Niederösterreich ergibt dies, abgesehen von den Einmaleffekten durch die stattgefundenen Standortaufgaben, dauernde Einsparungen in steigender Höhe, derzeit schon zwischen 9 und 10 Millionen Schilling jährlich. Es stimmt daher nicht, wie ebenfalls stimmungmachend in der Öffentlichkeit kolportiert wird, daß Zusammenlegungen nicht nur keine Einsparungen, sondern sogar Verteuerungen mit sich brächten.

Insgesamt haben die jüngsten Zusammenlegungen in Niederösterreich, so wie sie seinerzeit in Kärnten und in einem ersten Durchgang in der Steiermark erfolgt sind, gezeigt, daß weder von seiten der Bevölkerung noch von seiten der Landesbehörden Klagen über negative Auswirkungen erhoben wurden. Vielmehr wurden die Zusammenlegungen als Stärkung der Justiz empfunden. Ich bin daher sicher, daß dies auch bei den von mir geplanten weiteren Bezirksgerichtszusammenlegungen so sein wird. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPÖ.)

15.00

Präsident Johann Payer: Zu Wort gemeldet hat sich Frau Bundesrätin Gertrude Perl. Ich erteile dieses.

15.00

Bundesrätin Gertrude Perl (SPÖ, Wien): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Herren Bundesminister! Vieles ist heute schon gesagt worden. Eines steht jedoch fest: Einsparungen, wo immer sie getroffen werden und wen immer sie dann betreffen, bedeuten Einschnitte, sind unpopulär und kommen zu jedem Zeitpunkt ungelegen. – Das liegt in der Natur der Sache.

Sehr geehrte Damen und Herren! Hoher Bundesrat! Ich möchte behaupten, daß in großen Teilen der Bevölkerung der Wille und die Bereitschaft zum rechtzeitigen Sparen – ich betone: zum rechtzeitigen Sparen – größer sind, als dies Oppositionspolitiker darstellen und Medienberichte den Menschen oft einzureden versuchen, um damit bewußt ein Reizklima zu schaffen. Wir beschließen mit dem Strukturanpassungsgesetz ein ausgewogenes Sparpaket, das alle Teile der Bevölkerung trifft und das – wie schon erwähnt – ausgewogen ist. Der mündige Bürger, von dem wir immer sprechen, macht sich ein entsprechendes Bild. Denn das Konsolidierungspaket steht tatsächlich – wir haben es heute schon mehrmals gehört – für eine weitere positive Wirtschaftsentwicklung, ist die Voraussetzung für die Bewältigung der Probleme, zum


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Beispiel auf dem Sozialsektor hinsichtlich der Absicherung sozial Schwacher und stellt das Fundament für die künftige Beschäftigungspolitik dar, ist also eine Trägersäule für das gesamte Sozialsystem.

Wir haben die Pflicht – darum ist es auch so schwierig –, alle Bevölkerungsschichten, speziell die Jugend, aber auch die ältere Generation, abzusichern, damit deren Lebensplanung nicht beeinträchtigt wird. Mit diesem Konsolidierungspaket kann Österreich durch sozial verträgliche Korrekturen seine Vorreiterrolle in der Sozialpolitik aufrechterhalten und seinen hohen Sozialstandard sichern, indem er weiterhin finanzierbar bleibt.

Sehr geehrte Damen und Herren! Die Umsetzung eines 100-Millionen-Konsolidierungsprogramms ist aber nicht möglich, ohne jemanden zu belasten. Nach dem Motto: Einsparungen ja, aber nicht bei mir!, geht es nicht.

Sehr positiv ist, daß es Bundesminister Hums gelungen ist, im Bereich der Pensionsversicherung eine Anhebung des Pensionsalters zu verhindern. Diese Anhebung wäre nur möglich gewesen, wenn es für die Jugend genug Arbeitsplätze gibt, aber auch für Ältere genügend vorhanden sind. Gegenwärtig würde eine Anhebung des tatsächlichen Pensionsalters nur eine Erhöhung der Arbeitslosenrate zur Folge haben. Daher wird hinkünftig mehr Wert auf die Zahl der Versicherungsmonate und auf strengere Maßnahmen gelegt. Ich hoffe, diese greifen auch hinsichtlich Mißbrauch von Sozialgeldern, gegen Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung. Daß die zuletzt genannten strengeren Maßnahmen hinsichtlich verschiedener Mißbräuche wirklich rigoros und lückenlos gehandhabt werden, würde ich mir wünschen, denn der Verlust an Abgaben für den Staat in diesem Zusammenhang ist enorm.

Ein Problem, das nach wie vor besteht, das ich aufzeigen möchte und dessen Lösung mir sehr am Herzen liegt, ist, daß eine Möglichkeit geschaffen wird, ältere Menschen – dazu zählen oft schon die 40- bis 45jährigen –, wenn sie arbeitslos werden, wieder in eine berufliche Tätigkeit zu bringen. Dies ist heute fast noch immer schier unmöglich, selbst dann, wenn die betreffenden Personen bereit sind, persönlich Abstriche hinzunehmen.

Ich weiß, daß es Maßnahmen gibt, wonach Firmen, die Ältere einstellen, nach dem Bonus-Malus-System Begünstigungen bei den Abgaben eingeräumt werden. Aber viele Firmen scheuen sich heute noch immer, diese Gruppe von Menschen, wenn sie unverschuldet in Arbeitslosigkeit geraten, aufzunehmen. Daher müßten die vielen Vorteile, die ein älterer Mensch am Arbeitsplatz einbringen kann, in verstärktem Maß bewußt gemacht werden. Dadurch könnte auch sehr viel menschliches Leid verhindert werden.

Zur Jugendbeschäftigung: In Europa ist Österreich das Land mit der niedrigsten Jugendarbeitslosigkeitsrate. Dieser Umstand ist unbedingt weiterhin zu sichern. Sehr positiv finde ich daher die von Bundesminister Hums eingeleitete, vielleicht nicht allen bekannte Initiative, das Lehrstellenangebot für Mädchen außerhalb der traditionellen Frauenberufe zu erhöhen, indem Betrieben, zu denen weibliche Lehrstellensuchende bisher keinen oder nur geringfügigen Zugang hatten, Fördermittel gewährt werden. Diese Förderung beträgt bei Betrieben 4 000 S, für Lehrwerkstätten ist diese Förderung sogar mit S 6 000 pro Monat und Lehrstelle für die gesamte Lehrzeit dotiert. Das ist eine sehr begrüßenswerte und – wie schon gesagt – bereits in Kraft getretene Initiative. Damit stehen jungen Frauen hinkünftig mehr Berufssparten offen als bisher, und dies mindert zu einem Teil auch die Benachteiligung von Frauen auf dem Arbeitsmarkt.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Alle Vorhaben kosten selbstverständlich auch Geld. Ich wollte jetzt nur auf einige mir wichtig erscheinende Maßnahmen hinweisen, um nochmals zu verdeutlichen, daß unbedingt Korrekturen hinsichtlich der Konsolidierung des Budgets gesetzt werden müssen, damit wir für die Zukunft gerüstet sind.

Um beim Sozialsektor zu bleiben: Es wird auf diesem notwendige und – das möchte ich betonen – zumutbare Einsparungen geben, und zwar durch die Einführung von Selbstbehalten bei Kur- und Erholungsaufenthalten, durch Zugangsbeschränkungen zur Berufsunfähigkeit. Weiters wird – wie auch schon erwähnt – dem Pfuschertum der Kampf angesagt. Die Sonderunterstützung


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läuft aus, die Karenzurlaubsregelung wird geändert, Werkverträge werden sozialversicherungspflichtig, um nur einiges weitere aufzuzählen.

Sehr geehrte Damen und Herren! Niemand ist über all diese Maßnahmen überglücklich. Niemand gibt gerne etwas her, was er schon hat. Aber im Interesse der Absicherung unserer Errungenschaften auch in Zukunft sind diese Einsparungsmaßnahmen notwendig, damit niemandem um seine Zukunft bange sein muß und der soziale Friede abgesichert ist. Die Einschnitte sind unumgänglich. Jeder hat seinen Anteil am Staatswesen zu leisten. Noch einmal: Die Maßnahmen sind ausgewogen und zumutbar. Die Hoffnung, daß es wieder einmal anders sein wird und die jetzigen Maßnahmen wieder abgeändert werden könnten, gibt es immer.

Gestatten Sie mir, sehr geehrte Damen und Herren, am Schluß meiner Ausführungen einen Gedanken in die Debatte einzubringen, der mir zu diesem Thema gekommen ist: Ein Sozialpolitiker, der viel zu früh von uns gegangen ist, der sich schon vor Jahren hinsichtlich der Sozialpolitik in unserem Lande Gedanken gemacht hat, dem aber leider das Schicksal eines längeren Verweilens unter uns nicht beschieden war – Sie werden wissen, von wem ich rede: von unserem viel zu früh verstorbenen Minister Dallinger –, hat einmal einen Spruch geprägt, und zwar: "Wer nicht den Mut zum Träumen hat, hat auch nicht die Kraft zum Kämpfen." – Dieses Motto können wir uns heute zu Herzen nehmen. Wir können den Spruch umdrehen und ab jetzt alle zusammenhelfen und, beginnend mit unseren heutigen Beschlüssen, darum kämpfen, daß alles getan wird, damit eine größere Verschuldung unseres Staates vermieden wird, um dann davon zu träumen, daß wir einige der heute beschlossenen und zugegebenermaßen nicht sehr einfachen Finanzierungsmaßnahmen wieder zurücknehmen können. – Ich bekräftige damit nochmals die Zustimmung meiner Fraktion zum Strukturanpassungsgesetz 1996. – Ich danke für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPÖ. )

15.06

Präsident Johann Payer: Ich unterbreche nunmehr, um 15.06 Uhr, die Verhandlungen zur Tagesordnung und begrüße den Landeshauptmann von Salzburg Dr. Franz Schausberger auf das herzlichste. (Allgemeiner Beifall.)

Ich darf ihm im Namen des Plenums und im eigenen Namen zu seiner Wahl auf das herzlichste gratulieren und erteile ihm zur Abgabe einer mündlichen Erklärung das Wort. – Bitte, Herr Landeshauptmann.

Erklärung des Landeshauptmannes von Salzburg

15.07

Landeshauptmann von Salzburg Dr. Franz Schausberger: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Herren Bundesminister! Meine Damen und Herren des Bundesrates! Als neuer Landeshauptmann von Salzburg danke ich sehr, daß Sie mir die Möglichkeit gegeben haben, so rasch vor dem österreichischen Bundesrat das Wort ergreifen zu können.

Es gebietet mein Respekt vor der Länderkammer, unmittelbar nach meiner gestrigen Wahl im Salzburger Landtag sowie nach meiner heutigen Angelobung durch den Herrn Bundespräsidenten den Bundesrat aufzusuchen und mich bei Ihnen, meine sehr geehrten Damen und Herren Bundesräte, vorzustellen.

Sie beraten gerade das umfassende Paket des Strukturanpassungsgesetzes, Herr Finanzminister! Herr Minister Michalek! Ich darf mir in diesem Zusammenhang erlauben, meine Genugtuung zum Ausdruck zu bringen, daß gerade wegen des Widerstandes im Bundesrat eine Verfassungsänderung, die die Beseitigung des Vetorechtes der Bundesländer bei der Schließung kleiner Bezirksgerichte zum Ziel hat, aus dem Paket des Strukturanpassungsgesetzes herausgenommen wurde. (Beifall bei der ÖVP und bei den Freiheitlichen.)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte sehr entschieden betonen, daß die Beibehaltung des Mitwirkungsrechtes der Bundesländer in dieser Frage meiner Meinung nach unbedingte Notwendigkeit ist, und ich bitte Sie, meine sehr geehrten Damen und Herren des Bundes


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rates, in dieser so wichtigen Frage unserer Bezirksgerichte die Interessen der Bundesländer keinesfalls preiszugeben. Ich trete selbstverständlich als Landeshauptmann von Salzburg für die Erhaltung unserer Bezirksgerichte Abtenau, St. Gilgen und Taxenbach ein. Ich persönlich halte nichts von Zentralisierung und von Ballung von Gerichtsfunktionen, etwa in Bezirkshauptorten. Mir schiene, Herr Bundesminister, eine sinnvolle Abrundung der Funktionen vorhandener Standpunkte zweckmäßiger zu sein. Man sollte doch überlegen, wie die Servicefunktion kleiner Bezirksgerichte ausgebaut und sie mit zusätzlichen Aufgaben in der Bürgerberatung betraut werden können.

Es ergibt sich aus meinem Selbstverständnis sowie aus meiner Funktion als Landeshauptmann von Salzburg, daß ich mich heute bei Ihnen, meine sehr geehrten Damen und Herren im Bundesrat, mit Fragen des Föderalismus beschäftigen möchte, dies insbesondere auch vor dem Hintergrund, daß die Bundesstaatsreform leider noch immer nicht beschlossen ist.

Welchen Föderalismus finden wir in Österreich vor dem Hintergrund der geschichtlichen Entwicklung derzeit vor? – Erlauben Sie mir dazu ein paar Bemerkungen als Historiker. – Der Begriff "Föderalismus" bedeutet, daß sich kleine politische Einheiten unter Wahrung ihrer Selbständigkeit zu größeren politischen Einheiten zusammenschließen. Als politisches Ordnungsprinzip zielt der Föderalismus darauf ab, eine gewisse Einheit mit einer gewissen Vielfalt zu verbinden.

Der Verfassungsgesetzgeber des Jahres 1920 stellte im Artikel 2 der Bundesverfassung programmatisch fest, daß Österreich aus neun selbständigen Bundesländern gebildet wurde. Die Bedeutung der Länder für die Gründung der Republik unterstrich selbst Staatskanzler Dr. Karl Renner in der Sitzung der Provisorischen Nationalversammlung 1918 mit den Worten: "Die Grundlage unserer staatlichen Tätigkeit sind die Länder und Kreise, die im freien Entschluß ihren Beitritt zum Staat Österreich vollzogen haben."

Schon die Verhandlungen betreffend einer Bundesverfassung in den Jahren 1918 bis 1920 waren geprägt durch den Gegensatz zwischen zentralistischen und föderalistischen Tendenzen, in denen sich zentralistische Tendenzen eher durchgesetzt haben. Die Bundesstaatlichkeit ist, etwa im Vergleich zu Deutschland oder im besonderen auch zur Schweiz, bekanntlich in Österreich relativ schwach ausgeprägt. Die Verteilung der Staatsaufgaben zwischen Bund, Ländern und Gemeinden zeigt einen halbherzigen Kompromiß zugunsten des Zentralismus und zu Lasten der Bundesstaatlichkeit und legt offen, wo das tatsächliche Zentrum der Macht in Österreich liegt. Nicht nur, daß die Länder die mit Abstand geringsten Gesetzgebungszuständigkeiten haben, auch die Vollziehung der Bundesaufgaben in den Ländern durch eigene Bundesbehörden ist in Österreich besonders stark ausgeprägt.

Eine politische Analyse des Zustandes des Föderalismus ergibt, daß der Föderalismus in Österreich weit älter ist als die Verankerung des Bundesstaates in unserem Bundes-Verfassungsgesetz. Unsere Bundesländer – ich verweise ganz besonders auf mein Bundesland Salzburg – haben trotz relativer Kleinheit eine weit zurückreichende Entwicklung, waren durch Jahrhunderte mit Selbständigkeiten ausgestattet und hatten eigene demokratische Modelle. Auch die heutige Situation ist durch ein starkes Landesbewußtsein der einzelnen Bundesländer gekennzeichnet.

Die Bundeslastigkeit wird zusätzlich noch durch das Finanzverfassungsgesetz und durch den darauf beruhenden Finanzausgleich untermauert. Der Anteil des Bundes an den gesamten Staatsausgaben in Österreich ist trotz allem, Herr Finanzminister, doppelt so hoch wie in der Schweiz. Der Finanzausgleich kann vom Bund letztlich einseitig festgelegt werden, da der einstimmig beschlossene Antrag des Bundesrates, daß der Finanzausgleich zum Schutz der Länder seiner Zustimmung bedürfen soll, nach wie vor leider unerledigt ist.

Seitens der österreichischen Bundesländer wurde seit 1964 mit mehreren Forderungsprogrammen – meine Vorgänger und Sie sind Zeuge davon – weitgehend ergebnislos versucht, eine ausgeglichene Kompetenzverteilung herzustellen. Fortschritten, wie zum Beispiel dem Zustimmungsrecht des Bundesrates bei Verfassungsänderungen, der Möglichkeit, mit Nachbarstaaten Staatsverträge abzuschließen, oder der Verländerung der Wohnbauförderung stehen auf der anderen vielfältige neue Eingriffe in Länderzuständigkeiten und auch in die Länderfinanzen


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gegenüber. Als Beispiel sei lediglich die endgültige Festschreibung der Behördenorganisation im Sicherheitswesen durch die B-VG-Novelle 1991, in der der ganze Bereich des Sicherheitswesens endgültig an den Bund abgegeben wurde, genannt.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Föderalismus ist für mich eng mit dem Prinzip der Subsidiarität verbunden. Das Subsidiaritätsprinzip wurde bekanntlich erstmals im Jahre 1931 vom Papst Pius XI in seiner Sozialenzyklika "Quadrogesimo anno" definiert. – Das Subsidiaritätsprinzip ist ein Maßstab dafür, welche Aufgaben von welcher staatlichen Ebene sinnvollerweise wahrgenommen werden sollen. Demnach sollen Aufgaben von der niedrigen auf die höheren Ebenen nur dann übertragen werden, wenn dies zur Erfüllung der Aufgaben absolut und unbedingt notwendig ist.

Anders ausgedrückt: Eine höhere Ebene darf nicht Aufgaben an sich ziehen, die eine niedrigere Ebene selbständig oder mit Hilfe der höheren Ebene besorgen kann. Erst wenn dies überhaupt nicht möglich ist, soll die Aufgabe an die höhere Ebene abgegeben werden.

Das Subsidiaritätsprinzip ist also, meine sehr geehrten Damen und Herren, ein Instrument, mit dem die Ziele des Föderalismus letztendlich verwirklicht werden können. Die einzige ausdrückliche Beschreibung des Subsidiaritätsprinzips in einem Rechtstext findet sich interessanter- und bemerkenswerter Weise im Artikel 3b des EU-Vertrages von Maastricht. Dort steht nämlich geschrieben: "In den Bereichen, die nicht in ihre ausschließliche Zuständigkeit fallen, wird die Gemeinschaft nach dem Subsidiaritätsprinzip nur tätig, sofern und soweit die Ziele der in Betracht bezogenen Maßnahmen auf Ebene der Mitgliedsstaaten nicht ausreichend erreicht werden können und daher wegen ihres Umfanges oder ihrer Wirkungen besser auf Gemeinschaftsebene erreicht werden können." – Interessant ist, daß diese einzige Formulierung des Subsidiaritätsprinzips wirklich im Vertrag von Maastricht zu finden ist.

Meine Damen und Herren! Wir registrieren heute eine ganze Reihe von Beweggründen in der Politik, sich stärker dem Subsidiaritätsprinzip zuzuwenden. – Erstens ist das Bemühen nach gesamtwirtschaftlicher Optimierung zu nennen. Sowohl in der Wirtschaft als auch im staatlichen Bereich gibt es eine natürliche Grenze der Problemlösungskapazität großer zentral gelenkter Einheiten. Dezentralisierung von Entscheidungsbefugnissen, Führung durch Ziele, eigenverantwortliche Budgetierung in Profit-Centers, gruppenbetonte Strukturierung, arbeitsteilige Prozesse und vieles andere mehr haben sich nicht zuletzt mit Hilfe neuer Möglichkeiten der Informationsverarbeitung im Wirtschaftsleben schon lange durchgesetzt und werden zunehmend auch in der öffentlichen Verwaltung als notwendige Reformansätze gesehen.

Zum zweiten sind wir mit einer Minderung staatlicher Leistungsfähigkeit konfrontiert. Das können wir gerade auch im Zusammenhang mit unseren finanziellen Möglichkeiten heute sehr eindeutig feststellen. Nicht mehr alles, was man in den Jahren des unaufhaltsam scheinenden wirtschaftlichen Aufschwungs von größeren Einheiten mit der Verheißung größerer finanzieller Leistungsfähigkeit an sich gezogen hat, kann von jenen heute auch tatsächlich noch geleistet werden.

Zum dritten wirkt die Subsidiarität der Entfremdung der Bürger vom politischen Geschehen entgegen. Transparenz der Entscheidungen als Voraussetzung für Einflußnahme darauf, kurze Entscheidungswege und Rückkoppelung der Verantwortung sind umso leichter möglich, als die Entscheidungsebene so nah als möglich beim Bürger ist. Womit es – wie Max Frisch es einmal formuliert hat – möglich ist, sich "wieder stärker in seine eigenen Angelegenheiten mischen zu können".

Subsidiarität und Föderalismus sind die Grundsätze für ein Europa der Zukunft, meine Damen und Herren, wenn es wirklich ein Europa mit Zukunft werden soll. Denn nur in einem föderalistischen Europa werden wir das Ziel der Einheit unter Bewahrung der Vielfalt erreichen, werden die Entscheidungen sachgerechter und bürgernäher werden. Das künftige gemeinsame europäische Haus wird daher nur dann Bestand haben, wenn es nach den Architekturprinzipien des Föderalismus und der Subsidiarität gebaut wird: Gemeinden, Länder, Regionen und autonome


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Gemeinschaften als Fundament, darüber die Nationalstaaten und erst abschließend das Dach der EU.

Die Mitwirkungsrechte der österreichischen Bundesländer im EU-Prozeß leiden unter wesentlichen Mängeln. Die Integrationskonferenz der Länder hat meines Erachtens ihre Effizienz bei weitem noch nicht erreicht. Die Landesparlamente sind von der Mitwirkung im Rat der EU selbst in Angelegenheiten der Ländergesetzgebung ausgeschlossen. Wir werden uns bemühen, von Salzburg aus – und ich hoffe gemeinsam – Reformvorschläge auszuarbeiten. Wir müssen für eine Reform der inneren Strukturen in der Europäischen Union eintreten. Die Gemeinschaft muß bürgernäher und demokratischer werden. Transparentere Entscheidungsverfahren und eine klare Aufgabenabgrenzung zwischen der Europäischen Union und den Mitgliedsstaaten sind notwendig.

Wenn wir nämlich auf der einen Seite dafür eintreten, daß Europa mehr Zuständigkeiten etwa in der Außenpolitik, in der Sicherheitspolitik, bei der Bewältigung der Asyl- und Flüchtlingspolitik und bei der Bekämpfung des organisierten Verbrechens bekommt, so müssen wir andererseits aus Europa Aufgaben zurückholen, die wir in den einzelnen Mitgliedsstaaten oder in den Regionen selbst besser erledigen können.

Der bisherige Verlauf der Diskussion zur österreichischen Bundesstaatsreform kann die Anforderungen an eine "Europareife" meines Erachtens keinesfalls befriedigen.

Am 8. Oktober 1992 haben Herr Bundeskanzler Vranitzky und der damalige Vorsitzende der Landeshauptmännerkonferenz Siegfried Ludwig eine politische Vereinbarung über die neue Ordnung des Bundesstaates unterzeichnet. Durch die Unterschrift des Bundeskanzlers und die vorangegangene Beschlußfassung durch die Bundesregierung kommt ihr zwar keine rechtliche, aber doch eine sehr hohe und starke politische Verbindlichkeit zu. Die Bundesstaatsreform ist den Ländern aus Anlaß des Beitrittes Österreichs zum EWR und in der Folge zur EU versprochen worden. Darauf möchte ich ganz eindeutig hinweisen, und daran möchte ich sehr deutlich erinnern. (Beifall bei der ÖVP und bei Bundesräten der Freiheitlichen.)

Der sogenannte Perchtoldsdorfer Vertrag hat diesem Vorhaben auch bereits einen Inhalt gegeben. Wie es scheint, wird der Weg dazu aber noch sehr steinig und nicht problemfrei sein.

Zwischen dem Beginn der Verhandlungen über die politische Vereinbarung und der Regierungsvorlage – ich habe mir das zusammengezählt – liegen insgesamt 18 Tagungen des Verhandlungskomitees, sechs Berichte an den Ministerrat sowie acht Landeshauptmännerkonferenzen. – Durch die vorzeitige Auflösung des Nationalrates kam es hinsichtlich der Bundesstaatsreform zu keiner abschließenden Behandlung.

Am 15. Jänner 1996 hat die Bundesregierung die Bundesstaatsreform erneut beschlossen und dem Parlament zur weiteren Beratung zugewiesen. Ich gehe daher davon aus und hoffe sehr, daß die Bundesstaatsreform im Nationalrat rasch verabschiedet wird. Dafür werde ich mich auch in meiner neuen Funktion als Landeshauptmann von Salzburg, soweit es mir möglich ist, einsetzen. Die am 10. Mai stattfindende Landeshauptmännerkonferenz bietet mir Gelegenheit dazu. Es wird dann die neunte Landeshauptmännerkonferenz sein, die sich mit dieser Frage zu befassen hat.

Seitens des Bundes gibt es immer wieder neue Kompetenzforderungen. Ich darf in diesem Zusammenhang festhalten, daß, wenn seitens des Bundes neue Kompetenzforderungen in die Diskussionen um die Beschlußfassung zur Bundesstaatsreform erhoben werden, die Länder ebenfalls neue Materien in allfällige Verhandlungen einbringen werden. – Das ist keine Drohung, sondern eine nüchterne Feststellung, meine sehr geehrten Damen und Herren!

Im ganzen Konzept der Bundesstaatsreform spielt der Bundesrat – davon bin ich wirklich überzeugt – eine Schlüsselrolle. Die derzeitige Schwäche – erlauben Sie mir diesen Ausdruck – des Bundesstaates ist nicht zuletzt in der kompetenziellen Schwäche des Bundesrates begründet. Von seiten der Länder wurden diesbezüglich mehrfach Vorschläge gemacht. So wurde auch mehrfach gefordert, daß der Bundesrat bei allen Gesetzen, die von den Ländern zu vollziehen


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sind und bei diesen oder den Gemeinden Kosten verursachen, ein Zustimmungsrecht erhält. Mit einer solchen Aufwertung könnte der Bundesrat seiner Aufgabe, nämlich Mitwirkungsorgan der Länder, und zwar ein echtes und wirkliches Mitwirkungsorgan der Länder im Bund zu sein, wirkungsvoll nachkommen.

Solche Forderungen haben aber, vor allem gegenüber dem Nationalrat, nur dann das nötige Gewicht – das möchte ich auch sagen –, wenn sie auch vom Bundesrat selbst mitgetragen und vertreten werden.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Als Landeshauptmann von Salzburg bin ich natürlich in erster Linie dem Salzburger Landtag als dem Salzburger Landesparlament politisch verantwortlich. Der Salzburger Landtag hat in seiner Sitzung am 5. Juni 1995 zur Bundesstaatsreform und zur Neukodifikation der Bundesverfassung folgende Wünsche des Landes Salzburg formuliert, die ich Ihnen vortragen und in Erinnerung rufen möchte:

Erstens: Angelegenheiten, die den Ländern zur Vollziehung übertragen werden, sind von diesen in Eigenverantwortung wahrzunehmen. Gleichzeitig mit der Übertragung von Aufgaben der mittelbaren Bundesverwaltung ist die Frage der Finanzierung zu lösen. Angelegenheiten der Vollziehung der Länder sind nur vor den Landesparlamenten verantwortlich zu stellen beziehungsweise nur durch diese geltend zu machen.

Zweitens: Die mit der Neuordnung der Kompetenzverteilung notwendigerweise verbundene Neugestaltung der Finanzverfassung und des Finanzausgleiches ist im Interesse der Länder zu klären.

Drittens: Eine moderne Verteilung der Staatsaufgaben zwischen Bund, Ländern und Gemeinden, die überdies dem Subsidiaritätsprinzip entspricht, ist, wie im Perchtoldsdorfer Pakt festgelegt, in der Bundesstaatsreform zu verwirklichen.

Viertens: Eine Neuordnung der Aufgaben des Bundesrates ist in die Bundesstaatsreform aufzunehmen. Dabei ist darauf zu achten, daß es unter anderem durch ein wirksames Vetorecht in allen Materien, die direkt oder indirekt die Bundesländer betreffen, zu einer Aufwertung des Bundesrates kommt, sodaß der Bundesrat in Zukunft als echte Ländervertretung tätig wird.

Fünftens – das war der Wunsch des Salzburger Landtages –: Artikel 105 B-VG ist so zu formulieren, daß von der Vertretungsbefugnis des Landeshauptmannes die Belange der Gesetzgebung nicht berührt werden und daß weiters als Koordinationsgremium der Länder nicht nur die Landeshauptleutekonferenz vorgesehen wird, sondern wenigstens auch die parlamentarische Koordination ermöglicht wird. – Das war der Beschluß des Salzburger Landtages, den ich Ihnen hier zur Kenntnis bringen wollte.

Meine Damen und Herren! Vor dem Bundesrat, der Vertretung aller österreichischen Länder im nationalen Parlament, darf ich als Landeshauptmann von Salzburg das Bekenntnis zu einem erneuerten gesamtösterreichischen Föderalismus ablegen, dies in der Tradition der großen Salzburger Föderalisten, der Landeshauptmänner Franz Rehrl, Josef Klaus, Hans Lechner, Wilfried Haslauer und Hans Katschthaler.

Es ist dies ein Bekenntnis zur Kooperation der Länder untereinander im Geiste der Solidarität, Subsidiarität und Selbständigkeit sowie zur Kooperation mit dem Bund im Geiste einer gesamtösterreichischen und gesamteuropäischen Partnerschaft und schließlich ein Bekenntnis des Landes Salzburg zum österreichischen Vaterland als lebendige pluralistische und föderalistische Einheit vieler Autonomien im Herzen und damit verbunden mit Europa.

Ich möchte, meine sehr geehrten Damen und Herren – ich bitte diejenigen aus den anderen Bundesländern, mir das zu erlauben –, mich bei den Salzburger Bundesräten, bei Herrn Bundesrat Bürgermeister Ludwig Bieringer, bei Herrn Bundesrat Stefan Prähauser, bei Herrn Bundesrat Andreas Eisl und beim ausgeschiedenen Bundesrat Ing. Georg Leberbauer sehr herzlich bedanken für die engagierte Vertretung meines Bundeslandes und der Interessen aller Bundesländer im Sinne des Föderalismus. Ich möchte Ihnen dafür sehr herzlich danken.


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Ich möchte Sie, meine sehr geehrten Damen und Herren, sehr herzlich bitten, die neue Bundesrätin, Frau Aloisia Fischer, in Ihrem Kreis so freundlich aufzunehmen wie die anderen Salzburger Bundesräte.

Ich darf damit dem österreichischen Bundesrat alles erdenkliche Gute im Interesse der österreichischen Bundesländer, im Interesse des Föderalismus und im Interesse des Gesamtstaates Österreich wünschen. (Allgemeiner Beifall).

15.27

Präsident Johann Payer: Ich danke dem Herrn Landeshauptmann für seine Ausführungen.

Debatte über die Erklärung des Landeshauptmannes von Salzburg

Präsident Johann Payer: Wir gehen in die Debatte ein.

Zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesrat Stefan Prähauser. Ich erteile dieses.

15.27

Bundesrat Stefan Prähauser (SPÖ, Salzburg): Herr Präsident! Meine Herren Bundesminister! Herr Landeshauptmann! Hoher Bundesrat! Gestatten Sie mir, daß ich mich zu Anfang für die netten Worte bedanke.

Herr Landeshauptmann! Ich möchte dir versichern, daß wir Salzburger Abgeordneten auch durch unseren angeborenen Salzburger Charme selbst sehr viel dazu beitragen, daß wir hier sehr gut aufgenommen werden. Ich glaube, du gibst ein Beispiel für die Schaffung eines Klimas, das es ermöglicht, bei allen grundsätzlichen Unterschieden miteinander auszukommen.

Ich habe deine gestrige Regierungserklärung sehr genau mit verfolgt. Du hast sinngemäß damit begonnen, daß du gesagt hast, Landeshauptmann zu sein sei ein schwieriges Amt, dein – nicht unmittelbarer – Vorgänger Haslauer habe aber gemeint, es sei mitunter das schönste in der Politik.

Das Problem eines neuen Landeshauptmannes aus meiner Sicht ist immer, daß man an den Vorgängern gemessen wird. – Ich glaube, das ist ungerecht. Man sollte die Menschlichkeit, die Qualitäten des einzelnen für sich bewerten und ihn erst dann, wenn er seinen Abschied vorbereitet, an seinen Vorgängern messen. Man sollte ihn aber nicht schon vorab mit Druck in dieser Form belasten.

Ich darf ganz offen sagen: Ich habe es das erstemal bereut, im Landtag kein Stimmrecht zu haben. Denn auch meine Stimme hättest du bekommen, das wäre eine mehr gewesen, obwohl du bei 30 ohnedies schon sehr viele bekommen hast. Ich habe auch – im Gegensatz zu manchen anderen –, und auch im persönlichen Gespräch mit dir, vor Jahren schon immer wieder gesagt: Für mich ist klar, daß einer der nächsten Landeshauptleute Schausberger heißen wird. Das konnte ich beurteilen, da ich auch das Vergnügen hatte, mit dir auf Ebene der Parteisekretäre sehr lange Zeit zusammenzuarbeiten. Damals durfte ich dich als sehr pakttreu und verläßlich kennenlernen. – Auch das möchte ich hier vor allen Bundesräten noch einmal wiederholen.

Für die SPÖ an sich war dies nicht so klar zu erkennen, war doch auch der jetzige Landeshauptmann einer der ersten, der im Vorwahlkampf der letzten Nationalratswahl – wie öfters schon – ganz klar unmißverständlich gesagt hat: Warum nicht mit der Freiheitlichen Partei? Die große Koalition hat sich überlebt. – Natürlich hat das auch zu Unstimmigkeiten in meiner Fraktion geführt. Die Affinität in Richtung FPÖ, die auch in anderen Dingen immer wieder verstärkt hervorgetreten ist, hat Kritik in meinen Reihen aufkommen lassen. Letztendlich – das möchte ich betonen – hat die Persönlichkeit Schausberger bewirkt, daß der größte Teil unserer Mandatare die Stimme für ihn abgegeben hat.

Klar ist aber auch, daß es für die Sozialdemokraten nicht leicht war, da wir doch auch einen Kandidaten haben, der für das Amt des Landeshauptmannes in Salzburg prädestiniert gewesen wäre, das hat seine Politik immer wieder unterstrichen. Pakttreue ist für die Sozialdemokratie


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allerdings unabdingbar. Wir haben uns vor zwei Jahren klar dafür ausgesprochen, daß die ÖVP als stärkste Partei den Landeshauptmann stellt. Dazu haben wir zu stehen, auch wenn die Freiheitliche Partei uns unmißverständlich signalisiert hat, daß sie unseren Kandidaten, sofern dieser bereit wäre anzutreten, zum Landeshauptmann wählen würden. – Buchleitner konnte dieses Danaergeschenk aber Gott sei Dank ablehnen.

Wir waren in keiner Weise versucht, dieses Spiel mitzutragen, und ich möchte erläutern, warum. Eine Freiheitliche Partei, innerhalb derer offenbar kein Vertrauen herrscht, kann von uns als Partner nicht akzeptiert werden. Denn es trat im Zuge der Wahl wieder einmal ein ganz spezielles demokratiepolitisches Spielchen zutage: Es gab gekennzeichnete Stimmzettel, die man für den Fall von Mißverständnissen vorweisen könnte. Auch in Salzburg bei dieser Landeshauptmannwahl wurden Stimmzettel der Freiheitlichen gekennzeichnet, damit man später sagen kann: Unsere Leute haben verläßlich gewählt. (Bundesrat Dr. Prasch: Woher wissen Sie, daß das Stimmzettel der Freiheitlichen waren?) Herr Kollege Prasch! Weil die Freiheitlichen das selbst gestern vor den Medien bekanntgegeben haben, als im Raum stand, daß die zwei nicht definierbaren Stimmenthaltungen möglicherweise ihren zugeschrieben werden könnten. Wir stehen dazu: Sie waren von uns. Aber unsere Stimmzettel waren nicht markiert. Wir trauen uns, das auch so zu sagen! (Beifall bei der SPÖ. – Bundesrat Dr. Tremmel: Sie haben Sorgen! )

Zur Paktfähigkeit der FPÖ möchte ich ein Zitat betreffend das diesbezügliche Verhalten des Landeshauptmannes von Niederösterreich Pröll bringen: Niederösterreichs Landeshauptmann Erwin Pröll kommentiert Schausbergers Kooperationsbereitschaft in Richtung FPÖ mit einer Warnung: Ich wünsche ihm, daß er sich nicht täuscht. Ich habe mittlerweile gesehen, daß man mit denen nicht arbeiten kann, weil sie nur schimpfen. Die Freiheitlichen haben keinen Funken Pakttreue. (Beifall bei der SPÖ. – Zwischenrufe bei den Freiheitlichen. ) – Pröll verhält sich in diesem Fall – das gebe ich zu – gescheit. Pröll, aber auch die Ereignisse in Krumpendorf haben die ÖVP dazu bewogen, ihre Affinität zur FPÖ weiterhin zu prüfen und zu überdenken.

Wir erkennen an, daß der Historiker und Politiker Schausberger immer klar zum Ausdruck gebracht hat, daß er gegenüber dem äußersten rechten Rand des politischen Spektrums, nämlich dort, wo die Grundprinzipien unserer demokratischen Verfassung bereits zur Diskussion stehen, einen scharfen Trennstrich zieht. Dennoch ist es unsere Pflicht als Sozialdemokraten, Schausberger stets daran zu erinnern, wo dieser Trennstrich für alle Demokraten in diesem Land zu verlaufen hat und daß sich das krause Konzept einer Dritten Republik jenseits davon befindet. Nicht weil wir seine christlich-konservative Auffassung teilen, sondern weil wir ihn für fähig halten und eine tragfähige politische Vereinbarung mit ihm erzielen konnten, gaben ihm die Sozialdemokraten im Landtag ganz bewußt ihre Stimme. (Bundesrat Dr. Prasch: Außer zwei!)

Ein Großteil unserer politischen Forderungen wurden in der Parteienvereinbarung festgeschrieben: Sicherung des Wirtschafts- und Beschäftigungsstandortes Salzburg nicht durch Worthülsen, sondern mit ziffernmäßig festgelegten Beträgen aus dem Landesbudget; Bekämpfung von Armut und Arbeitslosigkeit; Verdoppelung der Kinderbetreuungsplätze; intelligente Fortsetzung der Technologieoffensive des Landes; Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs; neue Akzente in der Kulturpolitik und demokratiepolitische Reformen. – Das sind nur einige Eckpfeiler dieser Vereinbarung zwischen den drei stärksten Landtagsparteien.

Diese Parteienvereinbarung, meine Damen und Herren, ist nicht zu verwechseln mit einem Koalitionsabkommen, das jede politische Maßnahme im Detail festhält. Wir haben gemeinsam Leitlinien erarbeitet, an denen die Landespolitik in den nächsten drei Jahren von der Öffentlichkeit zu messen sein wird. Im Alltag der Regierungs- und Landtagsarbeit wird sich genügend politischer Zündstoff ergeben, der für eine klare Differenzierung der Parteien sorgt.

Wenn der neue Herr Landeshauptmann den Weg seines Vorgängers verlassen sollte und aufhört, das Gespräch zwischen den Fraktionen zu suchen, wird er schnell an die Grenzen seines Amtes stoßen. Wie jedes Amt ist auch das des Landeshauptmannes nur geliehen und kann von den Wählerinnen und Wählern jederzeit zurückgenommen werden.


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Landeshauptmann Schausberger hat in seiner gestrigen Ansprache Salzburg als Musterschüler unter den Bundesländern hervorgehoben. So soll es bleiben. Mit dem Hinweis auf die geringsten Arbeitslosenraten in unserem Bundesland hat er oberflächlich natürlich vollinhaltlich recht. Ich glaube aber – das sage ich bei dieser Gelegenheit –, daß man vermeiden sollte, vor anderen Bundesländern besser scheinen zu wollen, ohne gleichzeitig auch auf die Struktur unseres Bundeslandes im Gegensatz zu anderen hinzuweisen. Wir wissen, daß es in Salzburg weniger Industrie, sondern vorrangig Dienstleistungsbetriebe gibt. Wenn ich aber die industriellen Standorte in unserem Bundesland mit anderen vergleiche, sind wir um nichts besser als andere Bundesländer. Ich nenne nur an Atomic, Blizzard, Emco, Solvay; Hallein Papier konnte gerettet werden; über Mühlbach sprechen wir heute schon nicht mehr. – Ich glaube, wenn man diesen Sachverhalt bei einem Vergleich nicht berücksichtigt, kann man des Populismus geziehen werden. "Populismus" sollte aber bei der Aufzählung der politischen Charakteristika eines Landeshauptmannes keinen Platz haben.

Populismus wäre es auch, wenn man in der Diskussion um Bezirksgerichte ohne eine eingehende Diskussion mit den Betroffenen nur Feststellungen berücksichtigte, die dem Willen einzelner entsprechen. Ich glaube, in der Diskussion um die Auflassung von Bezirksgerichten sind auch folgende Aspekte zu beachten: Generelles Ziel muß es sein, den Rechtszugang für alle sicherzustellen und Barrieren abzubauen sowie unser Rechtsschutzsystem zu erweitern. Niemand darf am Rechtszugang behindert werden, und jeder Betroffene muß in einer angemessenen Frist zu seinem Recht kommen. Gerade unter diesem Aspekt ist die mögliche Auflassung von Bezirksgerichten zu sehen.

Die Gerichtsorganisation, wie wir sie kennen, geht auf das 19. Jahrhundert zurück und geht dabei vom Gedanken aus, daß man zur Bestreitung einer Tagsatzung einen Tag benötigt. Wir wissen, daß man sich vor 150 Jahren teilweise zu Fuß, zu Pferd oder später eventuell mit dem Rad fortbewegte. Dann folgten als Fortbewegungsmittel die Bahn, sodann das Auto, und inzwischen gibt es auch Flugzeuge. Daher sollte man sich überlegen, ob nicht aufgrund der geänderten Voraussetzungen andere Grundsätze zu gelten haben.

In Bezirksgerichten ist insbesondere aufgrund der komplizierten Verfahren die Effizienz nicht gewahrt. Notwendig ist eine Spezialisierung der Richter, die es nur in Gerichten mit mehreren Richtern geben kann. Bei Bezirksgerichten arbeitet in der Regel jedoch nur ein Richter.

Über die Einsparung von zirka 50 Millionen Schilling kann man auch noch diskutieren. Ich bitte Sie nur, bei einer allfälligen Diskussion auch diese genannten Aspekte mit den Betroffenen zu erläutern und dann gemeinsam jene Entscheidungen zu fällen, die für die Region, für das Land oder für den Bund die für die Zukunft zu vertretenden sein werden.

Herr Landeshauptmann! Gestern hat mir in der Regierungserklärung auch der Bezug zum Bundesrat gefehlt. Der Bundesrat – er wurde von dir jetzt in deiner Ansprache ins rechte Licht gerückt – fristet in Salzburg ein Schattendasein, ich möchte fast sagen, er liegt im "Dornröschenschlaf", aber nicht, weil die Bundesräte nicht willens oder in der Lage wären, sich aktuell einzuschalten: Die Verfassung läßt es nicht zu. Auch die Situierung der Bundesräte in unserem Landtagssaal ist anders als in anderen Bundesländern. Wir gelten dort als Hinterbänkler. Ich habe keine Selbstbewußtseinsprobleme, das möchte ich unterstreichen, das liegt mir Gott sei Dank fern. (Zwischenbemerkung des Landeshauptmannes Dr. Schausberger. )

Danke, Herr Landeshauptmann! Aber wir wirken dort tatsächlich wie das letzte Bollwerk zwischen dem Landtag und – diesen Fall gab es oft – den aufgebrachten Bürgern. Wir haben dort nicht einmal die Möglichkeit, Beifall zu spenden, geschweige denn zu reden oder sonstiges zu tun.

Ich würde auch bitten, die Einfügung des Rederechts für Bundesräte im Landtag in die Überlegungen mit einzubeziehen. Auch dafür gibt es Präzedenzfälle. Es gibt Länder, in denen diese Möglichkeit besteht. Ich möchte vorschlagen, daß man die Landesamtsdirektion damit beauftragt, daß einmal überprüft wird, ob das für Salzburg in Betracht käme.


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Ich meine, es wäre auch gut, einen Ausschuß einzurichten. Es kommt immer wieder vor, daß uns der Herr Landtagspräsident oder der Amtsdirektor Unterlagen zukommen läßt und uns bittet, bei verschiedenen Gesetzesentscheidungen Einspruch zu erheben, zuzustimmen oder anderes. In solchen Fällen wäre es gut, wenn ein gemeinsamer Ausschuß diese Materien beraten könnte. Eine gemeinsame Verständigung wäre eine Grundvoraussetzung für die richtige Entscheidung im Plenum der Länder, im Bundesrat.

Etwas Heiteres zur Illustration der Situation der Bundesräte in unserem Landtag: Ich bitte Sie, bei einem Rundgang durch das Hohe Haus einmal die Sitze von Kollegen Eisl und mir zu inspizieren: Wir sitzen auf dem Futter der Sessel. Ich würde als erste Maßnahme einmal einen neuen Überzug fordern. – Das ist jetzt eine humorvolle Beigabe, ich bitte Sie aber trotzdem, die Lage mit gebotenem Ernst zu betrachten.

Herr Landeshauptmann! Ich kenne dich sehr gut und weiß, daß die Feiern, die jetzt aufgrund dieses großartigen Erfolges angebracht sind und abgehalten werden, bald in den Hintergrund rücken werden und die Arbeit beginnen wird.

Ich habe auch festgestellt – auch das sollte ein humorvoller Abschluß meiner Anmerkungen sein –, daß du mit deiner ersten Aktivität bereits Anspruch auf eine Eintragung ins Guinness-Buch der Rekorde hast. Ich habe heute nachgeblättert: Es gab noch keinen Landeshauptmann, der so kurz Landeshauptmann war und bereits vor dem Plenum der Länderkammer hier gesprochen hat. Dafür möchte ich mich bei dir sehr herzlich bedanken! (Allgemeiner Beifall.)

In eigener Sache bitte ich dich allerdings, dieses Tempo nicht beizubehalten. Wir wollen 1999 mit dir eine ideologische Auseinandersetzung bei den Landtagswahlen führen und nicht derart ins Hintertreffen kommen. (Bundesrat Dr. Prasch: Denn da kommt die SPÖ nicht mit!) – Ich danke und wünsche dir viel Glück für deine Arbeit. (Beifall bei der SPÖ.)

15.42

Präsident Johann Payer: Zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesrat Andreas Eisl. Ich erteile dieses.

15.42

Bundesrat Andreas Eisl (Freiheitliche, Salzburg): Hohes Haus! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Herr Präsident! Herr Landeshauptmann! Ich glaube, es ist eine große Auszeichnung, wenn der Landeshauptmann, gestern angelobt, heute im Zuge seines Bundespräsidentenbesuches auch beim Bundesrat vorbeikommt. Es ist dies ein Zeichen der Wertschätzung. Seine Worte haben bewiesen, daß er es wirklich ernst meint. Kollege Prähauser hat angeschnitten, daß die Regelung des Rederechts im Landtag noch nicht erledigt ist. Das können wir aber im Zuge einer Neuordnung des Bundesrates mit einbauen. Das würde ich vorschlagen. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Meine Damen und Herren! Es ist ja keine seltene Erscheinung, und es zeichnet sich wieder ab: Es geht in der Politik um die Macht. Keiner will etwas abgeben. Deswegen gibt es auch bis zur heutigen Stunde in Österreich keinen echten Föderalismus. Die Diskussion um den Föderalismus haben wir in diesem Hause in den letzten Jahren mehrmals geführt; sie ging immer wieder von der freiheitlichen Fraktion aus, weil wir die Länderkammer für eine wichtige Einrichtung halten. Wenn sie aber so konzipiert ist wie derzeit, daß aufgrund eines Koalitionsabkommens eigentlich der Bundesrat kein Einspruchsrecht mehr hat oder, besser gesagt, die ÖVP verpflichtet ist, allen Gesetzen zuzustimmen, dann hat sich der Föderalismus von selbst erledigt. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Eine solche Vorgangsweise mag im östlichen Teil der Republik Österreich nicht bekannt sein. Salzburg ist jedoch ein Land, in dem die Freiheitlichen seit 1956 – und schon vorher in VdU-Zeiten – Mitglied der Salzburger Landesregierung waren. Eine kleine Unterbrechung gab es von 1984 bis 1989, ansonsten waren die Freiheitlichen immer mit der Regierungsverantwortung im Lande Salzburg mit betraut.


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Ich möchte heute und hier die Gelegenheit wahrnehmen und eine Bemerkung zum Kollegen Himmer machen, der in der letzten Sitzung die FPÖ aufgerufen hat, sie solle geistig aufrüsten, um auch einmal Regierungsverantwortung übernehmen zu können. – Herr Kollege Himmer! Ich kann Ihnen versichern, daß die Freiheitliche Partei Österreichs außer im Burgenland in allen Landesregierungen vertreten ist und dort sehr wichtige Ressorts innehat. (Bundesrat Ing. Penz: Aber nicht überall etwas leistet! Der niederösterreichische Landesrat leistet nichts!) Es kommt immer darauf an: Wenn die Einstellung des Landeshauptmannes in Niederösterreich dergestalt ist, daß er nichts leisten kann, kann es keine Zusammenarbeit geben. In der Zeitung war zu lesen, welche Einstellung Herr Pröll gegenüber der FPÖ hat. Selbstverständlich ist Zusammenarbeit nur dann möglich, wenn auch die Gegenseite die Hand dazu reicht. Wenn ich etwas Eigenständiges erreichen will, darf nicht immer einer mißbraucht werden!

Ich möchte noch einmal unterstreichen und klarstellen, daß gerade im Salzburger Klima in den abgelaufenen 50 Jahren Hervorragendes geleistet wurde, trotz freiheitlicher Regierungsbeteiligung. (Beifall bei der ÖVP.) Das möchte ich insofern unterstreichen, als wir auch in die Salzburger Landesregierung einiges eingebracht haben. Denken Sie etwa an die Leistungen von Landesrat Walter Leitner, der über 23 Jahre das Bauressort und das Fremdenverkehrsressort geführt hat: Heute kann Salzburg sagen, daß in der Bauwirtschaft, vor allem aber im Fremdenverkehr in den Jahren des Wiederaufbaus in Österreich Großartiges geleistet wurde. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Ich möchte dem Herrn Landeshauptmann – um nicht zu lange zu sprechen, persönliche Wünsche habe ich ihm schon übermittelt – auch im Namen der freiheitlichen Bundesratsfraktion alles Gute wünschen. Möge weiterhin so tatkräftig und im alten Fleiß und Einvernehmen mit allen politischen Parteien in demokratischer Weise wie in den abgelaufenen Jahren zusammengearbeitet werden. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

15.46

Präsident Johann Payer: Zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesrat Ludwig Bieringer. Ich erteile dieses.

15.46

Bundesrat Ludwig Bieringer (ÖVP, Salzburg): Herr Präsident! Meine Herren Bundesminister! Sehr geschätzter Herr Landeshauptmann! Meine sehr geehrten Damen und Herren des Hohen Bundesrates! Es gab heute – Kollege Prähauser hat dies bereits gesagt – einen neuen Rekord in der Geschichte des Bundesrates. Gestern wurde Franz Schausberger in einer eindrucksvollen Art und Weise zum Landeshauptmann von Salzburg gewählt. Heute erfolgte seine Angelobung durch den Herrn Bundespräsidenten, und nunmehr vor etwa einer Dreiviertelstunde gab Franz Schausberger eine Erklärung vor dem Hohen Bundesrat ab.

Sehr geehrter Herr Landeshauptmann! Ich danke dir sehr herzlich dafür, daß du sofort alles unternommen hast, um heute hier vor dem Bundesrat sprechen zu können. Für deine beeindruckende Rede darf ich mich ebenfalls namens der ÖVP-Bundesratsfraktion sehr herzlich bedanken. In dieser Rede hast du genau jene Punkte klar angesprochen, die sich mit den Auffassungen der Gesamtheit der ÖVP-Bundesratsfraktion decken und die eine jahrelange Forderung dieser Fraktion sind.

Meine Damen und Herren! Wer Franz Schausberger kennt, weiß, daß diese Erklärung, die er hier und heute abgegeben hat, keine leeren Worte sind, sondern, daß diese Worte aus tiefer innerster Überzeugung von ihm gekommen sind. Dafür, lieber Herr Landeshauptmann, danke ich dir nochmals sehr herzlich!

Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich heute einen Blick in die Tageszeitungen des Bundeslandes Salzburg machen: Unisono kommt von überall großes Lob für den neuen Landeshauptmann. Da steht zum Beispiel in der Salzburg-"Kronen Zeitung": In seiner Rede hieß es dann: Ich freue mich auf die Zukunft: Gemeinsam schaffen wir es. – Das ist eine optimistische Haltung, die Schausberger während seiner ganzen Antrittsrede vermittelte, trotz düsterer Prognosen, die manche Forscher schon fast berufsmäßig verbreiten.


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In den "Salzburger Nachrichten" schreibt Manfred Perter: Ein Fest für Franz Schausberger. Beim Fest für Franz Schausberger ist ein Hauch von Nostalgie spürbar. Man denkt zurück an die großartigen Inszenierungen eines Wilfried Haslauer. Man ertappt sich dabei, Ähnlichkeiten zu jener Zeit zu erkennen, und jene, die schon damals unter Haslauer dabei waren, tragen ein breites Lächeln auf den Lippen, so als wollten sie sagen: Jetzt geht es endlich wieder los! Es ist ein durchaus sympathisches Fest, ein Fest der Freude über und mit Franz Schausberger, ein Fest ohne Pomp und Protz, ein Fest mit einem neuen Landeshauptmann zum Anfassen. Über all dem weht ein barockes Lüfterl im Chiemseehof zu Salzburg.

Meine Damen und Herren! Es ist schade, daß Wilfried Haslauer an diesem Fest nicht teilnehmen konnte. Durch viele Gespräche mit dem legendären Landeshauptmann von Salzburg weiß ich, daß er seinen politischen Ziehsohn Franz Schausberger in dieser Funktion als Landeshauptmann noch gerne miterlebt hätte.

Helmut Mödlhammer schreibt in der "Salzburger Volkszeitung": Ein Antritt nach Maß. Wer Franz Schausberger kennt, weiß, daß er nichts beschönigen und verniedlichen wird. Er wird aber auch nicht den Kopf hängen lassen oder die Hände in den Schoß legen, sondern anpacken und an der Sicherung des Wirtschafts- und Kulturstandortes Salzburg arbeiten. (Bundesrat Eisl: Er ist ja ÖVP-Abgeordneter!) Er ist Chefredakteur der "Salzburger Volkszeitung", lieber Freund! Da unsere Abgeordneten alle auch noch einen Beruf haben, wirst du nicht verhindern können, daß er etwas schreibt! Ich habe nur einen Satz von ihm zitiert und nicht mehr! (Bundesrat Dr. Harring: Er dürfte Abgeordneter bleiben!) Ja, Gott sei Dank!

Meine Damen und Herren! Franz Schausberger hat nie ein Hehl daraus gemacht, daß er ein Föderalist ist, und er hat dies in seiner heutigen Rede auch gesagt. Die drei Säulen unserer Republik, nämlich Bund, Länder und Gemeinden, bedürfen einer gewissen Regel der Zusammenarbeit. Subsidiarität darf nicht nur zwischen Bund und Ländern, sondern auch zwischen den Ländern und den Gemeinden gefordert werden. Auch dazu – das wage ich zu behaupten – wird Franz Schausberger das Seinige beitragen. Ich bin felsenfest davon überzeugt, daß ihm dies als künftigem Landeshauptmann gelingen und daß er dies vorantreiben wird.

Lassen Sie mich dennoch noch einen Punkt anreißen, und zwar die Problematik der Bezirksgerichte. Ich denke dabei an das Bezirksgericht des Lammertals, nämlich an jenes in Abtenau: Zugegeben, es handelt sich um ein kleines Einzugsgebiet mit etwa 9 500 Einwohnern. Dennoch wird dieses Gericht von der Bevölkerung unbedingt benötigt. Der Herr Bundesminister für Justiz hat einmal erklärt: Überall dort, wo Bezirksgerichte aufgelassen werden, sollen Notare die entsprechenden Aufgaben übernehmen. Dies ist im Lammertal jedoch nicht möglich, denn im Lammertal gibt es keinen Notar. Die Bevölkerung des Lammertales müßte immerhin etwa 60 Kilometer fahren, um zum nächstgelegenen Bezirksgericht, nach Hallein, zu kommen.

Dazu hat unser Landeshauptmann gemeint, daß es sinnvoller wäre, Bezirksgerichten neue Aufgaben zu übertragen, als diese zu schließen. – Dieser Forderung des Landeshauptmannes kann man sich nur anschließen. Daher bitte ich alle hier im Hohen Bundesrat, ihren Einfluß geltend zu machen, daß diese kleinen Bezirksgerichte, wo wirklich Not am Manne ist, nicht geschlossen werden!

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Auch ich will mich ganz kurz fassen und will nur noch eines sagen: In seiner gestrigen Regierungserklärung hat der neue Landeshauptmann von Salzburg, der achte Landeshauptmann nach dem Krieg, eindeutig erklärt, daß er willens ist, die Probleme des Landes zu lösen. – Jeder, der Franz Schausberger kennt, wird wissen, daß er alles in seiner Macht Stehende daran setzen wird, daß die Probleme auch tatsächlich gelöst werden. Ich erwarte mir daher, daß alle gemeinsam – ich bin sehr zuversichtlich nach den gestrigen Erklärungen der einzelnen Klubvorsitzenden – diesen Weg gehen werden, daß alle gemeinsam zum Wohle des Landes Salzburg an einem Strang ziehen und den achten Landeshauptmann von Salzburg in seinen Bemühungen unterstützen werden.

Endgültig zum Schluß kommend darf ich festhalten, daß Franz Schausberger eine sehr gute Wahl für das Bundesland Salzburg war, eine sehr gute Entscheidung für den Föderalismus


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612. Sitzung / Seite 87

dieser Republik und somit eine sehr gute Entscheidung für die Republik Österreich im gesamten! (Allgemeiner Beifall. )

15.55

Präsident Johann Payer: Nochmals zu Wort gemeldet hat sich der Herr Landeshauptmann. – Bitte, Herr Landeshauptmann.

15.55

Landeshauptmann von Salzburg Dr. Franz Schausberger: Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte Sie wirklich nicht mehr lange aufhalten, aber drei Debattenbeiträge zu meiner Erklärung machen es notwendig, daß ich noch ein paar Worte dazu sage.

Zum ersten bedanke ich mich selbstverständlich sehr bei meinem Freund Ludwig Bieringer für seine lieben und freundlichen Worte.

Aber ich bedanke mich auch sehr bei dir, lieber Stefan Prähauser, und bei dir, lieber Andreas Eisl, für eure freundlichen Stellungnahmen. So etwas bin ich aus dem Salzburger Landtag nicht unbedingt gewohnt. Mir kommt fast vor, meine sehr geehrten Damen und Herren, daß die Freundlichkeit von SPÖ und FPÖ mit dem Quadrat der Entfernung von Salzburg zunimmt, und ich möchte mich dafür sehr herzlich bedanken.

Was die föderalismuspolitischen Aussagen meiner Freunde – so darf ich hier in Wien sagen – Stefan und Andreas betrifft, so waren sie nicht so, daß ich dazu unbedingt Stellung nehmen muß oder daß ich darauf replizieren möchte oder könnte.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte aber doch ein paar Bemerkungen zu den übrigen Äußerungen machen. – Erstens: Ich bin froh, wenn ich mich in die Auseinandersetzung zwischen SPÖ und FPÖ – das werdet ihr verstehen – nicht einzumischen brauche. Die Wahl ist ordnungsgemäß vor sich gegangen. Es waren auch alle Stimmzettel in Ordnung. Ich bin mit 30 Stimmen von 35 gewählt worden. Ich bin auch niemandem böse, Stefan Prähauser, wenn er mich nicht gewählt hat. Ich bin überzeugt, bei der nächsten Wahl werden dann alle davon überzeugt sein, daß ich der richtige Kandidat bin. (Beifall bei der ÖVP.)

Ich möchte auch hier noch einmal ein Bekenntnis zur Zusammenarbeit abgeben. Meine Damen und Herren! Wir haben im Bundesland Salzburg, wie in den meisten Bundesländern mit Ausnahme von Wien und Vorarlberg, das Proporzsystem. Das heißt, daß ab einer gewissen Stärke alle Parteien in der Landesregierung vertreten sind. Wir diskutieren gerade sehr intensiv die Abschaffung dieses Proporzsystems. – Das ist die eine Seite.

Die andere Seite ist: Wir haben jetzt dieses Proporzsystem, es sind ÖVP, SPÖ und FPÖ in dieser Regierung vertreten, es haben alle drei Parteien Ressorts übertragen bekommen, und es bemühen sich alle drei Parteien in unterschiedlicher Intensität und Qualität, ihre Ressorts gut zu betreuen. Meine sehr geehrten Damen und Herren! Daher habe ich keinen Grund, einer der beiden anderen Regierungsparteien in irgendeiner Weise mit Vorbehalten entgegenzutreten.

Das möchte ich einmal grundsätzlich sagen, weil man da immer alles mögliche hinein interpretiert. Alle Parteien, die im österreichischen Nationalrat, im Bundesrat oder in den Landtagen vertreten sind, haben sich zur österreichischen Verfassung und zu den Verfassungen der Bundesländer bekannt, mußten sich dazu bekennen, wenn sie den Eid auf die Verfassung abgelegt haben. Daher meine ich, daß sie auch auf der Basis unserer Verfassung agieren.

Etwas anderes ist die Frage, welche Zukunftsvorstellungen wir für unser politisches System haben. Ich bekenne mich eindeutig zu unserem repräsentativen parlamentarischen System. Ich bin der Meinung, daß man innerhalb dieses Systems immer wieder Reformen durchführen muß. Aber ich bin als Vertreter der Österreichischen Volkspartei der Meinung, daß man dem Grundkonzept unserer repräsentativen parlamentarischen Demokratie die Treue halten soll und daß man dies weiterhin so beibehalten soll.


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612. Sitzung / Seite 88

Noch einmal: Reformen innerhalb dieses Systems werden immer notwendig sein. Es gibt natürlich auch abweichende Entwürfe. Dazu gehört etwa das präsidialstaatliche System, das durchaus in anderen Ländern funktioniert. Als Zeitgeschichtler muß ich dazu sagen: Meines Erachtens entspricht ein präsidialstaatliches System weder der historischen Entwicklung noch der politischen Kultur Österreichs. Es würde zu weit führen, das jetzt detailliert zu erläutern. Ich werde meinen Studenten an der Universität noch des öfteren diese meine Meinung begründen. Ich bin aber jedenfalls davon überzeugt, daß das präsidialstaatliche System für Österreich nicht unbedingt paßt.

Wenn Kollege Prähauser gemeint hat, ich hätte vielleicht zu sehr betont, daß Salzburg in einer besseren Situation ist, so habe ich das, lieber Stefan, nicht getan, um mich im Namen meines Landes damit zu brüsten. (Bundesrat Prähauser: Ich habe gesagt: vergessen zu sagen, daß es in einer besseren Situation ist!) Das war vielmehr eine sachliche Feststellung, wobei ein durchaus freudiger Unterton des Landeshauptmannes eines solchen Landes durchaus erlaubt sein muß. Denn es ist ja nicht nur so, daß wir seit 1992 die geringste Arbeitslosenrate im Bundesland Salzburg haben, sondern daß alle Prognosen bis zum Jahr 1999 sagen, daß wir zwar steigende Arbeitslosenzahlen haben werden, daß aber die Quote an sich trotz allem zumindest bis zum Jahr 1999 unter den Bundesländern die niedrigste sein wird. Noch einmal: Das ist nicht etwas, was wir sozusagen im übertriebenen Eifer den anderen hier sagen wollen, sondern das ist etwas, was wir einfach sachlich feststellen und worüber wir uns vielleicht ein bißchen freuen. Uns ist aber bewußt, daß die Umstände und Rahmenbedingungen durchaus anders sind als in anderen Bundesländern.

Dritte Bemerkung – Bezirksgerichte: Diese Debatte ist an sich nicht neu. Es gibt bei uns fast keinen Justizminister, der nicht schon einen Anlauf gemacht hat, die kleinen Bezirksgerichte abzuschaffen. Ich meine nur: Wenn gesagt wurde, wir müssen darauf achten, daß die Barrieren nicht zu groß werden, dann muß ich sagen: Es ist natürlich auch die Entfernung eine Barriere. Und wenn ich die Entfernung für den Bürger zu seinem Bezirksgericht wesentlich erweitere, dann ist das für ihn selbstverständlich eine Barriere. Außerdem möchte ich feststellen, daß es in diesem Fall sehr wesentlich auch um die Frage des Mitwirkungsrechtes der Bundesländer bei der Auflösung von Bezirksgerichten geht. Ich bin der Meinung, daß wir dieses Mitwirkungsrecht beibehalten sollten. (Beifall bei der ÖVP.)

Wir haben in den letzten Jahren schon einiges verkraften müssen, denken Sie etwa auch an die Reform bei den Gendarmerieposten et cetera! Wir sollten daher wirklich sehr vorsichtig sein. Ich meine halt – das sage ich, auch wenn der Herr Minister nicht mehr da ist –, daß ein Landeshauptmann als jemand, der die Angelegenheiten der Bevölkerung ernst nimmt und den Kontakt zu seiner Bevölkerung hält, besser beurteilen kann, was für die Bevölkerung noch zumutbar ist, als der – wenn auch noch so würdige – Bundesminister, der in Wien sitzt und über das Bezirksgericht in Abtenau nicht so genau Bescheid weiß. – Das wollte ich damit zum Ausdruck bringen.

Lieber Stefan Prähauser! Du hast gesagt, daß in meiner gestrigen Rede der Bezug zum Bundesrat gefehlt hat. – Ich habe gestern bewußt nicht auf den Bundesrat Bezug genommen, weil ich selten und nicht gerne etwas zweimal sage. Ich habe gewußt, daß ich heute hier reden werde und meinte, daß das eigentlich ausreichen müßte. Daher möchte ich sagen: Ich glaube, der Grad der Mitwirkung des Bundesrates in den Bundesländern – wobei die Qualität der Mitwirkungsmöglichkeiten unseres Bundeslandes sicher keine schlechtere als in anderen Bundesländern ist – kann und soll erst dann erhöht werden, wenn die Landtage tatsächlich auch die Möglichkeit haben, den Bundesräten die eine oder andere Empfehlung oder den einen oder anderen konkreten Wunsch in den Bundesrat mitzugeben, damit diese Interessen hier dann vertreten werden. Wenn wir diesen Standard der Landesparlamente gegenüber dem Bundesrat haben, lieber Stefan, dann wirst du, das kann ich dir garantieren, nicht nur deinen Sessel überzogen bekommen, sondern dann wirst du sicherlich auch das Rederecht im Salzburger Landtag bekommen. Aber solange sich deine Kritik in erster Linie auf den Sessel bezieht, kann es damit nicht so weit her sein, lieber Stefan! (Beifall bei der ÖVP.)


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Kollegen Eisl danke ich auch sehr für die Wertschätzung, die er zum Ausdruck gebracht hat. Ich darf Ihnen, meine Damen und Herren, sagen: Er ist offensichtlich hier wesentlich freundlicher zu mir als in Salzburg. Dort habe ich so viel Freundlichkeit von ihm noch nicht erlebt! (Bundesrat Konečny: Stadtluft macht frei!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zum Abschluß darf ich noch sagen: Ich bin der Ansicht, daß bei der Ausübung eines politischen Mandates, ganz gleich auf welcher Ebene, immer zwei Komponenten zusammenspielen müssen: Jedem Politiker wurde für einen gewissen Bereich Macht übertragen. Macht ist zunächst etwas völlig Neutrales, man kann sie gebrauchen, und man kann sie mißbrauchen. Ich bin der Ansicht, daß man die Macht, die einem übertragen wird, nützen sollte, sonst ist man fehl am Platz, weil man dann seine Möglichkeiten nicht nützt. – Was abzulehnen ist, ist der Mißbrauch der Macht. Und ich meine, die Macht, die einem übertragen wurde, um diese zu nützen, muß sich mit einer sehr stark ausgeprägten Demut vor dem paaren, der uns gewählt hat, der uns in unsere Funktionen gebracht hat, vor unserem Souverän, der Bevölkerung. Ich glaube, eine solche Paarung ist das richtige Verständnis von der Ausübung eines politischen Mandates.

Ich möchte mich bei Ihnen, meine sehr geehrten Damen und Herren, sehr herzlich für die Aufmerksamkeit bedanken, die Sie dem neuen Landeshauptmann von Salzburg entgegengebracht haben. Ich weiß, daß Sie wesentlich wichtigere Dinge zu beraten haben. Ich wünsche Ihnen für Ihre Beratungen, die sehr wichtig sind, alles Gute. Ich danke auch dem Herrn Finanzminister, daß er hier ausgeharrt hat. Ich weiß, daß auch Sie, Herr Finanzminister, jetzt viele wichtige Aufgaben zu erledigen haben. Ich möchte mich wirklich sehr herzlich dafür bedanken, daß Sie sich die Zeit genommen haben. Ich möchte gleich auch die Bitte zum Ausdruck bringen, daß Sie mich vielleicht wieder einmal anhören, wenn es um wichtige Fragen des Föderalismus geht. Denn dann werde ich sicherlich wieder hier erscheinen und werde mit Ihnen darüber ausführlich diskutieren. – Vielen herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit! (Beifall bei der ÖVP, bei den Freiheitlichen und bei Bundesräten der SPÖ.)

16.05

Präsident Johann Payer: Zu Wort gemeldet hat sich Herr Vizepräsident Professor Schambeck. Ich erteile dieses.

16.05

Bundesrat Dr. Drs h. c. Herbert Schambeck: Herr Präsident! Herr Bundesminister! Herr Landeshauptmann! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ein Schriftsteller, der seine Lebenszeit leider nicht in Salzburg beenden konnte, sondern den Schlußstein im brasilianischen Petrópolis gesetzt hat, nämlich Stefan Zweig, hat einmal von den "Sternstunden der Menschheit" geschrieben – Sternstunden gibt es verschiedene. Zu den Sternstunden Europas zählen sicherlich die Ereignisse der Jahre 1989 und 1990.

Zu den positiven Sternstunden für diesen Bundesrat zählt sicherlich auch der heutige Tag mit dem Erscheinen des jungen, neugewählten Landeshauptmannes von Salzburg, des auch jungen Universitätsdozenten für Zeitgeschichte der Universität Salzburg, Dr. Schausberger.

Wer diesem Haus länger angehört, hat schon viele Landeshauptleute reden gehört. Ich selbst habe für das Rederecht der Landeshauptleute, nachdem ich dem Haus schon 27 Jahre angehöre, auch gekämpft. – Nachdem ich dich, lieber Dr. Schausberger, in verschiedenen Dimensionen erlebt habe – denn du bist mehrdimensional ausleuchtbar –, habe ich direkt geglaubt, daß dein Vorgänger und Vorbild Dr. Wilfried Haslauer hier steht. Deine Frau würde sicherlich mehr Unterschiede feststellen können, als mir zugänglich sind. Aber jedenfalls freue ich mich sehr darüber, daß ich heute hier deine Rede mit verfolgen konnte, und bei diesem Anlaß ist es selbstverständlich, daß man sich dabei an den Landeshauptmann von Salzburg Dr. Haslauer, der einer der ersten war, der von diesem Rederecht Gebrauch gemacht hat, erinnert. Ich lade dich ein, diese Rede Haslauers nachzulesen. Auch er hat das Grundsätzliche mit dem Aktuellen verbunden.

Hoher Bundesrat! Es ist nicht alltäglich, daß jemand, der sich mit der Geschichte seines Landes und mit der Geschichte unserer Republik als normaler Mensch, nicht als Jurist, so konkret


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beschäftigt hat wie Dr. phil. Schausberger, auch imstande und willens ist, konkret auf Probleme einzugehen, die uns in diesem Jahr 1996 besonders beschäftigen.

Ich freue mich, daß diese Rede in Anwesenheit des Herrn Finanzministers, der vorher schon ein anderes Ressort vertreten hat und Gesamtverantwortung für die ganze Bundesregierung und die Weiterentwicklung Österreichs trägt, gehalten wurde. Denn Sie haben sich ja nicht nur um Lösungen für das Jahr 1996 bemüht, sondern haben für 1997 und für die kommenden Jahre einen Finanzplan im Einvernehmen mit uns und vor allem mit Minister Ditz auch mit den Vertretern der Länder und Gemeinden ausgearbeitet.

Herr Landeshauptmann! Nach dem Jubiläum des Bundes-Verfassungsgesetzes im Jahr 1995 stehen wir nun im Jahr des Millenniums Österreichs. Wir haben den Österreichern versprochen, daß sie, wenn sie ja zur Europäischen Integration sagen, unter anderem auch die Föderalismusreform bekommen. Ich muß ehrlich sagen: Es ist in der Zwischenzeit von verschiedenen Seiten einiges geschehen, auch von seiten der Landeshauptleute und von den Vertretern der politischen Parteien. In diesem Zusammenhang habe ich in Hochachtung den Herrn Bundesminister für Föderalismus und Verwaltungsreform Jürgen Weiss, den Herrn Landeshauptmann des Burgenlandes Stix und den Herrn Landeshauptmann von Vorarlberg Dr. Purtscher, zu nennen; ferner SPÖ-Klubobmann Dr. Kostelka, das Geburtstagskind der nächsten Woche, den ich auch aus Anlaß seines Geburtstages daran erinnern möchte, worum er als Staatssekretär damals gekämpft hat, nämlich um die Förderalismusreform.

Ich muß ehrlich sagen, daß seit dem Perchtoldsdorfer Abkommen großartige Erklärungen – der Romanist würde sagen: ad ostentationem et pompom – in den Raum gestellt wurden. Es gibt sicherlich auch einige, die sich eines Ghostwriters bedient haben, die spreche ich hier nicht an. Denn wer Schausberger kennt, weiß, daß er so etwas allein verfassen kann Ich bin überzeugt, daß noch viele, die auf diese deine Rede eingehen werden, damit einverstanden sein werden. Ich möchte damit sagen, daß es notwendig ist, sich in einem solchen Fall im konkreten zu bewähren. Ich habe die Entwicklung der Landeshauptmännerkonferenz hautnah miterlebt, ich gehöre seit mehr als 20 Jahren dem Bundesratspräsidium an und kenne daher die Strukturiertheit dieser erlesenen Konferenz, die jetzt auch ein weibliches Mitglied hat, wobei es erfreulich ist, daß die Landeshauptfrau von der Steiermark ihren politischen Werdegang im Bundesrat begonnen hat. Das heißt aber nicht, daß Dr. Schausberger das jetzt noch nachholen müßte, wenngleich der Landeshauptmann von Salzburg Rehre auch Mitglied und Vorsitzender des Bundesrates in der Ersten Republik gewesen ist.

Ich möchte hier unterstreichen, daß der jetzige Landeshauptmann von Salzburg heute meines Wissens nach der erste gewesen ist, Hoher Bundesrat, der im Zusammenhang mit der Europäischen Union – und wir sind gerade vor der Konferenz von Turin, welche quasi Maastricht zwei ist – davon gesprochen hat, daß auch die Vertreter der Landtage eine Repräsentation der Landesinteressen gegenüber Brüssel haben sollen.

Meine sehr Verehrten! Das, was wir sonst erleben, ist nichts anderes, als daß sich die Exekutivlastigkeit der EU bei der Exekutivlastigkeit der Länder fortsetzt. Denn die Vertreter der Länder sind die Herren Landeshauptleute – also die Regierungschefs –, genauso wie die Regierungschefs im Rat sitzen und die Regierungschefs und Exekutivvertreter die Kommission bilden. Das war eine ganz bedeutende Erklärung. Aus diesem Grunde habe ich mich auch spontan zu Wort gemeldet, und nicht, um Dr. Schausberger zu würdigen, denn er hat über meinen Vorschlag vor einigen Wochen den Leopold Kunschak-Preis bekommen, und da hatte ich schon Gelegenheit, ihm eine Laudatio zu bringen. Ich wollte vielmehr hier betonen, daß er als Regierungschef eines Landes bereit war, darauf hinzuweisen, daß man auch die Repräsentanten der Gesetzgebung beachten muß.

Meine sehr Verehrten! Denn so wie die Entwicklung jetzt läuft – das sage ich, damit man mich diesbezüglich auch einmal zitieren kann und ich mich selbst natürlich auch –, hat man den Eindruck, daß eine Clique für eine Claque Politik macht, meine sehr Verehrten! Es wird dann das Schicksal der Mandatare sein, daß Exekutivvertreter die Legitimation zum Auftritt auf dem politischen Parkett haben. Herr Landeshauptmann Dr. Schausberger hat hingegen treffend


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darauf hingewiesen, daß die Integration zwischen den Vertretern der Regierung und des Parlamentarischen gemeinsam zu erfolgen hat. Und das ist ganz wichtig, denn sonst kann überhaupt kein entsprechendes Heimat-, Staats- und Europabewußtsein zustandekommen. Daher ist diese Äußerung von Dr. Schausberger von größter Wichtigkeit gewesen.

Wir wären sehr dankbar, Herr Landeshauptmann von Salzburg, wenn du am 10. Mai auch deinen Damen und Herren Kollegen sagst, sie mögen sich alle ohne Mentalreservation so für das Perchtoldsdorfer Abkommen einsetzen, wie wir das hier seit Jahren, Hoher Bundesrat, monieren. Bei dieser Gelegenheit möchte ich erwähnen, daß ich mich über die Vorschläge von dir zur Bundesstaats- und Bundesratsreform sehr gefreut habe. Diesbezüglich sind unsere Ansichten deckungsgleich. Ich vertrete dasselbe schon seit 20 Jahren hier. Wir haben das in verschiedenen Gremien auch wiederholt.

Dabei hoffe ich aber, daß die Entwicklung nicht so läuft, wie es Karl Marx einmal beschrieben hat, daß nämlich die Menschen mit Änderung ihrer materiellen Verhältnisse, nämlich ihrer Funktion, ihr Bewußtsein ändern. – Das ist bei dir nicht der Fall! Denn du hast deine eben geäußerte Meinung auch in den vergangenen Jahren schon vertreten. Das ist nachlesbar. Du hast diese vor einem Journalisten der "Salzburger Nachrichten" schon expliziert. – Dort ist er ja! Das freut mich, daß Sie hier anwesend sind! Ich begrüße Sie herzlich, Herr Kollege Steiniger! Wir können uns dann nicht mehr korrigieren wie das letzte Mal, als Sie dies in loyaler Weise gegenüber dem Bundesrat getan haben, als Sie zuerst gemeint haben, wir haben unsere Stellung nicht moniert. Sie haben dann die Korrektur gebracht. Dafür danke ich Ihnen auch hier im Plenum. Es muß, glaube ich, unterstrichen werden, daß sich eine Glaubwürdigkeit mit einer besonderen Dynamik verbindet. Und wir wären sehr dankbar, wenn das zu konkreten Akten führen könnte.

Meine drei Vorredner waren Salzburger Bundesräte, und ich möchte feststellen: Es ist erfreulich, wenn eine Zusammenarbeit innerhalb der Partei und über die Parteigrenzen hinaus im Land vorhanden ist und diesbezüglich auch ein Beitrag zur politischen Kultur, wie man miteinander umgeht, geleistet wird. Denn die Leute draußen interessiert ja nicht, wer mit wem streitet, sondern wer für wen da ist. Und mit seinen ersten Schritten hat dieser Herr Landeshauptmann ein Zeichen gesetzt, daß er für andere dasein will.

Ich bin zwar kein Salzburger, aber Salzburg hat in meinem Leben immer eine Rolle gespielt. Mein Vater hat im Rainer Regiment gekämpft im Ersten Weltkrieg. (Landeshauptmann Dr. Schausberger: In Salzburg gerne gesehen!) Das ist sehr lieb. Ich habe in Salzburg das Jahr 1945 erlebt. Und ich möchte Ihnen eines sagen, meine Damen und Herren, auch als einer, der beiläufig in die Welt hinauskommt: Salzburg ist eine Visitkarte für die gesamte Republik Österreich und über Österreich hinaus für das Europa abendländischer Prägung. Von Salzburg – vor allem möchte ich hier die Salzburger Rechtsfakultät nennen – sind wertvolle Impulse für das europäische Rechtsdenken ausgegangen, auch für das, was wir bei einer Neukodifikation des Verfassungsrechtes verlangen, verbunden mit einem Inkorperationsgebot, damit diese innere und äußere Streulage, die zur Unübersichtlichkeit und zur Gefährdung des Verfassungsbewußtseins führt, beendet wird.

Ich erwarte mir als niederösterreichischer Mandatar und auch als Fraktionsobmann der ÖVP-Bundesräte, daß es uns in den kommenden Monaten gelingt – viel Zeit haben wir nicht, denn mit jedem Tag kommen wir dem Jahr 2000 näher, meine sehr Verehrten –, zu konkreten Ergebnissen zu kommen, denn konkrete Ergebnisse sind notwendig. Alle Landeshauptleute, Rehre, Klaus, Haslauer, Katschthaler, waren hier zum konkreten angetreten. Ich bin überzeugt davon, daß Herr Landeshauptmann Dr. Schausberger sicherlich seinen Beitrag zum Föderalismus leisten wird, daß einmal die Geschichte von ihm sagen wird: Er war kein bloßer Epigone, sondern ein würdiger Nachfolger. (Landeshauptmann Dr. Schausberger: Ich werde mich bemühen.) – Viel Erfolg! (Beifall bei der ÖVP.)

16.15

Präsident Johann Payer: Weitere Wortmeldungen zur Erklärung des Landeshauptmannes liegen nicht vor.


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Wünscht noch jemand das Wort? – Es ist dies nicht der Fall. Ich schließe daher diese Debatte. Ich danke dem Herrn Landeshauptmann nochmals für sein Kommen in den Bundesrat und für seine mündliche Erklärung. – Danke schön. (Allgemeiner Beifall.)

Fortsetzung der Tagesordnung

Präsident Johann Payer: Ich nehme die unterbrochenen Verhandlungen zum Tagesordnungspunkt 1 wieder auf und erteile Herrn Bundesrat Dr. Paul Tremmel das Wort.

16.15

Bundesrat Dr. Paul Tremmel (Freiheitliche, Steiermark): Herr Präsident! Scheidender Herr Landeshauptmann! (Heiterkeit bei den Freiheitlichen.) Aus dem Bundesrat scheidend natürlich nur! Herr Bundesminister! Um hier einen fließenden Übergang zum Strukturanpassungsgesetz zu finden, darf ich aus einem Protokoll vom 10. Dezember 1993 teilweise wörtlich zitieren, was damals in der Angelegenheit "Föderalismus" gesagt wurde. Herr Bundeskanzler Dr. Vranitzky sagte damals zur Bundesstaats- und Bundesratsreform – wörtlich –: ",Die genannten bundesverfassungsgesetzlichen Maßnahmen sollen bis längstens zur Volksabstimmung über die bundesverfassungsgesetzliche Ermächtigung zum EG-Beitritt als beschlußreife Regierungsvorlage textlich fixiert und spätestens in der aus Anlaß des EG-Beitrittes erforderlichen Novelle zum Bundes-Verfassungsgesetz beschlossen werden.’ – Unterschrieben am 8. Oktober von mir und vom damaligen niederösterreichischen Landeshauptmann Ludwig." – Ende des Zitats.

Diese Beschlußfassung wurde leider nicht vorgenommen, wiewohl wir Freiheitlichen auch schon damals darauf gedrängt haben. Wir wurden von Herrn Professor Schambeck, der, wie ich annehme, jetzt den Herrn Landeshauptmann hinausbegleitet hat und nicht da ist, damals aufgefordert, hier föderalistisch mitzuwirken.

Zum Abschluß dieser meiner Überleitung möchte ich noch die damalige Wortmeldung von Herrn Professor Schambeck in Erinnerung rufen. Er sagte zuerst allgemein, daß wir uns alle bemühen sollten, daß nicht ein Föderalismusdefizit das Ergebnis ist. Und jetzt wörtlich: "Zweitens: Sie haben darauf hingewiesen" – gemeint ist der Hinweis von Dr. Vranitzky –, "daß es eine Verfassungsgesetz-Novelle geben wird, und diese Verfassungsgesetz-Novelle wird vor der Volksabstimmung hier eingebracht werden." (Der Redner wendet sich an Bundesrat Dr. Schambeck, der gerade wieder den Saal betritt.) Ich zitiere Sie gerade, Herr Professor! Damit Sie sich orientieren können. Es handelt sich um das Protokoll vom 10. Dezember 1973. (Rufe bei der ÖVP: 1993!) 1993! Danke sehr, Herr Kollege Weiss! (Bundesrat Dr. Schambeck: Ich war 1973 auch schon da!) Ja, ja das habe ich heute gemerkt.

Ich zitiere weiter: "Und dann muß ich Ihnen als Fraktionsobmann der ÖVP-Bundesräte sagen, daß mein Bundesparteiobmann und Vizekanzler Ihrer Regierung, Dr. Erhard Busek, bei uns in Niederösterreich im Parteivorstand – der Herr Direktor ist mit mir dort am selben Tisch gesessen (Zwischenruf des Bundesrates Ing. Penz), ich habe den Vorzug gehabt, neben dir zu sitzen, als ÖAABler – gesagt hat: Wir stimmen nur dann zu – bei uns geht es so zu –, es gibt nur dann eine Zustimmung, wenn diese Verfassungsgesetz-Novelle vor der Volksabstimmung vorliegt."

Hohes Haus! Ich zitiere weiter: "Ich möchte Ihnen folgendes sagen: Glauben Sie ja nicht, daß wir ohne Föderalismus-Verfassungsgesetz-Novelle eine positive Volksabstimmung in Österreich erreichen! Das ist für die Tante Gusti, und das kann sich der, der das annimmt, in den Kamin hängen!" – Herr Professor! Das ist Ihr wörtliches Zitat.

Leider ist es zu diesem Abstimmungsvorhaben, das Sie gewünscht haben, nicht gekommen. Ich sage auch leider in bezug auf den Föderalismus, denn heute haben wir ein Föderalismusdefizit, das größer denn je ist, wiewohl wir uns Ihrer Aufforderung gemäß bemüht haben, die Föderalismusdebatte nicht nur in Schwung zu halten, sondern auch zu einigen Beschlußfassungen zu kommen. (Vizepräsident Dr. Schambeck übernimmt den Vorsitz.)


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Nun zum Strukturanpassungsgesetz: Frau Kollegin Kainz! Sie haben von einer Scheindebatte gesprochen. Ich wollte Ihnen da nicht widersprechen. (Bundesrätin Kainz: Das hat Ihr Kollege Kapral gesagt!) Sie haben dann gesagt, daß Sie sich gegen das Wort Scheindebatte verwahren. – Wiewohl ich sehr ungern Frauen widerspreche, muß ich Ihnen in diesem Fall widersprechen. Ich habe mir das Arbeitsübereinkommen der Koalitionsparteien ausheben lassen, und darin heißt es unter Punkt zwei: Wichtige Entscheidungen in der Bundesregierung und im Parlament (Nationalrat und Bundesrat) werden gemeinsam erarbeitet und gemeinsam in der Öffentlichkeit vertreten. – Das heißt in die Praxis übersetzt, daß Sie Ihres freien Mandates entbunden sind, daß Sie de facto gemäß Punkt 8 dieses Abkommens dem Arbeitsausschuß zu folgen haben und Ihr Abstimmungsverhalten danach zu richten haben. Meine Damen und Herren! Das ist kein Schritt in die Zukunft. Meine Damen und Herren! Das ist ein Schritt zurück in eine Demokratur, die wir eigentlich in Österreich nicht notwendig haben! (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Deswegen glaube ich, daß in Anbetracht der Debatte, die hier teilweise geführt wird, Kollege Kapral durchaus zu Recht behauptet hat, daß diese eine Scheindebatte ist. Ich bin gespannt, ob hier nur einer aus dieser Abstimmung ausbricht. (Bundesrätin Kainz: Wir behalten uns noch vor zu kritisieren!) Kollege Jaud hat es in einer sehr mutigen Wortmeldung versucht, und sofort ist von Ihrer Seite die entsprechende Kritik gekommen, wie es seinerzeit im alten Rom war: Roma locuta, causa finita. Was in diesem Fall bedeutet: Der Kanzler hat befohlen, der Arbeitsausschuß hat befohlen, und Sie haben zu folgen. So ist es leider Gottes, das steht in Ihrem Koalitionsabkommen, meine Damen und Herren! (Weitere Zwischenrufe der Bundesrätin Kainz. )

Es ist Ihnen völlig egal, wenn die Bundesländer Notschreie von sich geben. Solche wurden heute zuhauf zitiert. Ich habe die steirischen Stellungnahmen zu fünf, sechs, sieben Gesetzen des Strukturanpassungsgesetzes vorgelesen, die besagten, daß diese Kurzfristigkeit ein Affront gegenüber den Länderinteressen und gegenüber dem Föderalismus ist. Ich habe den Brief des Bundeskanzlers aus dem Jahr 1984 zitiert, in dem gebeten wurde, daß zu Landesgesetzen mit gesetzlicher Folgewirksamkeit unbedingt eine sechswöchige Stellungnahmefrist zur Verfügung stehen soll. – Wir als kleine, arme Parlamentarier haben hingegen eineinhalb Tage Zeit gehabt, um uns mit 1 400 Seiten – über 10 Kilo Papier! – zu befassen. – Das ist, glaube ich, ein typisches Beispiel für nicht gelebten Föderalismus.

Meine Damen und Herren! Ich habe Ihnen auch versprochen, daß ich Ihnen noch ein bißchen etwas über die Systematik erzählen werde. Ich habe mir gestern in der Nacht die Mühe gemacht und habe mich ein bißchen eingelesen. – Ein Großteil der 98 Novellierungen, meine Damen und Herren, stammt aus dem Jahr 1995, etwa das Beamten-Dienstrechtsgesetz, Nummer 820, und so weiter und so weiter. Ich mußte lange suchen, bis ich zu einer Materie gekommen bin, die etwas älter ist. So ist etwa das Bundesgesetz über die Maßnahmen zur Vorbeugung und Beseitigung von Katastrophenschäden etwas älteren Datums. Selbst Gesetze über die Verbrauchsabgabe, die Elektrizitätsabgabe, die Erdgasabgabe wurden erst kürzlich novelliert. Da wird kein Muckser gemacht. Wenn die Steirer ein Wasserentnahmegesetz beschließen, das genau den gleichen materiellen Inhalt hat, gibt es von Ihrer Fraktion keinen einzigen Einwand. – Nur ein Hinweis, Herr Finanzminister: Wir Freiheitliche haben da nicht zugestimmt, weil wir es grundsätzlich ablehnen, daß solche Gesetze zur Stopfung von Budgetlöchern verwendet werden.

Wenn hingegen irgendein Bundesland selbst tätig wird, schaut die Sache anders aus. – Ich halte grundsätzlich ein solches Gesetz, daß die Umwelt schonend behandelt wird, für möglich. Aber es sollte nicht ein Budgetgesetz sein. Das sollte man sich überlegen! Aber genau das passiert im Bundesbereich. Es wird einfach vollzogen, muß ja wohl vollzogen werden, es handelt sich ja um eine Notgemeinschaft, die, wie ich hoffe, im Interesse des Staates Österreich bei einem Defizit von 1,3 Billionen Schilling – über 60 Prozent des Bruttoinlandsproduktes! – trotzdem übersteht! (Bundesminister Mag. Klima: Ein Defizit von 1,3 Billionen? – Zwischenruf des Bundesrates Pramendorfer. ) Ich hoffe, daß sie es übersteht. Denn wenn jetzt schon alles auseinanderfällt, dann werden wir noch mehr Schulden haben.


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Sie haben schon einmal eine Wahl vom Zaun gebrochen, was uns Hunderte Millionen Schilling gekostet hat. Auch das muß man den Staatsbürgern einmal sagen. Und Sie tun einfach so, als ob Sie überhaupt keine Schulden hätten! Zuerst wollte Herr Dr. Ditz die Kassen sanieren, jetzt will er sie offensichtlich gemeinsam mit dem Finanzminister verschleiern. Meine Damen und Herren! Das scheint die Politik der Zukunft zu sein! (Beifall bei den Freiheitlichen. – Bundesminister Mag. Klima: Wir haben kein Defizit von 1,3 Billionen Schilling!) Es sind Schulden, ich korrigiere mich und nehme diesen Zwischenruf von der Regierungsbank zur Kenntnis. Gechäftsordnungsmäßig ist er allerdings nicht gestattet. (Vizepräsident Dr. Schambeck: Darüber haben Sie sich keine Gedanken gemacht!) Ich habe mir sehr wohl Gedanken gemacht, denn ich bin ein strenger Beachter der Geschäftsordnung.

Nun wieder zurück zur Systematik. Ich habe mir das Konvolut durchgeblättert. Da fand ich eine Textgegenüberstellung. Ich weiß nicht: Haben sich die Damen und Herren diese Textgegenüberstellung durchgesehen? – Diese endet nämlich mit Artikel 93. Es gibt jedoch 98 Novellierungen. Man hat einfach mittendrin aufgehört. Das ist unglaublich. Allein die Unterlagen sind schon unvollständig, und zwar in einer Art und Weise, daß es einem normalen Parlamentarier fast unmöglich ist, in die Materie Einsicht zu nehmen.

Ich nenne einen weiteren Bereich dieser Unvollständigkeit. Ich habe die steirischen Stellungnahmen zum Strukturanpassungsgesetz zur Hand genommen und habe mir einen speziellen Punkt vorgenommen: Da wurde etwas herausgenommen, was im Ausschußbericht allerdings noch vorhanden ist. Selbst die Steiermärkische Landesregierung hat diese Stellungnahme nicht so verstanden, wie wir sie eigentlich verstehen hätten sollen. Sie hat nämlich eine Stellungnahme abgegeben und schreibt am 18. April 1996: Bei Durchsicht der Regierungsvorlage zum Strukturanpassungsgesetz wurde festgestellt, daß nunmehr § 8 Abs. 5 lit. d des Übergangsgesetzes 1920 geändert werden soll. Bei den zur Begutachtung ausgesandten Budgetbegleitgesetzen fand sich dieser Änderungsvorschlag noch nicht. Dies läßt den Schluß zu, daß die Novellierung ohne Einbindung der Länder erfolgen soll, wodurch nicht nur in Länderrechte eingegriffen wird, sondern auch eine eingehende Diskussion über die Änderung der staatlichen Organisationen in den Ländern verhindert wird. Diese Vorgangsweise wird entschieden abgelehnt.

Wir haben heute einen sehr mutigen Landeshauptmann hier gehabt, der vielleicht unbewußt, aufgrund seiner Art und seines Temperaments aber eher durchaus bewußt, etwas über die Gerichtsorganisation gesagt hat. Er hat gesagt, daß er leider noch nicht hier war, als Herr Minister Michalek seine Antwort gegeben hat. – Genau das ist es, meine Damen und Herren! Auf dem Papier wird Föderalismus dargetan, in der Praxis wird er jedoch einfach übersehen, man geht einfach darüber hinweg.

Bei der Novellierung, so wie sie Ihnen dann vorliegen wird, hat die Landesregierung noch ein Anhörrecht. Doch es ist verständlich: Wenn ich Justizminister bin, dann stehe ich auch auf der einen Seite und werde versuchen, die ganze Gerichtsorganisation zu vereinfachen. – Aber was machen wir, meine Damen und Herren? Wir haben auch ein kleines Bezirksgericht in Mureck, und der Gerichtssitz soll von Mureck nach Radkersburg verlegt werden, also an den westlichen Rand. Ein gesamter Gerichtssprengel wird dann freibleiben. Das immaterielle Sicherheitsgefühl der Bevölkerung wird auf diese Weise ärgstens verletzt. Das ist auch der Hintergrund bei der Auflösung von Kommanden der Gendarmerie und der Polizei, ebenso wie bei diesem Gericht. (Bundesrätin Schicker: Das hat mit dem Sicherheitsgefühl nichts zu tun!) Meine Dame! Diese kleinen Gerichte spielen für das Sicherheits- und Rechtsgefühl der Bevölkerung eine ganz wichtige Rolle. Das sollten wir auch bedenken. Abgesehen davon, Frau Kollegin, ist es natürlich im ärgsten Sinne föderalismusverletzend, weil man auf die stille Tour Länderinteressen beschneiden will. (Bundesminister Mag. Klima: Das haben aber die meisten Bundesländer gemacht!) Ja, die meisten haben es gemacht, aber einige haben es nicht gemacht.

Wie wir gehört haben, Herr Minister, überlegt man es sich in Salzburg sehr genau. Und wir überlegen uns das etwa in Mureck auch sehr genau. Denn die Gemeinden plädieren – und nicht nur aus Egointeressen allein, sondern durchaus auch ein bißchen aus staatstragenden Interessen – dafür, daß dieser Gerichtssitz bestehenbleibt. Daher soll man den Ländern die Mög


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lichkeit geben, mitzusprechen. Man spricht immer von der Übertragung von Rechten an die Länder. In den Fällen, in denen es unangenehm wird, will man sie jedoch still und leise beschneiden. Sie, Frau Kollegin Schicker, und ich sind verpflichtet, daß, wenn die Landesregierung etwas in mehrmaligen Stellungnahmen sagt, wir das hier auch vertreten. Ich weiß nicht, wem Sie verpflichtet sind: Sind Sie dem Steiermärkischen Landtag, Ihrer politischen Gesinnungsgemeinschaft oder dem Klubzwang verpflichtet? (Bundesrätin Schicker: Wir sind auch freie Mandatare!) Ich nehme an, dem Klubzwang. Denn wenn Sie sich dem Koalitionsübereinkommen, insbesondere Punkt 2 und Punkt 8, verpflichtet fühlen, dann haben Sie so abzustimmen, wie es befohlen wird. Und das ist nicht gut, meine Damen und Herren! Es ist ein schlechter Staat, den Sie hier haben wollen!

Ich hätte Ihnen noch einiges aufzuzählen, aber ich möchte jetzt noch bei einem Punkt verbleiben, bevor ich zum Schluß komme, nämlich beim beamteten Bereich. Dieser wurde heute teilweise schon behandelt, Ich möchte Ihnen jetzt meine Sicht dazu erläutern. Ich bin selbst Beamter.

Der Beitrag des öffentlichen Bereiches für die Sanierung des Budgets beträgt rund 16 Milliarden. Aus dem beamteten Bereich wurde auch einiges beigetragen, ich darf repräsentativ einige Zahlen nennen: Der Pensionsbeitrag wurde von 10,6 auf 11,75 Prozent angehoben. Es wurde de facto eine Nullohnrunde vereinbart. Im Jahr 1996 gibt es eine Abschlagszahlung in der Höhe von 2 700 S, im Jahr 1997 gibt es eine solche in der Höhe von 3 600 S. Es gibt eine De-facto-Erhöhung des Pensionseintrittsalters. Der Höchtsbezug beträgt nur im optimalen Fall 80 Prozent, ein 2prozentiger Per-anno-Abzug erfolgt bei früherem Pensionseintritt, also vor dem 60. Lebensjahr. Es erfolgt eine Reduktion der Nebenleistungen. Das ist eine demonstrative Aufzählung. Ich glaube, daß der öffentliche Dienst Erhebliches zur Budgetsanierung beigetragen hat.

Ich glaube, daß die Beamten erwarten können, daß es auch in diesem Bereich zu einer Gleichbehandlung kommt. Diese Gleichbehandlung, meine Damen und Herren, vermisse ich aber! Sehen wir uns etwa den Bereich der Österreichischen Bundesbahnen an: Jetzt werden Sie sofort sagen: Die ÖBB sind jetzt privat. – Zu fast 100 Prozent ist allerdings der Inhaber der Staat Österreich. Und noch um Weihnachten – ich glaube sogar, unter Ihrer Verhandlungsführung, Herr Minister! – hat es in diesem Bereich eine Gehaltserhöhung von im Schnitt 2,95 Prozent gegeben. Sie haben gesagt, daß lobenswerterweise 1 Milliarde gespart wurde. Der Pensionsbeitrag ist von 2 auf 4 Prozent erhöht worden. Die Differenzsumme macht also 1 Milliarde aus. Wenn man das jedoch in Relation zu den Einsprungen bei Beamten setzt, dann ist festzustellen, daß das relativ wenig ist. Und wir hätten diese Milliarde schon vorher blutigst notwendig gehabt. Vom Pensionsantrittsalter und von den Zeitverkürzungen möchte ich hier gar nicht sprechen.

Meine Damen und Herren! Ebenso hätten wir uns eine annähernde Gleichbehandlung etwa im Bereich der Nationalbank erwartet. Ich habe heute einen diesbezüglichen Zwischenruf gemacht, und ich möchte auch jetzt einige Dinge anführen: Die Pensionsbeiträge des Dienstnehmers betragen für solche, die bis zum 31. 3. 1993 eingetreten sind, 2 Prozent. Sie betragen nicht 11,75 Prozent, sondern 2 Prozent! Für diejenigen, die nach dem 1. 4. 1993 eingetreten sind, betragen sie 5 Prozent des Monatsbezuges. Die Jubiläumsabgabe nach 20, 30 und 40 Dienstjahren sind je drei Monatsbezüge für diejenigen, die bis zum 31. 3. 1993 eingetreten sind, für jene, die nachher eingetreten sind, sind es ebenso drei Monatsbezüge. Die Abfertigung zum Pensionsantritt erfolgt in der Höhe von 17,5 Monatsbezügen, für beide Bereiche gleich. Der Überstundendurchschnitt wird hier mit eingerechnet. Die Pensionshöhe in Prozenten der Bemessungsgrundlage beträgt bei einem Lebensalter von 55 Jahren und bei 35 anrechenbaren Dienstjahren nicht 80 Prozent, sondern 85 Prozent, und erst bei denjenigen, die nach dem 1. 4. 1993 eingetreten sind, 80 Prozent, bei einem Antrittsalter von 58 Jahren.

Meine Damen und Herren! Die Gleichbehandlung, die man für den öffentlichen Dienst erwarten hätte können, ist bei diesem Strukturanpassungsgesetz eigentlich nicht gegeben, was natürlich zu einer Diskriminierung von verschiedensten Bevölkerungsschichten führt, und das ist nicht sehr gut.


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Aber das wäre noch zuwenig Grund, daß wir diesem Gesetz so kritisch gegenüberstehen. Wir glauben, daß mit diesem Strukturanpassungsgesetz auch schwere verfassungsmäßige Mängel verbunden sind und daß in diesem Fall – das sollte man Herrn Dr. Khol sagen – der Verfassungsbogen wirklich durchbrochen wird. – Lassen Sie mich dazu ein Beispiel geben: Sie alle kennen das Koalitionspapier, in dem der sogenannte Konsultationsmechanismus festgelegt wird. Ich habe seinerzeit gemeint, daß das irgendein Landeshauptmann dahergeplappert hat. Das stimmt aber nicht, denn das ist ganz gezielt im Koalitionspapier enthalten. Dieser Konsultationsmechanismus soll bis zu Artikel-15a-Vereinbarungen gehen und das entscheidende Gremium sein.

Was bedeutet das, meine Damen und Herren? – Das bedeutet, daß die maßgeblichen Bestimmungen der Bundes-Verfassung, Artikel 33 und 34, ausgehöhlt werden. Meine Damen und Herren! Es kommt in diesem Fall zu einer schleichenden Verfassungsänderung, die ganz besonders gefährlich ist, weil dieser Konsultationsmechanismus in einem gesetzesleeren Raum schwebt und nicht einmal die Möglichkeit besteht, daß das hier angesprochen und angegriffen wird. Und das ist die wirkliche Krux dabei. So sagte der Herr Bundeskanzler seinerzeit im Zusammenhang mit Artikel 98 forsch: Eigentlich sind die Länder schuld, daß die Verhandlungen abgebrochen wurden. – In Wirklichkeit war zum Teil neben dem schwachen Durchsetzungsvermögen des Bundesrates unter anderem eine Vorlage schuld, die eine Supervollmacht des Finanzministers vorgesehen hat, nämlich daß er bei finanzfolgewirksamen Landesgesetzen allein das Einspruchsrecht hat. Das war damals in dieser Novellierung enthalten, da ist man still und leise abgefahren. Aber noch wesentlich schwerwiegender, meine Damen und Herren – das erregt mich innerlich so – ist, daß die Struktur des Bundesrates durch diesen Konsultationsmechanismus gefährdet ist.

Den Appell, sich das zu überlegen, meine Damen und Herren, habe ich an Sie gerichtet. Heute ersuche ich Sie, dieser Materie aus diesem Grund in Anbetracht Ihrer Verantwortung als Bundesrat betreffend den Föderalismus und eingedenk Ihres Eides nicht die Zustimmung zu geben. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

16.40

Vizepräsident Dr. Drs h. c. Herbert Schambeck: Zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Ilse Giesinger. Ich erteile es ihr.

16.40

Bundesrätin Ilse Giesinger (ÖVP, Vorarlberg): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Finanzminister! Sehr geehrte Damen und Herren! Zum Strukturanpassungsgesetz ist heute schon viel gesagt worden.

Vor allem verweise ich auch auf die Ausführungen meines Bundesratskollegen Jaud. Ergänzend dazu möchte ich die Freiheitlichen daran erinnern, daß in all den Jahren auch sie Gesetze mit beschlossen haben, die uns heute noch belasten. Die Freiheitlichen, die heute so tun, als ob sie unschuldig wären, waren außerdem von 1983 bis 1986 mit der SPÖ in der Regierung und haben damit zur Staatsverschuldung, an der wir heute noch leiden, verantwortlich beigetragen. (Zwischenruf des Bundesrates Mag. Langer. )

Ich bekräftige diese meine Aussagen wie folgt: Das Nettodefizit hat sich vom Jahre 1970, also seit der Zeit der ÖVP-Alleinregierung, bis zu den Jahren 1983 bis 1986, also während der Zeit der SPÖ-Alleinregierung und SPÖ-FPÖ-Koalition, um 2 600 Prozent gesteigert; man höre: um 2 600 Prozent! (Bundesrat Eisl: Und jetzt um 4 000 Prozent!)

An dieser Schuldensteigerung haben wir heute noch massiv zu tragen. Ich bin auch nicht zufrieden mit jedem Detail des Strukturanpassungsgesetzes und mit der Tatsache, daß es notwendig war, dieses Gesetz in so kurzer Zeit zu beschließen. Ich bin auch nicht zufrieden darüber, daß verschiedene Gesetze Verfassungsbestimmungen enthalten. Mein Fraktionskollege Bundesrat Weiss hat dazu auch schon ausführlich gesprochen, und ich möchte mich daher nicht wiederholen.


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Aber nach langem Abwägen und etlichen Gesprächen bin ich zum Entschluß gekommen, daß es notwendig ist, dieses Strukturanpassungsgesetz heute zu beschließen, da sonst, auf lange Sicht gesehen, der Schaden für Österreich und damit auch für die Bevölkerung zu groß gewesen wäre.

Ich bin auch überzeugt davon, daß erst die Neuwahlen bewirkt haben, daß innerhalb der Koalition und in Zusammenarbeit mit den Sozialpartnern das Strukturanpassungsgesetz in dieser Form möglich war. Koalition bedeutet immer auch Kompromisse – dies nur nebenbei erwähnt –, und Änderungen der Struktur sind notwendig. Wir alle wissen, wie schwer es ist, bestehende Strukturen zu ändern. Das ist in der Familie so, dies ist im Betrieb so und so weiter. Und je mehr Menschen davon betroffen sind, umso schwieriger wird es. Daher denke ich, daß dieses Strukturanpassungsgesetz ein erster Schritt ist. Ich wünsche, daß die Bundesregierung und wir im Parlament – also National- und Bundesrat – aus den diesbezüglichen Erfahrungen lernen.

Erstens soll in Zukunft eine tatsächliche Kostenberechnung der zu beschließenden Gesetze auch für die Wirtschaft und für die Bevölkerung erfolgen. Zweitens soll frühzeitig ein Budgetprogramm für 1998 und länger zumindest für die jeweilige Legislaturperiode erstellt werden. Drittens sollen Lenkungsmaßnahmen des Staates in Form von Förderungen möglichst reduziert, dafür aber die Möglichkeit geschaffen werden, dem einzelnen mehr eigene Entscheidung und Gestaltung zu ermöglichen. (Beifall bei der ÖVP.)

Abschließend wollte ich diese drei Maßnahmen als Beispiel genannt haben. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der ÖVP und bei Bundesräten der SPÖ.)

16.45

Vizepräsident Dr. Drs h. c. Herbert Schambeck: Zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Michaela Rösler. Ich erteile es ihr.

16.45

Bundesrätin Michaela Rösler (SPÖ, Steiermark): Herr Präsident! Geschätzter Herr Bundesminister! Meine Damen und Herren! Hohes Haus! Ich fühle mich jetzt doch veranlaßt, nachdem bereits sehr viel über die Bezirkgerichte gesprochen wurde, auch ein paar Worte dazu zu verlieren, obwohl ich ursprünglich nur zu einem einzigen Punkt des Strukturanpassungsgesetzes reden wollte; aber darauf komme ich auf jeden Fall noch zurück.

Wir haben die Meinung gehört, daß die kleinen Bezirksgerichte nicht mehr in ihrer derzeitigen Form aufrechtzuerhalten sind, einerseits aufgrund der Einsparungsmaßnahmen, die geboten sind, und andererseits, weil man sagt, daß ein Gericht nur dann effizient arbeiten kann, wenn mehrere Richter dort beschäftigt sind, damit sie sich eben jeweils auf einzelne Bereiche spezialisieren können. Wir haben aber auch die Meinung gehört, daß man die Infrastruktur aufrechterhalten beziehungsweise weiterhin allen Menschen die Möglichkeit geben möchte, möglichst nahe in ihrem Einzugsgebiet ein Bezirksgericht zu haben; und aus diesem Grund müssen die Bezirksgerichte aufrechterhalten werden.

Ich selbst komme aus einem Bezirk mit 32 000 Einwohnern, und wir haben in unserem Bezirk drei Bezirksgerichte. Wir alle kennen die Zahlen in unserem Bereich. Wir haben schon mehrmals darüber diskutiert, und zwar nicht erst in den letzten Monaten, sondern bereits seit Jahren. Ein Bezirk hat eine Auslastungszahl von 0,2. Das heißt: Der Richter ist zu einem Fünftel ausgelastet, sprich: Es würde reichen, wenn er einen Tag in der Woche in diesem Bezirksgericht anwesend wäre.

Kollege Weilharter! Wir kennen die Diskussion ausreichend: Ich weiß, daß Sie wahrscheinlich auch aus parteipolitischen und grundsätzlichen Gründen eine andere Meinung vertreten werden. Aber ich muß wirklich sagen: Es fällt mir schwer, in diesem Fall Argumente dafür zu finden, daß solche Bezirksgerichte aufrechterhalten werden. Denn heute kann man generell sagen, daß fast alle mobil sind. Jedem steht ein Fahrzeug zur Verfügung. – Wenn ich zum Finanzamt oder zu einem anderen Amt fahre, rufe ich auch vorher an und erkundige mich, ob der zuständige Referent anwesend ist beziehungsweise kündige meinen Besuch beim entsprechenden Amt an.


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(Bundesrat Pramendorfer: Die Richter sind genauso mobil wie die Bevölkerung!) Darum geht es ja! Darauf komme ich noch zurück.

Für den Fall, daß es jemandem nicht möglich ist, in die Bezirkshauptstadt zu fahren, wo ein Bezirksgericht ist, hat es heute auch die Zusicherung von Herrn Minister Michalek gegeben, daß Sprechtage an den aufzulassenden Bezirksstandorten aufrechterhalten bleiben. Da kann man vorher anrufen, daß man kommt, dann wird auch der entsprechende Akt vorhanden sein, und man hat selbstverständlich die Möglichkeit, alle Anliegen vorzubringen. Wir wissen heute, daß heute kein Problem für die Richterschaft besteht, in den einzelnen Orten Sprechtage abzuhalten; das wird zum Teil bereits heute schon praktiziert.

Es gibt weiters die Zusicherung, daß die Notariate an den Gerichtsstandorten aufrechterhalten bleiben und daß die entsprechende Infrastruktur, etwa der Anschluß an das Grundbuch, bereits überall gegeben ist. Und dort, wo diese Möglichkeit noch nicht gegeben ist, soll diese Möglichkeit geschaffen werden.

Wenn Sie ehrlich sind, müssen Sie sich wirklich fragen: Wie oft braucht der Normalbürger das Gericht? – Es ist ja nicht so, daß er alle Monate oder alle drei Monate das Gericht in Anspruch nimmt. Daher muß ich sagen, daß es in Anbetracht der Entfernungen, speziell in unserem Gebiet, sicherlich zumutbar ist, zumindest einen Gerichtsstandort in Frage zu stellen.

Ich vertrete in diesem Fall den Standpunkt, daß, da wir wissen, daß die Auslastung des zweiten Bezirksgerichtes höher ist als jene des Bezirksgerichtes in der Bezirkshauptstadt, sicherlich noch Verhandlungen geführt werden müssen und es möglich sein muß, diesen Gerichtsstandort aufrechtzuerhalten. Aber ich meine, daß es bei derart kleinen Strukturen wie im gegenständlichen Falle nicht unbedingt vertretbar ist, daß solche ganz kleinen Einheiten aufrechterhalten werden, vor allem wenn wir wissen, daß eine Auslastung des Richters keinesfalls gegeben ist, und wir überdies wissen, daß in Nebenbezirken, etwa in Judenburg oder in Knittelfeld, die wesentlich größer sind, ein größerer Bevölkerungsanteil wohnt und es dort jeweils nur mehr ein Bezirksgericht gibt. – Das wollte ich dazu noch sagen.

Eigentlich habe ich mich heute aber aus einem ganz speziellen Grund zum Strukturanpassungsgesetz zu Wort gemeldet: Ich möchte jetzt auf die Kürzung des Karenzurlaubes für Alleinstehende eingehen. Ich glaube, es ist dies insgesamt ein gesellschaftspolitischer Aspekt, der einmal diskutiert werden müßte. Man spricht immer davon, daß die Elternteile das Recht haben, den Karenzurlaub in Anspruch zu nehmen, um beim Kind zu sein. Wir sprechen aber nie davon, daß das Kind ein Recht darauf hat, von einem Elternteil beziehungsweise alternierend von Vater und Mutter betreut zu werden. Ich glaube, dieser Punkt müßte einmal diskutiert werden: das Recht des Kindes.

Genau aus diesem Grund habe ich ein großes Problem mit dieser Kürzung. Denn es wird jetzt das Recht des Kindes verheirateter Eltern und das Recht des Kindes eines alleinstehenden Elternteiles nicht gleich behandelt. Es ist zwar nicht sehr wahrscheinlich – um es so zu sagen –, daß in vielen Fällen die Teilung des Karenzurlaubes in Anspruch genommen werden wird, aber es besteht zumindest theoretisch die Möglichkeit und hätten die Elternteile die Chance, vier halbe Jahre bei den Kindern zu bleiben. Bei Alleinerziehern ist das hingegen schon rein theoretisch nicht möglich.

Daher meine ich, daß in diesem Punkt eine konservative, ja sogar eine erzkonservative Linie durchgesetzt wurde. Es wird in diesem Fall jene Familienform bevorzugt, die eben legalisiert ist beziehungsweise althergebrachten Mustern entspricht: Vater, Mutter, Kind. Man schafft zumindest legistisch die Möglichkeit, daß man in diesem Fall zwei Jahre für das Kind oder für die Kinder dasein kann. Andere Familienformen werden jedoch wirklich bestraft.

Daher fehlen mir wirklich die Argumente, wenn mich jemand darauf anspricht, das in irgendeiner Form positiv zu interpretieren. (Bundesrat Pramendorfer: Genau in diesem Bereich gab es die größten Mißbräuche!) Ich war kürzlich bei einer Diskussionsveranstaltung, da haben wir darüber gesprochen. Und das ist der zweite Punkt. Jeder sagt: Ich kenne jemanden, oder ich kenne zumindest jemanden, der jemanden kennt, der... – Das ist ein ewiges Ballspiel: Aber keiner will


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derjenige sein, der den Mißstand wirklich aufzeigt und sagt: Derjenige ist es. (Bundesrat Pramendorfer: Wir sind ja nicht zum Denunzieren da!)

Wir alle regen uns darüber auf, aber keiner ist bereit, wirklich zu sagen: Ich nenne jetzt einen konkreten Fall. Immer wird über irgend jemanden geredet, der jemanden kennt. Hinter vorgehaltener Hand und hinter verschlossenen Türen wird auch über konkrete Fälle geredet, aber wenn es darum geht, Mißstände aufzuzeigen, ist keiner dazu bereit. Und aus diesem Grund, weil sich keiner dazu bekennt, kommt es zu einer massiven Diskriminierung der Alleinerzieherinnen und Alleinerzieher.

Zweiter Punkt in diesem Zusammenhang: Mich stört die Kürzung ganz besonders, weil wir wissen, daß diese Diskriminierung und Ungleichbehandlung jetzt nicht das große Geld bringen. Denn die Zahlung des Karenzurlaubsgeldes für das vierte halbe Jahr für Alleinerzieherinnen und Alleinerzieher würde sicherlich keinen riesengroßen Betrag ausmachen.

Umgekehrt spricht keiner über den Wochenhilfegeldbezug. In vielen Diskussionen bin ich jetzt auch darauf gekommen, daß eigentlich gar niemand weiß – und ich muß ehrlich zugeben, mir war es selbst lange nicht bewußt –, daß es im Hinblick auf die Wochenhilfe und auf den Wochenhilfegeldbezug keine Höchstbemessungsgrundlage gibt. Wir wissen: Bei der Pensionsversicherung, bei der Krankenversicherung und bei der Arbeitslosenversicherung gibt es die Höchstbemessungsgrundlage von derzeit 39 000 S. Für die Wochenhilfe gibt es dies nicht. Ich habe mich erkundigt: Es gibt nicht wenige Fälle, in denen Frauen, die einen entsprechend gut bezahlten Job hatten, ein Wochenhilfegeld von bis zu 2 000 S pro Tag beziehen. Das heißt, die kommen auf einen Wochenhilfegeldbezug von über 60 000 S und mehr pro Monat! (Bundesrat Pramendorfer: Das muß auch aufgezeigt werden!) Ich sage es ja gerade! Wenn ich das in Relation zum Karenzurlaubsgeld setze, empfinde ich das als ungerecht. Es gibt hiebei oft Fälle, in denen Frauen nicht acht Wochen vor der Geburt und acht Wochen nach der Geburt Wochenhilfe beziehen, sondern oft vorzeitig in Wochenhilfe gehen und dann sehr viel Geld beziehen, was andere durch Arbeit nie erhalten können, weil es eben diesfalls keine Höchstbemessungsgrundlage gibt.

Ein weiterer Punkt, der für mich auch nicht ganz einsichtig ist, ist die Tatsache, daß Krankengeld bis zu einem Betrag von 230 S täglich steuerfrei ist und alles, was über 230 S liegt, mit 22 Prozent versteuert wird, während Wochenhilfegeld hingegen zur Gänze steuerfrei ist. Das heißt: Selbst 2 000 S, 2 500 S oder 3 000 S Taggeld an Wochenhilfe sind zur Gänze steuerfrei. Ich glaube, daß diesfalls nicht jene in den Genuß einer Überbezahlung kommen, die es am notwendigsten hätten. Denn wenn man so viel Taggeld bekommt, dann muß man auch entsprechend verdient haben. Ich sehe jedoch nicht ein, daß bei den Alleinerziehern massiv gespart wird.

Auf der anderen Seite muß ich sagen, daß ich aus der heutigen Rede vom Kollegen Pischl nicht ganz schlau geworden bin. Ich bin mir nicht im klaren darüber, was er genau gemeint hat oder was er uns wirklich sagen wollte. Denn im ersten Teil der Rede war er sehr moderat. Als es um Kinderbetreuungseinrichtungen, um die sozialen Beziehungen zwischen Kindern und die Förderung der sozialen Kommunikationsfähigkeit von Kindern ging, dachte ich mir, er könnte eigentlich fast in unseren Reihen arbeiten und den Sozialdemokraten angehören. Ich war wirklich sehr begeistert, Herr Kollege!

Was mich dann allerdings sehr schockiert hat, war, daß er in den nächsten Sätzen immer wieder die Begriffe "Humanvermögen" und "Humankapital" benutzte – ich finde es wirklich schlimm, von unseren Kindern als "Humanvermögen" und "Humankapital" zu sprechen –, und das, was er – das hat mich sehr aufgebracht – zur Partnerschaftlichkeit im Eherecht, was zurzeit auch diskutiert wird, gesagt hat. Ich glaube, da zeigt sich die ÖVP wirklich von ihrer konservativsten Seite.

Wenn wir auf der einen Seite sagen: Der Staat soll nicht alles reglementieren, das geht den Staat nichts an!, dann müssen wir uns aber auf der anderen Seite klar vor Augen halten, daß das im einfachen Leben, im Alltagsleben nicht funktioniert.


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Ich glaube, daß man oft wirklich bemüht ist – das muß ich bei Diskussionen immer wieder feststellen –, aneinander vorbeizureden.

Es geht bei diesen Vorschlägen, die von meiner Fraktion beziehungsweise von der Frau Bundesministerin Konrad eingebracht werden, nicht darum, einzugreifen und klar zu reglementieren, wann jeder Partner was zu tun hat. Darum geht es überhaupt nicht.

Meines Erachtens hat sie es doch sehr klar und deutlich erklärt: Es geht nur darum, daß es, falls es nicht funktionieren und es zu Diskussionen und zu Schwierigkeiten kommen sollte, Grundlinien beziehungsweise Grundregeln gibt. Vor allem dürfen wir eines nicht vergessen, worüber keiner diskutiert: daß es nämlich im bestehenden Eherecht im Grunde genommen fast dieselben Regelungen und klaren Richtlinien gibt.

In dem von uns eingebrachten Vorschlag geht es nur darum, zusätzlich die Partnerschaftlichkeit in der Ehe beziehungsweise in der Partnerschaft zu regeln. Ich glaube, das ist notwendig. Gäbe es nicht diese vielen Probleme und Schwierigkeiten, käme niemand auf die Idee, das in einem Gesetz zu regeln. Die Notwendigkeit ist aber gegeben, und wir müssen wirklich nicht agitieren und uns irgend etwas vormachen, denn wir alle wissen, daß die Tatsachen einfach dafür sprechen. (Beifall bei der SPÖ. – Zwischenruf.)

Ich verstehe Sie sehr wohl und unterstütze Ihre Forderung auch voll und ganz, denn in diesem Punkt bin ich ganz auf Ihrer Linie. Ich glaube jedoch, da sind wir eigentlich wieder am Beginn. Es ist eigentlich ein gesellschaftliches Problem. Denn jene, die wirklich die Probleme haben, sehen es selbst meist am wenigsten ein. Es ist oft das größte Problem, einen Partner überhaupt zu einer Familienberatungsstelle zu bringen, weil jener Partner, der sich eben nicht an die Partnerschaftlichkeit, an seine Verantwortung, an seine Verpflichtung hält, ist meist auch nicht bereit, seine Nachlässigkeit und seine Schuld, die er damit auf sich nimmt, dem Partner beziehungsweise vor allem den Kindern gegenüber überhaupt einzugestehen, und das ist eigentlich das gesellschaftliche Grundproblem. – Danke. (Beifall bei der SPÖ.)

17.00

Vizepräsident Dr. Drs h. c. Herbert Schambeck: Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesminister Mag. Klima. Ich erteile es ihm.

17.00

Bundesminister für Finanzen Mag. Viktor Klima: Herr Präsident! Hoher Bundesrat! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte mich eingangs bei Ihnen dafür bedanken, daß Sie diese Verantwortung in einer für Österreich durchaus außergewöhnlichen Situation mittragen, eine Situation, die ein außergewöhnliches Vorhaben erfordert. Es ist in der Tat ein außergewöhnliches Vorhaben, wenn zwei Budgets für die Jahre 1996 und 1997 in einem, wenn ein mit den Ländern auf die Dauer von vier Jahren vereinbarter Finanzausgleich und wenn, in Konsequenz daraus, in über 98 Artikeln entsprechende Anpassungen von Gesetzen erforderlich sind.

Ich bitte nur um Verständnis, daß ein Finanzminister, eine Bundesregierung, ein Parlament, welche Budgets für die Jahre 1996 und 1997 verabschieden und den eingeschlagenen Konsolidierungspfad auch ernst nehmen, natürlich gleichzeitig die entsprechenden budgetbegleitenden Gesetze umsetzen und beschließen müssen.

Ich sehe schon ein, meine sehr geehrten Damen und Herren, daß wir uns vorgenommen haben, daß derartige außergewöhnliche Situationen in den Folgejahren nicht wieder eintreten.

Ich sehe auch ein, meine sehr geehrten Damen und Herren, daß diese Situationen für die Opposition eine besondere Versuchung darstellen, denn wider Erwarten der Opposition hat die österreichische Bevölkerung die Notwendigkeit erkannt, uns in einer gemeinsamen Anstrengung den nötigen Spielraum im Bundeshaushalt und die nötige Sicherung des Wirtschaftsstandortes Österreich zu verschaffen. Die Sicherung unserer Kreditfähigkeit, unserer harten Währung und damit die Sicherung der sozialen Stabilität und des sozialen Friedens in unserem Lande und – parallel dazu – eine Beschäftigungsoffensive, die Unterstützung der bestehenden Unternehmer


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durch Technologieförderung, aber auch durch Verwaltungsvereinfachungen und Verfahrenskonzentrationen sowie durch Entrümpelungen das Neugründen von Unternehmen zu beschleunigen, all das hat die österreichische Bevölkerung als notwendig erkannt und trägt es daher auch mit.

Ich verstehe schon, daß das für eine Oppositionspartei zurzeit eine sehr schwierige Situation ist, weil man sich anscheinend nur über das Procedere erregen kann und in den Fehler verfällt, zwar die Notwendigkeit zu sehen, aber punktuell bei den einzelnen Maßnahmen am besten nichts tun will.

Aber genau diese Vorgangsweise – das bestätigen die Meinungsumfragen, meine sehr geehrten Damen und Herren – wird von der österreichischen Bevölkerung nicht honoriert. Es wird honoriert, daß die Regierung, gemeinsam mit Vertretern von Bundesländern – konkret waren Vorarlberg und Burgenland dabei vertreten – und in enger Abstimmung mit den Sozialpartnern, in kurzer Zeit ein derartiges Konsolidierungsprogramm erarbeitet hat. Die österreichische Bevölkerung weiß, daß das zur Sicherung unserer Zukunft notwendig ist.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die österreichische Bevölkerung weiß auch Bescheid über die Ausgewogenheit dieses Paketes. Hier bitte ich insbesondere um Verständnis, wenn es zum Beispiel um die Frage der verfassungsmäßigen Absicherung von Wirksamkeiten zum 15. Februar oder ähnliches geht.

Meine Damen und Herren! Wenn wir in eineinhalb Jahren unser wirtschaftspolitisches Ziel erreichen wollen, nämlich ein starkes und selbständiges Österreich in eine Währungsunion zu führen, damit wir als kleines, exportabhängiges Land nicht wieder von den Zufälligkeiten, von Währungsspekulationen und ähnlichem abhängig sind, ist es notwendig, diese Maßnahmen in kurzer Zeit umzusetzen. Es ist notwendig, in 20 Monaten etwa die Hälfte des Defizits aller Haushalte – des Bundeshaushaltes, der Länderhaushalte und der Gemeindehaushalte – zu reduzieren.

Gerade hier im Bundesrat gebührt den Vertretern der Länder und der Gemeinden großer Dank, denn sie haben sich mitverpflichtet, im Rahmen dieses Finanzausgleichsgesetzes – mit einem entsprechenden Konsultationsmechanismus abgesichert –, dieses ehrgeizige Ziel tatsächlich auch gemeinsam, mit gemeinsamen Anstrengungen, zu erreichen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Niemandem kann es in Wirklichkeit Glück oder Freude bereiten, wenn es notwendig ist, zum Beispiel im Bereich der Arbeitnehmer durchaus auch in bestehende Rechtsgeschäfte einzugreifen oder jemandem, der beispielsweise vor 20 Jahren in den öffentlichen Dienst eingetreten ist und Beamter wurde, aus einem bestimmten Rechtsverhältnis und Rechtsverständnis heraus nun zu sagen: Wenn du vor dem 60. Lebensjahr in Pension gehst, dann mußt du 2 Prozent Abschlag pro Jahr – ausgenommen bei Berufskrankheit und Berufsunfall – in Kauf nehmen.

Wenn es zulässig ist, einer Frau, die ein Kind erwartet, die also bereits gravid ist, zu sagen, ab 1. Juli gibt es nur noch für einen Elternteil 18 Monate bezahlte Karenz, dann muß es auch im Bereich der Firmen zulässig sein, in das laufende Rechtsgeschäft einzugreifen.

Verstehen Sie bitte, mir als Wirtschaftsmann macht das ebensowenig Freude, genauso wie es mir keine Freude macht, zum Beispiel jemandem, der vor 15 Jahren eine Krankenversicherung abgeschlossen hat, jetzt zu sagen, du kannst deine Sonderausgaben plötzlich nur noch zu einem Viertel und nicht mehr zur Hälfte absetzen.

Verstehen Sie bitte aber auch, daß es aber aus ebendiesen Gründen, weil es ausbalanciert ist, von der österreichischen Bevölkerung akzeptiert wird. Selbstverständlich haben die verschiedenen Interessengruppen ihre Beschwerden, ihre Anregungen, ihre Forderungen. Ich habe das alles von vielen Seiten wochenlang, meine sehr geehrten Damen und Herren, gehört. Und nur deshalb, weil diese Ausbalanciertheit nicht verletzt wird, wird es von der österreichischen Bevölkerung akzeptiert.


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Es wird daher – nicht in österreichischen Zeitungen – zum Beispiel in der jüngsten Länderprüfung des Internationalen Währungsfonds die Art dieses Konsolidierungsprogrammes als ausgewogen, notwendig und beispielhaft für die internationale Staatengemeinschaft dargestellt. Wenn Sie von der "Zeit" bis zur "Financial Times" die internationalen Zeitungen lesen, werden Sie merken, daß Österreich in diesem Punkt für viele europäische Länder als beispielhaft gilt, weil wir die nötigen Maßnahmen mit dem nötigen sozialen Augenmaß und der nötigen sozialen Ausgewogenheit durchführen.

Was die einzelnen angesprochenen Punkte im Bereich der Familien betrifft, muß man selbstverständlich klipp und klar sagen: Das sind Sparmaßnahmen! Da ist keine Gleichberechtigung oder kein gesellschaftsrechtlicher Ansatz dahinter, wenn wir plötzlich das Karenzurlaubsgeld auf eineinhalb Jahre für einen Elternteil beschränken. Natürlich kann es auch in diese Richtung wirken. Aber der Grund dafür ist das Sparen.

Sehr geehrter Herr Bundesrat Pischl! Ich möchte hier näher auf einen Punkt eingehen: Ich glaube, es war sehr lehrreich und auch ein Grund für die Akzeptanz, daß es die österreichische Bundesregierung vermieden hat, mit Parteifingern aufeinander zu zeigen. Sie hat vermieden, zu sagen, das wollte die ÖVP, und jenes hat die SPÖ gerade noch verhindern können oder umgekehrt. Darum bin ich nicht sehr erfreut – das sage ich Ihnen ganz offen –, wenn Sie zum Beispiel erwähnen, daß x Millionen Schilling für Beratungsleistungen und Vorsorge für Familienforschung gefordert wurden und das vom Finanzministerium abgelehnt wurde.

Ich hätte nichts dagegen gehabt, wenn diese Leistungen aus dem bestehenden Budget durch Umschichtungen erbracht würden. Aber verstehen Sie, daß ich, wenn es vorher bereits eine Vereinbarung mit allen Ministerkollegen über ein bestimmtes Budgetvolumen gegeben hat, nicht gerade in einem Fall – denn da gäbe es genauso viele gute Gründe in anderen Fällen – von dem absoluten Budgetvolumen abweichen kann. Es geht hier um interne Umschichtungen. Diese wären jederzeit möglich gewesen. (Zwischenruf des Bundesrates Pischl. )

Ich könnte jetzt mindestens 10 Minuten lang erzählen – Frau Kollegin Rösler hat das bereits getan –, wo gerade noch Dinge von der SPÖ verhindert wurden oder wo wir etwas zur Kenntnis nehmen mußten. Denn eines ist Ihnen allen klar: Es handelt sich hier um einen Kompromiß zwischen zwei unterschiedlichen Parteien. Die ÖVP und die SPÖ haben ihre eigene Weltanschauung, ihren eigenen Standpunkt, haben aber trotzdem zu einem sehr guten Kompromiß zusammengefunden.

Wir würden uns, glaube ich, keinen guten Dienst erweisen, wir würden nur der Opposition einen guten Dienst erweisen, wenn wir jetzt wieder anfangen, uns gegenseitig die einzelnen Teile dieses Paketes in der Öffentlichkeit vorzuwerfen. (Beifall bei der SPÖ.)

Ich kann Ihnen nur anbieten, daß wir das, was wir in einer sehr guten und sehr engen Zusammenarbeit und intensiven Diskussion erreicht haben, auch in Zukunft fortsetzen, wobei selbstverständlich die engagierten und intensiven Beratungen im Nationalrat und im Bundesrat wieder verstärkt werden sollten.

In Summe, meine sehr geehrten Damen und Herren, wird dieser Weg mit diesem Strukturanpassungsgesetz, mit den begleitenden Maßnahmen der österreichischen Bundesregierung zur Beschäftigungsoffensive beispielhaft sein, so wie er auch in Österreich in den letzten Jahrzehnten durch die drei Eckpfeiler, nämlich eine produktivitätsorientierte Lohnpolitik, eine Hartwährungspolitik im Bereich der Geldpolitik und eine sehr vernünftige und verantwortungsbewußte Fiskalpolitik durch Zusammenarbeit der Sozialpartner, beispielhaft war.

Ich verstehe, daß die Damen und Herren der Opposition mit dieser geschlossenen und entschlossenen Haltung der Regierungsparteien und der Sozialpartner wenig Freude haben. Aber es ist für Österreich. – Danke. (Beifall bei der SPÖ.)


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17.12

Vizepräsident Dr. Drs h. c. Herbert Schambeck: Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Alfred Gerstl. Ich erteile es ihm.

17.12

Bundesrat Alfred Gerstl (ÖVP, Steiermark): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Minister! Meine Damen und Herren! Wenn ich diesem Strukturanpassungsgesetz meine Zustimmung gebe, so gilt diese nicht für eine eventuelle Handelsspannenkürzung bei den Trafikanten, die durch die Änderung des Tabaksteuergesetzes hervorgerufen wird und die die Trafikanten sehr beunruhigt.

Dieses Tabaksteuergesetz soll zur Budgetkonsolidierung mit zusätzlichen Tabaksteuereinnahmen in der Höhe von rund 1,2 Milliarden Schilling jährlich wirksam werden – dies zu einem Teil durch Handelsspannensenkung für Tabakwaren im Einzelhandel. Die über 10 000 österreichischen Tabaktrafikanten – darunter fast 3 500 Tabakfachgeschäftsinhaber mit ihren Familien und Mitarbeitern, das sind insgesamt also zirka 50 000 Österreicher, die durch den Tabakwarenkleinhandel ihre Existenz bestreiten – tragen wie alle Bürger ihren Anteil zum Sparpaket bei. Zahlreiche Kriegsinvalide, Opferbefürsorgte, Zivilbehinderte und deren Familienangehörige haben über den Tabakwareneinzelhandel eine bescheidene Existenz gefunden, die bei weiterer Senkung der derzeit ohnehin geringen Handelsspanne gefährdet ist.

Es ist nicht gerechtfertigt, wenn neben einer Erhöhung der Tabaksteuer, die heute bereits in Verbindung mit der Mehrwertsteuer mit 73 Prozent vom Verkaufspreis bei Zigaretten die höchste Steuerbelastung in allen EU-Ländern darstellt, nun auch noch die Handelsspanne der Trafikanten gesenkt werden soll.

Die Handelsspanne betrug ohne Umsatzsteuer bis zur Einführung der Mehrwertsteuer, also bis 1972, für Fachgeschäfte 16,08 Prozent vom Verkaufspreis. Nach Einführung der Mehrwertsteuer wurde sie zwar nicht, wie von Kamitz seinerzeit versprochen, auf 17 Prozent ohne Umsatzsteuer angehoben, sondern von Androsch auf 16,40 Prozent erhöht, nachdem Androsch sehr wohl die Leistung und Funktion dieses Vertriebsapparates hoch bewertet und anerkannt hat.

Eine zweimalige Mehrwertsteuererhöhung seit 1973 von 16 Prozent auf 18 Prozent und von 18 Prozent auf 20 Prozent in Verbindung mit einer Handelsspannenkürzung senkte die Handelsspanne auf den nicht mehr gerechtfertigten Tiefstand von 15,42 Prozent ohne Mehrwertsteuer. Nun soll die Höhe der Handelsspanne, nachdem sie bereits weit unter jene vor dem Jahre 1973 gewährte leistungsgerechte Handelsspanne gesunken ist, weiterhin drastisch gesenkt werden.

Diese Senkung der Handelsspanne wäre aber auch das Ende zahlreicher Trafiken, die derzeit ihr Geschäft vor allem an Bahnhöfen betreiben, denn die Pacht auf Bahnhöfen wird vom Umsatz berechnet. Würde die Handelsspanne nun gekürzt werden und die Bundesbahn, wie vorgesehen, die Miete ab Juli um 40 Prozent erhöhen, bedeutet dies in manchen Fällen einen Quadratmeterpreis – jetzt hören Sie genau zu! – von bis zu 3 000 S monatlich. Summa summarum ergibt dies bei den Trafiken, die ja über 100 Stunden geöffnet haben und daher sehr personalintensiv arbeiten, eine Mietenbelastung von zwischen 300 000 S bis 500 000 S jährlich. Das kommt einer nach dem Monopolgesetz verbotenen Geschäftsbeteiligung gleich oder, anders ausgedrückt, macht den Verdacht des Mietwuchers augenscheinlich, der bekanntlich Existenzen vernichtet.

Ich ersuche daher die politisch Verantwortlichen aller befaßten Gremien, vor allem die Regierungsmitglieder, erstens dafür Sorge zu tragen, daß, wenn die Tabaksteuer erhöht wird, die Durchschnittshandelsspanne für Zigaretten für Tabakfachgeschäfte prozentuell nicht unter das Niveau von 1994 gesenkt wird, und das sind 15,42 Prozent vom Verkaufspreis ohne Mehrwertsteuer. Selbst wenn es notwendig wäre, die Aufteilungsvereinbarung des Wirtschaftsnutzens zwischen der Tabakindustrie und dem Einzelhandel zugunsten des Einzelhandels abzuändern, wäre dieser Schritt richtig.

Zweitens ersuche ich Sie, Ihren maßgeblichen Einfluß dahin gehend geltend zu machen, daß das Pachtentgelt der auf den Bundesbahnhöfen befindlichen Trafiken, unabhängig von der Höhe der Umsätze, durch ein Höchstlimit beschränkt wird, sodaß die Bundesbahnbeteiligung


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am Umsatz der Trafiken das Höchstlimit des Pachtzinses – das sind monatlich 1 500 S pro Quadratmeter des zur Verfügung gestellten Lokales – nicht übersteigt. 1 500 S Miete pro Quadratmeter ist wirklich ein sehr stattlicher Preis.

Es wäre viel sinnvoller, würden wirksame Maßnahmen gegen die an den Grenzen Österreichs etablierten Duty-free-Shops ergriffen werden, damit die derzeitigen jährlichen Verluste an Tabaksteuereinnahmen von weit über 2 Milliarden Schilling wieder in den österreichischen Staatssäckel fließen. Damit hätte man sich die Änderung des Tabaksteuergesetzes komplett ersparen können.

Es wundert mich, daß seitens des Herrn Sozialministers kein Einspruch gegen eine eventuelle Einkommensverminderung behinderter Trafikanten durch den Punkt 52 des Strukturkonzeptes erfolgte, denn wie erwähnt haben viele Behinderte eine Existenz in diesem Berufsstand gefunden, die ohnehin bescheiden ist und die Hilfe beansprucht. Wenn zahlreiche Trafikanten ihre Existenz verlieren, wird das Budget durch Sozialleistungen belastet werden.

Im übrigen widersprechen solche eventuellen Auswirkungen meiner politischen Zielvorstellung und wirtschaftspolitischen Ideologie, die mich motiviert, mich für die Erhaltung des kleinstrukturierten, nahversorgenden Einzelhandels mit seinem gesellschafts- und wirtschaftspolitischen Nutzen, das heißt für die Klein- und Mittelbetriebe, für die privatwirtschaftlichen Betriebe, einzusetzen. Daher ist in meiner Zustimmung zu diesem Gesetz eine Handelsspannenkürzung für den Tabakwareneinzelhandel nicht inkludiert. (Beifall bei der ÖVP.)

17.20

Vizepräsident Dr. Drs h. c. Herbert Schambeck: Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Karl Pischl. Ich erteile es ihm.

17.20

Bundesrat Karl Pischl (ÖVP, Tirol): Herr Präsident! Herr Bundesminister! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte nur einen Punkt nicht im Raum stehen lassen, Herr Bundesminister, den Sie zuvor angesprochen haben. Es hat so geklungen, als ob man sich zu diesem Konsolidierungsbudget nicht bekennen würde oder man gewisse Schuldzuweisungen zwischen den Parteien hin- und herschiebt. Wenn dieser Eindruck entstanden ist, möchte ich mich dafür entschuldigen, das wollte ich nicht. (Bundesminister Mag. Klima macht beschwichtigende, versöhnende Handbewegungen.)

Ich bin davon ausgegangen, daß Überlegungen, die die Familien treffen, jetzt einer verstärkten Beratungstätigkeit bedürfen, und ich bin weit davon entfernt, budgetrelevante Forderungen zu stellen. Meine Überlegung war, daß man aus dem Familienlastenausgleichsfonds – hier wären sicherlich Umschichtungen möglich gewesen und sind es wahrscheinlich auch in der Zukunft – etwas mehr Geld – ich kapriziere mich jetzt nicht auf die 20 oder 30 Millionen – für die Familienberatung beziehungsweise auch für die Familienforschung aus dem Fonds zur Verfügung stellen könnte.

Denn nur so können wir – das ist jetzt meine persönliche Meinung – all dem, was heute auch Kollegin Rösler hier gesagt hat, gerecht werden, was in Zukunft vielleicht an Fragen aus den Familien kommt, um nicht wieder neue Instanzen schaffen zu müssen. Für mich sind solche Fragen keine Gerichtsfragen, sondern einfach Beratungsfragen, und ich hoffe, daß auch das Verständnis der Eltern oder der betreffenden Personen dafür so groß ist, daß man diese Einrichtung in der Zukunft annimmt. Um nichts anderes, Herr Bundesminister, ist es mir gegangen und schon gar nicht darum, daß die ÖVP das durchgebracht hat und die SPÖ das verhindert hat et cetera. In diesem Sinne und im Sinne unseres Vaterlandes hoffe ich auf eine entsprechende Zusammenarbeit in der nächsten Zeit. – Danke. (Beifall bei der ÖVP.)


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612. Sitzung / Seite 105

17.23

Vizepräsident Dr. Drs h. c. Herbert Schambeck: Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Engelbert Weilharter. Ich erteile es ihm.

17.23

Bundesrat Engelbert Weilharter (Freiheitliche, Steiermark): Herr Präsident! Herr Bundesminister! Meine Damen und Herren! Die Wortmeldung aus den Reihen der sozialdemokratischen Fraktion, aber vor allem auch die Stellungnahme ihrer Familienministerin haben mich veranlaßt, doch ein paar Dinge hier im Bundesrat klarzustellen, klarzustellen insofern, Frau Kollegin Rösler, als der Versuch allein nicht angehen kann, das Zusammenleben zweier Menschen zu reglementieren, einer gesetzlichen Voraussetzung zu unterwerfen.

Ich verwahre mich dagegen aus folgendem Grund. Ich glaube, das Zusammenleben oder eine partnerschaftliche Beziehung haben die jeweiligen Betroffenen in beiderseitigem Einvernehmen selbst zu lösen, und das wird sich gesetzlich nicht reglementieren lassen.

Sie haben in Ihren Ausführungen schon einen Widerspruch in sich, indem Sie Ihrer Frau Ministerin Konrad das Wort reden und ihr Stirn bieten, jedoch gleichzeitig für die Abschaffung der Bezirksgerichte plädieren. (Bundesrätin Schicker: Bitte erklären Sie mir die Beziehung des Bezirksgerichtes!)

Meine Damen und Herren! Das ist eine Doppelbödigkeit und Janusköpfigkeit, und zwar insofern, als es nicht funktionieren kann, gesetzliche Regelungen zu schaffen und gleichzeitig den Bürgern den Zugang zum Recht zu verwehren. Ich bezeichne dies als eine Doppelmoral oder als eine janusköpfige Strategie. (Bundesrat Konečny: Es steht vor allem nicht auf der Tagesordnung!)

Da wir, meine Damen und Herren, bereits beim Thema Bezirksgerichte sind, obwohl das nicht das General- oder Hauptthema heute ist, sage ich Ihnen offen, daß ich meine Bedenken dagegen hege, wenn man versucht, die kleinen Bezirksgerichte aus irgendwelchen Gründen aufzulösen, denn dieser Schritt, dieser Versuch birgt erstens die Gefahr, daß den peripher wohnenden Menschen der Zugang zum Recht erschwert, wenn nicht sogar verweigert wird, und zweitens wird es aufgrund Ihrer Intention nach der Auflösung von Bezirksgerichten sicherlich erschwert, in der Zukunft einen außergerichtlichen Vergleich zu schließen.

Sie haben die Auslastung der Bezirksgerichte angesprochen. (Bundesrätin Schicker: Wie viele Stunden hat der Richter Arbeit in Ihrem Bezirksgericht?)

Liebe Frau Kollegin! Nun zu den Zahlen, die Sie angesprochen haben. Die Auslastung eines Bezirksrichters, ob es jetzt eine oder zwei Stunden sind, ist nicht entscheidend. Entscheidend ist der Aspekt, daß jeder Richter – ich habe Respekt vor den österreichischen Richtern – vor Eingang in jede Verhandlung bemüht ist, einen außergerichtlichen Vergleich zu erzielen. Dieser außergerichtliche Vergleich jedes Richters ist in Ihrer Statistik ja nicht eingerechnet, daher ist die Zahl, die Sie betreffend die Beschäftigungszeit anführen, falsch.

Dritter Punkt: Es kann nicht angehen, daß Bezirksgerichte aufgelöst werden. Die Bevölkerung hat ein Recht darauf, Rechtsauskünfte zu erhalten. Rechtsauskünfte zu erhalten bedeutet wiederum, daß bei einer Rechtsunsicherheit der Richter kontaktiert werden kann, daß der Bürger also zum Gericht gehen kann, um die entsprechende Auskunft einzuholen.

Ihr Argument, daß Amtstage des Gerichtsvorstehers oder des Richters dezentral durchgeführt werden, ist deshalb nicht plausibel, weil erstens mit dem Reisen der Richter natürlich auch Kosten verbunden sind und sich zweitens selbstverständlich auch die Verfahrenskosten verteuern, wenn ein Verfahren – nach Zusammenlegung der Gerichte – außerhalb des Wohnortes geführt wird. (Bundesrätin Haselbach: Würden Sie endlich zur Tagesordnung sprechen!) Die Verfahrenskosten schnellen auch deshalb in die Höhe, weil jeder Mandant seiner Rechtsvertretung auch die Reisekosten zu bezahlen hat.

Nun, meine Damen und Herren, zum eigentlichen Punkt der heutigen Tagesordnung (Bundesrätin Crepaz: Zeit wird’s! – Beifall des Bundesrates Konečny ), zu den Strukturanpassungsgesetzen. Meine Damen und Herren! Vieles ist schon von meiner Fraktion gesagt und völlig richtig erkannt worden, doch will ich noch eine Facette in diesem Haus ansprechen.


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Der Finanzminister hat in seinen Ausführungen den Bereich der privaten Vorsorge angesprochen. Wir wissen, daß in diesen Strukturanpassungsgesetzen ein Eingriff in den Bereich der Sonderausgaben erfolgt, und zwar betreffend die private Vorsorge.

Man könnte, was diesen gesamten Komplex betrifft, durchaus in manchen Punkten auf einen Nenner kommen. Nur eines, meine Damen und Herren, hat diese Koalitionsregierung in diesem Strukturanpassungsgesetz sehr wohl übersehen: nämlich eine große Gruppe von Menschen, für die niemand in diesem Staat Vorsorge trifft, das sind unsere Witwen und Waisen.

Wenn jemand eine private Vorsorge in Form einer Pensionsversicherung trifft, dann hat er jetzt bis 1.6.1996 noch die bedingte Möglichkeit einer steuerlichen Begünstigung. Wenn jemand eine private Vorsorge zur persönlichen Kapitalbildung trifft, dann ist die steuerliche Absetzbarkeit beinahe nicht mehr gegeben. Bedenken Sie aber, meine Damen und Herren, daß die privaten Vorsorgen und diese privaten Kapitalversicherungen deshalb abgeschlossen und vereinbart werden, weil sich die Leute ihrem Partner, ihrer Familie gegenüber verpflichtet fühlen.

Sie wissen ganz genau, meine Damen und Herren, daß der Sozialgesetzgeber bei den von ihm verfaßten Sozialgesetzen sehr wohl zwischen einem Arbeits- und einem Freizeitunfall unterscheidet. Gerade die Gruppe jener Witwen und Waisen, deren Partner, deren Familienvorstand, deren Familienmitglied in einem Freizeitunfall verwickelt ist und dabei tödlich verunglückt, fällt wieder einmal durch den Rost. (Bundesrätin Kainz: Wieso?)

Weil ein Unterschied zwischen dem Arbeits- und Freizeitunfall besteht, Frau Kollegin! Wenn jemand in der Freizeit verunglückt und er zuvor kapitalbildende Maßnahmen in Form einer Kapitalversicherung getroffen hat, dann ist die steuerliche Begünstigung zur Gänze abgeschafft. (Bundesrätin Kainz: Das ist nicht Zielsetzung der sozialen Versorgung!) Das, meine Damen und Herren, schafft eine dritte Kaste in dieser Republik, die wiederum aufgrund dieses Strukturpaketes benachteiligt ist. (Beifall bei den Bundesräten Dr. Kapral und Dr. Tremmel. )

Meine Damen und Herren! Das ist eine weitere Facette, die uns freiheitliche Fraktion sicherlich dazu veranlaßt, diesen Strukturmaßnahmen unsere Zustimmung zu verweigern. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

17.30

Vizepräsident Dr. Drs h. c. Herbert Schambeck: Zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Michaela Rösler. Ich erteile es ihr.

17.30

Bundesrätin Michaela Rösler (SPÖ, Steiermark): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich kann mich einfach nicht zurückhalten, ich muß jetzt noch einmal etwas dazu sagen. Ich glaube, die Diskussion bezüglich der Gerichte werden wir das nächste Mal noch fortführen. Ich weiß eines genau, lieber Kollege Weilharter, daß du selbst nicht alles glaubst, was du da vom Rednerpult aus erzählt hast. (Beifall und ironische Heiterkeit bei der SPÖ.)

Diese Argumente wie zum Beispiel das letzte, das du hier gebracht hast, die Reisekosten der Rechtsanwälte, ist nicht stichfest. Wir können ja bitte nicht davon ausgehen, daß immer der Rechtsanwalt am Gerichtsstandort ist. Wir wissen, daß es in Oberwölz nicht einmal einen Rechtsanwalt gibt. Wenn in Oberwölz eine Verhandlung ist, kommt der Rechtsanwalt immer von Murau oder von Neumarkt, er muß also sowieso dort hinfahren, und wenn einmal die Verhandlung in Murau wäre, würde das wegfallen. Ich glaube, das sind Argumente, die man da nicht heranziehen soll. Aber wir werden das das nächste Mal noch ausdiskutieren.

Der zweite Grund, warum ich mich jetzt noch einmal zu Wort melden mußte, ist noch einmal die zuvor erwähnte familienrechtliche Problematik beziehungsweise die Frauendiskriminierung der Alleinstehenden, der Alleinerzieherinnen.

Ich glaube, Kollege Pischl, wir würden uns in der gesamten Diskussion wesentlich leichter tun, sei es jetzt, was die Familienberatungsstelle beziehungsweise die ganze Karenzurlaubsgeschichte, die ganze Diskriminierungsangelegenheit betrifft, wenn sich die ÖVP einmal dazu be


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kennen würde, vom konservativen Standpunkt der Familie oder vom konservativen Blickpunkt Familie Vater, Mutter, Kind abzugehen und auch eine Ein-Eltern-Familie, also Vater-Kind beziehungsweise Mutter-Kind als gleichwertige Familie behandeln würde. (Zwischenrufe der Bundesräte Mag. Himmer und Pischl. ) Dann könnten wir gesellschaftspolitisch wirklich etwas weiterbringen und uns wesentlich leichter verständigen. – Danke. (Beifall bei der SPÖ.)

17.32

Vizepräsident Dr. Drs h. c. Herbert Schambeck: Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Es ist dies nicht der Fall.

Die Debatte ist geschlossen.

Wird vom Herrn Berichterstatter ein Schlußwort gewünscht? – Das ist nicht der Fall.

Hoher Bundesrat! Wir kommen zur Abstimmung über den Beschluß des Nationalrates vom 19. April 1996 betreffend Strukturanpassungsgesetz 1996:

Bundesverfassungsgesetz, mit dem das Endbesteuerungsgesetz geändert wird; Bundesverfassungsgesetz, mit dem das Finanz-Verfassungsgesetz 1948 geändert wird; Bundesgesetz über eine Einmalzahlung für den öffentlichen Dienst in den Jahren 1996 und 1997; Bundesgesetz betreffend die Finanzierung von Bundesstraßen (Bundesstraßenfinanzierungsgesetz 1996); Bundesgesetz, mit dem eine Abgabe auf die Lieferung und den Verbrauch elektrischer Energie eingeführt wird (Elektrizitätsabgabegesetz); Bundesgesetz, mit dem eine Abgabe auf die Lieferung und den Verbrauch von Erdgas eingeführt wird (Erdgasabgabegesetz); Bundesgesetz über die Vergütung von Energieabgaben (Energieabgabevergütungsgesetz); Bundesgesetz, mit dem der Finanzausgleich für die Jahre 1997 bis 2000 geregelt wird und sonstige finanzausgleichsrechtliche Bestimmungen getroffen werden (Finanzausgleichsgesetz 1997); Bundesgesetz über Maßnahmen zur Vorbeugung und Beseitigung von Katastrophenschäden (Katastrophenfondsgesetz 1996); Bundesgesetz über die Errichtung einer Schieneninfrastrukturfinanzierungsgesellschaft (Schieneninfrastrukturfinanzierungsgesetz); Bundesgesetz über die Einrichtung und Aufgaben der Post und Telekom Austria Aktiengesellschaft (Poststrukturgesetz); Bundesgesetz, mit dem das Beamten-Dienstrechtsgesetz 1979, das Gehaltsgesetz 1956, das Vertragsbedienstetengesetz 1948, das Pensionsgesetz 1965, das Nebengebührenzulagengesetz, das Bundestheaterpensionsgesetz, das Richterdienstgesetz, die Bundesforste-Dienstordnung 1986, das Bundeslehrer-Lehrverpflichtungsgesetz, das Landeslehrer-Dienstrechtsgesetz 1984, das Land- und forstwirtschaftliche Landeslehrer-Dienstrechtsgesetz 1985, das Bezügegesetz, das Verfassungsgerichtshofgesetz 1953, das Dorotheumsgesetz, das Pensionsreform-Gesetz 1993, das Karenzurlaubsgeldgesetz, das Bundes-Personalvertretungsgesetz, die Europa-Wahlordnung, das Parteiengesetz, das Bundesgesetz über die Förderung politischer Bildungsarbeit und Publizistik 1984, das Bundesministeriengesetz 1986, das Bundespflegegeldgesetz, das Behinderteneinstellungsgesetz, das Arbeitslosenversicherungsgesetz 1977, das Karenzurlaubszuschußgesetz, das Arbeitsmarktpolitikfinanzierungsgesetz, das Betriebshilfegesetz, das Karenzurlaubserweiterungsgesetz, das Bauarbeiter-Schlechtwetterentschädigungsgesetz 1957, das Sonderunterstützungsgesetz, das Arbeitsmarktservicegesetz, die Gewerbeordnung 1994, das Ausländerbeschäftigungsgesetz, das Aufenthaltsgesetz, das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz, das Gewerbliche Sozialversicherungsgesetz, das Bauern-Sozialversicherungsgesetz, das Freiberufliche Sozialversicherungsgesetz, das Beamten-Kranken- und Unfallversicherungsgesetz, das Einkommensteuergesetz 1988, das Körperschaftsteuergesetz 1988, das Umgründungssteuergesetz, das Steuerreformgesetz 1993, das Umsatzsteuergesetz 1994, das Normverbrauchsabgabegesetz 1991, das Bewertungsgesetz 1955, das Grundsteuergesetz 1995, das Erbschafts- und Schenkungssteuergesetz 1955, das Versicherungssteuergesetz 1953, das Kraftfahrzeugsteuergesetz 1992, das Mineralölsteuergesetz 1995, das Tabaksteuergesetz 1995, das Alkohol – Steuer und Monopolgesetz 1995, das Glücksspielgesetz, das Bundesfinanzierungsgesetz, die Bundesabgabenordnung, das Finanzstrafgesetz, das EG-Vollstreckungsamtshilfegesetz, das BIG-Gesetz, das Finanzausgleichsgesetz 1993, das Wohnbauförderungs-Zweckzuschußgesetz 1989, das Sicherheitspolizeigesetz, das Bundesgesetz über den Schutz vor Straftaten gegen die Sicherheit von Zivilluftfahrzeugen, die Straßenverkehrsordnung 1960, das Polizeibefugnis-Ent


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schädigungsgesetz, das Versammlungsgesetz 1953, das Familienlastenausgleichsgesetz 1967, das Gerichtsgebührengesetz, das Gerichtliche Einbringungsgesetz 1962, das Gerichtsorganisationsgesetz 1945, die Exekutionsordnung, die Strafprozeßordnung 1975, das Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz, das Wehrgesetz 1990, das Heeresgebührengesetz 1992, das Militär-Auszeichnungsgesetz, das Auslandseinsatzgesetz, das Bundesgesetz über die Bundesämter für Landwirtschaft und die landwirtschaftlichen Bundesanstalten, das Weingesetz 1985, das Umweltförderungsgesetz, das Altlastensanierungsgesetz, das Unterrichtspraktikumsgesetz, das Studienförderungsgesetz 1992, das Bundesgesetz über die Abgeltung von Lehr- und Prüfungstätigkeiten an Hochschulen, das Eisenbahngesetz 1957, das Bundesbahngesetz 1992, das Fernmeldegesetz 1993 und das Bundesgesetz über die Verkehrs-Arbeitsinspektion 1994 geändert werden.

Ich bitte jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den vorliegenden Beschluß des Nationalrates, soweit dieser dem Einspruchsrecht des Bundesrates unterliegt, keinen Einspruch erheben, um ein Handzeichen. – Es ist dies die Stimmenmehrheit .

Der Antrag, keinen Einspruch zu erheben, ist somit angenommen .

2. Punkt

Beschluß des Nationalrates vom 20. März 1996 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Berggesetz 1975 geändert wird (7/A und 68/NR sowie 5150/BR der Beilagen)

Vizepräsident Dr. Drs h. c. Herbert Schambeck: Hoher Bundesrat! Wir gelangen nun zum 2. Punkt der Tagesordnung: Bundesgesetz, mit dem das Berggesetz 1975 geändert wird.

Die Berichterstattung hat Herr Bundesrat Gottfried Waldhäusl übernommen. Ich ersuche um die Berichterstattung. – Er ist nicht da. Der Herr Obmann übernimmt daher die Berichterstattung.

Berichterstatter Mag. Dieter Langer: Sehr geehrte Damen und Herren! Ich darf unter gleichzeitiger Entschuldigung für die Abwesenheit des Herrn Bundesrates Waldhäusl als Obmann des Wirtschaftsausschusses den Bericht des Ausschusses bringen.

Der gegenständliche Gesetzesbeschluß des Nationalrates beruht auf einem Initiativantrag der Abgeordneten Arnold Grabner und Genossen und wurde von den Antragstellern wie folgt begründet:

Um den Gemeinden eine verstärkte Mitwirkung bei der Erteilung von Gewinnungsbewilligungen zu ermöglichen, soll ihnen in den ihnen im eigenen Wirkungsbereich zur Vollziehung zukommenden Angelegenheiten die Stellung einer Formalpartei eingeräumt werden. Im vorliegenden Zusammenhang kommen hiefür die den Gemeinden im eigenen Wirkungsbereich zur Vollziehung zukommenden Angelegenheiten der Gesundheitspolizei, des Umweltschutzes und der Raumplanung in Betracht. Dementsprechend würde sich die Formalparteistellung der Länder auf den Gebieten der Raumordnung und des Umweltschutzes bei Erteilung von Gewinnungsbewilligungen auf die Angelegenheiten zu beschränken haben, die nicht in den örtlichen Wirkungsbereich der Gemeinden fallen, das heißt auf die überörtliche Raumplanung und den allgemeinen Umweltschutz. Bewirkt werden soll die Formalparteistellung der Gemeinden durch eine Neufassung des § 98 Abs. 2 und eine Ergänzung des § 100 Abs. 3 des Berggesetzes 1975. Entsprechend wäre auch der § 260 des Berggesetzes 1975 im Hinblick auf Artikel 118 Abs. 2 letzter Satz B-VG zu fassen.

Die Zuständigkeit des Bundes zur Erlassung der Novelle stützt sich grundsätzlich auf den Kompetenztatbestand "Bergwesen" des Artikels 10 Abs. 1 Z 10 des B-VG.

Die Novelle wird voraussichtlich keine Erhöhung des Sachaufwandes zufolge haben und auch keine Vermehrung des Personalstandes erfordern. Nach derzeitigem Kenntnisstand gibt es keine den Gegenstand der Novelle betreffenden spezifischen EG- beziehungsweise EU-Rechts


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vorschriften. Die in der Novelle vorgesehenen Regelungen sind demnach als EU-konform anzusehen.

Der Wirtschaftsausschuß faßte am 26. März 1996 gemäß § 32 Abs. 2 lit. g GO-BR mit Stimmenmehrheit den Beschluß, die Verhandlungen über die Änderungen des Berggesetzes 1975 zu vertagen.

Der Wirtschaftsausschuß stellt nach Beratung der Vorlage am 26. März und am 23. April 1996 mit Stimmeneinhelligkeit den Antrag , keinen Einspruch zu erheben.

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach (den Vorsitz übernehmend): Ich danke für den Bericht und bitte Herrn Bundesrat Rieser, das Wort zu nehmen.

17.41

Bundesrat Peter Rieser (ÖVP, Steiermark): Sehr verehrte Frau Präsidentin! Herr Bundesminister! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die vorliegende Novelle zum Berggesetz wurde im Nationalrat am 20.3.1996 beschlossen und soll heute hier vom Bundesrat verabschiedet werden.

Wir haben vorhin vom Berichterstatter gehört, daß dieser Initiativantrag auch das Ergebnis langwieriger Verhandlungen ist und die Einräumung der Stellung einer Formalpartei für die den Gemeinden im eigenen Wirkungsbereich zur Vollziehung zukommenden Angelegenheiten darstellt. Natürlich ist das nur ein Schritt, aber der erste Schritt in die richtige Richtung. Es ist auch ein Kompromiß, aber ich bin zuversichtlich, daß sich gerade das Hohe Haus in Zukunft mit dieser Materie noch auseinandersetzen wird.

Besonders im Bereich der Gesundheitspolizei, des Umweltschutzes und der Raumplanung hat die Gemeinde kraft der Gesetze die Verpflichtung, im Interesse der Bürger tätig zu sein. Es gibt nur wenige Gesetze, die so massiv in die Gemeindeautonomie eingreifen wie das Berggesetz. Die Einbeziehung von Schotter und Kies in das Bergrecht kann daher nicht der Weisheit letzter Schluß sein.

Als langjähriger Bürgermeister, der mit dieser Gesetzesmaterie oft kontaktiert wurde, hatte ich großteils negative Erfahrungswerte, weil ich die Interessen der Bürger nicht entsprechend wahrnehmen konnte. Das örtliche Entwicklungskonzept, das vom jeweiligen Gemeinderat beschlossen wurde, fließt nun endlich als Grundlage im Anhörungsverfahren in die Entscheidung ein. Selbstverständlich haben sich auch die anderen, unter anderem die Länder, in deren Gebieten die begehrten Abbaufelder liegen, mit der Erteilung der Gewinnungsbewilligung im Bereich des Naturschutzes, der Raumordnung, insbesondere aber im Bereich des Fremdenverkehrs und des Umweltschutzes auseinanderzusetzen.

Hohes Haus! Der ländliche Raum prägt das Bild Österreichs entscheidend. Der ländliche Raum ist Wohn-, Arbeits- und Lebensraum für mehr als die Hälfte der österreichischen Bevölkerung. Der Trend zum Leben auf dem Land ist eine Folge des in den letzten Jahrzehnten erfolgreich vollzogenen Strukturwandels im ländlichen Raum. Ziel dieser Novelle ist es, den ländlichen Raum als Heimat für seine Bevölkerung zu bewahren. Es geht in diesem Zusammenhang darum, daß die Kommunalpolitiker ihre eigenständige Entwicklung – im Interesse der Gemeinde – beurteilen und festlegen können.

Mit großer Vorsicht betrachte ich in diesem Zusammenhang so manche Monopolsentwicklung einiger Gesellschaften in unserer Republik. Zentralistische, große Schottergewinnungsstätten sind genauso abzulehnen wie kleine Abbaustätten auf jedem Acker. Als Ausnahme betrachte ich jedoch den Eigenbedarf, wo die Rekultivierung durch den Entnehmer zwingend notwendig ist.

Um die Diskussion in diesem wichtigen Bereich voranzutreiben, wurde im Wirtschaftsausschuß des Nationalrates, auf Anregung der Vorsitzenden Frau Abgeordneten Tichy-Schreder, vereinbart – auch im Ausschuß des Bundesrates wurde ausführlich darüber diskutiert –, daß alle


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Fraktionen Punktationen über die gewünschte weitere Vorgangsweise im Zusammenhang mit dem Berggesetz erstellen und dem Wirtschaftsministerium zugewiesen werden sollen.

Das Ziel dieser Vorgangsweise ist, daß die letzten Erkenntnisse der von der geologischen Bundesanstalt im Auftrag der Bundesländer erstellten Studie, nämlich der Homogenisierungsschritt zu einer bundesweiten Homogenisierung, auch in diesem Bereich greifen. Es muß einfach in diese Diskussion einfließen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe in meiner Einleitung von einem Kompromiß gesprochen. Ich habe deshalb von einem Kompromiß gesprochen, weil uns diese Materie auch in Zukunft noch belasten wird. (Präsident Payer übernimmt den Vorsitz.) Bürgerinitiativen, die aufgrund der unzumutbaren Belastungen durch Staub und Lärm gegründet werden, werden uns zwingen, eine Grundsatzdebatte zu führen. Ich möchte auf diesen äußerst unbefriedigenden Rechtszustand aufmerksam machen und verlange mit allem Nachdruck, diese Diskussion in absehbarer Zeit auch wirklich zu führen.

Ich möchte meine Forderung mit einem Beispiel aus meinem ehemaligen Wirkungsbereich als Bürgermeister untermauern. Im Flächenwidmungsplan haben wir nach Absprache mit dem Grundbesitzer ein Bauland ausgewiesen, welches auch in Rechtskraft erwachsen ist. Eine Verbauungsstudie wurde in Auftrag gegeben, die Projektierung der Infrastruktur eingeleitet und auch die ersten Baumaßnahmen mit hohem finanziellen Aufwand getätigt. In der Zwischenzeit wurde nach dem Berggesetz ein Steinbruch in unmittelbarer Nähe bewilligt, ohne die Gemeinde anzuhören. Der Grundbesitzer konnte aufgrund der Lärmentwicklung und der Staubbelästigung keine einzige Parzelle verkaufen, das Grundstück wurde entwertet, und der Besitzer erlitt dadurch große finanzielle Einbußen. Jenes Geld, das seitens der Gemeinde bei den Vorbereitungsarbeiten sozusagen in die Erde hineingelegt wurde, werden wir nie mehr wiedersehen.

Ein Beispiel aus einem anderen Bundesland. Aus der Gemeinde Breitenau in Niederösterreich ist mir bekannt, daß von der Berghauptmannschaft Wien eine Schürfbewilligung außerhalb des vorhandenen und bisher bewährten Kiesleitplanes, und zwar direkt an das Siedlungsgebiet angrenzend, praktisch bis vor die Haustür der Hauseigentümer, erteilt wurde.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn es uns Politikern nicht gelingt, derartige Fälle durch ordentliche Gesetze auszuschalten, regieren wir absolut an den berechtigten Grundbedürfnissen unserer Bevölkerung vorbei. Eine Schottergrube vor der Haustüre und unzumutbare Lärm- und Staubbelästigung unserer Gemeindebürger darf es nicht geben.

Den Gemeinden muß eine eigenständige Entwicklung gewährt sein, und Ziel unserer Politik muß es sein, Ordnung in die Raumordnung zu bringen, wobei der Bergbau geordnet und die Lebensqualität für den Menschen gesichert wird. Die Natur ist ein Komplex von Gefügen. Ihr Schutz erfordert Denken und Handeln. Umwelt und Natur sind gemeinsames Gut aller Menschen und Generationen. Die Ökonomie, also der haushälterische Umgang mit Gütern, gilt im besonderen für den Umgang mit der Natur. In diesem Sinne stellt die Formalparteistellung zwar heute eine Notwendigkeit dar, um das öffentliche Interesse über einzelne Interessen zu stellen, es soll jedoch kein Verhinderungsgesetz des Verhinderungswillens gemacht werden, in dem egoistischem Gedankengut Vorrang eingeräumt wird. Eine Interessenabwägung muß aber möglich sein.

Ich verlange vom Bundesministerium für Wirtschaft, diese höchstnotwendige Novellierungsphase des Berggesetzes einzuleiten im Interesse der Bürger, im Interesse der Gemeinden, aber insbesondere auch im Interesse unserer Länder, unserer Heimat. Wir von unserer Fraktion werden diesem Berggesetz, dieser Novellierung, die Zustimmung geben. (Beifall bei der ÖVP.)

17.50

Präsident Johann Payer: Zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesrat Josef Pfeifer. Ich erteile dieses.

17.51

Bundesrat Josef Pfeifer (SPÖ, Kärnten): Herr Präsident! Hohes Haus! Herr Bundesminister! Das österreichische Berggesetz steht bereits seit Jahren in Diskussion. Es wurde oft novelliert


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und hat in den letzten Jahren Anlaß zu Meinungsverschiedenheiten gegeben, weil unter anderem der Anwendungsbereich des Berggesetzes auf den Sektor Schotter- und Kiesabbau ausgeweitet wurde und die Parteistellung von Anrainern und vor allem Gemeinden nicht gegeben beziehungsweise stark eingeschränkt war. Beschwerden sowohl von Anrainern als auch von Gemeinden waren die Folge.

Ich habe im Grunde genommen den Ausführungen meines Vorredners, des Kollegen Rieser, nichts hinzuzufügen. Wir kennen die Problematik. Ich bin auch Bürgermeister einer Gemeinde, der Gemeinde Eberndorf in Kärnten, wo der Rohstoff Schotter zur Genüge in der Nähe von Grundstücksflächen vorhanden ist, und damit sind genügend Probleme verbunden. Ich glaube, das kann man im großen und ganzen so zusammenfassen. Denn wie war es denn bisher?

Die Fläche ist wohl raumordnerisch ausgewiesen worden, der Flächenwidmungsplan wurde beschlossen, im Anschluß daran hatte man jedoch, sobald der Gemeinderat die Zustimmung erteilt hat, keine Möglichkeit mehr als Gemeinde, irgendwie eingreifend zu wirken. Es war vorbei. Es ist dann nach dem Gewerberecht abgebaut worden, natürlich unter Einhaltung aller Rechte, ob es jetzt Umweltschutzrecht, Wasserrecht, Naturschutzrecht, Forstrecht oder sonstige Rechte betraf, ob in weiterer Folge allerdings auch dementsprechend alles eingehalten wurde, das ist die Problematik, die wir vor Ort haben und bei der wir nicht eingreifen können.

Meine Damen und Herren! Wir bekennen uns zur Sicherung des Bergbaues, wir bekennen uns auch zum Abbau von Mineralrohstoffen, das ist gar keine Frage. Man muß allerdings die Frage des Interessenausgleiches und damit die Fragen der Nachbarschafts- und Parteirechte mitberücksichtigen und durch ein neues Berggesetz, das uns versprochen wurde, Rechtsunsicherheiten hintanhalten. Denn wenn Gemeinden mitentscheiden und mitverantworten, dann haben sie einfach auch das Recht, mitbestimmen zu können. Deshalb heute eine Ja zur Parteistellung der Gemeinden und ein Ja, keinen Einspruch zu erheben. (Beifall bei der SPÖ.)

17.54

Präsident Johann Payer: Zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesrat Engelbert Weilharter. Ich erteile dieses.

17.54

Bundesrat Engelbert Weilharter (Freiheitliche, Steiermark): Herr Präsident! Herr Minister! Meine Damen und Herren! Beim vorliegenden Berggesetz kommt den Gemeinden eine formale Parteienstellung im eigenen Wirkungsbereich wie Raumordnung, Umweltschutz und Gesundheitspolizei zu. Das, meine Damen und Herren, ist der einzige positive Ansatz des vorliegenden Gesetzesbeschlusses.

Denn, meine Damen und Herren, es steht wohl außer Zweifel, daß die Gemeinden mit diesem Gesetz in ein neues Spannungsfeld geraten. Ähnliche Spannungsfelder gibt es auch in anderen Bereichen, zum Beispiel im Baurecht. Es befinden sich einige Bürgermeister unter uns, und Sie wissen, im Baurecht ist der Bürgermeister Behörde erster Instanz, gleichzeitig ist er aber auch Repräsentant der Gemeinde, und ferner ist seine Repräsentanz von der Gunst seiner Gemeindebürger, also von den Wahlen, abhängig. Hier gibt es schon ein großes Spannungsfeld. Ich brauche die Konfliktsituation im Bereich des Baurechtes nicht näher zu erörtern.

Beim vorliegenden Berggesetz ist die Situation gleich, wenn nicht sogar noch brutaler. Einerseits wird es das notwendige Bemühen um Ertragsanteile geben, verstärkt um das Arbeitsplatzargument, und andererseits wird es für die Gemeinden Intentionen geben, durch Umwelt, Raumordnung und gesundheitspolitische Gegebenheiten einen Widerspruch zur ersten Seite darzustellen. Es wird also mit diesem Berggesetz eine Fülle von Interessenkollisionen geben.

Hohes Haus! Meine Damen und Herren! Die Situation wird sich in Hinkunft aber um einen weiteren Punkt erhärten: Die Bewohner einer Gemeinde werden im Glauben leben, daß die Gemeinde bei der Erteilung von Gewinnungsbewilligungen mitentscheidet. Dem ist aber nicht so. Dem ist im vorliegenden Gesetz nicht entsprochen worden, denn es gibt lediglich eine formale Parteienstellung.


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Wenn eine Berghauptmannschaft künftig eine Gewinnungsbewilligung erteilt, dürfen die Gemeinden zwar dazu Stellung nehmen, aber in die Entscheidung selbst können sie nicht eingreifen.

Meine Damen und Herren! Wir als Freiheitliche sehen mit dieser formalen Parteienstellung für die Gemeinden den ersten Schritt in die richtige Richtung. Wir werden das Samenkorn vor seiner Aussaat in die richtige Richtung nicht ablehnen, sondern wir freiheitlichen Ländervertreter hoffen, daß künftig Schürf- und Gewinnungsbewilligungen aus der Flächenwidmung hervorgehen, damit den Gemeinden nicht nur eine formale Parteienstellung übertragen wird, sondern ihnen künftighin bei der Erteilung von Schürf- und Gewinnungsbewilligungen auch eine Kompetenz übertragen wird. Unter diesem Aspekt, daß das der erste Schritt in die hoffentlich richtige Richtung ist, werden wir unsere Zustimmung erteilen. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

17.58

Präsident Johann Payer: Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Wünscht jemand das Wort? – Es ist dies nicht der Fall.

Die Debatte ist geschlossen.

Wird von der Berichterstattung ein Schlußwort gewünscht? – Dies ist ebenfalls nicht der Fall.

Wir kommen zur Abstimmung .

Ich bitte jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den vorliegenden Beschluß des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Es ist dies Stimmeneinhelligkeit.

Der Antrag, keinen Einspruch zu erheben, ist somit angenommen .

Die Tagesordnung ist erschöpft.

Ich gebe noch bekannt, daß seit der letzten beziehungsweise in der heutigen Sitzung insgesamt sieben Anfragen, 1174/J bis 1180/J, eingebracht wurden.

Die Einberufung der nächsten Sitzung des Bundesrates wird auf schriftlichem Weg erfolgen. Als Sitzungstermin ist Freitag, der 24. Mai 1996, 9 Uhr in Aussicht genommen.

Für die Tagesordnung dieser Sitzung kommen jene Vorlagen in Betracht, die der Nationalrat bis dahin verabschiedet haben wird, soweit sie dem Einspruchsrecht beziehungsweise dem Zustimmungsrecht des Bundesrates unterliegen.

In der nächsten Sitzung findet auch eine Fragestunde statt. Es sollen Anfragen an den Bundesminister für Inneres zum Aufruf gelangen.

Die Ausschußvorberatungen sind für Dienstag, den 21. Mai 1996, ab 14 Uhr vorgesehen.

Die Sitzung ist geschlossen .

Schluß der Sitzung: 18.00 Uhr