Fachinfos - Fachdossiers 16.01.2024

Welche Expertise zum Klimawandel gibt es in Österreich?

Klimawandel ist Querschnittsmaterie

Klimaforscher:innen wie jene des renommierten Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung sind sich einig: Immer extremere Wetterereignisse wie etwa die Waldbrände in Griechenland oder auch die Unwetter in Österreich im Sommer 2023 stehen eng in Zusammenhang mit der Erhitzung des weltweiten Klimas. Protestaktionen im öffentlichen Raum, die auf Versäumnisse in der Klimapolitik hinweisen, erlangen zunehmend Aufmerksamkeit. Doch die Herangehensweisen und Lösungsansätze in der österreichischen Politik sind sehr unterschiedlich.

Klimapolitik ist nicht nur aus rechtlicher Sicht (siehe dazu das Fachdossier Welche Gesetze schützen das Klima?) eine Querschnittsmaterie, sondern betrifft auch alle Regierungsebenen sowie eine große Anzahl an gesellschaftlichen und politischen Akteur:innen. Das führt zu einer unübersichtlichen Menge von Strategien, Zielen, Dokumenten und Informationen, die viel Unklarheit erzeugen und die Orientierung im Politikfeld Klimapolitik in Österreich erschweren. Unklare Begrifflichkeiten stellen für die Debatte eine zusätzliche Herausforderung dar.

Um ein gemeinsames Vokabular und Verständnis zu erreichen, werden anerkannte Quellen und Institutionen benötigt, auf die sich Entscheidungsträger:innen sowie Betroffene von klimapolitischen Maßnahmen zu einem gewissen Maß einigen können. Dieses Fachdossier stellt den Versuch dar, grundlegende Begriffe einzuordnen sowie einen Überblick über Institutionen in Österreich zu geben, die Klimaexpertise zur Verfügung stellen. 

Begriff Klimaneutralität

Das aktuelle Regierungsprogramm für die Jahre 2020–2024 spricht vom Ziel eines klimaneutralen Österreichs bis spätestens 2040, die EU hat sich dasselbe Ziel bis 2050 gesetzt. Auch Städte, Kommunen und Unternehmen wollen klimaneutral werden. Doch was bedeutet das überhaupt? Es gibt verschiedene Definitionen, was unter Klimaneutralität zu verstehen ist. Allen liegt jedoch die gemeinsame Idee zugrunde, dass klimaschädliche Aktivitäten mittels Treibhausgasbilanzierung gemessen werden sollen, um sie anschließend zu "neutralisieren". Dadurch soll das Klima insgesamt nicht mehr durch menschliche Aktivitäten beeinflusst werden. Die Senkung von Treibhausgasemissionen kann direkt durch die Vermeidung derselben oder indirekt durch die Kompensation entstandener Emissionen erfolgen. Kompensation bedeutet in diesem Zusammenhang, dass der Ausstoß von Treibhausgasen durch die Einsparung von Emissionen an anderer Stelle kompensiert werden kann. Zentral dafür ist das sogenannte Europäische Emissionshandelssystem.

Begriff CO2-Emissionshandel

Auch Österreich nimmt am internationalen Emissionshandel teil. Welche budgetären Auswirkungen der EU-Emissionshandel auf Österreich hat und wie das System funktioniert, hat der Budgetdienst des Parlaments im Jahr 2021 analysiert. Vereinfacht gesagt wird österreichischen Unternehmen aus bestimmten energieintensiven Sektoren eine begrenzte Menge an Emissionszertifikaten vom Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie (BMK) zugeteilt (für Details siehe das österreichische Emissionshandelsregister). Wenn ein Unternehmen mehr Treibhausgase ausstößt, als es zugeteilte Zertifikate besitzt, kann es von anderen Unternehmen Zertifikate gegen entsprechende Kosten erwerben. Wenn es hingegen weniger Treibhausgase ausstößt, kann es die übrigen Zertifikate verkaufen. 

Die Obergrenzen der erlaubten Emissionen sollen jährlich sinken, um zur Erreichung des EU-Ziels der Klimaneutralität bis 2050 beizutragen. Um die Treibhausgasemissionen in Österreich messbar und vergleichbar zu machen, wird jährlich vom Umweltbundesamt eine sogenannte Emissionsinventur durchgeführt. 

Der CO2-Emissionshandel ist nur eines von mehreren möglichen Modellen der CO2-Bepreisung. Kritiker:innen argumentieren vor allem, dass dieses System eine Art Freifahrtschein für Treibhausgasemissionen darstelle: Während Unternehmen weiterhin Treibhausgase in die Atmosphäre absetzen, müssen andere die entsprechende Kompensation vornehmen. Das sei nicht nachhaltig, da es nicht zum Anreiz führe, Emissionen langfristig zu senken (Espinosa-Flor 2022). 

Politische Debatten: Von Technologieoffenheit bis Wachstumskritik

Laut dem Klimaschutzbericht des Umweltbundesamts 2022 sind die Klimaziele, denen sich Österreich verschrieben hat, aus heutiger Sicht jedenfalls nicht zu erreichen. Unter den politischen Entscheidungsträger:innen herrscht keine Einigkeit darüber, welche Maßnahmen zur Zielerreichung beitragen könnten. Auf der einen Seite wird argumentiert, dass Wirtschaftswachstum und Innovationskraft zu den notwendigen Lösungen führen würden und damit die schlimmsten Folgen des Klimawandels abgefedert werden könnten. Eine Einschränkung von Produktion, Konsum und Wachstum sei dementsprechend weder notwendig noch zielführend, solange die Gesellschaft nur offen gegenüber Technologie(n) sei. Dieses Vertrauen in "technological fixes" kann allerdings dazu führen, dass verantwortliche Akteur:innen effektive Klimamaßnahmen auf unbestimmte Zeit aufschieben und so nötige Veränderungen vernachlässigen (Lamb et al. 2020).

Demgegenüber steht die Frage, ob das derzeit vorherrschende Wachstumsimperativ – also der Glauben, dass es absolut notwendig sei, dass die Gesellschaft und ihre Wirtschaft immer weiter wachsen – weiter aufrechterhalten werden kann bzw. soll. Das Forum for a New Economy identifiziert drei Hauptstränge in dieser sogenannten Wachstumsdebatte, nämlich jene des grünen/integrativen Wachstums, der Wachstumskritik und des Postwachstums. Anhänger:innen des grünen/integrativen Wachstums möchten Wachstum etwa durch Umweltsteuern und Maßnahmen zur Dekarbonisierung gestalten. Das Konzept der Kreislaufwirtschaft etwa kann als Bemühung grünen Wachstums interpretiert werden. 

Wachstumskritiker:innen vertreten die Meinung, dass Wachstum auf Dauer nicht mit den planetarischen Grenzen (also wie weit das Ökosystem der Erde belastet werden kann) in Einklang zu bringen ist. Sie fordern eine gleichbleibende oder schrumpfende Wirtschaft – und damit des ökologischen Fußabdrucks – in den Industriestaaten. Ein Mittel dazu wäre etwa die Senkung der durchschnittlichen Arbeitsstunden bei gleichbleibendem Gehalt. Höhere Lebensqualität der Arbeitnehmer:innen, weniger Büronutzung, weniger Pendelverkehr und somit Einsparungen von Energie und CO2-Ausstoß wären die Folge, so die Überlegungen in einer Studie des Europäischen Parlaments. Anhänger:innen des Postwachstums fordern, die Wirtschaft so zu gestalten, dass nicht ihr Wachstum, sondern vor allem ihr Beitrag zur Erreichung ökologischer und sozialer Ziele im Zentrum steht. Die entsprechende Kritik am alleinigen Fokus auf das Bruttoinlandsprodukt eines Staates als Hauptkriterium für Wohlstand teilen alle drei erwähnten Stränge.

Nationalstaatliche und internationale Rahmenbedingungen

Diese Debatten spielen sich innerhalb bestimmter nationalstaatlicher und internationaler Rahmenbedingungen ab. Die folgenden politischen Strategien und Regelwerke sind zum aktuellen Zeitpunkt auf österreichischer, europäischer und globaler Ebene zentral.

Österreich

In Österreich wurden bislang drei Klimastrategien (2002, 2007, 2018), ein Klimaschutzgesetz (2011), zwei Maßnahmenprogramme (2013/14 und 2015–2018) sowie zwei Novellen des Klimaschutzgesetzes (2015, 2018) verabschiedet. Das Regierungsprogramm 2020–2024 verspricht ein "Klimaschutzgesetz mit klaren Treibhausgasreduktionspfaden, Zuständigkeiten, Zeitplänen und entsprechenden Ressourcen", seit 2020 hat Österreich jedoch kein Klimaschutzgesetz und somit keine rechtsverbindlichen Klimaziele (Nash & Steurer 2023, S. 505). 

Der Rechnungshof prüft Gebaren und Unternehmungen des Bundes und veröffentlicht regelmäßig Berichte – auch zum Klimaschutz. Hier finden Sie zum Beispiel den Bericht zum Klimaschutz in Österreich 2020, aber auch Berichte zu spezifischen Infrastrukturprojekten wie etwa zu den Straßenbahnprojekten in Graz, Innsbruck und Linz.

Europäische Ebene

2021 haben sich die EU-Mitgliedstaaten – auch Österreich – auf das Europäische Klimagesetz geeinigt. Dieses hält im Zuge des European Green Deals ein Zwischenziel von 55 Prozent CO2-Emissionsreduktion bis 2030 fest. Das finale Ziel, zu dessen Erreichung sich alle 27-EU-Mitgliedstaaten verpflichtet haben, ist es, aus Europa den ersten klimaneutralen Kontinent zu machen. Welche Maßnahmen Österreich setzt, um seinen Beitrag dazu zu leisten, wird im Nationalen Energie- und Klimaplan (NEKP) festgehalten. Dieser wird alle zwei Jahre vom BMK an die EU-Kommission übermittelt. 

Globale Ebene

Auf globaler Ebene sei die Agenda 2030 der Vereinten Nationen erwähnt, die von allen 193 Mitgliedstaaten verabschiedet wurde. Diese enthält 17 Ziele für Nachhaltige Entwicklung, die sogenannten Sustainable Development Goals (SDGs), die soziale, ökologische und ökonomische Aspekte umfassen. Sie sind rechtlich nicht verbindlich und werden auf freiwilliger Basis überprüft. Der Budgetdienst des Parlaments evaluiert in Berichten zur Wirkungsorientierung regelmäßig die Umsetzung der SDGs.

Welches Wissen wird für Entscheidungen herangezogen?

Welches Wissen liegt all den Bemühungen zur Bekämpfung des Klimawandels zugrunde bzw. welche Informationen können herangezogen werden, um diese Bemühungen bewerten zu können? Und auf welches Wissen berufen sich politische Akteur:innen in Österreich? Neben Wissenschaftler:innen an diversen Universitäten (siehe z. B. die Partnerinstitutionen des sogenannten UniNEtZ) oder dem per Gesetzesbeschluss vom April 2022 errichteten Kompetenzzentrum GeoSphere Austria bündeln vor allem die folgenden zwei Institutionen Klimaexpertise in mehreren Bereichen: 

Das Umweltbundesamt (UBA) existiert seit 1985. Die GmbH steht im 100-prozentigen Eigentum der Republik Österreich, vertreten durch das BMK. Fast 600 Expert:innen entwickeln klimapolitische Strategien und Maßnahmen, erstellen Emissionsbilanzen und beteiligen sich an der Erstellung nationaler Klimaberichte. Im Dashboard Klimadaten lassen sich beispielsweise die Entwicklung der österreichischen Treibhausgasemissionen sowie der Stand in Bezug auf die Erreichung der österreichischen Emissionsziele nachvollziehen. 

Das Climate Change Centre Austria (CCCA) ist ein Forschungsnetzwerk aus 26 Forschungseinrichtungen, das die Klima- und Klimafolgenforschung vernetzt. Neben einem großen Angebot an weiterführenden Informationen ist derzeit eine Literaturdatenbank im Aufbau. Die Kompetenzlandkarte Österreich verweist auf Expert:innen im Forschungsbereich Klimawandel. Außerdem tragen unter dem Dach des CCCA Wissenschaftler:innen und Forscher:innen des Austrian Panel on Climate Change (APCC) in regelmäßigen Abständen den aktuellen Stand der Forschung zum Klimawandel in Österreich zusammen (die Publikation des nächsten Sachstandsberichts ist für 2025 geplant).

Verschiedene Wissensformen

Abseits oder ergänzend zu diesen etablierten Institutionen wird der Ruf lauter, dass evidenzbasierte Gesetzgebung auch alternative Wissensformen miteinbeziehen müsse. Der Begriff der "post-normal science" (PNS) entstand bereits in den 1990er-Jahren (Funtowicz & Ravetz 1993). Er beschreibt das Ende der "normal science", die durch ihr Postulat, eine eingegrenzte wissenschaftliche Fragestellung zu beantworten, komplexen Problemen, wie etwa dem Klimawandel, nicht gerecht wird. Deswegen sollen (un-)mittelbar Betroffene und interessierte Laien vermehrt in wissenschaftliche Prozesse einbezogen werden, um kontextuell relevantes Wissen beizusteuern. Das sei besonders wichtig, wenn die Fakten zu einem Thema ungewiss, die Werte umstritten, die Risiken hoch und die Entscheidungen dringend seien.

Forderungen nach mehr epistemischer Diversität – also einer größeren Bandbreite an unterschiedlichen Formen von Wissen – liegt die Annahme zugrunde, dass wissenschaftliches Wissen keinesfalls universell und objektiv sei. Vielmehr repräsentiere es eine eingeschränkte Perspektive, die auf bestimmten erkenntnistheoretischen Grundlagen und spezifischen historischen Erfahrungen beruht. Daher müsse es um Wissen ergänzt werden, das von Gruppen erzeugt wird, die systematisch benachteiligt und unterdrückt werden. Postkolonialismus und Kritik am Eurozentrismus sind repräsentativ für diese Überlegungen (Lidskog & Berg 2022, S. 262). 

Forschungszweige im Feld von Science-Technology-Society (STS) fordern, den Fokus verstärkt auf das Framing von Problemstellungen zu legen, also darauf, wie bestimmte Probleme von vornherein dargestellt werden (Jasanoff 2010). Autor:innen argumentieren, dass die Forschung Umweltthemen zu begrenzt darstellt, wodurch die Komplexität der Thematik nicht ausreichend berücksichtigt werden kann. Mitglieder der Öffentlichkeit könnten wichtiges Wissen über öffentliche Themen beisteuern, das durch das Framing der Forschung zu wenig Berücksichtigung findet. Durch das Hinzuziehen von anderen Forschungsdisziplinen wie bspw. Ethik, Geschichte, Soziologie etc. würde diverseres und relevanteres Wissen erzeugt. Eine darüber hinausgehende Interpretation und Einordnung durch nicht-wissenschaftliche Akteur:innen würde zudem die Akzeptanz und Wirkungskraft wissenschaftlicher Unternehmungen stärken. 

All diese Überlegungen haben das gemeinsame Anliegen, Wissen inklusiver zu gestalten. Dadurch können mehr Perspektiven zu einem Thema gewonnen werden. Wissen wird gemeinsam mit Bürger:innen und Entscheidungsträger:innen produziert und Entscheidungen werden dadurch besser mitgetragen. Lokales Wissen, Erfahrungswissen oder Laienwissen stellen eine Expertise dar, die nicht auf zertifizierter Kompetenz beruht, sondern in persönlicher Betroffenheit und Erfahrung wurzelt. In der Klimapolitik ist die Einbeziehung von nicht wissenschaftlichem Wissen bereits teilweise erprobt. Im Folgenden finden Sie Beispiele österreichischer und internationaler Initiativen:

österreichischer Klimarat

"Klimaschutz findet Stadt" in Ferlach

"klimafit – STEP 2030"

"Klimastrategie 2030" in Timelkam

Klimarat Wattens und Volders

Bürgerrat Klima-Zukunft Vorarlberg

Bürgerrat Klima (Deutschland)

Climate Assembly UK (Großbritanien)

Convention Citoyenne pour le Climat (Frankreich)

Quellenauswahl

Baranzini, Andrea/Jeroen C. J. M. van den Bergh/Stefano Carattini u. a. (2017), Carbon pricing in climate policy: seven reasons, complementary instruments, and political economy considerations, WIREs Climate Change 8:e462. 

Clar, Christoph/Christoph Konrath/Marlies Meyer (2023), Bürger:innenräte und Parlamente in Österreich, in: Baumgartner, Gerhard (Hrsg.), Jahrbuch 23 Öffentliches Recht, S. 259–283.

Espinosa-Flor, Sarah Isabel (2022), A right to pollute versus a duty to mitigate: on the basis of emissions trading and carbon markets, Climate Policy 22/7, S. 950-960.

Evidence-Informed Policy Making (europa.eu)

Funtowicz, Silvio O./Jerome R. Ravetz (1993), Science for the post-normal age, Futures 25/7, S. 739–755.

Jasanoff, Sheila (2010), A New Climate for Society, Theory Culture & Society 27, S. 233–253.

Jensen, Liselotte (2023), Beyond growth. Pathways towards sustainable prosperity in the EU.

Lamb, William F./Giulio Mattioli/Sebastian Levi u. a. (2020), Discourses of climate delay, Global Sustainability 3/e17, S. 1–5.

Lidskog, Rolf/Monika Berg (2022), Expertise, lay/local knowledge and the environment, in: Pellizzoni, Luigi/Emanuele Leonardi/Viviana Asara (Hrsg.), Handbook of Critical Environmental Politics, S. 257–269. 

Nash, Sarah/Reinhard Steurer (2023), Klimapolitik, in: Praprotnik, Katrin/Flooh Perlot (Hrsg.), Das Politische System Österreichs: Basiswissen und Forschungseinblicke, S. 495–520.