Bericht des Verfassungsausschusses und Plenarberatungen

Am 24. und 25. September 1920 befasste sich der Verfassungsausschuss mit dem Ergebnis der Beratungen im Unterausschuss. Die Nationalversammlung beschloss am 1. Oktober 1920 einstimmig das Bundes-Verfassungsgesetz.

Beratungen im Verfassungsausschuss

Am 24. und 25. September 1920 befasste sich der Verfassungsausschuss mit dem Ergebnis der Beratungen im Unterausschuss. Er wählte den Abgeordneten Dr. Ignaz Seipel zum Berichterstatter für die Konstituierende Nationalversammlung. So kam es, dass der Bericht des Verfassungsausschusses von den zwei Politikern unterzeichnet wurden, die die politischen und ideologischen Auseinandersetzungen der 1920er-Jahre in Österreich besonders prägen sollten: Der Priester und spätere Bundeskanzler Seipel und der stellvertretende Vorsitzende der Sozialdemokraten und deren führender Theoretiker Otto Bauer.

Zu diesem Zeitpunkt lag kein vollständiger Verfassungstext vor. Zahlreiche Fragen waren offengeblieben und sollten erst später, teilweise sogar erst in der 2. Republik geregelt werden.

Der sozialdemokratische Abgeordnete fasste zusammen, warum seine Partei dennoch der Verfassung zustimmen würde, und seine Aussagen wurden von Ignaz Seipel für die Christlichsozialen bestätigt:

"Da die Verfassung nur mit Zweidrittelmehrheit beschlossen werden kann, und da eine Zweidrittelmehrheit weder gegen unsere noch gegen die christlichsozialen Stimmen zustandekommen kann, ist die Entscheidung über die Frage, ob die Schule dem Bunde oder den Ländern zugewiesen werden soll, derzeit schlechthin unmöglich. Es bleiben daher nur zwei Möglichkeiten: entweder die Verfassung überhaupt scheitern zu lassen oder wenigstens den Teil der Verfassung, über den sich die Parteien geeinigt haben, zu beschließen, die Entscheidung über die Schulfrage aber, über die eine Einigung derzeit nicht möglich ist, der nächsten Nationalversammlung zu überlassen. Wir halten den letzten Weg für den richtigeren. Das vollständige Scheitern der Verfassungsarbeit würde die separatistischen Bewegungen in den Ländern stärken. Das Zustandekommen der Verfassung wird, selbst wenn es nur eine Teilverfassung, keine vollständige Verfassungsurkunde ist, wesentlich dazu beitragen, die Republik innerlich zu festigen und die im Verhältnisse zwischen dem Staat und den Ländern eingerissene Anarchie zu überwinden. Aus diesen Gründen ziehen wir eine teilweise Verfassungsreform dem vollständigen Scheitern der Verfassungsarbeit vor."

Protokolle und Bericht des Verfassungsausschusses

24. Sitzung des Verfassungsausschusses vom 24. September 1920 

25. Sitzung des Verfassungsausschusses vom 25. September 1920 

Bericht des Verfassungsausschusses über den Entwurf eines Gesetzes, womit die Republik Österreich als Bundesstaat eingerichtet wird (Bundes-Verfassungsgesetz):

Plenarberatungen

Die Nationalversammlung beschloss am 1. Oktober 1920 einstimmig das Bundes-Verfassungsgesetz. Vorausgegangen waren mehrtägige hitzige Diskussionen. Die Debatten im Zuge der Zweiten Lesung gingen über zwei Plenartage (29. und 30. September 1920). Je nach Parteizugehörigkeit und persönlichem Temperament des Redners schwankten die Beiträge zwischen Zufriedenheit über das in letzter Sekunde vollbrachte Verfassungswerk, Fatalismus angesichts einer wirtschaftlich und politisch schwierigen Zukunft und, in Anbetracht der bevorstehenden Nationalratswahlen, agitatorischen Wahlkampfreden.

Der Präsident der Nationalversammlung, Karl Seitz, fand nach der Annahme des Bundes-Verfassungsgesetzes dennoch versöhnliche und optimistische Worte. Er betonte, dass trotz aller politischer Differenzen die Zustimmung zum Bundes-Verfassungsgesetz einstimmig erteilt worden und der Text damit von allen Parteien, somit auch allen Teilen der Bevölkerung, gutgeheißen worden wäre.

Stenographische Protokolle und Bundesgesetzblatt

100. Sitzung der Konstituierenden Nationalversammlung vom 29. September 1920

101. Sitzung der Konstituierenden Nationalversammlung vom 30. September 1920

102. Sitzung der Konstituierenden Nationalversammlung vom 1. Oktober 1920

Bundesgestzblatt

Am 17. Oktober wurde der erste Nationalrat, der Nachfolger der Konstituierenden Nationalversammlung, gewählt. Am 10. November 1920, dem Tag der ersten Sitzung des Nationalrats, trat das Bundes-Verfassungsgesetz in Kraft.