ÖVP: Alleinregierung der Zweiten Republik

Bereits seit der ersten Hälfte der 1960er-Jahre wird die Konsensfindung zwischen SPÖ und ÖVP in der Koalition immer schwieriger. Als die ÖVP bei den Wahlen im März 1966 mit 85 Mandaten die absolute Mehrheit im Nationalrat bekommt, ist die "Große Koalition" Geschichte.

Mehrheit ÖVP

Die ÖVP stellt eine Alleinregierung unter Bundeskanzler Josef Klaus. Eine starke Opposition ist etwas Neues in der Zweiten Republik, wie diese Erklärung Bruno Kreiskys verdeutlicht. Die Verschiebung der Machtverhältnisse zeigt sich in den folgenden Jahren im parlamentarischen Leben: Die Zahl der Plenarsitzungen und Sitzungsstunden nimmt beträchtlich zu, die Opposition nutzt vermehrt politische Kontrollinstrumente wie das Anfragerecht.

Es gelingt SPÖ und FPÖ, die Zustimmung der Mehrheitsfraktion zur Einsetzung zweier Untersuchungsausschüsse zu erwirken: einer davon zu Missständen beim Bau der Westautobahn, der andere zu einer Spionageaffäre im Innenministerium.

Bundeskanzler Klaus nimmt zum Bauskandal auch vor dem Nationalrat Stellung und wird dafür in Wortmeldungen von SPÖ und FPÖ kritisiert.

Mission Reformprogramm

Die Alleinregierung Klaus – der mit Grete Rehor die erste Ministerin der Republik angehört – kann ein umfangreiches Reformprogramm parlamentarisch umsetzen: eine Rundfunkreform (die durchaus umstritten ist, wie die Debattenbeiträge des ÖVP-Abgeordneten Alfons Gorbach sowie des SPÖ-Abgeordneten Willi Liwanec belegen), die Neustrukturierung der staatlichen Industrie, sowie umfangreiche Maßnahmen im Schul- und Universitätsbereich.

Die Regierung Klaus ist nicht immer auf einen Alleingang im Parlament angewiesen. Die Sozialpartnerschaft funktioniert weiterhin und mehrere Maßnahmen der Wirtschafts- und Sozialgesetzgebung – etwa die schrittweise Einführung der 40-Stunden-Woche bis 1975 – beschließen ÖVP und SPÖ gemeinsam.

Erneuter Wechsel an der Spitze

Der Verlust der Mandatsmehrheit auf Bundesebene zeichnet sich bereits bei den Landtagswahlen der Jahre 1967 bis 1969 ab, in denen die Volkspartei Niederlagen erleidet. Die Partei verliert die Mehrheit im Bundesrat.

Die Opposition nutzt die Situation, um zahlreiche Gesetzesbeschlüsse des Nationalrats mittels Einspruch vorübergehend zu blockieren.

In der Bevölkerung regt sich Unmut über Steuererhöhungen, die dem Rekorddefizit im Bundeshaushalt 1967 und 1968 entgegenwirken sollen. Die Erhöhungen kommen nur wenige Monate nach erfolgten Steuersenkungen im Zuge der so genannten "Wachstumsgesetze", die zur Ankurbelung der Wirtschaft beschlossen worden waren.

Neuausrichtung der SPÖ

Gleichzeitig beginnt die SPÖ unter dem 1967 zum Parteivorsitzenden gewählten Bruno Kreisky mit einer Neuausrichtung der Partei.

Die SPÖ richtet sich inhaltlich neu aus und verzichtet künftig weitgehend auf marxistische Terminologie. Im Gegenzug kündigt sie Reformen an, die unter der Mitwirkung zahlreicher Expert:innen ausgearbeitet werden.