Volksgruppen

Die Rechte der Volksgruppen sind in Österreich durch die Verfassung geschützt.

Die Rechte der Volksgruppen

Toleranz, Minderheitenrechte und Schutz vor Diskriminierung haben besondere Bedeutung für das Zusammenleben in einer vielfältigen Gesellschaft und in einem modernen Staat. Ihre rechtliche Grundlage finden sie in der Bundesverfassung. Ein wichtiger Bestandteil davon sind die Rechte der Volksgruppen.

Schutz und Förderung

Zu den zentralen Aufgaben einer modernen Verfassung gehört der besondere rechtliche Schutz von Minderheiten im Staat. Angehörige ethnischer, sprachlicher, religiöser und anderer Minderheiten sollen vor Benachteiligungen geschützt werden. Die Erfahrung zeigt, dass das allgemeine Gebot, alle Menschen "vor dem Gesetz gleich zu behandeln" sehr oft nicht ausreicht. Dies ist etwa dann schwierig, wenn ein Gesetz es nicht möglich macht, auf die spezifische Situation einer bestimmten Bevölkerungsgruppe einzugehen. Oft wurden (und werden teilweise auch heute noch) z. B. Frauen im Arbeits- und Familienrecht faktisch benachteiligt. Gesetze, die den Schulunterricht, den Verkehr und das Bauwesen regeln, haben lange nicht Menschen mit besonderen Bedürfnissen, z. B. Rollstuhlfahrer:innen oder Blinde, berücksichtigt. Ebenso wurden und werden Menschen wegen ihrer sexuellen Orientierung oder ihrer Herkunft benachteiligt.

Deshalb gebietet die Bundesverfassung nicht nur die Gleichbehandlung. Sie verbietet auch Diskriminierung, also die nachteilige Behandlung von jemandem, ohne dass es dafür einen sachlichen Grund gibt.

Minderheitenrechte

Neben diesem allgemeinen Gleichbehandlungs­gebot und Diskriminierungs­verbot gibt es aber noch eine Reihe besonderer Bestimmungen, die man auch als Minderheitenrechte bezeichnet. Mit ihnen sollen der besondere Schutz und die Förderung ethnischer Minderheiten gewährleistet werden.

Die beste rechtliche Gleichbehandlung nützt nämlich wenig, wenn Angehörige von Minderheiten in vielen Fällen durch faktische Nachteile bedroht sind. Das betrifft vor allem den Gebrauch und die Pflege der Sprache und Kultur von Minderheiten. Für sie kann es sehr schwierig sein, in einer Gesellschaft, in der eine Sprache Unterricht, Verwaltung, Medien und Öffentlichkeit dominiert, als Gruppe zu überleben. Es braucht immer auch Räume, Möglichkeiten und Strukturen, um Sprache und Kultur weiterzugeben und weiterzuentwickeln.

Die österreichischen Volksgruppen

Die ehemalige Habsburgermonarchie war ein Vielvölkerstaat. Es gab daher in der österreichischen Reichshälfte kein Staatsvolk oder Mehrheitsvolk und dementsprechend auch keine Minderheiten, obwohl faktisch natürlich in Teilen der Monarchie z. B. die Deutschsprachigen, anderswo die Polen dominierten.

Dieses Modell der Volksgruppen wurde auch in der Republik Österreich übernommen. Im Unterschied zur Monarchie war nun aber die weitaus überwiegende Mehrheit der Bevölkerung deutschsprachig. Lediglich in Kärnten gab und gibt es einen signifikanten Anteil an Slowen:innen, einen kleinen Teil von ihnen auch in der Steiermark. Im Burgenland leben Kroat:innen und Ungar:innen sowie Roma und Sinti, in Wien Tschech:innen und Slowak:innen.

Die Volksgruppenrechte schützen allerdings nur jene Minderheiten und deren Angehörige, die als Volksgruppen anerkannt sind, und die österreichische Staatsbürgerschaft besitzen. Menschen, die aus anderen Ländern nach Österreich gekommen sind und hier leben, können diese Rechte nicht in Anspruch nehmen, auch wenn sie schon Staatsbürger:innen sind.

Rechte im Staatsvertrag von Wien, in der Bundesverfassung und in Gesetzen

Diese sechs Gruppen wurden im Laufe der Zeit als autochthone (einheimische, alteingesessene) Volksgruppen anerkannt. Ihre Rechte wurden zunächst im Friedensvertrag von Saint Germain, also nach dem Ersten Weltkrieg, festgeschrieben. Für die Kroat:innen und Slowen:innen hat der Staatsvertrag von Wien zusätzlich besondere Rechte gebracht. Insbesondere enthält er Bestimmungen über Schutz und Förderung der beiden Volksgruppen und über die Anbringung von Ortsbezeichnungen (z. B. Ortstafeln) in den Volksgruppensprachen.

Zu den Rechten der Volksgruppen zählt heute, dass sie ihre Muttersprache als Amtssprache bei Ämtern und Behörden gebrauchen können. Es gibt spezielle Bestimmungen für den Schulunterricht, die Sprachen- und die Kulturförderung. Ebenso müssen in Gebieten, in denen ein bestimmter Anteil an Volksgruppenangehörigen lebt, zwei- oder mehrsprachige Ortstafeln und Hinweisschilder angebracht werden.

Schwierigkeiten und neue Herausforderungen

Die tatsächliche Umsetzung der Volksgruppenrechte war und ist in Österreich nicht immer einfach. Vor allem die Frage der Aufstellung von zweisprachigen Ortstafeln hat immer wieder Anlass zu Konflikten gegeben, die schließlich vom Verfassungsgerichtshof entschieden werden mussten. Andererseits wurde im Bereich des Schulunterrichts und der Volksgruppenförderung sehr viel erreicht und umgesetzt.

Volksgruppen­vertreter:innen im Parlament

Die tschechische Volksgruppe war bis 1920 durch einen eigenen Abgeordneten im Hohen Haus vertreten. Frantisek Dvorak war Mitbegründer des Hilfsvereins "Tschechisches Herz" und arbeitete in Wien als Chefredakteur der "Delnicke Listy" (Arbeiterzeitung). Bei den Wahlen zum ersten Nationalrat im Herbst 1920 schaffte die Tschechische Partei aber den Einzug ins Parlament nicht mehr, sodass bis zum Ende der Demokratie in Österreich die Volksgruppen nicht im Nationalrat vertreten waren. Bis 1934 stellten jedoch die Slowenen im Kärntner Landtag mehrere Abgeordnete (Ivan Starc, Vinko Poljanec und Franc Petek), und auch im Burgenländischen Landtag gab es Abgeordnete mit kroatischer bzw. ungarischer Muttersprache.

An dieser Situation änderte sich auch in der Zweiten Republik zunächst nichts Wesentliches. Zwar gab es immer wieder Volksgruppenangehörige, die in demokratischen Körperschaften maßgebliche Positionen innehatten, doch sie alle nahmen ihre Funktionen als Mitglieder einer der beiden großen Parteien SPÖ und ÖVP wahr.

Der Kärntner Ortstafelsturm 1972 sensibilisierte schließlich die öffentliche Meinung für die Minderheitenfrage. Einer breiten Öffentlichkeit wurde bewusst, dass man den Volksgruppen im Staatsvertrag zu Wien nennenswerte Rechte zugestanden hatte (unter anderem topographische Aufschriften, Verwendung der Muttersprache in öffentlichen Einrichtungen, entsprechende Bildungsmöglichkeiten in der Muttersprache), die man aber nur zum Teil verwirklicht hatte. Unter Bundeskanzler Kreisky wurde daraufhin 1976 das Volksgruppengesetz (VGG) beschlossen, das die Einrichtung von eigenen Volksgruppenbeiräten vorsah, die jedoch teilweise erst in den 1990er Jahren wirklich konstituiert wurden.

Im Vorfeld der Nationalratswahlen 1986 präsentierten die Grünen mit einem Angehörigen der slowenischen Volksgruppe erstmals in der Zweiten Republik einen Kandidaten ausdrücklich als Volksgruppenvertreter. Dieser wurde auch gewählt und seither gehört der Fraktion der Grünen im Nationalrat meistens ein/e Minderheitenvertreter:in an. Aber auch in den übrigen Parteien gibt es immer wieder Abgeordnete, die einer Volksgruppe angehören und sich für sie stark machen.

Einen Unterschied zwischen der Monarchie und der Republik gibt es allerdings nach wie vor: Seinerzeit durften die Abgeordneten ihre Reden in ihrer Muttersprache halten. Heute müssen alle Deutsch sprechen.