Stenographisches Protokoll

617. Sitzung des Bundesrates der Republik Österreich

 

 

Donnerstag, 17. Oktober 1996

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Stenographisches Protokoll

617. Sitzung des Bundesrates der Republik Österreich

Donnerstag, 17. Oktober 1996

Dauer der Sitzung

Donnerstag, 17. Oktober 1996: 9.06 – 17.54 Uhr

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Tagesordnung

1. Außenpolitischer Bericht der Bundesregierung über das Jahr 1995

2. Beschluß des Nationalrates vom 3. Oktober 1996 betreffend ein Internationales Naturkautschukübereinkommen von 1995 samt Anlagen

3. Beschluß des Nationalrates vom 3. Oktober 1996 betreffend ein Protokoll zum vierten AKP-EG-Abkommen von Lomé infolge des Beitritts der Republik Österreich, der Republik Finnland und des Königreichs Schweden zur Europäischen Union

4. Beschluß des Nationalrates vom 3. Oktober 1996 betreffend ein Abkommen zur Änderung des vierten AKP-EG-Abkommens von Lomé samt Schlußakte

5. Beschluß des Nationalrates vom 2. Oktober 1996 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz, das Gewerbliche Sozialversicherungsgesetz, das Bauern-Sozialversicherungsgesetz, das Beamten-Kranken- und Unfallversicherungsgesetz, das Entgeltfortzahlungsgesetz, das Arbeitslosenversicherungsgesetz 1977, das Einkommensteuergesetz 1988 und das Bundesgesetz über die Einhebung eines Wohnbauförderungsbeitrages, BGBl. Nr. 13/1952, zuletzt geändert durch das Bundesgesetz BGBl. Nr. 376/1986, geändert werden

6. Beschluß des Nationalrates vom 2. Oktober 1996 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Arbeitsverfassungsgesetz, das Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz und das Bundesgesetz über die Post-Betriebsverfassung geändert werden

7. Beschluß des Nationalrates vom 2. Oktober 1996 betreffend Übereinkommen (Nr. 173) über den Schutz der Forderungen der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit ihres Arbeitgebers samt Erklärung

8. Beschluß des Nationalrates vom 2. Oktober 1996 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Bundesgesetz betreffend ergänzende Regelungen zur Anwendung der Verordnungen (EWG) im Bereich der sozialen Sicherheit geändert wird

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Inhalt

Bundesrat

Schreiben des Präsidenten des Burgenländischen Landtages betreffend Mandatsveränderungen im Bundesrat 8


Bundesrat
Stenographisches Protokoll
617. Sitzung / Seite 2

Schreiben der Ersten Präsidentin des Oberösterreichischen Landtages betreffend Wahl eines Ersatzmitgliedes 8

Angelobung des Bundesrates Johann Grillenberger 9

Verlangen auf Besprechung der Anfragebeantwortung 1122/AB-BR/96 34

Durchführung einer kurzen Debatte 97

Redner:

Dr. Reinhard Eugen Bösch 98

Albrecht Konečny 99

Bundesminister Mag. Viktor Klima 100 und 102

Dr. Michael Rockenschaub 101

Personalien

Krankmeldungen 8

Entschuldigungen 8 und 34

Nationalrat

Beschlüsse und Gesetzesbeschlüsse 33

Bundesregierung

Vertretungsschreiben 32

Ausschüsse

Zuweisungen 34

Fragestunde

auswärtige Angelegenheiten 9

Dr. DDr. h. c. Herbert Schambeck (646/M-BR/96)

Erhard Meier (640/M-BR/96)

Dr. Peter Kapral (654/M-BR/96)

Dr. Kurt Kaufmann (647/M-BR/96)

Albrecht Konečny (641/M-BR/96)

Jürgen Weiss (648/M-BR/96)

Dr. Michael Ludwig (642/M-BR/96)

Dr. Peter Harring (652/M-BR/96)

Peter Rieser (649/M-BR/96)

Josef Rauchenberger (643/M-BR/96)

Therese Lukasser (650/M-BR/96)

Karl Drochter (644/M-BR/96)

Dr. Susanne Riess-Passer (653/M-BR/96)


Bundesrat
Stenographisches Protokoll
617. Sitzung / Seite 3

Dr. h. c. Manfred Mautner Markhof (651/M-BR/96)

Gertrude Perl (645/M-BR/96)

Verhandlungen

(1) Außenpolitischer Bericht der Bundesregierung über das Jahr 1995 (III-149/BR und 5275/BR d. B.)

Berichterstatter: Mag. Gerhard Tusek 34

(Antrag, den Bericht zur Kenntnis zu nehmen)

Redner:

Dr. Susanne Riess-Passer 35

Albrecht Konečny 38

Dr. h. c. Manfred Mautner Markhof 41

Dr. Peter Kapral 43

Anna Elisabeth Haselbach 47

Dr. DDr. h. c. Herbert Schambeck 50

Dr. Peter Harring 62

Erhard Meier 66

Dr. Milan Linzer 70

Dr. Reinhard Eugen Bösch 75

Annahme des Antrages des Berichterstatters, den Bericht zur Kenntnis zu nehmen, mit den Stimmen der Bundesräte der ÖVP und der SPÖ, gegen die Stimmen der Bundesräte der Freiheitlichen 77

Gemeinsame Beratung über

(2) Beschluß des Nationalrates vom 3. Oktober 1996 betreffend ein Internationales Naturkautschukübereinkommen von 1995 samt Anlagen (314/NR sowie 5276/BR d. B.)

(3) Beschluß des Nationalrates vom 3. Oktober 1996 betreffend ein Protokoll zum vierten AKP-EG-Abkommen von Lomé infolge des Beitritts der Republik Österreich, der Republik Finnland und des Königreichs Schweden zur Europäischen Union (315/NR sowie 5277/BR d. B.)

(4) Beschluß des Nationalrates vom 3. Oktober 1996 betreffend ein Abkommen zur Änderung des vierten AKP-EG-Abkommens von Lomé samt Schlußakte (316/NR sowie 5278/BR d. B.)

Berichterstatter: Gottfried Jaud 78

[Antrag, zu (2), (3) und (4) keinen Einspruch zu erheben]

Annahme des Antrages des Berichterstatters, zu (2) keinen Einspruch zu erheben, mit den Stimmen der Bundesräte der ÖVP, der SPÖ und der Freiheitlichen, gegen die Stimme des Bundesrates Eisl 79

Annahme des Antrages des Berichterstatters, zu (3) und (4) keinen Einspruch zu erheben, mit den Stimmen der Bundesräte der ÖVP, der SPÖ und der Freiheitlichen, gegen die Stimmen der Bundesräte Eisl und Dr. Bösch 79

(5) Beschluß des Nationalrates vom 2. Oktober 1996 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz, das Gewerbliche Sozialversicherungsgesetz, das Bauern-Sozialversicherungsgesetz, das Beamten-Kranken- und Unfallversicherungsgesetz, das Entgeltfortzahlungsgesetz, das Arbeitslosenversicherungsgesetz 1977, das Einkommensteuergesetz 1988 und das Bundesgesetz über die Einhebung eines


Bundesrat
Stenographisches Protokoll
617. Sitzung / Seite 4

Wohnbauförderungsbeitrages, BGBl. Nr. 13/1952, zuletzt geändert durch das Bundesgesetz BGBl. Nr. 376/1986, geändert werden (289/A und 325/NR sowie 5273 und 5279/BR d. B.)

Berichterstatterin: Michaela Rösler 80

(Antrag, keinen Einspruch zu erheben)

Redner:

Mag. Dieter Langer 81

Aloisia Fischer 86

Mag. Harald Repar 88

Engelbert Weilharter 89

Gottfried Jaud 91

Bundesminister Franz Hums 93 und 106

Johanna Schicker 95

DDr. Franz Werner Königshofer 96 und 103

Dr. Kurt Kaufmann 103

Karl Drochter 107

Dr. Peter Kapral 108

Annahme des Antrages der Berichterstatterin, keinen Einspruch zu erheben, mit den Stimmen der Bundesräte der ÖVP und der SPÖ, gegen die Stimmen der Bundesräte der Freiheitlichen und von fünf Bundesräten der ÖVP 109

Gemeinsame Beratung über

(6) Beschluß des Nationalrates vom 2. Oktober 1996 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Arbeitsverfassungsgesetz, das Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz und das Bundesgesetz über die Post-Betriebsverfassung geändert werden (318 und 329/NR sowie 5280/BR d. B.)

(7) Beschluß des Nationalrates vom 2. Oktober 1996 betreffend Übereinkommen (Nr. 173) über den Schutz der Forderungen der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit ihres Arbeitgebers samt Erklärung (89 und 330/NR sowie 5274 und 5281/BR d. B.)

(8) Beschluß des Nationalrates vom 2. Oktober 1996 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Bundesgesetz betreffend ergänzende Regelungen zur Anwendung der Verordnungen (EWG) im Bereich der sozialen Sicherheit geändert wird (201 und 331/NR sowie 5282/BR d. B.)

Berichterstatterin: Michaela Rösler 110

[Antrag, zu (6) und (8) keinen Einspruch zu erheben und zu (7) 1. gegen den Beschluß des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, 2. gegen den Beschluß des Nationalrates, gemäß Artikel 50 Abs. 2 B-VG den gegenständlichen Staatsvertrag durch Erlassung von Gesetzen zu erfüllen, keinen Einspruch zu erheben]

Redner:

Mag. Harald Himmer 112

Karl Drochter 112

Mag. Dieter Langer 114

Horst Freiberger 116

Hedda Kainz 117


Bundesrat
Stenographisches Protokoll
617. Sitzung / Seite 5

einstimmige Annahme des Antrages der Berichterstatterin, zu (6) und (8) keinen Einspruch zu erheben 118

einstimmige Annahme des Antrages der Berichterstatterin, zu (7) 1. gegen den Beschluß des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, 2. gegen den Beschluß des Nationalrates, gemäß Artikel 50 Abs. 2 B-VG den gegenständlichen Staatsvertrag durch Erlassung von Gesetzen zu erfüllen, keinen Einspruch zu erheben 119

Eingebracht wurden

Berichte

9819-13533-EU über Vorhaben im Rahmen der Europäischen Union gemäß Artikel 23e B-VG

Anfragen

der Bundesräte Dr. Reinhard Eugen Bösch und Kollegen an den Bundesminister für Justiz betreffend den Entwurf des "Übereinkommens aufgrund von Artikel K. 3 des Vertrages über die Europäische Union über die Verbesserung der Auslieferung zwischen den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union" mit Stand der Beratungen des Ausschusses der Ständigen Vertreter vom 30. Mai 1996 (1226/J-BR/96)

der Bundesräte Anton Hüttmayr und Kollegen an den Bundesminister für Finanzen betreffend WTK (Wolfsegg-Traunthaler Kohlenwerks GesmbH) (1227/J-BR/96)

der Bundesräte Dr. Peter Kapral und Kollegen an den Bundesminister für Arbeit und Soziales betreffend Reformpaket für das Krankenhauswesen in Österreich (1228/J-BR/96)

der Bundesräte Dr. Reinhard Eugen Bösch, Engelbert Weilharter und Kollegen an den Bundesminister für Inneres betreffend Beschaffungssperre (1229/J-BR/96)

der Bundesräte Dr. Reinhard Eugen Bösch und Kollegen an den Bundesminister für Wissenschaft, Forschung und Verkehr betreffend Förderung eines Homosexuellen und Lesben Clubbings im Naturhistorischen Museum (1230/J-BR/96)

der Bundesräte Horst Freiberger und Genossen an den Bundesminister für Arbeit und Soziales betreffend die Abwicklung des Insolvenzfalles Firma Müllner und Lux KG (1231/J-BR/96)

Anfragebeantwortungen

des Bundeskanzlers auf die Frage der Bundesräte Dr. Peter Kapral, Mag. Dieter Langer und Dr. Susanne Riess-Passer (1094/AB-BR/96 zu 1185/J-BR/96)

des Bundesministers für Wissenschaft, Verkehr und Kunst auf die Frage der Bundesräte Anton Hüttmayr und Kollegen (1095/AB-BR/96 zu 1186/J-BR/96)

des Bundesministers für Arbeit und Soziales auf die Frage der Bundesräte Andreas Eisl und Kollegen (1096/AB-BR/96 zu 1194/J-BR/96)

des Bundesministers für Justiz auf die Frage der Bundesräte Jürgen Weiss, Ilse Giesinger und Dr. Reinhard Eugen Bösch (1097/AB-BR/96 zu 1198/J-BR/96)


Bundesrat
Stenographisches Protokoll
617. Sitzung / Seite 6

der Bundesministerin für Gesundheit und Konsumentenschutz auf die Frage der Bundesräte Anton Hüttmayr und Kollegen (1098/AB-BR/96 zu 1192/J-BR/96)

des Bundesministers für Wissenschaft, Verkehr und Kunst auf die Frage der Bundesräte Peter Rieser und Jürgen Weiss (1099/AB-BR/96 zu 1187/J-BR/96)

der Bundesministerin für Gesundheit und Konsumentenschutz auf die Frage der Bundesräte Alfred Gerstl und Kollegen (1100/AB-BR/96 zu 1191/J-BR/96)

des Bundesministers für auswärtige Angelegenheiten auf die Frage der Bundesräte Albrecht Konečny und Genossen (1101/AB-BR/96 zu 1222/J-BR/96)

der Bundesministerin für Gesundheit und Konsumentenschutz auf die Frage der Bundesräte Alfred Gerstl und Kollegen (1102/AB-BR/96 zu 1190/J-BR/96)

der Bundesministerin für Frauenangelegenheiten auf die Frage der Bundesräte Helga Moser und Kollegen (1103/AB-BR/96 zu 1213/J-BR/96)

des Bundesministers für Arbeit und Soziales auf die Frage der Bundesräte Irene Crepaz und Genossen (1104/AB-BR/96 zu 1188/J-BR/96)

des Bundesministers für Wissenschaft, Verkehr und Kunst auf die Frage der Bundesräte Anton Hüttmayr und Kollegen (1105/AB-BR/96 zu 1189/J-BR/96)

des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten auf die Frage der Bundesräte Dr. Peter Kapral, Mag. Dieter Langer und Kollegen (1106/AB-BR/96 zu 1199/J-BR/96)

des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten auf die Frage der Bundesräte DDr. Franz Werner Königshofer und Dr. Peter Kapral (1107/AB-BR/96 zu 1195/J-BR/96)

des Bundesministers für Inneres auf die Frage der Bundesräte Dr. Reinhard Eugen Bösch und Kollegen (1108/AB-BR/96 zu 1215/J-BR/96)

des Bundesministers für Finanzen auf die Frage der Bundesräte DDr. Franz Werner Königshofer und Genossen (1109/AB-BR/96 zu 1193/J-BR/96)

des Bundesministers für Arbeit und Soziales auf die Frage der Bundesräte Dr. Paul Tremmel und Kollegen (1110/AB-BR/96 zu 1211/J-BR/96)

des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten auf die Frage der Bundesräte Dr. Peter Kapral, Mag. Dieter Langer und Kollegen (1111/AB-BR/96 zu 1200/J-BR/96)

des Bundeskanzlers auf die Frage der Bundesräte Dr. Paul Tremmel und Mag. Dieter Langer (1112/AB-BR/96 zu 1207/J-BR/96)

der Bundesministerin für Gesundheit und Konsumentenschutz auf die Frage der Bundesräte Grete Pirchegger und Kollegen (1113/AB-BR/96 zu 1201/J-BR/96)

des Bundesministers für Inneres auf die Frage der Bundesräte Franz Richau und Kollegen (1114/AB-BR/96 zu 1205/J-BR/96)

des Bundesministers für Wissenschaft, Verkehr und Kunst auf die Frage der Bundesräte Franz Richau und Kollegen (1115/AB-BR/96 zu 1196/J-BR/96)


Bundesrat
Stenographisches Protokoll
617. Sitzung / Seite 7

des Bundesministers für Inneres auf die Frage der Bundesräte Dr. Peter Kapral und Kollegen (1116/AB-BR/96 zu 1216/J-BR/96)

des Bundesministers für auswärtige Angelegenheiten auf die Frage der Bundesräte Dr. Paul Tremmel und Kollegen (1117/AB-BR/96 zu 1202/J-BR/96)

des Bundesministers für Wissenschaft, Verkehr und Kunst auf die Frage der Bundesräte Grete Pirchegger und Kollegen (1118/AB-BR/96 zu 1223/J-BR/96)

des Bundesministers für Inneres auf die Frage der Bundesräte Dr. Peter Kapral und Kollegen (1119/AB-BR/96 zu 1217/J-BR/96)

des Bundesministers für Inneres auf die Frage der Bundesräte Gottfried Waldhäusl und Kollegen (1120/AB-BR/96 zu 1225/J-BR/96)

des Bundesministers für Inneres auf die Frage der Bundesräte Dr. Peter Kapral und Kollegen (1121/AB-BR/96 zu 1218/J-BR/96)

des Bundesministers für Finanzen auf die Frage der Bundesräte Dr. Reinhard Eugen Bösch und Kollegen (1122/AB-BR/96 zu 1212/J-BR/96)

des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten auf die Frage der Bundesräte Peter Rieser und Kollegen (1123/AB-BR/96 zu 1204/J-BR/96)

des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten auf die Frage der Bundesräte Grete Pirchegger und Kollegen (1124/AB-BR/96 zu 1224/J-BR/96)

der Bundesministerin für Unterricht und kulturelle Angelegenheiten auf die Frage der Bundesräte Dr. Peter Kapral und Kollegen (1125/AB-BR/96 zu 1220/J-BR/96)

der Bundesministerin für Unterricht und kulturelle Angelegenheiten auf die Frage der Bundesräte Dr. Susanne Riess-Passer und Kollegen (1226/AB-BR/96 zu 1221/J-BR/96)

des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten auf die Frage der Bundesräte Gottfried Waldhäusl und Andreas Eisl (1127/AB-BR/96 zu 1210/J-BR/96)

des Bundesministers für Land- und Forstwirtschaft auf die Frage der Bundesräte Gottfried Waldhäusl und Kollegen (1128/AB-BR/96 zu 1219/J-BR/96)

des Bundesministers für Justiz auf die Frage der Bundesräte Dr. Reinhard Eugen Bösch und Kollegen (1129/AB-BR/96 zu 1226/J-BR/96)

der Bundesministerin für Gesundheit und Konsumentenschutz auf die Frage der Bundesräte Dr. Paul Tremmel und Dr. Peter Kapral (1130/AB-BR/96 zu 1206/J-BR/96)

der Bundesministerin für Gesundheit und Konsumentenschutz auf die Frage der Bundesräte DDr. Franz Werner Königshofer und Dr. Paul Tremmel (1131/AB-BR/96 zu 1214/J-BR/96)

des Bundeskanzlers auf die Frage der Bundesräte Dr. Susanne Riess-Passer und Kollegen (1132/AB-BR/96 zu 1208/J-BR/96)

des Bundeskanzlers auf die Frage der Bundesräte Dr. Paul Tremmel, Mag. Dieter Langer und Dr. Peter Kapral (1133/AB-BR/96 zu 1209/J-BR/96)


Bundesrat
Stenographisches Protokoll
617. Sitzung / Seite 8

Beginn der Sitzung: 9.06 Uhr

Präsident Josef Pfeifer: Hohes Haus! Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 617. Sitzung des Bundesrates.

Das Amtliche Protokoll der 616. Sitzung des Bundesrates vom 25. und 26. Juli 1996 ist aufgelegen, unbeanstandet geblieben und gilt daher als genehmigt.

Krank gemeldet haben sich die Mitglieder des Bundesrates Helga Moser, Dr. Paul Tremmel und Dr. Helmut Prasch.

Entschuldigt haben sich die Mitglieder des Bundesrates Ing. Johann Penz, Hermann Pramendorfer und Alfred Gerstl.

Mandatsverzichte und Angelobung

Präsident Josef Pfeifer: Eingelangt sind ein Schreiben des Präsidenten des Burgenländischen Landtages betreffend Mandatsveränderungen im Bundesrat und ein Schreiben der Ersten Präsidentin des Oberösterreichischen Landtages.

Ich ersuche die Frau Schriftführerin um Verlesung dieser Schreiben.

Schriftführerin Helga Markowitsch:

"Der Präsident des Burgenländischen Landtages

Bundesrat Ernst Schmid, Seegasse 118, 7063 Oggau, SPÖ, hat, wie bereits mitgeteilt wurde, sein Mandat als Vertreter des Landes Burgenland im Bundesrat mit Wirksamkeit vom 10. Oktober 1996 zurückgelegt.

Ebenso hat Frau Landtagsabgeordnete Elisabeth Ficker, Bründlfeldweg 59, 7000 Eisenstadt, SPÖ, auf die Nachfolge verzichtet und mit Ablauf des 9. Oktober 1996 auf ihr Mandat als Ersatzmitglied für Bundesrat Ernst Schmid verzichtet.

Aufgrund dieser Mandatsrücklegungen hat der Burgenländische Landtag in seiner 4. Sitzung am Donnerstag, dem 10. Oktober 1996, als Vertreter des Landes Burgenland im Bundesrat gewählt:

Mitglied des Bundesrates: Grillenberger Johann, Angestellter, 7051 Großhöflein, Eichengasse 1, SPÖ,

Ersatzmitglied: Landtagsabgeordnete Ficker Elisabeth, Landesbeamtin, 7000 Eisenstadt, Bründlfeldweg 59, SPÖ.

Herr Bundesrat Payer Johann hat weiterhin als erster Vertreter des Landes Burgenland im Bundesrat zu gelten.

Der Landtagspräsident"

"Die Erste Präsidentin des Oberösterreichischen Landtages Angela Orthner

Sehr geehrte Damen und Herren!

Der Oberösterreichische Landtag hat in seiner Sitzung am 26. September 1996 gemäß Artikel 35 Abs. 1 des Bundes-Verfassungsgesetzes in der Fassung von 1929 und Artikel 29 des Oberösterreichischen Landes-Verfassungsgesetzes 1991 eine Nachwahl durchgeführt.

Es wurde gewählt:

 


Bundesrat
Stenographisches Protokoll
617. Sitzung / Seite 9

Als Ersatzmitglied:

an 3. Stelle: Leopold Steinbichler, geb. 26. 2. 1959, 4861 Aurach/Hongar, Illingbuch 1.

Eine Kopie der Verzichtserklärung des Ersatzmannes Dr. Hans Wöckinger ist angeschlossen."

Präsident Josef Pfeifer: Danke.

Das neue Mitglied des Bundesrates ist im Hause anwesend. Ich werde daher sogleich seine Angelobung vornehmen.

Nach Verlesung der Gelöbnisformel durch die Frau Schriftführerin wird die Angelobung mit den Worten "Ich gelobe" zu leisten sein.

Ich ersuche die Frau Schriftführerin um Verlesung der Gelöbnisformel.

Schriftführerin Helga Markowitsch: "Sie werden geloben unverbrüchliche Treue der Republik Österreich, stete und volle Beobachtung der Verfassungsgesetze und aller anderen Gesetze sowie gewissenhafte Erfüllung Ihrer Pflichten."

Bundesrat Johann Grillenberger (SPÖ): Ich gelobe.

Präsident Josef Pfeifer: Danke. – Ich begrüße Herrn Bundesrat Johann Grillenberger recht herzlich in unserer Mitte und wünsche ihm viel Erfolg. (Allgemeiner Beifall.)

Meine Damen und Herren! Sie bekommen – oder haben schon bekommen – eine Bundesrat-Geschäftsordnung. Es ist dies ein Arbeitsexemplar, das alles, was notwendig ist, enthält. Es wird ja, so hoffe ich, einmal eine neue Geschäftsordnung nicht nur diskutiert, sondern auch beschlossen werden, und dann wird es ein Exemplar in einer wahrscheinlich etwas anderen Art geben.

Ich darf zur vorliegenden Fassung aber feststellen, daß sie meiner Meinung nach ganz gut gelungen ist. Ich möchte mich daher beim Bundesratsdienst recht herzlich für diese Arbeit bedanken, und zwar bei allen, die daran mitgewirkt haben. Herzlichen Dank! (Allgemeiner Beifall.)

Fragestunde

Präsident Josef Pfeifer: Herr Bundesminister! Meine Damen und Herren! Wir gelangen nunmehr zur Fragestunde.

Bevor wir mit der Fragestunde beginnen, mache ich – vor allem im Hinblick auf die seit der letzten Fragestunde in den Bundesrat neu eingetretenen Mitglieder – darauf aufmerksam, daß jede Zusatzfrage im unmittelbaren Zusammenhang mit der Hauptfrage beziehungsweise der gegebenen Antwort stehen muß. Die Zusatzfrage darf nur eine konkrete Frage enthalten und darf nicht in mehrere Unterfragen geteilt sein. – Das gilt aber nicht nur für die neu eingetretenen Mitglieder, sondern auch für jene, die schon länger diesem Hohen Haus angehören.

Um die Beantwortung aller zum Aufruf vorgesehenen Anfragen zu ermöglichen, erstrecke ich die Fragestunde, sofern mit 60 Minuten das Auslangen nicht gefunden wird, im Einvernehmen mit den beiden Vizepräsidenten erforderlichenfalls bis auf 120 Minuten.

Ich beginne jetzt – um 9.13 Uhr – mit dem Aufruf.

Bundesministerium für auswärtige Angelegenheiten

Präsident Josef Pfeifer: Wir kommen zur 1. Anfrage, 646/M, an den Herrn Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten.

Ich bitte den Anfragesteller, Herrn Bundesrat Dr. Herbert Schambeck (ÖVP, Niederösterreich) , um die Verlesung der Anfrage.


Bundesrat
Stenographisches Protokoll
617. Sitzung / Seite 10

Bundesrat Dr. DDr. h. c. Herbert Schambeck:
Sehr geehrter Herr Vizekanzler und Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten! Meine Frage an Sie lautet:

646/M-BR/96

Welche inhaltlichen Schwerpunkte vertreten Sie im Rahmen der Regierungskonferenz als österreichische Interessen?

Präsident Josef Pfeifer: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Danke. – Herr Bundesrat! Wir haben als ein sehr aktives Mitglied in der Regierungskonferenz natürlich eine Fülle von Ideen eingebracht. Ich kann diese daher nur schlagwortartig wiedergeben.

Die jüngste Initiative ist eine gemeinsame österreichisch-italienische Initiative. Lamberto Dini, der heutige italienische Außenminister, hat bei mir nachgefragt, ob wir nicht im 50. Jahr des Gruber-De-Gasperi-Abkommens eine zusätzliche gemeinsame Initiative ins Leben rufen könnten. Es ist an sich ganz interessant: Ein Gründungsmitglied der Römer-Verträge und ein Neumitglied haben, glaube ich, sehr wichtige Themen zur Diskussion gestellt, die sonst eher untergehen. Normalerweise diskutieren wir in der Regierungskonferenz über die Institutionen, über das Stimmgewicht, sozusagen über die Machtfragen innerhalb der Union, wir jedoch haben ganz bewußt eine Initiative für Menschenrechte, für die Unionsbürgerschaft und für konkrete direktdemokratische Mitwirkungsmöglichkeiten der Bürger gestartet.

Diese Initiative ist, glaube ich, auch international sehr gut angekommen. In Schweizer Zeitungen ist sogar von einem helvetisch anmutenden Vorschlag aus Österreich und Italien die Rede gewesen.

Der Kern dieser Initiative zielt darauf ab, daß wir auch im Lichte der Erweiterung nur jene Länder mit aufnehmen wollen, die sich an ganz harte Kriterien bei Menschenrechten, Achtung der Minderheiten, Kampf gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit halten. Weiters haben Mitgliedstaaten, die das nicht tun, Sanktionen zu gewärtigen, die durch einen Beschluß mit qualifizierter Mehrheit – ihre Stimme wird dabei nicht mitgerechnet – wirksam werden. Das könnte bis zum Ausschluß von Stimmrechten gehen.

Wir wollen darüber hinaus die Unionsbürgerschaft stärken, das heißt, jeder Bürger der Union soll das Recht haben, neben seiner Muttersprache noch eine zweite EU-Sprache lernen zu können.

Wir wollen die Transparenz verankern, etwas, was in Skandinavien durchaus üblich ist. Jeder EU-Bürger soll Zugang zu Dokumenten haben, die im Rat, in der Kommission oder in den Parlamenten kursieren.

Weiters wollen wir versuchen, eine direkte Beteiligung der Bürger durch je ein Zehntel von Wahlberechtigten in drei Ländern zu verankern. Diese könnten zusammen eine Initiative starten und damit das Europäische Parlament zwingen, an die Kommission heranzutreten, um beispielsweise Initiativen durchzusetzen.

Ich glaube, der Vorschlag ist interessant. Er ist auch gut aufgenommen worden. Ich bin sicher, darüber gibt es noch heiße Diskussionen, aber das ist ein solcher Punkt.

Ein zweiter Punkt, der in der Öffentlichkeit besser bekannt ist: Wir haben ein eigenes, sehr umfangreiches Beschäftigungskapitel vorgeschlagen. Da ich weiß, daß später noch eine Frage dazu kommt, lasse ich das einmal so im Raum stehen.

Wir haben im Bereich Umweltschutz einige interessante Ideen vorgetragen.


Bundesrat
Stenographisches Protokoll
617. Sitzung / Seite 11

Wir haben uns im Tierschutz auf europäischer Ebene positioniert, denn wir glauben, daß es überhaupt nichts bewirkt, wenn wir jetzt in Österreich Alleingänge machen, womöglich dann noch verfassungsrechtlich das Gewicht zwischen Bund und Ländern zugunsten des Bundes verschieben, während in Europa eigentlich überhaupt keine Regelung gegeben ist. In diese Richtung wollen wir auf europäischer Ebene den Tierschutzgedanken verankern.

Zweites großes Thema: Wir wollen die innere Sicherheit, die Zusammenarbeit in der Justiz und die Polizeizusammenarbeit deutlich stärken. Da gibt es Ideen, daß man das quasi vergemeinschaftet. Ob das jetzt wirklich alles in die erste Säule hineinkommt oder ob eine der ersten Säule nachgebildete Zusammenarbeit entsteht, ist noch nicht recht klar, aber das ist ein sehr wichtiges Thema, denn ich glaube, daß Fragen wie Kampf gegen Drogen, organisiertes Verbrechertum, Kinderprostitution, Menschenhandel in den nächsten zehn, zwanzig Jahren die drängenden Probleme überhaupt sein werden.

Natürlich gibt es auch im Bereich der Verteidigungs- und äußeren Sicherheitsdimension sehr intensive Diskussionen, die zu einer deutlichen Annäherung von EU und Westeuropäischer Union, vor allem auf dem Gebiet der Friedenserhaltung, der Friedensdurchsetzung und des Krisenmanagements, führen.

Präsident Josef Pfeifer: Danke. – Wird eine Zusatzfrage gewünscht?

Bundesrat Dr. DDr. h. c. Herbert Schambeck: Ja, Herr Präsident. – Herr Vizekanzler! Welche konkreten Vorschläge hat die Republik Österreich zur Stärkung der umweltpolitischen Anliegen in der Regierungskonferenz vorgebracht?

Präsident Josef Pfeifer: Herr Bundesminister, bitte.


Bundesrat
Stenographisches Protokoll
617. Sitzung / Seite 12

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel:
Wir wollen zunächst einmal das Ziel des Umweltschutzes – eine nachhaltige ökologische Bewirtschaftung; also ein sustainable growth, um es neudeutsch auszudrücken – als Ziel im Europäischen Vertrag verankern, und zwar natürlich nicht nur als Ziel, sondern wir wollen es als Querschnittsmaterie auch in den relevanten Politiken der Europäischen Union verankern, das heißt, bei den Transeuropäischen Netzen, in der Verkehrspolitik, in der Agrarpolitik, in der Beschäftigungspolitik sollen die Umweltaspekte besonders erwähnt werden.

Wir wollen darüber hinaus die Dinge operational besser durchsetzen, indem die Kommission bei jedem Vorschlag, bei jeder Initiative, die sie macht, gezwungen wird, selbst auch die Umweltbeeinträchtigungen oder -auswirkungen nachzuweisen, damit dann der Rat und das Europäische Parlament besser informiert sind.

Wir wollen überdies sicherstellen, daß Mitgliedstaaten, die höhere Umweltstandards haben, diese nicht absenken müssen. Das ist für uns sehr relevant, weil unsere Übergangsfrist bis 1999 läuft und wir bis dahin die anderen nachziehen und nicht selber mit unseren Standards hinuntergehen wollen. Sollte ein solches Nachziehen nicht möglich sein, dann wollen wir erreichen, daß die Mitgliedstaaten, die schon höhere Standards haben, diese behalten können.

Auch dieser Vorschlag hat große Beachtung gefunden und wird diskutiert – Ergebnisse kann ich natürlich noch nicht melden, weil die Regierungskonferenz sicher noch bis Juni 1997 stattfindet und ihren Abschluß vermutlich in Amsterdam finden wird.

Präsident Josef Pfeifer: Wird eine zweite Zusatzfrage gewünscht? – Bitte sehr.

Bundesrat Dr. DDr. h. c. Herbert Schambeck: Wie könnte der Rückkoppelung der Regierungsvertreter im Rat an ihre jeweiligen nationalen Parlamente besser Rechnung getragen werden? – Wir im Bundesrat sind daran sehr interessiert.

Präsident Josef Pfeifer: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Das ist zunächst natürlich Sache der nationalen Rechtssetzungen. Österreich hat mit Sicherheit von allen Mitgliedstaaten die weitestgehende Einbindung nationaler Parlamente, trotzdem kann man im Zusammenhang mit dem Vertrag und vor allem in der technischen Abwicklung diesbezüglich mehr tun.

Wir wollen zum Beispiel eine Frist zwischen der Vorlage eines EU-Rechtssetzungsaktes und der Entscheidung durch den Rat einfordern, wollen diese erweitern, damit man in dieser Zwischenzeit auch notwendige Konsultationen mit dem Nationalrat oder mit dem Bundesrat durchführen kann. Wenn es solche Fristen nicht gibt und man quasi immer unter Druck entscheiden muß, ist natürlich eine seriöse und vernünftige Befassung der nationalen Parlamente fast nicht möglich. Eine solche Frist halte ich für sehr wichtig.

Überdies sollte die Kommission verpflichtet werden, ihre Ideen und ihre Initiativen den nationalen Parlamenten direkt vorzulegen, auch die Konsultationspapiere und ihre internen Überlegungen. Ich sage ganz offen: Das ist nicht uneigennützig, was ich hier fordere, sondern es ist in unserem eigenen Interesse als Außenministerium. Wir sind mit Papier überschwemmt! Zu Spitzenzeiten müssen wir pro Tag – pro Tag! – Tausende Seiten an verschiedene Ministerien, an das Parlament und so weiter verteilen, und daher ist es uns eine große Hilfe, wenn zum Beispiel die Kommission solche Dinge direkt an die nationalen Parlamente heranträgt, denn wir fühlen uns diesbezüglich bei gesunkenem Personalstand manchmal wirklich schon fast an der Grenze der Leistungsfähigkeit.

Präsident Josef Pfeifer: Danke schön.

Wir kommen nunmehr zur 2. Anfrage, 640/M, an den Herrn Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten, Herrn Vizekanzler Schüssel.

Ich bitte den Anfragesteller, Herrn Bundesrat Erhard Meier (SPÖ, Steiermark), um die Verlesung der Anfrage.

Bundesrat Erhard Meier: Herr Bundesminister!

640/M-BR/96

Wie beurteilen Sie die Entwicklung in Israel angesichts der seit dem Amtsantritt von Premier Netanyahu eingetretenen Eskalation?

Präsident Josef Pfeifer: Herr Bundesminister.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Herr Bundesrat! Fünf Jahre lang hat der Friedensprozeß eigentlich zum Teil beachtliche Ergebnisse gebracht. Seit der Ermordung des früheren Premierministers Perez ist eine ganz andere Situation eingetreten. Es findet in Israel eine ganz andere Polarisierung statt, das Sicherheitsbedürfnis rückt wiederum dramatisch in den Vordergrund. Dieser Machtwechsel in Israel hat natürlich selbst zu einer Verhärtung geführt, denn der Sieg von Premierminister Netanyahu, der übrigens eine sehr komplizierte Koalition hinter sich hat, hat natürlich seine Ursachen auch in den Aussagen, die vor der Wahl getätigt wurden, das muß man ganz klar sagen.

Das, was Netanyahu jetzt macht, hat er im wesentlichen vor der Wahl gesagt, und er hat natürlich auch mit diesen Aussagen gewonnen. Das ist, wenn man so will, das Problem der Demokratie, und eigentlich darf niemand überrascht sein, daß es Politiker gibt, die auch nach der Wahl das tun, was sie vor der Wahl gesagt haben.

Daß diese Dinge vor allem in den letzten 100 Tagen dramatisch eskaliert sind, ist bedauernswert, ist nach meiner Überzeugung sogar absolut besorgniserregend. Der Friedensprozeß ist kaum wieder in Gang gekommen – es hat Gott sei Dank einige Akte gegeben: ein direktes Treffen zwischen Netanyahu und Arafat, der israelische Staatspräsident hat sich da, glaube ich, gut engagiert.


Bundesrat
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617. Sitzung / Seite 13

Vor allem nach dieser unglaublich unglückseligen Tunnelaffäre – die Öffnung des 2000 Jahre alten Tunnels, der sich mitten in der Altstadt befindet, rief eine dramatische Eskalation hervor, die meines Wissens über 100 Tote, vor allem auf palästinensischer Seite, und 1 600 Schwerverletzte forderte – drängen wir von der Europäischen Union – ich sage jetzt bewußt "wir", weil diesbezüglich gibt es eine gemeinsame außen- und sicherheitspolitische Position aller EU-Staaten – die israelische Regierung und die PLO-Führung massiv, zum Gespräch und auch zu dem, was schon vereinbart ist, zurückzukehren.

Zum Beispiel ist der Abzug der israelischen Truppen aus Hebron vereinbart: Er muß durchgesetzt werden. Die Schließung der Grenzen der palästinensischen Autonomiegebiete ist eine Katastrophe. – Ich weiß nicht, ob alle die Situation dort richtig einschätzen: Durch die fast hermetische Schließung der Grenzen, die jetzt zwar ein bißchen gelockert wurde, aber noch immer ganz dramatische Auswirkungen hat, ist die Arbeitslosenrate von auf 50, 60 Prozent gestiegen, und dies betrifft vor allem junge Leute.

Das ist natürlich die Saat der Gewalt, die dann zuerst zu Steinwürfen, später zu Schüssen und am Ende zu einem Blutbad führen könnte. Daher ist es wichtig, daß man – auch wenn es schwer fällt – zu diesem behutsamen und konstruktiven Friedensdialog zurückkehrt – es gibt nach meiner Überzeugung keine Alternative dazu.

Präsident Josef Pfeifer: Danke. Wird eine Zusatzfrage gewünscht? – Bitte.

Bundesrat Erhard Meier: Herr Bundesminister! Sie sind schon teilweise auf meine zweite Frage eingegangen, ich stelle diese aber trotzdem: Gab es im EU-Rat der Außenminister eine Diskussion über Maßnahmen, die – trotz der schwachen Säule GASP der Europäischen Union – zu einer friedlichen Entwicklung dort beitragen können?

Präsident Josef Pfeifer: Herr Bundesminister.


Bundesrat
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617. Sitzung / Seite 14

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel:
Es gibt jetzt eigentlich in jedem EU-Außenministerrat einen ständigen Punkt "Friedensprozeß in Nahost", denn die EU ist auch ganz direkt und unmittelbar involviert. De facto kann überhaupt nur die Palästinensische Autonomiebehörde existieren, weil sie zu einem hohen Anteil von der Europäischen Union bezahlt wird – das muß man ganz offen auf den Tisch legen. Ich würde sagen, nach offiziellen Rechnungen bezahlt die Europäische Union 50 Prozent, nach inoffiziellen Rechnungen 75 Prozent, und zwar aus dem Gemeinschaftsbudget, damit das klar ist: Aus dem Gemeinschaftsbudget zahlt die Europäische Union de facto die Kosten der Palästinensischen Autonomiebehörde und auch sehr viel an Wirtschaftshilfe – und das ist beachtlich –: der Aufbau von Wasserleitungen, Schulprojekte, Sozial- oder Gesundheitsversorgung, all das wird eigentlich weitestgehend von Europa bezahlt, und ich halte das auch für richtig und notwendig.

Auf der anderen Seite ist Europa aber auch der wichtigste Abnehmermarkt für israelische Produkte: 60 Prozent der israelischen Exporte gehen nach Europa, und ich sage Ihnen ganz offen, ich sehe überhaupt nicht ein, daß man das nicht als Argument viel stärker ausspielt.

Ich habe das mehrere Male im Europäischen Außenministerrat getan, und das Ergebnis war, daß dann nach dem letzten europäischen Rat in Dublin der Ratsvorsitzende Irlands der Europäischen Union, Außenminister Dick Spring, zu einer Mission nach Jerusalem aufgebrochen ist, und ich halte das auch für wichtig. Ich weiß schon, daß er nicht überall willkommen war, aber es ist auch entscheidend, daß Europa hier Profil und Präsenz zeigt.

Präsident Josef Pfeifer: Wird eine zweite Zusatzfrage gewünscht? – Bitte.

Bundesrat Erhard Meier: Welchen Beitrag kann Österreich, das ja dort immer vermittelnd tätig war – ich erinnere an Kreisky und so weiter –, auch weiterhin leisten, um die Krise zwischen Israel und Palästinensern zu beruhigen und eine friedliche Entwicklung zu fördern?

Präsident Josef Pfeifer: Herr Minister.


Bundesrat
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617. Sitzung / Seite 15

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel:
Wir können und sollen unsere guten Dienste anbieten. Das tun wir auch, und sie werden auch sehr geschätzt. Ich habe selbst am Rande der UNO-Generalversammlung in New York sowohl mit dem palästinensischen Außenminister Faruk Kaddumi, aber auch mit allen relevanten Außenministern Jordaniens, Syriens, Ägyptens, Israels Gespräche geführt, auch Bundeskanzler Vranitzky hat sich da beteiligt, und ich glaube, Österreich sollte den Friedensprozeß unterstützen.

Das wichtigste Podium ist aber natürlich die Europäische Union, und in dem Sinn, so glaube ich, muß man jede einzelne Aktion eines Landes auch einbringen und koordinieren, vor allem mit der Ratspräsidentschaft.

Präsident Josef Pfeifer: Danke.

Wir kommen zur Anfrage 3, 654/M. Ich bitte Herrn Bundesrat Dr. Peter Kapral (Freiheitliche, Wien), seine Anfrage zu verlesen.

Bundesrat Dr. Peter Kapral: Herr Präsident! Herr Vizekanzler! Meine Frage lautet:

654/M-BR/96

Welche Haltung nimmt Österreich hinsichtlich des von der Bundesrepublik Deutschland im Rahmen der Regierungskonferenz eingebrachten Vorschlages der Errichtung eines unabhängigen Europäischen Kartellamtes ein?

Präsident Josef Pfeifer: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Herr Bundesrat! Es ist an sich ein alter Vorschlag der Deutschen, quasi die kartellrechtlichen Dinge aus der Kompetenz der Kommission herauszulösen und einem unabhängigen Kartellamt zuzuordnen. Das hieße de facto, daß die gesamte Generaldirektion 4, Wettbewerbsrecht, mit ihrem Kommissär Karel van Miert aufgelöst würde und damit in eine rein rechtliche Beurteilungsbehörde, dem Europäischen Gerichtshof oder ähnlichen Institutionen vergleichbar, umgewandelt werden würde.

Wir teilen diese Auffassung nicht, das sage ich ganz deutlich. Wir glauben, daß bei den kartellrechtlichen Überlegungen rechtliche, aber auch wirtschaftspolitische Überlegungen eine Rolle spielen, und wir glauben daher, daß dieser Teilbereich, der wichtig ist und ein Kernelement der Binnenmarktregelungen darstellt, so wie bisher im Rahmen der ersten Säule im Gemeinschaftsrecht von der Kommission und nicht von einem unabhängigen Kartellamt wahrgenommen werden sollte.

Präsident Josef Pfeifer: Zusatzfrage? – Bitte.

Bundesrat Dr. Peter Kapral: Herr Vizekanzler! Werden Sie sich für eine rasche Umsetzung der Gesetzgebungsmaßnahmen zur vollständigen Liberalisierung, die bis 1998 abgeschlossen sein sollen, und auch deren tatsächliche Anwendung, sowohl in den nationalen Rechten als auch EU-weit, einsetzen?

Präsident Josef Pfeifer: Bitte.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Entschuldigen Sie, Herr Bundesrat: Liberalisierung wovon?

Bundesrat Dr. Peter Kapral: Des Marktzuganges ganz generell. Liberalisierung der einzelnen nationalen Bestimmungen betreffend einen ungehinderten Marktzugang aller Wettbewerbsteilnehmer.

Präsident Josef Pfeifer: Bitte.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: An sich ist das Acquis Communautaire, das ist Rechtsbestand der Union, daß der Binnenmarkt allen Marktteilnehmern, die an diesem Binnenmarkt teilnehmen oder auf diesem anbieten, voll zugänglich sein soll. Daher gibt es vom Prinzip her überhaupt keinen Anlaß hier, anders als mit Ja zu antworten.

Weil ich nicht genau weiß, worauf Sie hinauswollen, füge ich kleine Fußnoten hinzu. Das könnte dann unter Umständen im Widerspruch zu unseren höheren Umweltstandards stehen. In diesem Bereich will ich Österreichs Standard natürlich nicht absenken, damit das ganz klar ist. Es könnte das unter Umständen zu bestimmten Übergangsfristen, die wir bei unserem Beitrittsvertrag ausgehandelt haben, im Widerspruch stehen.

Diese Bestimmungen sind davon ausgenommen. Manche Teilbereiche des Binnenmarktes sind innerhalb der Europäischen Union überhaupt noch in Diskussion. Ich erinnere etwa an die erst 1998 vorgesehene Volliberalisierung im Telekombereich. Es gibt diesbezüglich natürlich einige Punkte, die man ehrlicherweise anführen muß, aber prinzipiell stehe ich zu einem klaren und notwendigen Ja zu diesen Liberalisierungsschritten.

Präsident Josef Pfeifer: Wünschen Sie eine zweite Zusatzfrage? – Bitte.

Bundesrat Dr. Peter Kapral: Herr Vizekanzler! Welche Haltung nehmen Sie in der Frage der Verletzung der Ausschreibungsbedingungen und damit natürlich auch der Wettbewerbsregeln beim Neubauvorhaben für die Landeshauptstadt St. Pölten ein?

Präsident Josef Pfeifer: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Herr Bundesrat! Ich unterstütze die Haltung des Landes Niederösterreich, und zwar aus vollem Herzen, wenn man auch formalrechtlich durchaus ein Haar in der Suppe finden kann. Aber wenn man dieses Projekt, das ja vor dem Beitritt Österreichs zur Europäischen Union gestartet beziehungsweise ausgeschrieben wurde, wiederum gestoppt und eine europaweite Ausschreibung gemacht hätte, hätte das dazu geführt, daß in einer der schwierigsten Konjunkturkrisen der letzten zehn Jahre, in der sich Österreich befindet, auf einmal das größte Hochbauvorhaben der gesamten Republik Österreich zum Stillstand gekommen wäre und monatelang die Baustelle de facto verwaist gewesen wäre.

Also da muß ich ganz offen sagen: Wenn diesbezüglich jemand formalrechtliche Bedenken hat, dann soll er bitte auch die wirtschaftspolitischen Auswirkungen beachten. Daher bin ich als ehemaliger Wirtschaftsminister und heutiger Außenminister absolut an der Seite Niederösterreichs zu finden. (Beifall bei der ÖVP und Beifall des Bundesrates Konečny. )

Präsident Josef Pfeifer: Danke.

Wir kommen zur Anfrage Nr. 4: 647/M. Ich bitte Herrn Bundesrat Dr. Kurt Kaufmann (ÖVP, Niederösterreich), seine Anfrage zu verlesen.

Bundesrat Dr. Kurt Kaufmann: Herr Präsident! Herr Vizekanzler! Meine Frage lautet:

647/M-BR/96

Wie beurteilen Sie nach den Präsidentschafts-, Parlaments- und Kantonalwahlen den Stand des Friedensprozesses in Bosnien-Herzegowina?

Präsident Josef Pfeifer: Herr Vizekanzler.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Das ist ein Thema für eine sehr tiefschürfende und wahrscheinlich auch sehr ambivalente Beurteilung. Ich versuche es trotzdem ganz kurz. Ich beurteile ihn positiv, aber ich füge einige "aber" hinzu.


Bundesrat
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617. Sitzung / Seite 16

Das wichtigste war meiner Meinung nach, daß der Prozeß anhand der Zeitpläne, die in Dayton vor zehn Monaten vereinbart worden sind, wirklich anhält und weitergeht. Das halte ich für ungeheuer wichtig, denn damit behalten wir das Momentum für den Friedensprozeß.

Es ist auch zum Beispiel ungeheuer wichtig, daß diese Zentralwahl, die ja politisch nicht so relevant gewesen ist, denn de facto wurde ein Machtgleichgewicht, das es sowieso gibt, festgeschrieben – es kann quasi keine Volksgruppe die andere überstimmen, aber sie können einander blockieren –, stattgefunden hat, auch wenn sie nicht perfekt war, auch wenn es mit den berühmten P2-Formularen bei den Serben einen Schwindel gegeben hat, auch wenn die Flüchtlinge zum Teil daran gehindert wurden, in ihre frühere Heimat zurückzukehren. Das wissen wir alles. Das soll man auch beim Namen nennen. Wir sollen ja nicht den Eindruck erwecken, das war eine perfekte, faire und freie Wahl. Aber es ist wichtig, daß sie stattgefunden hat. – Das Wortspiel klingt in Englisch besser als in Deutsch: ballots instead of bullets. – Stimmzettel statt Gewehrkugeln.

Nach fünf Jahren ist der Krieg, der immerhin 200 000 Tote gefordert hat, Hunderttausende Verletzte, Millionen Vertriebene, einen volkswirtschaftlichen Schaden von mindestens etwa 40, 50 Milliarden Dollar bewirkt hat, dort zu einem Ende gekommen. Jetzt versucht man mühevoll, sich aneinander zu gewöhnen. Was am Ende herauskommen wird, weiß ich nicht. Ich hoffe, der Druck der Staatengemeinschaft wird auch in die Richtung gehen, daß man das Konzept der Föderation bewahrt, daß die Kroaten und Moslems miteinander auskommen.

Ich hoffe, daß man überdies an der Idee des Gesamtstaates Bosnien-Herzegowina inklusive Föderation und Republika Srpska festhält. Natürlich weiß ich auch, wie schwierig es ist, drei Völker in zwei Staaten, vier Währungen und drei verschiedene Wirtschaftsräume einzuteilen.

Das ist unglaublich schwierig, so etwas hat es meiner Meinung nach überhaupt noch nie gegeben, verehrter Verfassungsrechtler Herbert Schambeck! Es gibt kein Beispiel dafür. Trotzdem glaube ich, daß es enorm wichtig ist, daß dieser Prozeß anhält und daß man diesen weiter antreibt und daß man vor allem wirtschaftliche Erfolge anstrebt. Wenn sich die wirtschaftlichen Erfolge und wenn sich natürlich auch die internationale Staatengemeinschaft nicht mit entsprechenden finanziellen Mitteln einstellen, dann fangen dort wiederum die Konflikte an. Ich glaube, die einzige Hoffnung ist, daß die Menschen erkennen: Gemeinsam geht es besser.

Die Mehrheit in der Republika Srpska, die Mehrheit bei den Moslems oder Kroaten innerhalb der Föderation hat genug vom Krieg. Sie wollen ihre Ruhe und Arbeit und Brot. Es ist sehr schwierig – ich habe es im Ausschuß schon gesagt –, jetzt die Abrüstung der Armeen durchzusetzen. Armeen, die in beiden Teilen aus ungefähr 200 000 Profisoldaten bestanden, werden zu 80, 90 Prozent abgebaut, und plötzlich scheinen 150 000, 160 000 Leute mehr auf dem Arbeitsmarkt auf, die vorher wenigstens eine Uniform und ein bißchen etwas zum Essen gehabt haben und jetzt keinerlei Arbeitsmöglichkeit mehr haben.

Das sind die wahren Probleme, nicht die juristischen Spintisierereien. Darum muß man – und diesbezüglich bitte ich um Verständnis – von seiten der europäischen Völker diesen Prozeß auch alimentieren und dabei helfen. Es wäre eine Schande, wenn sich Europa, Amerika, der arabische Raum oder Japan jetzt, nachdem sich die Dinge endlich positiv entwickeln, zurückziehen und sagen: Wir zahlen nicht mehr. Das würde ich für ein wirkliches Drama halten. Jeder, der derartiges propagiert, hat dafür Verantwortung zu tragen.

Präsident Josef Pfeifer: Eine Zusatzfrage? – Bitte.

Bundesrat Dr. Kurt Kaufmann: Herr Vizekanzler! Können Sie kurz eine Bilanz über den Wahlablauf bei den letzten Wahlen geben?

Präsident Josef Pfeifer: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Ich glaube, daß der Ablauf der Zentralwahlen nicht perfekt gewesen ist – das habe ich schon erwähnt –, aber ich glaube, daß man diese Wahlen insgesamt – so haben es ja auch der zu


Bundesrat
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617. Sitzung / Seite 17

ständige OSZE-Botschafter Frowick und Flavio Cotti, derzeitiger Schweizer Vorsitzender der Konferenz für Zusammenarbeit und Frieden in Europa, bezeichnet – akzeptieren kann.

Es hat natürlich eine Reihe von Schwierigkeiten bei der Stimmenauszählung gegeben. Es gab keine landesweite EDV-Vernetzung, man hat das Ganze per Fax oder per Telefon weitergegeben. Es hat Parallelitäten gegeben. In Sarajewo hat es ein eigenes OSZE-Rechnungszentrum gegeben und dazu die eigene landesweite Behörde.

Es hat in diesem Zusammenhang Diskrepanzen gegeben, weil auch da und dort Fälschungen vorgekommen sind. Das Beispiel einer kleinen Gemeinde, wo 102 Prozent ihre Stimme abgegeben haben, ist bekannt.

Trotzdem glaube ich, daß man insgesamt diese Zentralwahl akzeptieren kann und soll. Sie hat auch eine bemerkenswerte politische Weichenstellung gebracht, weil zum Beispiel auf der serbischen Seite schon auch eine Pluralität an Meinungen zum Ausdruck gekommen ist. Es ist zum Beispiel schon sehr interessant, zu sehen, daß die serbische Opposition in der Republika Srpska eigentlich beachtlich zugelegt hat. Das heißt, es gibt zumindest im Parlament der Republika Srpska plötzlich eine echte aufbrechende Pluralität von Meinungen. Das halte ich für positiv. Auch auf der bosniakischen oder auf der kroatischen Seite gibt es das, wenngleich auch etwas schwächer. Es gibt Hoffnung, daß auch innerhalb der Volksgruppen jetzt eine Diskussion über den künftigen Weg möglich ist.

Präsident Josef Pfeifer: Eine zweite Zusatzfrage? – Bitte.

Bundesrat Dr. Kurt Kaufmann: Herr Vizekanzler! Meine Zusatzfrage lautet: Welche Schlußfolgerungen ziehen Sie daraus für die kommenden Kommunalwahlen?

Präsident Josef Pfeifer: Herr Vizekanzler, bitte.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Herr Bundesrat! Zunächst die realistische, daß die Kommunalwahlen viel schwieriger sein werden als die Zentralwahlen. Es ist auch noch nicht 100prozentig sicher, ob sie wirklich am 23./24. November 1996 stattfinden werden. Ich sage auch offen, ich habe meine Zweifel, ob das gescheit ist. Ich glaube, daß es nicht klug war vom amerikanischen Sonderbotschafter der OSZE Frowick, diesen Termin so mit Wucht durchzusetzen. Es haben auch viele professionelle Verantwortliche, die die Zentralwahlen im September durchgeführt und betreut haben, mittlerweile ihre Koffer gepackt und sind nicht mehr verfügbar. Die Wahlbeobachter stehen zum Teil nicht zur Verfügung. Aus klimatischen Gründen – da muß jetzt politisch gar nichts geschehen –, also wenn es schneit, kann der Zugang zu den Wahllokalen gefährdet sein. Die IFOR- oder NATO-Truppen sind nicht in der Lage, überall für Schneeräumung oder die Freihaltung von Zugängen zu sorgen. Die Sache ist wirklich schwierig.

Interessant ist, daß auch die finnische Menschenrechtsbeauftragte der Vereinten Nationen, Elisabeth Rehn, massiv in den letzten Tagen davor gewarnt hat. Flavio Cotti, OSZE-Chef, hat sich auch in diesem Sinn deutlich kritisch geäußert. Die Sache ist tatsächlich noch nicht 100prozentig sicher.

Aber es droht dort natürlich auch eine viel schärfere Polarisierung, denn bei den Kommunalwahlen geht es natürlich um die Macht in der jeweiligen Gemeinde. Da geht es nicht um eine gegenseitige Blockade oder Nichtblockade, eine Balance, sondern da geht es um die konkrete Macht, darum, wer jetzt die Bürokratie in dieser konkreten Gemeinde kontrolliert. Und da können enorme, auch emotionale Spannungen auftreten, und das muß man in Rechnung stellen.

Präsident Josef Pfeifer: Danke.

Wir kommen zur 5. Anfrage, 641/M. Anfragesteller ist Herr Bundesrat Albrecht Konečny (SPÖ, Wien) . Ich bitte Sie, die Frage zu stellen.

Bundesrat Albrecht Konečny: Herr Bundesminister! Meine Frage lautet:


Bundesrat
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617. Sitzung / Seite 18

641/M-BR/96

Sehen Sie Möglichkeiten, daß die österreichische Außenpolitik mit dazu beiträgt, daß international wirksame Maßnahmen gegen die außerordentlich schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen durch die neuen Machthaber in Afghanistan gesetzt werden?

Präsident Josef Pfeifer: Herr Vizekanzler, bitte.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Herr Bundesrat! Die Situation ist dort dramatisch und wirklich schrecklich. Meine Staatssekretärin hat schon am 4. Oktober 1996 in einer massiven Presseaussendung und öffentlichen Erklärung die Einhaltung der Menschen- und im besonderen auch der Frauenrechte angemahnt. Wir sind im Rahmen der EU-Außenminister dabei, eine konkrete Aktion zu setzen. Und im Rahmen der Vereinten Nationen ist die Ausarbeitung einer Resolution der Generalversammlung beabsichtigt. Als Grundlage dafür wurde ein eigener Sonderberichterstatter für Afghanistan, Yong Park aus Südkorea, bestellt. Er wird Anfang 1997 mit einer konkreten Mission dort hinfahren, hat aber bereits jetzt einen vorläufigen Bericht über Afghanistan vorgelegt, der sicherlich die Grundlage der weiteren Arbeiten sein wird.

Präsident Josef Pfeifer: Zusatzfrage? – Bitte sehr.

Bundesrat Albrecht Konečny: Herr Bundesminister! Ich gebe zu, in einem losen Zusammenhang auf die Gegend bezogen, zu den Menschenrechtsverletzungen, die im besonderen Maß zu verurteilen sind, gehört das Tragen eines innenpolitischen Kampfs nach draußen, die Verfolgung exilierter Opposition. Zeitungsmeldungen weisen darauf hin, daß hinsichtlich des Iran durch einen Überläufer neue Erkenntnisse über die Verfolgung der exilierten Opposition vorliegen. Diese Fälle haben auch nach Österreich hereingespielt, und zwar blutigst. Die Frage ist: Inwieweit liegen diesbezüglich Erkenntnisse und Informationen bei Ihrem Ministerium vor?

Präsident Josef Pfeifer: Herr Bundesminister, bitte.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Herr Bundesrat! Wir hatten bisher keine spezifischen Informationen, aber ich habe veranlaßt, auch schon aufgrund Ihrer Information vorher, daß wir das recherchieren und dann Informationen den Fraktionen gemeinsam zukommen lassen.

Präsident Josef Pfeifer: Wird eine zweite Zusatzfrage gewünscht? – Das ist nicht der Fall.

Wir kommen zur 6. Anfrage, 648/M. Fragesteller ist Herr Bundesrat Jürgen Weiss (ÖVP, Vorarlberg) . Ich bitte Sie, Ihre Frage zu verlesen.

Bundesrat Jürgen Weiss: Herr Vizekanzler! Meine Frage lautet:

648/M-BR/96

Welche Ergebnisse hat die Konferenz über Anti-Personenminen, die vom 3. bis 5. 10. 1996 in Ottawa stattfand, gebracht?

Präsident Josef Pfeifer: Herr Bundesminister, bitte.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Herr Bundesrat! Zunächst möchte ich allen danken, die sich bei diesem Thema sehr engagiert haben. Ich weiß, daß vor allem von dir, aber auch von anderen, insbesondere von Frau Bundesrätin Ilse Giesinger und auch von den Vorarlberger Bundesräten, aber auch parteiübergreifend von allen politischen Lagern und allen Fraktionen Unterstützung gegeben war, daß wir zu einem totalen Verbot der Anti-Personenminen kommen. Wir waren eigentlich sehr skeptisch bei dieser Konferenz in Ottawa, ob wirklich eine gemeinsame Lösung möglich erscheint.

Es hat dann in den letzten Tagen tatsächlich einen Durchbruch gegeben, der beachtlich und fast als historisch zu bezeichnen ist.


Bundesrat
Stenographisches Protokoll
617. Sitzung / Seite 19

Ich möchte Ihnen nur die Größenordnung aufzeigen: Es gibt derzeit weltweit angeblich – genau wird man es ja nie wissen – 110 bis 120 Millionen Landminen. Es werden jedes Jahr ungefähr 100 000 bis 200 000 entschärft. Aber es werden jedes Jahr ungefähr weitere 2 Millionen Landminen gelegt, und zwar im Minimum. Das nur, damit man ein bißchen die Situation kennt.

Die Situation ist dramatisch, weil pro Jahr Hunderttausende, vor allem Kinder, entweder ihr Leben verlieren oder verstümmelt werden und daher die Sache sowohl vom Humanitären, aber auch vom Wirtschaftlichen her eine Katastrophe ist. Wir haben das etwa – über das Thema haben wir nicht reden können – in Bosnien erlebt. Es sind weite Landstriche von Bosnien vermint gewesen. Es ist eine unglaublich heikle Sache, das wieder zu entschärfen. Übrigens ist eine kleine österreichische Firma, die Firma Schiebel – kleine Werbeeinschaltung –, weltweit Spitze im Aufspüren und im Entschärfen von solchen Landminen. Da sieht man, daß die Österreicher durchaus einen sehr eigenständigen und positiven Beitrag leisten.

Aber wirtschaftlich ist die Sache auch deswegen so dramatisch, weil auf Jahre hinaus quasi die landwirtschaftliche Bewirtschaftung einer Gegend unmöglich ist, wenn das vermint ist. Also in diesem Zusammenhang: Es ist ein wirklich drängendes und wichtiges Thema.

Wie haben wir jetzt reagiert? – Wir haben uns massiv für ein Totalverbot eingesetzt. Der größte Erfolg war, daß diese wichtige humanitäre Konvention jetzt aufgrund eines österreichischen Textentwurfes verhandelt werden soll. Es wird jetzt zu einer Nachfolgekonferenz kommen, die spätestens im Dezember 1997 abgeschlossen werden soll. Sie wird wiederum in Kanada stattfinden, denn Kanada hat sich auch massiv in diesem Bereich eingesetzt. Aber, wie gesagt, Österreich hat sich da enorm gut behauptet und hat auch zum Teil beachtlich am Erfolg dieser Vorbereitungskonferenz mitgewirkt.


Bundesrat
Stenographisches Protokoll
617. Sitzung / Seite 20

Präsident Josef Pfeifer:
Zusatzfrage? – Bitte.

Bundesrat Jürgen Weiss: Welche weitere Entwicklung erwarten Sie, auch bezogen auf eine allenfalls notwendige innerstaatliche Umsetzung, aus diesem dankenswerten Fortschritt?

Präsident Josef Pfeifer: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Herr Bundesrat! Wir haben uns – dafür muß man auch dem Verteidigungsminister danken – als das erste Land im vorigen Herbst zu einem Totalverbot bereit erklärt. Das war natürlich nicht von vornherein klar. Es hat der persönlichen Überzeugungskraft des Verteidigungsministers bedurft. Ich bin auch froh, daß es mir gelungen ist, das in einer Fragestunde des Nationalrates im vorigen Herbst auch der Öffentlichkeit erstmals vorzustellen. Ich glaube, daß das auch ein wirklicher Durchbruch war. Aufgrund dieser Vorreiterrolle, die Österreich hier eingenommen hat, sind dann andere gekommen. Wir haben das dann innerhalb der EU zu einem der wenigen erfolgreichen Beispiele der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik machen können, haben dann einen eigenen Resolutionsentwurf vorgelegt. Wir werden jetzt diesen Text bei sämtlichen möglichen Vertragspartnern zirkulieren lassen.

Sämtliche Botschaften sind beauftragt, Lobbying zu machen, damit möglichst viele Staaten diesen Vertragstext Ende Dezember 1997 ratifizieren.

Präsident Josef Pfeifer: Wird eine zweite Zusatzfrage gewünscht? – Das ist nicht der Fall.

Wir kommen zur 7. Anfrage, 642/M. Der Fragesteller ist Herr Bundesrat Dr. Michael Ludwig (SPÖ, Wien) . Ich bitte, die Anfrage zu verlesen.

Bundesrat Dr. Michael Ludwig: Sehr geehrter Herr Vizekanzler! Meine Frage lautet:

642/M-BR/96

Auf welche Art und Weise unterstützt Österreich die Bemühungen der Europäischen Union gegen den völkerrechtswidrigen Geist des Helms/Burton-Gesetzes der USA?

Präsident Josef Pfeifer: Herr Vizekanzler.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Wir sind als Teil der Europäischen Union voll an den Beschlüssen der EU beteiligt und haben sie auch massiv selbst vorangetrieben. Ich glaube, daß die Art und Weise, wie ein Land quasi eine exterritoriale Gesetzgebung außerhalb seiner eigenen Landesgrenzen durchsetzen will, tatsächlich insofern inakzeptabel ist, als sie dem Geist, aber auch dem Buchstaben der GATT-Verträge innerhalb der Welthandelsorganisation absolut widerspricht. So sehr ich – das möchte ich schon deutlich dazusagen – die politische Intention unterstütze, daß man Regimes, wie etwa im Iran, in Libyen oder in Kuba, dazu bringt, auf mehr pluralistische Demokratie in Richtung Achtung von Menschenrechten, in Richtung Minderheitenschutz et cetera einzusteigen, so wenig kann ich akzeptieren, daß quasi andere Länder durch eine solche Gesetzgebung beeinträchtigt werden.

Es gibt ein klares EU-Aktionsprogramm. Es gab in New York ein langes, sehr emotional geführtes Gespräch mit dem amerikanischen Außenminister Warren Christopher. Wir rechnen eigentlich damit und hoffen es auch sehr, daß nach der amerikanischen Wahl der amerikanische Präsident diese Gesetzgebung, die ja nicht so sehr von der Bürokratie und vom Präsidenten gekommen ist, sondern aus dem Senat, aus dem Kongreß, aussetzt und damit unwirksam macht.

Präsident Josef Pfeifer: Eine Zusatzfrage? – Bitte.

Bundesrat Dr. Michael Ludwig: Herr Vizekanzler! Sind Ihnen Auswirkungen dieses Gesetzes auf potentielle österreichische Investoren in Kuba bekannt?

Präsident Josef Pfeifer: Bitte.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Natürlich sind uns einige bekannt, aber ich bitte um Verständnis dafür, daß ich jetzt auch aus den genannten Gründen nicht einzelne Firmen nennen möchte, weil das unter Umständen sogar einen indirekten Schaden für sie bedeuten könnte. Ich habe mich selbst mit einigen Firmen in Verbindung gesetzt und bin händeringend gebeten worden, einzelne Firmen nicht öffentlich zu nennen, weil sie unter Umständen indirekte wirtschaftliche Schädigungen erfahren könnten.

Präsident Josef Pfeifer: Eine zweite Zusatzfrage? – Das ist nicht der Fall.

Wir kommen zur 8. Frage, 652/M. Fragesteller: Herr Bundesrat Dr. Peter Harring (Freiheitliche, Kärnten) . Ich bitte Sie, die Frage zu verlesen.

Bundesrat Dr. Peter Harring: Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Vizekanzler! Meine Frage lautet:

652/M-BR/96

Werden Sie dafür sorgen, daß es spätestens im Zuge eines allfälligen EU-Beitritts Sloweniens zur Anerkennung der Altösterreicher deutscher Muttersprache als Volksgruppe kommt sowie die Rechte der Vertriebenen gewährleistet werden?

Präsident Josef Pfeifer: Herr Vizekanzler.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Herr Bundesrat! Ich schicke einmal voraus, daß ich sehr großes Verständnis für die Anliegen der Altösterreicher, der deutschsprechenden Minderheit in Slowenien, aber auch für die Gottscheer habe. Ich glaube, man sollte das auch so definieren. Es ist eben nicht eine Gruppe, sondern es handelt sich eigentlich um mehrere Gruppen, die da gemeint sind und die auch zum Teil individuell gesehen werden wollen. Diese Gruppen wollen selber auch nicht alle in einen Topf geworfen werden, sondern sie haben sehr spezifische Interessen und wollen diese auch spezifisch berücksichtigt sehen.


Bundesrat
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617. Sitzung / Seite 21

Zweite Vorbemerkung: Ich bin dafür, daß man diese Fragen bilateral diskutiert und nicht in einem multilateralen Zusammenhang. Ich sage Ihnen auch ganz offen dazu, die Italiener haben es mehr als bereut, daß sie ihre bilateralen Probleme, die sie aus der Kriegs- und Nachkriegszeit gehabt haben, in einen Zusammenhang mit dem Assoziierungsvertrag Sloweniens mit der Europäischen Union gebracht haben. Das hat der Sache keinen guten Dienst erwiesen. Das Ergebnis ist eigentlich auch schlechter gewesen, als wenn man es anders gemacht hätte. Ich sage daher, bilateral ist bilateral verhandeln, multilateraler Zugang muß multilateral verhandelt werden.

Das Thema dieser Minderheiten wurde von mir bereits mehrfach angesprochen. Ich war im Frühjahr beim damaligen Außenminister Sloweniens Thaler in Laibach und habe ihn auch massiv mit den ganz konkreten Wünschen vertraut gemacht, habe ihn gebeten, er soll auch die verschiedenen Gruppierungen empfangen. Es gibt dort – das ist eine Schwierigkeit – keine klare Struktur, wer jetzt wen vertritt. Das hat er mir zugesagt.

Leider – das möchte ich hier auch nicht verschweigen – hat der frühere Außenminister diese Zusage nicht eingehalten oder nicht einhalten können. Er wurde auch mittlerweile abgelöst. Ich habe mit seinem Nachfolger Außenminister Kracun bei der Generalversammlung in New York – da hat man die Möglichkeit, alle zu treffen – das noch einmal thematisiert und auch von dort die Zusage bekommen, er wird sich die Mühe machen und wird mit diesen Gruppen reden. Das halte ich für ganz entscheidend. Das Wichtigste sind ja gar nicht einmal besonders dramatische Forderungen, sondern das sind eigentlich kleine Gesten, die so wichtig wären, daß einfach die Achtung vor dieser Volksgruppe, vor dieser Minderheit bestätigt wird. Ich glaube, daß ein gewisses Verständnis da ist, das allerdings auch, glaube ich, von österreichischer Seite sehr, sehr unterstützt werden muß. Dazu bin ich bereit.

Präsident Josef Pfeifer: Eine Zusatzfrage? – Bitte.

Bundesrat Dr. Peter Harring: Herr Vizekanzler! Was können Sie als österreichischer Außenminister tun, damit die Beschlüsse von Jajce vom November 1943, die dann im Jahr 1944 in Belgrad bekräftigt worden sind, wonach allen im damaligen in Jugoslawien lebenden Staatsbürgern, die österreichische Muttersprache gehabt haben, alle Rechte aberkannt worden sind, auch die privatrechtlichen Rechte, im heutigen Slowenien revidiert werden?

Präsident Josef Pfeifer: Bitte, Herr Bundesminister.


Bundesrat
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617. Sitzung / Seite 22

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel:
Von der inhaltlichen Verurteilung dieser Beschlüsse trennt uns nichts. Ich glaube, daß diese Beschlüsse tatsächlich absolut menschenrechtswidrig und menschenverachtend sind. Das Problem ist ein juristisches.

Die heutige Republik Slowenien sieht sich natürlich nicht als der Rechtsnachfolger dieses seinerzeitigen Staates. Daher ist es auch juristisch fast unmöglich, sie zu einer Revision dieser Beschlüsse zu bringen, weil es keine Sukzession gibt. Wie gesagt, ich glaube, daß man erreichen kann, daß, so wie es auch sehr stark verhandelt wird in anderen ähnlich gelagerten Fällen – ich denke etwa an die jetzt in Verhandlung stehende Deklaration von seiten der tschechischen Regierung, die mit den Deutschen verhandelt wird –, man vielleicht in eine Richtung der inhaltlichen Wertung kommt und daß das wahrscheinlich ein großer Durchbruch wäre. Juristisch ist die Sache, glaube ich, sehr schwierig.

Präsident Josef Pfeifer: Eine zweite Zusatzfrage? – Bitte.

Bundesrat Dr. Peter Harring: Als Kärntner Bundesrat frage ich Sie nach Ihrer ganz persönlichen Meinung: Ist es Ihrer Meinung nach ein völkerrechtliches Unrecht, daß die Slowenen zwar die Italiener und die Ungarn anerkannt haben, zum Teil auch die Roma und Sinti, aber die Altösterreicher einfach nicht?

Präsident Josef Pfeifer: Herr Minister.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Die Frage ist, glaube ich, zu schnell gestellt. Wir sind jetzt in einem Prozeß – das halte ich für wichtig –, daß wir gemeinsam mit den Slowenen einmal wissenschaftlich aufarbeiten – damit man wirklich außer Streit stehende Fakten auf dem Tisch hat –, wer diese diversen Minderheiten sind, wie groß sie sind und wo sie leben. Diese Studie schreitet gut voran.

Ich habe damit den Kärntner Zeithistoriker Stefan Karner, der in Graz eine Dozentur innehat, beauftragt und auf slowenischer Seite einen Historiker – sein Name fällt mir jetzt nicht –, einen höchst angesehenen Mann. Ich habe ihn selbst in Laibach kennengelernt. Sie versuchen, das wirklich außer Streit zu stellen. Sie versuchen, Fakten auf den Tisch zu legen, die dann für eine politische Bewertung und Diskussion dienen sollen.

Wir haben auch in einem vertraulichen Kreis in der Südsteiermark, der nicht der Öffentlichkeit zugänglich war, mit an die hundert interessierten Teilnehmern aus Kärnten, aus der Südsteiermark, aus Slowenien diese Dinge diskutiert. Ich würde daher bitten, daß man diesen Prozeß auch als Prozeß begreift.

Es würde überhaupt der Sache nicht dienen, würde ich da vollmundige Erklärungen abgeben, sondern ich glaube, daß man jetzt diese Studie abwarten soll, sie wird bis spätestens Mitte nächsten Jahres vorliegen, und dann geht die Entwicklung in die von Ihnen angedeutete Richtung.

Präsident Josef Pfeifer: Danke.

Wir kommen zur 9. Anfrage, 649/M. Ich bitte Herrn Bundesrat Peter Rieser (ÖVP, Steiermark) , seine Anfrage zu verlesen.


Bundesrat
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617. Sitzung / Seite 23

Bundesrat Peter Rieser:
Herr Vizekanzler! Meine Frage lautet:

649/M-BR/96

Welche Perspektiven sehen Sie für die Ansiedlung der umfassenden Atomteststopporganisation (CTBOTO) in Wien?

Präsident Josef Pfeifer: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Das war ein großer Erfolg eines gemeinsamen österreichischen Lobbyings, der einzige Erfolg, der in diesen Tagen oder in diesen Monaten überhaupt möglich gewesen ist.

Das ist übrigens eine besonders wichtige Organisation, die hier in Wien ihren Sitz haben wird. Vor drei Wochen haben wir in New York den Durchbruch erzielt, es haben dann innerhalb eines Tages – von Bill Clinton abwärts – 75 Staaten diesen Vertrag unterzeichnet, der jetzt dem österreichischen Parlament, National- und Bundesrat, zur Ratifizierung vorgelegt werden wird. Das ist insofern ein besonders wichtiger Prozeß, als zum ersten Mal seit Jahrzehnten die Serie von bisher 2 000 Atomversuchen, die überirdisch in der Atmosphäre, unterirdisch oder unterhalb der Meeresoberfläche gemacht wurden und die zum Teil unglaubliche, vor allem ökologische Auswirkungen gehabt haben, ein für allemal zum Ende kommt.

Daß diese Organisation, die die Einhaltung dieser Atomteststopps überwachen wird, in Wien ihren Sitz haben wird – sie wird in der Endausbaustufe über 300 Experten verfügen, keine Bürokraten, sondern Experten –, ist eigentlich ein ganz großer Erfolg. Zusammen mit der Internationalen Atomenergieorganisation und der CTBTO ist Wien – um es journalistisch zu sagen – die Welthauptstadt im Kampf gegen die Atombombe geworden. Das ist eigentlich eine ganz tolle Sache für uns.

Präsident Josef Pfeifer: Zusatzfrage? – Bitte.

Bundesrat Peter Rieser: Herr Vizekanzler! Wie ordnet sich der Atomsperrvertrag in die weltweite Abrüstungsbestrebung ein?

Präsident Josef Pfeifer: Herr Bundesminister, bitte.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Herr Bundesrat! Es hat bisher 2 000 Atomversuche, die natürlich der Aufrüstung des eigenen Nuklearpotentials gedient haben. Jetzt sind die Atomversuche beendet. Wir kämpfen derzeit darum, daß es weltweit zu einer Ratifizierung des SALT-II-Vertrages kommen wird. Derzeit ist gerade der amerikanische Verteidigungsminister Perry in Moskau. Wenn dieser Vertrag ratifiziert und umgesetzt sein wird, dann kommen wir zu einer Reduzierung der Atomsprengköpfe um 70 bis 80 Prozent. Dazu kommen die diversen Abrüstungsverträge, was konventionelle Streitkräfte betrifft, die zum Teil spektakulär sind. Ich habe das Beispiel in Bosnien erwähnt. Aber auch in der Ukraine, in Rußland, in den Staaten des Warschauer Paktes, aber auch innerhalb der NATO gibt es derzeit auch eine enorme Abrüstung konventioneller Streitkräfte. Es ist die Präsenz amerikanischer Truppen, der NATO-Truppen, insgesamt in Europa deutlich reduziert worden. Dazu kommt noch die Chemiewaffen-Konvention, die dazu dienen soll, daß der Gebrauch und die Erzeugung von chemischen Waffen deutlich reduziert werden. Auch biologische Waffen werden derzeit besonders scharf unter die Lupe genommen und sollen durch internationale Verträge reduziert werden. Über das Verbot der Landminen haben wir schon geredet.

Das heißt, insgesamt haben wir zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit seit der Aufrüstungsphase bis zum Höhepunkt des Kalten Krieges die Chance, daß es wirklich zu einer weltweiten, vor allem auch in Europa spürbaren Verringerung der Rüstungsanstrengungen kommt. Das halte ich gerade für unseren sehr sensiblen Platz mitten in Europa für ungeheuer wichtig.

Präsident Josef Pfeifer: Eine weitere Zusatzfrage? – Bitte.

Bundesrat Peter Rieser: Herr Vizekanzler! In den Medien konnte man in der letzten Zeit häufig von den Schwierigkeiten des Amtssitzes Wien sowie darüber lesen, daß im Wiener Konferenzzentrum eine beträchtliche Anzahl von Büroräumen leersteht. – Wie viele Stockwerke werden nach der Ansiedlung der Atomteststopp-Organisation weiterhin unbesetzt bleiben?

Präsident Josef Pfeifer: Herr Bundesminister, bitte.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Zunächst einmal möchte ich sagen: Es wird wie sooft in den Medienberichten stark übertrieben, so auch über die leerstehenden Räume in der UNO-City. Es ist richtig, daß wir einige kleinere Organisationen abgesiedelt haben. Zum Beispiel ist die Palästinenser-Organisation, die UNRWA, in den Nahen Osten zurückkehrt. Wir hatten Schwierigkeiten mit der UNIDO, diese mußte drastisch reduziert werden und hat das, glaube ich, gut geschafft. Es waren daher vorübergehend – am Höhepunkt, nämlich im vergangenen Herbst – sechs Stockwerke leer.

Mittlerweile ist durch einige kleine Zusatzmaßnahmen, die wir gesetzt haben, für die ich auch dem derzeitigen Generalsekretär der Vereinten Nationen, Boutros-Ghali, sehr danken möchte, die Situation eine andere. An dieser Stelle möchte ich auch eine andere Person sehr loben, die auf diesem Gebiet Insider-Kenntnisse hat, nämlich meine Staatssekretärin Benita Ferrero-Waldner, die aus der UNO kommt. Sie war dort die höchste österreichische Beamtin und eine der engsten Mitarbeiterinnen von Boutros-Ghali. Sie hat natürlich diese Insider-Kenntnisse und auch die direkten persönlichen Kontakte unglaublich geschickt ausgenützt und damit für Österreich, jetzt in Verbindung mit der CTBO, sichergestellt, daß die UNO-City ab April nächsten Jahres voll besetzt ist und kein Stockwerk mehr leersteht. In diesem Sinne unterstütze ich vollen Herzens die Wiederkandidatur von Boutros-Ghali, denn wer uns Gutes tut, kann auch von uns Gutes erwarten. (Beifall bei der ÖVP.)

Präsident Josef Pfeifer: Danke.

Wir kommen zur 10. Anfrage, 643/M. – Fragesteller ist Herr Bundesrat Josef Rauchenberger (SPÖ, Wien). Ich bitte, die Frage zu stellen.


Bundesrat
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617. Sitzung / Seite 24

Bundesrat Josef Rauchenberger:
Herr Vizekanzler! Meine Frage lautet:

643/M-BR/96

Wie beurteilen Sie die Möglichkeiten eines abgestimmten Verhaltens der neutralen EU-Staaten Österreich, Schweden, Finnland und Irland bei der Entwicklung einer europäischen Sicherheitsarchitektur?

Präsident Josef Pfeifer: Herr Vizekanzler, bitte.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Jedes Land vertritt natürlich seine eigene spezifische Politik und seine Interessen. Manches kann natürlich parallel sein mit anderen Staaten. Anderes ist, glaube ich, einfach eigenständig zu sehen. Es gibt daher mit den anderen bündnisfreien Ländern immer wieder Gespräche, und wir versuchen natürlich auch, aufeinander einzugehen und zu erfahren, wie die Lage und die Sicht der Dinge sind.

Das Interessante ist, daß Österreich das erste Land gewesen ist, das im Rahmen der Vorbereitungskonferenz, also in der sogenannten Reflexionsgruppe für die Regierungskonferenz, einen Ansatz vorgetragen hat, daß man in den europäischen Vertrag die sogenannten Petersberg-Aktionen, also Friedensdurchsetzung, Friedensschaffung, Friedenserhaltung, Krisenmanagement und humanitäre Hilfe, in den Vertrag integriert und dann die Westeuropäische Union mit der Durchführung beauftragt.

Dieser Ansatz Österreichs ist dann im Rahmen der Regierungskonferenz in einer gemeinsamen und europaweit sehr gut kommunizierten Aktion von Finnland und Schweden vorgestellt worden, und es ist im wesentlichen schon in der Reflexionsgruppe eine ziemlich unbestrittene Mehrheitsmeinung gewesen, abgesehen von Großbritannien. Die Briten nehmen hier eine spezifische Rolle ein, und zwar wollen sie die Westeuropäische Union überhaupt nicht an die EU heranführen. Ich glaube aber, daß die Briten diese Sache am Ende akzeptieren werden, und gewisse Anzeichen deuten auch schon in diese Richtung.

Es gibt da gewisse Gemeinsamkeiten. Der Unterschied zu Finnland und Schweden ist natürlich der, daß wir uns tatsächlich alle Optionen – auch im Regierungsübereinkommen festgelegt – offenhalten, und daß wir erst im Lichte der Veränderungen innerhalb der NATO, innerhalb der Westeuropäischen Union, im Lichte einer paneuropäischen Sicherheitskonzeption, die unter Umständen zu einem Partnerschaftsabkommen mit Rußland und der Ukraine führen könnte, im Lichte dieser Diskussion, die von uns nicht beeinflußbar ist, unsere Optionen festlegen werden. Wir halten uns sozusagen alles offen. Die Finnen und die Schweden sind da viel restriktiver.

Präsident Josef Pfeifer: Eine Zusatzfrage? – Bitte.

Bundesrat Josef Rauchenberger: Herr Vizekanzler! Aus Ihrer Antwort schließe ich, daß Sie neben der Zusammenarbeit dieser neutralen Staaten auch die Chance sehen, andere Kleinstaaten Europas, die ähnlich gelagerte Interessen wie Österreich haben, in diese neue europäische Sicherheitsarchitektur einzubinden.

Präsident Josef Pfeifer: Herr Bundesminister, bitte.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Am Ende wird es wichtig sein, alle 15 EU-Staaten für eine gemeinsame europäische Sicherheitsarchitektur zu gewinnen, denn das ist auch das Ziel der Regierungskonferenz. Wir sind nur dann erfolgreich – das macht die Regierungskonferenz auch so schwierig –, wenn am Ende alle im Konsensweg dem zustimmen. Es genügt natürlich nicht, daß man sich mit drei, vier Ländern gut versteht und sagt: Wir sind klass, und die anderen interessieren uns nicht. – Dabei kommt ja nichts Vernünftiges heraus. Am Ende muß man alle auf eine Position bringen.


Bundesrat
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In diesem Sinne verstehen wir unser Lobbying, nämlich daß wir in manchen Bereichen, die uns besonders interessieren – einiges wurde schon im Rahmen der Regierungskonferenz erwähnt –, aktiv, initiativ sind, in anderen Bereichen aber versuchen, so weit gesprächsfähig und flexibel zu sein, daß wir tatsächlich eine gemeinsame Position aller fünfzehn zustande bringen, denn das übergeordnete Ziel ist es natürlich, eine gemeinsame Sicherheitspolitik der EU zustande zu bringen, und dies scheint mir unverzichtbar zu sein.

Präsident Josef Pfeifer: Zweite Zusatzfrage. – Bitte.

Bundesrat Josef Rauchenberger: Wie beurteilen Sie im Zusammenhang mit der gemeinsamen Aktion, die Sie soeben genannt haben, den Beschluß der Parlamentarischen Versammlung der WEU, da keine Verschmelzung zwischen EU und WEU vorzunehmen?

Präsident Josef Pfeifer: Bitte.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Das ist eine Meinung. Genauso gibt es in der Regierungskonferenz auch unterschiedliche Länderpositionen. Man kann sagen, eine starke Hälfte – ich bin jetzt nicht sicher, ob es die Mehrheit ist – der Mitgliedstaaten vertritt die Verschmelzung, natürlich nicht schon in dieser Regierungskonferenz, aber als Ziel. Die Frage ist, ob das als Option stehenbleibt oder als Formulierung. Längerfristig ist das Ziel die Verschmelzung. Ob das erreicht wird, wage ich zu bezweifeln. Ich glaube es nicht. Aber diese Hälfte-Meinung vertritt in etwa die Hälfte der EU-Mitgliedstaaten.

Auf der anderen Seite gibt es EU-Mitglieder, wie zum Beispiel die Briten, die sagen, das kommt überhaupt nie in Frage. Aber es gibt auch solche, die sagen, wir wollen das zwar nicht ausschließen, wir glauben, daß es irgendwann einmal dazu führen könnte, aber wir sind noch nicht so weit. – Daher würde ich diesen Beschluß der Parlamentarischen Versammlung, der klarerweise nur konsultativen Charakter haben kann, als eine dieser Meinungen sehen. Einen echten Beschluß gibt es aber in dieser Frage noch nicht.

Präsident Josef Pfeifer: Danke.

Wir kommen zur 11. Anfrage, 650/M. – Ich bitte Frau Bundesrätin Therese Lukasser (ÖVP, Tirol), die Anfrage zu stellen.

Bundesrätin Therese Lukasser: Sehr geehrter Herr Vizekanzler! Meine Frage lautet:

650/M-BR/96

Welche Überlegungen sind für die von Ihnen wiederholt angesprochene Eröffnung neuer österreichischer Vertretungsbehörden maßgeblich?

Präsident Josef Pfeifer: Bitte, Herr Vizekanzler.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Erstens bereiten wir uns auf die EU-Präsidentschaft vor – zweite Hälfte 1998 –, und man muß natürlich genau überlegen, in welchen Ländern, in welchen Regionen wir dann unmittelbar handlungsfähig sein müssen. Das alles kann ich natürlich dann nicht von Moskau oder von Finnland oder von Stockholm oder von wo aus auch immer machen, sondern ich muß mir überlegen, wo ich tatsächlich vor Ort präsent sein muß.

Das zweite Kriterium muß sein: Haben wir Länder vor uns – das trifft jetzt im besonderen für die baltischen Staaten zu, also für Litauen, Lettland und Estland –, haben wir es mit Staaten zu tun, die Beitrittskandidaten sind? – Da muß ich ganz offen sagen: Wenn assoziierte Länder beitreten wollen, dann ist es für mich eigentlich absolut wichtig, daß wir dort, vor Ort, in der Hauptstadt vertreten sind, denn wir müssen die Situation, die objektiven Schwierigkeiten beurteilen können. Ein solcher Beitritt ist eine enorm schwierige und sorgsam zu behandelnde Frage. Da braucht man natürlich Informationen aus erster Hand, da reicht es nicht, daß man im Beipack Informationen mitliefert. Das soll keine Kritik an der bisherigen Vertretungsaufgabe sein, aber es ist


Bundesrat
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617. Sitzung / Seite 26

eben ein Unterschied, ob man beispielsweise von Helsinki aus ein Land mitbetreut oder direkt vor Ort täglich, stündlich die Informationen erhält.

Der nächste Punkt ist, daß wir jetzt nach Jahren einer gewissen Stabilisierung und Konsolidierung – auch außenpolitisch – wieder offensiv werden müssen und können. Ich habe auch sichergestellt, daß wir intern durch Umschichtungen ohne Personalaufstockungen das Auslangen finden können. Ich vertrete nämlich die Auffassung, daß wir nicht mit Vollbotschaften, mit Residenz und Büro und Dienstwagen, und ich weiß nicht was alles, agieren sollen, sondern uns für sparsamere, kleinere Lösungen entscheiden. Diese sind vielleicht eine Riesenchance für junge Diplomaten, sich einmal zu behaupten. Das ist vielleicht ein etwas ungewöhnlicher Ansatz, der aber insgesamt der Außenpolitik guttun wird.

Präsident Josef Pfeifer: Eine Zusatzfrage? – Bitte.

Bundesrätin Therese Lukasser: Herr Bundesminister! Konkret: Was planen Sie in diesem Zusammenhang im Bereich des früheren Jugoslawien?

Präsident Josef Pfeifer: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Zunächst haben wir jetzt wieder den Botschafter in Belgrad installiert, das ist Botschafter Weninger. Jetzt ist es im Turnus wieder neu ausgeschrieben, also wir haben wieder einen Vollbotschafter. Das ist, glaube ich, sehr wichtig und entscheidend. Wir sind natürlich in Kroatien und in Slowenien vertreten. Und wir vertreten die Auffassung – das ist auch ein neuer, ein offensiver Punkt –, daß wir in Skopje vertreten sein müssen. Ich glaube nicht, daß wir Makedonien, so wie das heute der Fall ist, von Albanien aus mitbetreuen können, denn gerade die albanische Frage ist in bezug auf Makedonien sehr sensibel. Es gibt dort eine enorm starke albanische Minderheit. Wenn man das jetzt von Albanien mitbetreut – so wie heute –, könnte das für einen jungen Staat, der natürlich besonders sensibel ist, das falsche Signal sein.

Die andere Alternative, nämlich daß man Makedonien von Belgrad aus betreut, halte ich aber auch für das falsche Signal, denn damit würden wir eigentlich die Prädominanz Belgrads über Makedonien unterstreichen, und das ist genau jenes Signal, das ich nicht setzen möchte. Also in Skopje möchte ich eine kleine Botschaft errichten.

Präsident Josef Pfeifer: Eine zweite Zusatzfrage: Frau Bundesrätin, bitte.

Bundesrätin Therese Lukasser: Wie sehen Sie, Herr Vizekanzler, die Pläne für das Gebiet der ehemaligen Sowjetunion?

Präsident Josef Pfeifer: Bitte, Herr Vizekanzler.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Dort ist die Lage jene, daß wir von Moskau aus den gesamten zentralasiatischen Raum betreuen. Aber das ist auch ein Riesenproblem: erstens einmal schon regional, aber zweitens auch deshalb, weil das eine Menge von sieben, acht, neun, zum Teil sehr selbstbewußten, erwachenden Staaten ist, die außerdem eine völlig andere Kultur und ein völlig andere Tradition haben. Diese von Moskau aus mit zu betreuen, ist auch technisch fast unmöglich. Unser Botschafter Siegl, der einen ganz ausgezeichneten Job dort macht, ist an der Grenze seiner Leistungsfähigkeit angelangt, und ich glaube, daß wir uns überlegen müssen – da ist aber noch keine Entscheidung gefallen –, von welchem Staat aus man die zentralasiatischen Republiken betreut. Jedenfalls sollten wir dort eine zusätzliche Botschaft in nächster Zeit aufmachen.

Präsident Josef Pfeifer: Danke.

Wir kommen zur 12. Anfrage, 644/M. – Herr Bundesrat Karl Drochter (SPÖ, Wien) ist der Anfragesteller. Ich bitte, zu fragen.

Bundesrat Karl Drochter: Herr Bundesminister! Meine Frage lautet:


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644/M-BR/96

Welche weiteren Schritte der österreichischen Außenpolitik sind geplant, das Vorhaben, die Vollbeschäftigung als Ziel in den EU-Vertrag aufzunehmen, bestmöglich zu unterstützen?

Präsident Josef Pfeifer: Herr Vizekanzler, bitte.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Wir haben ein gemeinsames Papier – die gesamte Bundesregierung und ich dann als Sprecher Österreichs – in der Regierungskonferenz vorgetragen, das interministeriell abgesegnet ist, das heißt Verankerung des Ziels der Vollbeschäftigung im EU-Vertrag. Damit stehen wir allerdings mit den Belgiern völlig allein da. Die anderen treten nur für das Ziel einer hohen Beschäftigung ein, was ich eigentlich ein bißchen komisch finde, denn wir haben ja im Artikel J.4 des Vertrages auch das Ziel des Friedens festgeschrieben, obwohl wir genau wissen, daß Friede genauso ein Endziel und nicht immer vollständig erreichbar ist. Daher meine ich, daß das Ziel der Vollbeschäftigung eigentlich im Europäischen Vertrag durchaus seinen Platz haben müßte. In diesem Punkt sind wir aber absolut isoliert.

Zweiter Punkt: Wir wollen ein eigenes Kapitel "Beschäftigung". Beschäftigungsfragen sollen nicht irgendwo zwischen der Berufsausbildung und der sozialen Verantwortung versteckt sein. Doch dieser Teil ist heftigst umstritten. Ich hatte allerdings im letzten Europäische Rat in Dublin den Eindruck, daß sich in dieser Frage eine gewisse Bewegung bemerkbar gemacht hat. So hat beispielsweise Bundeskanzler Kohl erstmals gesagt, er wolle darüber keinen Religionskrieg führen, er möchte aber wissen, was die konkreten Auswirkungen dieses Beschäftigungs-Kapitels sind. Sollte dies aber etwas kosten, dann seien die Deutschen dagegen, aber wenn das nur eine Zielformulierung ist, dann werde man keinen Religionskrieg führen.

Ich bin nicht sicher, ob das jetzt schon eine veränderte Position ist, aber ich hoffe es sehr, denn ich bin der Meinung – wobei ich auch glaube, daß man durch ein Beschäftigungs-Kapitel keinen einzigen Arbeitsplatz zusätzlich schaffen kann –, daß wegen der großen Sensibilität dieses Thema auf die europäische Ebene gehoben und in einem europäischen Grundsatzvertrag, wie es der Maastricht-Vertrag oder demnächst der Vertrag von Amsterdam sein wird, verankert werden muß.

Dann folgt natürlich die operationale Umsetzung: Die Kommission soll bei jedem Vorschlag, den sie macht, die Arbeitsplatzeffekte bewerten können. Wir wollen ein Monitoring, nationale Pläne, jedes Jahr eingereicht, im Rat beraten, und zwar in einem gemeinsamen Rat der Arbeitsminister, Sozialminister, Finanz- und Wirtschaftsminister, eine Beratung auch auf Expertenebene und natürlich auch in der Kommission und konkrete Vorschläge auch von den anderen Mitgliedstaaten.

Präsident Josef Pfeifer: Eine Zusatzfrage? – Bitte.

Bundesrat Karl Drochter: Herr Bundesminister! Es gibt Meinungen in Europa, aber auch in Österreich, daß sich durch die geplante Ostintegration die Beschäftigungssituation in Europa – und somit auch in Österreich – wesentlich verschlechtern könnte. Es ist zu erwarten, daß es in manchen wirtschaftlichen Bereichen zu schockartigen Belastungen kommt, die in der Folge auch Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt in Europa und auch in Österreich haben werden. Welche Maßnahmen sind im Zusammenhang mit der Osterweiterung in der EU, aber auch in Österreich geplant?

Präsident Josef Pfeifer: Bitte, Herr Vizekanzler.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Zunächst einmal würde ich diese These in Frage stellen, ob das tatsächlich so sein wird. Alle Ökonomen sagen übereinstimmend, daß durch eine Erweiterung der Union, wenn man es richtig macht – in Frage kommen nur jene Staaten, die fähig sind, sich zu integrieren, die den Acquis Communautaire, den Binnenmarkt akzeptieren und die wirtschaftlich einigermaßen konkurrenz


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fähig sind –, eine solche Integration positive wirtschaftliche Auswirkungen auf Wachstum und damit indirekt natürlich auch auf die Beschäftigung hat.

Andere Länder sollte man sowieso nicht aufnehmen, weil dadurch der umgekehrte Effekt eintreten würde: daß sie mit ihrer Industrie und gewerblichen Produktion dem beinharten Wettbewerb, der dann von den europäischen Ländern käme, nicht standhalten könnten. Ich glaube, daß man das eher von dieser Seite sehen sollte.

Für Österreich hat die Erweiterung aber auch einen Wettbewerbsaspekt, der in der Öffentlichkeit bisher kaum diskutiert wurde, aber aus meiner Überzeugung wichtig ist, nämlich: Wer beitritt, muß die gemeinsamen Standards in der Umweltpolitik akzeptieren. Das bedeutet, es hört sich Umweltdumping in Mittel- und Osteuropa auf. Jeder, der beitreten will, hat zum Beispiel die gleichen Luftgütevorschriften, die Abwasservorschriften zu akzeptieren, und die sind zum Teil sehr brutal. Das ist auch einer der Gründe dafür, daß auch wir in manchen Bereichen nachziehen mußten, als wir der Europäischen Union beigetreten sind.

Ich glaube, daß dieser Aspekt, daß man dann gleiche soziale Mindeststandards laut Sozialcharta hat, daß man gleiche Umweltstandards hat, auch für unsere Beschäftigungslage besser ist, als wenn man diese Länder draußen vor der Tür läßt, wo sie dann Sozial- und Ökodumping – oder was weiß ich alles – machen können.

Ich möchte die Schwierigkeiten, die es bei Erweiterungsverhandlungen selbstverständlich immer geben wird und geben kann, nicht ignorieren, aber ich glaube, daß man auch die positiven Aspekte hier sehen sollte – aber nur jene Länder aufnimmt, die einigermaßen mit uns vergleichbare Standards und ein vergleichbares Niveau aufweisen können.

Präsident Josef Pfeifer: Eine zweite Zusatzfrage. – Bitte.

Bundesrat Karl Drochter: Herr Bundesminister! Könnten Sie jene Länder, die Ihrer Meinung nach für einen Beitritt als erste in Frage kommen, nennen? Und halten Sie neben den Umweltstandards und anderen Standards auch die sozialen Standards für gleichwertig? – Sie haben sie in Ihrer Beantwortung der Frage nicht erwähnt.

Präsident Josef Pfeifer: Bitte.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: O ja, ich habe schon gesagt, daß die Sozialcharta, die von 14 EU-Mitgliedstaaten festgelegt ist, so etwas enthält. Etwas wird es bei künftigen Erweiterungsverhandlungen sicher nicht geben, nämlich daß sich Quasibeitrittskandidaten Rosinen herauspicken. Sie müssen natürlich alles akzeptieren, auch die Sozialcharta, auch die Binnenmarktregeln, et cetera. Ich habe das aber sehr wohl erwähnt.

Ich möchte die Namen der Länder erst dann nennen – jeder von uns hat gewisse Vorstellungen, das ist klar; sie sind auch öffentlich bekannt –, wenn die Kommission ihren Bericht, den sogenannten Avis, zu den Beitrittsanträgen vorgelegt hat.

Die Kommission hat ja voriges Jahr 2 000 Seiten an ganz konkreten Erhebungen an alle zwölf assoziierten Mitgliedstaaten ausgesandt, um die Erweiterung gut und professionell vorzubereiten. Ich glaube, es hängt sehr von der Beantwortung dieser Frage ab, wer in der ersten Runde der Verhandlungen dabeisein wird, ob man mit einer Gruppe von Ländern zu verhandeln beginnt oder mit allen – Startlinien-Modell –, wobei sich dann sehr schnell die schnelleren und besseren herauskristallisieren.

Aber ich bitte um Verständnis dafür: Klugerweise sollte man zuerst das Urteil der Kommission, die Bewertung der Experten abwarten, und erst dann sagen, wer dabeisein kann.

Präsident Josef Pfeifer: Danke.


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617. Sitzung / Seite 29

Anfrage Nr. 13, 653/M. Fragestellerin ist Frau Bundesrätin Dr. Susanne Riess-Passer (Freiheitliche, Wien). Ich bitte sie, die Frage zu stellen.

Bundesrätin Dr. Susanne Riess-Passer: Herr Vizekanzler! Meine Frage lautet:

653/M-BR/96

Aus welchen Gründen hat Österreich freiwillige Beiträge in der Höhe von rund 455 Millionen Schilling für den Interimsfonds der IDA – International Development Association – zugesagt?

Präsident Josef Pfeifer: Herr Vizekanzler.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Frau Bundesrätin! Das ist die 11. Auffüllungsverhandlung gewesen. Das wird also immer wieder gemacht. Etwa alle drei Jahre, wenn der Fonds sozusagen erschöpft ist, werden Verhandlungen geführt, um neuerlich die Möglichkeit zu haben, für die ärmsten Entwicklungsländer Programme und Projekte zur Förderung des Wirtschaftswachstums und zum Abbau der Armut zu finanzieren. Die Mittel werden vor allem für sogenannte weiche Kredite eingesetzt; das heißt, die Konditionen sind: zinsenfreie Kredite, 10 Jahre tilgungsfrei und sehr lange Laufzeiten, 30 und 40 Jahre.

Gerade für die ärmsten Entwicklungsländer ist dieser Fonds das wichtigste Finanzierungsinstrument überhaupt. Das hat mittlerweile auch sehr positive Auswirkungen gehabt: Länder, die noch vor 30, 20, ja 15 Jahren dort dabei waren, haben sich durch diese Programme mittlerweile sehr weit vorgearbeitet und gehören daher jetzt einer der höheren Kategorien der sich entwickelnden Länder an. Das tut natürlich indirekt auch unseren Handelsbeziehungen durchaus gut.

Wir haben bei dieser 11. Verhandlung 455 Millionen für den Interimsfonds 1997 zugesagt, 690 Millionen für das reguläre Budget 1998 und 1999. Die Bereitstellung erfolgt durch Schatzscheinerlag, und diese Schatzscheine werden erst in den Folgejahren tatsächlich budgetwirksam. Das ist also kein unmittelbar jetzt budgetwirksam werdender Aspekt, sondern das wird nach Abruf notwendig.

Die Vergleiche sind auch ganz interessant: Österreich hat 455 Millionen zugesagt, Dänemark an die 600 Millionen, Belgien 700 Millionen, die Schweiz rund 800 Millionen und Schweden ungefähr 1 200 Millionen.

Präsident Josef Pfeifer: Zusatzfrage? – Bitte.

Bundesrätin Dr. Susanne Riess-Passer: Herr Vizekanzler! Können Sie mir sagen, warum die USA im Zuge der Verhandlungen um IDA 11 sich nur bereit erklärt haben, die restlichen Mittel aus dem 10. IDA-Fonds zu begleichen, was das Zustandekommen von IDA 11 überhaupt in Frage stellt?

Präsident Josef Pfeifer: Bitte.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Die Amerikaner haben im internen Abwicklungsprozeß mit Senat und Haus und Kongreß ungeheure Schwierigkeiten. Sie wissen, daß in Amerika derzeit eine ziemlich emotionelle Debatte rund um die Präsidentenwahl tobt und wie das überhaupt mit der UNO, mit der IDA und mit der UNIDO ist. De facto werden dort überhaupt die internationalen Organisationen ein bißchen zu innenpolitischen Sündenbockspielen herangezogen. Das ist der Grund dafür, warum die Amerikaner mit ihren Zahlungen schlicht und einfach im Rückstand sind, was auf die Dauer für alle anderen Partner natürlich unannehmbar sein wird. Es gibt informelle Zusagen, daß die Amerikaner nach der Präsidentenwahl einen neuen Anlauf nehmen wollen, um ihre Schulden zu begleichen.

Ich persönlich halte diese Vorgangsweise für absolut untragbar, sie trifft ja eigentlich – das muß man dazusagen – die Ärmsten der Armen. Das sei an dieser Stelle hier auch einmal deutlich gesagt. Ich glaube schon, daß die reicheren Staaten – wobei Reichtum immer etwas Relatives ist, das wissen wir schon – eine gewisse Verpflichtung haben, moralischer und ethischer Art,


Bundesrat
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sich an diesen Programmen mit einem sehr begrenzten Anteil des eigenen Wohlstandes zu beteiligen. Das scheint mir außer Streit zu stehen – hoffentlich.

Präsident Josef Pfeifer: Eine zweite Zusatzfrage? – Bitte.

Bundesrätin Dr. Susanne Riess-Passer: Herr Vizekanzler! Ich möchte Sie fragen, ob Sie eine Konzentration der Zuständigkeiten in Fragen der österreichischen Entwicklungshilfe für sinnvoll erachten, und wenn ja, in welcher Form.

Präsident Josef Pfeifer: Bitte.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Die Zuständigkeit für die Entwicklungshilfe ist ja de facto im Außenministerium konzentriert in einer eigenen Sektion, betreut von meiner Staatssekretärin, die sich mit sehr viel Engagement gerade auf diese Aufgabe gestürzt hat. Wir haben auch sichergestellt, daß trotz harter Sparmaßnahmen und trotz stabilem Budget in diesem Bereich keine Kürzungen vorgenommen wurden. Wofür wir aber gesorgt haben, ist, daß wir den wirtschaftlichen Aspekt stärker hineinbringen.

Es war jetzt der Außenminister von Burkina Faso bei mir zu Besuch – das ist ein ganz kleines und sehr armes Land, in dem Österreich mit einer Schule in Ouagadougou, der Hauptstadt, einer Berufsausbildungsschule, in der Techniker, Facharbeiter, duales Ausbildungssystem entwickelt wird, für die gesamte dortige Region unglaublich an Ruf gewonnen hat. Das hilft natürlich auch später, denn wenn ein Facharbeiter auf einer österreichischen Maschine ausgebildet und später im Beruf ist, dann hilft uns das bei den späteren Beschaffungen. Wenn man eine Maschine kauft, dann erinnert man sich daran: Mit welcher Maschine habe ich gelernt, mit wem habe ich Kontakt gehabt? Wir wollen noch stärker in diese Richtung gehen. Wie gesagt: Die Konzentration haben wir, nur die Beteiligung an den Fondsgeldern der Weltbank oder jetzt IDA – was auch immer – wird über das Finanzministerium abgewickelt, weil es ja eine reine Finanztransaktion ist. Die inhaltliche Gestion – welche Projekte, wie wird das gemacht? – wird von uns sehr stark koordiniert.

Präsident Josef Pfeifer: Danke.

Anfrage Nr. 14, 651/M. Herr Bundesrat Dr. Manfred Mautner Markhof (ÖVP, Wien), ich bitte Sie, die Frage zu stellen.

Bundesrat Dr. h. c. Manfred Mautner Markhof: Herr Präsident! Herr Vizekanzler! Meine Frage lautet:

651/M-BR/96

Welche Haltung nimmt Österreich zur Osterweiterung der EU angesichts der diesbezüglichen hohen Erwartungen der mittel- und osteuropäischen Staaten ein?

Präsident Josef Pfeifer: Herr Vizekanzler.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Wie gesagt: Ich bin für die Erweiterung um jene Staaten, die in der Lage sind, die Bedingungen der Union zu erfüllen. Die Verhandlungen werden vermutlich sechs Monate nach Ende der Regierungskonferenz – also entweder Ende 1997, eher Anfang 1998 – beginnen. Sie werden dann unter dem österreichischen Vorsitz in der Europäischen Union in eine sehr interessante Intensivphase treten.

Die entscheidende Frage wird sein: Startlinien-Modell – alle verhandeln gleichzeitig am Beginn; große europäische Konferenz – oder Gruppen-Modell – man fängt nur mit jenen an, die sich nach dem Urteil der Kommission wirklich unmittelbar dafür qualifizieren.

Ich glaube, daß es wichtig ist, vor allem den entwickelteren Ländern diese Option zu geben. Das würde, wenn man es richtig macht, auch uns mehr Sicherheit, mehr Stabilität und auch Marktzutritt bieten. Ich denke gerade an unsere unmittelbare Nachbarschaft – ich war gestern zum Bei


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spiel in Znaim und in Valtice. Es war schon sehr interessant, dort das Engagement der österreichischen Firmen zu sehen. Die größte tschechische Druckerei – 80 Prozent österreichisches Joint-venture – steht in Valtice. Das ist eine unglaubliche Geschichte.

Oder wenn man die Bauindustrie und auch kleinere chemische Produktionen sieht, die dort sind, so ist das beeindruckend. Zum Schluß haben wir noch in einem kleinen Weinkeller die Kammervertreter von Nordniederösterreich, Waldviertel und Südmähren zusammengefaßt – das ist natürlich eine Region, die unheimliches Wachstumspotential bietet.

Ich glaube, es wäre absurd, würden wir sagen: Nein, ihr dürft nicht herein. Dann stellte sich sofort die Frage: Was ist die Alternative? – Die Alternative wäre wahrscheinlich, sich woanders hin zu wenden. Das ist aber das letzte, das wir haben wollen. Daher meine ich, die Mitgliedschaft zur Union ist alternativlos, aber sie muß richtig und behutsam gemacht werden.

Präsident Josef Pfeifer: Eine Zusatzfrage? – Bitte.

Bundesrat Dr. h. c. Manfred Mautner Markhof: Herr Vizekanzler! Welche Reformen sind im Rahmen der derzeit laufenden Regierungskonferenz nötig, um auch nach dem Beitritt der mittel- und osteuropäischen Länder einen effizienten Entscheidungsprozeß in der Europäischen Union sicherzustellen?

Präsident Josef Pfeifer: Bitte.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Ich glaube vor allem, daß wir in Richtung mehr Mehrheitsabstimmungen gehen sollten, damit wir uns nicht selbst lähmen. Denn wenn man alles, was wichtig ist, nur einstimmig machen kann, dann bestimmt immer der Langsamste den Zug, und das ist nicht tolerabel. Daher ist das, glaube ich, das wichtigste Instrument.

Die anderen Fragen – die Stimmgewichtung, die doppelten Mehrheiten, die Frage der Vertretung in den Institutionen – sind, glaube ich, nicht mehr so dramatisch. Diesbezüglich haben die großen Länder akzeptiert, daß jeder Mitgliedstaat in jeder Institution vertreten sein muß.

Präsident Josef Pfeifer: Eine zweite Zusatzfrage? – Bitte.

Bundesrat Dr. h. c. Manfred Mautner Markhof: Sie ist zwar schon halb beantwortet, aber trotzdem: Inwieweit ist in der Regierungskonferenz Druck der großen Mitgliedstaaten spürbar, um im Hinblick auf die Erweiterung der Union das Beschlußfassungssystem zu ihren Gunsten zu ändern? Wie begegnet Österreich diesen Vorstößen?

Präsident Josef Pfeifer: Bitte.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Es gab den französischen Vorstoß, die Zahl der Kommissäre mit zehn zu begrenzen. Das ist aber eine völlig alleinstehende Meinung, alle anderen sind anderer Meinung. Die Deutschen zum Beispiel haben letztesmal signalisiert, sie könnten sich vorstellen, daß die großen Länder bei einer Erweiterung sogar auf den zweiten Kommissär verzichten. Das hielte ich auch für eine sehr kluge und sehr weitblickende Entscheidung.

Die anderen Fragen, die die Großen immer wieder bringen, erscheinen mir andererseits wieder durchaus verständlich zu sein. Unter den zwölf assoziierten Ländern ist nur ein großes Land, nämlich Polen, und elf sind zum Teil wirklich sehr kleine. Daher verstehe ich es, wenn große Staaten wie Spanien, Frankreich, Deutschland oder Großbritannien sagen: Eigentlich müßte es eine Sicherheit geben, daß zumindest nicht die Bevölkerungsmehrheit überstimmt werden kann, indem man eine zusätzliche Sperre einbaut. Ich persönlich würde mich nicht dagegen wehren, das erschiene mir also durchaus vernünftig.


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Wenn also quasi die Balance gefunden würde: Alle Mitgliedstaaten sind überall vertreten, die Großen verzichten eventuell auf den zweiten Kommissär!, dann würde ich eine solche doppelte Sperre akzeptieren, daß nämlich die Bevölkerungsmehrheit nicht überstimmt werden kann.

Sonst glaube ich, daß die Frage groß oder klein nicht jene Bedeutung hat, die ihr manchmal medial zugemessen wird.

Präsident Josef Pfeifer: Danke.

Wir kommen zur 15. und letzten Anfrage. Fragestellerin ist Frau Bundesrätin Gertrude Perl (SPÖ, Wien). Ich bitte sie, die Anfrage zu stellen.

Bundesrätin Gertrude Perl: Herr Vizekanzler! Herr Bundesminister! Meine Frage lautet:

645/M-BR/96

Könnte das Vorhaben des Außenamtes, in Algerien gemeinsam mit einem weiteren EU-Staat eine Botschaft zu teilen, ein erster Schritt auf einem zukunftsweisenden Weg bei der Organisation der österreichischen Auslandsvertretungen in manchen Staaten sein?

Präsident Josef Pfeifer: Bitte.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Dort gibt es tatsächlich eine Möglichkeit, so etwas zu überlegen. Die Entscheidung ist noch nicht getroffen, wir sind in intensiven Gesprächen. Aber wenn das funktioniert, kann man sicher über ein solches Modell nachdenken.

Was ich für noch interessanter hielte, wofür es allerdings kaum Bereitschaft der anderen Staaten gibt, ist, ob man nicht in Staaten, in denen viele Mitgliedstaaten der Union gar nicht vertreten sind, mit einer EU-Botschaft vertreten sein sollte. Mir schiene das vom Hausverstand her nicht unzweckmäßig zu sein – aber der Hausverstand ist offensichtlich nicht immer eine politische Kategorie. Die Begeisterungsstürme der EU-Außenminister haben sich sehr in Grenzen gehalten.

Wir werden das in diesem Fall konstruktiv prüfen, und wenn es gelingt, ist es ein gutes Beispiel – vielleicht folgen noch zwei, drei andere.

Ich wäre auch sehr interessiert daran, mich innerösterreichisch besser mit der Wirtschaftskammer Österreich im Außenhandelsnetz abzustimmen. Auch in diesem Bereich liegen Einsparungs- und Ergänzungspotentiale. Die Idee EU-Botschaft scheint mir noch immer nicht ganz blöd zu sein – vielleicht gelingt die Umsetzung einmal.

Präsident Josef Pfeifer: Eine Zusatzfrage? – Bitte.

Bundesrätin Gertrude Perl: Sie sagen selbst: ein guter und gangbarer Weg. Können Sie sagen, wann in etwa es sein könnte, daß dieses Vorhaben seine Realisierung erfährt?

Präsident Josef Pfeifer: Bitte.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: In Algier prüfen wir jetzt, da müßte relativ bald eine Entscheidung fallen. Weitergehende Äußerungen kann ich jetzt noch nicht machen.

Präsident Josef Pfeifer: Eine zweite Zusatzfrage wird nicht gewünscht. – Damit ist die Fragestunde beendet.

Einlauf und Zuweisungen

Präsident Josef Pfeifer: Meine Damen und Herren! Eingelangt sind Schreiben des Bundeskanzleramtes betreffend Ministervertretungen, die den heutigen Tag betreffen.


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Ich ersuche die Schriftführung um Verlesung dieser Schreiben.

Schriftführerin des Bundesrates Ilse Giesinger: "Der Herr Bundespräsident hat am 11. Oktober 1996, Zl. 300.100/64-BEV/96, folgende Entschließung gefaßt:

Auf Vorschlag des Bundeskanzlers betraue ich für die Dauer der Verhinderung der Bundesministerin für Frauenangelegenheiten Dr. Helga Konrad am 17. und 18. Oktober 1996 den Bundesminister für Finanzen Mag. Viktor Klima mit der Vertretung.

Hievon beehre ich mich, mit dem Ersuchen um gefällige Kenntnisnahme Mitteilung zu machen."

"Der Herr Bundespräsident hat am 11. Oktober 1996, Zl. 300.100/65-BEV/96, folgende Entschließung gefaßt:

Auf Vorschlag des Bundeskanzlers betraue ich für die Dauer der Verhinderung der Bundesministerin für Gesundheit und Konsumentenschutz Dr. Christa Krammer innerhalb des Zeitraumes vom 17. bis 19. Oktober 1996 den Bundesminister für Arbeit und Soziales Franz Hums mit der Vertretung.

Hievon beehre ich mich, mit dem Ersuchen um gefällige Kenntnisnahme Mitteilung zu machen."

"Der Herr Bundespräsident hat am 11. Oktober 1996, Zl. 300.100/63-BEV/96, folgende Entschließung gefaßt:

Auf Vorschlag des Bundeskanzlers betraue ich für die Dauer der Verhinderung des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten Dr. Johann Farnleitner innerhalb des Zeitraumes vom 16. bis 19. Oktober 1996 die Bundesministerin für Unterricht und kulturelle Angelegenheiten Elisabeth Gehrer mit der Vertretung.

Hievon beehre ich mich, mit dem Ersuchen um gefällige Kenntnisnahme Mitteilung zu machen."

"Der Bundespräsident hat am 15. Oktober 1996, Zl. 300.100/66-BEV/96, folgende Entschließung gefaßt:

Auf Vorschlag des Bundeskanzlers betraue ich für die Dauer der Verhinderung des Bundesministers für Inneres Dr. Caspar Einem am 16. und 17. Oktober, am 19. und 20. Oktober sowie innerhalb des Zeitraumes vom 26. bis 28. Oktober 1996 den Bundesminister für Wissenschaft, Verkehr und Kunst Dr. Rudolf Scholten und am 18. Oktober 1996 den Generaldirektor für die öffentliche Sicherheit Mag. Michael Sika mit der Vertretung.

Hievon beehre ich mich, mit dem Ersuchen um gefällige Kenntnisnahme Mitteilung zu machen."

Präsident Josef Pfeifer: Danke. Wird so zur Kenntnis genommen.

Eingelangt sind ferner 40 Anfragebeantwortungen, die den Anfragestellern übermitteln wurden. Die Anfragebeantwortungen wurden vervielfältigt und auch an alle übrigen Mitglieder des Bundesrates verteilt.

Eingelangt sind ferner Berichte – 9819 bis 13533-EU – über Vorhaben im Rahmen der Europäischen Union gemäß Artikel 23e Bundes-Verfassungsgesetz. Diese Berichte habe ich dem EU-Ausschuß zugewiesen.

In Anbetracht des Umfanges habe ich gemäß § 18 Abs. 2 Geschäftsordnung des Bundesrates nach Rücksprache mit den Vizepräsidenten angeordnet, daß eine Vervielfältigung und Verteilung zu unterbleiben hat, alle Vorlagen jedoch in der Parlamentsdirektion zur Einsichtnahme aufliegen.

Eingelangt sind weiters jene Beschlüsse des Nationalrates, die Gegenstand der heutigen Tagesordnung sind.


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Ich habe diese Beschlüsse den in Betracht kommenden Ausschüssen zur Vorberatung zugewiesen.

Die Ausschüsse haben ihre Vorberatungen darüber sowie über den bereits früher eingelangten und zugewiesenen Außenpolitischen Bericht der Bundesregierung über das Jahr 1995 abgeschlossen und schriftliche Ausschußberichte erstattet.

Ich habe alle diese Vorlagen auf die Tagesordnung der heutigen Sitzung gestellt.

Wird zur Tagesordnung das Wort gewünscht? – Dies ist nicht der Fall.

Ich darf noch mitteilen, daß sich auch die Bundesräte Erich Farthofer, Irene Crepaz und Stefan Prähauser für die heutige Sitzung entschuldigt haben.

Behandlung der Tagesordnung

Präsident Josef Pfeifer: Aufgrund eines mir zugekommenen Vorschlages beabsichtige ich, die Debatte über die Punkte 2 bis 4 sowie 6 bis 8 der Tagesordnung zusammenzufassen.

Wird dagegen eine Einwendung erhoben? – Dies ist nicht der Fall.

Wir werden daher in diesem Sinne vorgehen.

Verlangen auf Besprechung einer Anfragebeantwortung

Präsident Josef Pfeifer: Bevor wir in die Tagesordnung eingehen, gebe ich bekannt, daß das gemäß § 60 Abs. 2 der Geschäftsordnung des Bundesrates gestellte Verlangen der Bundesräte Dr. Bösch und Kollegen vorliegt, eine Besprechung der schriftlichen Anfragebeantwortung 1122/AB zu 1212/J an den Bundesminister für Finanzen Dr. Klima betreffend gleichheitswidrige Behandlung von Frühpensionisten durch die Post durchzuführen.

Im Sinne des § 60 Abs. 3 der Geschäftsordnung verlege ich die Besprechung der Anfragebeantwortung an den Schluß der Sitzung, jedoch nicht über 16 Uhr hinaus.

Wir gehen nunmehr in die Tagesordnung ein.

1. Punkt

Außenpolitischer Bericht der Bundesregierung über das Jahr 1995 (III-149/BR und 5275/BR der Beilagen)

Präsident Josef Pfeifer: Wir gelangen zum 1. Punkt: Außenpolitischer Bericht der Bundesregierung über das Jahr 1995.

Die Berichterstattung hat Herr Bundesrat Mag. Gerhard Tusek übernommen. Ich bitte um den Bericht.

Berichterstatter Mag. Gerhard Tusek: Der neue Außenpolitische Bericht des Außenministeriums über das Jahr 1995 hat als zentralen Schwerpunkt das erste Jahr der Mitgliedschaft Österreichs in der Europäischen Union. Dabei beschreibt das "Jahrbuch der österreichischen Außenpolitik" insbesondere die neuen außenpolitischen Herausforderungen, aber auch die innerösterreichischen Entwicklungen im Hinblick auf die Entwicklung des Binnenmarktes, die Wirtschafts- und Währungsunion sowie die Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres. Große Aufmerksamkeit wird auch der Nachbarschaftspolitik, der Krisenzone Balkan sowie den Konflikten und Entwicklungen auf dem Gebiet der GUS gewidmet.

Der Außenpolitische Bericht ist die offizielle und detaillierte Dokumentation über die auswärtigen Beziehungen Österreichs. Er wurde vom Außenministerium erarbeitet und von der Bundesregie


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rung beschlossen. Das Buch bietet eine ausführliche Darstellung der wichtigsten internationalen Entwicklungen und der österreichischen Außenpolitik. In diesem Jahr wurde wieder in einer eigenen Broschüre eine englischsprachige Kurzfassung – "Austrian Foreign Policy Yearbook 1995" – herausgegeben.

Österreichs Aktivitäten in der Außen- und Wirtschaftspolitik, Entwicklungshilfe und Auslandskulturpolitik werden ebenso beschrieben wie seine Mitarbeit in internationalen Organisationen und die Beziehungen zu den Staaten der Welt. Zahlen, Daten, Übersichtstabellen und Vergleiche runden die Darstellung ab. Zu den Schwerpunktthemen zählen im diesjährigen Bericht neben der EU-Mitgliedschaft Österreichs Fragen der Europäischen Sicherheitspolitik und der universellen Zusammenarbeit sowie die Weltfrauenkonferenz in Peking und der Weltsozialgipfel in Kopenhagen.

Der Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten betont im Vorwort, daß Österreich als Mitglied der Europäischen Union nun die Möglichkeit habe, "die wesentlichen europäischen Zukunftsentscheidungen in jenen Institutionen, in denen diese Beschlüsse fallen, aktiv und gleichberechtigt mitzugestalten".

Unter anderem weist der gegenständliche Bericht auch auf die Studie von Bundeskanzleramt und Außenministerium zum Thema "Osterweiterung" hin. Diese haben den klaren Nachweis erbracht, daß ein EU-Beitritt der Reformländer, "insbesondere unserer Nachbarn" Tschechien, Slowakei, Ungarn, Slowenien, aber auch Polen, "aus politischen, sicherheitspolitischen und wirtschaftlichen Gründen im ureigensten Interesse Österreichs liegt".

Der Außenpolitische Ausschuß stellt nach Beratung der Vorlage am 15. Oktober 1996 mit Stimmenmehrheit den Antrag, den Bericht zur Kenntnis zu nehmen.

Präsident Josef Pfeifer: Ich danke für die Berichterstattung.

Wir gehen in die Debatte ein.

Zu Wort gemeldet hat sich Frau Bundesrätin Dr. Susanne Riess-Passer. Ich erteile ihr dieses.

10.47

Bundesrätin Dr. Susanne Riess-Passer (Freiheitliche, Wien): Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Vizekanzler! Hoher Bundesrat! Österreichische Außenpolitik war bis in die achtziger Jahre fast immer gleichbedeutend mit Neutralitätspolitik. Österreich hat sich am Schnittpunkt zweier entgegengesetzter Systeme gesehen und – mehr oder minder erfolgreich – die Rolle als Vermittler zwischen Ost und West gespielt. Der Zusammenbruch des Kommunismus und der Fall des Eisernen Vorhangs haben dieser Politik weitestgehend die Grundlage entzogen und eine Neupositionierung der österreichischen Außenpolitik notwendig gemacht. Diese Neupositionierung ist bedauerlicherweise bis heute nicht erfolgt. Die Koalitionsregierung hat es bislang nicht geschafft, der österreichischen Außenpolitik im Spannungsfeld zwischen gemeinsamer EU-Außenpolitik auf der einen Seite und Festhalten an alten Dogmen auf der anderen Seite ein erkennbares Profil zu verschaffen.

Auf der einen Seite ist mit dem EU-Beitritt ein eindeutiger Souveränitätsverlust in der österreichischen Außenpolitik eingetreten, und zwar sowohl durch die im EU-Vertrag festgelegten Bestimmungen zur GASP, insbesondere durch den schon vielfach zitierten Artikel J.4, in dem ausdrücklich von der solidarischen und vorbehaltlosen Teilnahme an der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik die Rede ist, als auch durch den Artikel J.6 des EU-Vertrages, der die Koordinierung der Mitgliedstaaten in den Beziehungen zu den Drittländern und bei internationalen Konferenzen festlegt.

Auf der anderen Seite gibt es ein Einzementieren zum Beispiel in der Neutralitätsfrage, die unseren Handlungsspielraum deutlich einschränkt. Die gegenseitige Blockade der Regierungsparteien führt zu einem Erstarren ohne Perspektiven und einem wirklich peinlichen Verwirrspiel der Kompetenzen. Ich zitiere hier nur aus einigen Medien. Es heißt dann zum Beispiel: Schüssel erbost über Ratschläge Vranitzkys. In Ungarn wies der Außenminister die Ermahnungen zurück,


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die ihm der Bundeskanzler in die Slowakei nachgeschickt hatte. Es ist ein schlechter Stil, wenn man dem Außenminister in den Rücken fällt, noch dazu in einem Nachbarland. – So reagierte Außenminister Wolfgang Schüssel gegenüber der Presse auf die Ratschläge von Bundeskanzler Vranitzky vom Vortag, heißt es da:

Eric Frey spricht sehr zutreffend von einer Doppelconference, wenn er im "Standard" schreibt: Niemand soll behaupten, die österreichische Außenpolitik habe keinen Unterhaltungswert. Ob die Haltung zu Kroatien oder der Beitritt zur WEU – das Programm läuft nach dem gleichen Muster ab: Der Außenminister gibt zu einem heiklen Thema eine Erklärung ab, sofort meldet sich der Bundeskanzler zu Wort und behauptet das Gegenteil. Das nächste Mal läuft es umgekehrt: Der Kanzler sagt etwas – der Außenminister widerspricht.

Zum Beispiel auch beim Thema Slowakei. Dazu schreibt Eric Frey – ich zitiere –: "Beide Positionen sind legitim. Eine Regierung kann sie aber nicht gleichzeitig vertreten. Wieso können Vranitzky und Schüssel ihre außenpolitischen Positionen nicht miteinander absprechen, bevor sie öffentliche Erklärungen abgeben? Dem Ansehen und Einfluß Österreichs würde das nicht schaden."

Wie recht er damit hat, zeigen auch Pressestimmen aus internationalen Medien, wenn etwa die angesehene Zeitung "Die Welt" schreibt: "Seltsam ist, wie der sozialistische Innenminister seinen ehemaligen Kabinettskollegen Ex-Außenminister Alois Mock, wegen dessen – so Einem –, verfehlter Jugoslawien-Politik‘ attackiert. Bisher war es nicht üblich, daß eine Regierung auf diese Weise ihre eigene Außenpolitik desavouiert. ... Das Bild, das die österreichische Führung in der Sicherheitsfrage bietet, ist aber nicht nur wegen der exzentrischen Ausfälle des pazifistischen Innenministers höchst seltsam. In der SPÖ hat sich der Abgeordnete Josef Cap für den NATO-Beitritt ausgesprochen und wurde sofort vom Kanzler zurückgepfiffen.

Aber auch in der ÖVP sind die Positionen diffus. Verteidigungsminister Fasslabend fordert den Beitritt, ÖVP-Fraktionschef Andreas Khol aber lehnt ihn ab, weil Österreich der NATO, ‚so wie diese heute ist’, nicht beitreten könne. ... Wenn dann am Ende ÖVP-Chef Vizekanzler und Außenminister Schüssel ein wenig kryptisch feststellt, Österreich müsse der im ‚Kräftedreieck EU–WEU–NATO’ entstehenden ‚Solidargemeinschaft‘ als Vollmitglied beitreten – und damit wiederum seinem Kanzler und Koalitionspartner sowie dem Innenminister in die Parade fährt –, bleibt nur Verwirrung zurück. Was wollen eigentlich die Österreicher?" – Zitat aus der "Welt".

Peinlichkeiten, wer wann wo zu welchen Unterschriftsleistungen berechtigt ist, werden dann nur noch übertroffen von geradezu haarsträubend einseitigen Aktionen, wie sie sich in der Haltung der Bundesregierung zum Beispiel zu China dokumentieren. Um dem für das Massaker am Tiananmen-Platz verantwortlichen chinesischen Regierungschef Li Peng einen ungestörten Besuch in Österreich zu bescheren, wurden mir nichts, dir nichts sogar Grundrechte österreichischer Bürger außer Kraft gesetzt und ein Demonstrationsverbot erlassen. Auch beim Gegenbesuch des österreichischen Bundeskanzlers wurden lästige Themen, wie zum Beispiel die schweren Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Tibet, peinlichst vermieden.

Einer solchen Außenpolitik fehlen nicht nur die Visionen, sondern auch jegliches Gespür für Menschenrechte.

Es wird auch auf die Dauer nicht angehen, eine Außenpolitik zu vertreten, die sich in einer der zentralen Fragen für Österreich und Europa, nämlich die Sicherheitsfrage, verschweigt. Auch hier zitiere ich "Die Welt", einen Artikel von Carl-Gustaf Ströhm vom 2. Oktober dieses Jahres:

"Die österreichische Außen- und Sicherheitspolitik gerät in eine immer seltsamere Situation. Während die benachbarten ‚postkommunistischen’ Staaten wie Tschechien, Slowenien oder Ungarn alles daransetzen, um möglichst bald in die NATO aufgenommen zu werden, verspricht der Spitzenkandidat der regierenden österreichischen Sozialdemokraten bei der bevorstehenden Europawahl, er wolle sich im Europaparlament besonders für die Bewahrung der österreichischen ‚Neutralität‘ einsetzen. ... Solange aber die Wiener Regierung keinerlei klares Verteidigungskonzept akzeptiert und keine klare sicherheitspolitische Linie erkennen läßt – auch die Frage Berufsheer oder Wehrpflicht hängt in der Luft –, kann die Alpenrepublik nur hoffen, auch


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weiterhin vom Ernstfall verschont zu bleiben. Daß Verteidigungspolitik aber nicht bloß eine Reaktion auf die heutigen Zustände sein darf, sondern die kommenden Jahrzehnte und die dann möglicherweise entstehenden Krisen und Bedrohungen ins Auge fassen muß – das geht den österreichischen Politikern offenbar nur sehr schwer in den Kopf."

Ich glaube, daß das keine verantwortungsvolle Haltung in einer so wichtigen Frage ist, und ich möchte auch, Herr Vizekanzler, noch einmal zurückkommen auf unsere Diskussion im Ausschuß am vergangenen Dienstag, als es um die Frage Zusammenschluß WEU und EU gegangen ist und Sie gemeint haben, dies sei nicht aktuell und allenfalls eine Minderheitsposition in den Mitgliedsstaaten der EU. Heute haben Sie es ein bißchen anders gesagt und haben gesagt: die Hälfte der EU-Staaten. (Zwischenbemerkung des Bundesministers Dr. Schüssel. ) Ja. Ich spreche hier auch nicht über einen sofortigen, sondern über einen mittelfristigen Zusammenschluß, aber man muß sich ja einmal eine Meinung bilden. Es ist ja nicht damit abgetan, daß wir sagen, wir warten auf etwas, von dem wir nie wissen, ob und wann es kommt, und wir haben dazu keine Meinung.

Eine Meinung dazu hat aber der Rat der Europäischen Volkspartei laut Meldung vom 12. 9. 1996, an dem auch Sie teilgenommen haben, wie aus dem Protokoll hervorgeht. Dieser EVP-Rat hat eine Entschließung gefaßt, in der es dann unter anderem heißt:

"Ebenfalls zu den Sicherheitsproblemen hält es der EVP-Rat, der erneut bekräftigt, daß sich die WEU mit der EU zusammenschließen sollte, für logisch, daß die Länder, die in Zukunft der EU beitreten wollen, auch Mitglied der Westeuropäischen Union werden."

Ich glaube schon, Herr Vizekanzler, daß es ein bißchen zu wenig ist, daß Sie sich Gedanken darüber machen, wie die künftigen Mitglieder der EU zu einer allfälligen Mitgliedschaft in der WEU stehen, bevor Sie sich Gedanken darüber gemacht haben, wie Österreich überhaupt dazu steht. Ich glaube, daß es hoch an der Zeit ist, hier zu einer Meinungsfindung zu kommen.

Auch betreffend Ihre Aussage im Ausschuß, es handle sich bei der Diskussion über die WEU nur um Petersberg-Aktionen, möchte ich auch hier verweisen auf eine jüngste Meldung vom 9. 10. 96, Agence Europe Brüssel. (Zwischenruf des Bundesrates Konečny .) Bitte, das werden Sie schon mir überlassen, Herr Kollege, worüber ich hier spreche. Machen Sie sich Gedanken um Ihre eigenen Probleme. Ich glaube, Sie haben momentan genug. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Laut dieser Meldung gibt es einen Vorschlag der Kommission, wonach der Artikel J.4 Abs. 2 folgendermaßen geändert werden soll: "Die Union beauftragt anstatt ‚ersucht’ die WEU, die Entscheidungen und Aktionen, die verteidigungspolitische Züge haben, auszuarbeiten und durchzuführen." Das heißt ausdrücklich verteidigungspolitische und nicht nur Petersberg-Aktionen. (Vizepräsident Dr. Schambeck übernimmt den Vorsitz.)

Zusammenfassend möchte ich festhalten: Die österreichische Außenpolitik eignet sich nicht als Spielwiese zur gegenseitigen Profilierung einzelner Regierungsmitglieder oder Regierungsparteien auf Kosten des anderen. Erfolge für Österreich und die österreichische Außenpolitik setzen gemeinsames Handeln voraus. Ich möchte hier noch als Beispiel die Frage der Nettozahlungen anführen, weil das auch im Ausschuß am Dienstag angesprochen wurde. Ich glaube nicht, daß hier etwas erreicht werden kann, wenn Sie, Herr Vizekanzler, auf der einen Seite sagen, bei den Nettozahlungen kommt ohnehin soviel zurück, daß wir uns keine Sorgen machen müssen, während Ihr eigener Wirtschaftsminister sagt, wir müssen diese Nettobeiträge neu verhandeln und müssen auch für die Förderungen ein neues System finden. Ich glaube, daß hier fahrlässig mit den Interessen der Österreicher umgegangen wird und daß der 13. Oktober ein klarer Auftrag an Sie war, diese Politik zu ändern. (Beifall bei den Freiheitlichen.)


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10.57

Vizepräsident Dr. DDr. h. c. Herbert Schambeck: Zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesrat Konečny. Ich erteile es ihm.

10.57

Bundesrat Albrecht Konečny (SPÖ, Wien): Herr Präsident! Herr Bundesminister! Es ist klar, daß ein Bericht, der sich mit dem ersten Jahr unserer Mitgliedschaft in der Europäischen Union beschäftigt, dieses Thema in den Mittelpunkt rückt. Österreich – das ist etwas, was die Vertreter der anderen Mitgliedsstaaten durchwegs bestätigen – hat sich in diesem ersten Jahr auf einem zugegebenermaßen neuen und ungewohnten Parkett sehr rasch gut eingeführt und ist in einer Reihe von Themata, so wie wir es vorgehabt haben, zu einer gestaltenden Kraft geworden.

Ich glaube, daß wir gerade dort, wo es um die Vertretung österreichischer Anliegen geht, über dieses Jahr eine höchst positive Bilanz ziehen können, aber eben nicht nur dort – im Gegensatz zu manchen Bemerkungen, die es da und dort in der veröffentlichten Meinung gegeben hat –, wo es um österreichische Interessen geht, sondern auch dort, wo es um konstruktive Beiträge in dem sehr pluralistisch orientierten, europäischen Entscheidungsprozeß geht. Auch das ist etwas, was wir angestrebt haben, auch das ist ein positiver Beitrag. Denn ich würde es bei aller Notwendigkeit der Vertretung österreichischer Interessen für ein völlig falsches Verständnis unserer Mitgliedschaft in der Europäischen Union betrachten, wenn wir – oder unsere Vertreter – gewissermaßen bei all den Sitzungen, Beratungen und Konferenzen vor uns hindösen und immer nur dann aufwachen würden, wenn eines der Themata, das innenpolitisch oder in bezug auf unsere Wirtschaftsexporte besondere Bedeutung hat, auf die Tagesordnung kommt. So kann man in einer Partnerschaft nicht agieren, das hat Österreich auch vom ersten Augenblick an vermieden.

Ich betone das nur deshalb, weil dieses Mitdenken, Mitarbeiten – und dabei die Interessenvertretung nicht vergessen – naturgemäß da und dort Ansatzpunkt für oberflächliche und vordergründige Kritiken ist, daß österreichische Interessen in dieser Politik nicht im Vordergrund stünden. Ich sage: ganz im Gegenteil! – Nur der, der sich als gleichberechtigter Mitspieler, Ideenbringer und Mitarbeiter in diesem europäischen Konzert profiliert, hat auch eine Chance, Bündnispartner und Unterstützung zu gewinnen, wenn es um seine Interessen geht, wenn es darum geht, partikuläre und nationalstaatliche Interessen durchzusetzen, die man eben in einem solchen Bündnis nicht allein durchsetzen kann, sondern nur im Verbund mit anderen Staaten und eben mit einer überwiegenden Mehrheit dieser Staaten. Ich glaube, daß uns das in vielen Bereichen ansatzweise gelungen ist und daß wir hier jedenfalls Grundlagen geschaffen haben, die das ermöglichen.

Natürlich sind wir in einer Zeit Mitglied der Europäischen Union geworden, zu der die Struktur dieses Staatenverbandes selbst in Diskussion steht. Die Perspektive einer Erweiterung, die Perspektive einer Vertiefung, die Perspektive einer Ausdehnung von Aufgaben in anderen Bereichen – und all das hineingepackt in eine Regierungskonferenz – bedeuten, daß wir uns in diesem Jahr und in der Folge in diese Strukturen hineinzuarbeiten hatten, aber gleichzeitig an deren Überwindung, Weiterentwicklung mitzuarbeiten hatten. Und es ist schon richtig, daß dabei sicherheitspolitische Aspekte eine große Rolle spielen.

Ich glaube, daß es ein falsches Verständnis von einem nationalen und internationalen Entscheidungsprozeß ist, wenn das ehrliche Bemühen, Standpunkte zu beziehen und eine nationale Diskussion zu führen, als Anhäufung von Widersprüchen und Unkenntlich-Machung eines österreichischen Standpunktes angesehen wird. Die Standpunkte in dieser Frage sind auch in anderen Staaten so eindeutig auch wieder nicht. Naturgemäß haben Staaten, die ihre sicherheitspolitische Erfahrung in einer 45jährigen NATO-Mitgliedschaft gewonnen haben, hier auf eine Schiene gesetzt – das ist ja keine Frage. Aber es hat sich doch in den letzten Monaten zumindest eine Erkenntnis, so scheint mir, durchgesetzt: daß es eben unter den derzeitigen Mitgliedstaaten der Union nicht nur diese eine sicherheitspolitische Erfahrung gibt, sondern auch jene sicherheitspolitische Erfahrung, die nicht allein Österreich, sondern auch andere Staaten, die nicht der NATO angehören oder angehört haben, mit ihrer Neutralität – oder wie immer das im Einzelfall nationalstaatlich bezeichnet wurde – gemacht haben. Es steht daher die Aufgabe, diese Erfahrungen kritisch, aber wohlwollend zu überprüfen, auch denen zu, die eine andere Geschichte haben.


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Es ist ja auch so, daß unter diesen Staaten – den drei neuen Mitgliedstaaten und hinzukommend Irland mit einer völlig anderen geschichtlichen Entwicklung, aber mit viel Sympathie für solche Standpunkte – so etwas wie die gemeinsame Entwicklung einer Option zumindest im Gang ist, die als konstruktiver Beitrag zu dieser Diskussion gesehen werden kann. Tun wir bitte nicht so, als gäbe es in der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten eine klare Meinung, wie das weitergehen muß, und die kleinen, zögerlichen Österreicher behinderten eine solche Entwicklung.

Standpunkt beziehen, das ist schon etwas Notwendiges, aber ein Standpunkt, der nicht auf die Rahmenbedingungen Rücksicht nimmt, wäre wohl etwas sehr Verfehltes. Und daher halte ich es für eine absolut richtige politische Perspektive, auf der einen Seite natürlich eine nationale und auch eine innerparteiliche Diskussion mit unterschiedlichen Akzenten zu führen – eine Diskussion, in der es keine unterschiedlichen Standpunkte gibt, braucht ja nicht geführt zu werden, denn das ist ein Chorgesang – und dabei möglichst viel von dem einzubeziehen, was es eben an Meinungsströmungen und Perspektiven in den anderen EU-Mitgliedstaaten gibt. Diese Strömungen divergieren weit: von einer sozusagen fusionierten Europäischen Union und Westeuropäischen Union, bis zu einer Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik – wobei dann noch der ganze Fragenkomplex dazukommt, wo die denn eigentlich anzusiedeln ist, die Frage nach dem "Mister GASP", ob es diesen geben soll oder nicht. All das ist kein fertiges Szenario, das zu unterschreiben wir uns weigern, sondern es ist ein Diskussionsprozeß, zu dem auch wir Beiträge zu erbringen haben.

Wenn ich vorher die unterschiedlichen historischen Erfahrungen als ein Kriterium, das in dieser Diskussion natürlich eine Rolle spielt, eingebracht habe, dann gibt es außer den NATO-Mitgliedstaaten in der Europäischen Union und den Neutralen in der Europäischen Union natürlich auch Länder, die eine ganz anders geartete, dritte Erfahrung gemacht haben. Es ist sicher nicht so, daß wir jetzt als neutrales Land, das mit dieser Neutralität hervorragend gefahren ist, irgendein Recht hätten, anklagend auf jene osteuropäischen Staaten zu weisen, die aus ihrer geschichtlichen Erfahrung – das war eben eine geschichtliche Erfahrung des Nicht-geschützt-Seins – den Schluß ziehen, ihre richtige nationale Option wäre es, möglichst rasch und möglichst komplett in die NATO einzutauchen.

Aber genau an dem Punkt beginnt die Frage nach der europäischen Sicherheitsarchitektur eine zusätzliche Dimension zu bekommen. Die Grundfrage – sie ist zuvor zu stellen, bevor wir über Bündnisse, Institutionen und Personen reden – ist, ob diese europäische Sicherheitsarchitektur eine sein soll, die sich gegen Rußland richtet, oder eine sein soll, die Rußland miteinbezieht.

Man kann natürlich davon ausgehen, daß es mit einem mutierten Feind eine Fortsetzung des kalten Krieges geben kann oder soll und daß all jene Staaten, die eben nicht mehr zum russischen Block gehören, daher neue Freunde zu sein haben und in ein sich aus der NATO entwickelndes Militärbündnis hineingehören. Damit gibt es eine klare Grenze gegenüber denen, die in Europa nicht mitzuspielen haben. Und es ist mir auch bewußt, daß diese Option manchen in Osteuropa sehr sympathisch ist, weil sie eben ihre historische Erfahrung – das war das Abhängig-Sein von der Sowjetunion – einfach nicht wegdenken können und natürlich auch nicht wegdenken sollen.

Die Frage ist nur, ob dies ein Gewinn an Sicherheit für den europäischen Kontinent ist, wenn eine solche Frontlinie an der heutigen russischen Grenze oder vielleicht auch nicht – wenn wir uns bestimmte Entwicklungen in Weißrußland und vielleicht auch irgendwann einmal in der Ukraine anschauen – gezogen wird, die dann zu verteidigen ist und die eine neue Sollbruchstelle in Europa ist. Ich halte das für einen riskanten und problematischen Weg und meine, daß wir – so schwierig das ist – alle Bemühungen unternehmen sollten, eine europäische Sicherheitsarchitektur mit allen Partnern – das heißt: auch mit dem russischen Partner – zustande zu bringen, und daß dessen Interessen und dessen Animositäten und dessen historische Erfahrungen hier auch mitgedacht und berücksichtigt werden müssen.

Ich habe Sie nicht ganz verstanden, Herr Außenminister, als Sie – vielleicht ein bißchen in der Hitze des Wahlkampfs – den Präsidenten des Nationalrates dafür so hart angegangen sind, daß


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er genau das versucht hat, nämlich die russische Erfahrung, die russische Sensibilität ins Spiel zu bringen, ohne dabei den klaren österreichischen Standpunkt irgendwo in Zweifel zu ziehen.

Ich meine auch – das ist einmal ein Punkt, in dem ich mit Kollegin Riess übereinstimme –, daß manche dieser Diskussionen mit weniger Polemik und mit weniger Aufgeregtheit zu führen wären, da dies der Sache guttun würde.

Ich will meine Rede nicht überdehnen und daher nur noch zu zwei wichtigen Bereichen einige Worte sagen.

Das eine sind – das hat heute schon in der Fragestunde eine Rolle gespielt, und naturgemäß findet es auch im Bericht seine Widerspiegelung – die schwierige Situation, die im Nahostkonflikt durch die politische Veränderung in Israel entstanden ist, und die Tatsache, daß hier neuerlich Initiativen von außen gefragt sind. Ich halte es auch für richtig, wie der Herr Außenminister gesagt hat, daß die Europäische Union ihre Möglichkeiten konsequenter und energischer nützen muß. Die Europäische Union, die naturgemäß am Anfang der Entwicklung einer Gemeinsamen Außenpolitik steht und immer wieder dadurch konterkariert wird, daß einzelne große Mitgliedstaaten Sonderhaltungen vertreten und Sonderinteressen verfolgen, ist in diesem Bereich einer der großen Zahlmeister, ist ein entscheidender Wirtschaftspartner und ein entscheidender Handelspartner vor allem Israels.

Ich kann mir nicht vorstellen, daß es Politik der Europäischen Union sein kann und bleiben kann, das einfach geschehen zu lassen und daraus keine politischen Konsequenzen zu ziehen. Ich bin Herrn Netanyahu – in Anknüpfung an das, was Sie gesagt haben – nicht darüber böse, daß er genau jene gefährliche Politik nach den Wahlen macht, die er vor den Wahlen versprochen hat. Aber es ist klar, daß dies den Friedensprozeß zum Stillstand bringt, und wenn der Friedensprozeß zum Stillstand gebracht ist, dann ist auch klar, daß eine neuerliche Explosion auf Seite der Palästinenser nicht nur droht, sondern kommen muß und kommen wird. Daß damit der Friedensprozeß an der Schwelle wie immer gearteter neuer kriegerischer Auseinandersetzungen landet, erscheint naheliegend.

Es wäre richtig und notwendig, daß die Europäische Union hier eine eigenständige, mit den amerikanischen Partnern abgesprochene, aber nicht von diesen diktierte politische Haltung einnimmt, und ich würde mich sehr freuen, wenn sich die Unterstützung für diesen Standpunkt, wie Sie ihn zum Ausdruck gebracht haben, auch in der Europäischen Union durchsetzen würde.

Dies vor allem auch deshalb, weil nicht nur der Frieden im Nahen Osten auf dem Spiel steht, sondern auch die Glaubwürdigkeit der Europäischen Union im Mittelmeerraum. Es wäre geradezu lächerlich, wenn die Europäische Union eine neue Mittelmeerpolitik entriert, in diesem Zusammenhang darauf Wert legt, daß es eine massive Menschenrechts- und Demokratiekomponente gibt, und dann sozusagen den wahrlich in ihrer Mehrzahl nicht einfachen Partnern dieses Programms vorexerziert, daß das überhaupt nicht so ernst gemeint ist. Wenn solche Grundsätze für die Außenpolitik der Union maßgeblich sein sollen – und sie sollen es –, dann sind sie nicht nur gegenüber Marokko, Algerien oder wem auch immer durchzusetzen, sondern auch gegenüber einem Land wie Israel, über dessen interne demokratische Struktur es kein Wort der Diskussion gibt. Aber es ist nicht die einzige demokratische und humanitäre Dimension, die man zu respektieren hat, daß man die eigenen Staatsbürger ordentlich wählen läßt, da gibt es auch noch ein paar andere Dimensionen. (Beifall bei der SPÖ.)

Zuletzt – das kommt im Bericht nicht in großer Breite vor, aber es ist berücksichtigt –: Der Übergang wäre, die eigene Bevölkerung ordentlich wählen zu lassen. Selbst das ist mehr, als man der Türkei nachsagen kann. Wir sind uns darüber im klaren, daß hier ein neuer Konfliktherd und ein neues Krisenpotential im Entstehen begriffen ist, nicht allein deshalb, weil eine Partei eine Wahl gewonnen hat, die sicherlich nicht nach einem westeuropäisch demokratisch zivilisatorischen Vorbild strebt, sondern deklariertermaßen in eine andere Richtung – das ist in Wirklichkeit das I-Tüpferl –, sondern wir haben es hier mit einem Staat zu tun, in dem so viel an Rechtsbestand, für den wir kämpfen und den wir in unseren Ländern verwirklicht haben, nicht existiert, sodaß diese Partnerschaft höchst problematisch ist.


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Wir wissen, daß unabhängig davon, ob militärische bewaffnete Kämpfer im Einzelfall aufgetreten sind – aber das kompliziert das Problem natürlich –, der kurdische Bevölkerungsteil der Türkei keine seriöse Möglichkeit hat, sich politisch zu artikulieren. Es ist keine Legende, daß in bestimmten Provinzen des Ostens die Militärbehörden der Bevölkerung kurdischer Dörfer deutlich gemacht haben, wie hoch bei der Wahl der Prozentsatz der Hadep-Stimmen – das ist die nicht verbotene kurdische demokratische Partei – sein darf, und angekündigt haben, ab 40 Prozent werde das Dorf niedergebrannt. Mir scheint es nicht gerade ein Element demokratischer Entscheidungsfindung zu sein, wenn ich Bürger vor die Wahl stelle, entweder die Partei zu wählen, für die sie Sympathie haben, oder ihre Heimat zu verlieren.

Wir wissen, daß freigewählte Abgeordnete der Großen Türkischen Nationalversammlung unter fadenscheinigsten Vorwänden ihrer Mandate entkleidet und verurteilt wurden. Die Sacharow-Preisträgerin Leila Zeyna ist immer noch inhaftiert. "Inhaftiert" ist ein freundlicher Ausdruck für das, was sich in türkischen Gefängnissen abspielt.

Wir haben erlebt – und auch das ist anzuführen –, daß in diesem Land politische Kräfte, die sich Westeuropa als die naturgegebenen Partner angedient haben, aus purem Machterhalt bereit waren, mit den Kräften, vor denen sie ihr Land zu schützen vorgaben, zu koalieren. Ich habe mir gestattet, im Europäischen Parlament Frau Ciller als die "Frühstücksdirektorin" des neuen Regimes Erbakan zu bezeichnen. Ich glaube, hier sind Entwicklungen im Gang, zu denen Österreich, aber vor allem natürlich auch die Europäische Union klar Stellung beziehen muß, dafür sorgen muß, daß diese Kräfte nicht gestärkt werden, daß gerade in diesem Land die kritische Zivilgesellschaft und die Demokratie entwickelt werden, um zu anderen, positiveren Entscheidungsfindungen zu kommen.

Ich glaube – damit möchte ich schließen –, daß Österreich in dieser Europäischen Union – und die großen Probleme rund um unseren Kontinent sind nationalstaatlich nicht anzugehen – in den eineinhalb Jahren – wir können ja mitdenken, was seit Abschluß des Berichtes passiert ist – eine bemerkenswert initiative und positive Rolle gespielt hat; dies im wesentlichen in Übereinstimmung mit jenen Kriterien, von denen ich jetzt gesprochen habe. Diese Europäische Union darf nach unserem Verständnis nicht nur eine Veranstaltung zur gegenseitigen Wirtschaftsförderung sein, sie muß auch ein Kristallisationspunkt von Sicherheit für Europa und dessen Umgebung sein, sie muß auch ein Kristallisationspunkt von Demokratie in Europa und in den umliegenden Ländern sein, und dafür gilt es, weiterhin einzutreten. (Beifall bei der SPÖ.)

11.20

Vizepräsident Dr. DDr. h. c. Herbert Schambeck: Zu Wort gemeldet ist weiters Herr Bundesrat Professor Dr. Manfred Mautner Markhof. Ich erteile es ihm.

11.20

Bundesrat Dr. h. c. Manfred Mautner Markhof (ÖVP, Wien): Herr Präsident! Herr Vizekanzler! Hoher Bundesrat! Auch ich darf mich heute mit dem Außenpolitischen Bericht der Bundesregierung über das Jahr 1995 befassen – ein Jahr, das ohne Übertreibung als eines der wichtigsten in der Geschichte der Zweiten Republik bezeichnet werden kann. 1995 war das Jahr, in dem Österreichs Mitgliedschaft bei der Europäischen Union begann.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Bevor ich mich in medias res begebe, möchte ich es nicht verabsäumen, mich bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Außenministeriums für die großartigen Leistungen sehr herzlich zu bedanken. Hervorheben möchte ich an dieser Stelle Dr. Alois Mock, der das Amt des Außenministers bis Mai 1995 innehatte und dessen Name untrennbar mit dem EU-Beitritt Österreichs verbunden ist. Mein ganz besonderer Dank gilt Dr. Wolfgang Schüssel, der das Amt des Außenministers am 4. Mai 1995 übernommen hat.

Meine Damen und Herren! Damit komme ich auch schon zum ersten thematischen Schwerpunkt, nämlich zur Europäischen Union, deren Mitglied Österreich seit 1. Jänner vorigen Jahres ist. Ein Bereich, dem ich mich ganz besonders widmen möchte, ist die Wirtschafts- und Währungsunion. Im Vorjahr wurde beim Europäischen Rat in Madrid die Entscheidung über das Szenario für den Übergang zur Einheitswährung getroffen. Neben dem Namen der zukünftigen Währung, nämlich Euro, wurde auch Beginn und Dauer der einzelnen Phasen festgelegt.


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Gerade im Vorfeld der EU-Wahlen wurden immer wieder Stimmen laut, die der EU die Schuld an der unerfreulichen Situation unserer Staatsfinanzen und an dem damit verbundenen Sparpaket zugeschrieben haben und dies auch leider weiterhin tun. Richtig ist, daß die Voraussetzung für die Teilnahme an der Währungsunion eine strikt eingehaltene Stabilitätspolitik ist.

Österreich teilt mit der überwältigenden Mehrheit der EU-Staaten die Auffassung, daß die Konvergenzkriterien des Maastricht-Vertrages keinesfalls aufgeweicht werden dürfen, auch wenn wir von der Erfüllung der Kriterien selbst noch ein gutes Stück entfernt sind. Aber – das möchte ich, meine Damen und Herren, eindringlich betonen – die geforderte Haushaltsdisziplin ist nicht Selbstzweck und schon gar nicht eine Art Bosheitsakt aus Brüssel. Die Sanierung der Staatsfinanzen liegt in unserem ureigensten Interesse. Die Sanierung der Staatsfinanzen müssen wir mit und ohne EU bewältigen. Allerdings wäre diese Aufgabe ohne EU-Beitritt noch viel schwieriger gewesen. Die wirtschaftliche Situation in unserem Land stellt sich zurzeit sicherlich nicht so rosig dar, wie wir uns das alle wünschen würden. Allerdings – das möchte ich schon festhalten –: Wären wir nicht der EU beigetreten, dann wäre die Situation für unser Land noch um einiges unerfreulicher. Werfen Sie einen Blick in die Schweiz, und reden Sie mit Schweizer Kollegen! – Dann werden Sie einen Eindruck davon gewinnen, was es bedeutet, zunehmend in die Isolation zu geraten.

Um aber wieder auf die Währungsunion zurückzukommen: Bei allen notwendigen Anstrengungen und auch Schwierigkeiten bin ich doch überzeugt, daß Österreich die Voraussetzungen für die Teilnahme an der gemeinsamen Währung erfüllen wird. Es muß unser Ziel sein, daß Österreich 1998, wenn die Entscheidung über den Kreis der Teilnehmer getroffen wird, in diesem Kreis dabei ist. Die Wirtschafts- und Währungsunion ist nicht nur ein Projekt, das wirtschaftlichen Nutzen bringt. Die Umsetzung der WWU wird entscheidend dazu beitragen, den Zusammenhalt der EU-Staaten sowie den europäischen Einigungsprozeß zu stärken.

Aber nun zum nächsten Punkt. Im Zusammenhang mit der Währungsunion habe ich bereits das Jahr 1998 angesprochen. Dieses Jahr ist aber auch für uns insofern von besonderer Bedeutung, als Österreich im zweiten Halbjahr die EU-Präsidentschaft innehaben wird. Das bedeutet, daß Österreich im Europäischen Rat, in allen Fachministerräten und in den 200 Ratsarbeitsgruppen den Vorsitz stellt und die gesamte EU-Politik in diesen sechs Monaten leitet und steuert.

Anzumerken ist dabei auch, daß 1998 zu einem europapolitischen Schlüsseljahr werden könnte. Mit der Vorbereitung der dritten Stufe der WWU, der Umsetzung der Beschlüsse der Regierungskonferenz, den Beitrittsverhandlungen mit Zypern, Malta und den zentral- und osteuropäischen Ländern sowie den Vorarbeiten für das Finanzpaket 2000 wird eine ganze Reihe wichtiger und sensibler Themen auf der Tagesordnung stehen. Dies bedeutet, daß die gründliche organisatorische und inhaltliche Vorbereitung des österreichischen EU-Vorsitzes die zentrale Aufgabe der österreichischen Integrationspolitik darstellt und darstellen wird. In diesem Zusammenhang möchte ich auch appellieren, daß wir in Österreich weitgehend, soweit es eben möglich ist, an einem gemeinsamen Strang ziehen.

Meine Damen und Herren! Ich habe bereits kurz das Thema EU-Beitritt zentraleuropäischer Staaten angeschnitten. Im Dezember vorigen Jahres hat der Europäische Rat in Madrid die grundsätzliche Bereitschaft der EU zur Eröffnung von Beitrittsverhandlungen nach der Regierungskonferenz und nach Vorliegen erforderlicher Stellungnahmen und Berichte der Kommission erklärt.

Es liegt in der Natur der Sache, daß ein Beitritt dieser Länder für die EU die Bewältigung einer Reihe von schwierigen Aufgaben bedeutet. Aber ich möchte an dieser Stelle meiner Meinung Ausdruck geben, daß die Europäische Union ihrem Namen und ihren Zielen erst dann wirklich gerecht wird, wenn auch die zentral- und osteuropäischen Staaten zum Mitgliederkreis zählen. Und gerade Österreich, das geographisch und historisch so eng mit diesen Staaten verbunden ist, muß ein besonders hohes Interesse an deren Beitritt haben. Deshalb sollten wir alles in unserer Macht Stehende unternehmen, um die genannten Staaten bei ihren Bemühungen um einen EU-Beitritt tatkräftig zu unterstützen.


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Nicht zuletzt spielen dabei auch sicherheitspolitische Erwägungen eine Rolle. Beim Stichwort "Sicherheitspolitik" möchte ich auch die NATO-Friedenspartnerschaft nicht unerwähnt lassen, die ja allen OSZE-Staaten offensteht. Diese Initiative erachte ich für die Stabilität und Sicherheit der Nachbarn Österreichs in Zentral- und Osteuropa für die Entwicklung eines umfassenden europäischen Sicherheitssystems und somit auch für Österreich als einen richtigen und wichtigen Schritt.

Herausgreifen möchte ich aus dem breiten außenpolitischen Spektrum auch den Europarat, der gleichsam der Initiator bei der Zusammenführung der europäischen Nationen ist. Denn mit der Aufnahme in den Europarat legt jedes neue Mitgliedsland eine Art Reifeprüfung ab. 1995 wurden fünf neue Mitglieder in den Europarat aufgenommen. Die im Jahr 1995 neu hinzugekommenen Mitglieder sind Lettland, Albanien und Moldawia, die Ukraine und die ehemalige jugoslawische Republik Makedonien. Und wie ich mit großer Freude feststellen konnte, ist gestern auch Kroatien offiziell in den Europarat aufgenommen worden.

Als Zeichen für die wachsende politische Bedeutung des Europarats innerhalb der europäischen Architektur kann sicherlich das Interesse außereuropäischer Staaten gewertet werden, das diese im Vorjahr an den Aktivitäten des Europarats gezeigt haben. So haben die USA und auch Japan formelle Ansuchen um Zuerkennung des Beobachterstatus beim Europarat gestellt, wobei der USA der Beobachterstatus im Dezember 1995 zuerkannt worden ist. In Anbetracht der Fülle an außenpolitischen Themen können naturgemäß nur wenige Punkte herausgegriffen und angerissen werden.

Bevor ich mich aber nun dem Abschluß meiner Ausführungen nähere, ist es mir ein großes Bedürfnis, eine Institution hervorzuheben, die immense Verdienste auf dem Ausbildungssektor hat, nämlich die Diplomatische Akademie. Eine fundierte Ausbildung ist das Um und Auf jeglichen Handelns, und das zweijährige postgraduale Ausbildungsprogramm an der Diplomatischen Akademie zählt zweifellos zu den qualitativ hochwertigsten Bildungseinrichtungen, über die wir in Österreich verfügen. Dies zeigt sich nicht zuletzt daran, daß die Absolventen dieser Lehrgänge in der Politik ebenso wie in der Wirtschaft im Inland wie im Ausland sehr begehrte Fachkräfte sind.

Seit dem Jahr 1964 haben mehr als 600 Akademiker die regulären Lehrgänge der Diplomatischen Akademie absolviert. Knapp die Hälfte davon sind Ausländer. Neben den regulären Lehrgängen sind aber auch die anderen Aktivitäten der Akademie hervorzuheben, wie etwa die während der Sommermonate angebotenen Kurse für deutsche Sprache und österreichische Kultur. Eine besondere Erwähnung verdienen auch die Spezialkurse zur Weiterbildung jüngerer Diplomatinnen und Diplomaten aus den sogenannten Reformländern.

Abgesehen vom Bildungsziel sind diese Aktivitäten ein nicht zu unterschätzender Beitrag zur Völkerverständigung und auch zum Export österreichischer Kultur. Denn die ausländischen Absolventinnen und Absolventen werden in ihrem späteren Beruf sicherlich einen ganz anderen Zugang zu Österreich haben als Menschen, die unser Land nur vom Hörensagen kennen.

Das ist es auch, was für mich das Faszinierende an der EU ist: die vielfältigen Möglichkeiten, die Länder, deren Einwohner und auch deren jeweilige Kultur als Student, als Berufstätiger et cetera kennenlernen zu können, ohne die sonst üblichen Barrieren wie Aufenthaltsgenehmigungen et cetera überwinden zu müssen. Das ist in meinen Augen der aussichtsreichste Weg, um zu einer wichtigen Völkerverständigung zu kommen. Wie der Außenpolitische Bericht 1995 belegt, liefert die österreichische Außenpolitik wesentliche Beiträge zu dieser Völkerverständigung. – Danke. (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)

11.31

Vizepräsident Dr. DDr. h. c. Herbert Schambeck: Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Dr. Peter Kapral. Ich erteile es ihm.

11.31

Bundesrat Dr. Peter Kapral (Freiheitliche, Wien): Herr Präsident! Herr Bundesminister! Sehr geehrte Damen und Herren! Hoher Bundesrat! Ich darf mich einleitend auch meinerseits sehr


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herzlich bei den Damen und Herren im Bundesministerium für auswärtige Angelegenheiten bedanken, insbesondere auch beim Koordinator zur Erstellung dieses Außenpolitischen Berichtes, der heute hier zur Diskussion steht, Herrn Gesandten Dr. Knitel. Sie haben eine wirklich hervorragende Arbeit geleistet und einen umfassenden Bericht über alle Aktivitäten und auch über den Stand der österreichischen Außenpolitik geliefert.

Wenn die freiheitliche Fraktion hier im Bundesrat heute diesen Außenpolitischen Bericht entgegen dem Antrag nicht zur Kenntnis nimmt, dann hängt dies ausschließlich mit der politischen Linie, mit der Tendenz, die die österreichische Außenpolitik kennzeichnet und die auch in diesem Bericht zum Ausdruck kommt, zusammen. Damit soll der Faktensammlung und der damit verbundenen Arbeit kein Abbruch getan werden.

Über den Kernpunkt des Außenpolitischen Berichtes, nämlich das erste Jahr der Mitgliedschaft Österreichs in der Europäischen Union, ist bereits mehrfach gesprochen worden. Ich darf in diesem Zusammenhang auf ein aktuelleres Thema zu sprechen kommen, das sowohl im Ausschuß als auch heute hier in der Fragestunde zur Diskussion stand, zu dem ich aber noch einige Aspekte aufzeigen möchte, nämlich die Arbeiten in der Regierungskonferenz 1996 und in diesem Zusammenhang vor allem auch die Ergebnisse des sogenannten Gipfels von Dublin.

Sicherlich ist es nicht das Ziel der Regierungskonferenz, eine vollständige Reform der Europäischen Union herbeizuführen und anzustreben. Es ist richtig, daß die Europäische Integration durch schrittweise Fortschritte gekennzeichnet ist und nicht von dramatischen Sprüngen nach vorne, wie dies der Herr Bundesminister zum Ausdruck gebracht hat. Auf der anderen Seite war aber in Dublin deutlich zu hören, daß es nur ein zähes Ringen um eine Reform der Europäischen Union gibt und daß ein Scheitern der Regierungskonferenz – sie soll ja erst Ende Juni 1997 abgeschlossen sein – heute zwar noch nicht vorhergesagt werden sollte, daß aber über dieses Scheitern in dem einen oder anderen Kommentar schon gelegentlich zu lesen ist.

Was mich in diesem Zusammenhang aber mehr beschäftigt, ist die Gefahr von Scheinlösungen, die dann beschlossen werden könnten, wenn im Zeitplan Verzögerungen auftreten, Scheinlösungen in der Form, daß in letzter Minute rasche Entscheidungen getroffen werden, um der breiten Öffentlichkeit zu signalisieren, daß man sehr wohl in der besagten Reform weitergekommen ist. Es besteht die Gefahr, daß das, was das Wesentliche der Regierungskonferenz ist, nämlich die Notwendigkeit von Korrekturen der Entwicklung, Korrekturen an den Entscheidungen von Maastricht und an der Entwicklung seither beziehungsweise an der Ausführung der Beschlüsse von Maastricht, dann in einem Ad-hoc-Verfahren erledigt wird. Das ist sicherlich auf der einen Seite ein sehr ehrgeiziges Unterfangen, auf der anderen Seite zeigt sich aber auch, daß bei den Bürgerinnen und Bürgern der einzelnen Mitgliedsländer die Bereitschaft, weitere Integrationsschritte zu akzeptieren, nicht im gleichen Ausmaß vorhanden ist.

Der Gipfel von Dublin hat jedenfalls, so ist mein Eindruck, keine Impulse für die Reform gebracht, sondern sich letztendlich nur zu einer Bekräftigung des Terminplanes aufraffen können, wobei zwischen den Zeilen und zwischen den Worten immer die Hoffnung mitgeschwungen ist, daß man nach den Wahlen in Großbritannien – das ist ja mit eine der Schwierigkeiten, nämlich das Verhalten Großbritanniens –, die spätestens bis Mai 1997 stattfinden werden müssen, vielleicht klüger sein wird. Natürlich steht dann nur mehr eine sehr kurze Zeitspanne bis zur Beendigung der Regierungskonferenz, die im Juni 1997 vorgesehen ist, zur Verfügung. Die Gefahr übereilter Beschlüsse ist also nicht ganz von der Hand zu weisen.

Auch schöne Worte von Bundeskanzler Vranitzky, daß der Zeitplan nicht auf Kosten der Substanz gehen dürfe, dürfen über dieses Dilemma nicht hinwegtäuschen. Es ist im gegenwärtigen Zeitpunkt sicherlich noch völlig offen, ob tatsächlich substantielle Fortschritte erzielt werden können, entgegen den öffentlich geäußerten positiven Interpretationen der Verhandlungen im Rahmen der Regierungskonferenz – eine Skepsis, die auch vom Vizekanzler und Außenminister in der Beratung des Außenpolitischen Ausschusses zum Ausdruck gebracht wurde.


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Neben diesen allgemeinen Überlegungen über die Arbeiten in der Regierungskonferenz gibt es natürlich noch einen Faktor, der für uns sicherlich auch im Zusammenhang mit den Schritten zur Realisierung der Wirtschafts- und Währungsunion zu sehen ist, zur Realisierung jenes Punktes, jener Säule von Maastricht, die ja seinerzeit schon sehr präzise und konkret festgeschrieben wurde, nämlich die Frage der Beschäftigungspolitik. Auf der einen Seite wird der Eindruck vermittelt, es sei durchaus möglich, Fortschritte zu erzielen, auf der anderen Seite aber – natürlich vor allem durch die Haltung Großbritanniens, aber auch Deutschlands, das nach wie vor auf dem Standpunkt steht, Beschäftigungspolitik sei Sache der nationalen Politik –, daß Fortschritte nicht wirklich erzielbar sind.

Ich möchte mich nun einem Thema zuwenden, das mit der Mitgliedschaft Österreichs zur Europäischen Union zusammenhängt, aber in den Beratungen zur Regierungskonferenz nicht wirklich eine Rolle spielt, sehr wohl aber in der innerösterreichischen Diskussion, nämlich der Forderung nach einer Reform der EU-Fonds.

Die finanziellen Auswirkungen des EU-Beitritts Österreichs per 1. Jänner 1995 haben zwar "nur" – unter Anführungszeichen – eine Nettobeitragsleistung von rund 15,5 Milliarden Schilling zur Folge, die Nettobelastung des Budgets, also des Bundeshaushaltes liegt aber bei fast 50 Milliarden Schilling, nämlich bei rund 48,7 Milliarden Schilling. Es ist, wie ich glaube, in diesem Zusammenhang durchaus legitim, über eine Limitierung des Beitrages zu sprechen beziehungsweise sogar eine Beitragssenkung als die weitergehende Forderung in den Raum zu stellen.

Ich darf hier auf die Äußerungen von Wirtschaftsminister Farnleitner zu sprechen kommen, der ja einmal, noch bevor er Minister wurde, auch davon gesprochen hat, daß Österreich in Brüssel schlecht verhandelt habe, nämlich unter dem Aspekt, möglichst viele Leistungen aus den diversen Fonds zurückzuerhalten, einer hohen Beitragsleistung zugestimmt habe, während auf der anderen Seite Schweden auf manches an Leistungen aus den Fonds verzichtet, dafür aber einen niedrigeren Beitrag ausgehandelt habe. (Vizekanzler Dr. Schüssel: Herr Bundesrat, das ist faktenwidrig! Wir zahlen weniger als die Schweden!)

Der Vorschlag der Beitragslimitierung kommt immerhin aus den Kreisen der Bundeswirtschaftskammer. Von einem hohen Vertreter der Bundeswirtschaftskammer wurde diese Forderung kürzlich in den Raum gestellt und durch Hinweise auf die bisherigen Rückflüsse, insbesondere unter dem Titel Regionalförderung erhärtet. Unter diesem Titel sollte Österreich in der Zeitspanne zwischen 1995 und 1999 ein Betrag von rund 4,6 Milliarden Schilling zur Verfügung stehen. Bis August dieses Jahres sind aber nur einmal 596 Millionen Schilling überwiesen worden. Sicherlich muß man dabei Anlaufschwierigkeiten, Anlaufprobleme berücksichtigen. Dieser Betrag ist sicherlich nicht signifikant und kann nicht für die ganze Periode hochgerechnet werden. Ich möchte aber immerhin auf diesen Umstand hinweisen.

Ich möchte auch darauf hinweisen, daß das Burgenland auf der einen Seite zwar als Ziel-1-Gebiet eingestuft wurde und damit in den Genuß höherer Förderungsmöglichkeiten kommen kann, daß sich aber die EU-Förderungen, die bisher tatsächlich geflossen sind, in relativ niedrigen Grenzen halten. Es ist insgesamt mit Stand September 1996 im Burgenland ein Betrag in der Höhe von 127 Millionen Schilling an EU-Förderungen geflossen, bei Gesamtprojektkosten von rund 7,5 Milliarden Schilling, wobei der Anteil an Privatmitteln etwa bei 4,4 Milliarden Schilling liegt und die Förderung rund 3 Milliarden Schilling ausmachen soll.

Besonders signifikant ist jene Förderung, die im Bereich Gewerbe und Industrie angesprochen wurde. Es sind 16 Projekte eingereicht und genehmigt worden – mit Projektkosten von fast 4 Milliarden Schilling. Seitens der EU wurden bisher 8 Millionen Schilling an Förderungen ausbezahlt. Das zeigt, daß noch intensive Bemühungen notwendig sind, um den Fluß und die Verwendung dieser Mittel effizienter zu gestalten. Das sei hier angemerkt.

Wenn ich in diesem Zusammenhang noch auf ein weiteres Thema, das uns in der Zukunft intensiv beschäftigen wird, zu sprechen komme, so ist das die Frage der Osterweiterung, also die Aufnahme der derzeit assoziierten Staaten beziehungsweise jener Staaten des ehemaligen Ostblocks, die entsprechende Aufnahmeansuchen gestellt haben.


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In der Fragestunde ist im Zusammenhang mit der Schwerpunktsetzung für die Regierungskonferenz vom Herrn Vizekanzler und Außenminister auch auf die Frage der Menschenrechte und deren Einhaltung verwiesen worden. Die Einhaltung der Menschenrechte muß meiner Meinung nach ungeteilt gelten und natürlich auch jene Unrechtshandlungen erfassen, die in der Vergangenheit gesetzt wurden. In einer Anfragebeantwortung haben Sie, Herr Vizekanzler und Außenminister, auf den noch zu erstellenden Avis für einen allfälligen Beitritt zum Beispiel Tschechiens oder Sloweniens hingewiesen und darauf verwiesen, daß in diesem Zusammenhang auch auf die Frage der deutschen Volksgruppen, was auch heute in der Fragestunde ein Thema war, oder der Vertriebenen eingegangen werden sollte.

Es ist sicherlich richtig, daß sich diese Frage derzeit nicht in ihrem vollen Umfang stellt. Österreich wird aber spätestens bei der Ausarbeitung des Avis hiezu Stellung beziehen müssen. Es stellt sich für mich die Frage, ob Österreich nicht schon zu einem früheren Zeitpunkt, in einem früheren Stadium, zum Beispiel auf diplomatischem Weg, seine Vorstellungen vorbringen sollte. Insoferne ist der Hinweis auf den Zeitpunkt des Avis unbefriedigend. Wir wollten dieses Thema ursprünglich zum Gegenstand einer Anfragebesprechung machen, es bietet sich aber natürlich auch die Diskussion über den Außenpolitischen Bericht dazu an, das Thema anzuschneiden. Es geht doch vor allem darum, schon jetzt zum Beispiel in der Frage der Aufhebung der sogenannten Benesch-Dekrete oder zum Beispiel auch in der Frage der Volksgruppenanerkennung und der Vertriebenen-Rechte von Österreich aus aktiv zu werden und entsprechende Schritte zu setzen.

Wenn ich den Außenpolitischen Bericht in seinen Einzelheiten studiere, so sticht ein spezielles Thema ins Auge – und dieses Thema möchte ich hier herausgreifen und abhandeln –, das auch im Konnex mit unserer Mitgliedschaft bei der EU steht.

Auf Seite 6 heißt es unter der Überschrift "Die Europäische Union – die Mitgliedschaft Österreichs" – ich darf das zitieren –: "Durch das Eintreten gegen eine EU-Finanzierung für die Fertigstellung des slowakischen Kernkraftwerkes Mochovce und gegen die französischen Atomtests im Südpazifik wurden klare Akzente gesetzt."

Österreich war erfolgreich. Österreich hat erreicht, daß eine Finanzierung durch die Europäische Bank für Entwicklung und Wiederaufbau nicht erfolgt ist. Aber was waren und was sind letztlich die Konsequenzen dieser Aktivität? – Die ursprünglich vorgesehene volle Mitwirkung der Finanzierungsländer und damit der Europäischen Union an der Sicherheitsbeurteilung ist hinfällig. Die Stillegung von Bohunice, einem weiteren in Betrieb befindlichen Kernkraftwerk, ist ebenfalls hinfällig. Diese war eine der Voraussetzungen für die EBRD-Finanzierung.

Tatsächlich wird aber Mochovce gebaut, laut dem vorliegenden Außenpolitischen Bericht alle vier Blöcke mit angeblich um 10 bis 20 Prozent geringeren Kosten, und zwar ohne Sicherheitsbeurteilung nach westlichen Standards. Es bleibt offen, was das bedeutet, wo hier gespart wird. Ich hoffe sehr, nicht an den Sicherheitseinrichtungen, die unseren Standards entsprechen könnten. Näheres ist dazu jedenfalls nicht bekannt.

Bohunice wird nicht geschlossen, sondern es wird aufgrund einer vertraglichen Vereinbarung vom Sommer dieses Jahres "ertüchtigt" – was immer das sein mag – und soll ab 1999 in Vollbetrieb für weitere Jahre – für wie viele bleibt offen – arbeiten, wovon hier von einer Periode von zehn Jahren gesprochen wird.

Aus dieser mit großem Aplomb im Berichtsjahr 1995 von der Bundesregierung erfolgten Anti-Atom-Politik, vor allem was unsere Nachbarländer anlangt – vom Bundeskanzler mit Vehemenz vertreten –, ist nichts übriggeblieben. Geblieben ist die Angst in der Bevölkerung vor unbekannten Gefahren, die man im Zusammenhang mit dieser Anti-Atom-Politik geschürt hat, die heute noch natürlich als groß eingeschätzt werden.

Die Anti-Atom-Politik ist letztlich daran gescheitert, daß Österreich eine reine Verhinderungsstrategie verfolgt hat, ohne gleichzeitig den betroffenen Ländern tatsächlich Hilfestellung zu bieten, damit diese die mit einer Schließung dieser Atomkraftwerke verbundenen Probleme auch tat


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sächlich lösen können, das heißt, in welcher Art und Weise sie ihre Energieversorgung, die Versorgung mit elektrischem Strom sicherstellen können.

Das Thema wird unter dem Titel "Umweltschutz in den Nachbarbeziehungen Österreichs" nochmals aufgeworfen. Dieses Kapitel beschäftigt sich vor allem mit der Frage grenznaher Kernkraftwerke, insbesondere was Tschechien, Slowakei und Slowenien anlangt. Ohne auf Details einzugehen, wird die österreichische Situation, die österreichische Position dazu behandelt, wobei zwar Anbote an Tschechien und die Slowakei erwähnt werden, aber nicht tatsächlich über das Ergebnis berichtet wird. Es wird lediglich davon gesprochen, daß Österreich für die Verbesserungsarbeiten, für die Auffrischungsarbeiten im Kernkraftwerk Temelin 500 Millionen Schilling zur Verfügung gestellt hat. Es sagt der Bericht aber nichts darüber aus, was tatsächlich mit diesem Anbot geschehen ist. Das ist eigentlich verständlich, weil dieses Anbot nicht akzeptiert wurde und all diese österreichischen Initiativen keinerlei Resonanz bei unseren Nachbarn hervorgerufen haben.

Der Schwerpunkt dieser Aktivitäten lag beim Bundeskanzler und bei dessen Mitarbeitern. Den Bemühungen war bedauerlicherweise kein Erfolg beschieden. Es wäre ungerecht, wenn man der Diplomatie die Schuld zumessen würde. Aber da im Außenpolitischen Bericht sehr wohl von diesen Dingen die Rede ist, ist es auch angebracht, hier darüber zu diskutieren.

Hinsichtlich Krško, einem Kernkraftwerk in unserem Nachbarland Slowenien, wird ganz simpel die Schuld, daß keine Schließung erfolgt, dem zweiten Teilhaber, dem Mitbesitzer Kroatien, zugemessen. Auch das kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß die österreichische Politik versagt hat.

Da aber, wie ich erwähnt habe, auch die französischen Atomtests im Pazifik ihren Niederschlag gefunden haben, mit dem Hinweis, Österreich habe diesbezüglich klare Akzente gesetzt, so muß dazu festgestellt werden, daß diese klaren Akzente – was immer das sein mag – die Franzosen in keiner Weise beeindruckt haben. Auch hier war der Bundeskanzler aktiv. Die einzige Reaktion war die – daran soll erinnert werden –, daß sich der französische Staatspräsident, aber auch sein Außenminister über den österreichischen Kanzler lustig gemacht haben, und mangels einer klaren und eher konfusen Argumentation war Österreich in Gefahr, sich der Lächerlichkeit preiszugeben. Ich bezweifle sehr, ob der hier gewählte Ausdruck "klare Akzente gesetzt haben" tatsächlich richtig ist.

Lassen Sie mich zum Schluß nur noch einen kurzen Hinweis geben: Österreich hat sich – das war natürlich auch ein Thema im Berichtsjahr – stets als eine gewisse Drehscheibe, als eine Brücke gegenüber dem Osten, gegenüber den Ländern des ehemaligen realen Sozialismus empfunden. Bedauerlicherweise haben sich in letzter Zeit nicht nur in der Entwicklung des Außenhandels zwischen Österreich und diesen Ländern Rückschläge ergeben. Es herrscht ganz generell der Eindruck vor – das läßt sich auch durch Expertisen belegen –, daß diese Drehscheibenfunktion und diese Brückenfunktion nie wirklich zum Tragen gekommen sind und heutzutage natürlich an Bedeutung verloren haben. Je weiter der erfreuliche Integrationsprozeß dieser Länder beziehungsweise der Annäherungsprozeß an die westliche Staatengemeinschaft gediehen ist, desto weniger bedarf es einer solchen Funktion. – Danke. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

11.59

Vizepräsident Dr. DDr. h. c. Herbert Schambeck: Zu Wort gemeldet hat sich Frau Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach. Ich erteile es ihr.

12.00

Bundesrätin Anna Elisabeth Haselbach: Herr Präsident! Herr Vizekanzler! Meine Damen und Herren! Auch ich möchte es nicht verabsäumen, den Außenpolitischen Bericht zu loben, und zwar als ein umfangreiches Nachschlagewerk, das auch für uns Parlamentarier einen guten Arbeitsbehelf darstellt. Dieses Lob möchte ich verbinden mit dem Dank an die Beamten des Ministeriums, die diesen Bericht erstellt haben. Es liegt wohl auf der Hand, daß es nur dann möglich ist, ein derart umfangreiches und informatives Werk zu erstellen, wenn alle Dienststellen im In- und Ausland Entwicklungen beobachten und über ihre Einschätzungen aktuell


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berichten. Immer wieder, Herr Vizekanzler, stelle ich fest, daß einem Ersuchen um Übermittlung eines Länderberichts raschest nachgekommen werden kann und die darin enthaltenen Informationen aktuell sind. (Präsident Pfeifer übernimmt den Vorsitz.)

Ich möchte aber nicht nur erwähnen, wie zuverlässig die Berichte sind, sondern auch sagen, mit wieviel Umsicht unsere Vertretungen im Ausland in kürzester Zeit für uns parlamentarische Funktionäre Gesprächskontakte organisieren. Meine Damen und Herren! Das ist ein Zeichen dafür, daß einerseits Österreichs Verhalten im Rahmen der Völkerfamilie anerkannt wird und andererseits gute Kontakte laufend gepflegt werden. Dieses Pflegen der guten Kontakte ist nicht etwas, das nur zu festgesetzten Bürozeiten stattfindet. Auf diese hohe Motivation unserer im Ausland tätigen Beamten sollte von dieser Stelle aus hingewiesen werden, und sie sollte auch gewürdigt werden. (Beifall des Bundesrates Meier. )

Die Ausführlichkeit des Berichtes regt natürlich dazu an, sich mit vielem auseinanderzusetzen, das im Rahmen unseres tagespolitischen Handelns eher im Hintergrund steht. Als Beispiel nenne ich das Kapitel über die österreichische Haltung zur Verlängerung des Vertrages über die Nichtverbreitung von Atomwaffen – ein Thema, das zur Zeit meines vorjährigen Japanbesuches gerade aktuell war. Die Konferenz, die ich besuchte, war eigentlich Fragen der Entwicklungspolitik gewidmet. Da aber Entwicklung sehr, sehr eng mit Frieden zusammenhängt, kam natürlich auch dieses Thema zur Sprache. Der österreichische Standpunkt wurde gehört, und er wurde auch begrüßt. Ich erwähne das deshalb, weil vielleicht manche meinen könnten, der Bericht sei etwas zu "dick" geraten. Ich meine aber, gerade wenn wir ihn als Arbeitsbehelf betrachten, und das ist er zweifellos, dann ergeben eben diese vielen Mosaiksteinchen das Gesamtbild unserer Außenpolitik.

Über so vieles möchte man reflektieren, die zur Verfügung stehende Zeit erlaubt es nicht. Ich möchte aber doch darauf hinweisen, daß es Teile gibt, die sehr interessant zu lesen sind, und ich werde mich heute mit den Ereignissen am Balkan beschäftigen.

Meine Damen und Herren! Ich war heuer im Herbst eine der Wahlbeobachterinnen in Bosnien-Herzegowina. Es war also unter anderem meine Aufgabe, zu evaluieren, ob denn das Dayton-Abkommen des Vorjahres auch ordnungsgemäß zum Tragen kommt. – Meine Einschätzung ist, daß die OSZE, die die Organisation der Wahlen überhatte, im großen und ganzen gute Arbeit geleistet hat. Allerdings muß ich auch betonen, daß es gut war, die Kommunalwahlen zu verschieben, sie eben nicht gleichzeitig mit den anderen zentralen und Kantonalwahlen durchzuführen. Und persönlich – auch da, Herr Vizekanzler, deckt sich das ganz mit Ihrer Meinung – halte ich den jetzt anvisierten Termin ebenfalls für verfrüht. Aber zurück zu den durchgeführten Wahlen.

Von dort, wo ich beobachtet habe, nämlich in Sarajewo selbst, kann man mit Fug und Recht sagen, daß die Menschen, nämlich die Mitglieder der Wahlkommissionen wie auch die Wähler selbst, gezeigt haben, daß sie in Würde der Welt beweisen wollten, daß sie demokratische Rechte ernst nehmen. Die Schwierigkeiten, die es mit den Wählerlisten gegeben hat, sind meiner Meinung nach auch im Bereich der organisatorischen Arbeit der OSZE gelegen. Zwischen 10 und mehr Prozent der Wahlberechtigten schienen in den Wählerlisten, die in den Wahllokalen aufgelegen sind, nicht auf. In den meisten Fällen konnte dieser Mangel behoben werden. Aber für die Menschen im Wahllokal war es eine böse Sache, und zwar deshalb: Nach diesem grauenhaften Krieg, in dem viele ihre Heimat und ihre Familien verloren haben, erleben sie es plötzlich, daß sie – und das sage ich jetzt unter Anführungszeichen – "nicht existent" sind. – Ich glaube, es gäbe eine einfache Lösung nach diesem Debakel, damit nicht wieder fehlerhafte Wählerverzeichnisse aufliegen. Die OSZE könnte nämlich überlegen, für die kommenden Kommunalwahlen entweder Leute, die die Landessprache beherrschen, oder Einheimische zu engagieren, die die Listen schreiben, denn damit könnte zweierlei erreicht werden: Es würden Fehler in der Schreibweise von Namen vermieden werden, und andererseits hätten die Menschen – zwar nur sehr kurzfristig, aber immerhin – Arbeit, und sie würden etwas verdienen können.


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Nichts ist in Bosnien-Herzegowina wichtiger, als den Menschen Arbeit zu geben. Wenn die Staatengemeinschaft das nicht schafft, wird das Abkommen von Dayton früher oder später nicht zum Ziel führen. Meine Einschätzung ist – und ich bin mir jetzt sehr wohl dessen bewußt, daß das sehr hart und vielleicht auch überzeichnet klingen mag, was ich sage, aber es ist wirklich meine Einschätzung des Problems –: Wird nicht rasch und effizient geholfen, kann es dazu kommen, daß wir am Balkan die Neuauflage des Palästinenserproblems erleben.

Wenn man die Zerstörungen sieht, dann kann man das unendliche Leid, die Angst und die Verzweiflung der Menschen erahnen. Wir können es nicht mitfühlen, vor allem nicht Menschen in meinem Alter, die den Horror des Krieges in Österreich nicht erlebt oder nicht bewußt erlebt haben. Die Folgen werden noch lange wirken, denn nicht alle können verzeihen oder vergessen. Daher nochmals: Die Hilfe muß rasch und vor allen Dingen bedingungslos kommen. Warum betone ich "bedingungslos" so: Diese Notwendigkeit ist mir anhand zweier Beobachtungen bewußt geworden: Einerseits sieht man, wie groß und schön die iranische Botschaft in Sarajewo ist, und andererseits, daß in dieser ehemals sehr weltoffenen Stadt viele Frauen das Kopftuch tragen. Natürlich ist dies nicht die einzige Erklärung, denn in schlimmen Zeiten wenden sich die Menschen Religionen zu, aber es kann auch heißen – und ich fürchte, daß es das auch heißt –: Wenn es hilft, rascher zu Fensterglas, zu Lebensmitteln oder zu anderen lebensnotwendigen Dingen zu kommen, akzeptiert man Bedingungen der Spender, die eigentlich entwürdigend sind und die letztlich auch zu weiteren Spannungen und vor allen Dingen zu Mißtrauen führen.

Weiters konnte ich bei dieser Wahl beobachten, daß kaum jemand die Möglichkeit in Anspruch genommen hat, die Demarkationslinie zu überschreiten – trotz starker IFOR-Präsenz. Die Gefahr der Teilung des Landes schätze ich daher nach wie vor sehr hoch ein, und die Verlängerung des IFOR-Mandats war eine kluge Entscheidung, die aber sicherlich noch einige Male wiederholt werden muß.

Ich sage es hier noch einmal: Das wirksamste Mittel, neue ethnische Konflikte zu vermeiden, ist garantiert die Wiederaufbauhilfe, mit der man die Menschen mit menschenwürdigen Behausungen und Arbeitsstätten versorgen kann.

An dieser Stelle, glaube ich, muß ich auch an alle appellieren, nicht leichtfertig und aus Unkenntnis der Realität zu sagen, die Flüchtlinge sollen zurückgehen und ihr Land aufbauen, so wie wir unser Land aufgebaut haben. Denn wohin sollen sie gehen? – Dorthin, von wo sie vertrieben wurden, wo ihre Angehörigen niedergemetzelt, ihre Häuser verwüstet wurden und ihre armseligen Felder vermint sind? Oder sollen sie in die Städte gehen, wo für die, die dort überlebt haben, die Fenster ohne Glas sind, das Gas für Kochzwecke über Gartenschläuche durch Granateneinschußlöcher in die Wohnungen geleitet wird, wo es nur stundenweise Wasser und Strom gibt, von Heizmöglichkeiten für den Winter gar nicht zu reden, wo die Produktionsstätten demoliert sind, die Schulen und Kindergärten verwüstet, die Krankenhäuser zerbombt und die Parks Friedhöfe wurden?

Meine Damen und Herren! Helfen, helfen, helfen – das ist das Gebot, durchaus noch für lange Zeit. Daß das auch Hilfe zur Selbsthilfe sein muß, versteht sich, glaube ich, von selbst. Ideen gibt es genug, jede Kleinlichkeit würde letztendlich den Friedensprozeß verzögern, daher ist Kleinlichkeit bei der Hilfe abzulehnen.

Gestatten Sie mir aber noch ein wirklich bewunderndes Lob für unsere IFOR-Soldaten. Ich hatte die Gelegenheit, sie zu besuchen, und kann Ihnen sagen, daß sie die an sie gestellten Aufgaben hervorragend erfüllen, aber sie tun darüber hinaus noch viel mehr. Sie sind keine bessere Spedition, wie es schon manchmal zu hören war, sondern Botschafter des Friedens. Sie bauen Straßen und Brücken, und etwas, was mich besonders berührt hat und worauf wir, glaube ich, sehr stolz sein können, ist, daß sie in ihrer Freizeit eine Schule in Visoko wieder aufbauen. (Beifall bei SPÖ und ÖVP.)

Zur Zeit meines Besuches war diese Schule knapp vor der Eröffnung, und ich bin mir sicher, heute ist dort schon Kinderlachen zu hören. So, meine Damen und Herren, wird Frieden geschaffen und auch erhalten.


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Im Zusammenhang mit Bosnien und mit dem im Bericht stehenden Kapitel über den Auswärtigen Dienst gestatten Sie mir noch einen Satz: Wir haben in Sarajewo den richtigen Mann zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Und weil so etwas nicht immer und überall möglich ist, meine ich, soll es auch hier betont und gesagt werden.

Ich habe schon gesagt, man könnte noch über viele Themen, die der Bericht aufgreift, sprechen, sei es über die UNO-Reform, sei es über die Entwicklungszusammenarbeit, sei es über Sicherheitsfragen. Aber die Zeit erlaubt es leider nicht.

Eine Information aber doch noch: Im Rahmen der CEI-Aktivitäten wird Ende Oktober im Wien – wir sind zurzeit Vorsitzland – die Parlamentarierkonferenz Sicherheitsfragen erörtern, und zwar Sicherheitsfragen im weitesten Sinn. Es wird jeder Delegation überlassen sein, wo sie den Schwerpunkt sieht – in Fragen der militärischen Sicherheit, der sozialen Sicherheit, der nuklearen Sicherheit, diese Bereiche lassen sich noch fortsetzen.

Ich sehe dem Ergebnis mit großer Spannung entgegen, und ich glaube, es wird für unsere Einschätzung der Entwicklung der mittel- und osteuropäischen Länder durchaus von Bedeutung sein, wo die Parlamentarier den Schwerpunkt in diesem Bereich Sicherheitsfragen setzen werden. Im nächsten Außenpolitischen Bericht, dessen bin ich mir sicher, werden wir dann darüber lesen können, aber eben nicht nur wir, sondern alle Interessierten und auch die Wissenschaft, und das ist gut so.

Meine Damen und Herren! Wir nehmen den Bericht nicht nur zur Kenntnis, wir nutzen ihn auch für unsere Arbeit, und daher nochmals herzlichen Dank den Beamten für die Erstellung des Berichtes. (Beifall bei SPÖ und ÖVP.)

12.17

Präsident Josef Pfeifer: Zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesrat Professor Dr. Herbert Schambeck. Ich bitte ihn, zu uns zu sprechen.

12.17

Bundesrat Dr. DDr. h. c. Herbert Schambeck (ÖVP, Niederösterreich): Herr Präsident! Herr Vizekanzler und Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Hoher Bundesrat! Ich kann mich – wie selten – geradezu nahtlos den Ausführungen meiner Vorrednerin Frau Vizepräsidentin Haselbach anschließen. Die Vorredner haben bereits viele Aspekte dieses Außenpolitischen Berichtes behandelt, der ganz deutlich zeigt, wie engagiert die österreichische Außenpolitik ist und daß in einer Völkergemeinschaft auch Probleme entstehen, von denen wir schon zum Teil geglaubt haben, sie wären im 19. Jahrhundert teilweise gelöst worden, da wir meinten, zumindest im 20. Jahrhundert würden sie nicht mehr mit einer solchen Gräßlichkeit zutage treten. (Vizepräsidentin Haselbach übernimmt den Vorsitz.)

Auch ich möchte für meine Fraktion den Dank für diesen umfassenden Bericht zum Ausdruck bringen. Die Qualität selbst hat mich nicht überrascht, denn Herr Gesandter Knitel hatte hiefür die Hauptverantwortung, er war vor dreißig Jahren einer meiner Mitarbeiter an der Innsbrucker Universität, als ich dort meinen ersten Lehrstuhl antrat. Als ich damals das Institut für Staatsrecht betrat, war er der Erste, der mir begegnet ist, neben dem späteren Kollegen Dr. Öhlinger. Herr Dr. Knitel war es auch, der damals unter der Herausgeberschaft von Prof. Dr. Alfred Verdroß in der "Zeitschrift für Öffentliches Recht" – ich meine, mich nicht zu irren – eine Abhandlung über das Rote Kreuz veröffentlicht hat. Ich meine, das war seine Erstlingsarbeit. Ich wünsche ihm für seine Tätigkeit als Botschafter in Damaskus den verdienten Erfolg.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Kollegin Haselbach hat schon darauf hingewiesen, wie wichtig dieser Bericht auch für die Wissenschaft ist und damit auch für die akademische Jugend. Darüber hinaus sollte noch mehr als bisher – ich werde darauf noch zu sprechen kommen – die Außenpolitik zum Gegenstand der allgemeinen Bildungspolitik und Erwachsenenbildung gemacht werden.


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Dieser umfangreiche Bericht ist eine wertvolle Basis für das, was in der heutigen Zeit im öffentlichen Leben Mangelware geworden ist und was man nutzen soll, nämlich ein Wort des Dankes zu sagen. Unsere Zeit ist ziemlich schnellebig. Ich schließe mich dem Dank an den ehemaligen Vizekanzler und Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Dr. Alois Mock an, der bis zur Grenze seiner physischen und psychischen Leistungsfähigkeit bei Tag und Nacht – wer ihn näher kennt, weiß das, weil nur zwischen zwei und vier Uhr nachts anzunehmen ist, daß er nicht telefoniert oder diktiert – seinen Einsatz geleistet hat und der in Dr. Wolfgang Schüssel einen würdigen Nachfolger gefunden hat, einen Nachfolger, der seine großartigen Erfahrungen und Erfolge als Wirtschaftsminister – er war eigentlich auch Außenhandelsminister – mit einer Anzahl von Sektionen, die anderswo kaum denkbar sind, miteingebracht hat. Meine Damen und Herren! Sein Engagement wollen wir nicht vergessen, und dieses hat schon eine große Rolle beim Europäischen Wirtschaftsraum gespielt, als er in einer ganz entscheidenden Phase der europäischen Politik vorsitzführend gewesen ist. Er setzt diese kontinuierliche Arbeit jetzt im Außenministerium fort, und diese spricht auch aus diesem Bericht. Ich freue mich schon, wenn der Bericht 1996 vorliegen wird, mit dem ich mich dann einmal mehr als Professor denn als Politiker auseinandersetzen möchte. Es wird gezeigt, wie Kontinuität in der österreichischen Politik denkbar ist.

Ich danke ihm auch für dieses sein Engagement, gerade am heutigen Tag besonders auch als Niederösterreicher, weil der Herr Vizekanzler und Außenminister gestern in der Tschechischen Republik gewesen ist und ganz wesentliche Gespräche mit dem tschechischen Außenminister geführt hat, genauso wie früher Außenminister und Vizekanzler Dr. Mock mit dem damaligen tschechoslowakischen Außenminister Dienstbier Kontakte gepflogen hat. Ich selbst habe noch in der Zeit von Alexander Dubcek Kontakte mit Prag aufgenommen, war dann später auch bei Präsidenten Ude und habe an der Karls-Universität gesprochen.

Dubcek war übrigens auch privat einmal mein Gast, an einem Wochenende in Baden und in Dürnstein, wenige Wochen vor seinem tragischen Heimgang. Ehre dem Andenken dieser großartigen leidgeprüften Persönlichkeit.

Ich glaube, es ist auch wichtig, daß wir diese Nachbarschaftskontakte pflegen. Ich kann dem Herrn Vizekanzler sagen, daß das Bundesratspräsidium – damit haben wir uns in der letzten Präsidialsitzung beschäftigt – mit dem werdenden Senat der Tschechischen Republik Kontakt hat. Es kommen demnächst Beamte zu uns. Es war der Präsident des Bundesrates, Ing. Anton Nigl, der den neu gewählten Präsidenten des polnischen Senates, das war damals Professor Stelmachowski, nach Wien eingeladen hat, wobei der bedeutende Schriftsteller Szczypiorski mitgekommen war. Es ist wichtig, daß wir diese Nachbarschaftskontakte fortsetzen. Ich gratuliere dem Herrn Vizekanzler zu dem Ergebnis seiner diesbezüglich letzten Reise, nämlich zu der gestern aus dem Munde des tschechischen Außenministers gehörten Erklärung, er könne zur verstandenen Geschichtsbewältigung beitragen, daß man jener, die bei diesen tragischen Vorgängen um und nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs ihre Freiheit, ihre Heimat und ihr Leben verloren, auch hier gedenkt.

In diesen seinen wertvollen außenpolitischen Aktivitäten ist Außenminister Dr. Schüssel nicht allein.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Groß ist ja an und für sich in der Politik jeder gerne alleine. Ich habe einmal gesagt: Der Parteienstaat ist gekennzeichnet durch eine abnehmende Intelligenzpyramide. Die meisten suchen sich jemanden aus, der ihnen nicht gefährlich werden kann, das geht dann bis zum letzten herunter, der sich vielleicht freuen, aber nicht mehr artikulieren kann. Ich werde das einmal in einem Buch über den Menschen in der Politik näher ausführen – auch nötigenfalls mit Namensnennungen, um das plausibler zu machen.

Ich finde es daher bemerkenswert, daß sich an der Seite des Außenministers eine großartige Frau Staatssekretärin, nämlich Frau Dr. Benita Ferrero-Waldner, befindet. Normalerweise sitzt sie auch hier, wenn der Herr Vizekanzler im Ausland ist, aber sie befindet sich gegenwärtig auf dem Flug nach Indien. Ich hoffe, ihr auf ihren Spuren im Jänner 1997 folgen zu können, das wäre dann meine dritte Indienreise. Sie können beruhigt sein, ich fahre um mein Geld, weil da kann ich fahren, wohin und wann ich will.


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Ich möchte uns, der Republik Österreich, gratulieren, daß wir diese Frau Staatssekretärin haben. Es trifft den Herrn Vizekanzler keine culpa in eligendo, sondern das ist vielmehr das Verdienst der richtigen Auswahl. Sie ist meistens so gut vorbereitet, daß man als Fragesteller nicht einmal das Zeitwort nennen kann, schon kommt die Antwort. Ich sage immer meinen Studenten, wenn sie zur Prüfung kommen: Lassen Sie den Prüfer wenigstens ausreden, bevor Sie antworten! – Sie hat bereits solch ein intuitives Gefühl, daß wir immer auf schnellstem Weg die entsprechenden Antworten kriegen.

Ich möchte dem Herrn Vizekanzler und auch der Frau Staatssekretärin für das Engagement im EU-Ausschuß danken. Wir haben den Herrn Außenminister vorgestern im Außenpolitischen Ausschuß erlebt. Ich danke auch dem Präsidenten Mautner Markhof, der dabei den Vorsitz führt; auf ihn werde ich noch später zu sprechen kommen. Ich danke dafür, daß wir so umfassend informiert wurden.

Ich habe Dr. Schüssel immer in seiner konsequenten politischen Dynamik bewundert, aber seit dem Ausschuß vorgestern bezeichne ich ihn auch als Enzyklopädisten, denn es ist bewundernswert, alles so abrufbereit zu haben. Das wird viele nicht überraschen, aber nachdem ich nicht im Schottengymnasium aufgewachsen bin, sondern am Badner-Gymnasium, ist mir diese seine Qualität erst jetzt in dieser Dimension zugänglich geworden.

Ich möchte mich herzlich dafür bedanken, daß das Außenministerium zur Entwicklungshilfe auch im praktischen Leben etwas beiträgt, weil reden kann man viel, handeln tut man selten. Daß die Frau Staatssekretärin zur Mutter Teresa mit 300 Paketen für Waisenkinder fährt, gehört heute in den Raum gestellt und belobigt bedankt.

Ich war 1979 das erste Mal bei Mutter Teresa und das letzte Mal im Jahr 1990, in Kalkutta, dazwischen habe ich sie in Wien erlebt. Den Satz, den Mutter Teresa beim Weggehen im Jahre 1979 zu mir sagte und der mich immer wieder begleitet, möchte ich heute in den Raum stellen: Lasse nie zu, daß ein Mensch nach der Begegnung mit dir nicht glücklicher geworden ist.

Meine Damen und Herren! Wer diesen Außenpolitischen Bericht liest – es wurde schon Verschiedenes herausgestellt, nicht zuletzt von der Präsidentin Haselbach, die aus eigener Erfahrung von Jugoslawien spricht –, der sieht, daß das Bemühen von unzähligen Menschen dazu beitragen kann, daß andere glücklicher werden, wobei keiner von uns weiß, wie spät es schon in seinem öffentlichen und privaten Leben ist. Nutze die Zeit, hat schon die Antike gesagt, und die genützte Zeit spricht aus dem Außenpolitischen Bericht, und auch das sei hervorgehoben.

Meine sehr Verehrten! Da ich von Beruf Staatsrechtslehrer bin, möchte ich auch allen herzlich danken, welche die politischen Probleme auch als Rechtsprobleme erfaßt und versucht haben, diese zu lösen. Vieles ist in diesem Außenpolitischen Bericht enthalten, was einer der glänzendsten Juristen und Diplomaten Österreichs als Leiter des Völkerrechtsbüros eingebracht hat – er ist jetzt in Washington Botschafter –, nämlich Herr Dr. Helmut Türk, der in Botschafter Dr. Cede einen würdigen Nachfolger gefunden hat. Letzterer überrascht mich nicht, weil auch ich ihn schon als einen meiner Mitarbeiter erlebt hatte. Ich habe ihn auch schon an der Innsbrucker Universität erlebt, die Minister Kolb und Klecatsky trifft hier das Verdienst der Auswahl. Es ist in diesem Völkerrechtsbüro mit dem Gesandten Dr. Trauttmansdorff und Dr. Thun-Hohenstein eine glänzende Gruppe. Das Wort Crew wäre zu abschätzend, genauso wie ich sage, daß diese Aufgabe kein bloßer Job ist.

Hier ist viel Bedeutendes, Juristisches geleistet worden. Von der Wissenschaft wird bisweilen behauptet, sie sei das, was der eine vom anderen abschreibt. Ich darf Ihnen ehrlich sagen, wer das Völkerrecht kennt, weiß, daß es eine Reihe von Gebieten gibt, wo man nicht abschreiben kann, weil es da einfach nichts gibt. Auf diesem Gebiet ist das Völkerrechtsbüro jetzt und auch schon früher unter Dr. Türk wegweisend, und ich möchte auch als Staatsrechtslehrer hier meinen Respekt bekunden.

Ich möchte für das großartige Zusammenarbeiten der verschiedenen Sektionen danken, die heute hier sehr hochrangig vertreten sind, unter anderem durch den Personalchef, Botschafter Dr. Moser, den ich noch in Los Angeles im Jahr 1984 unvergeßlich erlebt habe. Wir sehen deutlich im Parlament, wie die Zusammenarbeit ist. Ich bitte um Verständnis, wenn auch ich in


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meinen Parlamentsfunktionen immer wieder urgiere, daß wir die entsprechenden Gesprächspartner in den Ausschüssen haben, damit wir uns aussprechen und das tun können, was meine Vorredner auch getan haben, nämlich das vermitteln, was hier erarbeitet wird.

Ich möchte mich daher auch für die glänzende Zusammenarbeit zwischen dem österreichischen auswärtigen Dienst und den Außenhandelsstellen bedanken. Meine Damen und Herren! Da kann man besonders von Japan lernen, dort hat man den Eindruck, daß manche Spitzendiplomaten Japans ausschließlich im Dienste der Wirtschaft und der Kultur stehen. Auch bei uns gibt es eine wirklich großartige Zusammenarbeit auf diesen Gebieten. Und hier gilt mein Gedenken immer Ing. Rudolf Sallinger, meine Damen und Herren, der sich immer um die Außenhandelswirtschaft und um die gute Zusammenarbeit mit dem Außenamt und ihren Vertretungen in allen Erdteilen gekümmert hat. Er ist unter den größten Schmerzen um die Erde gefahren. Er ist für zwei Tage nach Moskau geflogen, damit die nicht beleidigt sind, und dann ist er anschließend über die Südroute für eineinhalb Tage nach Japan gefahren und dann wieder während des Konfliktes UdSSR-Südkorea zurück.

Es ist begrüßenswert, daß diese Tradition der guten Zusammenarbeit mit den Außenhandelsstellen fortgesetzt wurde. Sie ist auch aus sozialen Gründen sehr wichtig. Meine Damen und Herren! Kollege Drochter ist zu meiner Freude unter uns – Freude deshalb, weil er wieder dem Bundesrat angehört. Er würde sicher sagen, wie ich es nun tun will, daß zur Außenpolitik auch die Außenhandelspolitik und die Arbeitsplatzsicherung gehört.

In dieser Sicht haben wir die eminente Verpflichtung, vor allem nach den Wahlen vom 13. Oktober, zu sagen, daß die Europäische Integration nicht bloß ein Arbeitgeberanliegen ist, sondern auch eines der Arbeitnehmer, wobei wir – ich darf das als Gewerkschafter sagen – nur das verteilen können, was wir vorher erwirtschaftet haben. Zu diesem Erwirtschaften ist auch das gute Einvernehmen mit den Außenhandelsstellen notwendig, und auch das ist in einer großartigen Weise der Fall.

Meine Damen und Herren! Erlauben Sie mir, daß ich noch ein Wort des Dankes hier in den Raum stelle. Wenn wir Parlamentarier unterwegs sind, erleben wir die Zusammenarbeit mit unserem konsularischen Korps. Und hier haben wir es zum Großteil mit Honorarkonsuln und Honorargeneralkonsuln zu tun. Ich stehe seit mehr als 30 Jahren im öffentlichen Leben, davon 27 Jahre als Parlamentarier und über 20 Jahre im Bundesratspräsidium. Aufgrund dieser Erfahrung kann ich nur sagen, diplomatische Vertreter sind eine Durchlaufpost, genauso wie wir Politiker es zum Glück für die Demokratie sind, weil das eine Verantwortung auf Zeit ist. Natürlich habe ich verschiedene konsularische Vertreter erlebt.

Weil sich Frau Staatssekretärin Ferrero-Waldner auf der Fahrt nach Kalkutta befindet und ich die Ehre habe, neben dem Herrn Außenminister und Vizekanzler zu stehen, möchte ich mit Respekt den Namen der jahrzehntelangen österreichischen Konsulin und Honorargeneralkonsulin in Kalkutta nennen, Frau Anna Mukherji, die eine ganz großartige Frau war.

Ich habe sie 1979 das erste Mal in Kalkutta erlebt. Sie ist im Berichtszeitraum verstorben. Ich danke Frau Botschafter Dr. Johanna Nestor, daß sie von ihrer Aktivzeit bis zu ihrem Ableben Anna Mukherji immer die Treue gehalten hat und mit ihr in Kontakt gestanden ist. Frau Mukherji war auch meine Kontaktperson zu Kalkutta und damit zu Mutter Teresa.

Ich denke hier in Hochachtung an einen Mann, der Mitte Dezember in Montevideo seinen 85. Geburtstag feiern wird, ein bedeutender Schüler der Professoren Kelsen, Merkl und Verdroß, ich denke an Herrn Dr. Fritz Kalmar, Österreichs jahrzehntelanger Honorargeneralkonsul in Montevideo, für den wir leider noch keine passende Vertretung gefunden haben.

Jetzt erlauben Sie mir aber auch, ein kritisches Wort, das mir seit langem am Herzen liegt, auszusprechen, wobei das mehr die SPÖ-Seite betrifft. Ich bedaure es außerordentlich, daß einer der verdienstvollsten Honorargenerarkonsuln der Republik Österreich gegangen ist, von dem der ehemalige Bundespräsident Herr Dr. Rudolf Kirchschläger schon vor Jahren zu mir gesagt hat: Wenn einer gehen will, kann er jederzeit gehen! Nur von einem würde ich niemals den Rücktritt annehmen: vom österreichischen Honorargeneralkonsul in Sao Paulo, Otto Heller. Er


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ist eine Persönlichkeit, die von der sozialistischen Seite her kam. Otto Heller hatte Österreich schon vor der Zeit des Dollfuß und Schuschnigg verlassen, zu denen er – verständlich – gegensätzlich stand. Als gutem Patrioten, der in Freud und Leid unseres Landes immer zu Österreich stand, gilt ihm mein Respekt. Otto Heller ist in Sao Paulo auch wirtschaftlich erfolgreich geworden, und zwar sehr erfolgreich. Als ich im Jahre 1976 – um mein Geld – meine erste Südamerikareise unternahm – ich bedanke mich heute noch bei Generalsekretär Dr. Alois Reitbauer, der mich damals wertvollst unterstützte, obwohl ich auch nicht seiner "politischen Blutgruppe" angehöre –, lernte ich Otto Heller kennen. Vorher kam ich nach Peru und fuhr nach Bolivien. Ich erinnere mich noch genau, es war am Titicasee in Puna – den Ort gibt es wirklich –, dort war soviel Ungeziefer, daß ich nicht richtig schlafen konnte. In der Früh, als ich mir am Titicasee den Sonnenaufgang ansah, traf ich einen Herrn, der sich als deutscher Botschafter herausstellte – später wurde ich mit ihm befreundet –, es war der spätere Ministerialdirektor Horst Röding, der zu mir sagte: Wenn Sie jetzt nach Sao Paulo kommen, treffen Sie einen der großartigsten Repräsentanten ihres Landes an, Otto Heller. – Ich lernte ihn auch dort kennen, und wir sind seit damals Freunde geworden. Welche Bedeutung er für Österreich und welche Wertschätzung er bei der SPÖ hat – da brauchen Sie nur den früheren Herrn Wiener Vizebürgermeister und Landtagspräsidenten Pfoch oder Bürgermeister Zilk zu fragen!

Otto Heller hatte leider das Pech, daß in letzter Zeit der Zugeteilte an der österreichischen Botschaft in Brasilia Herr Dr. Brezovsky war, dessen Vater ein bedeutender Landesrat der SPÖ in Niederösterreich war, dem mein Respekt gilt. Das niederösterreichische Gesundheitswesen hat Dr. Brezovsky viel zu danken. Nur der junge Mann – ich kenne ihn persönlich nicht, habe auch nicht das Bedürfnis, habe aber von seiner Tätigkeit in Brasilien gehört und die Ergebnisse möchte ich in den Raum stellen – hat nicht den richtigen Ton und den richtigen Kontakt mit Otto Heller gefunden, der sicherlich keine einfache Persönlichkeit ist, aber eine ideenreiche, voll Idealismus und Patriotismus sowie einem Engagement an Menschlichkeit. Außerdem muß ich ehrlich sagen, wer Großes leistet – und das tat Otto Heller, der auch für sein kulturelles Wirken den Berufstitel "Professor" bekam –, hat mehrere Dimensionen. Dafür hatte besagter österreichischer Diplomat nicht den Takt und das Verstehen, und es ist zu starken Zerwürfnissen gekommen, die dazu geführt haben – weil man diese Situation von Wien aus nicht bewältigt hat, ich habe selbst um mein Geld x-mal nach Sao Paulo telefoniert –, daß Otto Heller seine Funktion zurückgelegt hat.

Ich möchte jetzt nicht diese Entschuldigung hören, Professor Heller ist über 80, denn wer Otto Heller in den letzten Wochen erlebt hat, sah, daß er so munter ist, daß mancher Junge mit seiner Dynamik nicht mitkommt. Otto Heller hat sein Amt also zurückgelegt. Wir haben heute in Sao Paulo über 40 000 Paßösterreicher – Herr Sektionsleiter Dr. Moser wird das Problem sicherlich kennen, wir haben auch ein paar Mal darüber geredet –, aber wir sind heute – und können es gar nicht – nicht in der Lage, sie entsprechend zu vertreten, wobei ich Generalkonsul Helige in Rio und seinem Vorgänger Mayer meinen Respekt zolle, wie sehr sie sich bemüht haben. Ich habe aber Botschafter Dr. Ortner, als er bei mir seinen Abschiedsbesuch gemacht hat, deutlich darauf aufmerksam gemacht, welches Problem dort aufgrund des fehlenden taktvollen Kontaktes zwischen diesem jungen Mann und Generalkonsul Heller zu bewältigen ist, wobei ich sagen muß, leider ohne Erfolg! Man muß sich wirklich überlegen, wenn man einen Dienst versieht, daß man den Generalkonsul, noch dazu, wenn er so tüchtig ist wie Heller, nicht übergeht, den nötigen Kontakt hält und den richtigen Ton findet. Denn, meine Damen und Herren, jetzt zitiere ich meinen Vater, der mir einmal, als ich 14 Jahre alt war, bei der letzten Mahnung sagte: Es kommt nicht darauf an, wie es der eine meint, sondern darauf, wie es der andere aufnimmt. – Das war nicht möglich. Da wäre es aber wertvoll, wenn der Jüngere das so macht, daß es der Ältere verstehen kann – das wäre auch für Österreich gut.

Otto Heller hat auf seine Funktion verzichtet, hat sich zurückgezogen, und das ist außerordentlich bedauerlich, denn er könnte sie heute noch erfüllen. Ich hoffe, daß sich solche Fälle, wie dieser tragische Fall zwischen Herrn Dr. Brezovsky und Herrn Generalkonsul Professor Heller, nicht wiederholen. Im Durchschnitt der Fälle ist das auch nicht der Fall, das darf ich ehrlich sagen, weil ich in vielen Gegenden sehe, wie die Dinge laufen.


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Hingegen war es anerkennenswert, daß unter anderem Herr Vizekanzler Dr. Schüssel Herrn Professor Heller einen sehr anerkennenden Brief geschrieben und ihm für alles Geleistete gedankt hat – auch in der Zeit des Sektionsleiters Dr. Moser.

Es wäre ohneweiters möglich, daß man an einem Ort wie Sao Paolo einen Berufskonsul hat, und ein anderer ist auch Honorargeneralkonsul. Das könnte man mit Otto Heller in Sao Paulo machen, weil das haben wir erfolgreich zum Beispiel in New York. Da haben wir einen Berufsgeneralkonsul, Herrn Dr. Greinert, und einen Honorargeneralkonsul. Ähnliche Fälle gibt es auch an anderen Orten!

Meine Damen und Herren! Damit komme ich auch konkret auf die Situation einer Gruppe zu sprechen – ich bin nämlich ein christlicher Gewerkschafter und schaue mir immer die Leute an, die etwas tun, wobei auch jene auf Arbeitgeberseite sehr viel tun, aber in dem Fall meine ich die Arbeitnehmerseite –, nämlich auf die der öffentlich Bediensteten. Ich muß Ihnen ehrlich sagen, es ist das eine Mode geworden, immer über die öffentlich Bediensteten herzufallen, als wären diese der Buh-Mann. Als im Mittelalter ein schlechtes Wetter oder eine Epidemie gekommen ist, dann hat man die Hexen verbrannt und hat geglaubt, es wäre jetzt besser. Jetzt ist die Mode so mit dem öffentlichen Dienst. Nachdem ich meine Tätigkeit als akademischer Lehrer nachweislich unentwegt ausübe – ich bin gestern um 5.50 Uhr schon nach Linz zu meinen Vorlesungen gefahren, meine sehr Verehrten –, darf ich Ihnen sagen, wir müssen uns auch mit der Situation des diplomatischen Dienstes beschäftigen. Ich bedanke mich bei Herrn Vizekanzler und auch den Zuständigen im Außenministerium. Ich freue mich, daß Sie auch entsprechend zahlreich heute hier vertreten sind. Die soziale Lage des diplomatischen Dienstes soll uns auch zu denken geben, weil es kommt darauf an – meine Vorredner haben schon treffend darauf hingewesen, wo wir überall Vertretungen brauchen, wer also helfen soll –, daß wir auch in Zukunft den nötigen Nachwuchs bekommen.

Meine sehr Verehrten! Als Folge der Mobilität dieses öffentlichen Dienstes, der ständigen Rotation von Verwendungen zwischen In- und Ausland sowie der sich daraus ergebenden Probleme für die Familiengründung und die Berufsfähigkeit des Ehepartners liegt der Anteil von alleinverdienenden Familienerhaltern ebenso wie jener der Singlehaushalte im Bundesministerium für auswärtige Angelegenheiten weit über dem österreichischen Durchschnitt. Die Zahlenangaben sind jeweils nach der Volkszählung 1991 unter den Berufstätigen von 20 bis 60 Lebensjahren: Im Bundesministerium für auswärtige Angelegenheiten betrug der Anteil der Singlehaushalte mit Stand Dezember 1995 30,6 Prozent, der Österreich-Durchschnitt beträgt 8,1, der Anteil der Alleinverdiener 57,7 und in Österreich 25,9. Dadurch können Sie auch deutlich sehen, daß der auswärtige Dienst vielfach an Attraktivität verliert.

Mein Respekt und mein Dank gilt vielen Diplomatengattinnen, die, ohne öffentlich Bedienstete zu sein, für die Republik Österreich da sind und die Großartiges leisten. Ich würde jedem empfehlen, der ins Ausland fährt und unseren auswärtigen Dienst erlebt, danke zu sagen. Es ist traurig, daß manche das als Selbstverständlichkeit nehmen, aber das ist es nicht. Ich kenne eine Reihe von Damen, wie etwa die Frau des Herrn Dr. Kubesch, der Generalkonsul in Berlin ist. Seine Gattin war eine von ihren Fähigkeiten her glänzende Dame im Verfassungsdienst des Bundeskanzleramtes. Frau Dr. Kubesch hat auf eine Karriere verzichtet, um an der Seite ihres Gatten und neben der Familie im auswärtigen Dienst auch für den Staat da zu sein – in einer Zeit, meine sehr Verehrten, in der auch der Diplomat in seinem Leben gefährdet ist und seine Umstände nicht immer die allersichersten sind.

Eine weitere Folge, meine Damen und Herren, des faktischen, unumgänglichen Berufsverzichtes vieler Ehepartner ist die Schwierigkeit, in Österreich Beitragsjahre für die eigene Pension zu erwerben. Das Bundesministerium für auswärtige Angelegenheiten – dafür danke ich, Herr Vizekanzler, das hat schon Dr. Mock versucht, und Dr. Schüssel setzt das fort, und ich danke auch den Zuständigen in der Sektion – bietet die Möglichkeit, für Ehepartner eine eigene Pensionsvorsorge durch die Übernahme der Prämien für eine freiwillige Selbstversicherung zu schaffen. Bisher war dies aber vorwiegend wegen finanzieller Bedenken nicht möglich.


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Meine sehr Verehrten! Besonders betroffen sind auch die Kinder. Stark betroffen von den häufigen Wechseln der Dienst- und Wohnorte, alle vier Jahre, sind die Kinder der öffentlich Bediensteten im Ausland. Das zeigt sich auch in schulischen Problemen, bei Anpassungs- und Umstellungsschwierigkeiten. Ich gebe zwar zu, daß die Sprachkenntnisse der Diplomatenkinder natürlich entsprechend gut sind und über dem Durchschnitt der anderen liegen, aber es gibt daneben eine Unzahl von anderen Problemen.

Die Kosten von Hochschul- und Universitätsausbildung im Ausland können aufgrund fehlenden Einvernehmens mit dem Finanzministerium zum Teil höchstens bis zum 19. Lebensjahr ersetzt werden, obwohl vergleichbare Inlandsstudien, meine Damen und Herren, kostenlos sind und im Ausland gezahlt werden müssen. Dies bewirkt entweder eine erhöhte Kostenbelastung des Bediensteten oder eine Trennung studierender Kinder von ihren Eltern. Ich könnte jetzt die klingendsten Namen der Kinder angesehenster Österreicher nennen, hinauf bis zu der Familie des Herrn Bundespräsidenten Dr. Klestil, die großartige Leistungen auf ihrem Bildungsweg erbracht haben, die heute nicht wegdenkbar sind – so ist der Sohn des Dr. Klestil ein bedeutender Arzt in Innsbruck –, und die das im Alleingang gemacht haben, weil die Eltern nicht da gewesen sind.

Glauben Sie es mir – ich weiß es aus meinem eigenen Leben, weil ich jetzt alleine bin –: Es ist ein großer Unterschied, ob sie ins Nachbarzimmer gehen können und mit ihrem Vater, mit ihrer Mutter oder mit jemand anderem reden, oder ob sie den ganzen Weg ihrer Ausbildung alleine zurücklegen. Ich würde heute hier nicht vor Ihnen stehen, wenn ich mein Leben zum Großteil hätte alleine bewältigen müssen. Ich habe eine große Achtung vor all diesen Kindern, die das alleine bewältigen, und es tut mir sehr leid, wenn diese Diplomatenfamilien zurückkommen und die Eltern bei Schulen Schwierigkeiten haben, die Kinder unterzubringen, und ihnen die Zeiten oft nicht angerechnet werden.

Meine sehr Verehrten! Die Kostenbeteiligung der Eltern bei Schulbüchern und Schulfahrten ist analog zu den in Österreich geltenden Regelungen auch bedenkenswert. Dazu kommt natürlich noch eines: Ich werde morgen bei einem internationalen Kongreß in Rom über Entwicklung der Familie und Familienaktivitäten zu sprechen haben, aber ich sage Ihnen jetzt schon, schauen Sie sich einmal die Scheidungszahlen bei den Diplomaten und bei den anderen an, weil die Beanspruchungen unterschiedlich sind. Hier ist es oft nicht leicht, und es entstehen auch Versorgungsprobleme von nicht leichter Art. Auch darüber wollte ich heute, Herr Vizekanzler, Hoher Bundesrat, sprechen, weil das Österreicherinnen und Österreicher betrifft, die für uns, für die Republik, im Ausland tätig sind.

Der Bericht, der uns heute über das Jahr 1995 vorliegt, ist der erste Bericht des Außenministers, der sich bereits auf die Zeit der Mitgliedschaft Österreichs in der Europäischen Union bezieht. Ich freue mich, daß ich bei einem Großteil meiner Herren Vorredner auch ein Ja zu dieser Europäischen Integration und unserer Teilnahme hören konnte. Der Meinung der Österreichischen Volkspartei, die auf die Teilnahme Österreichs an der Europäischen Integration gerichtet war, haben sich viele angeschlossen; manche haben ihre Meinung inzwischen geändert. Talentierte Wahlkämpfer sind je nach Lage ihrer Studie des Ortes wie ein Wanderzirkus aufgetreten. Da wird der Mensch sich mählich unbekannt und wie ein minderer Komödiant, der einlernt jede Geste und Gebärde – so schreibt Anton Wildgans im Gedicht "Tiefer Blick". Das ist dann jener Typ, der am Nachmittag als Vogelhändler auftritt, am späten Nachmittag als Troubadour, und wenn die Musik zum Träumen beginnt, die Frage des Hamlets nach Sein oder Nichtsein stellt, meine Damen und Herren! Das ist so der Durchschnitt der Politiker, der da auftritt und die Leute rhetorisch berieselt.

Hier, meine Damen und Herren, müssen wir ein Ja zur Europäischen Integration feststellen. Ich möchte Herrn Vizekanzler und Außenminister Dr. Schüssel aufrichtig dazu gratulieren, daß er bei der EU-Wahl das beste politische Ergebnis nach Hause gebracht hat, weil die Österreichische Volkspartei, bei der ich die Ehre habe, Fraktionsobmann zu sein, die meisten Mandate – sieben Mandate! – für das Europäischen Parlament erobert hat. (Beifall bei der ÖVP.)


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617. Sitzung / Seite 57

Meine Damen und Herren! Ich würde Sie aber aus gegebenem Anlaß bitten: Betrachten Sie das alle so wie Herr Vizekanzler Dr. Schüssel, bei dem ich immer achtgebe, weil man kann nicht genug lernen. Er sagt: "Bleiben wir auf dem Boden der Realität." – Aber die Realität muß man entsprechend einschätzen, sodaß Wahlen entsprechend ausgehen. Ich sage Ihnen, meine Damen und Herren, die Welt beobachtet uns genau. Herr Vizekanzler Dr. Schüssel war damals nicht anwesend, und ein Teil war draußen, ein Teil herinnen. Erlauben Sie mir, daß ich eine Bemerkung wiederhole, die ich wenige Tage, nachdem der Vizekanzler Dr. Schüssel in China war, gemacht habe. Ich bin nicht absichtlich seinen Spuren gefolgt, obwohl Sie mich alle bis Guillien auf ihn angesprochen haben, auch mit Bildmaterial. Als ich in Peking vor der Hochschule für internationale Beziehungen im Mai vergangenen Jahres gesprochen habe, bin ich von glänzend vorbereiteten Studenten nach dem EU-Engagement der Österreicher gefragt worden. Ich habe selten so glänzend vorbereitete Studenten erlebt wie in der Diplomatenakademie in Peking; ich habe, begleitet von Botschafter Dr. Fritz Bauer, im Jahre 1993 am gleichen Institut im Außenministerium in Moskau geredet, aber auf die Rußlandreisen komme ich heute noch zu sprechen.

Meine Damen und Herren! Bei dieser Gelegenheit des Vortrags in Peking hat mich ein Student gefragt – das war um 15 Uhr nachmittags, am Abend hörte ich von Botschafter Dr. Bukowski und dem Gesandten Dr. Müllner, daß nur mehr 30 Prozent der Österreicher für die EU sind –, warum 67 Prozent der Österreicher vorher für die EU gewesen sind, wenn jetzt nur mehr 30 Prozent dafür sind. – In dem Augenblick habe ich gewußt – Sie kennen den Schlager "Es kommt auf die Sekunde an" –, in der Sekunde muß ich das Richtige antworten. Das kann ich aber in diesem Fall nicht rationell, sondern nur emotionell, also habe ich gesagt: Das ist so wie bei Hochzeitsreisenden. Nicht alle kommen von der Hochzeitsreise so glücklich und erfreut zurück, wie sie die Reise erwartungsvoll angetreten haben, und trotzdem wird daraus eine gute Ehe, eine fabelhafte Familie, und sie haben ihr Leben bewältigt.

So ähnlich ist es auch hier: Nicht alle Erwartungen sind beim EU-Vertrag in Erfüllung gegangen, aber es wurde ein dauerhafter Beitrag. Ich gratuliere dem Herrn Außenminister, weil er der Hauptverantwortliche für die Außenpolitik ist, daß wir dieses Wahlergebnis für die ÖVP haben, aber für Österreich auch diese Wahlbeteiligung, meine sehr Verehrten! Das wollen wir, bitte, nicht übersehen. Und dazu haben Sie alle in einer bestimmten Weise beigetragen, weil Sie die Leute darauf aufmerksam gemacht haben: An dem Tag muß man zu Wahl hingehen!

Ich bin gleich in der Früh des Sonntags mit der Bahn zur Wahl gefahren. Ich mache jetzt aber keine Bahndebatte, obwohl ich das bis morgen in der Früh bieten könnte. Es wird immer katastrophaler; das einzige, was bei der Bundesbahn klappt, ist Ankerbrot, weil Herr Präsident Schuster neben der ÖBB auch für Ankerbrot zuständig ist. Unlängst hat am Westbahnhof einer gesagt, wir werden in Zukunft gleichzeitig die Karten verkaufen und die Ankerbrot-Produkte. – Ich gehe aber gerne dort hin und stärke mich.

Ich möchte Ihnen sagen, daß die Wahlbeteiligung über dem europäischen Durchschnitt lag, und die Länder, die mehr Wahlbeteiligung hatten als wir, waren zum Großteil Länder mit Wahlpflicht, daher war die Leistung, die hier erbracht wurde, einfach großartig. Nachdem sich der Außenminister mit seiner Mannschaft toll eingeschaltet hat, möchte ich auch dafür ein aufrichtiges Vergelt’s Gott sagen.

Lassen Sie mich den Dank an einen Mann aussprechen, der heute wahrscheinlich das letzte Mal bei einem Außenpolitischen Bericht unter uns ist, nämlich Herrn Sektionsleiter Botschafter Dr. Wolte. Wenn ich richtig informiert bin, wird Botschafter Dr. Wolte mit Ende dieses Jahres in Pension gehen. Das heißt aber nicht in den Ruhestand – das darf ich auch für mich sagen, weil eine Vortragseinladung an ihn von mir noch nicht ausgesprochen ist, durch die wir dann nächstes Jahr weiterreden. Botschafter Dr. Wolte hat in New York in wichtiger Zeit, später als Botschafter in Peking – das haben auch Präsident Minkowitsch und viele von uns miterleben dürfen – und in Brüssel Bleibendes erbracht – mit seiner Mannschaft; hier habe ich auch Botschafter Dr. Woschnagg zu nennen, unvergeßlich auch Dr. Legtmann, der zuletzt Botschafter in Luxemburg war und in Brüssel Großartiges geleistet hat. Besonders danken möchte ich auch Dr. Thun-Hohenstein, denn, meine Damen und Herren, er hat mit Dr. Cede ein Buch über die EU herausgegeben – lesenswert, von mir oft zur Hand genommen – und jetzt, allgemein


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verständlich, ein weiteres Buch, um diese Europafragen zu popularisieren. Ich lade Sie alle ein, diese Bücher zur Hand zu nehmen. In wenigen Tagen ist der österreichische Nationalfeiertag, und ich hoffe, daß ihn nicht alle zum bloßen Wandern benutzen. Ich habe meinen Studenten schon gestern gesagt, wer am 26. Oktober wandert, dem nenne ich jetzt die Literatur, die er im Mantel unterbringt, damit er, wenn er sich irgendwo stärkt, etwas daraus zum Besten geben kann. Zu dieser Literatur gehört auch dieses Buch von Cede und Thun-Hohenstein. Meine Damen und Herren! Wir müssen noch mehr als bisher zur Popularisierung der politischen Notwendigkeiten beitragen.

Meine Damen und Herren! Wir sind heute so froh beisammen als Bundesrat – wir sind ja Länderkammer! Daß der Herr Vizekanzler und Außenminister, der viele Termine hat, auch sicher in der Mittagszeit, noch bei uns ist, geht auch darauf zurück, daß er eine große Achtung vor dem Föderalismus hat. Er war lange Zeit Mandatar für das Waldviertel, da lernt man den Föderalismus in besonderer Dimension kennen.

Hier möchte ich Ihnen sagen, wir haben mit der Europäischen Integration auch ein besonderes Anliegen, nämlich daß mit dieser Europäischen Integration auch bei uns die Bundesstaatsreform durchgeführt wird, meine Damen und Herren! Man hat den österreichischen Wählern in allen Bundesländern vor der Volksabstimmung gesagt, es wird eine Änderung beim demokratischen Bauprinzip, beim Parlamentarismus, bei der Gewaltenteilung und auch beim Föderalismus geben, und der Herr Bundeskanzler Dr. Vranitzky hat mit Landeshauptmann Ludwig damals für die Landeshauptmännerkonferenz 1992 ein Paktum abgeschlossen, in dem genau diese Anliegen des Föderalismus festgehalten wurden.

Ich muß Ihnen sagen, meine Damen und Herren, jetzt schreiben wir 1996, und das, was man damals versprochen hat, was mit ausschlaggebend war – je nach Föderalismusbewußtsein – in den einzelnen Bundesländern, ist heute noch nicht erfüllt. Das Föderalismuspaktum von Perchtoldsdorf mit der Unterschrift des Bundeskanzlers, von dem er selbst hier gesagt hat, er stehe zu seiner Unterschrift – ich zweifle keine Sekunde daran –, ist immer noch zu erfüllen!

Ich habe – um meine viele Freizeit auch zu diesem Zweck zu nutzen – eine Gastvorlesung an der Universität Heidelberg zu diesem Thema, erweitert, gehalten und Mitte Juli in der Österreichischen Juristenzeitung veröffentlicht über "Europäische Integration und Föderalismus". Ich darf sie dem Herrn Vizekanzler überreichen, dem Herrn Bundeskanzler werde ich sie mit Brief nachreichen. Ich stelle darin genau dar – ich werde das demnächst auch über die Föderalismus-Novellen tun –, was bei uns noch offen ist und was man der Öffentlichkeit, Hoher Bundesrat, versprochen hat.

Auch Kollege Konečny und meine Vorredner haben treffend darauf hingewiesen, der Föderalismus verlange das Subsidiaritätsprinzip, und was wir uns alle von Turin erwarten. Das wurde gestern auch vom Herrn Vizekanzler glänzend dargestellt, und es tut mir leid, daß ich kein Aufnahmegerät mithatte, denn das hätte ich gerne anderen vorgespielt, weil es so herrlich zusammengefaßt war. Ich habe das auch gestern in der Vorlesung gebracht.

Hohes Haus! Wir verlangen die Anerkennung des Subsidiaritätsprinzips von der Europäischen Union, aber ich frage mich, wann das Subsidiaritätsprinzip in diesem Haus anerkannt werden wird, meine Damen und Herren! Glauben Sie mir, der Konsultationsmechanismus, wie immer er aussehen wird, wird es nicht sein, Hoher Bundesrat!

Nachdem wir im vergangenen Jahr ein Jubiläum des Bundes-Verfassungsgesetzes hatten, das nicht zu einer Neukodifikation geführt hat, und nachdem wir jetzt eine Millenniumsfeier haben – ich fahre nächste Woche auch nach München, Herr Generalkonsul Dr. Köffler bereitet da eine großartige Jahrtausendfeier vor; ich glaube nicht, daß wir die Urkunde aus diesem Anlaß geschenkt bekommen, sondern vielleicht ein neueres Exemplar des Faksimiles –, meine ich, daß es höchste Zeit wird, daß auch wir hier einen Beitrag zum Jubiläum in Form einer Bundesstaats- und einer Bundesratsreform und zu einer Neukodifikation des Bundes-Verfassungsgesetzes leisten, bevor das Jahr 2000 kommt, denn, meine Damen und Herren, wir brauchen ein neues Föderalismus-, ein neues Verfassungs- und ein entsprechendes Staatsbewußtsein.


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Ich werde mir auch erlauben, mich mit einer schriftlichen Anfrage an den Außenminister zu wenden und um einen Bericht zu ersuchen, was alles aus Anlaß "1000 Jahre Österreich" im Außenministerium in bezug auf die Kultur in den einzelnen Erdteilen geschieht. Nicht daß Sie glauben, ich rede nur davon, denn – und ich danke allen Landeshauptleuten dafür – ich habe vor Jahren eine Österreich-Bibliothek an der Sophia-Universität in Tokio mitbegründet. Damals war – unvergeßlich – Botschafter Dr. Franz Weidinger dort. Jetzt habe ich die Initiative zu weiteren Bücherspenden von allen Bundesländern gesetzt, und deshalb kommen jetzt ganze Buchpakete – ich habe das auch mit Botschafter Dr. Vukovich besprochen – nach Tokio.

Ich muß Ihnen ehrlich sagen, es wäre notwendig, daß wir das, was wir versprechen, auch auf diesem Gebiet halten. Ich sage Ihnen hier in der Länderkammer: Es gibt kein Thema, das so ausdiskutiert ist wie die Bundesstaats- und die Bundesratsreform. Man braucht nur zu wollen, meine Damen und Herren! Hic Rhodus, hic salta!

Ich lese aufmerksam die Zeitungen, wobei ich darum bitte, auch was die EU-Ergebnisse vom vergangenen Sonntag anbetrifft, es möge jeder auf dem Boden der Realität bleiben. Gemeinderatswahlen sind Gemeinderatswahlen, Landtagswahlen sind Landtagswahlen, Nationalratswahlen sind Nationalratswahlen, und EU-Wahlen sind Europawahlen, wenn auch bei einem Staat wie Österreich natürlich mit einer großen Bedeutung für die österreichische Innenpolitik. Viele dieser Ergebnisse geben sehr zu denken, und sie sollen auch mit entsprechenden Konsequenzen verbunden sein. Ich würde aber bitten, daß man dabei auch an den Bundesrat denkt. – Ich möchte jetzt nicht den Zitatenschatz über diese Länderkammer vermehren, obwohl mir ganze Seiten dazu einfallen würden.

Herr Kollege Strutzenberger, der uns allen sehr fehlt, obwohl er Nachfolger hat, die keine bloßen Epigonen sind und die alle auch sehr viel einbringen, hat mit Herrn Hofrat Dr. Hummer, dem ich zu seiner Genesung gratuliere, und mir einen Antrag auf eine Verfassungsnovelle eingebracht. Dieser bezieht sich auf die vermehrte Aktivität des Bundesrates bei EU-Angelegenheiten, und ich würde Sie bitten, daß wir darauf hinarbeiten, daß wir bei EU-Angelegenheiten eine vermehrte bindende Mitwirkung erlangen, die dem Artikel 44 Abs. 2 des Bundes-Verfassungsgesetzes entspricht, sodaß die Schlechterstellung gegenüber dem Nationalrat auch in diesem Punkt beseitigt wird.

Meine Damen und Herren! Mit der EU-Mitgliedschaft ergibt sich auch eine Reihe von Konsequenzen für den Bundesrat. In dem Zusammenhang ein klares Wort: Es ist von größter Wichtigkeit – in diesem Zusammenhang danke ich Herrn Vizekanzler Dr. Schüssel –, daß wir uns auch Gedanken über die Fortsetzung der Europäischen Integration in Europa machen. Denn genauso wie die soziale Sicherheit kein Selbstzweck ist, ist unsere Mitgliedschaft bei der EU auch kein Selbstzweck nur für Österreich.

Ich danke Herrn Vizekanzler Dr. Schüssel dafür, daß er sich heute schon mit seiner Mannschaft, mit den Damen und Herren im Außenministerium, um die Vorbereitung der Vorsitzführung Österreichs im Jahr 1998 bemüht. Es ist einfach großartig! Ich danke auch der Frau Staatssekretärin Dr. Ferrero-Waldner, die im Einvernehmen mit Herrn Dr. Schüssel bei der Landeshauptmännerkonferenz schon gesagt hat, wie man zusammenarbeiten kann.

Meine Damen und Herren! Es wäre von größter Wichtigkeit, wenn das Bundesratspräsidium, wie wir es schon seit langem wollen, mit der Landeshauptmännerkonferenz und mit der Landtagspräsidentenkonferenz in europapolitischen Angelegenheiten in der Zukunft mehr als bisher zusammenarbeiten könnte. Ich bin sehr froh, Herr Vizekanzler, daß man sich auch Gedanken darüber gemacht hat, Österreich aus der Randlage der Europäischen Integration herauszuführen, und daß wir uns auch um die EU-Mitgliedschaft der Nachbarstaaten bemühen.

Meine Damen und Herren! Ich möchte allerdings eines ganz deutlich sagen: Je mehr die Zahl der Mitglieder – auch Dr. Kapral ist darauf eingegangen – bei der EU steigt – die Konferenz von Turin bringt auch eine Reihe von Fragen nach dem Institutionenmechanismus mit sich, wenn die Zahl immer größer wird –, umso mehr werden sich auch bei uns, was die Arbeitsplatzsicherung betrifft, bei Öffnung der Grenzen so manche Arbeitsplätze verschieben.


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Als Jurist möchte ich Ihnen sagen: Es wäre von größter Wichtigkeit, daß sich die Staaten in Mittel- und Osteuropa, die sich um eine Mitgliedschaft bei der EU bemühen und die sich vorher – wie zum Beispiel die Slowakei – um die Mitgliedschaft beim Europarat bemüht haben, auch des Standards, demokratischer Verfassungsstaat zu sein, besinnen. Ich danke Vizekanzler Dr. Schüssel, daß er das auch gegenüber Bratislava zum Ausdruck gebracht hat.

Als ich vor einiger Zeit mit der ÖVP-Bundesratsfraktion bei Herrn Staatspräsidenten Ková# in Preßburg gewesen bin – die Damen und Herren erinnern sich –, haben wir auch von diesen Erfordernissen gesprochen – es war damals Dr. Strimitzer, der von den Grundrechten und auch von Minderheitenschutz gesprochen hat –, und ich darf Ihnen sagen, wir haben nicht die Aufgabe, andere Staaten zu belehren, aber wohl einen Mindeststandard einzumahnen.

Ich möchte meinen, es ist auch nicht gut, für andere Staaten die Sicherheitserklärungen abzugeben. Daher habe ich auch eine differenzierte Auffassung gegenüber der Äußerung des Herrn Kollegen Professor Dr. Heinz Fischer vor dem russischen Parlament. Die Öffentlichkeit hat das auch nicht ganz begriffen. Sie ist ja an dem betreffenden Tag in der Sendung "Zeit im Bild" gleich nach der Übertragung über den Besuch des Herrn Bundeskanzlers Dr. Vranitzky in Peking über diese Äußerung des stellvertretenden Parteivorsitzenden der SPÖ aus Moskau informiert worden. Sie von der SPÖ werden sicher bei Ihrer Wahlanalyse in Ihren Sektionen darüber sprechen; das ist nicht Aufgabe der Länderkammer.

Ich sage Ihnen nur, ich beachte mit Respekt die Aktivitäten des Nationalratspräsidenten Dr. Fischer, der zweifellos einer der bedeutendsten Juristen und ein glänzender Parlamentarier ist, der Stoff geben wird für viele Dissertationen und Habilitationen – mit Diplomarbeiten würde man seiner Bedeutung nicht gerecht –, aber gerade deshalb möchte ich nicht zur Tagesordnung übergehen, meine Damen und Herren! Ich habe das auch im Fernsehen verfolgt, wobei ich zufällig bei der ersten "Zeit im Bild" zugeschaut habe, was ich normalerweise nicht tue, weil mir die Zeit zu kostbar ist. Ich möchte Ihnen nämlich sagen: Darüber zu befinden, ob sich Staaten Mittel- und Osteuropas der NATO anschließen oder nicht, ist nicht die Aufgabe der Republik Österreich und des ersten Repräsentanten des Nationalrates.

Der Redakteur des "Kurier", der einen blendenden Artikel dazu geschrieben hat, hat vom "Parlamentspräsidenten" geschrieben. Es muß "Präsident im Parlament" heißen, aber nicht "Parlamentspräsident", denn es gibt auch noch andere in diesem Haus. Ich darf Ihnen aus dem "Kurier" zitieren. Das ist also nicht ein Zitat von mir, sondern ein Zitat des Redakteurs Otto Klambauer, der im "Kurier" vom 11. Oktober 1996 unter dem Titel: "Da sprach Fischer nicht im Namen aller Österreicher" – mit Zustimmung der Frau Präsidentin darf ich hier zitieren – folgendes schrieb:

"Doch Fischer ging (vorauseilende Erfüllung Moskauer Erwartungen?) zu weit. Am Rande seines Duma-Auftritts erklärte er, es sei ,weder Auffassung der Regierung noch des Parlaments, daß Österreich seine Neutralität aufgeben soll.‘ Da verschwieg er, daß im Nationalrat ein Meinungsbildungsprozeß über Neutralität im Gange ist – ihm wäre kein Stein aus der Krone gefallen" – schreibt Herr Redakteur Klambauer im "Kurier" –, "dies in Moskau zuzugeben.

Zudem erteilte Fischer indirekt der NATO-Osterweiterung eine Absage" – wörtliches Zitat –: ",Wir teilen die Meinung, daß es für Europa nicht gut wäre, wenn neue Grenzen beziehungsweise Blöcke entstehen würden.‘ Der Duma zu suggerieren, Österreich sei gegen eine NATO-Erweiterung, ist falsch. Es ist in Österreichs Interesse, daß sich unsere Nachbarn sicherer fühlen. Dies tun sie eben offenkundig im NATO-Beitritt.

Da sprach Heinz Fischer" – erklärte der Herr Redakteur Otto Klambauer – "nicht im Namen aller Österreicher. Ein Parlamentspräsident" – da muß ich ihn korrigieren: Nationalratspräsident – "muß im Ausland diesen Nationalrat in seiner Gesamtheit vertreten – und nicht persönliche Parteipositionen." – Ende dieses Zitats.

Meine Damen und Herren! Ich habe im Jahr 1993 in Moskau auch einen Vortrag gehalten. Der ist nachlesbar, denn dieses Buch, das in drei Auflagen in der Staatsdruckerei zu meinem 60. Geburtstag erschienen ist – initiiert von einigen Freunden; einer davon, Präsident Weiss, ist


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617. Sitzung / Seite 61

anwesend –, enthält unter den 25 ausgewählten Vorträgen von mir auch jenen über "Österreichs Stellung in der neuen Ordnung Europas", also meinen Moskau-Vortrag, den ich damals in Anwesenheit von Botschafter Dr. Bauer gehalten habe.

Ich sage Ihnen ehrlich, diesbezüglich ist eine differenzierte Haltung festzustellen. Man soll weder die einen belehren, noch für die anderen Erklärungen abgeben. Ich bin nämlich der Meinung, meine Damen und Herren – da stimme ich mit Kollegen Fischer überein, und ich glaube, da könnten wir alle einer Meinung sein –, wir müssen das Sicherheitsbedürfnis Rußlands anerkennen. Keine Frage! Wer nach Moskau fährt, sieht beim Hineinfahren – ich danke dem Vizekanzler Dr. Schüssel, daß er in nächster Zeit schon nach Moskau fährt; er spricht aber nicht in der Duma –, wie weit die deutschen Panzer gefahren sind; das ist beleuchtet.

Ich war zweimal zu einem offiziellen Besuch in Rußland – einmal im Jahr 1971 mit Herrn Präsidenten Benya und dann im Jahre 1984. In dem Jahr bin ich protokollarisch schon weiter oben gewesen. Im Jahr 1971 war ich der letzte, im Jahr 1984 konnte ich mitreden. Damals waren wir bei Gromyko und haben über die Menschenrechte gesprochen. Ich habe ganz deutlich gesehen, meine sehr Verehrten, wie sehr sie darauf schauten, wie sich die demokratischen Verfassungsstaaten dazu äußern. Ich sage Ihnen, man soll nicht verschweigen, was heute an Menschenrechten notwendig ist – Frau Präsidentin Haselbach hat auch darauf hingewiesen –, was an Minderheitenschutz notwendig ist. Da denke ich auch an den Schutz der ungarischen Minderheiten in der Slowakei.

Meine sehr Verehrten! Wir sollen uns bemühen, zum Sicherheitsbedürfnis in Europa dadurch beizutragen, daß wir zum gegenseitigen Verständnis anleiten. Österreich sollte sich in seiner Mittlerfunktion bemühen, im gegenseitigen Erfahrungsaustausch und mit vertrauensbildenden Maßnahmen zu einer neuen Ordnung des Miteinanders und Verstehens auch zu den Fragen der Sicherheit beizutragen. Es sollte die souveräne Entscheidung jedes europäischen Staates bleiben, wie er seine Sicherheitspolitik in Zukunft gestalten will.

Auf dieser Ebene, meine Damen und Herren, sollten wir uns wiederfinden. Ich meine, man sollte nicht für eine Sendung – wann immer sie ist, ob vor dem "Sandmännchen" oder nach dem "Sandmännchen" – oder für die Schlagzeilen, damit sich irgendwelche Pressereferenten ihr Tagesgeld verdienen, Erklärungen abgeben. Ich halte es für sehr wichtig, diese Kontakte einzuhalten – das Bundesratspräsidium hat das auch getan; ich selbst in meiner Funktion auch seit vielen Jahren –, aber man muß sich immer überlegen, ob das, was man hier sagt, in einer solchen Funktion allen zurechenbar ist. Für meine Fraktion, die ÖVP-Bundesratsfraktion, darf ich sagen, daß diese Äußerung des Präsidenten Dr. Fischer nicht für alle zurechenbar ist. Allerdings war das eine Äußerung des Nationalratspräsidenten, daher wird sich seine Kammer wahrscheinlich damit beschäftigen. Aber weil vom Parlament die Rede war, möchte ich in meiner Funktion und namens der Damen und Herren, die ich zu vertreten die Ehre habe, dazu nicht schweigen.

Meine Damen und Herren! Was von Notwendigkeit ist – dazu ist dieser Bericht eine großartige Grundlage, und da kann man von der Schweiz, die sich gegenwärtig in einer Isolation befindet, die sie überwinden will, lernen; Präsident Mautner Markhof hat als glänzender Kenner der internationalen Szene darauf hingewiesen –: Wir müssen mehr als bisher die Außenpolitik zum Gegenstand der allgemeinen Bildungspolitik machen. Ich möchte allen Damen und Herren aller drei Fraktionen dafür danken, was sie an Engagement im Europaparlament und in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates einbringen. Es ist ja nicht leicht, alle diese Termine auf einen Nenner zu bringen. Ich danke auch dem Herrn Vorsitzenden des Außenpolitischen Ausschusses, Professor Mautner Markhof, für dieses Engagement, und dem Herrn Direktor Penz, der gegenwärtig bei einer ähnlichen Tagung für den EU-Ausschuß in Irland ist, und auch Herrn Dr. Linzer, der als burgenländischer Notar einen großartigen Einsatz im Europaparlament in Brüssel, in Luxemburg, in Straßburg geleistet hat. Auch Kollege Konečny und Frau Präsidentin Haselbach haben das heute hier in ihren Ausführungen zum Ausdruck gebracht und in eine Vielzahl von Aufgaben erfüllt. Wären sie im internationalen Leben nicht so präsent, könnten sie das hier nicht sagen.


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617. Sitzung / Seite 62

Meine Damen und Herren! Wir haben eine große Verpflichtung, denn das Vaterland Europa soll ein Europa der Vaterländer sein, und es soll sich jedermann auch im größeren Europa zu Hause fühlen. Wir sollen alle wissen – das lebt uns nach Dr. Alois Mock Dr. Wolfgang Schüssel sehr engagiert vor –, daß wir eine Schaufenster- und eine Brückenfunktion im Herzen Europas zu erfüllen haben und mit Europa in der Welt. Denn ohne jetzt diese Wirtschaftszahlen vorzulesen – obwohl ich sie mithabe, aber ich bin kein Wirtschaftspolitiker –, darf man sagen, daß der europäische Standard an Kultur, an Verantwortlichkeit, an Gewissenbildung ein Maßstab für die Welt ist. Und der Beitrag Österreichs zur Europäischen Integration kann eine Fortsetzung dieses großen kulturellen Auftrages Österreichs sein, was gerade anläßlich der Jahrtausendfeier Österreichs nicht vergessen sein soll. – Ich danke Ihnen, meine Damen und Herren! (Beifall bei der ÖVP und bei Bundesräten der SPÖ.)

13.05

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Als nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Dr. Harring. Ich erteile es ihm.

13.05

Bundesrat Dr. Peter Harring (Freiheitliche, Kärnten): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Herr Vizekanzler! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben heute den Außenpolitischen Bericht zu behandeln. Dieser ist sicher sehr interessant, und zwar nicht nur interessant für uns Mitglieder des Außenpolitischen Ausschusses. Wir haben jetzt auch von Herrn Professor Schambeck einen interessanten Überblick aufgrund seiner geschichtlichen Kenntnisse über die Zusammenhänge erhalten. Mir ist dabei einiges wieder klargeworden; jedenfalls ist der Herr Vizekanzler genau 21mal von ihm gelobt worden.

Der Bericht ist ebenfalls sehr ausführlich. Es wird darin vieles – zumindest habe ich das Gefühl – deshalb behandelt, weil es in den Vorberichten schon behandelt worden ist. Es ist so eine Art Fortschreibung von Problemen, aber auch von offenen Fragen, ab und zu gibt es auch Wiederholungen von ungelösten Problemen. Vieles wird deshalb nicht behandelt, weil es in den Vorberichten nicht behandelt worden ist, und es ist vielleicht doch ein kleiner Mangel, daß auf viele neue Entwicklungen, auf Zukunftsmöglichkeiten, auf Zukunftschancen, auf Visionen zuwenig eingegangen wird.

Ich zitiere hier einmal die Seite 2, und zwar deshalb, weil es doch einige widersprüchliche Aussagen gibt. Da heißt es: "... um die Ausgestaltung der im Maastricht-Vertrag festgelegten Rolle der WEU als ,integraler Bestandteil der Entwicklung der Europäischen Union‘ und um die ebenfalls in diesem Vertrag verankerte, längerfristige Perspektive einer gemeinsamen Verteidigungspolitik ...". Das ist hier das Hauptthema. Und dazu steht dann auf Seite 4, daß die NATO-Staaten von sich aus festgelegt haben, "daß alle künftigen WEU-Mitglieder (wegen der kumulativen Effekte der NATO- und WEU-Sicherheitsgarantien) auch Mitglieder der NATO sein sollten."

Diesbezüglich würde uns schon interessieren, wie endgültig die Haltung der Bundesregierung ist. Unser Außenminister hat sich ja bei der wichtigen Tagung in Berlin im Juni dieses Jahres vertreten lassen. Vielleicht hat es auch andere Gründe als Termingründe gegeben, dort nicht hinzufahren.

Jedenfalls, meine Damen und Herren, ist das Außenministerium das zuständige Ressort, ist der Minister der zuständige Ressortchef. In dieser Funktion trägt er die Verantwortung dafür, daß es in der Sicherheitspolitik in Zukunft keine weiteren Konfusionen gibt.

Meine Damen und Herren! Österreichs Rolle im Herzen Europas neu zu definieren, sich von erstarrten und überholten Strukturen zu lösen und gemeinsam mit der Bevölkerung, gemeinsam mit den Österreicherinnen und Österreichern einen Bewußtseinsprozeß in Gang zu bringen, der unsere neue Rolle in der EU definieren kann – diese Aufgabe ist wohl noch nicht ausreichend gelöst.

Welche Fragen ergeben sich beispielsweise im Zusammenhang mit der Aufnahme Kroatiens in den Europarat, die am Mittwoch beschlossen worden ist? – Wir haben hierüber noch nichts gehört.


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617. Sitzung / Seite 63

Auch soziale Fragen werden selbstverständlich in dem fast 600 Seiten dicken Bericht behandelt. Aber wer löst die Problematik der Kündigung des Sozialabkommens mit der Türkei? Wie reagiert das Außenministerium beziehungsweise hat es überhaupt reagiert auf die Drohung der Türken, mehrere tausend in der Türkei verbliebene Kinder türkischer Gastarbeiter nach Österreich zu bringen?

Aus Kärntner Sicht ist die Frage der grenznahen Atomkraftwerke besonders interessant, und ich bin sehr froh, daß sich Dr. Kapral sehr ausführlich mit diesem Thema beschäftigt hat, weil wir aus der Behandlung der Probleme in Mochovce lernen können, wie man beispielsweise die Probleme in Krško in der Nähe Kärntens behandeln kann. Dr. Kapral hat darauf hingewiesen, wie "erfolgreich" diese neuen Aspekte waren, über die hier im Bericht zu lesen ist. Mochovce I wird in eineinhalb Jahren eröffnet. Mochovce II wird in zweieinhalb Jahren eröffnet. In Bohunice wird der Reaktor verbessert beziehungsweise, wie Dr. Kapral gesagt hat, ertüchtigt. So steht es auch hier im Bericht. Daraus kann man schon einiges für Krško in der Nähe Kärntens lernen.

In dieser Hinsicht war ein österreichisch-italienisches Symposium schon im Mai 1995 in Rom ein Schlüsselerlebnis. Der damals sehr jung im Amt befindliche Außenminister – es waren gerade 14 Tage – hat die österreichische Delegation hervorragend geführt; das kann man wirklich anmerken. Er war der italienischen Außenministerin Agnelli ein mehr als ebenbürtiger Partner. Aber was uns Kärntner interessiert hat und was wir Freiheitliche in den Ausschüssen im Zusammenhang mit Osterweiterung, im Zusammenhang mit dem Kooperationsübereinkommen EU und Slowenien thematisieren wollten, das war in den Erklärungen, in den offiziellen Statements einfach kein Thema mehr.

Dr. Schüssel hat heute in einer Anfragebeantwortung gesagt, nach seiner Meinung hätten die Italiener keinen Erfolg mit diesen bilateralen Verhandlungen gehabt. Wir hatten dort jedenfalls den Eindruck, daß alles, was sich die Italiener gewünscht haben, ob es vermögensrechtliche Verträge waren oder ob es der Sonderstatus für Triest war, erfüllt wurde.

In diesem Zusammenhang ist auch bemerkenswert, daß der Kärntner Landeshauptmann Zernatto – Parteifreund und Parteikollege vom Herrn Außenminister und Vizekanzler – es im Vorfeld dieses Vertrages sogar verabsäumt hatte, dieses Assoziierungsabkommen zwischen Slowenien und der EU dem zuständigen Landtagsausschuß oder gar dem Kärntner Landtag zuzuleiten. Was dabei herausgekommen ist, ist ausgesprochen dürftig. In Artikel 81 Ziffer 3 ist lediglich von Austausch von Informationen und Erfahrungen auf dem Gebiet der nuklearen Sicherheit die Rede. Nicht einmal über ein bestehendes Verfahren in einem Krisenfall konnte man sich einigen, heißt es.

Noch dazu steht das alles im Gegensatz zu bisherigen bilateralen Vereinbarungen zwischen Slowenien und Kärnten. Der völkerrechtliche Rechtszustand ist eigentlich unklar.

Abschließend kann man nur wiederholen, was Dr. Kapral bereits gesagt hat: Was ist eigentlich von der großartigen Anti-Atom-Politik der Bundesregierung geblieben? Die Bevölkerung hat den diesbezüglichen Versprechungen geglaubt, geblieben ist jedoch wenig. Auch der vorliegende Außenpolitische Bericht berechtigt diesbezüglich eigentlich zu keinerlei Hoffnung.

Weil Herr Dr. Mautner Markhof gerade kommt: Gerade Sie haben den Kulturbericht, der in einer eigenen Broschüre festgehalten ist, sehr gelobt. Der Bericht ist auch wirklich bemerkenswert. Es fällt auch positiv auf, daß im Gegensatz zu allen anderen Bereichen der EU-Politik im Kulturbereich keine Harmonisierung angestrebt wird. Das ist besonders erfreulich im Hinblick auf die Erhaltung der kulturellen Vielfalt und die Einzigartigkeit des österreichischen Kulturgutes. Eine Vereinheitlichung wird durch Artikel 128 des Maastricht-Vertrages, der die EU-Kompetenz im Kulturbereich begründet, ausdrücklich ausgeschlossen. Es ist ein positives Beispiel gelebter Subsidiarität, die Kulturpolitik dem Kompetenzbereich der einzelnen Mitgliedsstaaten zu überlassen, und das sollte sicherlich so bleiben.

Ich habe mich gewundert, daß niemand darauf eingegangen ist, aber für uns, für mich ist eine Feststellung in diesem Kulturbericht keineswegs positiv, auch wenn diese Feststellung als


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617. Sitzung / Seite 64

Erfolgsmeldung verkauft wird. Es steht dort nämlich, das Sparpaket sei nicht gespürt worden, man habe dieses Sparpaket im Kulturbereich nicht bemerkt.

Meine Damen und Herren! Das Sparpaket ist also offensichtlich nur etwas für Bürger, für Steuerzahler, jedenfalls aber nicht für die Kulturverantwortlichen. Es heißt wörtlich: "Operativ gelang es, trotz Sparpaket eine Reduzierung der Auslandsaktivitäten zu vermeiden und alle geplanten Vorhaben zu verwirklichen. Die Programmplanung war nur insoweit erschwert, als bis Mai keine Sicherheit über die Höhe des Jahreskulturbudgets vorhanden war."

Dann war aber alles in Ordnung, man konnte um 4,8 Prozent mehr ausgeben. Das Ziel, nämlich die Schaffung und Vermittlung von österreichischen Themen und Kultur an eine breite Öffentlichkeit in allen Teilen der Welt, konnte ungebremst – und ich unterstreiche: ungebremst! – verwirklicht werden. Stolz darauf zu sein, vom Sparpaket nichts zu spüren, ist wahrscheinlich nicht besonders lobenswert.

Auch regionale Schwerpunkte werden hier angeführt. Und es ist interessant, daß im Kulturbericht steht, die EU- und die Reformstaaten im Süden und Osten waren diese regionalen Adressaten im staatlichen Bereich. Das hat dann dazu geführt, daß unter über 70 Staaten rund 10 Prozent aller Gelder allein im Bereich Polen ausgegeben worden sind. Polen liegt damit an zweiter Stelle der Aktivitäten. Nur in den USA ist mit 12,5 Prozent mehr ausgegeben worden, in Italien beispielsweise waren es unter 5 Prozent, in Deutschland 6 Prozent, für die Schweiz hatte man nur 0,65 Prozent übrig. Aber verlassen wir die Kulturpolitik und kommen wir noch kurz zur Wirtschaftspolitik.

Der Außenpolitische Bericht hat eben als zentralen Schwerpunkt das erste Jahr der Mitgliedschaft bei der Europäischen Union – das ist heute schon mehrfach erwähnt worden – zum Inhalt, insbesondere die außenpolitischen Herausforderungen, und das alles in Verbindung mit der innerösterreichischen Entwicklung des Binnenmarktes, die Wirtschafts- und Währungsunion – ich behaupte: im Bericht ein Randthema – und – leider auch als Randthema – die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt.

Welchen wirtschaftspolitischen Weg gehen wir wirklich? Gehen wir den Weg der monetären Sanierung, den Weg der Erfüllung der Maastricht-Kriterien, oder, was nach dem Wahl-Waterloo der Sozialdemokraten immer wieder angekündigt wird, gehen wir den Weg einer beschäftigungspolitischen Variante? – Das sind zwei grundverschiedene Dinge.

Damit hängt natürlich auch die Osterweiterung zusammen. Dazu heißt es im Bericht: Die Reformländer haben den klaren Nachweis erbracht, daß ein EU-Beitritt, insbesondere unserer Nachbarn Tschechien, Slowakei, Ungarn, Slowenien, aber auch Polen – und auch der Berichterstatter hat das heute wörtlich zitiert –, aus politischen, sicherheitspolitischen und wirtschaftlichen Gründen im ureigensten Interesse Österreichs liegt.

Wieso die Verbringung der Maschinen aus Traiskirchen nach Tschechien im ureigensten wirtschaftlichen Interesse Österreichs liegt, wird man den Arbeitern bei Semperit wohl noch erklären müssen.

Allein in der Textilindustrie hat die Regierung der EU-Politik in den letzten Jahren 4 300 Arbeitsplätze geopfert, in der Lebensmittelindustrie 4 000 Arbeitskräfte. Und das geht weiter durch die beabsichtigte oder bevorstehende oder gewollte Ostöffnung.

Wie hat man das vorbereitet? – Ich spreche heute nicht von Hausaufgaben, aber die Vorbereitung darauf wäre schon sehr wichtig gewesen.

Auf die Frage, ob diese Ostöffnung das österreichische Lohnniveau dramatisch unterlaufen werde und ob wir durch billige Arbeitskräfte überschwemmt werden, hat der Chef der Wifo, Dr. Krammer, gesagt: Ja, so ist es. – Auch er glaubt, daß die Freizügigkeit des Arbeitsmarktes der entscheidende Punkt im Rahmen der Osterweiterung der EU sein wird.


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Was sagt der Außenpolitische Bericht dazu? – Eigentlich sehr wenig. Ich kann mir nicht vorstellen, daß der Hinweis auf Seite 23 richtig ist, wo davon die Rede ist, daß die Arbeitskräfte in der EU im Jahr 1995 um 7,75 Prozent steigen werden.

Meine Damen und Herren! Ich lade Sie ein, das nachzulesen. In den beiden Folgejahren soll die Zahl der Arbeitsplätze um 1 Prozent steigen. Und heuer sollen in der EU um 7,75 Prozent mehr Arbeitsplätze geschaffen werden. – Ich zitiere Seite 23 des Berichtes.

In der EU sind zurzeit 18 Millionen Menschen arbeitslos, und die Tendenz ist leider weiter steigend. Wo sind europäische, wo sind österreichische Initiativen, die dieses Problem wirksam bekämpfen? – Es geht hier nicht um Verträge und nicht um Zielformulierungen. Wir haben die Regierungskonferenz von Turin nicht vergessen, vor der Regierungschef Dr. Vranitzky angekündigt hat: Jetzt kommt die große Beschäftigungsinitiative, und Österreich wird der Motor sein! – Nach der Konferenz war zu hören, daß Dr. Vranitzky nicht einmal einen Antrag eingebracht hat.

Auch die Konferenz von Florenz hat diesbezüglich kein Ergebnis gebracht.

Und schließlich und endlich zum Thema Euro. Diesbezüglich fällt uns auch einiges auf. Der Bericht geht ja nicht besonders darauf ein, weil, wie ich eingangs bereits festgestellt habe, darin von der Zukunft unserer Meinung nach überhaupt zu wenig die Rede ist. Erstens fällt auf, daß alle Verantwortlichen der Politik, insbesondere auch der Bundesregierung, alle verantwortlichen Spitzenrepräsentanten der Notenbank, der Banken, der Sozialpartner erklären: Der Fahrplan, der uns allen bekannt ist, steht fest, daran wird nicht gerüttelt. – Das wird bei jedem offiziellen Auftritt wiederholt. Es scheint für die Spitzenrepräsentanten in Österreich diesbezüglich keinen Zweifel zu geben.

Zweitens fällt auf, daß nur positive Meldungen publiziert werden. Negative Meinungen – auch solche von Experten – werden meist verschwiegen, und erst langsam setzt sich in einigen Medien doch die Meinung durch, daß man auch etwas kritischere Bemerkungen veröffentlichen sollte.

Die Kraft, mit der man diese positive Stimmung zu verbreiten versucht, ist tatsächlich erstaunlich. Wenn sich alle Banken in Österreich quasi als Speerspitze dieser Bewerbung, dieser positiven Umstellung verstehen, ist das wirklich sehr erstaunlich, weil gerade der Bankenapparat riesige Umstellungskosten hat, riesige Verluste in Kauf zu nehmen haben wird – durch Verluste im Geldwechselgeschäft, im Devisengeschäft, aber auch bei den vielen Termingeschäften. Das alles wird zu einem Personalabbau und zu Ertragsproblemen bei den Banken führen.

Ebenso erstaunlich ist die Vorgangsweise der Notenbank. Es gibt Dutzende Broschüren, in denen die bevorstehende Einführung des Euro in den schönsten Farben geschildert wird. Es werden landauf, landab von allen Spitzen der Notenbank Vorträge gehalten. Ich frage mich oft, ob die betreffenden Herren der Notenbank eigentlich wissen, daß sie sich durch diese Vorträge und durch das Verbreiten einer derart positiven Stimmung eines Tages wahrscheinlich selbst abschaffen oder wegrationalisieren werden. Unser Bedauern, das Bedauern der Freiheitlichen Partei dazu hält sich aber sicherlich in Grenzen. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Meine Damen und Herren! Warum gibt es, abgesehen von den 23 Milliarden Schilling Pensionsvorsorge in der Notenbank, in allen Ländern noch Landeszentralen? – In den Zentralen der Länder, in denen es hochbezahlte, hochdotierte Notenbankregionaldirektoren gibt, werden die einzelnen Banken mit Bargeld versorgt. Sonst fällt einem aber eigentlich nicht viel dazu ein. Wozu braucht man das?

Ich sage Ihnen: Spätestens dann, wenn das Europäische Währungsinstitut in die Europäische Zentralbank übergehen wird, ist sicherlich Handlungsbedarf gegeben, denn welche Kompetenzen bleiben dann wirklich noch in den Notenbanken der einzelnen Länder?

Wir Freiheitlichen fordern eine Volksabstimmung über den Euro und haben geglaubt, wir hätten Verbündete in der Notenbank; dies ist aber nicht der Fall. Wir freuen uns aber, daß es in Zukunft


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Verbündete im Gewerkschaftsbund geben wird, denn in einem Interview in der "Wirtschaftswoche" hat Präsident Verzetnitsch jüngst auf die Frage: Würden Sie so weit gehen, daß Arbeitnehmervertreter in der Notenbank die Zustimmung zum Euro verweigern sollen, falls die Arbeitgeber ihr Verhalten nicht ändern?, gesagt: Wer glaubt, daß der Euro ohne Beschäftigungsinitiativen kommen wird, der irrt. – Das ist schon eine sehr wesentliche Aussage.

Das dritte, was im Zusammenhang mit dem Euro auffällt, ist, daß es von Tag zu Tag eine stärkere Flucht aus dem Schilling gibt. Viele Österreicherinnen und Österreicher versuchen nahezu täglich, in Schweizer Franken auszuweichen, in den japanischen Yen auszuweichen, bei steigenden Kursen jetzt auch in den US-Dollar, in den kanadischen Dollar, aber auch in den australischen Dollar. Man veranlagt in festverzinslichen Wertpapieren, in Fonds und in Aktien. Es werden hier also Milliardenbeträge aus Österreich verlagert. Bis zum 1. August konnte man das ja völlig anonym, zum Teil sogar völlig steuerfrei, ohne Bezahlung der Kapitalertragssteuer, tun.

Die Österreicherinnen und Österreicher haben eben Angst vor dem Euro, es ist eine gewisse Unsicherheit vorhanden.

Und wenn die letzten Pressemeldungen stimmen, fürchtet sich ja nur in Österreich niemand davor, denn in der letzten Ausgabe des "Wirtschaftsblattes" hieß es in einem Leitartikel, den Sie sicher nicht übersehen haben: Bonn und Paris fürchten den Euro-Beitritt der Weichwährungsländer. – Das heißt, es gibt jetzt ganz entscheidende Bemühungen der Weichwährungsländer, vor allem der Spanier und Italiener, schon in der ersten Phase mit dabeizusein. Und es ist interessant, daß der italienische Finanzminister Prodi gegenüber der "Financial Times" meint: Wenn die Franzosen mit ihren Budgettricks durchkommen, können auch wir Ihnen einige Tricks zeigen.

Das glauben wir den Italienern sofort, daß ihnen auch einige Tricks einfallen! Es ist ja bekannt, daß die Franzosen beispielsweise zur Sanierung des Budgets 75 Milliarden Schilling kassieren dafür, daß sie die Pensionsverpflichtungen für die France Telecom übernehmen und quasi diese Eventualverbindlichkeit in der Bilanz nicht ausweisen.

Das heißt, die Italiener, die Spanier und sicher auch die Portugiesen und die Griechen werden versuchen, hier mit dabeizusein, und daher ist es schon verständlich, daß ältere Menschen, daß Sparer gewisse Sorgen haben. Jeder, der schon eine Währungsreform erlebt hat – wir werden heute auf diese Auswirkungen nicht eingehen; man sollte die Bevölkerung wirklich nicht verunsichern –, weiß, was einem blüht.

Wir Freiheitlichen werden dieses Thema sehr verantwortungsbewußt behandeln, aber wir werden die Österreicher fragen, ob 70 Jahre Schilling genug sind.

Wenn nun der Außenpolitische Bericht die offizielle, von der Regierung beschlossene detaillierte Dokumentation über die wichtigsten internationalen Entwicklungen und auch eine Dokumentation über die österreichische Außenpolitik sein soll – und das ist es auch, und da schließe ich mich dem Lob von Dr. Kapral selbstverständlich an –, aber doch auf vieles, das im vitalen Interesse der Österreicherinnen und Österreicher vor allem im Hinblick auf die Zukunft gelegen ist, keine Antwort gibt, wird wohl jeder verstehen, daß wir Freiheitlichen diesen Bericht in dieser Form nicht zur Kenntnis nehmen können. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

13.24

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Als nächster zu Wort gemeldet: Herr Bundesrat Meier. Ich erteile es ihm.

13.24

Bundesrat Erhard Meier (SPÖ, Steiermark): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich möchte meine Ausführungen zum Außenpolitischen Bericht damit beginnen, daß ich Frau Vizepräsidentin Haselbach herzlich danke für die humanitären Aspekte, die sie in ihrem Beitrag zu diesem Außenpolitischen Bericht eingebracht hat. Die Außenpolitik leistet ja einen bedeutenden Beitrag dazu, wie Österreich von den Menschen, von den Staaten und von den internationalen Organisationen dieser Welt gesehen und beurteilt wird.


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Natürlich kann und soll jede Österreicherin und jeder Österreicher zu einem positiven Image beitragen, und auch die offizielle Politik unseres Staates hat die Aufgabe, mit ihren Vertretern die Beziehungen Österreichs im positiven Sinne zu gestalten. Dazu gehören internationale Abkommen und Verträge, Wirtschaftsbeziehungen, Entwicklungsfragen und Entwicklungshilfe, Friedenspolitik, insbesondere mit vorbeugendem und bewahrendem Charakter, Abrüstung und Rüstungskontrolle, Menschenrechtsfragen, der Umweltschutz und die Auslandskulturpolitik.

Unsere Beziehungen zu anderen Teilen unserer Welt sind vielfältig, umfassend und mit verschiedenen Schwerpunkten zu sehen. Eines darf man aber mit Stolz feststellen: Österreich hat, wohin man immer reist, einen guten Namen dort, wo man uns kennt. Wir müssen dabei sehr wohl die verhältnismäßig niedrige Einwohnerzahl von 8 Millionen Menschen und die im Maßstab des Globus gesehen kleine Fläche berücksichtigen, die über unseren geographischen Meßdaten liegt.

Zu dieser wirklich positiven Beurteilung tragen vergleichbare Daten wie Bruttosozialprodukt, Pro-Kopf-Einkommen, Produktivität, Sozialstandards, Beschäftigungslage, medizinische Standards, Kultur und so weiter wesentlich bei. Es gibt viele Kenner Österreichs, deren Österreich-Bild weit über Klischee-Vorstellungen und touristische Standard-Herzeigeprojekte hinausgeht. Sagen wir es doch bitte an dieser Stelle klar und deutlich, daß unser – Betonung auf unser – Österreich ein sehr wertvolles und geachtetes Land ist, ein Kleinod im wahrsten Sinne des Wortes, ein Land, das sehr geschätzt ist, ein Land, in dem das Leben lebenswert ist! Machen wir daher dieses Land nicht schlecht, setzen wir es durch ungerechtfertigte Kritik nicht herab, sondern fördern wir das Ansehen dieses Staates und seine relativen Positiva – mit "relativ" meine ich immer unserer Größe entsprechend, um keine Überheblichkeit aufkommen zu lassen –, also jene positiven Punkte, auf die wir mit Stolz blicken können!

Die österreichische Außenpolitik leistet in diesem Sinne einen aktiven Beitrag, und es ist allen zu danken, die durch ihren persönlichen Einsatz im Bundesministerium für auswärtige Angelegenheiten und als "Botschafter Österreichs" – und ich meine dies in einem erweiterten Sinne und auch unter Anführungszeichen –, also in allen Funktionen der österreichischen Vertretungen und Konsulate und Honorarkonsulate, weltweit tätig sind. Ich schließe auch jene ein, die Herr Bundesrat Professor Schambeck – trotz Aufzählung vieler Persönlichkeiten – hier nicht nennen konnte.

Der als Jahrbuch vorliegende Außenpolitische Bericht 1995 gibt einen umfangreichen Überblick über Inhalte und Tätigkeiten im abgelaufenen Jahr. Er enthält Informationen über personelle Wechsel in Botschaften, über Rechtsfragen der österreichischen Außenpolitik, über die internationalen Beziehungen und deren humanitäre Dimension, über die Entwicklungszusammenarbeit, die Wirtschaftsbeziehungen. Ferner ist es gegliedert in die Teile "Europa", "außereuropäischer Raum", berichtet über die universelle Zusammenarbeit in den verschiedenen Organisationen – Vereinte Nationen, OSZE – und über die Weltwirtschaft – GATT, WTO und OECD, um nur einige zu nennen.

Einen großen Teil des Berichts nimmt das Kapitel A) Europa ein. Naturgemäß nahmen dabei neben den Außenbeziehungen zu den Nicht-EU-Mitgliedsländern und zu unseren Nachbarländern, neben dem Krisengebiet auf dem Balkan und so weiter, die Themenkreise der Annäherung, der Integration im europäischen Raum, nämlich die OSZE, der Europarat und vor allem die Europäische Union, einen Schwerpunkt dieses Berichtes ein, ist er doch jener Bericht, der das erste Jahr der Mitgliedschaft Österreichs bei der Europäischen Union betrifft. Als Parlamentarier lege ich Wert auf die Bedeutung der legislativen Seite auf allen Ebenen der politischen Entscheidungsfindung. Das beginnt bei den Gemeinderäten und bei den Landtagen. Diese föderalistische Ebene ist in Europa nur in einer Minderheit der Staaten zu finden und führt natürlich über die nationalen Parlamente, in unserem Falle Nationalrat und Bundesrat, zum Status des Europäischen Parlaments.

Ich möchte hier auch auf den COSAC hinweisen. COSAC ist jene Einrichtung, die Vertreter und Vertreterinnen des Europäischen Parlaments mit Vertretern der nationalen Parlamente zu


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wichtigen Informationsgesprächen und zum Gedankenaustausch nützen. Eine solche COSAC-Konferenz findet diese Woche in Dublin statt.

Vielleicht könnte der nächste Außenpolitische Bericht auch die Aktivitäten des COSAC auf parlamentarischer Ebene anführen, um seine Tätigkeiten anzuerkennen.

In Österreich hat der EU-Ausschuß des Nationalrates betreffend EU-Ratsbeschlüsse eine nicht unbedeutende Einflußmöglichkeit, den Fachministern bindende Aufträge für Beschlüsse nach Brüssel mitzugeben. Nur in Dänemark gibt es eine ähnliche parlamentarische Kontrolle für Entscheidungen der Fachminister. In den anderen EU-Staaten ist dies zumindest viel schwächer ausgeprägt.

In einer repräsentativen Demokratie müssen wir aber immer einen Mittelweg zwischen der Übertragung notwendiger Vollmachten und der Übertragung unkontrollierbarer und ganz eigenständiger Handlungsvollmachten finden. Unsere Minister müssen die grundsätzliche Haltung Österreichs vertreten, aber doch auch einigen Handlungsspielraum haben.

Ich halte es aber für eine unabdingbare Forderung, daß die EU-Ratsbeschlüsse öffentlich und transparent erfolgen müssen – öffentlich für den Bürger und für die Presse. Die EU-Räte sind nämlich keine Ministerräte, wie im Nationalstaat, sondern sie sind die erste Kammer der Gesetzgebung der EU. Das Parlament würde ich derzeit als die zweite Kammer betrachten.

Da die Gewaltentrennung einen Grundsatz in einem demokratischen Staat darstellt, sollte die Regierung nicht zur Legislative werden, andererseits sollte das Parlament als Legislative, über die notwendige Kontrolle hinausgehend, nicht in die Ausführungsgeschäfte der Regierung eingreifen. Und daß beide nicht in die Judikative einwirken dürfen, versteht sich von selbst. Andererseits sollte die Judikative keine Entscheidungen politischen Charakters treffen.

Ich habe zum Thema "Europa" diesen Punkt herausgegriffen, weil ich glaube, daß es eine der wichtigen institutionellen Fragen der weiteren Entwicklung der EU sein wird, wie zu den Fragen der Einstimmigkeit und der Mehrheitsentscheidungen die grundsätzliche Überlegung weiterdiskutiert wird, welche Entwicklung der Aufbau der EU nimmt, nicht nur wegen einer künftig erhöhten Mitgliedszahl, sondern wegen einer für die europäischen Bürger wichtigen Transparenz von Entscheidungen, die in demokratischer Form auf verständliche Weise getroffen werden.

Ich möchte wirklich auch aus Erfahrung sagen – Kollege Linzer wird mir zustimmen –, daß gerade auch die parlamentarische Arbeit in diesen eindreiviertel Jahren der österreichischen Mitgliedschaft doch wesentlich dazu betragen konnte, Österreich in der EU zu vertreten und österreichisches Gedankengut dort einfließen zu lassen.

Nun möchte ich noch auf die Debatte zum Außenpolitischen Bericht im Nationalrat vom 20. 9. hinweisen, und zwar deshalb, weil Frau Bundesrätin Dr. Riess-Passer über die diffusen Positionen in der Außenpolitik gesprochen hat. Ich möchte das Wort "diffus" an anderen Beispielen hier vorstellen: Der FPÖ-Bundesobmann sagte bei der Debatte im Nationalrat: Auf der einen Seite werden Sozial- und Umweltdeklarationen von den beiden Regierungsparteien vorgegeben, auf der anderen Seite stimmt man – ich betone: unbestimmtes Fürwort, nicht genau gesagt, wer – im Europaparlament dagegen, daß die Kennzeichnungspflicht von gentechnisch manipulierten Nahrungsmitteln eingeführt wird. – Ende des Zitats des FPÖ-Bundesparteiobmanns. Die Forderung der Sozialdemokraten lautete immer und eindeutig nach einer durchgehenden Kennzeichnung aller gentechnisch veränderten Lebensmittel.

Wie wurde nun im Europäischen Parlament abgestimmt? – Natürlich haben wir für die von mir jetzt vorgetragene Formulierung gestimmt, aber nicht mitgestimmt haben die FPÖ-Vertreter Lukas, Nußbaumer, Riess-Passer, Schreiner und Schweitzer – alle FPÖ. Dort hätten Sie die Forderungen ihres Bundesparteiobmannes im Abstimmungsverhalten umsetzen können. Wo waren Ihre Abgeordneten?


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Zweites Beispiel: FPÖ-Obmann Haider führte weiter aus: Wir müssen zur Kenntnis nehmen, daß die Wirtschaftspolitik der EU-Öffnung und die Öffnung in Richtung anderer Partner – etwa der Türkei – zu einem massiven Einbruch auch auf dem österreichischen Arbeitsmarkt führen wird, zum Beispiel in der Textil- und Bekleidungsindustrie. – Ende des Zitats.

Das Abstimmungsverhalten am 13. 12. 1995 im EU-Parlament zeigte genau das Gegenteil. Für die Zollunion mit der Türkei stimmten Herr Nußbaumer – er kommt ja aus Vorarlberg: Textilindustrie –, Frau Dr. Riess-Passer und Herr Schreiner. Die anderen waren nicht anwesend. Ich habe mich mit anderen der Stimme enthalten. Vielleicht hätte ich direkt dagegen stimmen sollen. Meine Stimmenthaltung kann ich damit erklären, daß man natürlich mit keinem Land Verbindungen abbrechen und Entwicklungen, die der dortigen Bevölkerung dienen, verhindern soll.

Es ist leicht, zu sagen, wir sollten die Zollunion mit der Türkei nicht abschließen, weil unsere Textilindustrie durch billigere Importe aus der Türkei natürlich belastet wird, und auf der anderen Seite – wie Herr Mag. Schreiner ausgeführt hat – zu sagen, dieser Schritt sei notwendig, um einen wirtschaftlichen Zusammenbruch der Türkei und in der Folge einen Sturz der derzeitigen Regierung zu verhindern. Sollte diese Union nicht zustande kommen, werden bald die islamischen Fundamentalisten an die europäische Haustüre klopfen. – Das nenne ich diffuse Politik.

Ein weiteres Beispiel ist ersichtlich aus der Fernsehdiskussion nach der Europawahl. FPÖ-Obmann Dr. Haider hat dort gesagt, er ist für einen starken Euro, der sich nach der Stärke der D-Mark und damit auch des Schillings richtet. Ich stimme ihm völlig und vollinhaltlich zu. (Bundesrat DDr. Königshofer: Sehr lieb!)

Jetzt kommt der zweite Punkt – das wurde vorhin von Dr. Harring hier angeschnitten –: Herr Dr. Haider forderte den sofortigen Beitritt Italiens zur Währungsunion, damit Italien die Abwertung nicht durchführen könne, die Kärnten, Tirol, ja Österreich im gesamten schadet. (Bundesrat Dr. Rockenschaub: Das haben Sie falsch verstanden!) – Nein, Sie brauchen es bitte nur nachzulesen.

Ich stimme auch zu, daß Italien bald dieser Währungsunion beitreten sollte, die derzeit angestrebte 15-Prozent-Bandbreite könnte jedoch noch sehr ungünstig für Österreich ausfallen. Nur kann man nicht beides gleichzeitig fordern – einen starken Euro und einen Beitritt der schwächeren Währungsländer Europas. (Beifall bei der SPÖ. – Bundesrat Dr. Rockenschaub: Das geht auch nicht!) – Eben. Dr. Haider hat dies jedoch zur gleichen Zeit gefordert. Ist nun der Euro nicht so stark, sagt er: Ich habe es eh gefordert. Ist Italien nicht dabei, sagt er: Das habe ich auch gefordert. (Bundesrat Dr. Bösch: Eine Verschiebung der Währungsunion! – Bundesrat Dr. Rockenschaub: Ich erkläre dir das nachher! – Bundesrat Waldhäusl: Das muß man ganz langsam erklären, dann versteht man’s!) – Ja, damit Sie das verstehen, muß das langsam erklärt sein.

Zum Schluß, meine Damen und Herren, möchte ich noch ein Kapitel dieses Berichtes besonders hervorheben, weil ich es von österreichischer Seite sehr positiv beurteile. Es ist dies der Bericht über die internationale Abrüstung und Rüstungskontrolle. Nachdem Frankreich mit seinen Atomversuchen beträchtliche Unruhe verursachte, gab es doch auch Fortschritte in Richtung eines umfassenden Atomteststopp-Vertrages, wobei eine Versuchsexplosion in China Rückschritte befürchten ließ und Einwände Indiens vorerst keine notwendige Einhelligkeit erbrachten.

Nun hat sich auch die UN-Vollversammlung des Atomteststopps angenommen und dabei in überwältigender Weise zum Ausdruck gebracht, daß Kernwaffenversuche unterlassen und strategische Nuklearwaffen reduziert werden sollten – START II-Verhandlungen und so weiter.

Österreich nahm an allen Bemühungen in den verschiedenen Organisationen – etwa der Genfer Abrüstungskommission – teil und leistete einen begrüßenswerten Beitrag, der sich auch in der Unterstützung der Nichtweiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen, Nonproliferation, im Bemühen um ein Verbot chemischer Waffen, in der Beschränkung konventioneller Waffen, natürlich auch in Richtung Verbot der Anti-Personen-Minen und in der Schaffung von Kontrollmechanismen ausdrückt. Die Schaffung dieser Organisation in Wien ist ja auch sehr erfolgreich.


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Ich hoffe, daß wir uns in dieser Frage alle einig sind und dadurch nach außen geschlossen auftreten. Ich glaube auch, daß die Außenpolitik überhaupt möglichst einheitlich und einmütig zu erfolgen hat und alle Meinungsunterschiede zuerst zu Hause ausdiskutiert werden sollen und kein Thema zur Profilierung im Ausland sind – vor allem keine parteipolitischen Meinungsunterschiede.

Ich möchte damit enden, womit ich meine Wortmeldung eingeleitet habe: Österreich hat einen guten Namen. Unsere Leistungen werden auch sehr oft im harten wirtschaftlichen Wettbewerb anerkannt. Viele unserer positiven Daten und Kennzahlen sind im internationalen Vergleich gut, überdurchschnittlich, ja sogar ganz im obersten Feld zu finden.

Dies sollte uns bewußt sein, bevor uns jemand außerhalb unseres schönen und lebenswerten Landes herabzuwürdigen versucht. In diesem Sinne möge gemeinsam mit Einzelleistungen, aber auch mit der gesamten österreichischen Außenpolitik Österreich auch in Zukunft würdig im Ausland vertreten werden. – Danke schön. (Beifall bei der SPÖ.)

13.41

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Als nächster hat sich Herr Bundesrat Dr. Linzer zu Wort gemeldet. Ich erteile es ihm.

13.41

Bundesrat Dr. Milan Linzer (ÖVP, Burgenland): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte auch gerne in das Loblied einstimmen, das heute hier für die beiden Außenminister Mock und Schüssel sowie die gesamte Beamtenschaft in Zusammenhang mit der Erstellung des Außenpolitischen Berichtes angestimmt worden ist.

Bevor ich aber zu meinen eigentlichen Ausführungen komme, möchte ich gerne noch auf einige Kritikpunkte des Kollegen Kapral eingehen.

Kollege Kapral hat gemeint, im Zusammenhang mit den Beitrittsverhandlungen hätte man sehr wohl im Vergleich zu Schweden beispielsweise ein besseres Ergebnis erzielen können, das heißt geringere Beitragszahlungen. Die Behauptung, Schweden hätte einen geringeren Beitrag geleistet, ist an sich nicht richtig, da muß ich widersprechen. Schweden hat sehr wohl einen höheren Beitrag bezahlt.

Außerdem sind diese Beitragszahlungen ja nicht in einem unmittelbaren Zusammenhang mit den Regionalförderungen zu sehen. Der Maastricht-Vertrag und seine Vorgänger sehen ja hinsichtlich der Regionalförderungen die sogenannte Kohäsionspolitik oder Strukturpolitik dahin gehend vor, daß es unter dem Titel der Solidarität zu Hilfestellungen kommt, zur Strukturförderung für jene Länder, in welchen es benachteiligte, hilfsbedürftige Gebiete gibt.

Es ist also an sich nicht möglich und wäre vertragswidrig, hätte man bei den Beitrittsverhandlungen gesagt, wir verlangen eine niedrigere Beitragszahlung und verzichten auf die Regionalförderung beziehungsweise setzen diese Regionalförderungen herab.

Diese Periode läuft bis 1999. Was nach dieser Periode kommt, wird derzeit zwar schon diskutiert, aber ich glaube, es ist genauso falsch, zu sagen, daß diese Regionalförderung nachher nicht mehr gebraucht wird – wie das ja gelegentlich in der politischen Diskussion anklingt –, genauso ist es falsch, jetzt schon zu sagen, man verlange 1999 diese und jene Förderung.

Kollege Kapral ist dann auch auf die burgenländische Regionalförderungsszene zu sprechen gekommen und hat gemeint, daß wir Burgenländer in der Ziel-1-Förderung weit hinter dem Plansoll liegen. Ich weiß nicht, welche Zahlen ihm da zur Verfügung gestanden sind. Ich kann nach meinem Informationsstand nur eines sagen: Wir liegen nach der Programmplanung, gemäß unseren Programmen, in Brüssel absolut im Plansoll. Wir haben etliche Projekte auch schon evaluiert. Das ergibt bei einer Gegenüberstellung von Beitragszahlung des Landes beziehungsweise Evaluierung von Projekten, Lukrierung bestimmter Förderungen derzeit – 1996 – ein Plus von etwa 900 Millionen.


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Aber es ist nicht zu leugnen – ich glaube, das gilt nicht nur für uns Burgenländer, ich denke, daß das genauso auch für die anderen Bundesländer gilt –, daß die Problematik der Akquisition von Investoren nationaler, aber vor allem auch internationaler Herkunft durchwegs unterschätzt worden ist. Ich glaube, daß es da sehr viele Möglichkeiten gibt und wir diese Möglichkeiten noch zu wenig ausgeschöpft haben, obwohl man natürlich feststellen muß, daß der Wettbewerb auch diesbezüglich in ganz Westeuropa wesentlich größer geworden ist.

Natürlich haben wir als Wirtschaftsstandort massive Konkurrenz in Österreich, Konkurrenz vor allem auch der neuen deutschen Bundesländer, die massiv und vehement, mit sehr viel Können und sehr viel Engagement um Investoren kämpfen, um so ihre Strukturschwächen zu überwinden.

Ganz bei Dr. Kapral bin ich beim Stichwort Osterweiterung. Ich sehe da auch gewisse Probleme, aber da sagt man natürlich, jeder sieht seinen Part auf seine Art und Weise. Die Nachbarländer, vor allem Ungarn, sehen das eher als exogene Probleme, wir sehen das ein bißchen anders. Die Ungarn beispielsweise können auch nicht leugnen, daß sie monetäre und budgetäre Probleme haben. Auch mit der Umstellung auf die Marktwirtschaft insgesamt tun sie sich schwer, während Tschechien und die Slowakei, vor allem aber Slowenien, sehr gut im Aufwärtstrend liegen.

Unbedingt teilen möchte ich auch die Meinung des Kollegen Kapral hinsichtlich der Menschenrechte und Minderheitenrechte, die absolut ungeteilte Grundrechte bleiben müssen. Ich möchte hier erwähnen – es ist dankenswerterweise heute schon angeklungen –, daß Außenminister Vizekanzler Schüssel gemeinsam mit dem italienischen Außenminister eine Initiative gestartet hat, die auch beim letzten Gipfeltreffen in Dublin diskutiert worden ist.

Ich möchte aufgrund meiner Erfahrung aus meiner ständigen Tätigkeit auf dem Gebiet der Menschenrechte im Rechtsausschuß im Europäischen Parlament sagen, daß wir sehr wohl, wie es Außenminister Schüssel und sein italienischer Kollege gefordert haben, unbedingt einen Menschenrechts- und Grundrechtskatalog benötigen, um hier eine Kodifikation zu haben, um den integrationswerbenden Nachbarn eine deutliche Unterlage vorgeben zu können.

Der letzte Punkt war die Problematik der Atomenergie in den Nachbarländern. Kollege Kapral hat zu Recht Mochovce und Bohunice kritisiert. Ich möchte dem noch die vielleicht noch größere Problematik der Ukraine – Tschernobyl und einige andere Kraftwerke – hinzufügen. Das ist ein ganz schwieriges Thema, das mich seit meinen ersten Tagen als Mitglied des Energieausschusses im Europäischen Parlament begleitet.

Es ist uns damals in einer gemeinsamen Initiative sehr wohl gelungen – ich will das bei Gott nicht an meinen Hut heften, es war ein gemeinsamer Antrag mit Kollegen Schweizer und anderen; wir waren unisono der Meinung, daß wir da österreichweit und über Parteien hinweg vorgehen müssen –, dieses Thema vorübergehend vom Tisch zu bekommen; mittlerweile ist es wieder hochaktuell.

Die Union hat in diesem Fall Handlungsbedarf, die Sicherheitsproblematik liegt auf dem Tisch. Es geht nach wie vor um diese berühmte Ummantelung, um diesen Sicherheitsmantel, den die Kraftwerke in den osteuropäischen Ländern größtenteils nicht haben.

Ich habe mir erlaubt, in den letzten Tagen aus dem Energieausschuß eine schriftliche Anfrage als Einmahnung an die zuständige europäische Kommission abzuschicken, und zwar dahin gehend, daß die Kontrollämter versuchen sollten, aufzuzeigen, inwieweit sich die Sicherheitskomponente gebessert hat und inwieweit die seinerzeitigen Bedenken ausgeräumt worden sind.

Die Europäische Union wird aber in dieser gesamten Atomenergiethematik Flagge zeigen müssen. Ich möchte der Europäischen Union aber durchaus zugute halten, daß sie mit der Ukraine ständig wegen der Energieumwandlung in Verhandlungen steht. In den osteuropäischen Ländern, vor allem in der Ukraine, stecken Themen wie Energieeinsparung, Energieeffizienz, alternative Energie noch völlig in den Kinderschuhen. – Soweit zu den Ausführungen von Kollegen Dr. Kapral.


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Meine Damen und Herren! Ich komme nunmehr zu meinen eigentlichen Ausführungen. Sie werden verstehen, daß der Themenschwerpunkt meiner Ausführungen in erster Linie die Europäische Union ist. Ich möchte nicht verhehlen, daß wir alle – Dr. Schambeck hat es schon ausgeführt – sehr erfreut sind. Es hat letzten Sonntag bei der Europawahl eine für uns hohe Wahlbeteiligung von 68 Prozent gegeben. Wir liegen damit im Spitzenfeld. Es haben zwei Drittel der Wähler dem Modell Europäische Union die Zustimmung gegeben und damit gezeigt, daß die Europäische Union sehr wohl die beste Voraussetzung bietet, für das kommende Jahrtausend gerüstet zu sein.

Es hat sich aber im Laufe der letzten Monate auch gezeigt, daß die Bürger von uns, den handelnden Personen, egal wo wir stehen, ob im nationalen oder im europäischen Parlament oder auf Ministerebene, erwarten, daß wir ihnen zeigen, daß die Institutionen der Europäischen Union in Brüssel, Luxemburg und Straßburg keine abstrakte Welt sind, sondern daß wir ihnen diese Europäische Union mit ihren Institutionen näherbringen, daß wir sie besser informieren, sodaß sie sich damit auch mehr identifizieren können.

Es ist nicht die Zahl der Verträge, Protokolle und politischer Absichtserklärungen entscheidend, der Bürger will wissen, welche Auswirkungen das Ganze auf seine Lebensqualität hat. Daher sollten wir das den Bürgern auch aufzeigen.

Meine Damen und Herren! Es ist natürlich dieses Ergebnis vom letzten Sonntag nicht ohne Bedeutung. Ich meine, daß dieses Wahlergebnis die Position der österreichischen Vertreter – und ich darf das erwähnen – und natürlich der Österreichischen Volkspartei im Europäischen Parlament, aber natürlich auch die Stellung des Außenministers und Vizekanzlers im Rat der Europäischen Union, wo er die Stimme Österreichs immer wieder erhebt, festigt. Dieses überzeugende Bekenntnis der Österreicher zur Europäischen Union wird sehr wohl gewertet werden. Es wird natürlich nicht in Zahlen gemessen werden, aber die gute Reputation, die Österreich in der Union hat, ist zweifellos dadurch verstärkt worden.

Ich möchte auch gerne erwähnen, daß es sehr wohl wichtig ist, daß wir dem europäischen Bürger, dem einfachen Mann das Gefühl vermitteln, daß er sich sehr wohl direkt bei den europäischen Institutionen einklinken kann. Es gibt den Bürgerbeauftragten. Es kommt jetzt aufgrund der Initiative Dr. Schüssels zur Diskussion darüber, inwieweit man an der Gesetzgebung teilnehmen kann.

Dankenswerterweise hat sich Vizekanzler Dr. Schüssel in einer Partnerschaft mit dem Außenminister Italiens geeinigt und damit aufgezeigt, daß das Thema der Bürgerinitiative und der Menschenrechte nicht allein ausschlaggebend ist, sondern daß wir in unserer Nachbarschaftspolitik versuchen müssen, auch andere Themen gemeinsam zu regeln, ob das nun Themen wie Verkehr, Umwelt oder auch Wirtschaft sind.

Ich will an dieser Stelle auch nicht verhehlen, daß unsere Nachbarn, die Italiener, die Slowenen und die Ungarn, gerade in letzter Zeit einen umfassenden Kooperationsvertrag abgeschlossen haben, der sich auf militärischer, aber in erster Linie auf verkehrstechnischer und wirtschaftlicher Ebene bewegt.

Meine Damen und Herren! Natürlich ist das Wahlergebnis vom letzten Sonntag auch ein wichtiger Arbeitsauftrag an unsere Regierung, an unsere Europaparlamentarier, an uns selbst, an Interessenvertreter, aber auch an alle weiteren Akteure in den EU-Gremien.

Wir müssen jetzt versuchen, das Vertrauen der Österreicherinnen und Österreicher nicht zu enttäuschen. Wir müssen weiterhin im Sinne einer echten gelebten Subsidiarität in Europa die Segel für neue Initiativen setzen und den momentan günstigen Fahrtwind für das Vertreten typisch österreichischer Anliegen, wie Beschäftigung und Umwelt, innere und äußere Sicherheit, Alpentransit und Landwirtschaft, nützen.

Meine Damen und Herren! In einem Europa, das durch seine Einigkeit Vertrauen schafft, muß es uns Politikern gelingen, allen Bürgern ein Gefühl der Zugehörigkeit zu vermitteln. Gerade bei den nächsten großen Vorhaben der Europäischen Union, nämlich der Einführung der einheit


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lichen Währung, der Osterweiterung, der Schaffung einer wirkungsvollen Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik, der Reform des Vertrages von Maastricht, müssen wir unbedingt auf die Unterstützung und das Vertrauen unserer Bürger zählen können.

So soll Österreich von Anbeginn an, also bis 1999, die Möglichkeit haben, am großen europäischen Vorhaben der Wirtschafts- und Währungsunion teilzunehmen. Dies scheint mir sowohl aus wirtschaftlichen als auch aus politischen Gründen richtig und notwendig zu sein.

Erstens gibt es wahrscheinlich kein zweites Vorhaben, welches den Integrationsprozeß in qualitativer Hinsicht so nachhaltig fördern kann wie die gemeinsame Währung.

Meine Damen und Herren! Ich betone ausdrücklich, ein Binnenmarkt ohne gemeinsame Währung ist auf Dauer nicht vorstellbar.

Zum zweiten erwarten sich die Experten von der gemeinsamen Währung durch den Wegfall von Transaktionskosten und Wechselkursrisiken volkswirtschaftliche Vorteile von bis zu 1 Prozent des Bruttoinlandsproduktes pro Jahr. Für Österreich wären dies etwa 20 Milliarden Schilling.

Während man sich im Hinblick auf die Einführung des Euro sowohl über den Zeitplan als auch über die Kriterien im wesentlichen geeinigt hat, kann über die Durchführung des zweiten großen Vorhabens, der Osterweiterung, bis jetzt nur spekuliert werden.

Meine Damen und Herren! Gerade in dieser sensiblen Frage der Osterweiterung, an deren politischer Notwendigkeit zwar kein Zweifel besteht, deren ökonomische sowie sicherheitspolitische und integrationspolitische Auswirkungen noch nicht einschätzbar sind, muß sehr behutsam mit den Ängsten und Befürchtungen der Bevölkerung umgegangen werden.

Natürlich ist es unsere Aufgabe, den Geist der Solidarität, den Geist unserer Friedens- und Sicherheitsgemeinschaft auf unsere östlichen Nachbarländer zu übertragen. Politisch ergibt sich dadurch die welthistorisch einmalige Chance, ganz Europa friedlich zu vereinen.

Die Erweiterung muß dazu genützt werden, das europäische Integrationswerk unter Wahrung des Besitzstandes der Gemeinschaft, der die gemeinsamen Politiken miteinschließt, weiterzutragen. Das Markenzeichen der Union, nämlich die Garantie für politische Stabilität, kann aber nur dann gewährleistet bleiben, wenn durch eine vorangegangene Vertiefung die Handlungsfähigkeit der Union bei einer schrittweisen Erweiterung gesichert bleibt. Das heißt, daß nicht nur die mittel- und osteuropäischen Länder besondere Anstrengungen unternehmen müssen, um die Kriterien für einen Beitritt zu erfüllen, sondern daß sich auch die Mitgliedstaaten der Union eine Vorbeitrittsstrategie zurechtlegen müssen, die den Erwartungen der Beitrittswerber entspricht und die nicht zu institutioneller und finanzieller Handlungsfähigkeit der Union führt.

Meine Damen und Herren! Eines ist klar: Nur ein erfolgreicher Abschluß der Regierungskonferenz kann einen Beginn der Beitrittsverhandlungen ermöglichen. Daneben müssen wir aber danach trachten, die Auswirkungen der Wirtschafts- und Währungsunion, der vorhin erwähnten Strukturfondsreform, aber auch der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik und deren Entwicklung zu berücksichtigen. (Präsident Pfeifer übernimmt den Vorsitz.)

Meine Damen und Herren! Für Österreich bringt die Erweiterung gegen Osten ungeahnte wirtschaftliche Chancen. Sie gibt uns aber auch die Chance, unser Wissen, unsere Erfahrungen mit unseren Nachbarn aus den letzten Jahrzehnten in die Beitrittsverhandlungen mit den mittleren und osteuropäischen Staaten einfließen zu lassen und uns damit europaweit als erster Ansprechpartner zu profilieren.

Ich habe schon erwähnt, daß im Zusammenhang mit der Osterweiterung uneingeschränkt, ungeschmälert die Einhaltung der Menschenrechte gewährleistet sein muß. Es ist eine willkommene Initiative, wie erwähnt, der Außenminister Österreichs und Italiens, daß auch innerhalb der EU-Staaten die Einhaltung der Menschenrechte eine einklagbare Verpflichtung werden soll und eine Mißachtung der Menschenrechte Sanktionen nach sich ziehen muß.


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Es ist ein Schritt in die richtige Richtung, wenn eine zusammenhängende Menschenrechtspolitik entwickelt wird, die jenseits von Betroffenheitsritualen unterdrückten Völkern und verfolgten Menschen wirklich hilft und auch vor eigenen Mißständen nicht haltmacht.

Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich an dieser Stelle eine Bemerkung zu der unerfreulichen Tatsache der Attentatsdrohungen gegen burgenländische Volksgruppen durch die Briefbomben, Serienbombenanschläge machen.

Meine Damen und Herren! Wir dachten, Österreich befinde sich bereits in einer Zeitepoche, in der die Volksgruppen, die Religionsgruppen, unterschiedliche Gruppierungen, welche auch immer, gegenseitige Toleranz, Achtung und Anerkennung finden. Dem ist aber nicht so, wie diese bedauerlichen Ereignisse zeigen.

Meine Damen und Herren! Diese Attentatsdrohungen sind Angriffe auf die rechtsstaatliche und demokratische Ordnung in Österreich. Es werden von verbrecherischen Gruppierungen Anstrengungen unternommen, alle toleranten, friedvollen und freiheitsbewußten Mitmenschen in den burgenländischen Volksgruppen zu verhöhnen, vor den Kopf zu stoßen und letztlich alle demokratischen Organe dieses Staates zu brüskieren. Ich denke, auch wir im Bundesrat sind dazu aufgerufen, diese Attentatsdrohungen gegen die burgenländischen Volksgruppen, auch gegen Konfessionen, auf das schärfste zu verurteilen. Ich bin der Meinung, daß dies ein Angriff auf die Vielfalt des Burgenlandes ist, auf eine Vielfalt, auf die die Burgenländer sowie ganz Österreich bisher stolz waren und in Zukunft auch stolz sein können.

Meine Damen und Herren! Österreichs Vermittlerrolle als neutraler Staat in den Zeiten des kalten Krieges hat Österreich zu einem wichtigen Ansprechpartner für die Anliegen der mittel- und osteuropäischen Länder in der Union gemacht. Diesen Status sollten wir daher auch nicht leichtfertig aufgeben, wenn es um die Belebung einer Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik geht.

Meiner Ansicht nach sind zwei Aspekte dabei besonders zu beachten. Erstens: Wie sieht Österreich seine Position innerhalb der europäischen Sicherheitsarchitektur? Zweitens: Was trägt Österreich dazu bei, daß die Union einen stärkeren Einfluß auch auf internationaler Ebene ins Spiel bringen kann?

Zum ersten: Wir müssen die Neutralität, so wie sie ist, im Sinne einer dynamischen Interpretation, die wir ihr immer gegeben haben, weiterentwickeln, um auf ein zukünftiges Konzept und eine zu entwickelnde Säule der europäischen Solidarität vorbereitet zu sein. Es liegt an Österreich, die Neutralität mit Leben zu erfüllen, sie mit der Friedenspolitik der UNO weiter im Einklang zu sehen und die europäische Solidarität zu ergänzen. Es liegt an Österreich, zunächst einmal auszuloten, unter welchen Bedingungen sich eine Mitgliedschaft Österreichs an der europäischen Sicherheitsstruktur bewerkstelligen läßt.

Zum zweiten: Außenpolitisch muß die Union endlich mit einer Stimme in außenpolitischen Fragen auftreten. Wie die Fälle im ehemaligen Jugoslawien und auch die jüngsten Zwischenfälle in Israel gezeigt haben, braucht Europa dringend funktionierende Instrumente des Krisenmanagements.

Meine Damen und Herren! Europa muß lernen, seiner sicherheitspolitischen Verantwortung gegenüber der restlichen Welt zu entsprechen. Ob diese Aufgabe durch einen "Mister" oder eine "Miss GASP" oder eine eigenständige Analyseeinheit wahrgenommen wird, ist in den nächsten Wochen und Monaten zu klären. Das ändert jedoch an der Tatsache nichts, daß es nicht so bleiben kann und darf, daß die Amerikaner im Zweifelsfall für das Handeln, die Europäer aber nur für die Bedenken zuständig sind.

Das Bestreben, zu einer neuen europäischen Sicherheitsstruktur zu finden, muß aus dem Konglomerat Europäische Union, WEU, NATO in Zusammenarbeit mit der OSZE eine Grundfeste für eine neue gesamteuropäische Friedens- und Sicherheitsordnung gießen. Die Schwierigkeit der Beurteilung der zukünftigen Sicherheitsarchitektur liegt im amorphen Erscheinungsbild dieser Variablen. Ich erwähne nur das Schlagwort "NATO neu". So hat der aus der Ära des


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kalten Krieges stammende Verteidigungsauftrag seit 1990 an Bedeutung verloren. Ein Stabilisierungsfaktor in dem sich neu ordnenden Europa ist jedoch nicht zuletzt aufgrund der Verbindung zu Amerika unverzichtbar, und es muß gelingen, eine ausgewogene Vorgangsweise zwischen den Sicherheitsbedürfnissen der mittel- und osteuropäischen Staaten zu finden und gleichzeitig der Besorgnis Rußlands zu entsprechen.

Was wird aus der WEU und dem europäischen Arm, der NATO? Kann sie mit ihrer jetzigen Organisationsstruktur der Aufgabe, Träger der europäischen Verteidigungspolitik zu werden, überhaupt gerecht werden? Eines ist klar: daß der derzeitige Beobachterstatus Österreichs bei der WEU weder dem österreichischen Sicherheitsbedürfnis entspricht, noch von unseren Partnern als ein auf die Dauer ausreichender Beitrag gewertet werden wird.

Meine Damen und Herren! Große Fragen für ein kleines Land. Ich möchte mich daher an dieser Stelle nochmals beim Herrn Außenminister und seinen Mitarbeitern für die Erstellung des Berichtes bedanken. In dieser sensiblen Phase des Integrationsprozesses geht es darum, die Idee eines gemeinsamen, geeinten Europas zu stärken. Ich glaube, mit dieser Bilanz, mit den vorliegenden Visionen sind wir auf dem richtigen Weg. Schließlich fällt der österreichische Vorsitz in die zweite Hälfte des Jahres 1998.

Angesichts der beschriebenen Entwicklungen werden wir uns Anfang 1998 wohl auch die Frage stellen müssen, ob die EU-Präsidentschaft ohne gleichzeitige Vollmitgliedschaft in der WEU glaubwürdig und wirksam ausgeübt werden kann. Dieser Vorsitz wird für Österreich zur Nagelprobe des ausklingenden Jahrtausends werden, stehen doch 1998 der Beginn zur Umsetzung der Ergebnisse der Regierungskonferenz und der Beginn der Beitrittsverhandlungen mit den mittel- und osteuropäischen Staaten auf dem Programm. Letzte Maßnahmen zum Übergang auf eine einheitliche Währung sind zu treffen, und schließlich läuft der Vertrag der WEU mit Ende 1998 aus.

Meine Damen und Herren! Diese Aufgaben können wir nur bewältigen, wenn wir uns auch weiterhin vom Geist der Europa-Wahlen leiten lassen, der uns zu aktiver Solidarität und zu voller Bereitschaft zur Integration verpflichtet. Nützen wir diesen Geist, wir werden ihn brauchen, damit Österreich zu einem glaubwürdigen und engagierten Partner im Europa von morgen wird! (Beifall bei der ÖVP.)

14.11

Präsident Josef Pfeifer: Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Dr. Reinhard Eugen Bösch. – Bitte.

14.12

Bundesrat Dr. Reinhard Eugen Bösch (Freiheitliche, Vorarlberg): Herr Präsident! Herr Minister! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Linzer! Sie werden verstehen, daß ich nicht in das Loblied einstimmen kann, das Sie hier gesungen haben.

Kollegen Meier möchte ich sagen: Die Beurteilung der EU-Politik der SPÖ fand, meine Damen und Herren, am vergangenen Sonntag statt. Verschonen Sie uns daher mit Ihren halbherzigen Rechtfertigungsversuchen! (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Es wurden heute schon einige Aspekte zum Außenpolitischen Bericht der Bundesregierung beleuchtet. Ein Aspekt scheint es mir wert zu sein, daß man ihn noch einmal zur Sprache bringt: Die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, GASP, ist für uns von Bedeutung – wir scheinen recht zu haben, wie die Ausführungen meiner Kollegen und Vorredner hier gezeigt haben.

Meine Damen und Herren von der ÖVP! Wir Freiheitlichen gratulieren Ihnen dazu, daß Sie in diesem Bereich seit Jahren, obwohl manchmal etwas verschleiert – auch Herr Kollege Linzer hat das hier getan –, erfolgreich die freiheitliche Position vertreten, nämlich: in der letzten Konsequenz der NATO beizutreten.

Meine Damen und Herren von der ÖVP! Vor dem 13. 10. sind Sie ein bißchen schwach geworden aus Angst, die SPÖ könnte Ihnen mit der Beharrung auf die Neutralität Schwie


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rigkeiten machen. Am vergangenen Sonntag aber haben die fortschrittlichen Kräfte in diesem Lande gesiegt – und dazu zählen im Bereich der GASP auch Sie, meine Damen und Herren von der ÖVP! Sie können also die SPÖ in diesem Bereich ruhig in ihrer ewiggestrigen Position sitzen lassen. Bei dieser Wahl hat die Neutralität niemanden interessiert! (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Nach freiheitlicher Auffassung wäre es aber jetzt an der Zeit, in diesem Bereich Nägel mit Köpfen zu machen. Nehmen Sie deshalb – das dürfen wir Ihnen raten – Ihren ganzen Mut zusammen, und setzen Sie sich gegen den Chef dieser Bundesregierung durch, der auf dem besten Weg ist – ich darf den "Kurier" vom Montag zitieren –, "zum Schlafwagenschaffner" zu werden!

Meine Damen und Herren von der ÖVP! Zwingen Sie diesen Meister der Nullösung endlich dazu, zu regieren. Sagen Sie ihm – dazu wären Sie als ehrlicher Partner in einer Regierung auch verpflichtet –, daß wir seit 1. 1. 1995 Mitglied der EU sind, und raten Sie ihm, den Beitrittsvertrag, den er unterzeichnet hat, auch einmal durchzulesen, denn in der Außen- und Sicherheitspolitik – dafür tragen ja auch Mitglieder Ihrer Partei im Landesverteidigungs- und Außenressort Verantwortung – bietet diese Bundesregierung nach wie vor ein chaotisches Bild! Die Bürger und das Ausland fragen sich zu Recht, warum dieses Land gerade in jenem Bereich, in dem unsere Republik die größten Defizite hat, nämlich in der Sicherheitspolitik, nicht in der Lage ist, die notwendigen Schritte zu setzen.

Sicherheitspolitik ist, meine Damen und Herren – ich konnte das von dieser Stelle aus schon öfters sagen –, ist nicht Verteidigungspolitik und Militär allein, aber in der letzten Konsequenz eben auch und in der allerletzten Konsequenz ausschließlich.

Wir Freiheitlichen haben schon vor der EU-Volksabstimmung 1994 gefordert, daß die Entwicklung und Bildung eines europäischen kollektiven Sicherheitssystems erforderlich sei, und gemeint, daß die NATO und die WEU den einzigen Weg dazu darstellen.

Mit dem Vertrag von Maastricht – das scheinen wesentliche Teile dieser Bundesregierung zu vergessen – wurde auch ein Kapitel über die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik eingeführt, und zwar mit dem Ziel der Stärkung der Sicherheit der Union und ihrer Mitgliedstaaten in all ihren Formen. Artikel J.4 – meine Kollegin Dr. Riess konnte darauf schon eingehen – besagt unter anderem: Die GASP, Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, umfaßt sämtliche Fragen, welche die Sicherheit der Europäischen Union betreffen, wozu auf längere Sicht auch die Festlegung einer gemeinsamen Verteidigungspolitik gehört, die zu gegebener Zeit zu einer gemeinsamen Verteidigung führen können muß. Wenn es da auch semantische Korrekturen von seiten der ÖVP geben soll, so geht es doch um das Ziel dieser Politik.

Die Union ersucht die Westeuropäische Union, die integraler Bestandteil der Entwicklung der EU ist, die Entscheidungen und Aktionen der Union, die verteidigungspolitische Bezüge haben, auszuarbeiten und durchzuführen.

Außerdem hat Österreich im Beitrittsvertrag eine gemeinsame Erklärung zur Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik abgegeben, worin die EU und Österreich übereinkommen, daß mit dem Beitritt alle Ziele des Vertrages – auch die Bestimmungen der GASP – und die beigefügten, einschlägigen Erklärungen vollständig und vorbehaltlos übernommen werden.

Meine Damen und Herren! Tatsache ist: Nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes und dem Zerfall des Ostblocks werden völlig neue Anforderungen an die europäische Sicherheitspolitik gestellt. Die Gefahr von regionalen Konflikten, die eine Bedrohung für Österreich bedeuten könnten, ist rapide gestiegen. Die GASP ist, wie am Beispiel des Balkankonfliktes deutlich wurde, völlig unzureichend gerüstet, um die anstehenden Probleme zu lösen.

Polen, Tschechien, Slowenien und Ungarn werden 1999 NATO-Mitglieder sein. Damit ist nach den Beschlüssen der NATO-Tagungen von Berlin und Brüssel das künftige europäische Sicherheitskonzept des Bündnisses einstweilen fertiggestellt – aber ohne Republik Österreich. Und obgleich der Verteidigungsminister und auch der Außenminister klar festgestellt haben, daß die


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WEU nicht isoliert von der NATO gesehen werden könne, werden aus dieser richtigen Analyse nicht die notwendigen Schlüsse gezogen. Die SPÖ verhindert eine zukunftsweisende Politik, und die ÖVP setzt sich in dieser Frage nicht durch!

Bisher hat Österreich seine Landesverteidigung stets vernachlässigt und regelrecht ausgehungert. Österreich liegt mit den Verteidigungsausgaben in Höhe von etwas mehr als 0,8 Prozent des Bruttoinlandsproduktes an der letzten Stelle in Europa. Der Beobachterstatus bei der WEU und die Teilnahme an der "Partnerschaft für den Frieden" bringen für Österreich überhaupt keine zusätzliche Sicherheit. Mit lediglichem Beobachterstatus sind wir weder in die Planungsarbeiten eingebunden, noch können wir mitbestimmen; wir sind Mitglied dritter Klasse – ich zitiere den Außenminister und Vizekanzler der Republik Dr. Wolfgang Schüssel. Ich hoffe, daß er das, was er damals gesagt hat, nicht vergessen hat.

Alle künftigen Verteidigungs- und Sicherheitsstrukturen in Europa werden nur innerhalb der NATO oder zumindest gemeinsam mit der NATO entwickelt werden können. Der Beitritt zur NATO ist ein wesentlicher Faktor zur bestmöglichen Gewährleistung der künftigen österreichischen Sicherheit. Das heißt, nur eine Vollmitgliedschaft in der NATO und in der WEU gewährleisten im Ernstfall den Schutz durch die Staatengemeinschaft. Fast alle ehemaligen Ostblockstaaten wollen derzeit in die NATO – ich habe sie schon genannt. Die neue NATO ist ein wesentlicher Bestandteil der gemeinsamen Sicherheit in Europa und wird es auch weiterhin sein.

Also: Keine EU-Mitgliedschaft ohne gleichzeitige NATO-Zugehörigkeit! – Meine Damen und Herren von der ÖVP! Richten Sie das Ihren Mitgliedern in der Bundesregierung aus. Wir Freiheitlichen fordern Sie auf, den Beitritt zur "NATO-Neu" und zur WEU endlich konsequent zu betreiben und am Aufbau einer starken europäischen Sicherheitsordnung mitzuwirken! (Beifall bei den Freiheitlichen.)

14.20

Präsident Josef Pfeifer: Meine Damen und Herren! Es liegt keine Wortmeldung mehr vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall.

Die Debatte ist geschlossen.

Wird vom Berichterstatter ein Schlußwort gewünscht? – Das ist auch nicht der Fall.

Wir kommen zur Abstimmung.

Ich bitte jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, den vorliegenden Bericht zur Kenntnis zu nehmen, um ein Handzeichen. – Das ist mehrheitlich so beschlossen.

Der Antrag auf Kenntnisnahme des Berichtes ist somit angenommen.

2. Punkt

Beschluß des Nationalrates vom 3. Oktober 1996 betreffend ein Internationales Naturkautschukübereinkommen von 1995 samt Anlagen (314/NR sowie 5276/BR der Beilagen)

3. Punkt

Beschluß des Nationalrates vom 3. Oktober 1996 betreffend ein Protokoll zum vierten AKP-EG-Abkommen von Lomé infolge des Beitritts der Republik Österreich, der Republik Finnland und des Königreichs Schweden zur Europäischen Union (315/NR sowie 5277/BR der Beilagen)


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4. Punkt

Beschluß des Nationalrates vom 3. Oktober 1996 betreffend ein Abkommen zur Änderung des vierten AKP-EG-Abkommens von Lomé samt Schlußakte (316/NR sowie 5278/BR der Beilagen)

Präsident Josef Pfeifer: Wir gelangen nun zu den Punkten 2 bis 4 der Tagesordnung, über welche die Debatte unter einem abgeführt wird.

Es sind dies

ein Internationales Naturkautschukübereinkommen von 1995 samt Anlagen,

ein Protokoll zum vierten AKP-EG-Abkommen von Lomé infolge des Beitritts der Republik Österreich, der Republik Finnland und des Königreichs Schweden zur Europäischen Union und

ein Abkommen zur Änderung des vierten AKP-EG-Abkommens von Lomé samt Schlußakte.

Die Berichterstattung über die Punkte 2 bis 4 hat Herr Bundesrat Gottfried Jaud übernommen. Ich bitte um die Berichterstattung.

Berichterstatter Gottfried Jaud: Sehr geehrter Herr Präsident! Hoher Bundesrat! Ich erstatte zunächst den Bericht über den zweiten Tagesordnungspunkt.

Österreich ist ungleich den anderen Mitgliedstaaten der EU nicht Mitglied des auslaufenden Internationalen Naturkautschukübereinkommens. Der Beitritt zum neuen Übereinkommen ist aufgrund der verpflichtenden Übernahme des "acquis" für Österreich verpflichtend.

Zielsetzung dieses Übereinkommens ist die Stärkung der Handlungsführung der Europäischen Kommission auf dem Internationalen Naturkautschukmarkt und in ihren Beziehungen zu den zumeist südostasiatischen Hauptproduktionsländern.

Die finanziellen Belastungen im Rahmen der österreichischen Beitragszahlungen bei Innehabung der derzeit zustehenden acht Stimmen werden geleistet

zum Verwaltungshaushalt,

zum Ausgleichslager,

als einmaliger Initialbeitrag sowie

als jeweilige Kosten für die Teilnahme an den Ratstagungen.

Der gegenständliche Staatsvertrag ist gesetzändernd und gesetzesergänzend, enthält aber keine verfassungsändernden Bestimmungen.

Eine Zustimmung des Bundesrates gemäß Artikel 50 Abs. 1 zweiter Satz B-VG ist nicht erforderlich, da keine Angelegenheiten, die den selbständigen Wirkungsbereich der Länder betreffen, geregelt werden.

Dem Nationalrat erschien bei der Genehmigung des Abschlusses des vorliegenden Staatsvertrages die Erlassung von besonderen Bundesgesetzen im Sinne des Artikels 50 Abs. 2 B-VG zur Überführung des Vertragsinhaltes in die innerstaatliche Rechtsordnung nicht erforderlich.

Der Außenpolitische Ausschuß stellt nach Beratung der Vorlage am 15. Oktober 1996 mit Stimmenmehrheit den Antrag, keinen Einspruch zu erheben.

Der nächste Bericht betrifft den Tagesordnungspunkt 3.

Mit dem Beitritt zur Europäischen Union übernahm Österreich die Verpflichtung, Vertragsstaat des IV. AKP-EG-Abkommens von Lomé zu werden, das die Beziehungen der Europäischen


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Union zu 70 Entwicklungsländern im afrikanischen, pazifischen und karibischen Raum regelt. Es wurde am 15. Dezember 1989 für eine Dauer von zehn Jahren abgeschlossen und zur halben Laufzeit am 4. November 1995 revidiert. Damit ist die Konvention von Lomé auf aktuellen entwicklungspolitischen Stand gebracht, der auch eine verbesserte Umsetzung des Abkommens nach sich ziehen sollte. Das interne Finanzprotokoll, der 8. Europäische Entwicklungsfonds, dient zur Finanzierung der handels- und entwicklungspolitischen Instrumente des Abkommens.

Infolge der Erweiterung der Europäischen Union am 1. Jänner 1995 um Schweden, Finnland und Österreich wurde ein separates Beitrittsprotokoll zum IV. AKP-EG-Abkommen abgeschlossen, welches die Bestimmungen der Konvention an die neuen EU-Mitgliedstaaten anpaßt. Dieses Beitrittsprotokoll wurde am 4. November 1995 in Mauritius unterzeichnet.

Dem Nationalrat erschien bei der Genehmigung des Abschlusses des vorliegenden Staatsvertrages die Erlassung von besonderen Bundesgesetzen im Sinne des Artikels 50 Abs. 2 B-VG zur Überführung des Vertragsinhaltes in die innerstaatliche Rechtsordnung nicht erforderlich.

Der Außenpolitische Ausschuß stellt nach Beratung der Vorlage am 15. Oktober 1996 mit Stimmenmehrheit den Antrag, keinen Einspruch zu erheben.

Ich komme nun zum Bericht über den Beschluß des Nationalrates betreffend ein Abkommen zur Änderung des vierten AKP-EG-Abkommens von Lomé samt Schlußakte.

Die Beziehungen der Europäischen Union zu 70 Entwicklungsländern im afrikanischen, pazifischen und karibischen Raum sind in der IV. AKP-EG-Konvention von Lomé, einem gemischten Abkommen, das am 15. Dezember 1989 für eine Dauer von zehn Jahren abgeschlossen und zur halben Laufzeit revidiert wurde, festgelegt.

Zum Zweck der Weiterentwicklung der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Dimension in der Euro-AKP-Partnerschaft wurde die Substanz des IV. AKP-EG-Abkommens im Bereich Menschenrechte, regionale Integration und Effizienz der Verfahren verbessert. Das Änderungsabkommen zum IV. AKP-EG-Abkommen von Lomé wird nach seinem Unterzeichnungsort auch Mauritius-Abkommen genannt.

Der Außenpolitische Ausschuß stellt nach Beratung der Vorlage am 15. Oktober 1996 mit Stimmenmehrheit den Antrag, keinen Einspruch zu erheben.

Präsident Josef Pfeifer: Ich danke für die Berichterstattung.

Wortmeldungen liegen mir nicht vor.

Wünscht jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall.

Der Herr Berichterstatter wünscht kein Schlußwort.

Wir kommen zur Abstimmung über den Beschluß des Nationalrates vom 3. Oktober 1996 betreffend ein Internationales Naturkautschukübereinkommen von 1995 samt Anlagen.

Ich bitte jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den vorliegenden Beschluß des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Das ist Stimmenmehrheit.


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Der Antrag, keinen Einspruch zu erheben, ist somit angenommen.

Wir kommen zur Abstimmung über den Beschluß des Nationalrates vom 3. Oktober 1996 betreffend ein Protokoll zum vierten AKP-EG-Abkommen von Lomé infolge des Beitritts der Republik Österreich, der Republik Finnland und des Königreichs Schweden zur Europäischen Union.

Ich bitte jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den vorliegenden Beschluß des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Das ist Stimmenmehrheit.

Der Antrag, keinen Einspruch zu erheben, ist somit angenommen.

Wir kommen zur Abstimmung über den Beschluß des Nationalrates vom 3. Oktober 1996 betreffend ein Abkommen zur Änderung des vierten AKP-EG-Abkommens von Lomé samt Schlußakte.

Ich bitte jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den vorliegenden Beschluß des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Das ist Stimmenmehrheit.

Der Antrag, keinen Einspruch zu erheben, ist somit angenommen.

5. Punkt

Beschluß des Nationalrates vom 2. Oktober 1996 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz, das Gewerbliche Sozialversicherungsgesetz, das Bauern-Sozialversicherungsgesetz, das Beamten-Kranken- und Unfallversicherungsgesetz, das Entgeltfortzahlungsgesetz, das Arbeitslosenversicherungsgesetz 1977, das Einkommensteuergesetz 1988 und das Bundesgesetz über die Einhebung eines Wohnbauförderungsbeitrages, BGBl. Nr. 13/1952, zuletzt geändert durch das Bundesgesetz BGBl. Nr. 376/1986, geändert werden (289/A und 325/NR sowie 5273 und 5279 der Beilagen)

Präsident Josef Pfeifer: Wir gelangen nun zum 5. Punkt der Tagesordnung: Bundesgesetz, mit dem das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz, das Gewerbliche Sozialversicherungsgesetz, das Bauern-Sozialversicherungsgesetz, das Beamten-Kranken- und Unfallversicherungsgesetz, das Entgeltfortzahlungsgesetz, das Arbeitslosenversicherungsgesetz 1977, das Einkommensteuergesetz 1988 und das Bundesgesetz über die Einhebung eines Wohnbauförderungsbeitrages, BGBl. Nr. 13/1952, zuletzt geändert durch das Bundesgesetz BGBl. Nr. 376/1986, geändert werden.

Die Berichterstattung hat Frau Bundesrätin Michaela Rösler übernommen. Ich bitte um den Bericht.

Berichterstatterin Michaela Rösler: Herr Präsident! Herr Bundesminister! Meine Damen und Herren! Der gegenständliche Beschluß des Nationalrates, dem ein Initiativantrag der Abgeordneten zum Nationalrat Annemarie Reitsamer, Dr. Gottfried Feurstein und Genossen vom 19. September 1996 zugrunde liegt, hat unter anderem Änderungen der bestehenden Werkvertragsregelung zum Inhalt. Folgende Maßnahmen sind in der neuen Regelung über freie Dienstverträge und dienstnehmerähnliche Werkverträge vorgesehen:

Anhebung der Geringfügigkeitsgrenze für freie Dienstverträge und dienstnehmerähnliche Werkverträge auf 7 000 S pro Vertrag und Auftraggeber.

Zusammenziehung der Einkommen aus einem echten Dienstvertrag und mehreren parallel abgeschlossenen Werkverträgen = freie Dienstverträge beziehungsweise dienstnehmerähnliche Werkverträge bei ein und demselben Auftraggeber zur Bemessung der Sozialversicherungsbeiträge. Das gilt auch für mehrere Auftraggeber, die in einem wirtschaftlichen Verbund stehen. Die Geringfügigkeitsgrenze liegt in diesem Fall summarisch bei 3 600 S. Liegen mehrere Werkverträge mit dem gleichen Auftraggeber vor (auch hier gilt wirtschaftlicher Verbund), sind diese hinsichtlich der Geringfügigkeitsgrenze für Werkverträge von 7 000 S kumuliert zu betrachten.

Rückerstattung von Beiträgen zur Krankenversicherung aus mehreren Versicherungsverhältnissen, die über die Höchstbeitragsgrundlage bezahlt werden, für den Auftragnehmer. Die von den Auftraggebern bezahlten Mehrfachbeträge in der Krankenversicherung über der Höchstbeitragsgrundlage sollen zur Entlastung der Krankenversicherungsbeiträge für Lehrlinge verwendet werden.


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Streichung der Anmeldung von Werkverträgen zur Sozialversicherung auf Verdacht (§ 33 Abs. 3 ASVG); Grenze für Meldepflicht bleibt bei 3 600 S.

Einführung eines Freibetrages bei der Vorabzugsteuer bis 8 000 S pro Werkvertrag und Monat; Einsetzen der Vorabzugsteuer erst bei Beträgen über 8 000 S.

Darüber hinaus wird eine Arbeitsgruppe (bestehend aus Regierung, Sozialpartnern und Sozialversicherungsexperten) eingesetzt, die an einer Weiterentwicklung des Sozialversicherungssystems arbeiten soll. Dabei soll sich die Arbeitsgruppe an einer breiten und fairen Einbeziehung der Erwerbseinkommen in die Sozialversicherung sowie einer Klärung der Abgrenzung zwischen ASVG, GSVG, FSVG und BSVG orientieren.

Der Sozialausschuß stellt nach Beratung der Vorlage am 15. Oktober 1996 mit Stimmenmehrheit den Antrag, keinen Einspruch zu erheben.

Präsident Josef Pfeifer: Ich danke für die Berichterstattung.

Wir gehen in die Debatte ein.

Zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesrat Mag. Dieter Langer. Ich erteile es ihm.

14.33

Bundesrat Mag. Dieter Langer (Freiheitliche, Wien): Herr Präsident! Herr Bundesminister! Hohes Haus! Sehr geehrte Damen und Herren! Bereits das dritte Mal innerhalb von wenigen Monaten befassen wir uns jetzt mit der Regelung und der Reparatur und der Reparatur der Reparatur der Werkverträge. Wer den Bericht des Sozialausschusses aufmerksam gelesen und das verfolgt hat, was Sie, Herr Bundesminister, dazu gesagt haben, der weiß, daß das nicht das letzte Mal sein wird, daß wir uns darüber unterhalten, denn – um mit Ihren Worten, Herr Minister, zu sprechen – wir müssen uns an diese Regelung der Werkverträge erst langsam herantasten. So werden wir noch weitere Gesetzesänderungen über uns ergehen lassen müssen, und so wird auch dieses Gesetz beziehungsweise diese Regelung der Werkverträge eine unendliche Geschichte werden, eine unendliche Geschichte, die ich bei meiner letzten Rede im Juli hier in diesem Hohen Hause mit den Worten Marx und Murks bezeichnet habe, wobei Sie leicht erahnen können, wem von den beiden Koalitionspartnern Marx und wem Murks zuzuschreiben ist. Murks trifft im Zweifelsfall auf beide Koalitionsparteien zu, denn sie schaffen mit dieser Novellierung, mit dieser angeblichen Reparatur keine Abschaffung der Probleme – Probleme der Abgrenzung, der unterschiedlichen Höhe, des unterschiedlichen Zeitpunktes des Inkrafttretens, der komplizierten Regelung, der Kosten für die Wirtschaft, der Verfassungsmäßigkeit und der Meldepflichten.

Sehr geehrte Damen und Herren! Was ist das für eine Gesetzgebungskultur, wenn Bestimmungen geschaffen werden, und zwar rückwirkend, die selbst die Abgeordneten, die sie beschließen, offenbar nicht ganz durchschauen und bei denen sich auch die Vollzugsorgane in unserem Staat, nämlich die Ministerien oder die Minister, nicht ganz auskennen – in diesem Fall auch Herr Minister Klima, der dies im Juli gesagt hat –, die aber der Normadressat, nämlich der Staatsbürger, verstehen muß, denn er trägt ja die volle Verantwortung für die Durchführung dieser Bestimmungen in Form der Haftung und wird letzten Endes mit Strafen konfrontiert, wenn er diese Bestimmungen nicht richtig anwendet. – Dinge, die erst Jahre später herauskommen werden, die durch oberstgerichtliche Erkenntnisse erst geklärt werden müssen oder die eine Kommission in Beratungen dann vielleicht wieder reparieren wird.

Der Staatsbürger, der Normadressat, ist derjenige, der unter Ihrem Husch- und Pfuschgesetz leiden wird.

Meine Damen und Herren! Es heißt immer, es sind nur wir Freiheitlichen, die alles schlechtmachen. In Wahrheit ist es so, daß Sie Ihre Sache schlecht machen, was daher auch entsprechend kommentiert werden muß.


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Es sind nicht nur die Freiheitlichen, die diese Regelung als schlecht bezeichnen. Ich darf nur einen Auszug einiger Stimmen von Kommentatoren geben, die diese Werkvertragsregelung beleuchten, die wahrlich nicht in dem Geruch stehen, für die Freiheitlichen einzutreten oder zu schreiben oder Freiheitliche zu sein.

Wirtschaftstreuhänder Karl Bruckner hält die neue Regelung für noch komplizierter als die alte und obendrein weiterhin für verfassungswidrig.

Andreas Unterberger in der Zeitung "Die Presse": "Die Werkverträge – der Unfug geht weiter".

"Ende gut, gar nichts gut. Gut kann diese Regelung nur der nennen, der begreift, warum etwa eine Grenze nun bei 7 000 S liegt, eine bei 8 000, eine dritte bei 3 600."

Ich zitiere weiter: "Aber am schlimmsten ist es, daß die Regierung mit ihren Untertanen nicht mehr in einem ordentlichen Deutsch kommunizieren kann."

Weiter Andreas Unterberger: "Ein ganzes System kommunikationsunfähiger Sozialtechnokraten hat sich als ablösereif erwiesen."

Klaus Hierzenberger, Geschäftsführer des Kreditschutzverbandes von 1870: "Ungereimt, unpraktikabel und verfassungswidrig, praxisfern, völlig unpraktikabel". Er wird die Bestimmungen vor dem Verfassungsgerichtshof bekämpfen.

Äußerungen in "NEWS": "Der Wahnsinn mit Methode."

Wieder Karl Bruckner, der Ö3-Hörern zum Thema Rede und Antwort stand, sagte nachher: "Es war unglaublich, aber jeder Fall, der mir geschildert wurde, war anders, und nicht einmal ich als Experte konnte eine klare Antwort geben."

Der Wiener Sozialrechtsexperte, Werner Sedlacek: "Jetzt ist alles noch verworrener als zuvor."

Johann Setnik, Personalchef der Wiener Städtischen Versicherung, sagt: "Ein Irrsinn, wir werden das Gesetz jedenfalls bis zum Verfassungsgerichtshof bekämpfen."

All das sind Äußerungen von Personen, aber auch von Zeitungen, die sicher nicht in dem Geruch stehen, als Blattlinie "freiheitlich" auf ihre Fahnen geheftet zu haben. Diese Liste ist nur beispielhaft, sie ließe sich endlos verlängern.

Ich will Ihnen die Probleme nicht verhehlen, die für einen Personenkreis jetzt plötzlich aufgetaucht sind, der zirka 200 000 bis 300 000 Personen in Österreich umfaßt. Jetzt nach dieser Reparatur der Reparatur sollen praktisch, wie wir im Ausschuß gehört haben, nur mehr 50 000 Menschen davon betroffen sein.

Es beginnt schon bei der Beurteilung, wann arbeiten sie "frei", wann arbeiten sie "dienstnehmerähnlich" und wann arbeiten sie "echt". So kann man das locker titulieren. Und es beginnt schon bei der Meldepflicht. Denn der Arbeitgeber – interessanterweise heißt es "Arbeitgeber", aber es ist an sich der Auftraggeber für den Werkvertrag – ist zur Meldung verpflichtet, bei 7 000 S beziehungsweise auch schon bei 3 600 S, je nachdem, und den trifft auch die volle Last der Bürokratie, aber auch die Verantwortung. Er muß jeden Auftragnehmer befragen, ob er nicht in diesem Bereich schon sozialversichert ist, und muß für die Auskunft, die ihm dieser gibt, auch die Verantwortung übernehmen. Denn das meldet er letztlich weiter, und wenn ihn der beschwindelt hat, dann haftet nicht der, der ihn beschwindelt, sondern es haftet er als Unternehmer, als derjenige, der für das Einbehalten und Abführen der Sozialversicherungsbeiträge verantwortlich ist.

Das ist also eine klare Mißverteilung der Verantwortlichkeiten. Aber damit hat auch der Unternehmer schon das Bummerl.

Man muß auch weiter folgendes beachten: Außer unterschiedlichen Beitragsgrenzen gibt es auch unterschiedliche Termine, nämlich den 1. Juli 1996 und den 1. Jänner 1997. Sie müssen


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dem Finanzamt jeden Werkvertrag melden, und sie haben zu beachten, daß sie von dem 8 000 S übersteigenden Betrag eine Vorabzugssteuer – bitte das nicht zu verwechseln mit dem Vorsteuerabzug, das klingt nur so ähnlich, ist aber etwas ganz anderes – einbehalten und abführen müssen. Zudem wurde ein Freibetrag und nicht eine Freigrenze geschaffen. Damit es noch komplizierter wird, hat dann der Auftragnehmer bis zum 31. Jänner des Folgejahres die Möglichkeit, zu beantragen, daß er Versicherungsbeiträge, die er zuviel bezahlt hat, rückvergütet bekommt. Der Auftraggeber hat diese Möglichkeit nicht, dafür werden aber letztlich die Sozialversicherungsbeiträge für die Lehrlinge im ersten Lehrjahr um 1,5 Prozent gekürzt.

Es ist jedenfalls im erheblichen Ausmaß für Beschäftigung und auch für Tonnen von Papier, die in Bewegung gesetzt werden, gesorgt. Die arme Gebietskrankenkasse beziehungsweise der Sozialversicherungsträger, wie es so schön heißt, kann das Papier, das er Ende Juli für Dinge, die ab 1. Juli schon in Kraft gewesen waren, herausgegeben hat, einstampfen, weil jetzt der Großteil wieder neu ist. Er hat in seinem acht Seiten langen Informationsblatt auch bekanntgegeben, daß er über weitere Details und über die Form der Durchführung des Jahresausgleiches noch weiter ausführlich informieren wird. Die Arbeitgeber und auch die geschätzte Bevölkerung können also gespannt darauf sein, wie alle diese komplizierten Regelungen dann administriert werden.

Es geschieht ein massiver Eingriff in bestehende Wirtschaftsabläufe, auf die ich noch später zu sprechen kommen werde, wobei in diesem nun entstehenden Chaos natürlich auch Platz für etliche Schmankerl sein wird. Herr Johannes Strohmayer, seines Zeichens Steuerberater und auch Mitglied des Liberalen Forums (Bundesrat Dr. Kaufmann: Das ist aber ein Freiheitlicher! – Bundesrat Dr. Kapral: Kein Freiheitlicher!) – beim Liberalen Forum hat er auch kandidiert –, hat gesagt: In diesem Bereich wird der Wahnsinn total.

Wird beispielsweise ein freiberuflicher Sprachlehrer ohne Gewerbeschein für einen einwöchigen Kurs oder Lehrgang verpflichtet, so wird aus dem Werkvertrag ein freier Dienstvertrag, weil es sich plötzlich nicht um ein einmaliges Werk, sondern um eine durchgehende Tätigkeit handelt. Wenn er dafür 12 000 S erhält, dann sind nun Sozialversicherungsbeiträge und auch der Steuerabzug fällig.

Da gibt es aber einen Ausweg: Wenn sich die Möglichkeit ergibt, daß dieser einwöchige Kurs über das Monatsende hinweg läuft, dann verteilt sich das Gesamteinkommen für diesen Werkvertrag – oder was ist es jetzt?, ein freier Dienstvertrag, glaube ich, oder ist es vielleicht doch ein dienstnehmerähnlicher?, nein, es ist eher doch ein freier Dienstvertrag –, dann liegt er wieder unter der Grenze, und es ist praktisch nichts fällig dafür, obwohl es sich um einen einheitlichen Auftrag handelt. Es wird sich in Zukunft alles noch herausstellen, was da jetzt alles wahr daran ist. Aber urteilen Sie bitte selbst, wie praktikabel und in die Praxis umsetzbar diese Regelung ist.

Meine Frage im Ausschuß nach den Unterscheidungskriterien wurde dahin gehend beantwortet, daß der Vertreter des Ministeriums gesagt hat, er wolle keine Vorlesung halten. Es wäre aber wahrscheinlich doch notwendig gewesen, diese zu halten, um tatsächlich die Unterscheidungskriterien auf den Tisch zu legen. Er hat dann gemeint: Letztendlich bliebe über, daß dienstnehmerähnliche Beschäftigte – er hat nicht mehr von Beschäftigungsverhältnissen gesprochen, sondern schon "Beschäftigte" gesagt – persönlich unabhängig und wirtschaftlich abhängig seien, während der freie Dienstnehmer – auch hier ist bereits wieder die Rede von einem Dienstnehmer – persönlich unabhängig, dafür aber entweder wirtschaftlich abhängig oder wirtschaftlich unabhängig sein kann.

Ich frage Sie jetzt, wo die Unterscheidungskriterien liegen, aber wir können das selbst im Text nachlesen, und dann wird es ja hoffentlich dem Staatsbürger klar werden, was der Gesetzgeber damit meint, wenn er freie Dienstverträge als solche bezeichnet, die sich auf bestimmte oder unbestimmte Zeit zu Dienstleistungen für einen Auftraggeber verpflichten, ohne Dienstnehmer zu sein, und aus dieser Tätigkeit ein Entgelt beziehen.

Im Prinzip ist es an sich klar – was bräuchte man also noch mehr? – Kompliziert wird es erst, wenn ich dann betrachte, was dienstnehmerähnliche Vereinbarungen sein können. Die beziehen


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sich nämlich auf Personen, die aufgrund einer oder mehrerer vertraglicher Vereinbarungen dienstnehmerähnlich für einen Auftraggeber gegen Entgelt beschäftigt sind.

Es ist also beiden gemeinsam, daß sie für einen Auftraggeber beschäftigt sind und dafür bezahlt werden. Sie beziehen also ein Honorar. Warum soll man da jetzt unbedingt Unterscheidungskriterien mit unterschiedlichen Rechtsfolgen einbauen, wenn die Abgrenzung so schwierig ist?

Es gibt also mögliche Beispiele für freie Dienstverträge. Darunter fallen Bauleiter oder Buchhalter. Auch Schneeräumer und Fahrlehrer sollen angeblich darunterfallen. Das wären die freien Dienstverträge.

Bei den dienstnehmerähnlichen Vereinbarungen wird aber die menschliche Arbeitsleistung in den Vordergrund gerückt – als ob die anderen nicht auch Menschen wären, die eine Arbeit leisten. Es muß auch keine nennenswerte eigene unternehmerische Struktur vorhanden sein, was bei einem Schneeräumer, der außer einer Schaufel nichts braucht, auch nicht unbedingt gegeben ist. Daher finden die Unterscheidungskriterien in diesen beiden Fällen keine Anwendung, aber möglicherweise greifen andere Unterscheidungskriterien Platz. Man hat in der Wirtschaftskammer versucht, das zu strukturieren: Es gibt neun Kriterien, nach denen man beurteilen muß, ob es sich um einen normalen Dienstnehmer, einen freien Dienstnehmer oder einen dienstnehmerähnlichen Auftragnehmer handelt. Wobei man den echten Werkvertrag da schon ausgeklammert hat, denn der echte Werkvertrag hängt wohl offenbar jetzt nicht mehr an der Definition des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches, sondern hängt einfach daran, ob derjenige selbst aufgrund seiner Tätigkeit Sozialversicherung zahlt oder nicht.

Ich möchte Sie nicht langweilen mit den einzelnen Unterscheidungsmerkmalen. Nur wenn Sie sich das bitte durchlesen – Sie haben das auch bekommen, Dr. Kaufmann, das ist mir schon klar – und zu Gemüte führen, dann werden Sie sich auch selbst fragen, wozu dann das Ganze – von der Möglichkeit der Verfassungswidrigkeit gar nicht zu reden. Das Problem der Kolporteure darf ich offenbar gar nicht mehr ansprechen, denn der Vertreter des Ministeriums im Ausschuß hat gesagt: Das Problem der Kolporteure ist gar keines mehr, weil es ein oberstgerichtliches Erkenntnis gibt, daß diese Dienstnehmer sind und daher gar nicht unter diese Regelung fallen.

Jetzt frage ich Sie: Was hat eine Ausnahmebestimmung für eine bestimmte Personen- oder Beschäftigtengruppe in einem Gesetz zu suchen, das für sie nicht zutrifft, weil sie ohnehin Dienstnehmer sind? Das nur zur Gesetzgebungskultur, mit der wir uns hier auseinandersetzen müssen.

Warum also überhaupt diese sachlich nicht gerechtfertigte unterschiedliche Behandlung mit all dem Verwaltungsaufwand, der auf uns zukommt, und mit all den Haftungen, die der Staatsbürger für etwas, wo der Gesetzgeber die Unterscheidungskriterien selbst nicht eindeutig klarlegen kann, übernehmen muß? Warum ist es nicht möglich, zu sagen, das alles sind selbständig Erwerbstätige? – Ganz gleich, ob sie einen Gewerbeschein besitzen oder nicht, sie unterliegen entweder dem gewerblich selbständigen oder dem freiberuflich selbständigen Sozialversicherungsgesetz und den darin festgelegten Beiträgen, und als eigenverantwortliche Staatsbürger sind sie selbst verantwortlich für das Abführen der Sozialversicherung und das Abführen ihrer Steuer.

Ich sehe, daß die Kollegen von der sozialdemokratischen Seite den Kopf schütteln. Das ist der Marx in der ganzen Angelegenheit, denn Sie alle zwangsbeglücken und sehen für diejenigen Strafbestimmungen vor, die dafür verantwortlich sein müssen, daß sie Inkassodienste – kostenlos natürlich – für den Staat leisten. Daß bei dem Ganzen ein Murks herauskommt, das wissen Sie alle selbst, sonst würden Sie ja nicht die Kommission ins Leben rufen und sagen, wir reparieren die Reparatur der Reparatur.

Sie beschließen jetzt eine Novelle – und ich darf Sie bitten, sich das wirklich vor Augen zu halten –, die an den wesentlichen Problemen, die mit der Einführung der Werkvertragsregelung geschaffen wurden, nichts ändert. Sie ändern nichts daran, daß es eine mögliche soziale Schlechterstellung für Dienstnehmer gibt, weil die Unternehmen auf billigere neue Vertragstypen ausweichen können – legal, bitte! Sie vernichten Arbeitsplätze, denn es gibt Gewerbebetriebe,


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die durch die zusätzlichen Kosten und den Verwaltungsaufwand, den diese Regelung hervorruft, gezwungen sein werden, ins Ausland abzuwandern.

Das ist eine dramatische zusätzliche Belastung für Wirtschaftsbereiche, die sehr viele Werkverträge abschließen. Sie haben dafür gesorgt, daß diese Belastungen für staatliche oder Kammerinstitutionen nicht Platz greifen, denn für diesen Bereich gibt es Ausnahmeregelungen. Sie haben den hohen Verwaltungsaufwand nicht beseitigt, die Abgrenzungsschwierigkeiten eher noch erhöht, die Rechtsunsicherheit verstärkt und den Änderungsbedarf nach wie vor aufrecht gelassen.

Sehr geehrte Damen und Herren! Das ist für die Arbeit dieser Koalitionsregierung typisch. Sie haben es in den vergangenen elf Jahren geschafft, an allen wesentlichen Problemen Österreichs vorbeizugehen und sie nicht gelöst zu haben. Sie haben sie entweder zu spät oder unzulänglich in Angriff genommen und lediglich Notreparaturen vorgenommen. Es hat sich an den Strukturen, vom Budgetdefizit bis zur Sozialversicherung, nichts geändert. Statt mit dem Sparen im eigenen Bereich zu beginnen, ziehen Sie den Bürgern dieses Landes das Geld aus der Tasche und bauen bürokratische Schikanen auf.

Überhaupt ist die Rolle der Politiker und Interessenvertreter im Zusammenhang mit dieser Werkvertragsregelung äußerst genant. Lajos Ruff vom "trend" betitelt das mit: "Was soll man von Politikern halten, die ein Gesetz zuerst beschließen, um es wenig später als Pfuschwerk zu beschimpfen?"

Wenn man den ganzen Eiertanz rund um diese Werkvertragsregelung in den letzten Monaten beobachtet hat, dann muß man sagen, daß diese Werkvertragsregelung nur ein weiteres Beispiel der doppelzüngigen Politik Ihrer Koalitionsregierung ist, Ihres Spieles mit dem Wähler, wieder ein Beispiel dafür, daß Sie etwas versprechen und dann nicht halten, daß sie nach außen hin etwas anderes sagen, als Sie dann tatsächlich machen. Ich bringe in Erinnerung – nur schlagwortartig –: die monatliche Haushaltsersparnis von 1 000 S, die Gitti Ederer versprochen hat, die Vranitzky-Briefe an die Pensionisten mit einer Garantieerklärung, der dann letztlich eine Kürzung der Pensionisteneinkommen folgte. All das sind Beispiele für die Abgehobenheit von der Bevölkerung, die Sie, sehr geehrte Damen und Herren, aufweisen.

Ich erinnere an das Geschrei Häupls betreffend die Stadtautobahn-Maut, die er mit beschließt und dann plötzlich bekämpft, oder an die Krankenscheingebühr. Nach außen hin anders reden, als dann gehandelt wird. Die Rechnung für all das, sehr geehrte Damen und Herren, haben Sie am vergangenen Sonntag präsentiert erhalten. Es hat wirklich niemand von Ihnen Grund zum Jubeln, auch nicht die Vertreter der ÖVP, die zumindest bei der EU-Wahl ein besseres Ergebnis als bei der Nationalratswahl vorweisen können. Die Rolle Ihrer Vertreter, vor allem der Wirtschaftsvertreter, bei dieser Werkvertragsregelung war einmal mehr wirtschaftsfeindlich.

Von der Bundeskammer hat man in diesem Zusammenhang nicht viel gehört. Das ist eigentlich auch kein Wunder, denn der Hauptverantwortliche aus diesem Bereich für diesen Murks ist der jetzige Herr Wirtschaftsminister. Er war bekanntlich vorher Generalsekretär-Stellvertreter der Bundeskammer. Er hat in seiner ersten "Pressestunde" zugegeben, daß er als Experte der Wirtschaftskammer bei den Verhandlungen um das Belastungspaket delegiert war und er für diese Werkvertragsregelung hauptverantwortlich zeichnet. Das hat er selbst gesagt. (Zwischenruf des Bundesrates Dr. Kaufmann. ) Das hat er selbst gesagt. Das läßt sich nachweisen, Herr Dr. Kaufmann!

Auf die Frage des Interviewers, ob er nicht gehört habe, daß es im Bereich der Wirtschaft besorgte Stimmen gibt, daß das unadministrierbar ist, daß das eine Belastung für die Wirtschaft darstellt, hat er dann gesagt, er stehe zu dieser Werkvertragsregelung. Auf die weitere Frage, ob er die Wirtschaft damit wirklich so belasten könne, hat er gesagt, an ihn habe sich noch niemand gewendet, er habe noch keine Beschwerden gehört.

Das war seine erste "Pressestunde", und dann ist er zu diesem Thema in der Versenkung verschwunden. Ich nehme an, aus gutem Grund.


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Herr Dr. Kaufmann! Ich muß dazusagen: Dr. Farnleitner kommt nicht aus der Wirtschaft. Er kommt nicht aus der Praxis. Er kommt eben aus der Kammer. (Bundesrat Dr. Kaufmann: Sie können doch ihn nicht für die Werkvertragsregelung verantwortlich machen!) Ja, selbstverständlich – wenn er das selbst zugibt. Er hat das doch selbst zugegeben. Haben Sie seine erste "Pressestunde" nicht gesehen? Ich glaube, Anfang Juli war sie, ich habe sie ganz genau verfolgt.

Er hat offenbar als Lohn dafür, daß er im Zuge des Sparpaketes außer der Werkvertragsregelung noch viele andere, die Wirtschaft belastende Regelungen ausgehandelt hat, die Leitung des Wirtschaftsressorts bekommen.

Sehr geehrte Damen und Herren! So ein Wirtschaftsminister kann doch nur eine gefährliche Drohung für die Wirtschaft sein.

Als vom Vizekanzler abwärts bis zum Kammerpräsidenten Nettig alle von einem Pfusch gesprochen haben, von einer totalen Korrektur, ist er dann auf Tauchstation gegangen. Da frage ich mich schon: Hat man das wirklich von vornherein nicht erkannt? – Und auch da zitiere ich Lajos Ruff: "Waren die Damen und Herren zu beschäftigt, um genau zu lesen, was sie beschließen? Reichen ihre Kapazitäten nicht aus, um die Tragweite ihres Tuns zu erkennen? Haben sie keine Fachberater, die rechtzeitig auf die vielen eingebauten Unsinnigkeiten aufmerksam machen? – Unüberlegt, verfassungswidrig, nicht administrierbar."

Den Vogel in diesem Zusammenhang schoß der Wiener ÖVP-Obmann Görg ab. Er wollte offenbar auf einen fahrenden Zug aufspringen, den andere in Bewegung gesetzt hatten. Er ist nämlich auch unter die Briefeschreiber gegangen und hat einen Brief an die Wienerinnen und Wiener geschrieben und eine großangelegte Unterschriftenaktion ins Leben gerufen.

"Die Wiener Volkspartei fordert daher auf", so sagt er in seinem Brief, "daß die Neuregelung" – gemeint sind die Werkverträge – "sofort außer Kraft gesetzt und der ursprüngliche Zustand wiederhergestellt wird." Weiters heißt es darin: "Stadtrat Görg setzt mit dieser Unterschriftenaktion eine Initiative, um die neuen Regelungen sofort rückgängig zu machen und einen Diskussionsprozeß in Gang zu bringen." – Den hat es zwar tatsächlich gegeben, aber es ist nichts außer Kraft gesetzt worden, es ist nichts rückgängig gemacht worden, und, sehr geehrte Damen und Herren, mit dieser Forderung hat sich der Obmann Görg auch bei der heutigen Novelle nicht durchgesetzt, denn es wurde zwar eine Änderung durchgeführt, aber nichts verbessert, im Gegenteil.

Ich habe aber noch kein Dementi gehört. Es ist also offenbar der unverrückbare Wunsch des Wiener Parteiobmannes der ÖVP, die Werkvertragsregelung abzuschaffen. Und das, sehr geehrte Damen und Herren, müßte doch eigentlich ein Auftrag an die Wiener Bundesräte sein, ihren Stadtparteiobmann nicht im Regen stehen zu lassen. (Bundesrat Dr. Rockenschaub: Einige stimmen dagegen!) Das haben sie schon gesagt? – Da bin ich sehr dafür und gratuliere zu dieser Haltung. Es wird aber letztlich, so fürchte ich, an der Werkvertragsregelung nichts ändern, weil sie mit Mehrheit beschlossen werden wird.

Die Wählerinnen und Wähler haben eine derartige Politik und die Politik der vergangenen Jahre auf ihre Art und Weise honoriert. Es ist, sehr verehrte Damen und Herren von der Koalition, allein Ihr Problem, wie Sie damit fertigwerden. Das Problem des Staatsbürgers ist es jedoch, daß Sie ihn mit unsinnigen, nicht administrierbaren und belastenden Gesetzen quälen. Wir Freiheitlichen, sehr geehrte Damen und Herren, werden einer derartigen Quälerei, wie sie mit dem vorliegenden Gesetz betrieben wird, unsere Zustimmung nicht geben. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

15.04

Präsident Josef Pfeifer: Das Wort erhält Frau Bundesrätin Aloisia Fischer. – Bitte.

15.04

Bundesrätin Aloisia Fischer (ÖVP, Salzburg): Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Hoher Bundesrat! Uns liegt der Beschluß des Nationalrates vom 2. Oktober dieses Jahres


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betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz, das Gewerbliche Sozialversicherungsgesetz, das Bauern-Sozialversicherungsgesetz, das Beamten-Kranken- und Unfallversicherungsgesetz, das Entgeltfortzahlungsgesetz, das Arbeitslosenversicherungsgesetz 1977, das Einkommensteuergesetz 1988 und das Bundesgesetz über die Einhebung eines Wohnbauförderungsbeitrages, BGBl Nr. 13/1952, zuletzt geändert durch das Bundesgesetz BGBl Nr. 376/1986, geändert werden, vor.

Sinn dieses Gesetzesbeschlusses war es, die bestehende Regelung über Werkverträge zu korrigieren und zu erleichtern. Ich habe an den Beginn meiner Wortmeldung bewußt die Aufzählung aller zu ändernden Gesetze gestellt, sozusagen als abschreckendes Beispiel. Damit die bestehende Werkvertragsregelung korrigiert werden kann, bedarf es der Änderung von acht Gesetzen, sicher ein in Gesetzgebung und Verwaltung üblicher, immer wieder zu beobachtender Vorgang. Und dennoch: An diesem Beispiel können wir sehen, wie vordringlich die Koordinierung und Vereinfachung unserer Sozialgesetzgebung ist. Ich bin sicher, daß mancher Irrweg, viele Fehler, eine Menge Mehrarbeit und Unzulänglichkeiten der für den einzelnen kaum mehr zu überblickenden Materie besonders diesem Mangel zuzuschreiben sind.

Wenn wir ernsthaft unser Sozialversicherungssystem effizienter gestalten und organisieren wollen, müssen wir uns vor allem daran machen, die Sozialgesetzgebung zu vereinfachen. Absolut notwendig wird es allerdings sein, daß von vornherein Frauen und Männer aus der Praxis eingebunden werden. Die Bemühungen der damit beauftragten Arbeitsgruppe verdienen unsere aufmerksame Unterstützung.

Bei Anlaßgesetzen wird es immer Hunderte Wenn und Aber geben. Es wird immer schwierig sein, eine optimale Lösung zu finden. Uns allen ist sicher bewußt, daß die vorliegende Gesetzesänderung betreffend freie Dienstverträge und dienstnehmerähnliche Werkverträge auch dieses Mal wieder einen Kompromiß darstellt. Es liegt nun aber einmal in der Natur der Kompromisse, daß sie niemals alle Beteiligten restlos zufriedenstellen.

Ich muß dabei aber schon auch erwähnen, daß hinter dem ganzen Unterfangen der positive Wille steht, das Umgehen der Sozialversicherungspflicht für eine Gruppe unserer Bürger einzudämmen.

Eine der letzten Lücken im Sozialversicherungsnetz soll geschlossen werden, und zwar für Personen, die bisher über keinen sozialen Schutz verfügten.

Vor mehr als drei Jahrzehnten gingen unsere Vorgänger daran, mit der Einbeziehung der selbständig Erwerbstätigen in die gesetzliche Sozialversicherung die soziale Sicherheit auf Personengruppen auszudehnen, die bisher gezwungen waren, einen Großteil der sozialen Lasten unmittelbar selbst zu tragen. Ich weiß, daß sich damals viele meines Berufsstandes, viele Bauern, gegen diese sogenannte Zwangsversicherung gewehrt haben. Heute ist von diesem Widerstand nichts mehr übrig, ganz im Gegenteil: Ohne Kranken-, Pensions- und Unfallversicherung wären die Selbständigen viel krisenanfälliger.

Mit der Anhebung der Geringfügigkeitsgrenze für freie Dienstverträge und dienstnehmerähnliche Werkverträge auf 7 000 S pro Vertrag und Auftraggeber erscheint mir gesichert, daß das Augenmaß gewahrt wurde.

Daß die Umgehungsmöglichkeit des Splittings durch Zusammenziehung der Einkommen aus echten Dienstverträgen und mehreren parallel abgeschlossenen Werkverträgen bei ein und demselben Auftraggeber hintangehalten wird, ist eine plausible operative Maßnahme. Die Art und Weise, wie die Rückerstattung der Beiträge zur Krankenversicherung aus mehreren Versicherungsverhältnissen, die über die Höchstbeitragsgrundlage hinaus bezahlt werden, geregelt ist, mag auf den ersten Blick bürokratisch ausgeklügelt anmuten, ist aber vom sozialen Grundgedanken her vertretbar.

Daß die Grenze für die Meldepflicht weiterhin bei 3 600 S verbleiben muß, ist naheliegend und deshalb vonnöten, damit die Möglichkeit besteht, von mehreren parallel abgeschlossenen Werk


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verträgen ebenfalls Meldung zu erhalten, um sie zusammenziehen und kumuliert betrachten zu können.

Auch diese Aspekte sind zu werten, sodaß nicht das Abkassieren der erste Beweggrund ist, sondern daß Menschen, die bisher keinen oder keinen ausreichenden sozialen Schutz genossen haben, nun in das Netzwerk der sozialen Sicherheit einbezogen werden – allerdings: ob sie dies nun wollen oder nicht. Aber, meine Damen und Herren: Auch unsere Bauern wehrten sich einst gegen die Zwangsversicherung, aber ihre Kinder und Kindeskinder sind heute froh, in der Riskengemeinschaft drinnen und nicht draußen zu sein.

Zum Schluß kommend möchte ich feststellen, daß die Gesetzwerdung der Werkvertragsregelung bestimmt nicht zu den Ruhmesblättern der parlamentarischen Arbeit gehört (demonstrativer Beifall bei den Freiheitlichen) , daß es aber gerade für den Parlamentarismus spricht, wenn Fehler und Unterlassungen rasch zu einer Reform führen! – Ich bedanke mich. (Beifall bei der ÖVP.)

15.12

Präsident Josef Pfeifer: Am Wort ist Herr Bundesrat Mag. Harald Repar. – Bitte.

15.12

Bundesrat Mag. Harald Repar (SPÖ, Kärnten): Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Bundesminister! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Hohes Haus! Ich möchte die vorgelegte Gesetzesänderung zum Anlaß nehmen, um noch einmal in aller Kürze die Intentionen des Gesetzgebers darzustellen. (Ruf bei den Freiheitlichen: Geldbeschaffung!) Die Intentionen des Gesetzgebers sind die, daß grundsätzlich alle Erwerbstätigen in Österreich sozialversichert sein sollen, egal ob Landwirte, Gewerbetreibende, Arbeiter, Angestellte oder Beamte. Alle zahlen je nach ihrem Einkommen Beiträge an die Solidargemeinschaft ein. Arbeiter und Angestellte mußten dies auch vor dem 30. Juni für Erwerbseinkommen ab 3 600 S bis zur Höchstbeitragsgrundlage von 39 000 S monatlich, Auftragnehmer von sogenannten unechten Werkverträgen hingegen standen bis zum 30. Juni außerhalb der Sozialversicherung, und zwar ohne Schutz und ohne Beitragsleistung.

Immer mehr Unternehmer sind in den letzten Jahren – nicht zuletzt auch mit dem Ziel der Gewinnmaximierung – dazu übergegangen, Werkverträge ohne Sozialversicherung statt regulärer Dienstverhältnisse abzuschließen, und zwar mit sehr stark steigender Tendenz. Aufgrund der angespannten Arbeitsmarktsituation wurden schließlich – wie ich schon vorhin angeführt habe – vor allem jungen Arbeitnehmern nur mehr freie Dienstverträge angeboten. Nach der neuen Werkvertragsregelung werden freie Dienstverträge und dienstnehmerähnliche Werkverträge seit 1. Juli in die Sozialversicherung miteinbezogen, und das war auch dringend notwendig. Es gibt gute Gründe dafür, meine Damen und Herren! Jene, die bisher trotz Erwerbstätigkeit ohne sozialen Schutz waren, sollen nicht allein gelassen werden.

Positiv betroffen von der Werkvertragsregelung ist auch die gesamte Solidargemeinschaft, denn die Sozialversicherungsbeiträge, die bisher bei unechten Werkverträgen durch die Umgehungsmöglichkeit nicht geleistet wurden, wurden bisher von allen anderen gewissermaßen mitbezahlt, um Gesundheitsvorsorge, Krankenbehandlung oder die Pensionen weiterhin zu sichern. Beschäftigte in einem Dienstvertrag zahlten also drauf. Diese Ungerechtigkeit gegenüber jenen, die ihre Beiträge Monat für Monat ablieferten, ist jetzt ausgeräumt.

Lücken im Sozialversicherungssystem beziehungsweise im Sozialversicherungsrecht zu schließen, liegt letztlich auch im Sinne aller Betriebe dieses Landes, denn Unternehmer, die ihre Arbeit bisher über unechte Werkverträge vergeben hatten, verschafften sich gegenüber jenen, die ihre Mitarbeiter korrekt als unselbständig Beschäftigte anmeldeten, erhebliche Kosten- und Wettbewerbsvorteile.

Eine niedrige Untergrenze für die Versicherungspflicht stellt eine besondere Sozialmaßnahme für einkommensschwache Menschen, die tatsächlich nicht mehr verdienen, dar. Umgekehrt ist es so: Diese Grenze konnte bis 30. Juni auch mißbraucht werden, indem sich jemand trotz


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hohen Erwerbseinkommens durch unechte Werkverträge seiner Sozialversicherungspflicht weitgehend entzog.

Die Schließung dieser Umgehungsmöglichkeiten zur Wahrung der Beitragsgerechtigkeit und der sozialen Sicherheit für alle war daher eine unumgängliche sozialpolitische Maßnahme und ist daher auch zu begrüßen. Es ist aber auch wichtig, daß alle in diesem Land sozialen Schutz haben. Dafür müssen aber auch die erforderlichen Geldmittel gerecht hereingebracht werden.

Ich gebe zu, daß es sich bei dieser Materie um eine sehr komplexe, komplizierte Materie handelt und daß diese sicherlich nicht von Anfang an perfekt geregelt war. Ich möchte auch darauf Bezug nehmen, was heute hier gesagt wurde, daß nämlich auch in Zukunft weiter darüber gesprochen werden wird. Das wird immer so sein, weil man sich an die Gegebenheiten der Zeit anpassen, neue Regelungen treffen und neue Erfordernisse entsprechend regeln muß.

Ich möchte von den heute hier zu beschließenden Änderungen nur noch einen Punkt erwähnen: die Geringfügigkeitsgrenze für freie Dienstverträge und dienstnehmerähnliche Werkverträge, die von derzeit 3 600 S auf 7 000 S pro Vertrag und Auftraggeber angehoben wird. Hierbei handelt es sich um ein Kompromißangebot. Unser Vorschlag war ja, wie es ursprünglich beschlossen war, die Geringfügigkeitsgrenze mit 3 600 S festzulegen.

Ich darf zum Schluß kommen und sagen, daß das politische Ziel sein muß, nicht zwei Kategorien von Arbeitnehmern zu schaffen, nämlich die einen, die Sozialversicherungsbeiträge zahlen und auch Schutz genießen können, und die anderen, die keine Beiträge leisten und daher auch keinen Schutz haben. Wir Sozialdemokraten werden es nicht zulassen, daß jene Intentionen die Vorderhand bekommen, die darauf abzielen, die Pflichtversicherung aufzuheben, die darauf abzielen, daß die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer dem freien Markt der Versicherungsgesellschaften übergeben werden.

Wir wollen keine amerikanischen Verhältnisse. Wir wollen unser Sozialversicherungssystem zum Schutze der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aufrechterhalten. Wir werden nicht zulassen, daß die Arbeitnehmerrechte und Sozialversicherungsrechte irgendwie umgangen werden, um – wie ich vorhin gesagt habe – einzelne Unternehmer in ihrer Intention zu bestärken, ihre Gewinne zu maximieren.

Wir werden uns um die Sozialversicherungsrechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer dieses Landes auch in Zukunft kümmern. Ich empfehle daher dem Bundesrat, die heute vorgelegten Änderungen zur Kenntnis zu nehmen beziehungsweise ihnen die Zustimmung zu erteilen, da ich, wie gesagt, die Werkvertragsregelung grundsätzlich für gut halte. (Beifall bei der SPÖ.)

15.18

Präsident Josef Pfeifer: Danke. – Weiters hat sich Herr Bundesrat Engelbert Weilharter zu Wort gemeldet. – Bitte.

15.18

Bundesrat Engelbert Weilharter (Freiheitliche, Steiermark): Herr Präsident! Herr Minister! Meine Damen und Herren! Zum dritten Mal in kurzer Zeit – innerhalb eines Jahres – steht die Thematik der sogenannten Werkverträge zur Diskussion und zur Beratung. Mein Kollege Mag. Langer hat richtig bemerkt – es war auch dem Bericht zu entnehmen –, daß sich in dieser Debatte kein Ende abzeichnet. Es ist geplant, mit den Sozialpartnern und Sozialversicherungsträgern weiterzuverhandeln. – Also ein "Ende nie" in dieser Causa.

Meine Damen und Herren! Ich glaube, daß diese Thematik und vor allem diese Vorgangsweise der Reparatur der Reparatur nicht das Problem der Betroffenen, sondern vielmehr eine Identitätskrise der derzeitigen Regierung ist. Sie weiß nicht, für wen sie steht, für wen sie Entscheidungen trifft.

Meine Damen und Herren! Ich verstehe die Sozialdemokraten nicht. Sie haben sich als Arbeitnehmervertretung verabschiedet. Jetzt, meine Damen und Herren von der Sozialdemokratie,


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entledigen Sie sich auch noch der Arbeitnehmerinteressen. Dies, meine Damen und Herren, ist Ihre Entscheidung, dies ist Ihr Weg, Sie haben ihn gewählt. Die Österreicherinnen und Österreicher haben diese Ihre Entscheidung am 13. Oktober zur Kenntnis genommen! (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Meine Damen und Herren! Noch viel unverständlicher ist mir aber in dieser Frage die Haltung der Österreichischen Volkspartei. Gerade die Österreichische Volkspartei hat diese vorliegende Reparatur-Novelle bereits als Erfolg feiern lassen und gefeiert. Das ist kurzsichtig, meine Damen und Herren, und zwar deshalb, weil sich die Euphorie, die Sie über diese Novelle verbreiten, als Pyrrhussieg entpuppen wird. Es ist ein Pyrrhussieg, und das bestätigen Ihnen viele Experten, das wird Ihnen durch viele Zeitungsmeldungen bestätigt.

Um nicht in den Verdacht zu kommen, daß das folgende ein freiheitliches Zitat ist oder einer der FPÖ nahestehenden Zeitung entstammt, darf ich Ihnen dazu aus einer Zeitung zitieren, die durchaus Ihrer Ideologie nahesteht. Sie titulierte am 12. Oktober richtig: "Werkverträge – heimlich weitere Verschärfungen".

Ich zitiere aus dem Artikel mit der Überschrift "Werkverträge – neue Details":

"Jeder Schilling, den ein Dienstnehmer bei seinem Dienstgeber über einen zusätzlichen Werkvertrag verdient, ist sozialversicherungspflichtig. Das bedeutet konkret: Wer ein aufrechtes Dienstverhältnis hat, kann beim selben Dienstgeber zwar Werkverträge haben, diese werden zur Bemessung der Sozialversicherung aber mit dem Gehalt zusammengezählt. Dies gilt auch für Werkverträge mit Unternehmen, an denen Beteiligungen bestehen oder die eng zusammenarbeiten. Bei völlig fremden Auftraggebern besteht nach wie vor eine Geringfügigkeitsgrenze." – Zitatende.

Meine Damen und Herren! Wo bleibt in dieser Frage die ÖVP? Wo bleibt in dieser Frage der Wirtschaftsbund? – Ich frage mich: Ist die soziale Verschlechterung, die in dieser Novelle beinhaltet ist, der Erfolg der ÖVP, des Wirtschaftsbundes?

Meine Damen und Herren von der ÖVP! Ich frage mich gemeinsam mit vielen Tausenden Österreicherinnen und Österreichern: Ist es ein Erfolg der ÖVP, daß sich der Verwaltungsaufwand aufgrund dieser Novelle erhöhen wird? Die Beteiligten – Vertraggeber, Vertragnehmer, die Sozialversicherung, die Finanz – sind mit erheblichem Verwaltungsaufwand konfrontiert.

Meine Damen und Herren von der Österreichischen Volkspartei! Ist es ein Erfolg von Ihnen, wenn sich aufgrund der verschiedenen Vertragstypen Abgrenzungsschwierigkeiten ergeben werden? Ist es ein Erfolg, wenn der Direktvertrieb aufgrund dieser Gesetzesvorlage ins Ausland abwandern wird? Ist es ein Erfolg Ihrer Partei, wenn sich Arbeit- und Vertragsgeber dem Finanzminister in der Form hingeben, daß sie kostenlosen Kredit in Form der Abzugssteuer gewähren?

Meine Damen und Herren von der Österreichischen Volkspartei! Feiern Sie es als Erfolg, wenn Ausnahmen im Bereich der Erwachsenenbildung geschaffen werden? – Hier verstehe ich Sie vielleicht. Sie stimmen wahrscheinlich dieser Gesetzesvorlage zu, weil es eben diese Ausnahme im Bereich der Erwachsenenbildung gibt. Ihr geschützter Bereich, das Wirtschaftsforschungsinstitut, ist in diesem Bereich ausgenommen. (Abg. Dr. Kaufmann: Nicht Wirtschaftsforschungsinstitut, Wirtschaftsförderungsinstitut!) Ja, Wifi, Entschuldigung, Kollegen. Da haben Sie natürlich wieder in koalitionärem Gleichklang mit den Sozialdemokraten an diesen Bereich gedacht. Wenn das das einzige Motiv dieser Novelle ist, so frage mich, wo die Vertreter der kleinen und mittleren Wirtschaft in der ÖVP bleiben!

Meine Damen und Herren von der Österreichischen Volkspartei! Ist es Ihr Erfolg, daß Sie mit dieser Gesetzesvorlage eine Zweiklassengesellschaft schaffen?

Meine Damen und Herren von der Österreichischen Volkspartei! Ich würde dafür Verständnis haben, wenn die Wirtschaftsvertreter ihre Bedenken anmelden und dieser Novelle ihre Zustimmung verwehren würden. Ein Erfolg wäre es, wenn dem ersten Schritt ein zweiter gefolgt wäre,


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nämlich vorweg eine Sozialversicherungsreform vorzunehmen. Ein Erfolg wäre es, wenn die Konsequenzen aus dieser Novelle nicht rückwirkend beschlossen worden wären, damit sich die Beteiligten, Vertragsnehmer und Vertragsgeber, rechtzeitig orientieren können. Ein Erfolg wäre es, meine Damen und Herren von der Österreichischen Volkspartei, wenn die Regelung, die diese Novelle beinhaltet, rechtlich klar definiert wäre, damit keine Rechtsunsicherheit für die Beteiligten besteht.

Meine Damen und Herren! Ein Erfolg wäre es auch – und das würde Ihnen gut anstehen –, wenn Sie nicht den Interessen des Wifi Rechnung tragen würden, sondern gerade als Funktionäre des Wirtschaftsbundes Ihren Gewerbetreibenden, den Arbeitgebern, indem Sie diese Novelle beeinspruchen. Ich vermisse Ihre diesbezügliche Haltung. Ich lade Sie dazu ein. Sie vollziehen aber den Fehler, den der Nationalrat in dieser Materie begangen hat, nach, und Sie werden wahrscheinlich in Parteigehorsam Ihre Zustimmung geben.

Wir von der Freiheitlichen Partei werden diese Novelle beeinspruchen und hoffen, daß wir nicht den Interessen des Wifi, nicht jenen des BFI, sondern den Interessen der Österreicherinnen und Österreicher, der Arbeitnehmer und Arbeitgeber Rechnung tragen. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

15.25

Präsident Josef Pfeifer: Zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesrat Gottfried Jaud. Ich erteile es ihm.

15.25

Bundesrat Gottfried Jaud (ÖVP, Tirol): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Minister! Hoher Bundesrat! Meine Ausführungen habe ich ganz unbeeinflußt von der Meinung der Freiheitlichen Partei, bereits bevor Sie, Herr Kollege, Ihre Rede gehalten haben, niedergeschrieben. Eines aber, glaube ich, kann man sagen, wenn es auch nicht jeder zugibt: Wir alle haben Bauchweh mit dieser Werkvertragsregelung. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Die Sozialversicherungspflicht für Werkverträge fügt sich nach meiner Ansicht harmonisch in jene Flut von Gesetzen ein, die wir im Parlament beschließen und die die freie Entfaltung der Wirtschaft bremsen und lähmen. Diese Werkvertragsregelung zieht ja wiederum eine Flut von unnützen Verwaltungsarbeiten nach sich, nicht nur in den Betrieben, sondern auch innerhalb der Sozialversicherung.

Diese Verwaltungsarbeit, meine Damen und Herren, kostet Geld. Sie kostet aber nicht nur Geld, sondern auch Arbeitsplätze, weil die Konkurrenzfähigkeit der Wirtschaft und der Betriebe damit geschmälert wird. Allein die Überprüfung der Sozialversicherungsbeiträge wird einen enormen Mehraufwand für die Sozialversicherungen bedeuten. Sie müssen für ihre Prüfung nicht nur die Lohnverrechnung durchsehen, sondern sie müssen eine gesamte Buchhaltungsprüfung der Betriebe vornehmen oder vornehmen lassen.

Bezeichnend für unser derzeitiges Verhalten im Parlament ist ja auch die Schlußbemerkung der Berichterstatterin. Sie spricht von einer Arbeitsgruppe, die an einer Weiterentwicklung des Sozialversicherungssystems arbeiten soll. Ich glaube, unser Sozialversicherungssystem braucht keine Weiterentwicklung, denn es muß vereinfacht werden. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Niemand wagt sich an eine Neuverlautbarung des ASVG. Warum? – Weil sich, wie ich glaube, heute auch ein Experte dabei nicht mehr auskennt und es wahrscheinlich völlig unmöglich ist, den derzeitigen Wust ASVG in einem einzigen Gesetz zusammenzufassen. Daher ist diese Regelung der Werkverträge ein Gesetz, das nicht für sich allein abzulehnen ist, sondern abzulehnen ist dieses System, in dem wir uns befinden, weil es wirtschaftsfeindlich und wirtschaftsbremsend ist.

Je größer die wirtschaftliche Freiheit, desto mehr Wohlstand und Arbeitsplätze werden geschaffen, beweist eine kürzlich veröffentlichte Studie. In dieser Studie schneidet Österreich leider Gottes sehr schlecht ab. Länder mit liberalen Wirtschaftsordnungen schaffen verstärkt Wachstum und Wohlstand. Staaten mit Überregulierung verspielen ihre Standortstärke. Unternehmen und Bevölkerung müssen aufgrund von Überregulierungen auf Jobs und Wohlstand verzichten.


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Aus dieser Studie, auf die ich vor kurzem gestoßen bin, zu der Nobelpreisträger Milton Friedman und andere namhafte Ökonomen wesentliche Impulse geliefert haben, geht hervor, daß kein Land mit fortwährend hoher ökonomischer Freiheit ein hohes Pro-Kopf-Wirtschaftswachstum verfehlt hat. Ich erwähne diese Studie deshalb, weil ich mich voll und ganz mit den Ergebnissen und Schlußfolgerungen identifizieren kann. (Vizepräsident Dr. Schambeck übernimmt den Vorsitz.)

Wenn nun der Bundesrat Jaud hier seine Meinung von sich gibt, dann wird das wohl kaum einen besonderen Eindruck auf Sie machen. Ich hoffe aber, sehr verehrte Kollegen des Bundesrates, daß es mehr Eindruck bei Ihnen hinterläßt, wenn entsprechende Fachleute, namhafte Ökonomen, diese Aussagen treffen.

Mein Ziel ist es nämlich, Sie, verehrte Bundesrätinnen und Bundesräte, davon zu überzeugen, daß Sie in verantwortlicher Ausnützung Ihres freien Mandats gegen diese Vorlage stimmen sollten. (Beifall bei den Freiheitlichen und Beifall des Bundesrates Pischl .)

An der Spitze der Staaten mit den größten Freiheiten liegen nach dieser erwähnten Studie Hongkong, Singapur, Neuseeland und die USA, während Österreich gemeinsam mit Trinidad, Chile, Mexiko und Spanien den 36. Platz einnimmt. – Meine Damen und Herren! Halten Sie sich das bitte vor Augen!

Während wir in Österreich vergeblich nach einem Ausweg aus der Beschäftigungskrise suchen – zudem mit sehr ungeeigneten Mitteln –, optimieren andere Staaten die Rahmenbedingungen für ihre Wirtschaft. Nur ein Funktionieren unserer Wirtschaft kann Arbeitsplätze, vor allem auch Arbeitsplätze für Lehrlinge garantieren. Wir können uns noch so viele Förderungen einfallen lassen, meine sehr verehrten Damen und Herren des Bundesrates: Das einzige, was auf Dauer Arbeitsplätze sichert, ist eine funktionierende Wirtschaft. Von Förderungen kann die Wirtschaft aber nicht leben, die Wirtschaft lebt von der Freiheit, von der Möglichkeit der freien wirtschaftlichen Entfaltung. Jede staatliche Regulierung der Erwerbstätigkeit eines Landes drängt ertragreiche Wirtschaftszweige in weniger ertragreiche Wirtschaftszweige.

In der Wahlwerbung wurde Wien kürzlich mit Chicago verglichen – bei der Gemeinderatswahl zugegeben. Dazu kann ich nur sagen, wiederum in Anlehnung an diese Studie: Wäre Wien doch Chicago, hätten wir bereits weniger Bürokratie in der öffentlichen Verwaltung und ein leistungsfähiges Regelwerk zur Steuerung und Entscheidung von Haushalten und Unternehmen. (Bundesrat Dr. Bösch: Aber in Chicago gibt es überhaupt keine ÖVP! Ich würde mir das überlegen!) Ohne eine Änderung der gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen werden wir in der Zukunft unseren Wohlstand nicht halten können.

Noch etwas: Wäre Wien Chicago, so wäre bei den neuen Gesetzen nicht nur die Umwelt- und die Sozialverträglichkeit, sondern auch die Wirtschaftsverträglichkeit von Gesetzen und Verordnungen zu prüfen. Dort wird das gemacht. Derzeit wird in den verschiedenen Gremien über einen Konsultationsmechanismus diskutiert. Dabei geht es um die Verteilung des teilweise vorhandenen und teilweise nicht vorhandenen Steuerkuchens. Aber niemandem ist dabei eingefallen, zu diskutieren, wie die Kosten auch innerhalb der Wirtschaft aufgeteilt werden sollen. Es wird nur darüber geredet, wie die zukünftigen Kosten von Gesetzen zwischen Bund, Ländern und Gemeinden aufgeteilt werden sollen. Offenbar glauben unsere Experten, daß, wenn die Wirtschaft nicht mehr so gut funktioniert, die Steuergelder eben vom lieben Gott kommen.

In der Öffentlichkeit sprechen wir ständig von Deregulierungen. In Wirklichkeit machen wir hier in diesem Hause, hier im Parlament genau das Gegenteil. Anstatt zu deregulieren, wird bei uns reguliert, reguliert und immer wieder reguliert. Wir beschließen ständig neue Gesetze.

Ich – aber vielleicht kann mich jemand, der der deutschen Sprache besser kundig ist, korrigieren – verstehe unter Deregulierung die Abschaffung und Vereinfachung von Regulierungen. Offenbar liege ich damit falsch, denn all jene, die ständig von Deregulierung sprechen, sitzen auch hier im Hause und beschließen die neuen Gesetze und neuen Regulierungen mit.


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Meine Damen und Herren! Hoher Bundesrat! Lassen Sie ich noch einmal Chicago erwähnen. Wäre Wien Chicago, dann hätten wir einen nationalen "Denktank". Das Wort gefällt mir nicht allzu gut, aber mir ist nichts Besseres eingefallen. Er würde wirtschaftspolitische Entscheidungen vorbereiten und könnte völlig unabhängig von der Tagespolitik agieren. In dieser Einrichtung könnte dann in aller Ruhe und ohne medialen Zeitdruck über Werkverträge nachgedacht werden oder an einem Steuersystem für die Jahre nach dem Jahr 2000 gearbeitet werden. Politische Entscheidungen können in solchen Einrichtungen vorbereitet und auf ihre Verträglichkeit für den Wohlstand in unserem Staat geprüft werden.

Leider, so muß ich sagen, haben die Sozialpartner in der jüngsten Vergangenheit bewiesen, daß sie auch dafür eine ungeeignete Einrichtung sind. Jede Gruppe der Sozialpartner kämpft nur für den sehr engen Bereich ihrer Klientel. Dabei verlieren sie den Überblick über die gesamtwirtschaftlichen Zusammenhänge, denn sonst wäre es nicht möglich gewesen, daß verschiedene Gesetze, vor allem die Werkvertragsregelung, von den Sozialpartnern Zustimmung bekommen haben. (Bundesrat Dr. Bösch: Bravo!) Die unmittelbaren Auswirkungen von mehr Wirtschaftsfreiheit sind relativ gering, aber über eine längere Periode betrachtet erzielen liberale Länder ein wesentlich höheres Wohlstandsniveau.

Für mich ist deshalb ganz klar: Je freier sich die Wirtschaft entfalten kann, desto mehr Schubkraft kann sie entwickeln. Dies bedeutet aber wiederum mehr Arbeitsplätze und höheres Einkommen. (Beifall bei der ÖVP und bei den Freiheitlichen.)

Hoher Bundesrat! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte an Sie appellieren, hier und heute ein Zeichen für mehr Wirtschaftlichkeit in Österreich zu setzen und diesem Gesetz betreffend Werkverträge die Zustimmung zu verweigern – als Signal. Wenn schon der Nationalrat nicht bereit ist, mit den Deregulierungen in unserem Lande zu beginnen, dann sollten wenigstens wir im Bundesrat ein Zeichen setzen, ein Zeichen dafür, daß in der Zukunft nicht mehr neue Gesetze, neue Reglementierungen, neue Ketten für die Wirtschaft beschlossen werden, sondern endlich mit der Abschaffung von überholten, nicht mehr benötigten Gesetzen begonnen wird.

Die Verfassung hat uns, wie ich glaube, in sehr kluger Weise eine besondere Stellung hier im Parlament gegeben. Wir sind etwas außerhalb der unmittelbaren Gesetzesmaschinerie, damit haben wir die Möglichkeit, etwas über den Dingen zu stehen. Wir sind auch keine reinen Ländervertreter, wenngleich wir diese Interessen besonders im Auge behalten müssen. Wir haben das freie Mandat und damit eine ungeheure Verantwortung, jeder von uns persönlich für sich. Nützen wir diese Verantwortung, nützen wir die Möglichkeiten des Bundesrates, und beginnen wir damit, die Fesseln für die freie Wirtschaftsentwicklung zu sprengen! Bitte stimmen Sie gegen dieses Gesetz – als Zeichen dafür, daß wir in Zukunft neue Wege gehen wollen! (Beifall bei der ÖVP und bei den Freiheitlichen. – Bundesrat Dr. Bösch: Sie können hier Platz nehmen, Herr Kollege!)

15.39

Vizepräsident Dr. DDr. h. c. Herbert Schambeck: Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesminister Franz Hums. Ich erteile dem Herrn Bundesminister das Wort.

15.39

Bundesminister für Arbeit und Soziales Franz Hums: Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen! Sehr geehrte Herren! In der Frage des besseren sozialen Schutzes in diesem Bereich der freien Dienstverträge, der dienstnehmerähnlichen Verträge hat es sich wahrlich niemand leicht gemacht. Ich habe bereits beim letzten Mal im Bundesrat erklärt, daß in dieser Sache sicher noch nicht die große Reform, die notwendig ist, die von mir angestrebt wird, erreicht worden ist. Das habe ich, lange bevor die Neuregelung im Nationalrat beschlossen wurde, auch hier erklärt.

Aber darauf zu warten, wäre nicht möglich gewesen, weil gerade in den letzten Jahren die gesetzlichen Umgehungsmöglichkeiten der Sozialversicherung immer mehr und mehr in Anspruch genommen und genützt wurden. Daher war es dringend notwendig, daß wir zur sozialen Sicherheit für den einzelnen und durch Beitragsgerechtigkeit zur Finanzierung der gesamten Gesund


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heitsvorsorge, der Krankenbehandlung, unseres guten Pensionssystems beitragen und gleichzeitig Maßnahmen treffen, die Wettbewerbsungleichheiten, die wir geschaffen haben, im Interesse der Unternehmer reduzieren. Denn es war bei der Beschlußfassung über das ASVG, das GSVG, das BSVG nie vom Gesetzgeber beabsichtigt, daß diese Bestimmungen, durch bestehende Gesetzesregelungen ermöglicht, weitgehend umgangen werden können. Das war nie die Absicht und lag auch nicht im Interesse der Unternehmer. Auch im Interesse der Unternehmer muß es sein, daß die Wettbewerbssituation für alle gleich gegeben ist und daß sich niemand dadurch Wettbewerbsvorteile verschaffen kann, daß er die soziale Sicherheit nicht mitfinanzieren will. Andere Aussagen wären nur so zu deuten, daß jemand nicht will, daß jedem soziale Sicherheit geboten wird, daß jemand nicht will, daß jeder seinem Einkommen entsprechend auch Beiträge dazu leistet, daß jemand nicht will, daß die Wettbewerbssituation unter den Unternehmern verzerrt wird. Wenn Sie dafür eintreten, dann müßten Sie gleich dazusagen: Sie sind dafür, unsere gute und bewährte Sozialsystematik abzuschaffen. (Ruf bei der ÖVP: Reformieren!)

Reformieren ja – und das ist ein Reformschritt, ein Reformschritt, der das alles sichert. Gerade deshalb waren es die Sozialpartner, einschließlich der Vertreter der Unternehmer, die in all diesen Verhandlungen verantwortungsbewußt zugestimmt haben. Ich habe immer erklärt, im Gesamtsystem der Sozialversicherung sind im Laufe der vielen Jahre bei den Novellierungen eine Menge Ungleichheiten entstanden, Ungleichheiten, die sicherlich bereinigt werden müssen. Das geht aber nicht von heute auf morgen. Eine dieser Maßnahmen, die dringend waren, ist die Regelung, daß zumindest ein Teil dieser Umgehungsautobahn künftig nicht mehr zur Verfügung steht. Deshalb haben die verantwortungsbewußten Vertreter der Unternehmer und der Arbeitnehmer sowie die Vertreter in den Verhandlungen zwischen der Österreichischen Volkspartei und der Sozialdemokratischen Partei diese Regelung akzeptiert und für notwendig erachtet.

Gleichzeitig habe ich hier mehrmals erklärt – und das ist auch der Beschluß des Nationalrates –, daß wir weiterhin darangehen müssen, unser System der sozialen Sicherheit für jeden abzusichern, indem wir Maßnahmen treffen, auch bei künftigen gesetzlichen Änderungen, die dahin gehen, daß Einkommen aus Erwerbstätigkeit ab einer bestimmten Grenze bis zu einer bestimmten Grenze sozialen Schutz bieten und daß dafür gleichzeitig auch gerecht im gleichen Maße Beiträge bezahlt werden müssen. Das ist notwendig für die soziale Sicherheit.

Es wurde hier gefordert, man solle doch die Leute selbständig werden lassen. Bis zum 30. Juni war es in jeder beliebigen Einkommenshöhe möglich, mit diesen Maßnahmen die soziale Sicherheit zu umgehen. Wenn Sie sagen, es solle doch jemand die Chance haben, Unternehmer zu werden, dann muß ich entgegenhalten, ich weiß nicht, wie sehr etwa von einer Verkäuferin die "große Freiheit" angestrebt wird, daß sie vielleicht unter dem Titel "Regalbetreuerin" oder was immer keinerlei sozialen Schutz genießt. Das kann doch nicht das Ziel sein!

Wenn Sie, Herr Bundesrat Langer, hier zitieren, daß es Differenzen und Schwierigkeiten bei den Abgrenzungen gibt, dann kann ich nur sagen: Bitte, die gibt es in all den Bereichen. Solange wir nicht zum Ziel kommen, Erwerbseinkommen von bis sind sozialversicherungsfähig und -pflichtig, wird es immer Abgrenzungsprobleme geben. Diese hat es in hohem Maße auch bis zum 30. Juni gegeben. Denn das, was Sie hier vorgelesen haben: die Abgrenzungsprobleme zwischen Dienstverhältnissen und freien Dienstverhältnissen beziehungsweise dienstnehmerähnlichen Werkverträgen, hat es genauso bis 30. Juni gegeben, nur mit der Konsequenz, daß diejenigen, die man abgegrenzt hat, aus dem Sozialversicherungssystem ausgegrenzt und überhaupt nicht versichert waren. Der Anreiz, dies zu tun, ist zumindest jetzt ab der Versicherungsgrenze von 7 000 S wesentlich reduziert. Daher glaube ich, das ist ein entscheidender, wichtiger und richtiger Schritt, den wir hier wirklich setzen müssen.

Sie können mir glauben, mir war von Anfang an bewußt, daß es natürlich nicht Popularität bringt, wenn man derartige Maßnahmen vorschlägt. Keine Frage! Aber sie sind im Interesse der sozialen Sicherheit für alle wichtig, auch für jene, die nie von Werkverträgen gehört haben, für Pensionisten, für andere Arbeitnehmer. Denn alle anderen Arbeitgeber beziehungsweise Arbeitnehmer, die normale Dienstverhältnisse abgeschlossen haben, mußten bisher für diese Finanzierung der sozialen Sicherheit allein aufkommen. Wenn es bisher möglich war, bei einem relativ kleinen Dienstverhältnis – möglicherweise, weil das hier zitiert wurde, daß das auch abge


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schafft wird – beim gleichen Dienstgeber beliebig viel dazuzuverdienen, und wenn der Dienstgeber eventuell gesagt hat: "Ersparen wir uns doch die Sozialversicherungsbeiträge!", dann ist auch das eine Maßnahme in jene Richtung, daß diese Möglichkeiten nicht tragbar sind für alle übrigen Sozialversicherten, die ihre Beiträge gerecht abliefern.

Sie reden von der Kompliziertheit. Wenn jetzt im Gesetz steht: Was ist denn dienstnehmerähnlich?, dann war das eine der hier eingebrachten Korrekturen, die im Interesse der Wirtschaftstreuhänder gelegen ist. Warum? Bisher hat es das auch in der Judikatur gegeben, daß eine bestimmte Regelmäßigkeit gegeben ist, und und und. All diese Abgrenzungsfragen werden wir uns in der Sozialversicherung aber dann ersparen, wenn wir, so hoffe ich, möglichst rasch zu diesem System kommen: allgemeiner sozialer Schutz im Bereich der Gesundheitsvorsorge, der Krankenbehandlung, der Unfallversicherung und der Altersvorsorge dadurch, daß ab einem bestimmten Erwerbseinkommen bis zu einem bestimmten Erwerbseinkommen Sozialversicherungspflicht und damit auch sozialer Schutz besteht.

Allen, die von der Kompliziertheit reden, sei gesagt: Es ist natürlich erforderlich, daß bestimmte Kriterien bei der Begründung des Versicherungsverhältnisses bestehen. Aber diese gibt es genauso schon heute: GSVG, BSVG und so weiter. Wenn Sie heute das Sozialversicherungssystem anschauen – wirklich anschauen! –, dann werden Sie erkennen, wie viele Ungleichheiten leider im Laufe der Zeit entstanden sind, die wir bereinigen müssen.

Die normale Anmeldung, die der Auftraggeber bei der Sozialversicherung zu tätigen hat, ist so umfangreich: Das ist der Anmeldebogen (der Redner zeigt ihn) – nicht größer, keinen Millimeter größer! (Zwischenruf des Bundesrates Pischl. ) Ich habe das hier nur photokopiert und auf die Originalgröße zusammengefaltet. Wenn Sie allerdings – und das Recht haben Sie in jedem Fall – ein Bescheidverfahren wollen, dann müssen Sie auch die entsprechenden Daten für das Verwaltungsverfahren angeben. Das ist aber schon heute so. Betreffend Streitfrage: Dienstverhältnis oder nicht Dienstverhältnis – es ist sehr leicht gewesen, bis 30. Juni aus einem Dienstverhältnis mit wenigen juristischen Griffen einen sogenannten freien Dienstvertrag ohne soziale Sicherheit zu machen. Aber auch dann mußten Sie das alles angeben. Und hier werden ja Dinge zitiert, von denen auch ich nicht der Meinung bin, daß sie auf ewig bestehen sollen, aber das hat mit den Werkverträgen nichts zu tun. Wenn Sie hier die Erwachsenenbildung zitieren und sagen, daß es dort Ausnahmen gibt, dann muß ich erwidern: Die sind aber nicht seit 1. Juli da drinnen, die waren für Dienstverhältnisse genauso drinnen, nur offensichtlich hat das niemand gelesen.

Vieles von dem, was Sie hier zitieren, waren Abgrenzungsfragen auch vor dem 30. Juni. Neu ist mehr soziale Sicherheit für mehr Menschen und ein Schließen von Umgehungsmöglichkeiten im Interesse der einzelnen, die jetzt Sozialversicherungsschutz genießen, und zum Wohle des gesamten Sozialversicherungssystems, im Interesse aller, der Pensionisten, der Aktiven und der Unternehmer. (Beifall bei der SPÖ.)

Ich darf Sie daher ersuchen, aus Verantwortungsbewußtsein und unter Hintanstellung von Populismus wirklich dafür zu sorgen, daß es Beitragsgerechtigkeit gibt. Und ein Schritt zu dieser Beitragsgerechtigkeit, ein Schritt dazu, daß niemand aus der sozialen Sicherheit ausgegrenzt werden soll, wird mit dieser Regelung gesetzt. – Danke. (Beifall bei der SPÖ.)

15.50

Vizepräsident Dr. DDr. h. c. Herbert Schambeck: Zu Wort gemeldet ist weiters Frau Bundesrätin Johanna Schicker. Ich erteile es ihr.

15.50

Bundesrätin Johanna Schicker (SPÖ, Steiermark): Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Bundesminister! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es wurde heute schon so viel über die Werkverträge gesagt. Noch nicht erwähnt wurde, daß im Rahmen dieser neuen Werkvertragsregelung auch die Problematik der Stahlpensionisten beziehungsweise der Gnadenpensionen für ehemalige Böhler-Mitarbeiter mitverhandelt wurde. (Bundesrat DDr. Königshofer: Schöner Ausdruck ist das: "Gnadenpension"!) Ich habe Sie leider nicht verstanden. Aber ich hätte auch nicht geantwortet, wenn ich Sie verstanden hätte.


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Wie Sie wahrscheinlich wissen, hätte diese Gruppe von Langzeitarbeitslosen im Rahmen des Strukturanpassungsgesetzes erhebliche Einkommensverluste erlitten, da durch die Anhebung des Pensionsalters von 55 auf 57 Jahre wegen geminderter Erwerbsfähigkeit anstelle des Arbeitslosengeldes die Notstandshilfe getreten und es dadurch zu einem deutlich geringeren Einkommen gekommen wäre. Diese seinerzeitigen Arbeitnehmer, vorwiegend aus der Stahlindustrie, haben in schwierigen Zeiten ihren Arbeitsplatz jüngeren Mitarbeitern zur Verfügung gestellt im Vertrauen darauf, daß die Krisenregionsregelung es ihnen ermöglicht, mit 55 Jahren ihre verdiente Pension zu erhalten. Auch diese Menschen haben, wie wir alle, eine Lebensplanung, und es wäre unverständlich – ich möchte fast sagen: unanständig – gewesen, diese verdienten ehemaligen Beschäftigten im Regen stehen zu lassen.

Ich bin daher sehr froh und Ihnen, sehr geehrter Herr Minister, auch sehr dankbar, daß Sie diese Ungerechtigkeit und diese Härtefälle erkannt haben – es handelt sich immerhin um über 1 000 Personen – und diese Personen nunmehr vom Strukturanpassungsgesetz ausnehmen werden. Das heißt, daß für diese Personengruppe für die vorzeitige Alterspension bei geminderter Arbeitsfähigkeit weiterhin das Pensionsalter von 55 Jahren gilt. (Beifall des Bundesrates Meier. )

Ich bin sicher, daß es sich hier nur um ein Versehen gehandelt hat und das diesen ehemaligen Mitarbeitern gegebene Versprechen nicht willkürlich gebrochen wurde. Ich möchte aber auch feststellen, daß das Verständnis des Koalitionspartners in dieser Frage anerkennenswert war.

Bezüglich der Werkvertragsregelungen selbst möchte ich noch kurz auf die Problematik bei den Tagesmüttern eingehen, da hiezu wirklich unterschiedlichste Auffassungen bestehen. Wenn von Trägerorganisationen für Tagesmütter, wie zum Beispiel dem Österreichischen Hilfswerk, in Presseaussendungen und wenn auch in Beiträgen im Plenum des Nationalrates unter anderem darauf hingewiesen wird, daß durch die Hinaufsetzung der Geringfügigkeitsgrenze für freie Dienstverträge und dienstnehmerähnliche Werkverträge auf 7 000 S für viele Tagesmütter keine ausreichende Absicherung gegeben ist, dann stimme ich dem zwar inhaltlich zu, muß aber betonen, daß es für mich als Vorsitzende eines Tagesmüttervereins mit über 30 beschäftigten Tagesmüttern insoferne kein Problem in dieser Frage gibt, als ich ein derartiges Frauenprojekt nie initiiert hätte, wenn ich für die beschäftigten Frauen keine volle Absicherung erreicht hätte.

Ich muß aber auch hinzufügen, daß die Beschäftigung der Tagesmütter mit voller sozialversicherungsrechtlicher Absicherung nur dadurch gegeben war, weil Subventionen seitens des Landes Steiermark und auch Zuschüsse durch das AMS die Ausfinanzierung derartiger Projekte erst ermöglichten. Mit den Beiträgen der Eltern allein wäre eine volle Absicherung sicher nicht möglich. Aber gerade das muß ja unsere heutige Botschaft sein: daß Länder und Gemeinden sehr wohl ihren Beitrag zu Tagesmüttereinrichtungen zu leisten haben, analog zu den Kindergärten, da Kinderbetreuungseinrichtungen ja Länder- beziehungsweise auch Gemeindesache sind. Das sage ich auch als Gemeindevertreterin. Dazu stehe ich.

Tagesmüttereinrichtungen stellen eine wichtige und flexible Ergänzung zu unseren Kindergärten und Horten dar. Sie bieten eine qualifizierte Kinderbetreuung, und dafür gebührt den Tagesmüttern auch eine geregelte Bezahlung beziehungsweise eine volle sozialversicherungsrechtliche Absicherung. Das geht nur durch ein Anstellungsverhältnis, für das wir uns alle einzusetzen haben. Ich möchte nicht mehr erleben müssen, daß in Zukunft Frauen zu mir kommen, um mir zu sagen, sie hätten ihr Leben lang hart gearbeitet, bei verschiedenen Dienstgebern, als geringfügig Beschäftigte, und nun seien sie 60 Jahre alt und hätten keine eigene Altersversorgung. Allein aus diesem Grund bin ich froh, daß es zu dieser, so hoffe ich, zukunftsweisenden Werkvertragsregelung kommt. – Ich danke. (Beifall bei der SPÖ.)

15.56

Vizepräsident Dr. DDr. h. c. Herbert Schambeck: Zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesrat DDr. Franz Werner Königshofer. Ich erteile es ihm.

15.56

Bundesrat DDr. Franz Werner Königshofer (Freiheitliche, Tirol): Herr Präsident! Herr Bundesminister! Meine Damen und Herren! Mein Tiroler Kollege, Bundesrat Jaud, hat heute hier


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eine, wie ich meine, großartige Rede gehalten, zu der ich ihm gratulieren möchte. (Ruf bei der ÖVP: Das ist gefährlich!) Kollege Jaud hat in dieser Rede einige Nägel auf den Kopf getroffen, sowohl in personeller als auch in sachlicher Natur. Auch dazu möchte ich ihm gratulieren. Herr Kollege Jaud spricht deshalb so, weil er nicht wie der Blinde von der Farbe redet, sondern weil er ein scharf Sehender ist, weil er selbst einen Gewerbebetrieb hat, weil er selbst in der Praxis steht und sieht, mit welcher Bürokratie die österreichische Wirtschaft belastet ist. Deshalb ist es sehr erklärlich, warum er heute diese Worte gefunden hat.

Ich möchte nun meine Ausführungen mit einem Zitat beginnen, das da lautet: "Dieses Gesetz ist ein Mist, schafft es ab und grabt es ein." – So schrieb das "Wirtschaftsblatt" am 13. September dieses Jahres unter dem Titel "Gegen den Werkvertragsunfug". Weiters wird ausgeführt – ich darf zitieren –: "International gesehen geht die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt zu mehr freien Dienstverhältnissen zwischen gleichberechtigten Partnern. Unternehmen mit wenig Stammpersonal bedienen sich der Hilfe selbständiger Zulieferer und Spezialisten, die für einzelne Aufgaben engagiert werden. Eine vorausschauende Politik muß diese Entwicklung in klaren Rahmenbedingungen berücksichtigen, aber nicht durch ein Husch-Pfusch-Gesetz, das die flexible Entwicklung des Arbeitsmarktes behindert und Arbeitswillige aus Furcht vor bürokratischen Schikanen in den Untergrund des Pfusches treibt. Gesetzespfusch erzeugt auf diese Art Pfusch am Arbeitsmarkt." – Ende des Zitats. Genau darum geht es, meine Damen und Herren!

Wir Freiheitlichen sind natürlich auch für eine Sozialversicherungspflicht, aber nicht auf eine derart bürokratisch vertrackte Art und Weise. Lassen Sie doch die Menschen in diesem Land arbeiten und lassen Sie sie frei entscheiden, welches Versicherungsverhältnis sie eingehen wollen! Diese Bürokratie, festgeschrieben jetzt in sieben Gesetzen, schafft nur Verunsicherung, und zwar auf allen Ebenen, sowohl bei den Arbeitgebern als auch bei den Arbeitnehmern und sogar bei einigen Ministern. Herr Minister Klima, seines Zeichens Finanzminister, gab öffentlich im Fernsehen bekannt, daß er sich ebenfalls bei dieser Gesetzesmaterie nicht auskenne.

Die Verunsicherung dabei ist geradezu sachimmanent. Ich darf dazu ganz kurz Herrn Professor Tomandl zitieren. Er ist Leiter des Instituts für Arbeits- und Sozialrecht an der Universität Wien. Er schreibt in einem Gastkommentar in der "Presse" folgendes – ich zitiere –: "Als unzulänglich hat sich der Versuch erwiesen, die Sozialversicherungspflicht von der Dienstnehmerähnlichkeit abhängig zu machen. Seit Jahrzehnten weiß man im Arbeitsrecht, daß sich dieser Begriff nicht definieren läßt. Es geht nicht nur um die üblichen Randzonenunschärfen. Der Begriff der Dienstnehmerähnlichkeit zerfließt vielmehr bereits in seinem Kern. Es ist weder klar, welche Merkmale unbedingt vorzuliegen haben, noch in welchem Grad sie verwirklicht sein müssen. Die Gerichte verlangen daher für jeden Einzelfall eine Gesamtbeurteilung sämtlicher in Betracht kommender Umstände. Daß ein solcher Begriff kein taugliches Abgrenzungsmerkmal zur Bewältigung eines Massenphänomens sein kann – die Neuregelung sollte rund 30 000 Werkverträge umfassen –, liegt daher auf der Hand." – Ende des Zitats.

Die Folge dieser Verunsicherung, meine Damen und Herren, wird ein starkes Abtauchen in die Schattenwirtschaft sein. Viele Dienstnehmer werden sich dann sagen: Nur weg von dieser Bürokratie, ich melde überhaupt nichts mehr an, ich arbeite schwarz und damit ertragreicher und mit weniger Aufwand!

Vizepräsident Dr. DDr. h. c. Herbert Schambeck (das Glockenzeichen gebend): Meine Damen und Herren! Hoher Bundesrat! Ich unterbreche nunmehr die Verhandlungen zur Tagesordnung.

Besprechung der Anfragebeantwortung 1122/AB-BR/96

Vizepräsident Dr. DDr. h. c. Herbert Schambeck: Wir gelangen nunmehr zur Besprechung der schriftlichen Anfragebeantwortung, nach der ich Herrn Bundesrat Dr. Königshofer wieder das Wort erteile, und zwar zur Besprechung der schriftlichen Anfragebeantwortung 1122/AB-BR/96 an den Herrn Bundesminister für Finanzen.


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Da die Anfrage und die dazugehörende Anfragebeantwortung inzwischen allen Bundesräten zugegangen sind, erübrigt sich eine Verlesung durch die Schriftführung.

Bevor ich nun dem ersten Redner das Wort erteile, möchte ich darauf aufmerksam machen, daß gemäß § 60 Abs. 5 der Geschäftsordnung des Bundesrates die Redezeit jedes Bundesrates mit insgesamt 20 Minuten begrenzt ist.

Zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesrat Dr. Reinhard Eugen Bösch. Ich erteile es ihm.

16.01

Bundesrat Dr. Reinhard Eugen Bösch (Freiheitliche, Vorarlberg): Herr Vizepräsident! Meine Damen und Herren! Herr Finanzminister! Es sind Ihnen in der letzten Zeit einige Anfragen zugegangen, die sich mit der Post befaßt haben, und Sie haben all diese Anfragen gleich, nämlich gar nicht, beantwortet.

So haben auch wir freiheitlichen Bundesräte Ihnen am 25. Juli 1996 ein Anliegen vorgetragen. Darin ging es um die Ungleichbehandlung von Frühpensionisten und Pensionisten im Bereich der Tarifierung: Frühpensionisten und Pensionisten erhalten von ihrer Pensionskassa eine Bestätigung über die monatlichen Auszahlungen und einen Abschnitt, der gleichsam als Pensionistenausweis gilt. Die Frühpensionisten können jedoch – im Gegensatz zu den Pensionisten – mit diesem Ausweis den vergünstigten Tarif nicht in Anspruch nehmen, weil sie das eigentliche Pensionsalter noch nicht erreicht haben. Nach unserer Meinung – das war der Grund für diese Anfrage – sollte der vergünstigte Tarif einzig und allein davon abhängig sein, ob jemand in Pension ist oder nicht.

In diesem Sinne, Herr Minister, haben wir auch diese Anfrage an Sie gestellt und um Aufklärung ersucht. Sie schreiben uns einen Brief zurück, in dem Sie sich für unzuständig erklären. Der sozialistische Finanzminister interessiert sich nicht für die Probleme der Pensionisten.

Das Maß an Zynismus aber, meine Damen und Herren, wird voll, wenn ich aus einer Anfragebeantwortung Ihres Regierungskollegen Scholten zitiere, die dieser am 28. 8. dieses Jahres an Kollegen der ÖVP geschickt hat. Im letzten Satz heißt es dort nämlich: Da die in Ihren Fragen angesprochenen Angelegenheiten ausschließlich Angelegenheiten der privaten PTA AG betreffen, darf ich Sie ersuchen, Ihre Fragen an den Herrn Bundesminister für Finanzen zu richten. – Meine Damen und Herren der Bundesregierung! Ich möchte Ihnen vorschlagen, sich nicht nur um Werkvertragsregelungen zu kümmern, sondern in der Zwischenzeit auch allmählich Ihre Kompetenzen untereinander zu regeln.

Sie, Herr Finanzminister, reden sich daraufhin aus, daß mit Gründung der Post und Telekom Beteiligungsverwaltungsgesellschaft, PTBG, die ihrerseits die Eigentümerin der Post und Telekom Austria AG, PTA, ist, Ihre Verantwortung nicht mehr gegeben sei. Sie vergessen, daß der Bund Gesellschafter der ersteren ist und 100 Prozent der zweiteren hält. Dabei handelt es sich ja nur um eine Scheinprivatisierung: Die Schulden und damit auch Ihre Verantwortung dafür bleiben.

Herr Finanzminister! Wenn das Ihr Weg sein soll, die Schuldenlast Österreichs zu lindern, dann darf ich Ihnen vorschlagen: Gliedern Sie doch das gesamte Budget aus dem Budget aus! Gründen Sie eine Budget-Schuldenverwaltungsgesellschaft, und Sie sind Ihre Sorgen los – die Österreicher aber leider Gottes nicht die Folgen Ihrer mißratenen Politik. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Diese Kindesweglegung, Herr Finanzminister, ist umso erstaunlicher, als Sie ja über das Budget bei den Tarifen der einzelnen Verkehrsverbünde weiter mitreden und sogar – wenn ich den Medienberichten der letzten Zeit trauen darf – eine Generalkompetenz über alle Ressorts, also auch über das Verkehrsressort, beanspruchen.

Herr Finanzminister! Setzen Sie sich dafür ein, daß die Systeme der Verkehrsverbünde und die Durchtarifierungen endlich übersichtlicher werden, damit der Bürger erkennen kann, wofür er wieviel bezahlt! Setzen Sie sich dafür ein, daß die Beiträge des Bundes auch gerecht über das


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Bundesgebiet verteilt werden! – Während, im Osten beginnend, der Bund 50 Prozent der Durchtarifierungen ersetzt, sinken diese Beiträge, bis sie Vorarlberg erreicht haben, auf ein Drittel herab, wie ich dem Budget von 1997 entnehmen kann.

Sie sehen also, Herr Finanzminister, Ihre Kompetenz im Bereich von Post, Verkehr und Tarifen ist nach wie vor gegeben. Nehmen Sie diese Verantwortung wahr! Wir Freiheitlichen werden uns jedenfalls erlauben, Sie weiterhin daran zu erinnern!

Für Gesellschaften jeder Art, Herr Finanzminister, in denen der Bund Mehrheitseigentümer ist, muß – unbeschadet der Möglichkeit der Rechnungshofkontrolle – das Anfragerecht im Parlament gelten.

Herr Finanzminister! Nicht Arroganz ist hier gefragt, sondern Respekt vor dem Parlamentarismus. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

16.06

Vizepräsident Dr. DDr. h. c. Herbert Schambeck: Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Albrecht Konečny. Ich erteile es ihm.

16.06

Bundesrat Albrecht Konečny (SPÖ, Wien): Herr Präsident! Herr Bundesminister! Meine Damen und Herren! Man kann bekanntlich über alles reden – auch über diese Anfrage und ihre Beantwortung –, aber man kann eines nicht tun: Man kann nicht zugleich – das ist ein legitimer Standpunkt – dafür eintreten, daß einerseits nicht nur staatliche Eigentumsrechte, sondern insbesondere der politische Eingriff in Unternehmen abgebaut werden und nicht mehr statthaft sind, und auf der anderen Seite von eben jener Politik den Durchgriff verlangen. Diese zwei Dinge sind nicht unter einen Hut zu bringen. Man kann es sich dann auch nicht aussuchen, welches der beiden Themata man gerade zum Gegenstand seiner Interpellation oder seiner Aufregung machen will.

Zunächst einmal – das muß mit aller Deutlichkeit gesagt werden – ist die inhaltliche Frage durchaus zu diskutieren, aber ich halte es für ein wirklich starkes Stück, angesichts dieser zugrunde liegenden Problematik dem Herrn Bundesminister hier zu unterstellen, daß er kein Interesse an den Fahrpreisen von alten Menschen – ganz egal, ob sie Frühpensionisten oder Pensionisten sind – hat. Wir können und wir sollten nicht eine politische Grundsatzentscheidung, die doch mit großer Zustimmung getroffen wurde, nämlich Betriebe – auch dann, wenn sie in manchen Fällen wohl auch noch im öffentlichen Eigentum stehen – hinsichtlich ihres Managements ungestört und von betrieblichen Gesichtspunkten geprägt arbeiten zu lassen, bei der erstbesten Gelegenheit wieder über Bord werfen.

Klar ist – Sie haben das selbst angeschnitten –, daß mit Inkrafttreten des Poststrukturgesetzes am 1. Mai 1996 die Aktiengesellschaft Post und Telekom Austria begründet wurde und daß die Aktien dieser Gesellschaft im Eigentum der Post und Telekom Beteiligungsverwaltungsgesellschaft stehen. Ausdrücklich ist aber in dem zitierten Gesetz festgelegt, daß durch dieses Eigentum an den Aktien weder ein Konzernverhältnis im Sinn des § 15 Aktiengesetz noch das Entstehen eines abhängigen Unternehmens PTA begründet wird.

Richtig ist, daß natürlich die PTA weiterhin gemeinwirtschaftliche Leistungen zu erbringen hat, und dafür sind Sondernormen aufgestellt worden. Soweit im Bereich der Post, des Postauto- und Fernmeldewesens solche gemeinwirtschaftlichen Leistungen zu erbringen sind, sind der Umfang dieser Leistungen sowie die dafür vom Bund zu tragenden Kosten im Rahmen einer Bestellung – und zwar in diesem Fall wirklich durch den Bundesminister für Wirtschaft, Verkehr und Kunst – vertraglich zu vereinbaren, wobei diese Vereinbarung des Einvernehmens mit dem hier interpellierten Bundesminister für Finanzen bedarf, der in diesem Fall ein Kontrollrecht, ein Zustimmungsrecht hat, aber nicht der aktiv handelnde Teil ist. Er hat keine Gestaltungsmöglichkeit, er hat allenfalls eine Verhinderungsmöglichkeit, vor allem dort, wo er zu überprüfen hat, ob der festgelegte Kostenbeitrag a) im Budget abgedeckt ist und b) der erbrachten Leistung, soweit man das kontrollieren kann, entspricht.


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Im Jahr 1993 hat der Bundesverfassungsgesetzgeber auf ein Gutachten des Bundeskanzleramt-Verfassungsdienstes reagiert und hinsichtlich des Umfangs des Anfragerechts bei ausgegliederten Unternehmen – da ist Bundesrat und Nationalrat gleichgestellt – eine verfassungsrechtliche Klarstellung getroffen. Kontrollrechte von Nationalrat und Bundesrat gelten weiterhin in bezug auf Unternehmungen, an denen der Bund mit mindestens 50 Prozent des Stammkapitals beteiligt ist und die der Kontrolle des Rechnungshofs unterliegen. Auch eine andere Form der Beherrschung ist dem gleichzuhalten.

Aber genau um diesen Punkt geht es im gegenständlichen Fall, weil diese Konzernverhältnisse, dieses Nicht-Entstehen einer Abhängigkeit ausdrücklich durch das Gesetz statuiert wurden.

Dazu ist noch ein Zweites zu sagen: Natürlich kommen dem zuständigen Bundesminister, der die jeweiligen Anteile eines solchen Unternehmens vertritt und hält, Rechte in der Hauptversammlung zu. Wir haben jetzt unterbrochenermaßen einen Tagesordnungspunkt in Verhandlung, bei dem uns auch und gerade Ihre Sprecher erklärt haben, daß es absolut praxisfremd sei, was wir dort diskutieren. Halten Sie es für praxisnah, daß die Hauptversammlung eines Unternehmens Detailentscheidungen der Geschäftspolitik trifft? Halten Sie es für praxisnah, daß der Eigentümervertreter in einer Hauptversammlung den Generaldirektor anweist, bestimmte betriebliche Maßnahmen zu setzen? – Das ist weder durch das Gesetz abgedeckt, noch ist es in irgendeiner Form vorstellbar. Daher – ohne in das Meritorische hier im Detail eingehen zu wollen – ist diese Anfragebesprechung von der Sache her unberechtigt.

Ihr Anliegen als solches ist damit überhaupt nicht in Zweifel gezogen. Es ist politisch zu diskutieren, aber der Herr Bundesminister ist in seiner Eigenschaft als Bundesminister die absolut unzuständige Adresse. Mit dem Politiker Viktor Klima über Vergünstigungen für ältere Mitbürger zu diskutieren, ist zweifellos eine außerordentlich lohnende Angelegenheit. Ich lade Sie dazu ein, aber das ist nicht die Form, in der diese Auseinandersetzung sinnvollerweise geführt werden kann. Auch wenn man es nicht möchte – bestimmte gesetzliche und verfassungsrechtliche Normen sind auch in der politischen Polemik einzuhalten. (Beifall bei der SPÖ.)

16.13

Vizepräsident Dr. DDr. h. c. Herbert Schambeck: Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesminister Mag. Klima. Ich erteile es ihm.

16.13

Bundesminister für Finanzen Mag. Viktor Klima: Herr Präsident! Hoher Bundesrat! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Kollege Bösch! Ich habe vor, mich diesem Haus gegenüber mit Respekt zu verhalten, und ich werde daher keine Polemik betreiben, sondern versuchen, auf Ihre Argumente sachlich einzugehen. Es ist hier nicht der Platz für Versammlungsreden.

Vorweg: Sie dürften vergessen haben, daß dem Unternehmen PTA AG, also der Post und Telekom Austria Aktiengesellschaft, nicht nur Schulden mitgegeben werden, sondern daß dem Unternehmen auch Vermögenswerte in einem erheblichen Ausmaß mitgegeben werden, Vermögenswerte in einem Ausmaß von über 100 Milliarden Schilling.

Sie dürften vergessen haben, daß das Unternehmen mit den Maßnahmen zur Entschuldung, die auch getroffen werden, eine Eigenkapitalquote von über 30 Prozent haben wird, die weit über dem Durchschnitt jener der österreichischen Industrie liegt, die nur bei 24 bis 26 Prozent liegt. Ihre Bemerkungen hinsichtlich einer Budget GmbH, oder wie immer sie geheißen hat, dürften im Zusammenhang mit der PTA AG, bei der wir sehr verantwortungsbewußt für die zukünftige Lebensfähigkeit dieses wichtigen Unternehmens, sowohl im Bereich des Gütertransportes als auch im Bereich des Informationstransportes, vorgehen, ein bißchen an der Realität vorbeigehen.

Zu Ihrer schriftlichen Anfrage: Auch wenn es noch so lustig dargestellt werden kann, sehr geehrter Herr Bundesrat, es ist nun einmal so, daß laut Aktienrecht – ich glaube, Sie erwarten das doch auch, daß es ein Bundesminister einhält – der Bundesminister keinen Eingriff in operative Geschäfte hat. Ich habe einen großen Fehler gemacht, das gebe ich gerne zu, ich habe nämlich


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in der Anfragebeantwortung die Geschäftsordnung des Nationalrates zitiert und nicht die Geschäftsordnung des Bundesrates, die an sich wortgleich ist. Aber aufgrund der Geschäftsordnung und aufgrund entsprechender Klarstellungen des Verfassungsdienstes ist es in der Zwischenzeit gemeinsames Rechtsgut, daß die Interpellationsrechte bei ausgegliederten Unternehmen – hiebei gibt es keinen Unterschied zwischen Nationalrat und Bundesrat – verfassungsrechtlich geregelt sind.

Sie wissen auch – Kollege Konečny hat es schon dargestellt –, daß die Frage von sogenannten gemeinwirtschaftlichen Leistungen dieses Unternehmens in die Kompetenz des Bundesministeriums für Wissenschaft, Kunst und Verkehr gehören und ich nur ein Zustimmungsrecht im Sinne der budgetären Bedeckungen und ähnliches mehr habe.

Aber ich möchte mir trotzdem die Mühe machen, auf den Inhalt einzugehen, wenn Sie gestatten. Es ist so, daß Sie einer grundlegenden Fehlinterpretation unterliegen. Es gibt nämlich keine Pensionistenermäßigungen, es gibt Seniorenermäßigungen. Diese sind ausschließlich an Altersgrenzen gebunden, das hat nichts mit einem Pensionsstatut zu tun oder damit, aus welchem Titel heraus Pensionen bezahlt werden.

Wie gesagt, es gibt zum Beispiel Seniorenermäßigungen im Bereich der Bundesbusdienste in der Höhe von 50 Prozent des Regeltarifes. Das verursacht pro Jahr Einnahmenausfälle in einer Größenordnung von in etwa 100 Millionen Schilling. Ich gestehe Ihnen sofort zu, daß man – ich würde meinen, abhängig von der finanziellen Leistungsgrenze – darüber hinaus auch ernsthafte politische Gespräche führt, aber hier eine Ungleichbehandlung festzustellen, ist einfach unrichtig, weil es Seniorenermäßigungen hinsichtlich dieser Altersgrenze gibt.

Sehr geehrter Herr Bundesrat! Zu dem zweiten Punkt: Es ist Tatsache, daß der Bundesminister für öffentliche Wirtschaft und Verkehr in den allgemeinen Beförderungsbestimmungen für Kraftfahrlinien festgesetzt hat, daß Seniorenermäßigungen gegeben werden können. Ich darf Ihnen sagen, daß die Post eine derartige Ermäßigung ohne Abgeltung durch die Republik Österreich auch tatsächlich gewährt. Das heißt, das geschieht.

Sehr geehrter Herr Bundesrat! Was Sie nun angesprochen haben, ist die besondere Situation in Vorarlberg. Jetzt bringe ich wirklich einen Servicedienst, weil es sich in Vorarlberg um einen Verkehrsverbund handelt, der nichts mit Politik zu tun hat. Land, Träger und Bund gemeinsam bestimmen die Gestaltung im Verkehrsverbund. Laut Aussage des Verkehrsverbundes – ich gebe Ihnen das hier nur wieder – stehen für Senioren ermäßigte Netzkarten zur Verfügung, die als Tages-, Wochen-, Monats- oder Jahreskarten erhältlich sind. Unabhängig von den Arten der Pensionen, aber abhängig von der Altersgrenze gibt es diese Netzkarten. Zum Beispiel kostet die Seniorenjahresnetzkarte für Städte wie Bregenz, Dornbirn, Feldkirch und so weiter pro Jahr etwa 720 S. Die Einschränkung auf Netzkarten erfolgt ausschließlich auf Entscheid des Verbundes. Das heißt, ein großer Teil der Anfrage wäre wahrscheinlich an das Land Vorarlberg zu richten und nicht an mich.

Zu Ihrer vierten Frage darf ich Ihnen noch sagen, daß es selbstverständlich keine Zuständigkeit des BMF gibt und ich auf die einleitenden Bemerkungen verweisen darf.

Insgesamt, sehr geehrter Herr Bundesrat, bitte ich um Verständnis dafür, daß ich den Fehler gemacht habe, die Geschäftsordnung des Bundesrates nicht zu zitieren, sondern die des Nationalrates, ich bitte aber auch Sie, zur Kenntnis zu nehmen, daß es ein Bundesministeriengesetz mit klar geregelten Zuständigkeiten gibt. – Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPÖ.)

16.21

Vizepräsident Dr. DDr. h. c. Herbert Schambeck: Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Dr. Michael Rockenschaub. Ich erteile es ihm.

16.21

Bundesrat Dr. Michael Rockenschaub (Freiheitliche, Oberösterreich): Herr Präsident! Herr Bundesminister! Als Volksvertreter ist man natürlich überrascht, wenn man hören muß, daß das Interpellationsrecht in diesem Fall nicht gegeben ist, aber der Landeshauptmann vom Burgenland ein Interpellationsrecht genießt, auf das die Post und Telekom Austria Aktiengesell


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schaft auch antwortet, wenn von dort Fragen zum operativen Tagesgeschäft gestellt werden, und das versteht man dann nicht ganz.

Ich habe hier beispielsweise einen Brief von dem Büro von Landeshauptmann Karl Stix, den ein Herr Andreas Lang verfaßt hat, an den Ministerialrat Gerhard Martinek persönlich. Er lautet: Lieber Gerhard! – Das dürfte der übliche Jargon sein –: Nach unserem heutigen Telefongespräch darf ich dich im Auftrag vom Herrn Landeshauptmann ersuchen, bei der Vergabe der neu einzurichtenden Postservicestelle in Oslip zu prüfen, ob eine bestimmte Dame – sie ist hier namentlich genannt, ich will keinen Namen nennen – Berücksichtigung finden könnte. Unsere Freunde in Oslip haben uns gebeten, für die Dame bei dir zu intervenieren.

Derartige Interventionsschreiben sind uns ja nicht neu. Wir wissen, daß dies im roten Einflußbereich von roter Seite und im schwarzen von schwarzer Seite vorkommt. (Bundesminister Mag. Klima: Auch im blauen und im schwarzen!) – Mag sein, so etwas gibt es in Österreich zu hunderten.

Nur ist eines interessant, nämlich wenn das Interpellationsrecht für Volksvertreter nicht mehr besteht – diese Rechtslage ist selbstverständlich zur Kenntnis zu nehmen, auch von uns –, daß sich das anscheinend bei der Post und Telekom Austria Aktiengesellschaft – Direktion Wien nicht durchgesprochen hat, weil es sonst nicht möglich wäre – ich darf Ihnen das dann übergeben –, daß auf derartige Interventionen geantwortet wird, nämlich im positiven Sinn, daß also grundsätzlich aus der Sicht des Hauses kein Einwand besteht, daß diese Dame aufgenommen wird. Auf einer Seite werden noch nähere dienstrechtliche Umstände erläutert.

Da frage ich mich dann schon, Herr Bundesminister, wie es möglich ist, wenn ich als Volksvertreter die Rechtslage zur Kenntnis nehmen muß – ganz klar –, daß dann von der PTA derartige Schreiben an ein Landeshauptmannbüro oder sonst beliebige Stellen anscheinend hinausgehen – wie das genau funktioniert, weiß ich nicht –, auf die über das Tagesgeschäft – da sind wir gar nicht bei Angelegenheiten, die eine Jahreshauptversammlung betreffen – dann Auskunft gegeben wird. Darüber sind wir etwas erstaunt, und das möchten wir so nicht gerne zur Kenntnis nehmen. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

16.24

Vizepräsident Dr. DDr. h. c. Herbert Schambeck: Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesminister Mag. Klima. Ich erteile es ihm.

16.24

Bundesminister für Finanzen Mag. Viktor Klima: Herr Präsident! Hoher Bundesrat! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich kann an sich das Erstaunen nicht teilen, denn Sie können als Bundesrat – nehmen wir irgendein Beispiel – an die Firma Siemens Österreich AG einen Brief schreiben und werden von der Siemens Österreich AG, vom Vorstand, von einem Vorstandsmitglied, von einem Direktorium je nach deren Wollen eine Antwort bekommen.

Es ist Ihnen unbenommen, an den Vorstand der PTA AG Fragen zu richten oder was immer zu schreiben. Der Vorstand der PTA AG wird Ihnen antworten. Es ist nur eine andere Rechtsquelle, wenn Sie an den Bundesminister für Finanzen, der noch immer zu 26 Prozent Eigentümervertreter der Siemens Österreich AG ist, Fragen über die Geschäftspolitik der Siemens Österreich wissen wollen, oder Fragen über die Geschäftspolitik einer Aktiengesellschaft, die PTA AG heißt, stellen.

Verzeihen Sie, ich meine das nicht zynisch, ich tue mir nur schwer, ich verstehe nicht, daß Sie den Unterschied nicht verstehen. – Danke. (Beifall bei der SPÖ.)

16.25

Vizepräsident Dr. DDr. h. c. Herbert Schambeck: Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Es ist dies nicht der Fall.

Dann ist diese Debatte geschlossen.


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Fortsetzung der Tagesordnung

Vizepräsident Dr. DDr. h. c. Herbert Schambeck: Hoher Bundesrat! Wir setzen nun die Verhandlung zum Tagesordnungspunkt 5 fort.

Ich erteile nunmehr Herrn Bundesrat Dr. Franz Werner Königshofer das Wort, um seine Rede, die er schon begonnen hat, fortzusetzen. – Bitte, Herr Bundesrat, Sie haben das Wort.

16.26

Bundesrat DDr. Franz Werner Königshofer (Freiheitliche, Tirol): Herr Präsident! Herr Bundesminister! Meine Damen und Herren! Nach einer kurzen Zwischendiskussion über eine politische Kindesweglegung wollen wir uns wieder den Werkverträgen zuwenden. Ich habe zuerst über die Bürokratie beziehungsweise über die Verunsicherung und davon gesprochen, daß eine Folge dieser Verunsicherung ein starkes Abtauchen in die Schattenwirtschaft sein wird. Viele Dienstnehmer werden sich eben sagen: Nur weg von diesem Bürokratismus! Ich melde überhaupt nichts mehr an. Ich arbeite schwarz und damit ertragreicher und mit weniger Aufwand.

Dazu möchte ich noch einmal das "Wirtschaftsblatt" vom 24. September dieses Jahres zitieren. Hier heißt es: Umgehung durch Schwarzarbeit: Pfusch erzeugt Pfusch. Laut einer Studie des Linzer Universitätsprofessors für Volkswirtschaft Friedrich Schneider wird 1996 die heimische Schattenwirtschaft um etwa – man höre und staune – 30 Milliarden auf insgesamt 200 Milliarden Schilling wachsen. Davon dürften 7 bis 10 Milliarden Schilling aus der Umgehung der Werkvertragsregelung stammen, klagt Schneider. Nach Einführung der Steuer- und Sozialversicherungspflicht bei Werkverträgen ist der Anreiz gestiegen, solche Verträge durch Arbeiten im Pfusch zu umgehen, sagt der Volkswirt. Seiner Meinung nach werde die Reparatur des Gesetzes nichts daran ändern, daß die offiziellen Honorare unter der Geringfügigkeitsgrenze von 7 000 S angesetzt werden, der Rest der Entlohnung folge unter der Hand. – Ende des Zitats.

Meine Damen und Herren! Das kann doch wohl nicht das Ziel einer vernünftigen Gesetzesregelung sein. Die Probleme dieser vorliegenden Werkvertragsregelung zeigen meines Erachtens auch die Probleme im derzeitigen System der Sozialversicherungen auf. Verschiedenste Anstalten, Krankenkassen, Pensionskassen, gemischte Anstalten mit unterschiedlichsten Anspruchsvoraussetzungen schafften mit einem Übermaß an Bürokratie ein völlig unübersichtliches Szenario, einen Paragraphendschungel, der auch für Experten immer undurchdringlicher und undurchsichtiger wird.

Wir Freiheitlichen verlangen schon seit vielen Jahren eine strukturelle Reform des österreichischen Sozialversicherungssystems, die Zusammenlegung von Kassen und Anstalten bis hin zur Versicherungspflicht statt der bisherigen Pflichtversicherung.

Meine Damen und Herren von den Regierungsparteien! An Ihnen liegt es, diesen Reformbedarf in Zukunft zu befriedigen, nicht in Detailregelungen, wie sie uns hier und heute vorliegen.

Entstauben Sie doch endlich dieses Land vom Schutt der Bürokratie! Schaffen Sie die Freiräume, zum Beispiel auch im Bereich der Gewerbeordnung, in denen sich fleißige Menschen in diesem Land erfolgreich bewegen können! Gestalten Sie durch eine sinnvolle Reform ein gerechtes und effizientes Modell der sozialen Absicherung! – Der gegenständlichen Husch-Pfusch-Novelle eines Husch-Pfusch-Gesetzes werden wir Freiheitlichen unsere Zustimmung selbstverständlich nicht geben. – Danke. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

16.29

Vizepräsident Dr. DDr. h. c. Herbert Schambeck: Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Dr. Kurt Kaufmann. Ich erteile es ihm.

16.30

Bundesrat Dr. Kurt Kaufmann (ÖVP, Niederösterreich): Herr Bundesminister! Herr Präsident! Hoher Bundesrat! Wir haben heute schon sehr ausführlich über die Folgen dieser Werkvertragsregelung diskutiert. Ich muß in vielen Bereichen – ausnahmsweise muß ich dazu sagen – Kollegen Langer recht geben, wenn es um die Frage der Bürokratie geht, die mit dieser


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Regelung verbunden ist. Das ist auch von unserer Seite und vor allem von der Seite des Wirtschaftsbundes ein Hauptkritikpunkt. Wir haben uns sehr bald, nachdem diese Regelung beschlossen worden ist, zu Wort gemeldet. Es war Generalsekretär Dr. Stummvoll, der im Sommer dieses Jahres einbekannt hat, daß diese Regelung eine sehr bürokratische Lösung ist, und damals eine Reform gefordert hat. Es war der Bundesparteiobmann und Vizekanzler Dr. Schüssel, der eine Reform gefordert hat. Es war der Wirtschaftsbund insgesamt, der auf diese Reformen gedrängt hat.

Meine Damen und Herren! Wir bekennen uns zu einer Sozialversicherungspflicht. Herr Bundesminister! Wir bekennen uns auch dazu, daß wir Umgehungen hintanhalten müssen, Umgehungen, die bei den Dienstnehmern zu einem Zweiklassenbereich führen, und zwar zu jenen Dienstnehmern, für die die vollen Sozialversicherungbeiträge bezahlt wurden, und zu jenen Dienstnehmern, die quasi ein geringes Fixum erhalten und dann durch Werkverträge zusätzlich ihr Einkommen ohne Sozialversicherungspflicht beziehen.

Was uns an dem Gesetz stört, ist die Bürokratie. Das wurde schon erwähnt, und ich habe gestern im Ausschuß extra gebeten, mir einmal die Abgrenzungen zwischen einem freien Dienstverhältnis und einem dienstnehmerähnlichen Werkvertrag zu erklären. Ich bin dem Kollegen aus dem Ministerium dankbar, daß ich diese Unterlage aus dem ARD bekommen habe. Sie ist vier Seiten lang, auf denen erklärt wird, was wir heute beschließen. Das ist die Schwierigkeit an diesem Gesetz. Ich weiß, es gibt viele oberstgerichtliche Entscheidungen zu dieser Frage, die natürlich die einzelnen Bereiche, was dienstnehmerähnlich, was Dauerschuldverhältnis bei einem freien Dienstverhältnis ist, beleuchten, etwa wie lange bei einem dienstnehmerähnlichen Werkvertrag die Regelmäßigkeit sein soll. – Ich verstehe schon, daß das den Ausfluß der Urteile des Obersten Gerichtshofes darstellt. Es bedeutet das aber enorme Bürokratie.

Meine Damen und Herren! Es sind vor allem die Klein- und Mittelbetriebe. Es ist die Unternehmerin, die am Wochenende die Buchhaltung macht, die Probleme mit der Abgrenzung hat. Ein weiteres Problem dabei ist, daß natürlich nunmehr die Gebietskrankenkasse versuchen werden, genaue Prüfungen durchzuführen, und praktisch jede Werkvertragsregelung schon im vorhinein "kriminalisieren".

Meine Damen und Herren! Wir haben heute sehr viele Vorlesungen und Zitate aus verschiedenen Zeitungsartikeln gehört. Ich bin dankbar für diese Informationen. Einer wurde vergessen, Kollege Langer, und den möchte ich noch zusätzlich zitieren. Das war Volker Kier, aber er gehört dem Liberalen Forum an. Er verwechselt eine Werkvertragsregelung mit einer gewerblichen Tätigkeit. Sein berühmtes Beispiel war der Schneider, der einen Anzug macht. Er hat vergessen, daß es auch die Möglichkeit gibt, ein Gewerbe anzumelden. Ich sehe das sicherlich als eine positive Entwicklung, daß nunmehr versucht wird, endlich diese Tätigkeiten im Rahmen der Gewerbeordnung, im Rahmen der Wirtschaftskammer anzumelden. Dadurch wird der Pfusch, der vielleicht da und dort herrscht, endlich in geregelte Bahnen gelenkt.

Herr Kollege Langer! Mich wundert es, daß Sie die Bundeskammer kritisieren. Sie sind ebenfalls ein Vertreter der Sozialpartner. Als Vizepräsident der Wiener Handelskammer sitzen Sie in den Entscheidungsgremien. Da wird Ihnen sicherlich nicht die Kritik entgangen sein, die von unserer Seite gekommen ist. Wir haben dieser neuerlichen Novelle zähneknirschend zugestimmt, weil sie doch einige Punkte bringt, die entgegen der bisherigen Regelung, die mit 1. Juli in Kraft getreten ist, wesentliche Erleichterungen darstellen.

Herr Kollege Weilharter! Wir sind daher nicht euphorisch und stolz darauf, sondern wir haben versucht, diese Probleme in den Griff zu bekommen. Wir haben versucht, die größten Angriffspunkte zu bereinigen. Das ist erstens einmal die Anhebung der Freigrenze auf 7 000 S. Ich weiß, auch das ist nur ein Kompromiß, Kollege Langer! Uns wäre es lieber gewesen, wir hätten eine einheitliche Grenze zustande gebracht. In einer Koalitionsregierung muß man natürlich auch Bedenken des Partners berücksichtigen. Es war ein Kompromiß auf 7 000 S, der zumindest dazu geführt hat, daß ein Drittel der Werkverträge herausfällt, daß also die Schreibkraft, die um 5 000 S arbeitet, nicht in diese Regelung hineinfällt. Das führt heuer auch zu einem entspre


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chenden Einnahmensausfall in der Höhe von 100 Millionen und im nächsten Jahr in der Höhe von 300 Millionen. Das heißt also, darauf können wir stolz sein. Das ist sicherlich ein Verdienst der Volkspartei, daß wir eine entsprechende Erleichterung geschaffen haben.

Der zweite Punkt, der erreicht wurde, ist die Rückerstattungsmöglichkeit für Beträge, die über die Höchstbemessungsgrundlage bezahlt werden. Mir ist klar, daß das natürlich auch mit Bürokratie verbunden ist, weil es nicht sehr einfach ist, das zu bemessen. Es ist aber ein Ansatz zu einer objektiven Gestaltung der Sozialversicherungspflicht. Worauf ich besonders stolz bin, ist, daß wir auch Beträge für die Mitversicherung der Lehrlinge zustande gebracht haben. Das ist nur eine Summe von 35 Millionen Schilling, die zur Verfügung gestellt wird, aber sie führt zumindest dazu, daß der Anteil, den der Dienstgeber zahlen muß, um 1,5 Prozentpunkte herabgesetzt wird. Das ist ein erster Schritt in Richtung Verbesserung der Situation für Betriebe, die Lehrlinge ausbilden, wobei ich einen ganzen Katalog von Wünschen hinsichtlich der Lehrlingsausbildung anschließen kann. Wichtiger als diese Regelung ist, daß wir raschest das Kinder- und Jugendbeschäftigungsgesetz zeitgemäß adaptieren, daß wir für die Betriebe, die Lehrlinge ausbilden, steuerliche Erleichterungen zustande bringen und daß wir die Lehrlingsentschädigung aus der Kommunalsteuer herausnehmen. Ich wollte nur kurz unsere Forderungen nochmals darlegen.

Ich glaube, es ist ganz wichtig, daß wir für Betriebe, die Lehrlinge ausbilden, entsprechende Erleichterungen schaffen. Kollege Drochter ist der nächste Redner, und dann werde ich sofort wissen, was er sagen wird. Wir sind gegen einen Fonds, weil das natürlich dazu führt, daß die Lohnnebenkosten steigen und die Abgrenzung äußerst schwierig ist. Wir sind schon am Plafond der Lohnnebenkosten in Österreich angelangt. Ich glaube, es ist sinnvoller, wenn man steuerliche Begünstigungen gerade für den Betrieb schafft, der Lehrlinge ausbildet. Es kommt noch dazu, daß 13 Prozent der Lehrlinge, die eine Lehrabschlußprüfung hinter sich haben, in den öffentlichen Dienst gehen und daher sicherlich auch die Allgemeinheit gefordert ist, entsprechende Unterstützungen zu geben.

Als dritter Punkt wurde erreicht – das wurde heute mehrfach erwähnt, und ich betrachte das eher als einen Erfolg –, daß die Umgehungsmöglichkeiten wegfallen, daß es keine zwei Arten von Dienstnehmern in einem Betrieb geben wird. Es wurde die Meldepflicht auf Verdacht gestrichen. Es wurde ein Freibetrag von 8 000 S für den Vorsteuerabzug eingeführt.

Meine Damen und Herren! Wenn man sich die Sozialversicherungspflicht dieser freien Dienstverträge und dienstnehmerähnlichen Werkverträge anschaut, so ist das – das muß man ehrlich sagen – sicherlich kein Ruhmesblatt für die Legistik oder für die Gesetzgebung. Ich weiß, daß die Abgrenzung schwierig ist, ich weiß, daß es schwierig ist, sich an das richtige Modell heranzutasten. Es wäre aber, Herr Minister, ein Sprung über den eigenen Schatten in der Form notwendig gewesen, daß man ehrlich gesagt hätte: Wir setzen das Gesetz aus, wir überlegen es noch einmal und beschließen es ein paar Monate oder ein halbes Jahr später. In dieser Zeit hätten wir gemeinsam zu einer brauchbaren Lösung gefunden, und ich glaube, wir hätten uns viel Ärgernis und Kritik in der Öffentlichkeit erspart.

Wie gesagt, Herr Minister, wir stehen zu dieser Sozialversicherungspflicht beziehungsweise zur Versicherung sämtlicher Personen – Arbeitnehmer und Arbeitgeber –, die Lösung, die hier angeboten wird, ist allerdings sicherlich nicht der Weisheit letzter Schluß, und ich bin mir sicher, daß wir in einigen Monaten wieder hier stehen und eine neuerliche Novellierung durchführen werden. Wir sollten vielleicht die nächsten Monate dazu nützen, aus diesem Gesetz zu lernen, wie das in der Praxis zu handhaben ist.

Vier Seiten zu benötigen, damit uns Juristen und Experten erklären, was wir heute beschließen, ist natürlich problematisch. Das erinnert mich an das Vorwort von Professor Gschnitzer in seinem Lehrbuch zum Bürgerlichen Recht, in dem er einen Abgeordneten zum Tiroler Landtag zitiert: Jetzt muß uns quasi der Verfassungsgerichtshof sagen, was wir beschlossen haben. – So ungefähr kommt mir das vor, was heute zur Beschlußfassung vorliegt. – Danke. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

16.42


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617. Sitzung / Seite 106

Vizepräsident Dr. DDr. h. c. Herbert Schambeck:
Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesminister Franz Hums. – Bitte.

16.42

Bundesminister für Arbeit und Soziales Franz Hums: Herr Präsident! Sehr geehrte Damen! Sehr geehrte Herren! Ich möchte nur wirklich auch hier für die Legisten meines Hauses eintreten, denn die Aufgabe, die sie haben, ist nicht immer ganz leicht. In einer Koalition – das wurde gerade von Ihnen gesagt, Herr Bundesrat – und in der Gesellschaft insgesamt gibt es Interessenausgleiche, die zu berücksichtigen sind, ganz besonders dann, wenn man – und zwar sehr rasch – Neuland in der Sozialversicherung betreten muß.

Es wäre aufgrund der von mir schon vorhin geschilderten Umstände – weil immer mehr und mehr diese Umgehung genützt haben – nicht möglich gewesen, länger zuzuwarten. Die Kompromisse bedingen natürlich auch Kompliziertheiten, allerdings sind das nicht die einzigen Kompliziertheiten; es gibt wesentlich größere in unserem Sozialversicherungssystem, nur leben wir schon länger damit, daher fallen sie niemandem auf. (Präsidentin Haselbach übernimmt den Vorsitz.)

Daher sind wir gefordert – das war mein Ansatz von Beginn an, nur konnte er in der Koalition nicht umgesetzt werden –: Gehen wir gleich den großen Weg! Erwerbseinkommen in der Höhe von bis ist sozialversicherungsfähig und sozialversicherungspflichtig. Das soll der Weg sein. Über diesen Umweg gibt es jetzt zu diesem Thema wenigstens Übereinstimmung.

Daher meine Bitte: In diese Richtung sollen wir wirklich zügig gehen. Es wird nicht leicht sein, weil es eben derzeit in allen Bereichen so viele Ausnahmeregelungen aus den letzten Jahrzehnten gibt. Wir werden daher auch den nächsten Schritt setzen müssen, ohne damit schon die Perfektion erreichen zu können.

Die Änderung unseres gesamten Sozialversicherungssystem hat nämlich mein Vorgänger bereits bei einer Wissenschafterkommission in Auftrag gegeben, und zu meinem Dienstantritt vor etwa eineinhalb Jahren habe ich einen ganz namhaften Juristen in dieser Kommission gefragt, wie rasch denn das geschehen könnte. Er hat mir damals gesagt – dieser Termin darf in dieser Form jedoch nicht aufrechterhalten werden –: "Wenn wir das gründlich machen und alles überlegen, was sich da entwickelt hat, und dann mit den Interessenvertretungen verhandeln, dann werden wir, weil wir zügig am Werk sein werden, zirka sieben Jahre brauchen." – Das darf nicht sein! Wir müssen aber sicher auch einen nächsten Schritt setzen in die Richtung: Erwerbseinkommen in der Höhe von bis bietet sozialen Schutz und ist sozialversicherungspflichtig, bevor wir das gesamte System ändern.

Das sage ich hier offen und ehrlich und gleichzeitig auch zum Schutz der Legisten meines Hauses, denen man nicht vorwerfen sollte, daß sie schlecht gearbeitet hätten. Das möchte ich hier feststellen, denn sie haben es in den letzten eineinhalb Jahren nicht leicht gehabt, in denen es insbesondere um die Finanzierung unseres gesamten Sozialsystems – des guten Systems – gegangen ist.

Eines möchte ich bei dieser Gelegenheit auch noch feststellen, weil die neue Versicherungsgrenze für freie Dienstverträge genannt wurde: Es ist momentan irgendwo ausgestreut worden, daß beabsichtigt sei, die Versicherung im Arbeitslosenversicherungsbereich von der allgemeinen Mindestgrundlage, das heißt von der Geringfügigkeitsgrenze von derzeit 3 600 S, zu lösen. Es war von mir nicht beabsichtigt, es ist nicht beabsichtigt, für die Arbeitslosenversicherung eine höhere Geringfügigkeitsgrenze als die allgemeine von 3 600 S – natürlich durch Gesetz entsprechend weiterentwickelt – vorzusehen. Diese allgemeine Geringfügigkeitsgrenze wird auch in Zukunft für die Arbeitslosenversicherung gelten. – Damit nicht tagtäglich irgendwer etwas Neues kolportiert, möchte ich das hier festgestellt haben. (Beifall bei der SPÖ.)


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617. Sitzung / Seite 107

16.46

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Als nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Drochter. – Bitte.

16.46

Bundesrat Karl Drochter (SPÖ, Wien): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Herr Bundesminister! Meine sehr geehrten Damen und Herren des Bundesrates! Wir haben heute eine ganz wichtige Regelung zu beschließen. Der bisherige Diskussionsverlauf – vor allem von den Vertretern der Freiheitlichen Partei – läßt für mich den Schluß zu, daß Sie, Herr Bundesminister, wahrscheinlich noch drei Gesetzesänderungen oder Novellen zu den Werkvertragsregelungen machen müßten, um den freiheitlichen Bundesrätinnen und Bundesräten die soziale Dimension des heute vorliegenden Regelungsvorschlages bewußt zu machen.

Ich erlaube mir aber auch, einige Anmerkungen zu Kollegen Jaud zu machen. Er ist nicht mehr da. Er wendet seine grenzenlosen liberalen Vorstellungen wahrscheinlich schon in der Praxis an und hat sich bereits nach Hause begeben. (Zwischenrufe bei der ÖVP. – Bundesrat Pischl: Aber nein! – Bundesrat Dr. Kapral: Hört! Hört!)

Ich glaube, er will eine grenzenlose Freiheit für die Unternehmen. Ich darf ihm sagen, daß das alles schon dagewesen ist. Die Ergebnisse, wo das hingeführt hat, kann er sicherlich in Jenbach erfragen. Wenn ihm das zu mühevoll ist, kann er das auch in den Geschichtsbüchern der Arbeiterbewegung nachlesen.

Ich könnte mir schon vorstellen, daß wir vielleicht weniger soziale Schutzmaßnahmen und Regelungen brauchen würden, und zwar dann, wenn alle Unternehmer so fair, so sozial, wie sie sein könnten, wären und nicht täglich die soziale und wirtschaftliche Schwäche der Arbeitnehmer ausnützen würden.

Lieber Kollege Jaud! Es gibt eine Vielzahl von Hinweisen, daß Sozialgesetze und Sozialeinrichtungen auch von den Unternehmern – also von seiner Klientel – in Anspruch genommen werden, genützt werden, aber auch über Gebühr ausgenützt werden.

Kollege Jaud ist so voller Emotionen gewesen. Ich möchte nicht behaupten, daß er uninformiert ist, aber wenn er hier Zweifel hat, nenne ich ihm zur Sicherheit einige Zahlen aus dem Jahre 1995: Die Gesamtaufwendungen im sozialen Bereich der gewerblichen Wirtschaft wurden – bedauerlicherweise – nur zu knapp über 30 Prozent aus Beiträgen aufgebracht, 4,7 Prozent aus anderen Erträgen und über 65 Prozent aus Bundesbeiträgen. – Auch bei der anderen selbständigen Gruppe, den Bauern, sieht es nicht viel anders aus.

Aber ich möchte all jenen, die dem grenzenlosen Liberalismus das Wort reden, nach den Beiträgen, die ich heute gehört habe, doch einiges mitgeben. Man sollte sich auf der konservativen und liberalen Seite nicht überheben. Das ist nur ein kleiner Ratschlag. Man kann sich beim Überheben auch einen Leistenbruch zuziehen. Dieser ist, wie Sie wissen, sehr schmerzhaft und sehr langwierig. Und wieviel auf eine Kuhhaut geht, weiß Kollege Jaud sicherlich besser als ich. – Ich möchte mich nun eigentlich mit einigen Anmerkungen dem heutigen Thema zuwenden.

Ich darf unterstreichen, das Ziel der Regelung betreffend die sozialversicherungspflichtigen Werkverträge war für uns von Anfang an, jene zu schützen, die zwar eindeutig einen Arbeitnehmerstatus haben, jedoch von den Arbeitgebern zu Selbständigen gemacht werden. Viel zu oft und an vielen Beispielen erleben wir in der Praxis, daß die Arbeitgeber durch geschickte Vertragskonstruktionen die Sozialversicherungspflicht umgehen. Die Umgehung der Sozialversicherungspflicht mittels Werkvertrag hat in den letzten Jahren nach unseren Beobachtungen und nach Ihrem Tun sehr stark zugenommen. Die geschätzte Zahl beträgt über 300 000. Dies bedeutet nicht nur ein Verlorengehen des sozialen Schutzes für die Betroffenen mit allen gesundheitlichen und finanziellen Konsequenzen für die betroffenen Arbeitnehmer und deren Angehörige, sondern das bedeutet auch, daß die Lasten dafür jene Arbeitnehmer und Arbeitgeber zu tragen haben, die ihre Beiträge sowohl der Höhe nach als auch der Zeit nach korrekt entrichten, und das bewirkt, daß es zu sehr starken Wettbewerbsverzerrungen kommt.

Die nunmehr gefundene politische Regelung hat sicherlich eine eindeutige Zielrichtung, nämlich den Charakter eines Kompromisses. Positiv zu bewerten ist, daß der grundsätzliche Schutzcharakter der bereits bestehenden Regelungen im Prinzip aufrecht bleibt.


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617. Sitzung / Seite 108

Ich brauche nicht auf die einzelnen Punkte einzugehen – diese sind vom Herrn Bundesminister und von anderen Diskussionsrednern sehr ausführlich beleuchtet worden –, ich möchte mich nur mit dem Hinweis, den Herr Kollege Dr. Kaufmann gemacht hat, auseinandersetzen und darauf hinweisen, daß wir die neue Regelung für die Lehrlinge sehr begrüßen. Die in der politischen Vereinbarung beabsichtigte Neuregelung für Lehrlinge besagt nämlich, daß die von Auftraggebern über die Höchstbemessungsgrundlage bezahlten Beiträge nicht rückerstattet werden. Es handelt sich der Schätzung nach wahrscheinlich um eine Summe zwischen 35 und 40 Millionen Schilling, und sie wird unserer Meinung nach richtigerweise zur Entlastung von Ausbildungsbetrieben verwendet. So werden künftig die Krankenkassenbeiträge der Arbeitgeber für Lehrlinge im ersten Jahr nicht mehr 7,9, sondern nur 6,5 Prozent betragen.

Ich möchte aber abschließend auch einen Appell an die Arbeitgeber und an die Unternehmer richten, doch zu bedenken, wie viele Tausende junge Burschen und Mädchen in Österreich derzeit noch immer eine Lehrstelle suchen. Mit Ende September waren das über 7 900. Das sind im Vergleich zum Vorjahr um 2 400 mehr. Ich glaube, daß es sich die Gesellschaft, in der wir leben, nicht leisten kann, für so viele Tausende junge Burschen und Mädchen nicht imstande zu sein, einen Ausbildungsplatz zur Verfügung zu stellen, obwohl der Staat und auch die Länder – insbesondere auch das Bundesland Wien – in vielfacher Art und Weise jene Betriebe auch materiell unterstützen, die zusätzlich junge Burschen und Mädchen als Lehrlinge einstellen. Ich glaube, daß das auch eine moralische Verpflichtung ist, an der wir früher oder später gemessen werden.

Ich meine das wirklich sehr ernst, und wir als Interessenvertretung werden auch weiterhin behilflich sein, wo wir können, um den Arbeitgebern, aber auch den großen Lehrwerkstätten die Ausbildung über den eigenen Bedarf hinaus zu ermöglichen. Wir sehen darin keine Prinzipienfrage, sondern eine humanistische und gesellschaftliche Verpflichtung.

Weil durch die Novellierung der Werkvertragsregelung auch ein kleiner Beitrag dazu geleistet wird, geben wir dieser Novellierung umso lieber die Zustimmung. (Beifall bei der SPÖ.)

16.58

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Als nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Dr. Kapral. – Bitte.

16.58

Bundesrat Dr. Peter Kapral (Freiheitliche, Wien): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Hohes Haus! Ich kann Herrn Bundesrat Drochter versichern, daß uns von der Fraktion der Freiheitlichen hier im Bundesrat die soziale Dimension des Problems durchaus bewußt ist. Die Frage ist nur, ob man Mißbrauchsmöglichkeiten, die anscheinend bestehen, auf diese Art, wie es hier bei der dreimal reparierten und wahrscheinlich noch immer nicht endgültigen Werkvertragsregelung der Fall ist, tatsächlich begegnen kann und ob damit der richtige Weg zur Korrektur unter Beachtung eben dieser sozialen Dimension eingeschlagen wurde.

Bei aller Wertschätzung für die Legisten im Sozialministerium und den durchaus verständlichen anerkennenden Worten des Herrn Bundesministers: Die Lösung, wie sie jetzt getroffen wird, ist kein Ruhmesblatt. Man ist bei der Berücksichtigung der sozialen Dimension dabei, das Kind mit dem Bad auszuschütten. In Wirklichkeit geht es darum, eine Lösung zu finden, die durchführbar, die praktikabel ist und niemanden über Gebühr belastet.

Etwas, was zwar in einem anderen Zusammenhang gesagt worden ist, trifft auch auf diesen Fall zu. Professor Ruppe, ein durchaus angesehener Finanzwirtschafter, Ordinarius, Vorstand des Instituts für Finanzrecht an der Universität Graz, hat gesagt – wie gesagt, in anderem Zusammenhang –: Die Sache wäre es nicht wert, sich damit zu befassen, wenn sie nicht Ausdruck eines allgemeinen Phänomens wäre.

Auf diesen Ausdruck eines allgemeinen Phänomens wollte ich zu sprechen kommen. Statt ein Problem zu identifizieren und eine sachlich adäquate Lösung vorzuschlagen, werden – offenbar um notwendige Belastungen zu verschleiern und ideologische Positionen beibehalten zu können – merkwürdige Ablenkungsmanöver durchgeführt und Vorschläge in die Welt gesetzt, die nicht


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wirklich ernst gemeint sein können. Das trifft genau auf diese Werkvertragsregelung zu. Für mich ist es immer noch schleierhaft, warum man, wenn man aufmerksam gemacht wird, daß eine Lösung in dieser Form nicht praktikabel ist, nicht den Mut hat, herzugehen und zu sagen: Gut, wir ziehen das zurück, wir machen das anders, wir gehen einen anderen Weg, sei es, indem die Regierungsvorlage nicht weiter behandelt wird oder indem ein anderer Schritt gesetzt wird.

Wir sollten von neuem anfangen und gemeinsam einen Weg suchen, der die soziale Dimension, wie Sie richtig sagen, Herr Bundesrat Drochter, aber auch die legitimen Interessen der Wirtschaft, die sicherlich andere Aufgaben zu erfüllen hat, andere Probleme hat, als sich mit einer völlig unzulänglichen Lösung dieser Frage herumzuschlagen, berücksichtigt.

Ich möchte noch auf eines zu sprechen kommen, weil ich mich diesbezüglich Ende des vergangenen Monats stark gemacht habe gegenüber den anderen Fraktionen. Ich bin dafür eingetreten, daß man die Beschlußfassung hier im Bundesrat sehr rasch nach der Beschlußfassung im Nationalrat durchführt und einen früheren Sitzungstermin festlegt, weil ich glaube, daß der Termin über die Anmeldung der Werkverträge, der ja immer wieder hinausgeschoben wird – einmal war es der 1. Juli, dann der 1. Oktober, und jetzt wird es schließlich der 1. November sein –, den Normunterworfenen zwar bekannt ist, auf der anderen Seite aber nicht wirklich Gesetz ist. Die gesetzliche Regelung lautet derzeit, daß die Anmeldung der Werkverträge bis zum 1. Oktober vorzunehmen ist. Diese Unsicherheit sollte man möglichst rasch beseitigen.

Wir sind in einer Minderheitsposition, die eine solche Initiative nicht erlaubt. Aber ich bin der festen Überzeugung, daß diese Vorgangsweise für den Normunterworfenen unzumutbar ist, daß der Normunterworfene in eine Situation gedrängt wird, die nicht dazu geeignet erscheint, den Respekt vor dem Gesetzgeber, den Rechtswillen zu stärken, die Gesetzgebungskultur in diesem Lande tatsächlich so zu handhaben, wie sie eines Rechtsstaates würdig ist. All das hätte rascher erledigt werden sollen.

Nochmals an die Damen und Herren Bundesräte der ÖVP gewandt, insbesondere an die Wirtschaftsvertreter: Sie haben jetzt noch die Gelegenheit, eine auch von Ihnen als völlig unzulänglich, als nicht praktikabel anerkannte Regelung zu Fall zu bringen. Schließen Sie sich den Worten des Wiener ÖVP-Obmannes Görg an, der damit bei der letzten Landtagswahl auch nicht unbedingt einen Wahlerfolg einfahren konnte, weil die Bürgerinnen und Bürger schon durchschaut haben, wiewenig ernst es ihm mit seinen Aussagen von der Husch-Pfusch-Lösung ist, damit, die Regelung zu Fall zu bringen, sie schnellsten außer Kraft zu setzen! Aber Sie haben heute hier die letzte Gelegenheit, einen deutlichen Schritt zu setzen, um zu zeigen, daß Sie mit solchen Lösungen nicht konform gehen. Stimmen Sie ebenso wie wir von den Freiheitlichen gegen den Antrag, keinen Einspruch zu erheben, und bringen Sie damit diesen Gesetzesbeschluß zumindest vorerst zu Fall! – Danke. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

17.05

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall.

Die Debatte ist geschlossen.

Wird von der Berichterstattung ein Schlußwort gewünscht? – Auch das ist nicht der Fall.

Wir kommen daher zur Abstimmung.

Ich bitte jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den vorliegenden Beschluß des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Dies ist Stimmenmehrheit.

Der Antrag, keinen Einspruch zu erheben, ist somit angenommen. (Bundesrat Dr. Kapral: Wie viele waren es? – Auszählung, bitte!)


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Bitte, dann werden wir auszählen. Es soll nicht darauf ankommen. Es war von hier oben für mich offensichtlich, daß die Mehrheit dem Antrag zugestimmt hat, aber wenn die Meinung vorherrscht, daß mich mein Augenlicht bereits trügt, dann soll es mir nicht darauf ankommen. Aber von hier oben war es wirklich eindeutig. (Bundesrat Dr. Kapral: Gut; okay!)

6. Punkt

Beschluß des Nationalrates vom 2. Oktober 1996 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Arbeitsverfassungsgesetz, das Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz und das Bundesgesetz über die Post-Betriebsverfassung geändert werden (318 und 329/NR sowie 5280/BR der Beilagen)

7. Punkt

Beschluß des Nationalrates vom 2. Oktober 1996 betreffend Übereinkommen (Nr. 173) über den Schutz der Forderungen der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit ihres Arbeitgebers samt Erklärung (89 und 330/NR sowie 5274 und 5281/BR der Beilagen)

8. Punkt

Beschluß des Nationalrates vom 2. Oktober 1996 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Bundesgesetz betreffend ergänzende Regelungen zur Anwendung der Verordnungen (EWG) im Bereich der sozialen Sicherheit geändert wird (201 und 331/NR sowie 5282/BR der Beilagen)

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Wir gelangen zu den Punkten 6 bis 8 der Tagesordnung, über welche die Debatte unter einem abgeführt wird.

Es sind dies

ein Bundesgesetz, mit dem das Arbeitsverfassungsgesetz, das Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz und das Bundesgesetz über die Post-Betriebsverfassung geändert werden (Unruhe im Saal) – verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich darf Ihnen, nachdem offensichtlich die Volksseele kocht und keiner bereit ist, zuzuhören, etwas sagen, das die Vorsitzende des Unterhauses zu sagen pflegt: Sie müssen einem Redner nicht zuhören, aber man muß ihn hören können!; ich bitte, dies zu beherzigen –,

das Übereinkommen (Nr. 173) über den Schutz der Forderungen der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit ihres Arbeitgebers samt Erklärung und

ein Bundesgesetz, mit dem das Bundesgesetz betreffend ergänzende Regelungen zur Anwendung der Verordnungen (EWG) im Bereich der sozialen Sicherheit geändert wird.

Die Berichterstattung über die Punkte 6 bis 8 hat Frau Bundesrätin Rösler übernommen. Ich bitte um die Berichterstattung.

Berichterstatterin Michaela Rösler: Frau Präsidentin! Herr Bundesminister! Meine Damen und Herren! Ich bringe erstens den Bericht über den Beschluß des Nationalrates vom 2. Oktober betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Arbeitsverfassungsgesetz, das Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz und das Bundesgesetz über die Post-Betriebsverfassung geändert werden.

Der vorliegende Gesetzesbeschluß beinhaltet vor allem Bestimmungen über

Einsetzung eines besonderen Verhandlungsgremiums und Definition seiner Aufgaben,

Mindestinhalte der zwischen besonderem Verhandlungsgremium und zentraler Leitung abzuschließenden Vereinbarung über einen Europäischen Betriebsrat oder ein Unterrichtungs- und Anhörungsverfahren,


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Voraussetzungen für die Einrichtung eines Europäischen Betriebsrates kraft Gesetzes, falls die Verhandlungen zwischen besonderem Verhandlungsgremium und zentraler Leitung scheitern, sowie Definition seiner Befugnisse,

Entsendung der österreichischen Mitglieder in das besondere Verhandlungsgremium und in den Europäischen Betriebsrat kraft Gesetzes,

Rechtsstellung der österreichischen Mitglieder des besonderen Verhandlungsgremiums und des Europäischen Betriebsrates sowie der Arbeitnehmervertreter im Rahmen eines Unterrichtungs- und Anhörungsverfahrens,

Vereinbarungen zwischen Arbeitnehmervertretungen und zentraler Leitung über eine länderübergreifende Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer, die bereits vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes abgeschlossen wurden,

Schaffung eines Gerichtsstandes am Sitz der zentralen Leitung für sich aus den Bestimmungen des vorliegenden Beschlusses des Nationalrates ergebende Streitigkeiten.

Der Sozialausschuß stellt nach Beratung der Vorlage vom 15. Oktober 1996 mit Stimmeneinhelligkeit den Antrag, keinen Einspruch zu erheben.

Weiters bringe ich den Bericht über den Beschluß des Nationalrates betreffend ein Übereinkommen über den Schutz der Forderungen der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit ihres Arbeitgebers samt Erklärung.

Das gegenständliche Übereinkommen gilt grundsätzlich für alle Arbeitnehmer und alle Wirtschaftszweige, bestimmte Gruppen, insbesondere öffentliche Bedienstete, können aber vom Geltungsbereich ausgenommen werden. Das Übereinkommen enthält Schutzmaßnahmen für Arbeitnehmerforderungen in jenen Fällen der Zahlungsunfähigkeit ihres Arbeitgebers, in denen ein Verfahren über das Vermögen eines Arbeitgebers zur gemeinschaftlichen Befriedigung ihrer Gläubiger eröffnet wird. Das Übereinkommen ermöglicht die Ausdehnung des Anwendungsbereiches auf andere Fälle, in denen die Forderungen der Arbeitnehmer wegen der finanziellen Lage des Arbeitgebers nicht befriedigt werden können.

Das Übereinkommen bietet den Ratifikanten die Möglichkeit, entweder die Verpflichtung aus Teil II (Schutz der Arbeitnehmerforderungen durch ein Vorrecht) oder aus Teil III (Schutz der Arbeitnehmerforderungen durch eine Garantieeinrichtung) oder auch aus beiden Teilen zu übernehmen.

Welche Verpflichtungen übernommen werden, ist in einer der Ratifikation beigefügten Erklärung anzugeben. In der diesbezüglichen Erklärung des gegenständlichen Beschlusses erklärt Österreich, daß die Verpflichtungen aus Teil III des Übereinkommens übernommen werden.

Der Nationalrat hat anläßlich der Beschlußfassung im Gegenstand im Sinne des Artikels 50 Abs. 2 B-VG beschlossen, daß dieser Staatsvertrag durch Erlassung von Gesetzen zu erfüllen ist.

Der Sozialausschuß stellt nach Beratung der Vorlage am 15. Oktober 1996 mit Stimmeneinhelligkeit den Antrag,

1. gegen den Beschluß des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben und

2. gegen den Beschluß des Nationalrates, gemäß Artikel 50 Abs. 2 B-VG den gegenständlichen Staatsvertrag durch Erlassung von Gesetzen zu erfüllen, keinen Einspruch zu erheben.

Zuletzt bringe ich noch den Bericht über den Beschluß des Nationalrates vom 2. Oktober 1996 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Bundesgesetz betreffend ergänzende Regelungen zur Anwendung der Verordnungen (EWG) im Bereich der sozialen Sicherheit geändert wird.


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Der gegenständliche Beschluß zum EG-Ergänzungsgesetz sieht eine Anpassung an die zwischenzeitlich erfolgten Änderungen dieser Sozialversicherungsgesetze vor.

Aufgrund des Umstandes, daß keine materiellen Rechtsänderungen vorgesehen sind, ergeben sich auch keine finanziellen Auswirkungen.

Der Sozialausschuß stellt nach Beratung der Vorlage am 15. Oktober 1996 mit Stimmeneinhelligkeit den Antrag, keinen Einspruch zu erheben.

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Ich danke für die Berichte.

Wir gehen in die Debatte ein, die über die zusammengezogenen Punkte unter einem abgeführt wird.

Zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesrat Mag. Himmer. – Bitte.

17.13

Bundesrat Mag. Harald Himmer (ÖVP, Wien): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Hohes Haus! Meine Damen und Herren! Im Gegensatz zur vorherigen Debatte, in der die Meinungen etwas stärker aufeinandergeprallt sind, haben wir bei diesen Tagesordnungspunkten 6 bis 8 bereits in den Ausschüssen Stimmeneinhelligkeit erzielt. Ich darf mich daher knapp fassen und sagen, daß wir dem Beschluß des Nationalrates betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Arbeitsverfassungsgesetz, das Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz und auch das Bundesgesetz über die Post-Betriebsverfassung geändert werden, die Zustimmung erteilen werden. Auch dem Übereinkommen über den Schutz der Forderungen der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit ihres Arbeitgebers werden wir die Zustimmung geben, ebenso dem Bundesgesetz betreffend ergänzende Regelungen zur Anwendung der Verordnungen im Bereich der sozialen Sicherheit. All diesen Beschlüssen werden wir, wie wir bereits gemeinsam im Ausschuß beschlossen haben, die Zustimmung geben. (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)

17.14

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Als nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Drochter. – Bitte.

17.14

Bundesrat Karl Drochter (SPÖ, Wien): Frau Präsidentin! Herr Bundesminister! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich maße mir nicht an, zu allen drei Gesetzen zu sprechen, sondern ich habe mir nur vorgenommen, zur Novellierung des Arbeitsverfassungsgesetzes sowie zur Einführung und Verwirklichung eines Europäischen Betriebsrates einige Anmerkungen zu machen. Ich mache es so kurz wie möglich, aber ich glaube, aufgrund der Wichtigkeit und der Zukunftsperspektive des Europäischen Betriebsrates muß ich doch etwas ausführlicher sein.

Man könnte sicher sagen: Ende gut, alles gut!, nachdem wir heute im Bundesrat die Novelle beschlossen haben. Dem ist aber nicht so, denn man darf nicht vergessen, daß es um die Einführung des Europäischen Betriebsrates einen jahrzehntelangen Kampf gegeben hat. Diese Auseinandersetzung hat weit über 20 Jahre gedauert. Die historischen Wurzeln des Europäischen Betriebsrates gehen sogar noch viel weiter zurück. Bereits in den zwanziger Jahren haben sich die Gewerkschaften in Europa bei Betriebsverlagerungen mit grenzüberschreitenden Informationen und Konsultationen auseinandergesetzt.

Dann gab es natürlich infolge bekannter politischer Ereignisse in Europa eine sehr lange, traurige Pause bis zu Beginn der fünfziger Jahre. Erst Anfang der sechziger Jahre entstand das Projekt des transnationalen Kollektivvertrages. Hier versuchte man, die Arbeitsbedingungen in einem multinationalen Unternehmen einheitlich zu regeln. Dieser Entwurf konnte aber damals nicht verwirklicht werden. Schon 1974, beim ersten Entwurf des Europäischen Aktiengesetzes, war die Einrichtung eines Europäischen Betriebsrates vorgesehen, aber aufgrund der damaligen


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Einstimmigkeit, die zwangsweise im Ministerrat vorgeherrscht hat, war auch dieses Vorhaben im Jahr 1974 zum Scheitern verurteilt.

Die Wende zur heutigen Lösung wurde unserer Auffassung nach durch zwei Entwicklungen möglich: erstens durch die Vielzahl der vielen freiwilligen Gründungen von Europäischen Betriebsräten seit dem Jahr 1985 in ganz Europa und zweitens durch das soziale Protokoll des Vertrages von Maastricht.

Nach unseren Erhebungen werden in zirka 1 200 Unternehmen in Europa und in 30 europäischen Ländern diese Richtlinien greifen. Ein Europabetriebsrat ist einzurichten, wenn eine Firma europaweit mindestens 1 000 Arbeitnehmer beschäftigt und jeweils mindestens 150 Arbeitnehmer in mindestens zwei EU-Staaten beim gleichen Unternehmen beschäftigt sind. Die zentralen Unternehmensleitungen sind aufgefordert, die notwendigen Voraussetzungen für die Errichtung eines Europäischen Betriebsrates zu schaffen. Ist die Zentrale einer Unternehmensleitung nicht in einem EU-Land ansässig, ist das größte Tochterunternehmen in der EU für die Bereitstellung der Voraussetzungen zur Errichtung eines Europäischen Betriebsrates verpflichtet beziehungsweise verantwortlich.

Wie sieht das nun in Österreich aus? – In Österreich haben wir 30 Muttergesellschaften, die die Verpflichtung haben, einen Europäischen Betriebsrat zu errichten. Zählt man die Unternehmen mit den Unternehmenszentralen im Ausland dazu, haben wir die Möglichkeit, in rund 150 Betrieben Europäische Betriebsräte einzurichten.

Die Konzerne und die Unternehmen müssen natürlich auch für die Kosten dieser Europäischen Betriebsräte, die verhältnismäßig gering sind, aufkommen. Ich darf aber die Arbeitgeberseite beruhigen. Das ist sicherlich keine Einbahn, denn sie bekommen auch etwas dafür. Für den eher sehr bescheidenen Preis, meine Damen und Herren, bekommt das Unternehmensmanagement den Rat der besten Berater, die man sich vorstellen kann, nämlich die Informationen und Erfahrungen der Arbeitnehmer des eigenen Unternehmens und der eigenen Konzerne.

Europäische Betriebsräte sind nach unserer bisherigen Erfahrung und der Erfahrung jener Unternehmer, die sie bereits errichtet haben, weit davon entfernt, ein Wettbewerbshindernis zu sein. Meine Damen und Herren! Sie sind vielmehr eine Option auf ein neues Modell von Innovationen und Flexibilität, das auf einem sozialen Dialog basiert und auf lange Sicht – davon bin ich überzeugt – die besseren Resultate für Produktion und Arbeitszufriedenheit erbringen beziehungsweise produzieren wird.

Wir haben als Interessenvertreter auch keinen Grund, zu verschweigen, daß dieser Europäische Betriebsrat für uns der erste große Schritt nach vorne ist, um zu einer weiteren Demokratisierung der europäischen Wirtschaft zu kommen. Wir glauben, daß es vier Bereiche gibt, in denen sich das besonders bemerkbar machen wird: bei den Betriebsverlagerungen – ein sehr heikles Thema –, in der weltweiten globalen wirtschaftlichen Auseinandersetzung, auch bei der Informationspolitik und bei den künftigen intensiveren Kontakten zwischen Arbeitnehmern untereinander und mit den Unternehmensleitungen andererseits. Aber auch der soziale Dialog insgesamt in Europa wird nach unserer und nach meiner persönlichen Erfahrung davon profitieren.

Der Europäische Betriebsrat ist für uns sicherlich kein Stein der Weisen, um etwa Betriebsverlagerungen zu verhindern. Aber sie könnten und werden sehr wohl Betriebs- und Produktionsverlagerungen gemeinsam beraten und sicherstellen, daß Arbeitnehmer nicht mehr gegeneinander ausgespielt werden und somit auch keine Zwietracht und kein Mißtrauen zwischen den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der Unternehmen entsteht.

Meine Damen und Herren! Information und Verantwortung sind die Grundlage jeder demokratischen Gesellschaft. Das gilt auch für die Betriebe, am Arbeitsplatz, in den Konzernen. Um die demokratischen Wünsche der Arbeitnehmerbelegschaftsvertreter zu verwirklichen, sind zumindest zwei Voraussetzungen unerläßlich. Die Europäischen Betriebsräte müssen in eine europäische Gewerkschaftsstrategie eingebettet sein – das ist eine Hausaufgabe für uns. Sie sind in die Branchengewerkschaften, aber auch in den Europäischen Gewerkschaftsbund


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stärker einzubinden wie auch in einen lebendigen Informationsfluß auf allen Unternehmensebenen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir sind bereits dabei, der weltweiten, rasant voran–schreitenden Globalisierung der Wirtschaft, des Kapitals, auch eine soziale Verpflichtung abzuverlangen – wenn auch für meinen Geschmack noch etwas zu zögerlich, etwas zu langsam –, um unsere weltumspannende Gewerkschafts- und Branchenorganisation entscheidend nachzurüsten, um auch bei dieser globalen, sozialen Herausforderung bestehen zu können.

Wir glauben und sind davon überzeugt, daß den europäischen Betriebsräten auch hier eine wichtige Aufgabe zukommt. Aus diesem Grund und auch aus anderen Gründen, die ich erwähnt habe, geben wir dieser Novellierung des Arbeitsverfassungsgesetzes gerne die Zustimmung. (Beifall bei der SPÖ.)

17.24

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Als nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Mag. Langer. – Bitte.

17.24

Bundesrat Mag. Dieter Langer (Freiheitliche, Wien): Frau Präsidentin! Herr Bundesminister! Sehr geehrte Damen und Herren! Hohes Haus! Die Freiheitlichen werden den vorliegenden Beschlüssen des Nationalrates ihre Zustimmung erteilen. Ich lege Wert darauf und weise besonders darauf hin, daß damit wieder einmal die Behauptung, daß wir Freiheitlichen prinzipiell gegen alles sind, was von seiten der Bundesregierung, von seiten der Koalitionsregierung kommt, daß wir alles nur verteufeln, alles schlecht machen, auch durch unsere heutige Zustimmung zu dieser Gesetzesmaterie widerlegt wird.

Wir sind durchaus einsichtig, daß es innerhalb der Europäischen Union bei länderübergreifenden Betrieben notwendig ist, die Arbeitsverfassung den geänderten Verhältnissen anzupassen. Wir werden zustimmen, auch wenn es eine Umsetzung geltenden EU-Rechtes ist. Auch das möge bitte hier deponiert sein: Wir Freiheitlichen stehen zwar der Europäischen Union kritisch gegenüber – wie es hier wohl alle wissen –, aber wir stimmen ohne weiteres auch Gesetzesbeschlüssen zu, die Umsetzung des Rechtes der Europäische Union sind, wenn sie vernünftig sind, und tragen diese auch mit.

Sie wissen auch, daß wir nicht alles so ohne weiteres hinnehmen und vorbehaltlos bejahen, nur weil es den Europastempel trägt. Das ist auch unsere Aufgabe als Vertreter der Interessen Österreichs und der Österreicher, die wir in Brüssel ohne Fraktionszwang wahrnehmen können.

Mit dem Beitritt zur Europäischen Union hat Österreich auch geltendes EU-Recht übernommen. Auch die bestehenden Regelungen sind Teil des Acquis communautaire. Wir kommen daher nur unseren Verpflichtungen gegenüber der Europäischen Union nach – ungefähr zwei Jahre nach unserem Beitritt. Wenn doch Kritik an den Bestimmungen angebracht wird, dann gilt diese den seinerzeitigen Verhandlern, die keine Vorbehalte bei den damaligen Verhandlungen gemacht haben.

Für mich gibt es einige Vorbehalte, und wir Freiheitlichen haben auch im Nationalrat einen Abänderungsantrag gestellt, der allerdings keine Mehrheit gefunden hat.

Zum einen handelt es sich um die Höhe der Sanktionen, die für Unternehmen internationalen Zuschnittes, für Konzerne mit 30 000 S ja lächerlich niedrig sind, während im innerösterreichischen Bereich in anderen Fällen für kleinere Betriebe Strafdrohungen bis zu ruinösen Höhen bestehen. Auf diese Diskrepanz haben wir wiederholt hingewiesen.

Weitere Vorbehalte gibt es aber auch in bezug auf die Ausdehnung der Sanktionen über die Anwendungsfälle hinaus, die die bisherige Arbeitsverfassung in Österreich vorsieht, die bisher in Österreich allerdings keine geltende Anwendung gefunden haben und daher als Beispielwirkung dienen könnten, auch das gegebenenfalls umzusetzen.


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Ein weiterer Kritikpunkt betrifft auch die Übernahme von Funktionen betriebsinterner Natur durch betriebsfremde Personen, etwa aus dem Bereich von Funktionären aus der Arbeiterkammer, einer Körperschaft öffentlichen Rechts, aber auch von privaten Vereinen, wie zum Beispiel dem Österreichischen Gewerkschaftsbund.

Abgesehen davon bejahen wir die Notwendigkeit der Anpassung der Arbeitsverfassung betreffend den Europäischen Betriebsrat oder Europäische Betriebsräte und länderübergreifende Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer.

Sehr geehrte Damen und Herren! Ich komme nun zum Abschluß zu etwas Persönlichem. Ich verabschiede mich mit der heutigen Sitzung aus dem Kreis der Bundesrätinnen und Bundesräte. Ich werde ab der neuen Landtagsperiode in Wien dem Bundesrat nicht mehr angehören. Das hat auch einen ganz speziellen Grund: Ich bin nämlich der Ansicht, daß es zur politischen Kultur gehört, nicht zwei politische Funktionen zugleich auszuüben. Ich weiß, daß Präsident Maderthaner meine Ansicht nicht teilt.

Ich komme aus der Wirtschaft, und mein Herz gehört den Unternehmern. Ich werde daher in Hinkunft meine Arbeit und meinen Einsatz der Wirtschaft und im besonderen den Wiener Unternehmern in meiner Funktion als Vizepräsident der Wiener Wirtschaftskammer widmen. Ich glaube auch – bei aller Wertschätzung dieses Hohen Hauses –, daß die Möglichkeiten, etwas zu bewegen und umzusetzen, dort wahrscheinlich eher gegeben sind als hier.

Sehr geehrte Damen und Herren! Ich habe jetzt etwa viereinhalb Jahre hier im Bundesrat verbracht. Mir ist diese Tätigkeit, mir sind Sie und die anderen handelnden Personen auch ans Herz gewachsen. Ich habe in diesem Zeitraum auch einiges erlebt, wechselnde Kolleginnen und Kollegen, wechselnde Minister und wechselnde Persönlichkeiten, echte Persönlichkeiten, die es im Bundesrat doch in größerer Zahl gibt. Stellvertretend für diese – ich ersuche, diese Namensnennung nicht als Herabsetzung anderer zu betrachten – möchte ich Herrn Präsidenten Strutzenberger und Präsidenten Dr. Schambeck nennen, die ihr Leben dem Bundesrat geweiht haben.

Ich habe teilweise hitzige Debatten und turbulente Sitzungen erlebt, dies allerdings eher selten, wie es sich der Würde dieses Hauses geziemt. Doch bei aller notwendigen Schärfe in der Argumentation war das wohl auch die Würze, die dieses Haus bereichert und Leben in dieses Haus gebracht hat. Trotz aller unterschiedlicher Meinungen und harter Standpunkte, die hier ausgetauscht worden sind, waren die Diskussionen doch vom Klima gegenseitiger Wertschätzung und Achtung getragen.

Ich habe hier auch das vergebliche Ringen um die Aufwertung des Bundesrates, um die Erweiterung des Kompetenzbereiches und das Ringen um die Bundesstaatsreform erlebt – all das ist leider gescheitert am mangelnden Bemühen der Entscheidungsträger – und das sind nun einmal nicht wir hier im Bundesrat; das muß man leider schmerzlich zur Kenntnis nehmen.

Falls ich in den vergangenen Jahren jemandem zu nahe getreten sein sollte, dann ersuche ich um Verständnis und gegebenenfalls auch um Vergebung. Ich habe mich bemüht, die Grenzen der persönlichen Integrität und die Grenzen des guten Geschmacks nicht zu überschreiten.

Ihnen allen, sehr geehrte Damen und Herren, wünsche ich persönlich für die weitere Zukunft alles Gute! Besonders wünsche ich mir und Ihnen jedoch, daß den Bemühungen, den Bundesrat zu einem tauglichen und wirksamen Instrument des Föderalismus in Österreich zu machen, in näherer oder vielleicht auch mittelferner Zukunft endlich Erfolg beschieden sein möge. – Glück auf! (Allgemeiner Beifall.)

17.35

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Herr Bundesrat Langer! Ich danke Ihnen für Ihre Worte, die sehr verständnisvoll für die Haltung vieler Kollegen in heftigen Debatten waren.

Ich erinnere mich noch sehr gut – ich glaube, es war Ihr erster Tag im Bundesrat –, als Sie gleich im Zuge Ihrer ersten Rede eine Rüge von seiten des Vizepräsidenten Strutzenberger be


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kamen. Ich weiß nicht mehr, wie scharf diese Rüge war, ob es wirklich ein Ordnungsruf war oder noch die Stufe darunter, aber wie es eben häufig passiert: Kinder, die man an die Kandare nimmt, lieben ihre Eltern dann ganz besonders.

Wir werden Kollegen Strutzenberger berichten, daß Sie hier erwähnt haben, wie sehr Sie ihn geschätzt haben. Wir werden ihm Ihre Worte ausrichten. Ich darf Ihnen im Namen dieses Hauses für Ihre Zukunft alles Gute wünschen! (Allgemeiner Beifall.)

Als nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Freiberger. – Bitte.

17.36

Bundesrat Horst Freiberger (SPÖ, Steiermark): Frau Präsidentin! Herr Minister! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte mich in meinem Beitrag mit der Einführung des Europäischen Betriebsrates beschäftigen. Die Gewerkschaften in den europäischen Staaten haben sich schon lange mit der Möglichkeit grenzüberschreitender Informationen und der Anhörung auseinandergesetzt. Seit über 20 Jahren wurde die Gründung sogenannter Euro-Betriebsräte diskutiert und gefordert.

Am 22. September 1994 wurde nun vom Ministerrat die Richtlinie über die Einrichtung Europäischer Betriebsräte angenommen. Aus der Sicht der Arbeitnehmer ist dies wenig erfreulich, wenn man bedenkt, wie lange sich die Verhandlungen bis zur Durchsetzung dieses wichtigen Schrittes gezogen haben.

Eines ist in der Debatte über Europäische Betriebsräte oft übersehen worden, und Kollege Drochter ist in seinem Beitrag bereits auf diese Facette eingegangen: Der Konzern zahlt nicht nur für die Einrichtung der Europäischen Betriebsräte, er bekommt auch etwas dafür. Für einen sehr bescheidenen Beitrag bekommt der Betrieb den Rat der besten Berater, nämlich den seiner Arbeiterinnen und Arbeiter des eigenen Unternehmens. Betriebsräte sind weit davon entfernt, ein Wettbewerbshindernis zu sein, sie sind eine Option auf ein anderes Modell von Innovation und Wandel, das auf sozialem Dialog basiert und auf lange Sicht eine bessere Politik in den Unternehmen darstellen wird.

Es soll auch erwähnt werden, daß die Richtlinie für Europäische Betriebsräte einen ersten Schritt in Richtung Demokratisierung der Wirtschaft bedeutet, was bei zunehmender Globalisierung und grenzüberschreitender Multis immer notwendiger wird.

Die Information ist die Grundlage jeder demokratischen Gesellschaft. Europäische Betriebsräte werden garantieren, daß dieses grundlegende, demokratische Recht nunmehr auch Einzug in die transnationalen Unternehmen hält. Dieses Anhörungs- und Informationsrecht muß aber noch weiter ausgebaut werden, um zu einer echten Mitbestimmung der Arbeitnehmer zu kommen. (Präsident Pfeifer übernimmt den Vorsitz.)

Meine Damen und Herren! Die Errichtung von Europäischen Betriebsräten ist eine große Chance für den sozialen Dialog in multinationalen Unternehmungen. Wenn einmal das Anfangsstadion durchlaufen ist, wenn man untereinander Vertrauen aufgebaut und den Dialog mit dem Management geregelt hat, dann kann und soll man über gemeinsame Interessen diskutieren beziehungsweise Abkommen schließen. Um diese demokratischen Ziele zu verwirklichen, sind zwei Voraussetzungen unerläßlich: Erstens soll der Europäische Betriebsrat engen Kontakt und Kooperation mit den Europäischen Gewerkschaften pflegen. Und zweitens muß der Informationsfluß auf allen Ebenen des Unternehmens funktionieren und gewährleistet sein.

Hohes Haus! Meine Damen und Herren! Ich bin froh, daß alle Fraktionen in diesem Haus erkannt haben, daß die Mitwirkung der Arbeitnehmer auf internationaler Ebene wichtig ist, und daß diese Vorlagen hier beschlossen werden sollen. Wir werden gerne unsere Zustimmung geben. (Beifall bei der SPÖ.)


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17.40

Präsident Josef Pfeifer: Weiters zu Wort gemeldet hat sich Frau Bundesrätin Hedda Kainz. Ich bitte sie, zu sprechen.

17.40

Bundesrätin Hedda Kainz (SPÖ, Oberösterreich): Herr Präsident! Herr Bundesminister! Meine Damen und Herren! In Anbetracht der Tatsache, daß ich jetzt als letzte Rednerin zu diesem Thema reden werde, werde ich es sicher sehr kurz machen, vor allem auch deshalb, weil ja vieles, vor allem die Entwicklung dieses Schrittes, eines weiteren Schrittes – ich glaube, man kann das durchaus so bezeichnen – als Beitrag zur Weiterentwicklung eines sozialen Europas bereits von Kollegen Drochter sehr ausführlich geschildert wurde.

Ich möchte dennoch einige Bemerkungen, vor allem aus der Praxis, und durchaus auch einige kritische Bemerkungen anfügen, weil ich glaube, daß uns dieser erste sehr positive Schritt deutlich aufzeigen muß, wo die Grenzen dieser Möglichkeiten sind und wo wir vor allem die Weiterentwicklung anzusetzen haben.

Ich werde trotz allem vermeiden, zu sehr in die Praxis einzusteigen. Ich habe nämlich diese Entwicklung eines Europäischen Betriebsrates in einem Konzern, in dem die leitende Zentrale nicht in Österreich situiert ist, hautnah erlebt, ebenso wie die Verhältnisse, die wir jetzt in Nachvollziehung der Richtlinie zur Einrichtung Europäischer Betriebsräte – nämlich in der Verankerung in unserer Arbeitsverfassung – etwas anders sehen müssen.

Ich möchte nur noch eine Bemerkung zu den Ausführungen des Herrn Mag. Langer machen – ich glaube, wir haben auch im Ausschuß darauf hingewiesen –: Wenn Sie hier von betriebsfremden Personen sprechen, dann ist das nicht so zu sehen, denn bereits jetzt ist im Arbeitsverfassungsgesetz vorgesehen, daß diese Personengruppe – ich halte das für sehr wichtig und richtig – dort, wo aus den eigenen Reihen die Arbeitnehmervertretung nicht in ausreichendem Ausmaß, nämlich vor allem dann, wenn es zur Neuerrichtung kommt, vorhanden ist, in Form einer Unterstützungserklärung gewählt werden können. Daß man diese Betriebsräte nicht von der Nominierung zum Europäischen Betriebsrat ausschließen kann, ist, so denke ich, die Folge dieses Gedankens, der zu diesen Bestimmungen im Arbeitsverfassungsgesetz geführt hat.

Meine Damen und Herren! Eine ganz wesentliche Komponente bei der Einführung des Europäischen Betriebsrates sind natürlich doch Mentalitätsunterschiede, die sprachlichen Probleme, die selbst dort nicht wegdiskutierbar sind, wo Sprachkenntnisse nach landläufigem Maß in ausreichendem Ausmaß vorhanden wären, denn es ist ein Unterschied, ob man eine Sprache beherrscht, um den täglichen Umgang, vielleicht auch die Kommunikation zu bewältigen.

Wir dürfen aber eines nicht übersehen, nämlich daß es bei der Erstellung von Verträgen zur Regelung der Kompetenzen um Neuland geht und dort der Sprache, wenn man sich üblicherweise auf die gemeinsame Sprache Englisch einigt, und diesen Verhandlungen auch unterschiedliche Rechtsordnungen zugrunde liegen. Es kommt dabei auch – ich habe das am eigenen Leib verspürt, und ich gehe davon aus, daß es anderswo nicht anders läuft – zu Konfliktsituationen. In diesem Falle ist der Frage einer gemeinsamen Sprache beziehungsweise der Einrichtung von ausreichenden Dolmetschmöglichkeiten eine ganz besondere Bedeutung zuzumessen. Auch Dolmetschmöglichkeiten lösen das Problem nicht völlig, denn dadurch kommt möglicherweise die Kommunikation zwischen den zukünftigen Betriebsratsmitgliedern zu kurz.

Die Tatsache, daß der Europäische Betriebsrat eben meines Erachtens eine nicht von allen getragene und wirklich gewollte Einrichtung ist, ist ja auch am Umstand abzulesen, daß man sehr vehement versucht hat, die Zahl der Fachleute, der Berater zu reduzieren und die Gewerkschaften draußen zu halten.

Das, was wir in der Phase, bis es zur Ratifizierung dieser Richtlinie gekommen ist, im Bereich der freiwilligen Abschlüsse erlebt haben, hat uns schon sehr deutlich gezeigt, daß doch Konzerne versuchen – ich möchte jetzt nicht sagen: Betriebsräte über den Tisch zu ziehen –, sehr stark ihre Vorstellungen einzubringen, um dann zu Verträgen zu kommen, die stärker von den Unternehmensinteressen getragen werden. Das ist vielfach soweit gegangen, daß man versucht hat, in diese Verträge auch Geschäftsordnungen über die Arbeitsweise des Betriebsrates an sich hineinzupacken.


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Stenographisches Protokoll
617. Sitzung / Seite 118

All diese Dinge beweisen jetzt nicht nur, daß wir nichtsdestotrotz diesen Betriebsrat brauchen, obwohl die Gefahr besteht, daß sich Unternehmen in ihren Mitbestimmungsaufgaben zurücklehnen und sich Unternehmer, das Management bei Konflikten, wenn es wirklich zu Maßnahmen kommt – Standortverlagerungen, Produktionsverlagerungen –, zurücklehnen und die Betriebsräte in der ersten Reihe in die Situation bringen, diese Konflikte unter sich auszutragen. Ich denke, daß das ein Umstand ist, den man als Realität zu akzeptieren hat, weil es verständlich ist, daß einem in jedem Land, an jedem Standort das Hemd eben näher ist als der Rock.

Wir werden lernen müssen – vor allem auch über die direkt in den Betrieben angesiedelten Rechte, über die Gewerkschaften und über die zu institutionalisierenden Möglichkeiten der Gewerkschaften –, diese nationalen Auffassungen, die nationalen Bedürfnisse – auch wenn sie zu Recht bestehen und verständlich sind – so zu gestalten, daß es wirklich zu gemeinsamen Vorgangsweisen kommt, die der Einrichtung Europäischer Betriebsräte – diese müssen auch mit Kompetenzen ausgestattet werden – Rechnung tragen.

Ich gebe zu, persönlich habe ich da derzeit noch meine Bedenken. In Österreich werden wir sicher mit einem gelebten und seit vielen Jahren gelebten Arbeitsverfassungsgesetz anders mit Kompetenzen umgehen können als in jenen Bereichen, die ich schon angesprochen habe, wo eben die herrschenden Unternehmen im Ausland beheimatet sind.

Nichtsdestotrotz: Wenn wir uns all dieser Probleme bewußt sind, können wir davon ausgehen, daß dieser Schritt der Ratifizierung dieser Richtlinie – ganz alleine sind wir damit nicht, das haben einige Länder ratifiziert – zu einem weiteren Zusammenrücken in Europa führen wird und nicht nur zur Globalisierung der Wirtschaft, von dem oft fälschlicherweise die Meinung vertreten wird, daß man mit einem Knopfdruck Kapitaleinsatz steuern kann, wobei man völlig vergißt, daß die damit zusammenhängenden Prozesse – Produktionsabläufe, aber auch Organisationsabläufe –, die sehr stark die Rechte und Interessen der Mitarbeiter berühren, eben andere Zeitabläufe notwendig machen als die grundsätzlichen Unternehmensentscheidungen.

Vor diesem Hintergrund und den jetzt nur sehr kursorisch angesprochenen Notwendigkeiten denke ich, daß diese österreichische Formulierung, die wir jetzt dem Arbeitsverfassungsgesetz hinzugefügt haben, eine sehr positive ist. (Beifall bei SPÖ und ÖVP.)

17.49

Präsident Josef Pfeifer: Meine Damen und Herren! Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Dies ist nicht der Fall.

Die Debatte ist geschlossen.

Wird von der Berichterstattung ein Schlußwort gewünscht? – Das ist auch nicht der Fall.

Die Abstimmung über die vorliegenden Beschlüsse des Nationalrates erfolgt getrennt.

Wir kommen zur Abstimmung über den Beschluß des Nationalrates vom 2. Oktober 1996 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Arbeitsverfassungsgesetz, das Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz und das Bundesgesetz über die Post-Betriebsverfassung geändert werden.

Ich bitte jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den vorliegenden Beschluß des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Dies ist Stimmeneinhelligkeit.

Der Antrag, keinen Einspruch zu erheben, ist somit angenommen.

Wir kommen zur Abstimmung über den Beschluß des Nationalrates vom 2. Oktober 1996 betreffend Übereinkommen (Nr. 173) über den Schutz der Forderungen der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit ihres Arbeitgebers samt Erklärung.


Bundesrat
Stenographisches Protokoll
617. Sitzung / Seite 119

Ich bitte jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den vorliegenden Beschluß des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Dies ist ebenfalls Stimmeneinhelligkeit.

Der Antrag, keinen Einspruch zu erheben, ist somit angenommen.

Ich bitte ferner jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den vorliegenden Beschluß des Nationalrates, gemäß Artikel 50 Abs. 2 Bundes-Verfassungsgesetz den gegenständlichen Staatsvertrag durch die Erlassung von Gesetzen zu erfüllen, keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Dies ist ebenfalls Stimmeneinhelligkeit.

Der Antrag, gegen den Beschluß des Nationalrates, gemäß Artikel 50 Absatz 2 Bundes-Verfassungsgesetz den gegenständlichen Staatsvertrag durch die Erlassung von Gesetzen zu erfüllen, keinen Einspruch zu erheben, ist somit angenommen.

Wir kommen zur Abstimmung über den Beschluß des Nationalrates vom 2. Oktober 1996 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Bundesgesetz betreffend ergänzende Regelungen zur Anwendung der Verordnungen (EWG) im Bereich der sozialen Sicherheit geändert wird.

Ich bitte jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den vorliegenden Beschluß des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Es ist ebenfalls Stimmeneinhelligkeit.

Der Antrag, keinen Einspruch zu erheben, ist somit angenommen.

Meine Damen und Herren! Die Tagesordnung ist erschöpft.

Ich gebe noch bekannt, daß seit der letzten beziehungsweise in der heutigen Sitzung insgesamt sechs Anfragen – 1226/J bis 1231/J – eingebracht wurden.

Die Einberufung der nächsten Sitzung des Bundesrates wird auf schriftlichem Wege erfolgen. Als Sitzungstermin ist Donnerstag, der 14. November 1996, 9 Uhr in Aussicht genommen.

Für die Tagesordnung dieser Sitzung kommen – neben den bereits schon zu einem früheren Zeitpunkt eingelangten und zugewiesenen Berichten des Bundesministers für auswärtige Angelegenheiten betreffend Südtirol und Dreijahresprogramm der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit 1996 bis 1998 sowie ein Vierter Umweltkontrollbericht (Mai 1993 bis April 1995) des Bundesministers für Umwelt und ein Bericht der Bundesregierung über die Lage der österreichischen Landwirtschaft 1995 (Grüner Bericht 1995) – jene Vorlagen in Betracht, die der Nationalrat bis dahin verabschiedet haben wird, soweit sie dem Einspruchsrecht beziehungsweise dem Zustimmungsrecht des Bundesrates unterliegen.

Die Ausschußvorberatungen sind für Dienstag, den 12. November 1996, ab 14 Uhr vorgesehen.

Die Sitzung ist geschlossen.

Schluß der Sitzung: 17.54 Uhr