Wahlanfechtungen

Undurchführbarkeit, Anfechtungen, Wiederholungs­wahlen - nicht immer ist bei Nationalratswahlen alles glatt gelaufen. Über die Geschichte der Wahlanfechtungen von Nationalratswahlen in Österreich.

Für Wahlen gelten klar festgelegte Regeln

Nationalratswahlen laufen nach in der Nationalratswahlordnung genau festgelegten Regeln ab. Ortet eine wahlwerbende Partei einen Verstoß dagegen, der vermeintlich Auswirkungen auf das Ergebnis der Wahl hat, so kann sie eine Wahlanfechtung beim Verfassungsgerichtshof einbringen. In der Vergangenheit gab der Verfassungsgerichtshof Anfechtungen zweimal statt, es mussten Wiederholungswahlen abgehalten werden. Zu Beginn der Ersten Republik gab es jedoch gravierendere Probleme: In manchen Gebieten, die der junge Staat für sich beanspruchte, waren Wahlen faktisch undurchführbar.

Wahlen in der Ersten Republik

Die Provisorische Nationalversammlung hatte per Gesetz vom 22. November 1918 festgelegt, dass die Republik Deutschösterreich "die Gebietshoheit über das geschlossene Siedlungsgebiet der Deutschen innerhalb der bisher im Reichsrathe vertretenen Königreiche und Länder" ausübe. Dies umfasste Gebiete in den ehemaligen Kronländern Böhmen und Mähren, der Untersteiermark, Südtirol und Kärnten, auf die andere Nachfolgestaaten der Habsburgermonarchie (die Tschechoslowakei, das Königreich Jugoslawien) und Italien Ansprüche erhoben. Die Frage dieser Gebietsansprüche wurde erst im Herbst 1919 mit Abschluss des Friedensvertrages von St. Germain geklärt und Österreich musste den Großteil der beanspruchten Gebiete aufgeben.

Ein Drittel der vorgesehenen Wahlkreise konnte nicht wählen

Faktisch besaß der neue Staat aber auch zuvor keine wirkliche Staatsgewalt in diesen Gebieten: Bei der Wahl am 16. Februar 1919 konnten im Wahlkreis "Deutsch-Südtirol" ausschließlich die Bürger:innen des politischen Bezirks Lienz ihre Stimmen abgeben, da der Rest des Wahlkreises von italienischen Truppen besetzt war. In Kärnten war eine Wahl in großen Teilen des Bezirks Völkermarkt sowie im Kanaltal wegen der Besetzung durch jugoslawische bzw. italienische Truppen nicht durchführbar, ähnlich verhielt es sich in der Untersteiermark. In Mähren und Böhmen fanden die Wahlen überhaupt nicht statt. So konnte in der ersten freien Wahl der jungen Republik die Bevölkerung in nur 22 von 38 vorgesehenen Wahlkreisen ihre Stimme für die Konstituierende Nationalversammlung ungehindert abgeben, in dreien war die Stimmabgabe nur eingeschränkt möglich.

Auch bei der Nationalratswahl 1920 gab es noch keine Klarheit: Während 24 von 26 Wahlkreise am 17. Oktober wählten, konnte die Wahl in Kärnten erst nach der Volksabstimmung über den ungeteilten Verbleib bei Österreich am 20. Oktober abgehalten werden. Kärnten wählte am 19. Juni 1921. Die Republik hatte zudem die Verwaltungshoheit im durch den Vertrag von St. Germain Österreich zugesprochenen Burgenland erst im Herbst 1921 übernommen, hier konnte die Wahl also erst am 18. Juni 1922 abgehalten werden.

Anfechtungen bisher zweimal von Erfolg gekrönt

Wahlwerbende Parteien können Nationalratswahlen beim Verfassungsgerichtshof im Falle vermuteter Rechtswidrigkeit im Wahlverfahren oder bei einem gesetzlich vorgesehenen Grund für den Verlust der Mitgliedschaft im Vertretungskörper einzelner Kandidat:innen anfechten. Dieser muss der Anfechtung stattgeben, wenn die behauptete Rechtswidrigkeit erwiesen ist und Einfluss auf das Wahlergebnis hätte nehmen können.

Es gab in Österreich schon mehrere Wahlanfechtungen, der Verfassungsgerichtshof gab jedoch bisher nur zweien davon statt: Bei der Nationalratswahl 1970 musste in den Wiener Wahlkreisen 1, 3 und 5, bei der Nationalratswahl 1995 in den Gemeinden Donnerskirchen und Reutte eine Wiederholungswahl durchgeführt werden. In der Gemeinde Kindberg musste hingegen nur das Wahlergebnis im Nachhinein korrigiert werden.

1970 brachte die FPÖ eine Anfechtung ein, der stattgegeben wurde. Die Begründung dafür war ein Fehler in der Überprüfung der für eine Partei damals in jedem Wahlkreis notwendigen 200 Unterstützungserklärungen. Die Freiheitlichen argumentierten, dass mehrere Unterstützungserklärungen für die rechtsextreme NPD ungültig seien.

Bei der Überprüfung stellte der Verfassungsgerichtshof fest, dass in den drei genannten Wiener Wahlkreisen die NPD nicht auf die nötigen 200 gültigen Unterstützungserklärungen gekommen, aber trotzdem angetreten war. Deshalb sei die Wahl zu wiederholen. Bei der Wiederholungswahl am 3. Oktober 1970 gewann die SPÖ 3,5 % der Stimmen, die ÖVP verlor 3,3 %. Die FPÖ konnte zwar nur 0,2 % zulegen, erhielt damit jedoch das erhoffte Reststimmenmandat.

Bei der Nationalratswahl 1995 war abermals eine Anfechtung der Freiheitlichen erfolgreich. Der Verfassungsgerichtshof stimmte zwar nicht in allen, jedoch in einigen Punkten zu. So ordnete er eine Wiederholungswahl im Bezirk Donnerskirchen an, da dort die Stimmzettel eines anderen Regionalwahlkreises ausgegeben worden waren. Im Bezirk Kindberg erkannte das Gericht, dass eine Stimme für die FPÖ fälschlicherweise als ungültig gezählt worden war. Diese musste nachträglich den Freiheitlichen zugerechnet werden. Kurios scheint der Fall in Reutte: In der Tiroler Gemeinde war der damaligen ÖVP-Familienministerin Sonja Moser erlaubt worden, ihre Stimme abzugeben, obwohl sie nicht im Wählerverzeichnis aufschien. Der Verfassungsgerichtshof ordnete auch hier eine Wahlwiederholung an. Durch die Wiederholungswahlen in Donnerskirchen und Reutte gewann die FPÖ ein Mandat auf Kosten der ÖVP.