Stenographisches Protokoll

636. Sitzung des Bundesrates der Republik Österreich

 

 

Donnerstag, 12. Februar 1998

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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636. Sitzung des Bundesrates der Republik Österreich

Donnerstag, 12. Februar 1998

Dauer der Sitzung

Donnerstag, 12. Februar 1998: 9.04 – 20.57 Uhr

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Tagesordnung

1. Vertrag über das umfassende Verbot von Nuklearversuchen samt Anlagen und Protokoll samt Anlagen

2. Bundesgesetz, mit dem das Konsulargebührengesetz 1992 geändert wird

3. Bundesgesetz, mit dem das Schulzeitgesetz 1985 geändert wird

4. Bundesgesetz, mit dem das Landeslehrer-Dienstrechtsgesetz 1984 geändert wird

5. Bundesgesetz, mit dem das land- und forstwirtschaftliche Landeslehrer-Dienstrechtsgesetz 1985 geändert wird

6. Bundesgesetz, mit dem das Gleichbehandlungsgesetz geändert wird

7. Bundesgesetz, mit dem das Universitäts-Studiengesetz geändert wird

8. Bundesgesetz, mit dem das Studienförderungsgesetz geändert wird

9. Abkommen zwischen der Republik Österreich und der Republik Ungarn über Gleichwertigkeiten im Hochschulbereich samt Anlagen

10. Bundesgesetz, mit dem das Tiertransportgesetz-Luft geändert wird

11. Bundesgesetz über den Transport von Tieren auf der Eisenbahn (Tiertransportgesetz-Eisenbahn – TGEisb)

12. Bundesgesetz, mit dem das Investmentfondsgesetz (InvFG) geändert wird

13. Internes Abkommen zwischen den im Rat vereinigten Vertretern der Mitgliedstaaten über die Finanzierung und Verwaltung der Hilfen der Gemeinschaft im Rahmen des zweiten Finanzprotokolls des vierten AKP-EG-Abkommens samt Erklärungen

14. Vertrag zwischen der Regierung der Republik Österreich und der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika über die Rechtshilfe in Strafsachen samt Formblätter

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Inhalt

Personalien

Entschuldigungen 9

Nationalrat

Beschlüsse und Gesetzesbeschlüsse 41

Ausschüsse

Zuweisungen 41

Fragestunde

Bundesministerium für auswärtige Angelegenheiten 9

Ing. Johann Penz (852/M-BR/98); Hedda Kainz, Dr. Susanne Riess-Passer

Albrecht Konečny (859/M-BR/98); Mag. John Gudenus, Wolfram Vindl

Dr. Susanne Riess-Passer (865/M-BR/98); Dr. Kurt Kaufmann, Johann Payer

Ilse Giesinger (853/M-BR/98); Irene Crepaz, DDr. Franz Werner Königshofer

Irene Crepaz (860/M-BR/98); Dr. Paul Tremmel, Leopold Steinbichler

Dr. h. c. Manfred Mautner Markhof (854/M-BR/98); Johann Payer, Mag. Walter Scherb

Johann Payer (861/M-BR/98); Engelbert Weilharter, Mag. Karl Wilfing

Dr. Peter Harring (866/M-BR/98); Peter Rieser, Josef Pfeifer

Peter Rodek (855/M-BR/98); Irene Crepaz, Engelbert Weilharter

Karl Drochter (862/M-BR/98); Dr. Susanne Riess-Passer, Engelbert Schaufler

Peter Rieser (856/M-BR/98); Albrecht Konečny, Mag. John Gudenus

Johann Kraml (863/M-BR/98); Mag. John Gudenus, Dr. Vincenz Liechtenstein

Dr. Reinhard Eugen Bösch (867/M-BR/98); Gottfried Jaud, Hedda Kainz

Gottfried Jaud (857/M-BR/98); Irene Crepaz, DDr. Franz Werner Königshofer

Helga Markowitsch (864/M-BR/98); Mag. John Gudenus, Engelbert Schaufler

Dringliche Anfragen

der Bundesräte Dr. Susanne Riess-Passer, Monika Mühlwerth, Dr. Peter Böhm an den Bundesminister für Justiz betreffend falsche Prioritäten in der Strafrechtspolitik (1356/J-BR/98)

Begründung: Dr. Susanne Riess-Passer 108

Beantwortung: Bundesminister Dr. Nikolaus Michalek 115


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Redner:

Monika Mühlwerth 125

Dr. Vincenz Liechtenstein 127

Josef Rauchenberger 129

Dr. Peter Böhm 132

Dr. Milan Linzer 134

Helena Ramsbacher 135

Dr. Susanne Riess-Passer 139

Dr. Paul Tremmel 140

Albrecht Konečny 141

Ludwig Bieringer 142

Entschließungsantrag der Bundesräte Dr. Susanne Riess-Passer, Monika Mühlwerth, Dr. Peter Böhm, Helena Ramsbacher und Dr. Paul Tremmel betreffend wirksame Maßnahmen gegen Kindesmißbrauch und Kinderpornographie 136

Ablehnung 143

Entschließungsantrag der Bundesräte Dr. Susanne Riess-Passer, Monika Mühlwerth, Dr. Peter Böhm, Helena Ramsbacher und Dr. Paul Tremmel betreffend Verlängerung der Verjährung von Kindesmißbrauch 141

Annahme (E. 153) 143

der Bundesräte Monika Mühlwerth, Mag. John Gudenus, Dr. Reinhard Eugen Bösch und Kollegen an den Bundeskanzler betreffend Lesung von Otto Mühl im Burgtheater (1357/J-BR/98)

Begründung: Monika Mühlwerth 143

Beantwortung: Staatssekretär Dr. Peter Wittmann 146

Redner:

Mag. John Gudenus 148

Mag. Harald Himmer 151

Dr. Michael Ludwig 152

Dr. Reinhard Eugen Bösch 154

Dr. Susanne Riess-Passer 155 und 165

Dr. Paul Tremmel 158

DDr. Franz Werner Königshofer 160

Staatssekretär Dr. Peter Wittmann 160

Erhard Meier 161

Albrecht Konečny 163

Verhandlungen

(1) Beschluß des Nationalrates vom 22. Jänner 1998 betreffend einen Vertrag über das umfassende Verbot von Nuklearversuchen samt Anlagen und Protokoll samt Anlagen (771 und 1045/NR sowie 5627/BR d. B.)

Berichterstatter: Wolfram Vindl 42

(Antrag, 1. den im Artikel VII Abs. 8 lit. d und e des gegenständlichen Staatsvertrages enthaltenen Verfassungsbestimmungen gemäß Artikel 50 Abs. 1 2. Satz Bundes-Verfassungsgesetz beziehungsweise Artikel 50 Abs. 3 Bundes-Verfassungsgesetz in Verbindung mit Artikel 44 Abs. 2 Bundes-Verfassungsgesetz die verfassungsmäßige Zustimmung zu erteilen, 2. dem gegenständlichen Beschluß des Nationalrates gemäß Artikel 50 Abs. 1 2. Satz


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Bundes-Verfassungsgesetz die verfassungsmäßige Zustimmung zu erteilen, 3. gegen den Beschluß des Nationalrates, gemäß Artikel 50 Abs. 3 Bundes-Verfassungsgesetz den gegenständlichen Staatsvertrag durch Erlassung von Gesetzen zu erfüllen, keinen Einspruch zu erheben)

Redner:

Mag. John Gudenus 42

Erhard Meier 44

Peter Rodek 47

Dr. Reinhard Eugen Bösch 48

Jürgen Weiss 50

Bundesministerin Elisabeth Gehrer 51

Antrag der Bundesräte Jürgen Weiss und Kollegen zum Antrag des Außenpolitischen Ausschusses über den Beschluß des Nationalrates vom 22. Jänner 1998 betreffend einen Vertrag über das umfassende Verbot von Nuklearversuchen samt Anlagen und Protokoll samt Anlagen (in 5627 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Bundesrates)51

Annahme des Antrages des Berichterstatters, 1. in der Fassung des Antrages der Bundesräte Jürgen Weiss und Kollegen den im Artikel VII Abs. 8 lit. d und e des gegenständlichen Staatsvertrages enthaltenen Verfassungsbestimmungen gemäß Artikel 50 Abs. 1 2. Satz Bundes-Verfassungsgesetz beziehungsweise Artikel 50 Abs. 3 Bundes-Verfassungsgesetz in Verbindung mit Artikel 44 Abs. 2 Bundes-Verfassungsgesetz die verfassungsmäßige Zustimmung zu erteilen, 2. dem gegenständlichen Beschluß des Nationalrates gemäß Artikel 50 Abs. 1 2. Satz Bundes-Verfassungsgesetz die verfassungsmäßige Zustimmung zu erteilen, 3. gegen den Beschluß des Nationalrates, gemäß Artikel 50 Abs. 2 Bundes-Verfassungsgesetz den gegenständlichen Staatsvertrag durch Erlassung von Gesetzen zu erfüllen, keinen Einspruch zu erheben, mit den Stimmen der Bundesräte der ÖVP und der SPÖ, gegen die Stimmen der Bundesräte der Freiheitlichen 52

(2) Beschluß des Nationalrates vom 22. Jänner 1998 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Konsulargebührengesetz 1992 geändert wird (930 und 1046/NR sowie 5628/BR d. B.)

Berichterstatter: Wolfram Vindl 53

(Antrag, keinen Einspruch zu erheben)

Redner:

Mag. John Gudenus 53

Annahme des Antrages der Berichterstatters, keinen Einspruch zu erheben, mit den Stimmen der Bundesräte der ÖVP und der SPÖ, gegen die Stimmen der Bundesräte der Freiheitlichen 54

Gemeinsame Beratung über

(3) Beschluß des Nationalrates vom 22. Jänner 1998 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Schulzeitgesetz 1985 geändert wird (939 und 1058/NR sowie 5630/BR d. B.)

(4) Beschluß des Nationalrates vom 22. Jänner 1998 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Landeslehrer-Dienstrechtsgesetz 1984 geändert wird (950 und 1059/NR sowie 5626 und 5631/BR d. B.)


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(5) Beschluß des Nationalrates vom 22. Jänner 1998 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das land- und forstwirtschaftliche Landeslehrer-Dienstrechtsgesetz 1985 geändert wird (941 und 1060/NR sowie 5632/BR d. B.)

Berichterstatter: Peter Rieser 55

[Antrag, zu (3), (4) und (5) keinen Einspruch zu erheben]

Redner:

Herbert Platzer 55

Uta Barbara Pühringer 56

Dr. Reinhard Eugen Bösch 59

Ilse Giesinger 59

Bundesministerin Elisabeth Gehrer 60

einstimmige Annahme des Antrages des Berichterstatters, zu (3), (4) und (5) keinen Einspruch zu erheben 61

(6) Beschluß des Nationalrates vom 22. Jänner 1998 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Gleichbehandlungsgesetz geändert wird (842 und 1047/NR sowie 5629/BR d. B.)

Berichterstatter: Wolfgang Hager 62

(Antrag, keinen Einspruch zu erheben)

Redner:

Engelbert Weilharter 62

Aloisia Fischer 64

Irene Crepaz 65

Bundesministerin Mag. Barbara Prammer 67

Annahme des Antrages des Berichterstatters, keinen Einspruch zu erheben, mit den Stimmen der Bundesräte der ÖVP und der SPÖ, gegen die Stimmen der Bundesräte der Freiheitlichen 69

Gemeinsame Beratung über

(7) Beschluß des Nationalrates vom 21. Jänner 1998 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Universitäts-Studiengesetz geändert wird (652/A und 1053/NR sowie 5633/BR d. B.)

(8) Beschluß des Nationalrates vom 21. Jänner 1998 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Studienförderungsgesetz geändert wird (1054/NR sowie 5634/BR d. B.)

Berichterstatter: Ferdinand Gstöttner 69

[Antrag, zu (7) und (8) keinen Einspruch zu erheben]

Redner:

Dr. Peter Böhm 70

Gottfried Jaud 73

Wolfgang Hager 75

Monika Mühlwerth 76

Dr. Vincenz Liechtenstein 77

Dr. Michael Ludwig 79

Annahme des Antrages des Berichterstatters, zu (7) und (8) keinen Einspruch zu erheben, mit den Stimmen der Bundesräte der ÖVP und der SPÖ, gegen die Stimmen der Bundesräte der Freiheitlichen 80


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(9) Beschluß des Nationalrates vom 21. Jänner 1998 betreffend ein Abkommen zwischen der Republik Österreich und der Republik Ungarn über Gleichwertigkeiten im Hochschulbereich samt Anlagen (742 und 1024/NR sowie 5635/BR d. B.)

Berichterstatter: Dr. Reinhard Eugen Bösch 81

(Antrag, keinen Einspruch zu erheben)

einstimmige


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Annahme des Antrages des Berichterstatters, keinen Einspruch zu erheben 82

Gemeinsame Beratung über

(10) Beschluß des Nationalrates vom 21. Jänner 1998 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Tiertransportgesetz-Luft geändert wird (739 und 961/NR sowie 5636/BR d. B.)

(11) Beschluß des Nationalrates vom 21. Jänner 1998 betreffend ein Bundesgesetz über den Transport von Tieren auf der Eisenbahn (Tiertransportgesetz-Eisenbahn – TGEisb) (946 und 963/NR sowie 5637/BR d. B.)

Berichterstatterin: Irene Crepaz 82

[Antrag, zu (10) 1. keinen Einspruch zu erheben und 2. die dem schriftlichen Bericht beigedruckte Entschließung anzunehmen, zu (11) keinen Einspruch zu erheben]

Redner:

Ing. Walter Grasberger 83

Erich Farthofer 84

DDr. Franz Werner Königshofer 86

Peter Rieser 88

Johann Grillenberger 90

Andreas Eisl 91

Jürgen Weiss 92

Mag. John Gudenus 94

einstimmige Annahme des Antrages der Berichterstatterin, zu (10) 1. keinen Einspruch zu erheben und 2. die dem schriftlichen Bericht beigedruckte Entschließung anzunehmen (E. 154) 96

einstimmige Annahme des Antrages der Berichterstatterin, zu (11) keinen Einspruch zu erheben 96

(12) Beschluß des Nationalrates vom 21. Jänner 1998 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Investmentfondsgesetz (InvFG) geändert wird (917 und 995/NR sowie 5625 und 5638/BR d. B.)

Berichterstatter: Stefan Prähauser 96

(Antrag, keinen Einspruch zu erheben)

Redner:

Dr. Peter Harring 97

Staatssekretär Dr. Wolfgang Ruttenstorfer 99

Dr. h. c. Manfred Mautner Markhof 100

Johann Kraml 102

Mag. Walter Scherb 103

Annahme des Antrages des Berichterstatters, keinen Einspruch zu erheben, mit den Stimmen der Bundesräte der ÖVP, der SPÖ und des Bundesrates Dr. Paul Tremmel, gegen die übrigen Stimmen der Bundesräte der Freiheitlichen 106

(13) Beschluß des Nationalrats vom 21. Jänner 1998 betreffend ein Internes Abkommen zwischen den im Rat vereinigten Vertretern der Mitgliedstaaten über die Finanzierung und Verwaltung der Hilfen der Gemeinschaft im Rahmen des zweiten Finanzprotokolls des vierten AKP-EG-Abkommens samt Erklärungen (899 und 992/NR sowie 5639/BR d. B.)

Berichterstatter: Stefan Prähauser 106

(Antrag, keinen Einspruch zu erheben)

Redner:

Dr. Paul Tremmel 106

Berichterstatter Stefan Prähauser 108

Annahme des Antrages des Berichterstatters, keinen Einspruch zu erheben, mit den Stimmen der Bundesräte der ÖVP und der SPÖ, gegen die Stimmen der Bundesräte der Freiheitlichen 108

(14) Beschluß des Nationalrates vom 22. Jänner 1998 betreffend einen Vertrag zwischen der Regierung der Republik Österreich und der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika über die Rechtshilfe in Strafsachen samt Formblätter (837/NR sowie 5640/BR d. B.)

Berichterstatter: Ferdinand Gstöttner 166

(Antrag, dem gegenständlichen Beschluß des Nationalrates gemäß Artikel 50 Abs. 1 zweiter Satz B-VG die verfassungsmäßige Zustimmung zu erteilen)

Redner:

Wolfram Vindl 166

Hedda Kainz 167

einstimmige Annahme des Antrages des Berichterstatters, dem gegenständlichen Beschluß des Nationalrates gemäß Artikel 50 Abs. 1 zweiter Satz B-VG die verfassungsmäßige Zustimmung zu erteilen 168

Eingebracht wurden

Anfragen

der Bundesräte Dr. Susanne Riess-Passer, Monika Mühlwerth, Dr. Peter Böhm an den Bundesminister für Justiz betreffend falsche Prioritäten in der Strafrechtspolitik (1356/J-BR/98)

der Bundesräte Monika Mühlwerth, Mag. John Gudenus, Dr. Reinhard Eugen Bösch und Kollegen an den Bundeskanzler betreffend Lesung von Otto Mühl im Burgtheater (1357/J-BR/98)

der Bundesräte Albrecht Konečny und Genossen an den Präsidenten des Bundesrates betreffend Medienberichte über Aufsichtsratsfunktionen eines Mitgliedes des Bundesrates (1358/J-BR/98)


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der Bundesräte DDr. Franz Werner Königshofer und Kollegen an den Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Dr. Wolfgang Schüssel betreffend Fall Unterkirchner (1359/J-BR/98)

der Bundesräte Mag. John Gudenus, Dr. Susanne Riess-Passer, DDr. Franz Werner Königshofer, Dr. Peter Harring und Kollegen an den Bundesminister für Finanzen betreffend Auswirkungen des CFA-Franc auf eine eventuell künftige WWU (1360/J-BR/98)

Anfragebeantwortungen

der Bundesministerin für Arbeit, Gesundheit und Soziales auf die Frage der Bundesräte Monika Mühlwerth, Dr. Paul Tremmel, Dr. Susanne Riess-Passer (1240/AB-BR/98 zu 1344/J-BR/97)

des Bundesministers für Land- und Forstwirtschaft auf die Frage der Bundesräte Dr. Peter Böhm und Kollegen (1241/AB-BR/98 zu 1342/J-BR/97)

des Bundesministers für Land- und Forstwirtschaft auf die Frage der Bundesräte Erhard Meier und Kollegen (1242/AB-BR/98 zu 1345/J-BR/97)

des Bundesministers für Wissenschaft und Verkehr auf die Frage der Bundesräte Erhard Meier und Kollegen (1243/AB-BR/98 zu 1341/J-BR/97)

des Bundesministers für Landesverteidigung auf die Frage der Bundesräte Engelbert Weilharter und Kollegen (1244/AB-BR/98 zu 1346/J-BR/97)

des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten auf die Frage der Bundesräte Dr. Peter Böhm, Mag. John Gudenus und Monika Mühlwerth (1245/AB-BR/98 zu 1343/J-BR/97)

des Bundesministers für Justiz auf die Frage der Bundesräte Alfred Schöls und Kollegen (1246/AB-BR/98 zu 1348/J-BR/97)

des Bundesministers für Finanzen auf die Frage der Bundesräte Mag. Karl Wilfing und Kollegen (1247/AB-BR/98 zu 1349/J-BR/97)

des Bundesministers für Wissenschaft und Verkehr auf die Frage der Bundesräte Peter Rieser und Kollegen (1248/AB-BR/98 zu 1347/J-BR/97)

des Bundesministers für Justiz auf die Frage der Bundesräte Dr. Peter Harring, Helena Ramsbacher und Kollegen (1249/AB-BR/98 zu 1351/J-BR/97)


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Beginn der Sitzung: 9.04 Uhr

Präsident Ludwig Bieringer: Ich eröffne die 636. Sitzung des Bundesrates.

Das Amtliche Protokoll der 635. Sitzung des Bundesrates vom 15. Jänner 1998 ist aufgelegen, unbeanstandet geblieben und gilt daher als genehmigt.

Entschuldigt haben sich die Mitglieder des Bundesrates Ulrike Haunschmid, Dr. Günther Hummer, Therese Lukasser, Alfred Schöls, Mag. Michael Strugl, Mag. Harald Repar und Gottfried Waldhäusl. (Bundesrat Konečny: Das ist ja fad!)

Fragestunde

Präsident Ludwig Bieringer: Wir gelangen nunmehr zur Fragestunde.

Um die Beantwortung aller zum Aufruf vorgesehenen Anfragen zu ermöglichen, erstrecke ich die Fragestunde, sofern mit 60 Minuten das Auslangen nicht gefunden wird, im Einvernehmen mit den beiden Vizepräsidenten, falls erforderlich, auf bis zu 120 Minuten.

Ich beginne jetzt – um 9.05 Uhr – mit dem Aufruf der Anfragen.

Bundesministerium für auswärtige Angelegenheiten

Präsident Ludwig Bieringer: Wir kommen nunmehr zur 1. Anfrage, 852/M, an den Herrn Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten.

Ich bitte den Anfragesteller, Herrn Bundesrat Ing. Johann Penz, um die Verlesung der Anfrage.

Bundesrat Ing. Johann Penz (ÖVP, Niederösterreich): Sehr geehrter Herr Vizekanzler! Meine Frage lautet:

852/M-BR/98

Welche Prioritäten wird Österreich als EU-Präsidentschaft in der Umsetzung der vom Europäischen Rat in Luxemburg verabschiedeten Erweiterungsstrategie setzen?

Präsident Ludwig Bieringer: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Hoher Bundesrat! Der Beitrittsprozeß wird am 30. März im Rahmen eines Außenministertreffens aller EU-Mitgliedstaaten mit den elf Kandidaten eröffnet werden. Danach, am 31. März, werden die sechs bilateralen Regierungskonferenzen konstituiert, und dann beginnt das Acquis-Screening durch die Kommission.

Wir können natürlich heute nicht voraussagen, wie lange diese neuerliche Überprüfung des Rechtsbestandes dauern wird. Erst wenn das abgeschlossen ist, können substantielle Beitrittsgespräche beginnen. Die Frage ist derzeit noch nicht entschieden, ob die Kommission zuerst den Gesamt-Acquis einmal durchgeht und dann erst zu den einzelnen Kapiteln die Verhandlungen begonnen werden – das würde dann von den Mitgliedsländern, geführt von der Präsidentschaft, erfolgen –, oder ob die Kommission, was ich persönlich befürworten würde, einzelne wichtige Kapitel durchgeht, damit nach dem Abschluß dieses Acquis-Screenings bereits mit einzelnen Kapiteln begonnen werden kann. Das ist aus meiner Sicht klüger, auch um den Prozeßcharakter stärker zu betonen und die Reformambition in den Kandidatenländern zu unterstützen.

Wenn diese zweite Strategie Platz greift, dann könnten unter österreichischem Vorsitz durchaus die ersten Kapitel eröffnet werden, indem man aus dem Binnenmarktbereich weniger sensible


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Themen – sicher nicht Arbeitsmarkt oder Landwirtschaft oder ähnliches – herausnimmt, um tatsächlich mit den Substanzverhandlungen zu beginnen.

In den Gesprächen unter der österreichischen Präsidentschaft wird natürlich das Grenzregionenprogramm eine ausgesprochene Priorität haben, vor allem um in der Vorbeitrittsstrategie schon etwas zu tun, um die Einkommensunterschiede – übrigens auf beiden Seiten der Grenze – möglichst zu mindern. Das heißt, auf der einen Seite würde das PHARE-Programm, die Pre-Axcession-Strategy der Union, greifen, und auf der anderen Seite der Grenze könnten dann die Sonderprogramme für Ziel-2-Gebiete beziehungsweise Sonderprogramme für Grenzregionen – INTERREG Neu – zu greifen beginnen. – Aber zu diesem Thema kommen wir im Laufe der Fragestunde noch einige Male.

Präsident Ludwig Bieringer: Danke. Wird eine Zusatzfrage gewünscht? – Bitte.

Bundesrat Ing. Johann Penz (ÖVP, Niederösterreich): Herr Vizekanzler! Sie haben gesagt, es wird unter dem österreichischen Vorsitz eine Eröffnung der Verhandlungen geben. Es gibt verschiedene Aussagen über den Zeitpunkt des Abschlusses dieser Verhandlungen. Welchen Zeitrahmen, glauben Sie, wird es geben, mit welcher Dauer der Verhandlungen könnte eventuell gerechnet werden?

Präsident Ludwig Bieringer: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Herr Bundesrat! Alle konkreten und präzisen Aussagen, die zum Teil von Spitzenpolitikern der Union gemacht wurden, sind natürlich längst überholt, weil das einfach vom Zeitplan her, den ich genannt habe, gar nicht mehr einzuhalten ist. Daher sollten wir sehr vorsichtig sein mit konkreten Zieldaten.

Ich gehe davon aus, daß die Verhandlungen gründlich und professionell geführt werden müssen und so gemacht werden, daß sie auf beiden Seiten – in der Union, aber auch in den Kandidatenländern – zu einem echten Erfolg führen. Das heißt, es dürfen keine Blitzverhandlungen sein; dazu ist die Materie zu schwierig und zu kompliziert.

Ich kann einen Vergleich, der vielleicht ganz interessant ist, nennen: Spanien war, als Ende der siebziger Jahre die Verhandlungen begonnen wurden, in einer ähnlich schwierigen Situation. Trotzdem war es aus politischen Gründen ganz wichtig, daß die Verhandlungen begonnen wurden. Diese haben sieben Jahre gedauert, und die Übergangsfristen, die erst mit dem Abschluß der Verhandlungen zu laufen begonnen haben, haben bis zu zehn Jahre gedauert. Ursprünglich sollten sie sogar länger sein, sie sind aber dann wiederum verkürzt worden. Man sieht also, was hier begonnen wird, ist eigentlich eine sehr kluge, eine sehr vorsichtige, aber, wie ich meine, auch eine sehr zukunftsorientierte Strategie, die man jetzt – und da wissen die Österreicher wohl am besten, was notwendig ist – richtig beginnen muß, und zwar mit einem klaren Ja, wenn die Begleitumstände stimmen.

Präsident Ludwig Bieringer: Danke. Werden weitere Zusatzfragen gewünscht? – Bitte, Frau Kollegin Hedda Kainz.

Bundesrätin Hedda Kainz (SPÖ, Oberösterreich): Herr Bundesminister! Ich wollte Sie eigentlich fragen, wie Sie die Situation der Beschäftigung im Zusammenhang mit der Erweiterungsstrategie sehen. Sie haben jetzt gesagt, man werde sich im ersten Schritt auf weniger sensible Themen beschränken. Ich frage Sie also jetzt etwas detaillierter: Wie sehen Sie die weitere Vorgangsweise, damit dem wichtigen Thema Beschäftigungspolitik auch in diesem Zusammenhang Rechnung getragen werden kann?

Präsident Ludwig Bieringer: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Habe ich es richtig verstanden, daß Sie die Beschäftigungspolitik innerhalb der Union meinen? (Bundesrätin Kainz: Ja, innerhalb!) Es war nicht klar, ob nicht die Kandidatenländer gemeint


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sind. (Bundesrätin Kainz: Das wird sich nicht ganz trennen lassen!) Für uns ist es klar, daß wir innerhalb der Union eine eigenständige, offensive Beschäftigungsstrategie entwickeln müssen. Deswegen fand auch im vergangenen November zum ersten Mal der Sondergipfel in Luxemburg, ein wirklich historischer Gipfel auf Ebene der Regierungschefs und Außenminister, statt, der jetzt in Cardiff fortgesetzt wird mit der Vorlage der ersten nationalen Beschäftigungspläne, an denen wir in Österreich übrigens gerade arbeiten, und im Europäischen Rat in Wien werden dann die nächsten Leitlinien für eine europäische Beschäftigungsstrategie entwickelt werden.

Da es sicherlich noch einige Jahre dauern wird, bis die Beitrittsverhandlungen mit den ersten qualifizierten Kandidaten abgeschlossen sein werden, meine ich, daß wir uns zunächst einmal darauf konzentrieren müssen, auf europäischer Ebene das zu tun, was der Jobsuche, was der Standortqualität in Europa dient. Dazu gehört für mich – ganz wichtig – das 5. Forschungsprogramm, dazu gehört ein echter Schwerpunkt in der Technologiekoordination und eine akkordierte Position der Europäischen Union in der Welthandelsorganisation WTO. Ein kleiner nationaler Player ist da völlig überfordert, gemeinsame europäische Positionen als Global Player sind dringend gefragt.

Beim Beschäftigungsgipfel in Luxemburg sind, wie ich meine, einige interessante Punkte herausgekommen, wie Qualifikationshilfen vor allem für jüngere Arbeitssuchende und Langzeitarbeitslose, Bildungsprogramme zwingend angeboten speziell für Menschen, die länger in Arbeitslosigkeit sind, und ich füge hinzu, daß uns die Zielgruppe über 40 Jahren ein besonderes Anliegen sein muß. Es kann nicht ernsthaft so sein, daß Menschen über 40 Jahren quasi schon zum alten Eisen geworfen werden. Ich meine, daß Erfahrung zählt und daß für diese Bereiche, verbunden mit Unternehmensgründungen und Förderung der Teilzeitarbeit, insgesamt eigentlich bereits ein recht interessanter Boden für eine europäische Strategie gegeben ist.

Präsident Ludwig Bieringer: Danke. Wird eine weitere Zusatzfrage gewünscht? – Bitte, Frau Dr. Susanne Riess-Passer.

Bundesrätin Dr. Susanne Riess-Passer (Freiheitliche, Wien): Herr Vizekanzler! Können Sie mir sagen, warum der Verhandlungsgruppe der EU zur Osterweiterung, der sogenannten Task Force, kein Österreicher angehört?

Präsident Ludwig Bieringer: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Frau Bundesrätin! Es gibt noch keine Task Force, es ist noch nicht einmal der Leiter bestellt. Alles, was in der Zeitung steht, ist reine Kaffeesudleserei und stimmt ganz einfach nicht. Diese Woche hätte über den Leiter entschieden werden sollen, das ist natürlich eine Entscheidung der Kommission. Diese Entscheidung ist vertagt worden, weil man sich offensichtlich nicht einigen konnte. Und ich habe schon im Juli vorigen Jahres schriftlich wie auch mündlich darauf aufmerksam gemacht, daß bei dieser Erweiterungs-Task-Force, die aus dem Leiter und – da jetzt klar ist, daß es sechs Verhandlungsgruppen geben wird – aus sechs Spitzenbeamten bestehen wird, dabeisein wollen.

Natürlich strengen sich alle anderen auch an, wir sind jedoch sehr zuversichtlich, daß wir es zusammenbringen. Aber, damit ich es klar sage, das ist keine Entscheidung der Mitgliedsländer, das ist nicht vom Rat zu entscheiden, sondern das ist eine reine Entscheidung der Kommission. Übrigens wird der neu zu bestellende Leiter – die Besetzung ist noch nicht erfolgt – ein gewichtiges Wort der Mitsprache haben, aber wir versuchen überall, unseren Anspruch als Land, das wohl am besten weiß, worum es geht, anzumelden, und ich glaube schon, daß wir das schaffen werden.

Präsident Ludwig Bieringer: Danke.

Wir gelangen nunmehr zur 2. Frage, 859/M, an den Herrn Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten.

Ich bitte den Anfragesteller, Herrn


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Bundesrat Albrecht Konečny, um die Verlesung der Anfrage.

Bundesrat Albrecht Konečny (SPÖ, Wien): Herr Bundesminister! Meine Frage lautet:

859/M-BR/98

Hat Österreich mit Blick auf den EU-Vorsitz in der zweiten Hälfte dieses Jahres die Absicht, sich künftig verstärkt im Rahmen der Mittelmeerpolitik der EU zu engagieren?

Präsident Ludwig Bieringer: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Die Mittelmeerpolitik ist von größter strategischer Bedeutung für die Union. Meine These ist, daß wir quasi eine europäische Politik für ungefähr eine Milliarde Menschen konzipieren müssen: Das sind die 500 Millionen, die heute in der Union sind beziehungsweise als neue Kandidaten hineinwollen, die 250 Millionen, die rund um das Mittelmeer beheimatet sind – da eine euromediterrane Freihandelszone bis 2010 geplant ist, ist es ganz wichtig, daß diese mitintegriert werden –, und natürlich, ebenfalls prioritär, die 250 Millionen auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion, Rußland und Nachfolgestaaten. Dazu gehören der Barcelona-Prozeß, der ein politischer Dialog und jetzt auch neuerdings der Beginn von Fachministergesprächen sein wird, und die Assoziationsabkommen.

Wir nehmen uns vor, daß in unserer Präsidentschaft eine Industrieministerkonferenz stattfinden wird. Ort und Datum stehen noch nicht ganz fest, wahrscheinlich wird sie im Oktober in Klagenfurt abgehalten werden. Wir haben einige interne Troubles mit den Griechen, die das auch gerne veranstalten wollen. Es gibt auch Überlegungen, eine Kulturministerkonferenz und eine Transportministerkonferenz zu veranstalten – nicht in Österreich, aber unter österreichischem Vorsitz –, und wir wollen, daß die Assoziationsabkommen, von denen noch vier offen sind, möglichst weit gebracht, vielleicht sogar abgeschlossen werden können.

Präsident Ludwig Bieringer: Danke. Zusatzfrage? – Bitte.

Bundesrat Albrecht Konečny (SPÖ, Wien): Ich richte meine erste Frage an den Herrn Präsidenten. Ich möchte die Frage stellen, ob wir hier in einem parlamentarischen Gremium oder in einem Kaffeehaus sind. Ich habe eigentlich angenommen, daß Mitglieder des Hauses an einer Diskussion teilnehmen. (Bundesrätin Dr. Riess-Passer: Wo sind wir denn? Der Präsident sorgt für Ordnung im Saal! – Bundesrat Dr. Harring: Das ist eine Anmaßung!) Die Lautstärke der Beantwortung macht es sehr schwer. Ich habe den Minister kaum verstanden. Ich möchte den Herrn Präsidenten darauf aufmerksam machen: Von meinem Platz aus war es kaum möglich, den Herrn Minister zu verstehen. Ich meine, es gehört zu den Rechten eines Bundesrates, wenn er eine Frage stellt, auch die Antwort hören zu können.

Präsident Ludwig Bieringer: Kollege Konečny! Den Sitzungsvorsitz führt der Präsident. Ich würde bitten, so etwas dem Präsidenten mitzuteilen, und ich bitte die Damen und Herren des Hauses, zuzuhören und nicht zu sprechen. Es ist bei der Akustik in diesem Saal wirklich manchmal unangenehm, man versteht fast nichts. Ich ersuche daher, dem Fragesteller und auch dem Herrn Bundesminister bei der Beantwortung der Frage zuzuhören.

Bitte, Herr Kollege Konečny, Sie sind am Wort.

Bundesrat Albrecht Konečny (fortsetzend): Unter der Voraussetzung, daß ich Ihre Antwort richtig verstanden habe: Das heißt, es ist als Event, wenn man das so nennen darf, während der österreichischen Präsidentschaft eine Industrieministerkonferenz vorgesehen. Gerade in diesem Raum wäre aber auch das Element der kulturellen Beziehungen von besonderer Bedeutung. Nicht zufällig hat das in einer sehr frühen Phase der Mittelmeerpolitik einen relativ breiten Raum eingenommen. Sind in dieser Hinsicht österreichische Initiativen vorgesehen oder möglich?

Präsident Ludwig Bieringer: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Ich gehe näher zum Mikrophon. – Ich habe versucht, auf diesen Punkt schon in der Beantwortung


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der ersten Frage einzugehen. Erstens: Es wird ziemlich sicher – das ist noch nicht endgültig entschieden – eine Industrieministerkonferenz wahrscheinlich in Klagenfurt und wahrscheinlich im Oktober stattfinden.

Zweitens: Es ist geplant – das ist noch nicht entschieden, aber ich halte es für eine interessante Geschichte –, eine Kulturministerkonferenz – nicht in Österreich, aber unter österreichischem Vorsitz – zwischen den EU-Mitgliedstaaten und den Mittelmeerländern abzuhalten. Ich halte das für eine sehr wichtige Geschichte.

Präsident Ludwig Bieringer: Danke, Herr Bundesminister.

Werden weitere Zusatzfragen gewünscht? – Bitte, Herr Bundesrat Mag. John Gudenus.

Bundesrat Mag. John Gudenus (Freiheitliche, Wien): Herr Bundesminister! Die Kapazitäten der Republik Österreich sind auch außenpolitisch begrenzt. In welchen Bereichen sind Sie bereit, mehr Schwerpunkte zu setzen: bei den 12 Mittelmeerländern oder bei den mittel- und osteuropäischen Staaten?

Präsident Ludwig Bieringer: Herr Bundesminister, bitte.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Herr Bundesrat! Ich sehe das nicht als ein Entweder-Oder. Ich selbst habe im vergangenen Jahr 70 Auslandsreisen gemacht, ich habe sämtliche mittel- und osteuropäischen Länder besucht. Wir haben einen echten Schwerpunkt gesetzt: Wir haben vier neue Botschaften aufgemacht, drei in den baltischen Ländern, eine Botschaft in Makedonien – übrigens dort mit sensationellem Erfolg auch für die österreichische Sache und für die österreichische Präsenz. Ich selbst habe im vergangenen Jahr Israel und Gaza besucht, die Frau Staatssekretärin hat eine Reihe von anderen Mittelmeerländern aufgesucht. Der Bundeskanzler hat hier einen spezifischen Schwerpunkt gesetzt. Die Zeiten sind vorbei, in denen man sagen kann: entweder – oder.

Die österreichische Außenpolitik hat seit dem Beitritt zur Union einen Quantensprung an Intensität, an Dichte und auch an Bedeutungszunahme gemacht. Das ist vielleicht nicht immer ganz einfach unterzubringen und zu koordinieren, aber ich muß sagen: Wir haben das trotz unseres wirklich kleinen Staates bisher eigentlich sehr gut gemacht, wofür ich – nebenbei bemerkt – auch den Beamten, die hinter mir auf der Bank sitzen, sehr herzlich danken möchte.

Präsident Ludwig Bieringer: Danke, Herr Bundesminister.

Wird eine weitere Zusatzfrage gewünscht? – Bitte, Herr Bundesrat Wolfram Vindl.

Bundesrat Wolfram Vindl (ÖVP, Tirol): Sehr geehrter Herr Vizekanzler! Wie beurteilen Sie die Möglichkeiten der Europäischen Union, im Bereich des östlichen Mittelmeeres, also im Nahen Osten, den Friedensprozeß zu unterstützen?

Präsident Ludwig Bieringer: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Wir haben uns gerade dieses Themas, das auch unsere Sicherheit direkt betrifft – das muß man offen sagen –, sehr angenommen. Wir haben einen eigenen Sonderbotschafter in diesem Raum, im Nahen Osten, einen Spanier, Botschafter Moratinos – er ist ein ausgezeichneter Mann –, der erreicht hat, daß die Union in diesem Raum sichtbar ist, und jederzeit Zugang zu den großen Persönlichkeiten, wo immer sie sind, gefunden hat.

Zweitens ist die Union jener internationale Partner, der es überhaupt erst ermöglicht, daß eine palästinensische Autonomiebehörde existiert – wir zahlen ungefähr 60 bis 70 Prozent der Budgets! –, was meiner Meinung nach gerade für die Stabilität in dieser Region und auch für die friedlichere Situation wesentlich verantwortlich ist. Und wir sind der Haupthandelspartner Israels. 60 Prozent aller israelischen Exporte gehen nach Europa. Daher verlangen wir auch, daß Euro


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pa nicht nur in wirtschaftlicher Hinsicht oder als Zahler auftritt, sondern auch politisch ernst genommen wird, und dies ist in steigendem Ausmaß gelungen.

Auch Madeleine Albright oder Dennis Ross arbeiten immer enger mit der Union zusammen. Es ist das eine taktisch gar nicht schlechte Doppelconférence: Die Amerikaner sind da vielleicht mehr auf der israelischen Schiene, wir sind eher der Makler zwischen den beiden. Aus dieser Reibung, aus dieser konstruktiven Parallelität ergibt sich, glaube ich, ein sehr vernünftiger positiver Ansatzpunkt.

Präsident Ludwig Bieringer: Danke, Herr Bundesminister.

Wir gelangen nunmehr zur 3. Anfrage, 865/M, der Frau Bundesrätin Dr. Susanne Riess-Passer. Ich bitte um die Verlesung der Anfrage.

Bundesrätin Dr. Susanne Riess-Passer (Freiheitliche, Wien): Herr Vizekanzler! Meine Frage lautet:

865/M-BR/98

Aus welchen konkreten Gründen drängt Österreich auf eine rasche EU-Mitgliedschaft der mittel- und osteuropäischen Länder, zumal die ökonomischen Vorteile von Österreich aufgrund des praktisch bereits existierenden Freihandels im industriell-gewerblichen Bereich schon lukriert werden (wurden)?

Präsident Ludwig Bieringer: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Frau Bundesrätin! Wir drängen nicht auf einen raschen Beitritt, sondern wir drängen – das habe ich eigentlich auch schon in der Beantwortung der ersten Frage von Bundesrat Penz gesagt – auf eine kluge und verantwortungsbewußte Strategie, weshalb sich dieser unser Denkansatz durchaus von anderen unterscheidet.

Interessant dabei ist – ich bitte, darauf Wert zu legen –, daß die Beitrittsstrategie schon sehr lange vorher begonnen hat: Im Dezember 1989 hat man bereits beim G-7-Gipfel von Paris der Europäischen Kommission die Koordinierung der Hilfe für Polen und Ungarn übertragen. Im ersten Jahr des Falls des Kommunismus ist das PHARE-Programm entwickelt worden. Im Dezember 1991 sind die ersten Assoziationsabkommen mit Polen, Ungarn und der Tschechischen Republik, damals Tschechische und Slowakische Republik, entstanden. In der Präambel dieser Abkommen steht ausdrücklich, daß diese Länder die Mitgliedschaft an der damaligen Gemeinschaft anstreben. Im Jahr 1993 sind dann beim Kopenhagener Gipfel die Kriterien für die Mitgliedschaft festgelegt worden. In Essen hat dann im Jahr 1994 der Europäische Rat die sogenannte Vorbeitrittsstrategie beschlossen; sie heißt auch so. Die ersten Beitrittskandidaten haben dann im gleichen Jahr – am 1. April 1994 die Ungarn; das letzte Land, Slowenien, erst zwei Jahre später – die Beitrittsanträge vorgelegt. In Cannes und Madrid wurde dann der präzise Fahrplan festgelegt, nämlich wann die Kommission den Avis machen wird, also die Bewertung, wie weit diese Länder sind. Im Juli 1997 sind dann konkret die Berichte der Kommission vorgelegt worden. In Luxemburg hat man dann beschlossen, mit sechs konkrete Verhandlungen aufzunehmen.

Von einem raschen Beitritt kann also hier überhaupt nicht die Rede sein, sondern man arbeitet eigentlich seit dem Jahr 1989 an einer strategischen Orientierung dieser ehemaligen kommunistischen oder ehemaligen planwirtschaftlichen Länder in Richtung Demokratie, Freiheit und Marktwirtschaft. Seit 1989 sind schon neun Jahre vergangen, und Sie können sicher sein, daß mit den Strukturentscheidungen, die die Union vor sich hat – Vorbeitrittsstrategie, Agenda 2000 –, und den konkreten Verhandlungen lange Zeit vergehen wird, bis alles unter Dach und Fach ist. Und diese kluge Strategie: vorwärts gewandt, integrieren, nicht ausgrenzen, eine Alternative, eine echte Option zum ehemaligen Kommunismus und zum COMECON anzubieten, ist etwas, was im österreichischen Interesse liegt.

Präsident Ludwig Bieringer: Danke, Herr Bundesminister.


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Wird eine Zusatzfrage gewünscht? – Bitte, Frau Kollegin.

Bundesrätin Dr. Susanne Riess-Passer (Freiheitliche, Wien): Herr Vizekanzler! Danke für die Chronologie der Ereignisse, von der ich annehme, daß sie den Mitgliedern dieses Hauses an sich bekannt ist. Ich versuche, meine Frage noch einmal zu stellen.

Im Zusammenhang mit der Diskussion über die Osterweiterung wird von weiten Teilen der Politik, aber auch der Wirtschaft vor möglichen Gefahren und negativen Konsequenzen, insbesondere was den Arbeitsmarkt betrifft, gewarnt; sowohl von den Landeshauptleuten in einer gemeinsamen Stellungnahme als auch von verschiedenen Fachverbänden der Wirtschaft, der Industrie, bis hin zu Ihrem Parteikollegen Nettig. Halten Sie diese Warnungen und Befürchtungen hinsichtlich negativer Konsequenzen für die österreichische Beschäftigung für gerechtfertigt?

Präsident Ludwig Bieringer: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Dann, wenn man die Verhandlungen nicht ordentlich führt, und dann, wenn man wirklich nur mit weiß und schwarz, ja und nein diskutiert.

Ich wollte nicht versuchen, Sie mit der Chronologie der Ereignisse zu belehren, sondern ich wollte einmal zusammenhängend darstellen, daß die Situation, in der wir uns jetzt befinden, eingebettet ist in eine neunjährige Geschichte, und daß vermutlich noch mehrere Jahre bis zum Beitritt folgen werden. Und durch diese kluge Strategie, die wir gemeinsam gefunden haben, zum Teil noch vor dem Beitritt Österreichs – aber wir waren auch schon als EWR-Mitglied in diese Strategie eingebunden –, haben wir für Österreich doch einige wirtschaftliche Vorteile herausholen können.

Schauen Sie sich zum Beispiel die Handelsbilanzdaten seit dem Jahr 1989 an. Durch diese kluge Strategie – diese ist von den Parteikollegen Ihrer Fraktion genauso kritisiert worden wie jetzt der Beginn der Beitrittsverhandlungen – hat Österreich als Standort, durchaus auch als Arbeitsplatzstandort gewonnen, weil wir es richtig gemacht haben.

Ich nehme natürlich die Warnungen genauso ernst wie die positiven Erwartungsschätzungen von Ökonomen, die auch auf dem Tisch liegen. Ich nehme an, daß Sie alle diese kennen, und daher brauche ich diese nicht zu wiederholen. Man sollte nicht nur die Chancen sehen, sondern selbstverständlich auch die kritischen Punkte. Aber umgekehrt bitte ich auch, daß man nicht immer nur die Gefahren übertreibt und die Chancen, die letztlich in diesem Prozeß enthalten sind, übersieht.

Präsident Ludwig Bieringer: Danke, Herr Bundesminister.

Werden weitere Zusatzfragen gewünscht? – Bitte, Herr Bundesrat Dr. Kaufmann.

Bundesrat Dr. Kurt Kaufmann (ÖVP, Niederösterreich): Herr Vizekanzler! In diesem Zusammenhang möchte ich Sie fragen, welche intensivere Heranführungsstrategie Österreich für die Beitrittskandidaten geplant hat?

Präsident Ludwig Bieringer: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Wir haben uns mit unseren Positionen in der Erweiterungsarbeitsgruppe bisher eigentlich vollinhaltlich durchgesetzt. Das heißt, wir haben durchgesetzt, daß die Beschäftigung und die sozialen Angelegenheiten unbedingt Berücksichtigung finden müssen – der entsprechende Punkt ist fast wortgleich in den Beitrittspartnerschaften mit allen mittel- und osteuropäischen Ländern enthalten. Sie werden jetzt Schlag auf Schlag im Februar 1998 fertiggestellt – das letzte Land wird Polen sein – und umfassen einen umfangreichen Katalog an eingeforderten sozialen Maßnahmen.


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Für mich ist in diesem Zusammenhang sehr interessant und positiv – ich möchte das ausdrücklich sagen –, daß sich ÖGB, Arbeiterkammer und auch die anderen Wirtschaftspartner mit dem, was wir schon erreicht haben, als ausdrücklich zufrieden gezeigt haben.

Wir haben das Konvergenzthema in die Beitrittspartnerschaften aufgenommen. Es heißt wörtlich, daß eine wirkliche Konvergenz erreicht werden soll mit der Kohäsion der Ziele der Union in der wirtschaftlichen und sozialen Zusammenarbeit. Auch damit ist eine von den Sozialpartnern sehr massiv verlangte Forderung in der Ratsarbeitsgruppe "Erweiterung" durchgesetzt worden.

Für uns sind natürlich auch noch die Fragen Umwelt und nukleare Sicherheit besonders wichtig, insbesondere deswegen, weil ab dem Jahr 2002 – nicht schon jetzt, wie Frau Bundesrätin Riess-Passer gemeint hat, sondern ab dem Jahr 2002 – die Freihandelszone verwirklicht sein wird. Und wir wollen möglichst schon in dieser Phase die Umweltstandards erhöhen, weil sonst eine gewisse Wettbewerbsungleichheit für unsere nach höchsten ökologischen Kriterien erzeugten Waren gegeben ist.

Präsident Ludwig Bieringer: Danke, Herr Bundesminister.

Ich bitte Herrn Bundesrat Payer um seine weitere Zusatzfrage.

Bundesrat Johann Payer (SPÖ, Burgenland): Sehr geehrter Herr Vizekanzler! Bei der künftigen Osterweiterung – ich habe das aus Ihren bisherigen Stellungnahmen so herausgehört – geht es nicht darum, berechtigte bestehende Ängste in der Bevölkerung zu negieren oder zu verleugnen, sondern darum, Modelle anzubieten, wie man diesen Ängsten begegnen und wie man mögliche Gefahren abwenden kann.

Halten Sie neben zusätzlichen Förderungsprogrammen für die Ostregion den Aufbau einer funktionierenden Gewerkschaftsbewegung in den mittel- und osteuropäischen Staaten für notwendig?

Präsident Ludwig Bieringer: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Die Antwort ist klar: Ja.

Präsident Ludwig Bieringer: Danke.

Wir gelangen nunmehr zur 4. Anfrage: Sie wird gestellt von Frau Bundesrätin Ilse Giesinger an den Herrn Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten. Ich bitte Frau Bundesrätin Giesinger, die Frage zu verlesen.

Bundesrätin Ilse Giesinger (ÖVP, Vorarlberg): Herr Bundesminister! Meine Frage an Sie lautet:

853/M-BR/98

Wie beurteilen Sie das jetzige Verkehrsabkommen zwischen der Schweiz und der Europäischen Union hinsichtlich der zukünftigen europäischen Verkehrspolitik, insbesondere hinsichtlich des Alpen-Transits?

Präsident Ludwig Bieringer: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Prinzipiell positiv. Der jetzige Vertragsabschluß, der noch nicht finalisiert ist, sondern noch der Genehmigung durch den Verkehrsministerrat und einer eingehenden Diskussion bedarf und auch im Gesamtpaket mit allen anderen Elementen der bilateralen Verträge mit der Schweiz gesehen werden muß, enthält für uns einige sehr wichtige Fortschritte.

Daß die Schweiz von 28 Tonnen abgeht und schrittweise auf 40 Tonnen kommt, die in der Union üblich sind, ist für uns sehr wichtig. Wir hoffen, daß dadurch der Umwegtransit, der heute


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durch österreichische Bundesländer führt, hauptsächlich über die Brenner-Route, wieder zurück in die Schweiz verlagert werden kann.

Zusätzlich ist es gut, daß die Schweiz ein Mautregime zugestanden bekommen hat, das zumindest für den Alpenbereich eine Arbeitsgrundlage darstellt.

Unser Hauptinteresse ist es jetzt nicht, das Schweizer Abkommen zu kritisieren, sondern aufbauend auf das Prinzip: Die Schweiz kann nicht besser gestellt sein als wir!, sicherzustellen, daß innerhalb der Wegekostenrichtlinie jetzt eine absolute Vergleichbarkeit herbeigeführt wird, sodaß dann die Erwartung, die wir haben, nämlich Rückverlagerung des Umwegverkehrs in die Schweiz, erfüllt werden könnte. Neil Kinnock hat in einem Interview sogar von 30 Prozent gesprochen, die dann weg von Österreich und in die Schweiz gehen könnten; das wäre sehr schön. Das müßte sich dann aber auch konkret in den innergemeinschaftlichen Entscheidungen niederschlagen. Jetzt hat sich die Auseinandersetzung sozusagen verlagert – innerhalb der Union. Wir sehen natürlich den Zusammenhang zwischen Schweiz-EU-Abkommen und der Wegekostenrichtlinien-Diskussion als absolut gegeben.

Präsident Ludwig Bieringer: Danke, Herr Bundesminister.

Wird eine Zusatzfrage gewünscht? – Bitte, Frau Bundesrätin.

Bundesrätin Ilse Giesinger (ÖVP, Vorarlberg): Herr Vizekanzler! Welche umweltpolitischen Auswirkungen hat das Ökopunkte-System bis jetzt gehabt?

Präsident Ludwig Bieringer: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Frau Bundesrätin! Das Ökopunkte-System ist eine Folge des Transitabkommens, das Österreich mit der EU abgeschlossen hatte und das dann in den Rechtsbestand der Union übernommen wurde. Am Anfang hat es heftige Kritik gegeben, und es wurde daran gezweifelt, daß das überhaupt die Schadstoffreduktion bringen wird.

Wir haben uns vorgenommen, daß insgesamt die Schadstoff-, vor allem die NOx-Emissionen deutlich reduziert werden sollen. Und ich kann heute mitteilen, daß wir nach vier Jahren bereits feststellen können, daß die NOx-Werte um 27 Prozent zurückgegangen sind. Das ist mehr, als selbst von den Optimisten erwartet werden konnte. Damit ist die Gesamtzahl der in Anspruch genommenen Ökopunkte bedeutend niedriger als 1995. Wir können davon ausgehen, daß auch im nächsten Jahr eine weitere Reduktion der Schadstoffmenge möglich sein wird, weil die Zahl der zur Verfügung stehenden Ökopunkte 1997 auch unter jenen von 1996 lag, sodaß dieser positive Trend insgesamt weitergeht.

Präsident Ludwig Bieringer: Danke, Herr Bundesminister.

Werden weitere Zusatzfragen gewünscht? – Bitte, Frau Bundesrätin Irene Crepaz.

Bundesrätin Irene Crepaz (SPÖ, Tirol): Herr Vizekanzler! Was war der Grund, im vorgestrigen Ministerrat die Tiroler Transitforderungen zu blockieren? Gibt es inhaltliche Bedenken oder sind die Tiroler Anliegen nicht die Ihren?

Präsident Ludwig Bieringer: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Frau Bundesrätin! Ich enthülle jetzt das Innerste: Normalerweise werden am Donnerstag die Vorlagen für den Ministerrat eingebracht, damit man dann auch wirklich alles koordinieren kann, damit sich alle Ministerien die Unterlagen anschauen können, damit man eine Koordination mit den Sozialpartnern und allen betroffenen Bundesländern durchführen kann. Wir als Koalitionspartner haben diesen Text des Wissenschafts- und Verkehrsministers erst am Dienstag in der Früh bekommen, und am Dienstag in der Früh war es uns bei bestem Willen nicht möglich, diese notwendige Koordination mit allen Bundesländern und mit allen Sozialpartnern herbeizuführen.


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Mir ist, ehrlich gesagt, bei der Durchsicht der Texte aufgefallen, daß eine ungeschickte Formulierung enthalten war, die ganz sicher nicht im Tiroler Interesse sein kann, daß nämlich allfällige Überschüsse aus den Mauten, die nicht benötigt werden für den Weiterbau der erforderlichen Infrastruktur – Stichwort Landecktunnel und Strengen –, unter Umständen in den Ausbau von anderen Achsen gesteckt werden können. Da war nicht klar gesagt, daß das nur auf Österreich bezogen ist. Das hätte auch irgendwo anders sein können, und das ist – bitte, nicht böse sein – nicht unbedingt unser gemeinsames Interesse. Diese Meinung deckt sich übrigens zwischen dem Bundeskanzler und mir.

Wir wollen haben, daß dann, wenn es solche Überschüsse gibt, diese nur in Österreich verbaut werden können. Das ist im Text, der uns vorgelegt wurde, so nicht enthalten gewesen. Sie werden verstehen – unabhängig von den Aufregungen in manchen Tiroler Zeitungen –: So eine Geschichte, die sehr wichtig ist für die Arbeit der nächsten Monate und Jahre, muß man ordentlich machen, und das textlich so weit außer Streit stellen, daß nicht der Schatten eines Zweifels vorhanden ist.

Also: Mein Herz schlägt nicht nur im Urlaub für das Zillertal, wie der SPÖ-Landesvorsitzende gemeint hat, sondern durchaus auch in der Tagesarbeit. Aber ich möchte haben, daß die Überschüsse dann wirklich zum Beispiel in Tirol verwendet werden und nicht irgendwo in Norddeutschland oder Frankreich.

Präsident Ludwig Bieringer: Danke, Herr Vizekanzler.

Weitere Zusatzfrage: Herr Dr. Franz Werner Königshofer. – Bitte.

Bundesrat DDr. Franz Werner Königshofer (Freiheitliche, Tirol): Herr Bundesminister! Meine Frage zielt in eine ähnliche Richtung, und zwar: Die Tiroler Landesregierung hat einstimmig diverse Bedingungen für den Transitvertrag mit der Schweiz, vor allem hinsichtlich der Mautpolitik, beschlossen und an die österreichische Bundesregierung herangetragen. Herr Bundesminister! Werden Sie diese Bedingungen – abgesehen von einzelnen Modifikationen – entsprechend in die Verhandlungen einbringen, oder werden Sie diesen Vertrag mit der Schweiz ohne Wenn und Aber unterzeichnen?

Präsident Ludwig Bieringer: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Noch einmal: Der Vertrag mit der Schweiz ist ein Gesamtpaket! – Darauf mache ich schon aufmerksam, denn das ist auch sehr wichtig für die österreichische Verhandlungsposition. Nur dann, wenn ich darauf bestehe, daß es sich um ein Gesamtpaket handelt, in dem alles enthalten ist, die Freizügigkeit des Personenverkehrs genauso wie die fünfte und siebente Luftverkehrsfreiheit, die Zertifizierungsgeschichten und die Kommitologie, habe ich eine Chance, im Rat Einstimmigkeit zu verlangen.

Wenn wir den Punkt, auf den Sie anspielen – sicher nicht beabsichtigt –, isoliert als Verkehrskapitel sehen, dann ist ganz sicher nur Mehrstimmigkeit verlangt, also qualifizierte Mehrheit.

Es ist mir daher wichtig, daß wir darauf drängen, daß das ein Gesamtpaket ist, das nicht in einzelne Kapitel aufgeschnürt werden kann. Wir wollen durchaus aufgrund dieser Einstimmigkeitserfordernisse dann innerhalb der Union unsere Position gestärkt sehen, um die berechtigten Anliegen Tirols, Salzburgs, Vorarlbergs – es ist nicht nur ein Bundesland davon betroffen, sondern mehrere Bundesländer – bei den Verhandlungen im Verkehrsministerrat der Union durchzusetzen.

Präsident Ludwig Bieringer: Danke, Herr Bundesminister.

Wir kommen nunmehr zur 5. Anfrage: Sie stellt Frau Bundesrätin Irene Crepaz an den Herrn Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten. – Bitte.

Bundesrätin Irene Crepaz (SPÖ, Tirol): Herr Bundesminister! Meine Frage lautet:


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860/M-BR/98

Welche besonderen Anliegen und Bedingungen wird Österreich bezüglich des Verhandlungsmandates für die Europäische Kommission mit den osteuropäischen Beitrittskandidaten einbringen?

Präsident Ludwig Bieringer: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Frau Bundesrätin! Ich habe das schon ein bißchen vorweggenommen, unbeabsichtigt, aber ich wiederhole es gerne ganz kurz.

Wir haben von den Sozialpartnern, aber auch aus eigenem Antrieb eine ganze Liste von österreichischen Vorschlägen zusammengestellt, und diese sind bisher zur Gänze sowohl bei den Schlußfolgerungen des Europäischen Rates in Luxemburg als auch von der Erweiterungsgruppe angenommen worden. Die soziale und wirtschaftliche Konvergenz, die Beschäftigungsfrage, das angestrebte hohe Niveau der atomaren Sicherheit und der Umwelt, die Förderung der Grenzregionen, Übergangsfristen sind also ausdrücklich im Verhandlungsmandat der Union bereits erwähnt. Das ist durchaus auf unserer Linie.

Präsident Ludwig Bieringer: Danke, Herr Bundesminister. – Wird eine Zusatzfrage gewünscht? – Bitte, Frau Bundesrätin.

Bundesrätin Irene Crepaz (SPÖ, Tirol): Im besonderen interessiert mich, welcher Forderungskatalog im Hinblick auf Sicherheit der veralteten Atomkraftwerke mit den beitrittswilligen MOEL-Staaten verhandelt wird.

Präsident Ludwig Bieringer: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Es kann natürlich nur der Acquis, also der Rechtsbestand der Union, verlangt werden, und der verlangt höchste Sicherheit. Wir wollen natürlich mehr, wir wollen, wenn es irgendwie geht, die Atomkraftwerke überhaupt wegbekommen. Aber in den Verhandlungen muß sichergestellt werden – das findet sich auch im Kommissionspapier und wird in der Rats-Arbeitsgruppe voll akzeptiert –, daß die Atomkraftwerke, sofern sie nicht zugesperrt werden können, den höchstmöglichen Stand westlicher Technik haben müssen. Und jene Kernkraftwerke, bei denen dies nicht erreicht werden kann – das wird auch in den Positionen der Europäischen Union verlangt –, müssen zugesperrt werden.

Präsident Ludwig Bieringer: Danke, Herr Bundesminister.

Werden weitere Zusatzfragen gewünscht? – Bitte, Herr Bundesrat Dr. Paul Tremmel.

Bundesrat Dr. Paul Tremmel (Freiheitliche, Steiermark): Herr Präsident! Herr Vizekanzler! Im Amsterdamer Abkommen wurde unter anderem Artikel f novelliert. Die Beachtung der Menschenrechte ist also Rechtsbestand der EU, wie auch die Menschenrechtskonvention Rechtsbestand der einzelnen Beitrittsländer ist. Es ist auch ein entsprechender Sanktionsmechanismus zur Durchsetzung derselben vorgesehen. Wird dieser Sanktionsmechanismus auch bei den osteuropäischen Beitrittskandidaten Platz greifen? Ich meine speziell die Beneš-Dekrete. Und sehen Sie die Beneš-Dekrete als menschenrechtswidrig und menschenrechtsverletzend an?

Präsident Ludwig Bieringer: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Das sind jetzt drei Zusatzfragen, aber ich kann gerne einmal auf die erste antworten. Der Amsterdamer Vertrag, wie Sie sicherlich wissen, ist nicht einmal noch ratifiziert. Wir werden ihn hoffentlich im März dem Parlament zuleiten – das habe ich jedenfalls diese Woche im Ministerrat klarzustellen versucht –, damit wir ihn möglichst noch vor der Übernahme des Vorsitzes in der Europäischen Union ratifizieren, und selbstverständlich wird dieser Amsterdamer Vertrag anzuwenden sein.


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Ihre Frage bezüglich der Beneš-Dekrete – ich nehme sie als weitere Frage gerne in die Beantwortung mit hinein – ist rechtlich nicht so einfach zu beurteilen. Das wissen Sie natürlich ganz genau. In der politischen Bewertung der diversen Nachkriegs- und Kriegsakte sind wir, glaube ich, nicht weit auseinander, nur rechtlich und legistisch dies in den Verhandlungsprozeß einzubringen, ist extrem schwierig. Wir haben das, nebenbei bemerkt, intern schon einmal mit dem Rechtsdienst der Kommission und des Rates andiskutiert, und da wurde klar, daß hier kaum etwas zu machen ist.

Ich glaube, daß unser Weg der richtige ist, daß wir alle diese Fragen, deren Klärung zur geschichtlichen Bewältigung der bitteren Nachkriegsereignisse auf allen Seiten notwendig ist, bilateral zu klären versuchen. Die Länder, die davon betroffen sind, werden sich, glaube ich, im eigenen Interesse ihrer Vergangenheitsbewältigung nicht entziehen können, genauso wie wir das auch machen mußten, und das ist – ich glaube, jeder wird mir zustimmen – auch nicht immer eine sehr angenehme und schmerzlose Angelegenheit.

Ich glaube daher, daß der Weg, den wir da anpeilen – nicht junktimieren, nicht erpressen, noch dazu mit einem doch relativ geringen juristischen Erfolgspotential –, eigentlich der bessere Weg ist.

Präsident Ludwig Bieringer: Danke, Herr Bundesminister.

Meine Damen und Herren! Ich mache ausdrücklich noch einmal, aber letztmalig darauf aufmerksam, daß gemäß § 63 Abs. 5 jede Zusatzfrage in unmittelbarem Zusammenhang mit der Hauptfrage beziehungsweise der gegebenen Antwort stehen muß und nur eine konkrete Frage enthalten und nicht in mehrere Unterfragen geteilt sein darf. Ich werde, sollte diese Bestimmung nicht eingehalten werden und mehrere Zusatzfragen gestellt werden, den Herrn Minister auffordern, nicht zu antworten.

Zu einer weiteren Zusatzfrage hat sich Herr Bundesrat Leopold Steinbichler gemeldet. 

Bundesrat Leopold Steinbichler (ÖVP, Oberösterreich): Herr Präsident! Herr Vizekanzler! Welche Bedingungen sollen bei den Beitrittsverhandlungen im Umweltbereich gestellt werden?

Präsident Ludwig Bieringer: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Wir haben ein Interesse daran, daß es Übergangsfristen etwa in den Bereichen Arbeitsmarkt und Landwirtschaft gibt, die Kandidaten haben wieder Interesse daran, daß es Übergangsfristen in anderen, für sie sensiblen Bereichen gibt, die sie entweder viel Geld kosten oder die sie nicht gleich erfüllen können oder wollen et cetera. Und da prallen natürlich die Standpunkte aufeinander, wie zum Beispiel beim Umweltbereich, den ich schon erwähnt habe. Wir haben natürlich Interesse, daß möglichst rasch der volle Acquis in den Beitrittsländern umgesetzt wird, was hohe Umweltstandards betrifft, denn ab 2002 treten die Freihandelsabkommen voll in Kraft, und dann hätten wir Wettbewerbsnachteile. Wir müssen deswegen in der Zeit vor dem Beitritt auch Geld einsetzen, damit sich die Kandidaten leichter tun. Das ist ein ganz wichtiger Punkt.

Zweite Frage, auch schon kurz erwähnt: Energieeffizienz, Alternativenergien, höchstmöglicher Standard an nuklearer Sicherheit et cetera, Schließung jener Atomkraftwerke, die nicht den internationalen Standards entsprechen. Daher drängen wir, glaube ich, ganz zu Recht darauf, daß zum Beispiel Bohunice so rasch wie möglich zugesperrt wird, und ich hoffe sehr – das darf ich jetzt als Einbegleitung sagen –, daß das, was Premierminister Meciar Bundeskanzler Klima gesagt hat, auch tatsächlich eingehalten wird. Wenn Mochovce nicht verhindert werden kann, was ich sehr bedauern würde, dann möchte ich zumindest die Zusage eingelöst haben, daß Bohunice wirklich vom Netz geht. Das ist so ein Fall.

Im Verkehrsbereich ist auch unser Interesse, daß wir möglichst früh harmonisieren. Wir stellen immer wieder fest, daß Lkws, die aus dem Osten kommen, absolut nicht unseren Standards


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entsprechen. Also da gibt es eine Fülle von Material, das außerordentlich in unserem Interesse liegt. Daran sieht man auch, wie wichtig die Aufnahme von Verhandlungen ist. Wenn man all das immer wieder hinausschiebt, ist das schlecht für uns, schlecht für unsere Umwelt, schlecht für unsere Wettbewerbsbedingungen und schlecht für unseren Standort.

Präsident Ludwig Bieringer: Danke, Herr Bundesminister.

Wir gelangen nunmehr zur 6. Anfrage, 854/M. Diese stellt Herr Bundesrat Dr. h. c. Manfred Mautner Markhof. Ich bitte um die Verlesung der Anfrage.

Bundesrat Dr. h. c. Manfred Mautner Markhof (ÖVP, Wien): Herr Präsident! Herr Vizekanzler! Herr Bundesminister! Ich habe folgende Frage an Sie:

854/M-BR/98

Welche neuen Initiativen wird Österreich zur Unterstützung der EU-Grenzregionen zu den mittel- und osteuropäischen Ländern vorschlagen?

Präsident Ludwig Bieringer: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Herr Bundesrat! Am 18. März wird die Kommission ihr überarbeitetes Paket zur Agenda 2000, vor allem die Strukturreform, die Regionalförderung betreffend, vorlegen. Wir haben die Zeit genützt, um schon vorweg sehr lange Lobbying zu betreiben und darauf hinzuweisen, daß wir als jenes Land, das von den Beitrittsverhandlungen sehr stark betroffen ist, in positiven wie auch in kritischen Bereichen, natürlich ein Interesse an einem Sonderprogramm haben. Wir sind das einzige EU-Land, das vier Beitrittskandidaten als unmittelbare Nachbarn hat. Fast die Hälfte unserer Grenze teilen wir mit Beitrittskandidaten. Österreichs Grenzen stellen ein Drittel der gesamten Außengrenze der Europäischen Union zu Kandidatenländern dar. Wir haben daher ein Recht darauf, zu thematisieren, was für einen positiven, erfolgreichen Beitrittsprozeß notwendig sein wird. Deswegen dieses Memorandum, das wir ausgearbeitet haben und das im wesentlichen darauf abstellt, daß wir ein Sonderprogramm haben wollen, das sicherstellt, daß jenen Gebieten, die jahrzehntelang durch die tote Grenze, durch den Eisernen Vorhang wirtschaftlich schwer geschädigt gewesen sind, in besonderer Weise geholfen wird, daß all die "Blutbahnen", die es früher einmal Richtung Böhmen, Richtung Mähren, Richtung Ungarn, Slowenien, Westungarn et cetera gegeben hat und abgeschnitten wurden, wiederaufgebaut werden. Ein bißchen etwas ist ja dafür vorhanden. Ungefähr 270 Millionen Ecu sind heute schon in den Kommissionsprogrammen dafür vorgesehen.

Uns schwebt natürlich – ich bin jetzt vorsichtig, weil wir noch nicht das Endergebnis der Verhandlungen präsentieren können – ein Sonderprogramm vor. Die Kommission möchte das im INTERREG-Programm unterbringen. Das heutige INTERREG-Programm wäre mir aber nicht ausreichend. Vielleicht wird ein INTERREG-Programm Neu, das unbürokratischer, besser ist, weniger Gießkannenprinzip vorsieht, diesen Zielen entsprechen können. Aber ich könnte mir vorstellen, daß wir auch über das Volumen reden müssen. Die Kommission wird zirka 210 Milliarden Ecu, also eine gewaltige Menge, für die nächsten fünf, sechs Jahre vorschlagen, und davon soll nach den internen Vorschlägen der Kommission ein Teil Ziel-2-Gebiet-fähig sein. Also dieses Geld kann auch für Ziel-2-Gebiete angeknabbert werden. Zweitens wollen wir bezüglich der Gemeinschaftsinitiativen etwas machen. Derzeitiger Stand der Diskussion ist, daß etwa 5 Prozent der Mittel, aber ohne Bindung an die 75 Prozent, die nur für Ziel-1-Gebiete gegeben werden sollen, für solche Gemeinschaftsinitiativen ausgegeben werden sollen. Da sind Human resources, ländlicher Raum und INTERREG dabei. Das wären ungefähr 10 Milliarden Ecu – eine ganz beachtliche Summe.

Vor allem dann, wenn das nicht an die Ziel-1-Formel gebunden ist und davon nicht wieder 75 Prozent in Ziel-1-Gebiete gehen, sondern für alle offenstehen, ist das interessant. Dann ist die Frage, wie diese drei Programme aufgeteilt werden. Das wird sehr intensiv diskutiert: ein Drittel für alle drei oder 50 Prozent für INTERREG. Da sind doch einige Bandbreiten möglich.


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Davon wollen wir halt einen möglichst großen Teil aus den Ziel-2-Mitteln und aus den Gemeinschaftsinitiativen für diese Grenzregionen flottmachen.

Das ist, glaube ich, eine gut akkordierte Position, mit allen Bundesländern abgesprochen. Das ist eine Sache, die natürlich härteste Arbeit auf allen Ebenen – Europaparlament, Rat, Arbeitsgruppen – bedeutet, aber nicht ohne Chancen ist.

Präsident Ludwig Bieringer: Ich danke, Herr Bundesminister.

Wird eine weitere Zusatzfrage gewünscht? – Das ist nicht der Fall. Werden andere Zusatzfragen gewünscht? – Bitte, Herr Bundesrat Johann Payer.

Bundesrat Johann Payer (SPÖ, Burgenland): Herr Präsident! Herr Vizekanzler! Die zukünftige Euro-Währung ist sicher eine wichtige Verbesserung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in der EU. Steht der Euro Ihrer Meinung nach auch den beitrittswerbenden Staaten aus Mittel- und Osteuropa offen?

Präsident Ludwig Bieringer: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Selbstverständlich, weil es ja Vertragsbestandteil ist. Allerdings müssen die Mitgliedsländer natürlich genauso wie wir auch die Kriterien erfüllen. Das heißt, sie müssen eine gewisse Zeit an einer fixen Bandbreite der Währungen teilnehmen, die Konvergenzkriterien erfüllen und einen politischen Beschluß fassen, daß sie glaubhaft auch für die Zukunft – Stichwort Stabilitätspakt – die Bedingungen erfüllen.

Präsident Ludwig Bieringer: Danke. – Ich bitte Herrn Bundesrat Mag. Walter Scherb um die zweite Zusatzfrage.

Bundesrat Mag. Walter Scherb (Freiheitliche, Oberösterreich): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Ab dem Jahr 2000 soll es Änderungen hinsichtlich der EU-Förderungen geben. Es wird dann die Arbeitslosenrate ein wesentliches Kriterium sein. Da Österreich durch beschönigte und verzerrte Arbeitslosenraten fälschlicherweise an der vordersten Stelle in der EU liegt, wird Österreich mit niedrigeren Förderungen zu rechnen haben. Wie werden Sie konkret darauf reagieren, damit wir als Grenzlandregion Österreich im Hinblick auf die Osterweiterung eben nicht in die negative Schere zwischen niedrigeren Förderungen und höheren Belastungen kommen werden?

Präsident Ludwig Bieringer: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Also zunächst einmal, auch wenn Sie das von einem Blatt heruntergelesen haben: Österreich hat keine geschönte Arbeitslosenstatistik, sondern Österreich steht tatsächlich innerhalb der Europäischen Union, was die Beschäftigungspolitik betrifft, hervorragend da. Das wird Ihnen jeder Praktiker oder Theoretiker bestätigen. Wir sind nach Luxemburg mit Sicherheit jenes Land, das die besten Arbeitsmarktdaten hat.

Ich würde Ihnen auch empfehlen, nicht immer nur von der Arbeitslosenrate zu reden. Schauen Sie sich einmal die Zahl der Arbeitsplätze an! Und das ist ja für jeden Ökonomen absolut überprüfbar: Wir haben derzeit in Österreich einen historischen Höchststand an Arbeitsplätzen. Das ist doch etwas! Ich verstehe überhaupt nicht, warum man eigentlich nicht, ganz gleich, in welchem Lager man steht, stolz auf diese Leistung ist. Wir haben in den letzten Jahren um ungefähr 400 000 Arbeitsplätze mehr. Seit der Ostöffnung, seit dem goldenen Jahr 1989, haben wir von 2,7 Millionen Beschäftigte auf 3,1 Millionen Beschäftigte im Durchschnitt aufgestockt, also ein Plus von zwischen 350 000 und 400 000.

Das ist ein Riesenerfolg, und daher brauchen wir uns überhaupt nicht zu fürchten. Ich plädiere auch wirklich mit Leidenschaft dafür, daß wir zu jammern aufhören, wir seien Nettozahler und bekämen nicht genügend Förderungen, und so weiter. Bitte, seien wir froh, daß wir wirtschaftlich


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in einer Lage sind, die uns zum Nettozahler macht. Das sage ich ganz offen. Ich möchte nicht in einer Situation wie Griechenland oder andere Länder sein, die quasi mit dem Hut in der Hand als Nettoempfänger auftreten und noch darauf stolz sind. Ich bin eigentlich stolz darauf, daß wir es dank der gemeinsamen Arbeit der Bevölkerung und auch ein bißchen unterstützt durch vernünftige politische Rahmenbedingungen fertiggebracht haben, daß wir Nettozahler sind. Keiner zahlt natürlich gern mehr, als er hereinbekommt, aber so viel zahlen wir nun auch wieder nicht, wenn wir ganz ehrlich sind.

Wenn wir alles optimieren, was wir ausschöpfen können, wofür ich sehr plädiere und wofür noch einiges zu machen ist, dann werden wir unsere Situation hoffentlich nicht verschlechtern. Wenn wir es schaffen, neue Mitglieder hereinzuholen, können wir wesentlich mehr Programme gestalten, quasi einen Marshall-Plan für Mittel- und Osteuropa, das ist nämlich in Wahrheit die Vor-beitrittsstrategie. Viele verlangen immer wieder auch öffentlich einen solchen Marshall-Plan. Die Wahrheit ist: Wir – Europa – zahlen heute mehr für die Mittel- und Osteuropäer als seinerzeit die Amerikaner für den Aufbau Europas nach dem Krieg. Das ist ein ganz interessanter Punkt, und das sollte man, ehrlich gesagt, wo immer man steht und wie immer man die Dinge bewertet, eigentlich positiv finden. Wir sollten uns gemeinsam darüber freuen und nicht immer nur die kritischen Elemente in den Vordergrund rücken, die natürlich in der Demokratie als Salz in der Suppe dazugehören.

Präsident Ludwig Bieringer: Danke, Herr Bundesminister.

Wir gelangen nunmehr zur 7. Anfrage, 861/M. Diese stellt Herr Bundesrat Johann Payer an den Herrn Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten. Ich bitte den Anfragesteller, die Anfrage zu verlesen.

Bundesrat Johann Payer (SPÖ, Burgenland): Sehr geehrter Herr Bundesminister! Meine Frage lautet:

861/M-BR/98

Welche Initiativen sind seitens des Bundesministeriums für auswärtige Angelegenheiten geplant, um in der EU eine besondere Förderung der von der geplanten Osterweiterung besonders betroffenen Regionen, wie beispielsweise der Ostregion Österreichs, durchzusetzen?

Präsident Ludwig Bieringer: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Ich ergänze nur: Nord-, Ost- und Südregion. Das ist nämlich wichtig, daß man nicht immer nur den Osten in diesem Zusammenhang erwähnt, denn das Mühlviertel ist genauso betroffen wie beispielsweise Kärnten, und das ist für mich sicherlich nicht die Ostregion.

Über das Programm selbst habe ich schon geredet. Wir – der Bundeskanzler und ich als Außenminister – haben vor 14 Tagen dem Komissionspräsidenten ein gemeinsames Memorandum zukommen lassen. Wir haben es den Mitgliedsländern zur Kenntnis gebracht. Ich bin noch in der gleichen Woche zu Wulf-Mathis, zur für die Regionalförderung zuständigen Kommissärin, gefahren und habe ihr das ausführlichst erläutert. Wir haben ein EU-Forum in Vorarlberg veranstaltet, bei dem wir die Spitzen der Kommission, des Rates über dieses Programm informiert haben, auch die deutschen Kollegen. Es hat die steirische Landeshauptfrau Waltraud Klasnic in Graz ein sehr interessantes Ausschuß-der-Regionen-Seminar veranstaltet, mit den Ländern, die von den Erweiterungen betroffen sind. Wir haben dort einen großen Durchbruch erzielt, weil alle Regionen unsere Vorstellungen in einer eigenen Charta von Graz mitunterstützt haben. Also ich glaube, wir sind hier ganz gut unterwegs.

Präsident Ludwig Bieringer: Danke, Herr Bundesminister.

Wird eine Zusatzfrage gewünscht? – Bitte, Herr Bundesrat.

Bundesrat Johann Payer (SPÖ, Burgenland): Herr Vizekanzler! Erst mit der Ostöffnung wird mein Bundesland, Burgenland, den Schritt von einem strukturschwachen Land an der toten


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Grenze in das Herz Europas tatsächlich vollzogen haben. Landeshauptmann Karl Stix tritt für eine vorsichtige Osterweiterung mit entsprechenden Übergangsfristen ein. Gleichzeitig hofft man auf eine weitere Periode mit besonderer Förderung.

Herr Vizekanzler! Wurden Ihrer Meinung nach bisher die Ziele des Ziel-1-Status im Burgenland erreicht?

Präsident Ludwig Bieringer: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Erreicht werden sie dann sein, muß ich ganz offen sagen, wenn Burgenland kein Ziel-1-Gebiet mehr ist. Das ist ja eigentlich der Sinn der Ziel-1-Förderung, daß die benachteiligten Regionen so gefördert werden, daß sie über das Limit des durchschnittlichen Wohlstandes kommen. Also ich würde sagen, der Erfolg ist dann eingetreten, wenn sich das Burgenland aus eigener Kraft – übrigens in einer beeindruckenden wirtschaftlichen Entwicklung wie kaum ein anderes Bundesland seit 1945 – über die Ziel-1-Qualifikation hinaus erhoben hat.

Ich rechne persönlich damit, daß wir in der nächsten Periode noch diesen Status Ziel 1 halten werden. Es wird eine sehr knappe Geschichte werden, und entscheidend wird auch sein, daß es dann nicht radikal aus ist, sondern daß eine langsame Anpassung stattfinden wird. Also ich bin sehr zuversichtlich, daß das Burgenland diese Ziele erreichen wird.

Präsident Ludwig Bieringer: Danke, Herr Bundesminister.

Werden weitere Zusatzfragen gewünscht? – Bitte, Herr Bundesrat Engelbert Weilharter.

Bundesrat Engelbert Weilharter (Freiheitliche, Steiermark): Herr Bundesminister! EU-Kommissarin Wulf-Mathies sprach davon, daß die Installierung eines eigenen Sonderprogrammes für die österreichischen Ostregionen zur Abfederung der EU-Osterweiterung unrealistisch sei. Österreich habe, wie Wulf-Mathies meint, ohnedies Vorteile von einer diesbezüglichen Entwicklung. Teilen Sie diesen Standpunkt?

Präsident Ludwig Bieringer: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Sehr geehrter Herr Bundesrat! So hat das die Kommissärin nicht gesagt. Ich selbst habe mit ihr darüber gesprochen, und zwar zwei Stunden lang. Sie sagt, daß es unrealistisch sei, ein eigenes Zielgebiet zu verlangen. Das verlangen wir aber auch nicht. Ich möchte betonen, es ist mir überhaupt nicht wichtig, wie so etwas heißt. Ich weiß, daß die Reduktion der Anzahl der Ziele von sieben auf drei in der Kommission paktiert ist. Das wird am 18. März so vorgeschlagen werden und ist auch konsensfähig.

Die Frage ist nicht, wie ein solches Zielgebiet heißt, sondern was in der Definition steht. Mich interessiert sozusagen der Beipackzettel, auf dem steht, was es in der kommenden Förderungslandschaft an Substanz geben wird. Diesbezüglich gibt es große Bereitschaft und großes Verständnis von seiten der Kommission, und einiges ist sogar heute schon in Ansätzen enthalten. Was wir wollen, ist, diese Ansätze deutlich zu erweitern, sie unbürokratischer zu machen und gleich zu stimmen. So hat zum Beispiel INTERREG völlig andere Kriterien als PHARE. INTERREG reicht über die Grenzen hinweg, PHARE gilt jenseits der Grenze. Die Kriterien sind unterschiedlich, die Einreichungsbestimmungen sind verschieden, alles ist furchtbar bürokratisch. Die Mittel werden zum Teil für Projekte wie Fahrradwege und für eine Unzahl ähnlicher Dinge ausgegeben. Mir wäre es wichtig, daß man bei der Vergabe sehr standortbezogen, qualifikations- und arbeitsplatzbezogen vorgeht. In die Diskussion um diese neuen Zielgebiete und die Gemeinschaftsinitiativen könnte man sehr viel an Substanz und von dem, was wir uns vorstellen, einbringen.

Präsident Ludwig Bieringer: Danke, Herr Bundesminister. – Eine weitere Zusatzfrage wird von Herrn Bundesrat Mag. Karl Wilfing formuliert.


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Bundesrat Mag. Karl Wilfing
(ÖVP, Niederösterreich): Herr Vizekanzler! Sie haben schon verschiedene Kooperationen mit den Bundesländern im Hinblick auf eine besondere Förderung angesprochen. In welcher Form wird diese Kooperation mit den Bundesländern bei der Entwicklung zukünftiger Initiativen angestrebt werden?

Präsident Ludwig Bieringer: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Sehr geehrter Herr Bundesrat! Österreich ist eines der wenigen föderalistischen Länder in der Europäischen Union. Bei uns sind die Bundesländer natürlich voll integriert und sowohl in die interministeriellen Kontakte, in die Ausarbeitung der Programme als auch in den Verhandlungsprozeß eingebunden. Es gibt einen eigenen Vertreter in Brüssel, Herrn Dr. Purtscher, der ebenfalls voll in den Verhandlungsprozeß integriert ist. Ich garantiere auch dafür, daß wir bei diesen für die Bundesländer und für die Regionen so wichtigen Gesprächen einen erstklassigen Informationszug gewährleisten.

Präsident Ludwig Bieringer: Danke.

Wir gelangen nunmehr zur 8. Frage. Es ist die des Herrn Bundesrates Dr. Peter Harring an den Herrn Bundesminister. Ich bitte den Anfragesteller, seine Frage zu verlesen.

Bundesrat Dr. Peter Harring (Freiheitliche, Kärnten): Sehr verehrter Herr Vizekanzler! Meine Frage lautet:

866/M-BR/98

Aus welchen konkreten Gründen sprechen Sie sich gegen eine gleichrangige verfassungsrechtliche Anerkennung der Altösterreicher deutscher Muttersprache in Slowenien als Volksgruppe aus?

Präsident Ludwig Bieringer: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Sehr geehrter Herr Bundesrat! Diese Frage hat mich, wenn ich das ganz ehrlich sagen darf, eigentlich geärgert, und zwar deswegen, weil sie eine unzulässige Unterstellung enthält, nämlich die Behauptung, ich hätte mich irgendwann, irgendwo gegen eine verfassungsrechtliche Anerkennung einer deutschsprechenden Volksgruppe oder der Altösterreicher oder der Gottscheer – wir bezeichnen all diese Gruppen mit dem zusammenhängenden Begriff "deutschsprechende Bevölkerung" – als Volksgruppe ausgesprochen. Das ist einfach nicht wahr. Es gibt keine solche Aussage von mir.

Ich weiß – das ist der entscheidende Punkt –, daß sich Slowenien bisher gegen jede Anerkennung über den individuellen Rechtsbestand, der jedem slowenischen Staatsbürger in Artikel 61 der slowenischen Verfassung garantiert ist, ausgesprochen hat. Das war bisher nicht verhandelbar. Mir ist am 16. Jänner nach vier- oder fünfmaligem Anlauf, nach bilateralen Verhandlungen, nach einem Vieraugengespräch und zahlreichen anderen Gesprächen mit dem neuen slowenischen Außenminister Frlec – in Kanada, in Sarajewo oder wo immer wir uns getroffen haben – ein entscheidender Schritt gelungen. Auch bei der PIC-Conference in Bonn habe ich mit Außenminister Frlec, den ich sehr schätze, gesprochen, und ich betone hier im Hohen Haus ausdrücklich, weil das nicht so selbstverständlich ist: Er ist der erste, der über die klassische slowenische Position hinausgegangen ist.

Ich habe mit ihm vereinbart, daß wir schrittweise vorgehen. Der erste Schritt soll darin bestehen, daß wir in einem gemeinsamen Kulturabkommen zwischen Slowenien und Österreich die kollektiven Rechte dieser deutschsprechenden Volksgruppe in Slowenien anerkennen und auch materiell fördern. Das Ganze soll durch die Errichtung einer österreichischen Schule in Laibach und durch materielle Hilfe für die Volksgruppe, die derzeit dabei ist, Vereine zu konstituieren, begleitet werden. Wir sind auch bereit, österreichischerseits ähnlich hohe Summen dazu


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zulegen, sodaß wir zum ersten Mal einen Ansatzpunkt dafür haben, daß wir auf dem Weg zur Anerkennung einer Volksgruppe tatsächlich vorankommen.

Weil ich gewußt habe, daß Außenminister Frlec große Schwierigkeiten im slowenischen Parlament bekommen hat, habe ich dann gemeinsam mit meinen Kärntner Freunden, Landeshauptmann Zernatto und Landeshauptmann-Stellvertreter Ausserwinkler – ich habe auch Landeshauptmann-Stellvertreter Grasser eingeladen, der aber leider nicht kommen konnte –, die Olympia-Präsentation in Laibach zum Anlaß genommen, um dort auch in Gesprächen mit Ministerpräsident Drnovšek und anderen dem slowenischen Außenminister den Rücken zu stärken und im Detail zu erklären, was wir wollen.

Wir wollen eben nicht mit den genagelten Bergschuhen auf dem Parkett eines kleinen Landes herumtrampeln, sondern einen vernünftigen, positiven, konstruktiven Prozeß eröffnen. Ich bin sehr froh darüber, daß wir auch bei dem letzten Besuch – ich glaube, es war am 30. Jänner, also 14 Tage nach diesem wirklichen Durchbruch mit Frlec – die Bestätigung erhalten haben: Das, was wir vereinbart haben, gilt.

Ich bitte wirklich alle Fraktionen – das ist mir ein Herzensanliegen –, daß wir zur Überwindung dieser Schatten der Vergangenheit kommen, so, wie wir für die Slowenen in Österreich und für unsere Österreicher mit slowenischer Zunge etwas machen, und zwar sehr viel machen, mittels dieses Kulturabkommens für die Slowenen mit deutscher Muttersprache oder Gottscheer Dialekt oder wie immer nun ebenfalls etwas tun. Das ist bisher auch auf sehr positive Resonanz gestoßen.

Ich habe das jetzt etwas länger ausgeführt, weil ich darum ersuche, daß man über die Parteigrenzen und über die unterschiedlichen Positionen hinweg doch sieht, daß da ein ganz großer Schritt eines kleinen Landes möglich wird. Diesen will ich nicht gefährden.

Präsident Ludwig Bieringer: Danke, Herr Vizekanzler.

Wird eine weitere Zusatzfrage gewünscht? – Bitte, Herr Bundesrat Dr. Harring.

Bundesrat Dr. Peter Harring (Freiheitliche, Kärnten): Herr Vizekanzler! Da Sie sich über diese Frage geärgert haben, freut es Sie vielleicht, daß ich mich ebenfalls geärgert habe, und zwar vor allem über eine Aussendung bezüglich des soeben von Ihnen zitierten Besuches in Laibach. Diese Aussendung ist mit 30. Jänner datiert, und darin heißt es – ich zitiere –:

"Auch Schüssel bezeichnet die Vorwürfe gegen den slowenischen Außenminister Frlec als ungerechtfertigt und will dies auch in Laibach klarstellen." – Und jetzt kommt Ihre Aussage, Sie werden hier ausdrücklich zitiert –: "Wir haben nie eine Anerkennung der Deutschsprachigen als Minderheit gefordert und werden das auch nicht tun." – Herr Vizekanzler! Das steht komplett im Gegensatz zu dem, was wir hier im Bundesrat im Oktober 1996 bei einer ähnlichen Anfrage besprochen haben. Damals haben Sie uns auch von einer österreichischen und einer slowenischen Kommission erzählt. Diese Aussage steht derart im Widerspruch zu dem, was Sie gerade gesagt haben, daß ich Sie fragen muß, wie Sie sich diesen Widerspruch erklären, denn ich habe nicht gehört, daß Sie sich von Ihrer Aussage, die im "Standard" erschienen ist, distanziert haben.

Präsident Ludwig Bieringer: Herr Kollege Harring! Ich mache noch einmal darauf aufmerksam, daß die Zusatzfrage kurz sein soll, sehe aber in diesem Fall, bei dieser längeren Begründung ausnahmsweise davon ab. – Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Sehr geehrter Herr Bundesrat! Ich habe Ihnen sehr ehrlich geantwortet, wie ich die Dinge sehe. Es ist richtig, daß mittels dieses erwähnten Kulturabkommens die Verankerung der Volksgruppe in der Verfassung nicht verlangt werden kann.

Ich mache weiters darauf aufmerksam, daß in Slowenien – derzeit jedenfalls – mit der verfassungsmäßigen Anerkennung ein Parlamentssitz verbunden wäre. Dazu muß ich ganz offen


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sagen: Das ist aber nicht der Punkt! Ich glaube auch nicht, daß es eine Forderung der FPÖ ist, daß wir im slowenischen Parlament einen Vertreter mit deutscher Muttersprache haben sollten. Ein bißchen ist auch die Sensibilität in diesem Punkt zu berücksichtigen.

Ich habe daher bei den letzten Gesprächen folgendes klar gemacht: Das ist nicht der Punkt, der uns am Herzen liegt. Worum es geht, ist die Anerkennung einer Volksgruppe, die materielle Förderung, ein Prozeß, ein Dialog, der natürlich weiterführen soll, über diesen jetzt geplanten ersten Schritt hinaus. Nichts anderes streben wir an.

Ich habe gehört, daß es schon gewisse Bedenken gibt, ob man dieses Kulturabkommen – das wir noch nicht einmal ausverhandelt haben – überhaupt ratifizieren wird. Ich bitte Sie wirklich, diese Schritte und diesen Dialog mit der gebotenen Sensibilität zu begleiten – meinetwegen kritisch; kritisch ist okay – und ihn nicht zu gefährden. Letzeres wäre, wie ich meine, absolut nicht im Sinne der Volksgruppe, weder der Altösterreicher noch der Gottscheer noch der kleinen autochthonen Minderheit, die dort lebt und uns wichtig ist. Mich interessiert nicht, ob das 50 oder 20 000 Menschen sind. Jeder Mensch ist gleich viel wert.

Präsident Ludwig Bieringer: Danke, Herr Bundesminister.

Werden weitere Zusatzfragen gewünscht? – Bitte, Herr Bundesrat Peter Rieser.

Bundesrat Peter Rieser (ÖVP, Steiermark): Herr Bundesminister! Zu welchen Schlußfolgerungen gelangt die in Ihrem Auftrag erstellte Studie von Professor Karner über die deutschsprachige Minderheit in Slowenien?

Präsident Ludwig Bieringer: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Sehr geehrter Herr Bundesrat! Die beiden Studien, die, wie ich meine, nicht schlecht waren, weil sie doch vieles außer Streit gestellt haben, auch wenn natürlich Zugang und Wortwahl etwas unterschiedlich gewesen sind, haben einiges sehr klar gemacht:

Erstens: Es gibt eine deutschsprechende Volksgruppe. Die personelle Stärke ist laut Karner beziehungsweise aufgrund der Volkszählung 1991 mit mindestens 1 800 Personen anzugeben plus einer zusätzlichen unbekannten Anzahl von Deutschsprechenden, die sich nicht dazu bekannt haben.

Zweitens: Mehr als die Hälfte dieser Volksgruppe siedelt in den sechs größeren Städten Sloweniens. Trotz der kollektiven Repressionsmaßnahmen durch staatliche jugoslawische Organisationen und Einrichtungen, namentlich nach 1945, ist eine Kontinuität – daher die Betonung auf "Autochthonie" – in Slowenien gegeben.

Drittens: Die Organisation erfolgt seit 1991 in drei von den slowenischen Organen anerkannten Vereinen, die eine verstärkte Unterstützung namentlich auf kulturellem und ethnischem Gebiet durch Österreich und Slowenien fordern.

Da das von Professor Ne#ak auf slowenischer Seite ähnlich bewertet wird, war es möglich, daß man mit diesen beiden Studien in der Hand eine wesentlich sachlichere und "ent-emotionalisierte" Diskussion führen konnte.

Präsident Ludwig Bieringer: Danke, Herr Bundesminister.

Zu einer weiteren Zusatzfrage hat sich Herr Bundesrat Josef Pfeifer gemeldet.

Bundesrat Josef Pfeifer (SPÖ, Kärnten): Herr Vizekanzler! Ich werde Sie nicht ärgern, muß aber als Unterkärntner, sozusagen als Grenz-Abgeordneter und Grenz-Bürgermeister, eine Frage an Sie richten. Ich weiß, daß etliche Alt-Gottscheer-Vereine mehrmals und mehrfach Anträge um finanzielle Hilfestellung an die Republik Österreich gestellt haben. Sie wissen, weshalb: Es ging dabei um die Volkstumspflege, um Kulturpflege, um das Herrichten von Gräbern und all das. Ich möchte betonen, daß Österreich nach meinem Kenntnisstand diese Gottscheer-Vereine


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derzeit mit keinem Groschen fördert. Sehr großzügig wird hingegen die slowenische Volksgruppe in Österreich gefördert.

Herr Vizekanzler! Wäre Ihrerseits eine minimale Anerkennung in Form von wenigstens bescheidenen finanziellen Zuwendungen – nicht erst jetzt, es hätte schon viel früher erfolgen sollen – zumindest für die Volkstumspflege nicht doch angebracht gewesen?

Präsident Ludwig Bieringer: Bitte, Herr Vizekanzler.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Herr Bundesrat! Ich ärgere mich überhaupt nicht, sondern das ist eigentlich genau das, was ich will! Mich hat das auch geärgert, und ich habe mich gefragt: Warum geschieht da nichts? Ich habe das daher thematisiert und auch in den Gesprächen mit Frlec von meiner Seite Unterstützung angeboten – um auch sozusagen Druck zu machen, daß die Slowenen auch etwas in dieser Richtung tun. Und die Zusage ist klar: Es wird von slowenischer Seite etwas kommen. Wir sind ebenfalls dazu bereit. Ich habe auch mit dem Bundeskanzler und mit dem Finanzminister bereits darüber gesprochen. Ich meine, das ist eine Sache, die nicht ins uferlose gehen wird. Aber diese Unterstützung muß es uns wert sein, und ich bin dazu bereit.

Präsident Ludwig Bieringer: Danke, Herr Bundesminister.

Wir kommen nunmehr zur 9. Anfrage, 855/M, die von Herrn Bundesrat Peter Rodek verlesen wird.

Bundesrat Peter Rodek (ÖVP, Oberösterreich): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Vizekanzler! Meine Frage lautet:

855/M-BR/98

Wie stehen Sie zu der in der Agenda 2000 von der Europäischen Kommission vorgeschlagenen Finanzperspektive für die Jahre 2000 bis 2006?

Präsident Ludwig Bieringer: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Sehr geehrter Herr Bundesrat! Ich möchte nur in Stichworten darauf eingehen. Ich glaube, jeder kennt die Substanz dieser Vorschläge.

Erstens: absolute Obergrenze: 1,27 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, und zwar nicht als Ausgabenziel, sondern als maximale Obergrenze. Das muß beibehalten werden. Zweitens soll eine ausreichende Marge unterhalb der Eigenmittelobergrenze vorgesehen werden. Drittens wollen wir eine Beibehaltung des Plafonds auch über 2006 hinaus. Damit stehen wir natürlich in klarem Gegensatz zu den Kohäsionsländern. Wir wollen außerdem, daß die Kosten der Erweiterung nicht nur von den Nettozahlern, sondern in einem angemessenen Burden-sharing von allen getragen werden, und wir wollen, daß die Prinzipien der Haushaltsdisziplin, der Ausgabeneffizienz, der Transparenz und der Kontrolle absolut gelten.

Präsident Ludwig Bieringer: Danke, Herr Bundesminister.

Wird eine Zusatzfrage gewünscht? – Ich bitte Frau Bundesrätin Irene Crepaz um ihre Zusatzfrage.

Bundesrätin Irene Crepaz (SPÖ, Tirol): Herr Vizekanzler! Glauben Sie, daß der hohe Agraranteil am Budget zur Absicherung der landwirtschaftlichen Betriebe im Zeitraum 2000 bis 2006 aufrechterhalten werden kann?

Präsident Ludwig Bieringer: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Frau Bundesrätin! Ich hoffe das schon sehr stark. Es geht dabei nicht nur um Agrarförderungen,


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sondern es geht vor allem um die Lebenserhaltung im ländlichen Raum. Man darf nicht vergessen, daß im Gegensatz zu vielen anderen Politikbereichen der Agrarbereich völlig vergemeinschaftet ist. Daher zahlen wir aus dem nationalen Budget kaum mehr etwas für diesen Bereich, außer im Rahmen dessen, was national gerade noch erlaubt ist oder kofinanziert werden kann. Der gesamte Marktordnungsbereich ist jedenfalls ausgegliedert und beansprucht daher einen relativ großen Teil des Gesamtbudgets der Europäischen Union.

Man muß bei den Verhandlungen auch darauf drängen, daß die Lebenschancen der Bevölkerung im ländlichen Raum nicht unterminiert werden. Daran hängt – für mich jedenfalls – das gesamte ökologische Ambiente, und daran hängt auch, wie ich meine, die Lebensfähigkeit ganzer Täler. Ohne die beachtliche Unterstützung von europäischer Seite würden ganze Täler veröden und Regionen nicht mehr lebensfähig sein. Das möchte ich eigentlich durch diese Verhandlungen vermeiden.

Präsident Ludwig Bieringer: Danke, Herr Bundesminister. – Eine weitere Zusatzfrage wird von Herrn Bundesrat Weilharter formuliert.

Bundesrat Engelbert Weilharter (Freiheitliche, Steiermark): Herr Vizekanzler! Falls die Ziele der Agenda 2000 umgesetzt oder erreicht werden sollten, wie wird sich dies finanziell für Österreich auswirken?

Präsident Ludwig Bieringer: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Herr Bundesrat! Das ist genau das Thema der Verhandlungen! Wir haben noch nicht einmal mit den substantiellen Gesprächen begonnen, gerade was die besonders heiklen Finanzfragen betrifft. Jetzt muß man einmal abwarten, wie der Vorschlag der Kommission am 18. März lautet, und dann beginnen die Verhandlungen zwischen den Mitgliedsländern. Dabei wird unter österreichischer Präsidentschaft ein beachtlicher Teil zu leisten sein, aber fertig wird das meiner Einschätzung nach in diesem Zeitraum nicht werden. Das wird sich in die deutsche, vielleicht sogar in die finnische Präsidentschaft hinüberziehen.

Ich traue mir beim besten Willen nicht zu, jetzt wie ein Prophet zu sagen, wie die Verhandlungen ausgehen werden. Ich nehme an, daß Sie eine möglichst präzise Antwort von mir haben wollen. Da ich aber noch nicht einmal weiß, was die Kommission selbst vorschlagen wird, und da ich nicht prognostizieren kann, wie die Verhandlungen zwischen den 15 Ländern ausgehen wird, traue ich mir eine Aussage darüber im Moment noch nicht zu. Aber eines kann ich jedenfalls sagen: Das Parlament – Nationalrat und Bundesrat – sind in jeden einzelnen Schritt der Verhandlungen voll miteingebunden. Sie erhalten alle Untersuchungen, alle Kostenschätzungen, alle Erwartungen. Sie werden also volle Transparenz haben.

Präsident Ludwig Bieringer: Danke, Herr Bundesminister.

Wir kommen nunmehr zur 10. Anfrage, 862/M. Ich bitte Herrn Bundesrat Karl Drochter um die Verlesung der Frage.

Bundesrat Karl Drochter (SPÖ, Wien): Sehr geehrter Herr Bundesminister! Meine Frage lautet:

862/M-BR/98

Welche Maßnahmen werden Sie treffen, um den Menschenrechten in der Türkei zum Durchbruch zu verhelfen, insbesondere hinsichtlich der verfolgten Journalisten und Gewerkschafter sowie hinsichtlich des Bürgerkrieges im Kurdengebiet?

Präsident Ludwig Bieringer: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Sehr geehrter Herr Bundesrat! Es gibt den politischen Dialog mit der Türkei, bei dem das immer wieder angesprochen wird. Die Hauptthemen sind: die Menschenrechtssituation, die innere


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Sicherheitsfrage und die Frage: Wie weit kann man echte Terrorismusbekämpfung, die natürlich legitim ist, von Repression abgrenzen? – Da gibt es Grauzonen, wie wir wissen, und wir wollen das eben möglichst klar abgegrenzt haben.

Es ist in diesem Zusammenhang interessant, daß der Kopenhagener Gipfel die Kriterien für einen Beitritt genau definiert hat. Für die Türkei ist daher absolut klar, daß sie nur dann eine Beitrittsperspektive hat, wenn sie sich vollinhaltlich den europäischen Standards annähert. Ich habe die Hoffnung, daß unter dem neuen Premierminister Yilmaz, der proeuropäisch und durchaus in diese Richtung denkt, einiges auf diesem Gebiet geschehen kann. Aber man darf nicht vergessen, daß das im Augenblick eine Minderheitsregierung ist.

Präsident Ludwig Bieringer: Danke, Herr Bundesminister.

Wird eine Zusatzfrage gewünscht? – Bitte, Herr Kollege Drochter.

Bundesrat Karl Drochter (SPÖ, Wien): Herr Bundesminister! Hat Österreich oder haben die Außenminister der Europäischen Union schon mit der Türkei Kontakt aufgenommen, um ausreichende Hilfsmaßnahmen im Falle eines etwaigen Konfliktes zwischen dem Irak und den Vereinigten Staaten vorbereiten zu können? Es gibt Befürchtungen, daß es dabei wieder zu Vertreibungen von Kurden kommen könnte.

Präsident Ludwig Bieringer: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Nein, das haben wir nicht. Es gibt aber eine generelle Kurdenstrategie, und zwar gibt es unabhängig von der Irakkrise eine GASP-Thematik, die die Versorgung der kurdischen Flüchtlinge aus dem Irak beinhaltet. Da hat die Kommission einiges gemacht, und es sind vor allem von den Italienern, den Deutschen, den Franzosen und den Niederländern Vorstöße gemacht worden. Ich werde Ihnen die Unterlagen des politischen Komitees, das diese Irak-Flüchtlingsstrategie ausgearbeitet hat, gerne zusenden.

Präsident Ludwig Bieringer: Danke, Herr Bundesminister.

Werden weitere Zusatzfragen gewünscht? – Bitte, Frau Bundesrätin Dr. Susanne Riess-Passer.

Bundesrätin Dr. Susanne Riess-Passer (Freiheitliche, Wien): Herr Vizekanzler! Könnten Sie mir sagen, wie Ihrer Ansicht nach eine EU-Beitrittsperspektive der Türkei aussehen kann – sowohl zeitlich als auch inhaltlich?

Präsident Ludwig Bieringer: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Im Moment sehe ich aufgrund der Kopenhagener Kriterien und der Luxemburger Beschlüsse keine Beitrittsmöglichkeit. Das ist auch der Grund, warum es zu massiven Spannungen zwischen der Europäischen Union und der Türkei gekommen ist.

Ich kann Ihnen nur meine persönliche Strategie nennen: Ich meine, daß wir aus strategischen Gründen großes Interesse daran haben müssen, mit der Türkei als einem der wichtigsten Partner in dieser Region ein relativ gutes Verhältnis zu entwickeln. Die Türkei ist natürlich für die ganze islamische Welt ein Modell eines Staates, der eben kein Gottesstaatsmodell, sondern eine Art laizistisches Modell verkörpert. Das ist ganz wichtig.

Zweitens ist die Türkei geopolitisch in einer für uns besonders wichtigen Position – Stichwort: Kaukasus, Naher Osten, Irak, Iran –, und sie ist NATO-Mitglied. Auch das ist ganz wichtig. Daß die Europäische Union mit der Türkei einen erstklassigen politischen Dialog mit auch wirtschaftlichen Folgemaßnahmen und Rahmenbedingungen, die wichtig sind, entwickeln muß, steht außer Frage. Das ist aber für die Türkei genauso interessant wie für uns. Die Türken haben mit der Europäischen Union zehnmal soviel Handel wie mit allen anderen islamischen


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Ländern – 54 an der Zahl – zusammengerechnet. Daher muß auch die Türkei daran interessiert sein, mit der Europäischen Union als ihrem Hauptwirtschaftspartner gut zusammenzuarbeiten.

In all den Bemühungen hinter den Kulissen – wie jetzt seit dem Luxemburger Gipfel – wird versucht, mit den Türken einen neuen Ansatz zu finden. Wir dachten, die Europakonferenz könnte eine Gelegenheit sein, eine solche Strategie, eine solche Einbindung zu eröffnen, aber das lehnt die Türkei im Augenblick ganz massiv ab. Vielleicht bleibt es nicht dabei, aber wenn es dabei bliebe, dann müßte man wahrscheinlich irgendeine andere Form des Dialogs, irgendeine andere Form der strategischen Einbindung finden. – Sicher keine Mitgliedschaft, denn die wird kurzfristig nicht möglich sein.

Präsident Ludwig Bieringer: Danke, Herr Bundesminister.

Zu einer weiteren Zusatzfrage hat sich Herr Bundesrat Engelbert Schaufler gemeldet.

Bundesrat Engelbert Schaufler (ÖVP, Niederösterreich): Herr Vizekanzler! Zwischen Österreich und der Türkei – das gilt ebenso für Deutschland – bestehen intensive Beziehungen hinsichtlich der Gastarbeiter und auch hinsichtlich des Tourismus.

Meine Frage: Welche Perspektiven sehen Sie vor diesem Hintergrund für das zukünftige Verhältnis zwischen der Europäischen Union und der Türkei?

Präsident Ludwig Bieringer: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Wir haben mit der Türkei in den letzten zwei, drei Jahren eine sehr gute bilaterale Beziehung entwickelt. Ich war selbst mit in der Delegation, die Bundespräsident Klestil im Frühsommer 1996 nach Ankara geleitet hat. Das war eine erstklassige Sache mit vielen Wirtschaftsleuten, die mitgefahren sind, mit sehr guten politischen Gesprächen. Es kam der Gegenbesuch von Premierminister Yilmaz. Wir – also Außenminister, Ministerpräsident et cetera – haben bilateral einige Male in anderem Zusammenhang geredet, und ich habe vor, daß wir diese gute Beziehung zwischen Ankara und Wien vertiefen. Ich hoffe, daß es auch möglich sein wird, Yilmaz vielleicht im April noch einmal nach Österreich zu bringen, und vielleicht wird unter österreichischem Vorsitz eine Neuaufnahme eines strukturierten Dialogs zwischen der Europäischen Union und der Türkei möglich sein. Ich hoffe es.

Präsident Ludwig Bieringer: Danke, Herr Bundesminister.

Wir kommen nunmehr zur 11. Anfrage, 856/M. Es ist die des Herrn Bundesrates Peter Rieser. Ich bitte um Verlesung der Anfrage.

Bundesrat Peter Rieser (ÖVP, Steiermark): Herr Bundesminister! Meine Frage an Sie lautet:

856/M-BR/98

Welche Perspektiven sehen Sie nach der Mission der EU-Troika für die Entwicklung in Algerien?

Präsident Ludwig Bieringer: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Die Mission war absolut wichtig, auch wenn sie natürlich am Anfang keinen spektakulären Erfolg oder Durchbruch bringen konnte. Die Staatssekretärin, die für Österreich in dieser Troika-Mission mit dabei war und das hervorragend gemacht hat, hat berichtet, daß vor allem das zwischen den Zeilen Gesagte, das, was in internen Gesprächen, in vertraulichen Gesprächen, was auch in den Kontakten mit den unabhängigen Zeitungsleuten, mit den Chefredakteuren von vier algerischen Zeitungen gesagt, gedacht, diskutiert wurde, sehr wichtig gewesen ist.

Ich meine, daß auch der Besuch der europäischen Parlamentarier in Algerien wichtig war, und möchte auch sehr dafür danken, daß Hannes Swoboda als außenpolitischer Sprecher der


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sozialdemokratischen Fraktion im Europaparlament daran teilgenommen hat. Das war eine wichtige Geschichte.

Ich würde empfehlen – ich habe auch gestern mit dem französischen Außenminister Hubert Vedrine am Rande des Besuchs von Präsident Chirac beim Abendessen eine Stunde lang darüber geredet –, diesen Dialog jetzt weiterzuführen. Dieser ist jetzt angeknüpft, und jetzt müßten wir auf allen Ebenen – Parlamentarierbesuche, Wirtschaftsministerkontakte, Journalisten, Wirtschaftsleute – versuchen, diesen Gesprächsfaden fortzuspinnen.

Man darf natürlich nicht vergessen, daß dies eine enorm schwierige Situation für Algerien ist: In den letzten fünf Jahren sind ungefähr 80 000 Menschen massakriert worden, und das hat natürlich eine Spannung in der Gesellschaft erzeugt, die man sich von außen gar nicht vorstellen kann. Daher ist die Wendung von der Terrorismusbekämpfung und davon, dessen Wurzeln, die zum Teil auch außerhalb Algeriens liegen, auszutrocknen, absolut berechtigt. Da darf man keinesfalls wanken.

Ich verstehe das Sicherheitsbedürfnis der algerischen Regierung und der Bevölkerung absolut. Es muß nur klar sein, daß sich alle Maßnahmen, die wir treffen, nicht gegen die Bevölkerung, nicht gegen den Islam richten. Das ist keine Glaubensfrage, sondern das hat zum Teil ganz andere Ursachen und Wurzeln, die man in diesem Dialog aufzeigen und aufdecken könnte.

Präsident Ludwig Bieringer: Danke, Herr Bundesminister.

Wird eine Zusatzfrage gewünscht? – Das ist nicht der Fall.

Werden weitere Zusatzfragen gewünscht? – Ich bitte Herrn Bundesrat Albrecht Konečny um seine Zusatzfrage.

Bundesrat Albrecht Konečny (SPÖ, Wien): Die Troika und jetzt der Besuch der Parlamentarier und alle anderen vergleichbaren Initiativen stehen immer unter dem Druck einer algerischen Haltung, die das widerwillig, ablehnend behandelt, und es in Wirklichkeit zur inneren Angelegenheit erklärt.

Gibt es Signale, daß es zu einer Aufweichung der algerischen Haltung kommt?

Präsident Ludwig Bieringer: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Offiziell nein. Das muß man ganz offen sagen. Es hat auch keinen Sinn, sich diesbezüglich Illusionen zu machen. Ich habe auch ausdrücklich davon gesprochen: Wenn man erwartet hat, daß der Troika-Besuch das bringt, dann war dies eine Fehlerwartung, dann war der Besuch ein Mißerfolg.

Ich glaube, er war wichtig, er war notwendig, man muß ihn aber auch mit realistischen Erwartungen verknüpfen. Und in diesem Sinn bewegt sich – so würde ich einmal sagen – bei jedem dieser Kontakte etwas. – Nicht genug für uns, keine Frage! All die Fragen wie Meinungsfreiheit, Pressefreiheit, Behandlung der Opposition, Menschenrechte, Opferfrage, humanitäre Hilfe – diese wird derzeit ganz vehement abgelehnt, was ich persönlich gar nicht verstehe, muß ich ganz offen sagen, weil das gut gemeint ist und durchaus nicht gegen die Regierung verstanden werden darf – müssen thematisiert werden. Das muß weitergehen, und ich würde mich da absolut nicht entmutigen lassen.

Man sollte sich jedoch davor hüten, zu glauben, man könne dort ein Protektorat errichten oder intervenieren. Algerien ist ein selbständiger, souveräner Staat, hat auch eine gewisse Geschichte, auf die man Rücksicht nehmen muß, und verdient es, daß man sich als EU, als Europa weiter dieser Dinge und dieser Probleme annimmt – selbst wenn das nicht einfach ist und aufs erste nicht den großen Erfolg bringt.

Präsident Ludwig Bieringer: Danke, Herr Bundesminister.


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Für eine weitere Zusatzfrage hat sich Herr Bundesrat Mag. John Gudenus gemeldet.


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Bundesrat Mag. John Gudenus
(Freiheitliche, Wien): Herr Bundesminister! Algerien ist ein wichtiger Wirtschaftspartner Österreichs – Sie erwähnten auch das Einwirken der Wirtschaftsminister auf die algerische Regierung –, daher frage ich Sie: Wie weit sind die wirtschaftlichen Interessen Österreich betreffend durch die Vorkommnisse in Algerien in Frage gestellt oder nicht in Frage gestellt?

Präsident Ludwig Bieringer: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Im Moment sind natürlich alle Möglichkeiten sehr eingeschränkt, weil das Sicherheitsproblem selbstverständlich sehr stark im Vordergrund steht. Das verstehe ich auch absolut.

Wir haben aus Sicherheitsgründen beispielsweise auch einige Zeit die Botschaft in Algier nicht besetzt gehabt. Wir haben sie jetzt Gott sei Dank wiederum besetzen können, aber die Sicherheitssituation ist weiterhin äußerst instabil. Daher sind derzeit vor allem viele private wirtschaftliche Beziehungen auf Eis gelegt, weil sich natürlich jeder Unternehmer auch überlegt, ob das Sinn macht, ob das Risiko dort vertretbar ist et cetera.

Deswegen meine ich eben, daß das Sicherheitsthema beim politischen Dialog mit Algerien vorrangig behandelt werden muß und daß die Wurzeln des Terrorismus ausgetrocknet werden müssen. Dann wird natürlich auch wirtschaftlich wieder sehr viel möglich sein.

Präsident Ludwig Bieringer: Danke, Herr Bundesminister.

Wir kommen nunmehr zur 12. Anfrage, 863/M. Diese stellt Herr Bundesrat Johann Kraml. Ich bitte um die Verlesung der Anfrage.

Bundesrat Johann Kraml (SPÖ, Oberösterreich): Herr Vizekanzler! Meine Frage an Sie lautet:

863/M-BR/98

Wie beurteilen Sie die Ergebnisse der Algerien-Mission der EU-Troika, an der auch Österreich beteiligt war?

Präsident Ludwig Bieringer: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Wir haben die Ergebnisse dieser Troika-Mission am 26. Jänner im Außenministerrat diskutiert. Es hat dort der britische Vorsitzende gemeint, er werde jetzt als Follow up den algerischen Außenminister nach London einladen. Ich hoffe, daß es dabei bleibt, denn es hat widersprüchliche Zeitungsmeldungen gegeben, daß er angeblich nicht kommen will. Aber ich hoffe, daß das doch möglich sein wird.

Ich glaube auch, daß der erwähnte Parlamentarierbesuch als Follow up wichtig war, vor allem jener Parlamentarier, die sich dort in einer Gruppe dargestellt und nicht, wie dies ein Parlamentarier getan hat, ständig isolierte Einzelkonferenzen abgehalten haben. Das ist, wie ich glaube, eine höchst verantwortungsvolle Tätigkeit, für die man auch die nötige Sensibilität aufbringen muß.

Wichtig ist jetzt, ein Follow up zu entwickeln – das werden wir auch im nächsten Außenministerrat diskutieren –, das diesen Dialog nicht abreißen läßt.

Präsident Ludwig Bieringer: Danke, Herr Bundesminister.

Wird eine Zusatzfrage gewünscht? – Das ist nicht der Fall.

Werden weitere Zusatzfragen gewünscht? – Ich bitte Herrn Bundesrat Mag. John Gudenus um die Zusatzfrage.

Bundesrat Mag. John Gudenus (Freiheitliche, Wien): Herr Minister! In diesem Zusammenhang hat der deutsche Missionsteilnehmer Cohn-Bendit die Verhandlungen auch mit der FIS, mit der Islamischen Heilsfront, eingefordert. Der österreichische EU-Abgeordnete Swoboda hat dem entschieden widersprochen.

Wie stehen Sie zu diesem Thema?

Präsident Ludwig Bieringer: Herr Bundesminister, bitte.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Wir haben nicht verlangt, daß ein Termin mit FIS stattfindet, und das aus guten Gründen. Es ist nicht unser Ehrgeiz, eine gewisse Symbolhandlung zu setzen, die den Interessen der Stabilisierung eigentlich diametral zuwiderläuft, sondern wir möchten, daß man ganz bewußt versucht, mit der Opposition, die es gibt, zusammenzutreffen, und zwar mit der legalen Opposition, mit jenen Kräften, die sich eindeutig von terroristischen Attacken abgrenzen. Ich glaube, das muß der Weg sein. Das ist der einzig mögliche Weg.

Präsident Ludwig Bieringer: Danke, Herr Bundesminister.

Eine weitere Zusatzfrage stellt Herr Bundesrat Dr. Vincenz Liechtenstein.

Bundesrat Dr. Vincenz Liechtenstein (ÖVP, Steiermark): Welche weiteren außenpolitischen Aktivitäten werden derzeit von der EU-Troika gesetzt?

Präsident Ludwig Bieringer: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Wir haben im Februar Troika-Gespräche auf Ministerebene im Rahmen der EU-Rio-Gruppe. Unterhalb der Ministerebene haben wir die politischen Direktoren. Da gab es zuletzt das Treffen mit den USA mit den Schwerpunkten Türkei, Irak, Naher Osten, Rußland, westlicher Balkan und Ex-Jugoslawien. Auf Botschafterebene werden die Schwerpunkte Demokratische Republik Kongo, Republik Korea, Kambodscha und Afghanistan behandelt.

Präsident Ludwig Bieringer: Danke, Herr Bundesminister.

Wir gelangen nunmehr zur 13. Anfrage, 867/M. Ich bitte den Anfragesteller, Herrn Bundesrat Dr. Reinhard Eugen Bösch, um Verlesung der Anfrage.

Bundesrat Dr. Reinhard Eugen Bösch (Freiheitliche, Vorarlberg): Herr Präsident! Herr Vizekanzler! Meine Frage lautet:

867/M-BR/98

Welche konkreten österreichischen Anliegen, Prioritäten und Interessen sollen während der österreichischen Präsidentschaft im Rat der Europäischen Union eingebracht, insbesondere auch umgesetzt werden?

Präsident Ludwig Bieringer: Herr Bundesminister.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Herr Bundesrat! Die Hauptarbeit in der EU-Präsidentschaft ist natürlich nicht die Umsetzung nationaler Prioritäten, sondern eigentlich die professionelle Abwicklung der europäischen Tagesordnung und der europäischen Agenda.

Daher ist das wichtigste Thema für unsere Präsidentschaft das Finalisieren des Euro. Der Teilnehmerkreis wird im Mai bestimmt, aber die letzten technischen Beschlüsse – auch die Abwehr von allfälligen Marktoperationen – müssen unter österreichischem Vorsitz bewältigt werden. Der "Euro-X-Rat" wird unter österreichischem Vorsitz das erste Mal tagen, sodaß der Euro – das ist


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das wichtigste europäische Einigungs- und Standortsicherungsprojekt – wirklich ohne Probleme am 1. Jänner 1999 Platz greifen kann.

Das zweite wichtige Thema, das sich genauso wie der Euro voll mit der österreichischen Priorität deckt, ist die Beschäftigungspolitik. Beim Gipfel in Wien werden zum ersten Mal die europäischen Leitlinien für die Beschäftigungspolitik überarbeitet, und wir haben vor, zu zeigen, daß man mit einer koordinierten Strategie letztlich positive Beschäftigungsimpulse setzen kann. Das beginnt jetzt schon zu wirken. Die Konjunktur wird besser, die Zahl der Arbeitsplätze in der Europäischen Union steigt wieder langsam, sodaß Ende des Jahres schon ein positiver Impuls sichtbar werden wird.

Die innere Sicherheit wird ein Thema sein, das auf der europäischen Tagesordnung steht, das aus vollem Herzen von Österreich mitgetragen wird, weil wir durch die Balkan-Route, durch die Grenznähe Richtung Slowakei und Ukraine, die nicht weit entfernt sind, unmittelbar betroffen sind. Die Themen innere Sicherheit, Schengenreife und Reifmachung auch der Kandidatenländer sind also ganz wichtige Themen.

Die Vollendung des Binnenmarktes ist ein Thema, das vor allem die mittelständischen Betriebe bei uns sehr interessieren wird, weil das zu weniger Bürokratie, zu weniger Formularen führen soll. Das SLIM-Programm in der Union wird unter österreichischem Vorsitz abgeschlossen werden, und wir hoffen, daß die Vollendung des Binnenmarktes mit den noch offenen Richtlinien ebenfalls bis Ende Dezember stehen wird.

Im Bereich der Agenda – das haben wir schon ausreichend diskutiert – werden einige allgemeine, aber auch österreichische Schwerpunkte behandelt werden – genannt seien Umwelt, Verkehr, nukleare Sicherheit und die Grenzregionen –, und wir haben in der außenpolitischen Frage einige sehr heiße Themen. Es wird das SFOR-Mandat mit 1. Juli ablaufen, und wir hoffen sehr, daß ohne wesentliche militärische Reduktion in Bosnien die DFOR, Deterrence Force, bleiben wird.

Das Zypern-Problem wird in unserer Präsidentschaft eine Rolle spielen, weil möglicherweise in diese Zeitspanne hinein die Problematik mit der Aufstellung russischer Abwehrraketen fallen könnte. Aber auch der Beginn der Beitrittsverhandlungen mit Zypern ist natürlich ein Thema.

Wir haben insgesamt die Situation in Bosnien-Herzegowina zu diskutieren und können sie hoffentlich weiterbringen. Montag, Dienstag waren die Vertreter der Republika Srpska, Ministerpräsident und Präsidentin Plavsic, im Westen und gleich auch in Wien.

Wir haben eine ganze Reihe von ambitiösen Vorhaben im Bereich der Außenpolitik. Die Türkei habe ich schon angesprochen, aber auch andere Themen. Diese aber jetzt vorauszusagen, ist sehr schwierig. In Wahrheit ist das ein Thema für einen Vortrag, wenn man es substantiell behandeln will. Ich bitte daher um Verständnis, daß ich das jetzt nur stichwortartig sagen konnte.

Präsident Ludwig Bieringer: Danke.

Wird eine Zusatzfrage gewünscht? – Bitte, Herr Bundesrat Dr. Bösch.

Bundesrat Dr. Reinhard Eugen Bösch (Freiheitliche, Vorarlberg): Herr Vizekanzler! Sehen Sie auch österreichische Interessen in einem institutionellen Ausbau der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik? Welche Schritte wird die österreichische Bundesregierung in diese Richtung setzen?

Präsident Ludwig Bieringer: Das waren zwei Zusatzfragen, wenn ich das richtig verstanden habe. – Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Herr Bundesrat! Es wird wahrscheinlich unter österreichischem Vorsitz diese Planungszelle für die Außenpolitik eingerichtet werden, die natürlich sehr wichtig ist, weil dann die Außenpolitik auch ein neues Gesicht und eine neue Qualität bekommen wird. Es wird vermutlich ein Hoher Beauf


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tragter, etwa der Generalsekretär des Rates, gleichzeitig der Beauftragte der Außenpolitik werden, und damit bekommt die Europäische Union eine andere Kontinuität. Nach dem Amsterdam-Vertrag ist geplant, daß dann Präsidentschaft, Kommission, GASP-Verantwortlicher doch eine sehr klare kontinuierliche Präsenz Europas in der Welt vorstellen werden.

Die ersten Entscheidungen hinsichtlich dieser erwähnten Planungszelle werden sicher unter österreichischem Vorsitz fallen.

Präsident Ludwig Bieringer: Danke, Herr Bundesminister.

Werden weitere Zusatzfragen gewünscht? – Bitte, Herr Bundesrat Gottfried Jaud.

Bundesrat Gottfried Jaud (ÖVP, Tirol): Herr Bundesminister! Welche Schwerpunkte könnte Österreich während dieser Präsidentschaft insbesondere im Bereich der Menschenrechte beziehungsweise der Grundrechte in der Union setzen?

Präsident Ludwig Bieringer: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Das wichtigste ist, daß 1998 jenes Jahr ist, in dem die Deklaration der Menschenrechte den 50. Jahrestag feiert. Gleichzeitig sind nun die fünf Jahre Review-Zeit für die Wiener Weltkonferenz um. Damit ist für Österreich genügend Anlaß gegeben, da eine echte Schwerpunktsetzung vorzunehmen. Das deckt sich auch mit unseren Intentionen.

Das wird zunächst einmal in der UNO stattfinden. Während der UNO-Woche wird das in der Erklärung Österreichs, das dann den EU-Vorsitz führt, sicherlich sehr stark zum Ausdruck kommen. Wir werden unter dem Titel "Weitere Behandlung der Menschenrechte" ein eigenes Seminar zu diesem Thema als Schwerpunkt in der Unionsarbeit vorsehen. Wir haben ein eigenes innerösterreichisches Nationalkomitee für das Menschenrechtsjahr konstituiert, das am 10. Dezember zusammengetreten ist und alle NGOs und die Ministerialvertreter und die Länder mit einbindet.

Wir sind weiters im Moment in einer nicht uninteressanten neuen Phase der Menschenrechtsdiskussion mit China. Es ist dies ein langsamer, mühsamer Prozeß, der aber, glaube ich, nicht unvernünftig läuft und bei dem durchaus auch positive Signale sichtbar werden.

Insgesamt glaube ich, daß das eine spannende Zeit werden wird, zumal wir auch planen, am Vorabend des Wiener Gipfels eine Außenministerfestveranstaltung zur Fünfzigjahrfeier der Menschenrechtsdeklaration abzuhalten, zu der wir auch Mary Robinson, die Kommissärin der Vereinten Nationen für Menschenrechte, eingeladen haben. Ob sie kommen wird, weiß ich nicht genau, das hängt auch noch mit den UNO-Planungen zusammen, aber das könnte ganz spannend werden.

Präsident Ludwig Bieringer: Danke, Herr Bundesminister.

Zu einer weiteren Zusatzfrage hat sich Frau Bundesrätin Hedda Kainz gemeldet.

Bundesrätin Hedda Kainz (SPÖ, Oberösterreich): Herr Bundesminister! Sehen Sie aufgrund der österreichischen Präsidentschaft auch Möglichkeiten, auf die von Ihnen angesprochenen Beschäftigungsmaßnahmen zeitlich solchen Druck auszuüben, daß sie schnellstmöglich auch zum Greifen kommen?

Präsident Ludwig Bieringer: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Der Terminplan ist eigentlich fixiert. Bis Cardiff müssen die nationalen Beschäftigungspläne auf dem Tisch liegen. Diese werden evaluiert, und der erste Monitoringprozeß, also die erste globale Diskussion über die nationalen Pläne und die Umsetzung der Leitlinien für eine europäische Beschäftigungspolitik, wird im Rat in Wien stattfinden. Wir brauchen also keinen Zusatzdruck


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auszuüben, das ist Common sense, das wollen alle so, und damit wird das in Wien einer der zentralen Punkte sein.


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Präsident Ludwig Bieringer:
Danke, Herr Bundesminister.

Wir gelangen nunmehr zur 14. Anfrage, 857/M. Diese stellt Herr Bundesrat Gottfried Jaud an den Herrn Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten. Ich bitte um Verlesung der Frage.

Bundesrat Gottfried Jaud (ÖVP, Tirol): Herr Bundesminister! Meine Frage lautet wie folgt:

857/M-BR/98

Wie schätzen Sie die Bedeutung der Begnadigung von vier Südtirol-Aktivisten durch den italienischen Staatspräsidenten ein?

Präsident Ludwig Bieringer: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Sehr positiv, was Sie nicht überraschen wird, Herr Bundesrat! Ich halte die Begnadigung von vier österreichischen Aktivisten, nämlich Dr. Heinrich Klier, Peter Matern, Professor Wolfgang Pfaundler und Gerhard Pfeffer, die seinerzeit in Italien zu Haftstrafen verurteilt worden sind, durch den italienischen Staatspräsidenten Scalfaro für sehr bedeutsam, denn das steht im Zusammenhang mit dem Südtirolpaketabschluß im Jahr 1992. Eigentlich hat man damals schon diese Geste erwartet. Ich möchte auch an dieser Stelle unserem Bundespräsidenten Thomas Klestil, der sich immer wieder dafür eingesetzt hat, aber auch meinem Amtsvorgänger Alois Mock, der in diesem Zusammenhang durch den Abschluß dieses Südtirolpakets ein Hauptverdienst hat, meinen Dank aussprechen.

Wir hatten interessanterweise sogar schon eine Zusage von Außenminister Moro aus dem Jahr 1969 an den damaligen Außenminister Waldheim, daß diese Frage im Rahmen des Paketabschlusses wohlwollend geprüft werden wird. Und das heißt in der Diplomatensprache, daß das gelöst werden wird.

Ich hoffe, daß diesen ersten Begnadigungen noch weitere folgen. Ich will mich mit diesen ersten vier Begnadigungen noch nicht zufriedengeben.

Präsident Ludwig Bieringer: Danke, Herr Bundesminister.

Wird eine Zusatzfrage gewünscht? – Das ist nicht der Fall.

Werden weitere Zusatzfragen gewünscht? – Bitte, Frau Bundesrätin Irene Crepaz.

Bundesrätin Irene Crepaz (SPÖ, Tirol): Herr Bundesminister! Da Sie das natürlich so positiv sehen, möchte ich Sie jetzt fragen: Inwieweit haben sich Ihrer Meinung nach die Beziehungen zwischen Italien und Österreich verbessert? Ist man schon soweit, daß es eine Zusammenarbeit mit Italien bei der Vorbereitung zur EU-Ratspräsidentschaft gibt?

Präsident Ludwig Bieringer: Das waren wieder zwei Zusatzfragen. – Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Frau Bundesrätin! Wir haben mit der gegenwärtigen italienischen Regierung exzellente Beziehungen, das möchte ich betonen, sowohl mit Ministerpräsidenten Romano Prodi als auch mit Außenminister Lamberto Dini, seinem Amtsvorgänger. Es ist feststellbar, daß gerade diese Regierung für die Südtirolautonomie großes Verständnis hat und daher signifikante Fortschritte erzielt werden konnten.

Wir arbeiten mit den Italienern sehr eng zusammen, wir haben auch bei der Regierungskonferenz für Amsterdam einige gemeinsame Initiativen entwickelt. Daher meine ich, daß es sicherlich auch im Rahmen der Ratspräsidentschaft eine gute Zusammenarbeit geben wird.

Präsident Ludwig Bieringer: Danke, Herr Bundesminister.

Eine weitere Zusatzfrage stellt Herr DDr. Franz Werner Königshofer. – Bitte, Herr Bundesrat.

Bundesrat DDr. Franz Werner Königshofer (Freiheitliche, Tirol): Herr Bundesminister! Nachdem heute schon die Menschenrechte in der Türkei angesprochen wurden, möchte ich jene in Mitteleuropa zur Sprache bringen: Es gibt eine österreichische Staatsbürgerin, nämlich Karola Unterkircher, die jede Mittäterschaft an terroristischen Anschlägen bestreitet und von deren Unschuld auch all ihre Freunde und Bekannten überzeugt sind, die jedoch in Abwesenheit von einem italienischen Gericht zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt und im Jahre 1994 nach einem Kidnapping durch italienische Behörden am Timmelsjoch der italienischen Strafjustiz zugeführt worden ist.

Herr Bundesminister! In Anbetracht dessen frage ich Sie: Welche Maßnahmen haben Sie nach der Begnadigung dieser vier Aktivisten zur Begnadigung beziehungsweise Freilassung von Karola Unterkircher in den letzten Jahren gesetzt beziehungsweise gedenken Sie in Zukunft zu setzen?

Präsident Ludwig Bieringer: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Der Fall ist natürlich mit den genannten nicht vergleichbar, das müssen Sie schon dazu sagen. Es handelt sich hiebei nicht um die gleiche Gruppe. In dieser anderen Frage ist derzeit ein aufrechtes Justizverfahren in Italien anhängig. Sie werden verstehen, daß ich mich jetzt nicht über die Fragestunde in ein solches Justizverfahren einmischen kann und will.

Präsident Ludwig Bieringer: Danke, Herr Bundesminister.

Wir gelangen nunmehr zur 15. Anfrage, 864/M. Diese stellt Frau Bundesrätin Helga Markowitsch. Ich bitte um Verlesung der Anfrage.

Bundesrätin Helga Markowitsch (SPÖ, Niederösterreich): Herr Bundesminister! Meine Frage lautet:

864/M-BR/98

Welche Position vertritt Österreich im Rahmen der GASP betreffend den aktuellen Konflikt mit dem Irak?

Präsident Ludwig Bieringer: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Das ist primär im Rahmen der Vereinten Nationen abzuwickeln. Der Schwerpunkt der Irakaktivitäten liegt eindeutig beim UNO-Sicherheitsrat und nicht in einer koordinierten GASP-Position der Europäischen Union. Wir haben natürlich im Außenministerrat und am Rande des russischen Kooperationsrats mit Jewgeni Primakow ausführlich diese Fragen diskutiert. Die Linie aller europäischen Staaten ist völlig klar.

Saddam Hussein muß dazu gebracht werden, die einstimmigen Sicherheitsratsbeschlüsse zu beachten. Ich sage das sehr klar, denn daß man darauf drängt, ist nicht ein Hobby der Amerikaner, sondern es ist ein klarer Auftrag der Friedensgemeinschaft der Vereinten Nationen, daß Saddam Hussein alle Massenvernichtungsmittel, biologische, chemische und nukleare Waffen, vernichtet und daß eine UNO-Kommission unbegrenzten Zugang zu den möglichen Produktionsstätten oder Lagerflächen hat. Das ist allerdings bisher noch nicht in ausreichendem Maß gesichert worden.

Im Prinzip ist das nicht die erste, sondern, wenn ich mich richtig erinnere, schon die siebente Krise, und es hat immer das gleiche Muster gegriffen: Erst unter dem äußersten Druck der internationalen Staatengemeinschaft war Saddam Hussein letztlich bereit, einzuschwenken.


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Diese Kommission hat in der Vergangenheit wirklich signifikante Erfolge gehabt, indem Nervengas und diverse andere Dinge substantiell vernichtet wurden, die von Saddam Hussein auch eingesetzt worden sind. Daher wollen wir nicht, daß irgendwelche Kompromisse gefunden werden, die de facto darauf hinauslaufen, daß die UNO-Inspektoren keinen Zugang haben.

Man kann allerdings darüber diskutieren, daß der Wohnbereich mancher Präsidentenpaläste eine andere Bearbeitung erfährt. Denn unter dem Begriff "Präsidentenpaläste" verbergen sich zum Teil Industriezonen mit Flughäfen, Produktionsanlagen und so weiter. Ich bin daher sehr daran interessiert, daß die gemeinsame Linie, die die Russen und die Chinesen ebenso verfolgen wie die gesamte Arabische Liga sowie die Amerikaner und selbstverständlich die Europäer, gehalten wird.

Die Frage, wann die diplomatischen Bemühungen ausgereizt sind, ist eine Bewertungsfrage. – Ich sage: Sie sind noch nicht ausgereizt. Man muß bis zum allerletzten Augenblick bemüht sein, den Druck der internationalen Staatengemeinschaft aufrechtzuerhalten und jede diplomatische Initiative – im Moment betrifft das besonders Frankreich, Rußland und Schweden – zu unterstützen, damit es zu einer solchen friedlichen Lösung kommt.

Ich bin eigentlich auch noch nicht dazu bereit, aufzugeben. Ich glaube nicht, daß das schon ausgereizt ist.

Präsident Ludwig Bieringer: Danke, Herr Bundesminister.

Wird eine Zusatzfrage gewünscht? – Bitte.

Bundesrätin Helga Markowitsch (SPÖ, Niederösterreich): Wie schätzen Sie die politischen Folgen eines eventuellen amerikanisch-britischen Militärschlages ein?

Präsident Ludwig Bieringer: Bitte, Herr Bundesminister.


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Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel:
Noch einmal: Ich warne davor, uns jetzt mit einer Was-wäre-wenn-Frage auseinanderzusetzen. Ich hoffe, daß die diesbezüglichen Bemühungen greifen und daß das nicht notwendig sein wird. Aber ich sage auch mit aller Offenheit: Das wird nur möglich sein, wenn nicht der Eindruck entsteht, daß die internationale Staatengemeinschaft gespalten ist. Das ist der Kernpunkt. Es muß Saddam Hussein eindeutig klargemacht werden, daß notfalls mit allen Mitteln, auch militärischen, die Einhaltung der eingegangenen Verpflichtungen durchgesetzt wird.

Mich hat sehr erfreut, daß die Amerikaner jetzt öffentlich eine Erklärung abgegeben haben, daß sie die derzeit laufenden Bemühungen unterstützen, daß der britische EU-Vorsitzende Robin Cook gesagt hat, daß die Zeit für diplomatische Bemühungen noch nicht abgelaufen ist, und daß hinter den Kulissen graduell auch eine gewisse Bereitschaft des Irak spürbar wird, den Bemühungen entgegenzukommen. Aber die Sache ist tatsächlich extrem kritisch und gefährlich. Daher muß die Staatengemeinschaft geschlossen auftreten.

Präsident Ludwig Bieringer: Danke, Herr Bundesminister.

Für eine weitere Zusatzfrage hat sich Herr Bundesrat Mag. John Gudenus gemeldet. – Bitte.

Bundesrat Mag. John Gudenus (Freiheitliche, Wien): Herr Bundesminister! In welcher Form ist in diesem Zusammenhang Österreich bemüht, dem Haager Abkommen, den allgemeinen Menschenrechtsdeklarationen, der Genfer Konvention zum Schutz von Kriegsopfern, der Universal Declaration on the Eradication of Hunger and Malnutrition und weiteren internationalen Abkommen und Verträgen, welche nicht durch die nachfolgenden UNO-Resolutionen derogiert oder aufgehoben werden können, gemeinsam im Rahmen mit der GASP oder allein zum Durchbruch beziehungsweise zur Durchsetzung zu verhelfen, um das Leid von der Zivilbevölkerung im Irak abzuhalten?

Präsident Ludwig Bieringer: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Herr Bundesrat! Ich bin ein einfaches Gemüt. Die Frage war so kompliziert, daß ich ihr nicht folgen konnte.

Wir werden jedenfalls im Rahmen der Vereinten Nationen, wo der Schwerpunkt liegt, Sorge dafür tragen, daß auch im Interesse der Zivilbevölkerung im Irak verhindert wird, daß ein Diktator auf Kosten der Zivilbevölkerung seine Spiele treibt. Das ist meine persönliche Meinung. Und dafür gibt es nach 1991 ein ganz klares Mandat der Staatengemeinschaft, nämlich eine einstimmig gefaßte Sicherheitsratsresolution, bei welcher Österreich als damaliges Sicherheitsratsmitglied überdies federführend mitgewirkt hat. Heute haben wir zwei Mitglieder in diesem UNO-Inspektionsteam und hoffen, daß dieser gemeinsame Druck wirkt, der nicht gegen die Bevölkerung, sondern gegen den Diktator und sein Team gerichtet ist.

Es gibt ein Angebot von Kofi Annan, möglicherweise sogar eine Mission nach Bagdad vorzubereiten, aber nur dann, wenn wirklich signalisiert wird, daß der Irak zu Konzessionen bereit ist – unter anderem auch, daß die Ölförderung erhöht wird, was der Zivilbevölkerung zugute käme. Das scheint mir sehr vernünftig zu sein.

Präsident Ludwig Bieringer: Danke, Herr Bundesminister.

Weitere Zusatzfrage: Herr Bundesrat Engelbert Schaufler.

Bundesrat Engelbert Schaufler (ÖVP, Niederösterreich): Herr Vizekanzler! Ich hatte im Juli 1996 mit einer kleinen österreichischen Delegation Gelegenheit, einen Teil des Irak kennenzulernen, so auch den irakischen Außenminister und Stellvertreter von Saddam, Tarek Aziz. Dieser erklärte uns seinerzeit, daß der Irak über keine Raketen mehr verfüge. Einige Monate später wußten wir dann die Wahrheit: Es waren doch einige vorhanden.

Inwieweit stellen die chemischen und biologischen Waffen, die im Irak vermutet werden, eine Bedrohung für Europa dar, und welche Konsequenzen ziehen Sie daraus für die Weiterentwicklung der Gemeinsamen Sicherheits- und Außenpolitik?

Präsident Ludwig Bieringer: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Die bisher aufgefundenen Waffenarsenale sprechen eine ganz eindeutige Sprache: Es ist tatsächlich ein riesiges Potential an Massenvernichtungsmitteln entwickelt worden, die teilweise auch gegen die Kurden  – dazu wurde ich vorher gefragt  – voll eingesetzt worden sind. Die schrecklichen Bilder, die am Montag oder Dienstag in der "Zeit im Bild 2" von den Opfern zu sehen waren, von Kindern und Greisen, die mit solchen Nervengasen und Giftgasen behandelt wurden, machen das Problem deutlich sichtbar.

Bisher hat die UNSCOM 38 000 chemische Waffen, eine halbe Million chemische Kampfstoffe, 48 einsatzbereite Raketen, sechs Abschußrampen und 30 spezielle Raketensprengköpfe für chemische und biologische Waffen gefunden und vernichtet. Trotzdem glauben wir, daß der Irak noch immer  – ich zitiere jetzt verschiedenste Quellen  – 19 000 Liter Botulinum, 8 000 Liter Anthrax, ein Milzbranderreger, 2 000 Liter Aflatoxin und einige einsatzfähige SCUD-Raketen mit chemischen und biologischen Köpfen besitzt. Und das ist der Grund, warum so massiv versucht wird, uneingeschränkten Zugang zu allen möglichen Lagerungsplätzen zu bekommen.

Präsident Ludwig Bieringer: Die Fragestunde ist damit beendet.

Einlauf und Zuweisungen

Präsident Ludwig Bieringer: Eingelangt sind neun Anfragebeantwortungen, die den Anfragestellern übermittelt wurden. Die Anfragebeantwortungen wurden vervielfältigt und auch an alle anderen übrigen Mitglieder des Bundesrates verteilt.


Bundesrat
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Den eingelangten Hebammenbericht der Bundesministerin für Arbeit, Gesundheit und Soziales habe ich dem Sozialausschuß zur weiteren geschäftsordnungsmäßige Behandlung zugewiesen.

Eingelangt ist ein Beschluß des Nationalrates vom 22. Jänner 1998 betreffend ein Bundesgesetz über die Genehmigung des Bundesrechnungsabschlusses für das Jahr 1996.

Dieser genannte Beschluß unterliegt im Sinne des Artikels 42 Abs. 5 Bundes-Verfassungsgesetz nicht dem Mitwirkungsrecht des Bundesrates.

Eine weitere geschäftsordnungsmäßige Behandlung des vorliegenden Beschlusses durch den Bundesrat ist daher nicht vorgesehen.

Aufgrund eines mir zugekommenen Vorschlages beabsichtige ich, die Debatte über die Punkte 3 bis 5, 7 und 8 sowie 10 und 11 der Tagesordnung unter einem abzuführen.

Wird dagegen ein Einwand erhoben? – Dies ist nicht der Fall. Wir werden daher in diesem Sinne vorgehen.

Eingelangt sind weiters jene Beschlüsse des Nationalrates, die Gegenstand der heutigen Tagesordnung sind.

Ich habe diese Beschlüsse den in Betracht kommenden Ausschüssen zur Vorberatung zugewiesen. Die Ausschüsse haben ihre Vorberatungen darüber abgeschlossen und schriftliche Ausschußberichte erstattet.

Ich habe all diese Vorlagen auf die Tagesordnung der heutigen Sitzung gestellt.

Wird zur Tagesordnung das Wort gewünscht? – Dies ist nicht der Fall.

Ankündigung von dringlichen Anfragen

Präsident Ludwig Bieringer: Bevor wir in die Tagesordnung eingehen, gebe ich bekannt, daß mir ein Verlangen im Sinne des § 61 Abs. 3 der Geschäftsordnung des Bundesrates auf dringliche Behandlung der schriftlichen Anfrage der Bundesräte Dr. Susanne Riess-Passer, Monika Mühlwerth und Dr. Peter Böhm betreffend falsche Prioritäten in der Strafrechtspolitik an den Herrn Bundesminister für Justiz vorliegt.

Im Sinne des § 61 Abs. 4 der Geschäftsordnung verlege ich die Behandlung an den Schluß der Sitzung, aber nicht über 16 Uhr hinaus.

Ferner gebe ich bekannt, daß mir ein weiteres Verlangen im Sinne des § 61 Abs. 3 der Geschäftsordnung des Bundesrates auf dringliche Behandlung der schriftlichen Anfrage der Bundesräte Monika Mühlwerth, Mag. John Gudenus und Dr. Reinhard Eugen Bösch betreffend Lesung von Otto Mühl im Burgtheater an den Herrn Bundeskanzler vorliegt.

Im Sinne des § 61 Abs. 4 der Geschäftsordnung verlege ich die Behandlung an den Schluß der Sitzung, aber nicht über 16 Uhr hinaus, jedoch im Anschluß an die Behandlung der vorhin genannten dringlichen Anfrage an den Herrn Bundesminister für Justiz.

Wir gehen nunmehr in die Tagesordnung ein.

1. Punkt

Beschluß des Nationalrates vom 22. Jänner 1998 betreffend einen Vertrag über das umfassende Verbot von Nuklearversuchen samt Anlagen und Protokoll samt Anlagen (771 und 1045/NR sowie 5627/BR der Beilagen)

Präsident Ludwig Bieringer: Wir gelangen zum 1. Punkt der Tagesordnung: Vertrag über das umfassende Verbot von Nuklearversuchen samt Anlagen und Protokoll samt Anlagen.


Bundesrat
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636. Sitzung / Seite 42

Die Berichterstattung hat Herr Bundesrat Wolfram Vindl übernommen. Ich bitte um den Bericht.

Berichterstatter Wolfram Vindl: Hoher Bundesrat! Der umfangreiche Bericht liegt Ihnen schriftlich vor. Ich beschränke mich daher auf die Verlesung des Beschlußantrages. (Vizepräsidentin Haselbach übernimmt den Vorsitz.)

Der Außenpolitische Ausschuß stellt nach Beratung der Vorlage am 10. Februar 1998 mit Stimmenmehrheit den Antrag,

1. den im Artikel VII Abs. 8 lit. d und e des gegenständlichen Staatsvertrages enthaltenen Verfassungsbestimmungen gemäß Artikel 50 Abs. 1 zweiter Satz Bundes-Verfassungsgesetz beziehungsweise Artikel 50 Abs. 3 Bundes-Verfassungsgesetz in Verbindung mit Artikel 44 Abs. 2 Bundes-Verfassungsgesetz die verfassungsmäßige Zustimmung zu erteilen,

2. dem gegenständlichen Beschluß des Nationalrates gemäß Artikel 50 Abs. 1 zweiter Satz Bundes-Verfassungsgesetz die verfassungsmäßige Zustimmung zu erteilen,

3. gegen den Beschluß des Nationalrates, gemäß Artikel 50 Abs. 2 Bundes-Verfassungsgesetz den gegenständlichen Staatsvertrag durch Erlassung von Gesetzen zu erfüllen, keinen Einspruch zu erheben.

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Ich danke für den Bericht.

Wir gehen in die Debatte ein.

Zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesrat Gudenus. – Bitte.

11.00

Bundesrat Mag. John Gudenus (Freiheitliche, Wien): Frau Präsidentin! Frau Bundesministerin! Meine Damen und Herren! Diese Regierungsvorlage über das umfassende Verbot von Nuklearversuchen kann dem Inhalt und der Absicht nach, die damit verbunden ist, nur mit einem Ja beantwortet werden.

Wir haben schon vor zirka eineinviertel Jahren über die Chemiewaffen einhellig eine Regierungserklärung und eine Absichtserklärung verabschiedet, und wir alle sind uns darüber im klaren, daß Waffen dieser Art, seien es Minen, die Einzelpersonen treffen, oder Massenvernichtungsgeräte, entschieden von uns abzulehnen sind.

Bundesrat Dr. Paul Tremmel (Freiheitliche, Steiermark): Zur Geschäftsordnung! Frau Präsidentin! Hier sprechen einige Leute miteinander, und der Redner ist nicht zu verstehen!

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Entschuldigen Sie, Herr Bundesrat Gudenus, wenn ich jetzt einen Satz sage: Es war richtig, daß sich Herr Kollege Konečny gestört gefühlt hat und daß man darauf hingewiesen hat, daß im Saal nicht zu oft und zu laut geplaudert werden soll, weil die Akustik schlecht ist.

Wenn man nun aber jedes Mal unterbricht, wenn Bundesräte zusammenstehen und einige Worte miteinander wechseln, dann führt das zu einer Situation, die sicherlich nicht angenehm und auch unseren Debatten und Verhandlungen nicht zuträglich ist. Ich darf daher noch einmal bitten, wenn längere Gespräche geplant sind, diese nicht im Sitzungssaal zu führen. Ich bitte im großen und ganzen aber auch, nicht allzu strenge Maßstäbe anzulegen, wenn Kollegen miteinander sprechen.

Herr Mag. Gudenus, Sie haben das Wort.

Bundesrat Mag. John Gudenus (fortsetzend): Wir sind uns also im klaren, daß die Einschränkung des Vorhandenseins von Geräten, die sowohl Einzelpersonen treffen können, aber auch zur Massenvernichtung eingesetzt werden können, ein dringliches Anliegen ist, und das betrifft natürlich auch das Ausprobieren dieser Waffen. Es geht also um das Verbot von Nuklearversuchen.


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Welche Staaten lagern Nuklearwaffen, Kernwaffen, ohne selbst mit K-Waffen Versuche gemacht zu haben? – Wir Österreicher werden kaum in diese Gefahr geraten beziehungsweise diese Absicht haben – so wie ich unsere human eingestellte politische Führung des Landes, aber auch die der Opposition kenne –, Versuche mit K-Waffen durchführen zu wollen. Aber es gibt Staaten, die solche Waffen lagern, ohne selbst entsprechende Versuche gemacht zu haben, zum Beispiel Israel, Pakistan, Indien und vielleicht auch der eine oder andere ehemalige Ostblockstaat. Welcher von diesen Staaten wird offen zugeben, daß er eine solche Waffe besitzt? – Das ist ein Teil des politischen Spiels und der politischen Auseinandersetzung. Wir wissen von Staaten, die diese Waffen haben, diese selbst erzeugen und selbst ausprobiert haben.

Der vorliegende Vertrag ist von Staaten unterzeichnet beziehungsweise ratifiziert worden, welche niemals die politische Konzeption haben, einen anderen Staat anzugreifen, deren Art und Weise des Nach-außen-Wirkens vielmehr besonders völkerverbindend ist. Ich sehe daher diesen Vertrag nur als einen ersten Schritt. Viel wichtiger ist, daß die Waffenbesitzer abschwören.

Die Weltgemeinschaft rüstet jetzt den Irak – zu Recht – ab und will damit fortsetzen. Wir haben heute vormittag schon darüber gesprochen und davon gehört, daß das in vielen Staaten geschehen sollte, gerade im Nahen Osten, aber auch in Afrika, denn dorthin gehen viel Entwicklungsgelder, die auch von uns stammen, und es geht nicht an, daß diese Gelder in Waffen umgesetzt werden und die Leute sich gegenseitig umbringen, anstatt daß das Geld zum Wohle der Bevölkerung eingesetzt wird.

199 Staaten haben diesen Vertrag unterzeichnet, aber nur neun haben ihn bisher ratifiziert, und es mag nicht uninteressant sein, jetzt diese neun Staaten zu nennen, die – wie ich vorher schon gesagt habe – eine völkerverbindende außenpolitische Konzeption haben. Es sind dies Japan, Peru, Tschechien, die Slowakei, Fidschi, Mikronesien, die Mongolei, Katar und Usbekistan. Sie erkennen aus dieser Nennung der Staaten, daß dies Staaten sind, die weder die wirtschaftliche – wobei das auf Japan nicht zutrifft – , aber auf keinen Fall die politische Absicht haben, solche Waffen zu erzeugen, zu testen, geschweige denn einzusetzen.

44 Staaten müssen diese Konvention ratifizieren, um ihr Gültigkeit zu verleihen, und diese 44 Staaten werden wahrscheinlich zusammenkommen. Wir werden mit diesem Abkommen eine hervorragende Deklaration haben, aber ob diese etwas am Waffenbesitz derjenigen Staaten, die sie haben und erzeugen können, ändert, wage ich zu bezweifeln. Ziel muß es sein, ein umfassendes Verbot von Kernwaffen zu erreichen, eine nukleare Abrüstung dort zu erreichen, wo nukleare Aufrüstung besteht, und eine Verbreitung zu verhindern. Ein Weg dazu ist das Verbot von K-Waffenversuchen, das Sie hier heute beschließen wollen. 1963 wurde bereits das Verbot von Kernwaffenversuchen in der Atmosphäre, im Weltraum und unter Wasser unterzeichnet, und wir meinen, daß auch dieses Abkommen zum Schutz der Umwelt beitragen kann. Wir hoffen sehr, daß es dazu beitragen wird! Je weniger versucht wird, desto weniger können die Waffen dann  – hoffentlich!  benützt werden!

Meine Damen und Herren! Alles Positive dieser Absicht verliert aber an Wert, wenn innerösterreichische verfassungsgemäße Formerfordernisse nicht eingehalten werden. Artikel VII Abs. 8 lit. d und e sollen in Verfassungsrang erhoben werden. Es handelt sich bei diesen um Verschweigungsfristen der Vertragsstaaten bei Widerspruchshandlungen durch die Konferenz. Damit entfällt die Pflicht, diesbezüglich den Nationalrat und den Bundesrat wiederum zu befassen. Gemäß Artikel 50 Bundes-Verfassungsgesetz muß eine Modifikation der Anhänge, die integrierende Bestandteile des Abkommens sind, die Befassung des Nationalrates und des Bundesrates nach sich ziehen. Diese sind auch ausdrücklich als verfassungsändernd zu bezeichnen, was bei dieser Konvention aber nicht der Fall ist.

Ich wiederhole daher noch einmal: Wir wenden uns nicht gegen den Inhalt dieser hervorragenden Absichtserklärung zur internationalen Abrüstung, sondern gegen die Art und Weise, wie wir das innerstaatlich umsetzen wollen. Ein Vorgehen in dieser Form ist des österreichi


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schen Parlaments unwürdig. Dieser Automatismus trägt zur Entmannung des österreichischen Gesetzgebers und seiner Abgeordneten und Bundesräte bei.

Auch dieser Formmangel erweitert die Liste jener Gesetze, welche – verkürzt mit einem heutigen Pressetitel gesagt – Gesetzeschaos oder zumindest Gesetzes- beziehungsweise Verfassungsgesetzesschlamperei prolongieren. Dabei machen wir nicht mit.

Wir von den Freiheitlichen können dieser Deklaration daher nicht die Zustimmung erteilen. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

11.10

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Als nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Meier. – Bitte.

11.10

Bundesrat Erhard Meier (SPÖ, Steiermark): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Frau Bundesministerin! Sehr geehrte Damen und Herren des Bundesrates! Ich denke, es herrscht Übereinstimmung darüber, daß wir alles tun müssen, um gefährliche Waffen, welche die gesamte Menschheit bedrohen, zu verbieten und einzuschränken sowie friedliche Wege zu eröffnen. Es besteht die Notwendigkeit, die Gefahr von Kriegshandlungen mit dem Einsatz nuklearer Waffen zu vermindern und zu beseitigen.

Selbstverständlich wird ein langer Weg zu gehen sein, um auf diesem Gebiet Erfolge zu erzielen. Das Übereinkommen über die Verhinderung des Einsatzes von Personenminen und die Chemiewaffenkonventionen sind Schritte auf dem Weg dorthin, die wir sehr begrüßen können. Ich denke, daß alle Abrüstungsverhandlungen – auch diejenigen der Strategic Arms Limitation Talks, bekannt als SALT-I- und SALT-II-Verhandlungen – ungeheuer wichtig dafür sind, die entsprechenden Bemühungen zu betonen und die Waffenarsenale zu begrenzen, und zwar sicherlich mit dem Ziel, sie eines Tages abzuschaffen. Aber es ist selbstverständlich – obwohl der menschliche Verstand dies viel mehr fördern müßte –, daß es einen langen Weg brauchen wird, um dieses Ziel zu erreichen.

Besonders gefährlich sind jene Waffen, die weit entfernt vom Anwender wirken – chemische, bakteriologische und selbstverständlich auch Atomwaffen –, die dort tausend- oder zigtausendfach den Tod verursachen und deren Zerstörungskraft – denken wir nur an die atomare Strahlung – über jegliches begrenzte Gebiet hinaus wirksam wird. Leider sind noch viele solcher Waffen – jeder sagt zwar immer: zur Abschreckung – gestapelt, auf unterirdischen Abschußrampen vorbereitet und sozusagen strategisch geplant auf bestimmte Ziele gerichtet.

Vergessen wir nicht, daß Atombomben bereits eingesetzt wurden. Ich möchte nicht auf die Diskussion eingehen, ob die Weiterführung des Zweiten Weltkrieges oder der Einsatz der Atombombe mehr Opfer gefordert hätte. Beide Entwicklungen sind gegen unschuldige Menschen gerichtet und daher von selbst unmenschlich. Bedenken wir auch die Gefahr von Atomwaffen in den Händen von Menschen, denen wir nicht vertrauen: im Besitz von Diktaturen. Wie hätte der Führer eines bestimmten Reiches Atomwaffen gehandhabt, wenn er sie gegen Ende des Krieges zur Verfügung gehabt hätte?

Freilich sind wir vom ewigen Weltfrieden – um das Wort des "Ewigen Landfriedens" der Zeit Maximilians abzuwandeln – weit entfernt. Neben den konventionellen Waffenlagern gibt es aber trotz unserer Bemühungen noch ein riesiges Arsenal von nuklearen Waffen, die in Summe das Leben auf unserem Planeten vielfach vernichten könnten. Als ob nicht die einmalige Vernichtung – und ich setze das folgende Wort unter Anführungszeichen – "genügen" würde!

Wenn der Mensch ein vernünftiges Wesen ist – angesichts mancher Greueltaten kämen hie und da fast Zweifel daran auf –, muß er alles unternehmen, um leben und überleben zu können und die Probleme zu bewältigen. Außer den militärischen haben wir eine ganze Reihe solcher Probleme: die Umwelt zu schützen – das spielt auch in dieses Thema hinein –, die Ernährung auf der Welt sicherzustellen und soziale Unterschiede abzubauen. Die Hoffnung liegt in einer friedlichen Entwicklung und in der Durchsetzung von Verträgen wie dem vorliegenden zum


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umfassenden Verbot von Nuklearversuchen. Das Mißtrauen gegenüber Verträgen ist zwar berechtigt, wie viele Beispiele in der Geschichte zeigen, aber Hoffnung, Zuversicht, Vertrauen und Anstrengungen für eine positive Entwicklung sind einfach notwendig.

Mein Vorredner, Bundesrat Gudenus, hat zwar bestätigt, daß der Inhalt des Vertrages an und für sich voll in Ordnung ist, hat aber großen Pessimismus gegenüber einer Verwirklichung auf diesem Wege gezeigt. Meiner Ansicht nach sind wir, wenn wir nur den Pessimismus voranstellen und nicht auch Optimismus für die Zukunft und die Entwicklung der Menschheit hegen, von vornherein auf verlorenem Posten. Dies muß auch die Leitidee dieses Vertrages sein, der – wie die Präambel ausführt – folgende Ziele zum Inhalt hat: die nukleare Abrüstung unter strenger und wirksamer internationaler Kontrolle, die Verringerung der Kernwaffenbestände, die Verhinderung der Verbreitung von Kernwaffen, die Einschränkung der Weiterentwicklung, einen Stopp der Entwicklung neuer Arten und die Einstellung der nuklearen Explosionen und Versuche.

Ich möchte, da jetzt ein Staatsbesuch aus Frankreich stattgefunden hat, hier feststellen, daß die angeblich letzten Atomversuche Frankreichs beziehungsweise jener Gruppe, die sie damals veranlaßt hat – wir dürfen nicht alle Franzosen einbeziehen –, uns in Europa weh getan haben. Ich sage "wir" als Europäer und sage nicht: Es war in Frankreich und nicht in Österreich.

Wer kann nun diese Ziele verfolgen? – Selbstverständlich jeder Staat, getragen von seinen Bürgern und Bürgerinnen, und am besten natürlich jene Staaten, die selbst nukleare Waffen besitzen. Aber diese werden nicht damit anfangen. Es stehen zu viele wirtschaftliche und machtpolitische Interessen dahinter. Daher denke ich, daß auch kleine Staaten – die Vereinten Nationen bestehen überwiegend aus kleineren Staaten – damit anfangen können, Druck auf die Völkergemeinschaft auszuüben, damit die Zahl derjenigen, die dem Inhalt dieses Vertrages zustimmen, immer größer wird.

Wir wissen, daß nicht alle Staaten, die nukleare Waffen besitzen – zum Beispiel Indien –, bereit sind, Atomstoppverträge zu unterzeichnen. Aber immerhin haben diesen Vertrag 149 Staaten unterzeichnet und davon – schon oder erst? – neun Staaten ratifiziert. Diese hat mein Vorredner schon aufgezählt, und dabei kam irgendwie zum Ausdruck: Na ja, das waren nur die Fidschi-Inseln, Katar und die Mongolei; Japan ist zweifellos größer; und da sollte Österreich auch schon diesen Vertrag ratifizieren?

Ich denke, gerade deshalb. Wir hätten schon der erste sein können; aber auch wenn wir erst der zehnte Staat sind, der ratifiziert, ist es das mindeste, was wir tun können, diesem Vertrag durch Ratifikation beizutreten. Ich bin sicher, daß die 44 Staaten, die zur Ratifikation notwendig sind, gefunden werden mögen und daß darüber hinaus all jene, die sich grundsätzlich zu den Inhalten dieses Vertrages bekennen, folgen werden, sodaß eine große Gemeinschaft, die insgesamt selbstverständlich mehr Gewicht haben wird, in Zukunft diese wichtige Richtlinie gegen atomare Waffen unterstützen wird.

Im Vertrag ist genau beschrieben – darauf will ich jetzt nicht näher eingehen –, wie die Umsetzung dieses Vertrages organisiert werden wird: daß die Konferenz der Vertragsstaaten das höchste Gremium ist und daß es einen Exekutivrat mit 51 Staaten als ausführende Organisation geben wird. Dieser Exekutivrat ist nach geographischen Gesichtspunkten gebildet, wie aus Anlage 1 des Vertrages hervorgeht. Man kann freilich darüber diskutieren, ob die Auswahl dieser Staaten weltweit nach geographischen Gesichtspunkten richtig ist. Aber ich denke, daß wir die organisatorischen Fragen dieses Vertrages den inhaltlichen hintanstellen sollten.

Vorgesehen sind das Technische Sekretariat und ein Generaldirektor, von dort aus werden Überwachungen systemgemäß durchführt, dort wird ein Datenzentrum eingerichtet sowie Bearbeitungen und Analysen vorgenommen, und es werden Inspektionen vor Ort durchgeführt und die Vertragseinhaltung verifiziert. Dafür steht wissenschaftliches und technisches Personal zur Verfügung, und es soll alles untersucht werden, was mit atomarer Strahlung zusammenhängt, sei dies unter- oder oberirdisch, im Meer oder in der Atmosphäre. Dieses internationale Überwachungssystem, das in diesem Vertrag schon mit Standorten angeführt ist, enthält eine Reihe


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von Überwachungsmaßnahmen, solche radionukleider Art sowie seismologische, hydroakustische und Infraschall-Überwachungsmaßnahmen, um nur einige anzuführen.

Ich möchte auch ein paar Worte zur Finanzierung sagen. Selbstverständlich kostet die Ausführung eines solchen Vertrages die Mitglieder entsprechendes Geld. Der Aufwand wird nach jenem Schlüssel, den die Vereinten Nationen auch für andere Organisationen festgelegt haben, von den Mitgliedstaaten getragen. Aber, meine Damen und Herren: Wenn Österreich für das Budget zur Durchführung dieses Vertrages einen Beitrag in der Höhe von 0,87 Prozent zu leisten hat und wenn sich dieser Vertrag in seinem Inhalt auf positive Weise weiterentwickelt, dann ist dieser Beitrag für ein solch großes Ziel wohl nicht zu hoch!

Vergessen wir nicht, daß diese Behörde ebenso wie die CTBTO – die Atomkontrollbehörde – ihren Sitz in Wien haben wird. Auch das ist meiner Ansicht nach ein Grund, den Vertrag zu ratifizieren, doch möchte ich ausdrücklich betonen, daß der Hauptgrund darin besteht, daß Österreich einen Beitrag zu den Grundsätzen und Inhalten dieses Vertrages leistet. Staaten, die diesen Vertrag schon heute erfüllen – wenn wir beitreten, sind auch wir dabei – und als Vorreiter wirken, sind Vorbilder. Ich möchte es umdrehen, damit wir nicht warten, bis alle anderen beigetreten sind, auch die großen – denn wer tritt denn dann bei, wenn jeder abwartet? –: Wir können diesem Vertrag in der jetzigen Phase beitreten, und es sollte uns eine Ehre sein und mit Stolz erfüllen, den Vertrag, der eine friedliche Entwicklung zum Ziele hat und Gefahren ausschließen will, als einer der ersten Staaten zu ratifizieren.

Ich möchte ein paar Worte noch zu den Einwendungen meines Vorredners sagen. Es ist richtig, daß dieser Vertrag auch verfassungsändernde Bestimmungen enthält, aber ich kann nicht behaupten, daß uns diese nicht schon vorher bekannt gewesen wären. Man muß auch sagen, welche verfassungsändernden Bestimmungen das sind, nämlich jene im Artikel VII unter den Ziffern 7 und 8d. Meine Damen und Herren! Ich denke, daß es sich beim dort bezeichneten vereinfachten Änderungsverfahren, das sich nur auf bestimmte administrative Änderungen und Änderungen technischer Natur bezieht – zum Beispiel auf die Änderung der Liste der Überwachungsstationen und so fort –, um verfassungsrechtliche Bestimmungen handelt, in bezug auf die ich überhaupt keine Bedenken habe, daß sie innerhalb dieses Vertrages und ihrer Anwendung Österreich jemals schaden werden. Wo tritt da ein Schaden für Österreich auf?

Selbstverständlich bin ich der Meinung, daß die Information des Parlaments – des Nationalrates und des Bundesrates – erfolgen sollte. Aber in dem Vertrag ist auch diese 90-Tage-Frist enthalten. Es wäre fatal, wenn eine Maßnahme innerhalb dieses Vertrages geändert wird, der wir ohnehin zugestimmt hätten, der wir aber deshalb nicht zustimmen, weil wir innerhalb dieser 90 Tage nicht entsprechend darauf reagiert haben.

Ich denke daher, daß die Vorbehalte gegenüber diesen Paragraphen hinter dem eigentlichen Ziel dieses Vertrages hintangestellt werden können, und ich bin der Ansicht, daß dies kein Grund sein kann, diesem Vertrag nicht zuzustimmen. Ich möchte hinzufügen, daß wir es bei der Chemiewaffenkonvention ebenfalls bereits so beschlossen und durchgeführt haben. Es ist dies nicht der erste Fall, und ich denke, daß auch dort darauf Rücksicht genommen wurde, daß nicht etwas enthalten ist, wodurch Österreich überfahren wird und unsere Mitwirkungsrechte geschmälert werden. Es geht darum, daß gegebenenfalls eine Weiterentwicklung des Vertrages in technischer und organisatorischer Hinsicht raschest möglich ist.

Da die Entwicklung hin zu den Zielen dieses Vertrages lange dauern wird, sollte kein einzelner Schritt eine Verzögerung dieser Entwicklung bewirken, vor allem dann nicht, wenn es in organisatorischer und technischer Hinsicht ist. Daher könnte ich unter diesem Aspekt, sollte die FPÖ aus diesem Grunde einen Entschließungsantrag als Gegenantrag einbringen, diesem nicht zustimmen. Das darf ich auch für die sozialdemokratische Fraktion sagen.

Daher würde ich ersuchen, daß wir alles unternehmen und daß Österreich alles unternimmt, um die Ideen dieses Vertrages innerhalb Österreichs zu fördern. Ich würde die Regierung ersuchen, genauso, wie sie etwa den Hauptausschuß des Nationalrates informiert, auch den Bundesrat beziehungsweise den betreffenden Ausschuß des Bundesrates zu informieren. Und ich würde


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die Regierung und Österreich ersuchen, auch im Rahmen der großen Völkerfamilie und in allen jenen Organisationen, in denen wir tätig sind, alles zu unternehmen, daß sich der Inhalt dieses Vertrages bei möglichst vielen Staaten und letzten Endes auf der ganzen Welt durchsetzen möge. – Danke schön. (Beifall bei der SPÖ und bei Bundesräten der ÖVP.)

11.27

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Als nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Rodek. – Bitte.

11.27

Bundesrat Peter Rodek (ÖVP, Oberösterreich): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Bundesministerin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Werte Kolleginnen und Kollegen! Uns liegt heute – wir haben es schon gehört – der Vertrag über das umfassende Verbot von Nuklearversuchen zur Beschlußfassung vor. Ich nehme gleich vorweg, daß meine Fraktion dieser Gesetzesmaterie zustimmen wird. Ich hoffe, daß nicht nur wir zustimmen werden, denn es müßte jede Fraktion ihre Zustimmung erteilen, welche die österreichische Antiatompolitik ernstnimmt – wahrscheinlich wieder mit Ausnahme der Freiheitlichen, die sich hier in Formalismen ergehen. (Bundesrat Dr. Böhm: Die Verfassung ist kein Formalismus!)

Ich stimme aber dem zu, was Kollege Meier gesagt hat, nämlich daß die Bundesregierung bei solchen Änderungen in verfassungsmäßiger Hinsicht nicht nur den Hauptausschuß des Nationalrates informiert, sondern auch den Bundesrat. Dem kann meine Fraktion selbstverständlich gerne zustimmen. Zustimmen sollten wir dieser Gesetzesmaterie aber insgesamt, weil es beim vorliegenden Abkommen nicht nur darum geht, jegliche Atomtests – ob aus militärischen oder zivilen Gründen, ob unterirdisch, oberirdisch oder in der Atmosphäre – zu verbieten, sondern vor allem auch darum geht, daß dieses Verbot umfassend kontrolliert werden kann. Denn Vertrauen ist gut, Kontrolle ist aber besser; und der Irak ist in diesem Zusammenhang schon erwähnt worden.

Durch das vorliegende Abkommen kann endlich auch erreicht werden, daß weltweit eine geringere Strahlenbelastung zu verzeichnen sein wird, sodaß nicht nur sicherheitspolitische, sondern auch umweltpolitische Aspekte zum Tragen kommen werden. Selbstverständlich muß es die vordringlichste Aufgabe der österreichischen Außenpolitik sein, gegenüber möglichst vielen Staaten auf möglichst rasche Ratifizierung des Abkommens zu dringen. Wir haben schon gehört, daß dies bis heute nur neun Staaten – und nicht die bedeutendsten – getan haben. Ich hoffe, daß der Besuch von Präsidenten Chirac dazu beitragen wird, daß auch Frankreich dieses Atomübereinkommen unterzeichnen wird.

Ich sage dies deshalb – damit komme ich zum eigentlichen Grund meiner Wortmeldung –, weil Österreich ohnedies schon von vielen atomaren Gefahren bedroht ist. Ich meine die geplanten oder auch schon bestehenden Atomkraftwerke im österreichischen Nahbereich. Geplant – so haben wir es in letzter Zeit in den Medien gehört – soll in unmittelbarer Nähe von Österreichs Grenzen bei Pleinting, in der Nähe von Passau oder in Rosenheim ebenfalls wieder ein Atomkraftwerk sein, etwa 40 Kilometer von der österreichischen Grenze entfernt.

Ich möchte hier festhalten, daß wir Oberösterreicher alle Mittel ausschöpfen werden, daß dieser Bau, der noch dazu mit EU-Mitteln finanziert und gefördert werden soll, verhindert wird.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ganz besondere Gefahren gehen aber von den Reaktoren des Ostens aus. Viele von diesen sind bereits schrottreif. Die Risken werden zum Teil veharmlost, jedoch spätestens seit Tschernobyl weiß man von den immensen Gefahren für Mensch und Tier. Aufgrund der immer wieder bekannt werdenden Störfälle in Atomkraftwerken müssen wir um uns und alle, die nach uns kommen, Sorge haben. In Oberösterreich beschleicht uns ein mulmiges Gefühl, wenn wir an Temelin denken. 100 Kilometer Luftlinie von Linz entfernt liegt dieses Atomkraftwerk. Untersuchungen haben ergeben, daß bei einem Störfaktor – selbst bei geringster Windstärke – bereits nach zirka einer halben Stunde eine Verstrahlung in Linz gemessen werden könnte. Daß es zu Störfällen kommen kann, ist gerade bei Temelin nicht auszuschließen, denn bereits seit 15 Jahren wird an diesem russisch-westlichen Mixreaktor herumgedoktert, herumgebaut. Man kann daher sicherlich nicht mehr von einem Reaktor aller


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neuester Bauart sprechen. Und schön langsam wird dieses Bauwerk selbst in Tschechien in Frage gestellt, da sogar die tschechische Atombehörde irreparable Qualitätsmängel, zum Beispiel an den Schweißnähten, festgestellt hat. Wir Oberösterreicher wären daher grob fahrlässig, würden wir tatenlos zusehen und nicht alle Möglichkeiten ausschöpfen, um Temelin zu verhindern, und zusehen, wie in Temelin weitergemurkst wird.

Der Wille Tschechiens, der EU beizutreten, gibt uns eine bessere Verhandlungsposition. Wir wissen, daß die sogenannten Reformstaaten ein schweres Erbe aufzuarbeiten haben. Sie können unserer Solidarität sicher sein, wenn es um die Bereiche Wirtschaft, Bildung und vor allem Demokratie geht. Wir fordern aber auch gleichzeitig Solidarität in puncto Umwelt und Sicherheit für unser Land und unsere Mitmenschen.

Ich verweise in diesem Zusammenhang auf die Integrationskonferenz der Bundesländer im Vorjahr in Linz, bei der eine eindeutige Erklärung zum Thema Atomkraftwerke in Europa abgegeben wurde. In dieser Stellungnahme zur Agenda 2000 wurde festgehalten, daß der Fortschritt im Erweiterungsprozeß auch von der Bereitschaft der Beitrittskandidaten abhängig gemacht werden muß, auf den Weiterbetrieb beziehungsweise auf die Fertigstellung der Atomkraftwerke zu verzichten. Die Länder erklärten darin aber auch ihre Bereitschaft, die Beitrittswerber bei der Überwindung von energiewirtschaftlichen Schwierigkeiten, die sich durch die Stillegung von gefährlichen Atomkraftwerken ergeben, durch Hilfestellung bei effizienter Energieeinsparung und Energienutzung zu unterstützen.

Werte Kolleginnen und KoIlegen! In diesem Sinne ist auch der Entschließungsantrag zu sehen, den die oberösterreichischen Bundesräte meiner Fraktion am 15. Jänner dieses Jahres bereits eingebracht haben und in dem die Reduktion der bestehenden und die Vermeidung zusätzlicher kerntechnischer Anlagen gefordert wird, in dem aber gleichzeitig die Bundesregierung ersucht wird, sich für die Schaffung einer globalen Organisation für erneuerbare Energieträger im Rahmen der Vereinten Nationen einzusetzen und die Schaffung europäischer Organisationsstrukturen zur Förderung erneuerbarer und nachhaltiger Energieträger anzustreben.

Dieser Entschließungsantrag wird bei der nächsten Ausschußsitzung behandelt werden. Ich fordere all jene, die der gleichen Meinung wie wir sind, daß in Österreich außer der Sonne nichts zu strahlen hat, auf, diesem ihre Zustimmung zu erteilen. (Beifall bei der ÖVP und bei Bundesräten der SPÖ.)

11.35

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Als nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Dr. Bösch. – Bitte.

11.35

Bundesrat Dr. Reinhard Eugen Bösch (Freiheitliche, Vorarlberg): Frau Vizepräsidentin! Frau Ministerin! Meine Damen und Herren! Der Vertrag über das umfassende Verbot von Nuklearversuchen sieht das Verbot jeglicher Atomtests – also unterirdischer, oberirdischer, maritimer und atmosphärischer Nukleartests – aus militärischen und zivilen Gründen vor und errichtet ein Verifikationssystem, das ein internationales Überwachungssystem, Konsultationen, Vorortinspektionen und vertrauensbildende Maßnahmen umfaßt. Der Vertrag über das umfassende Verbot von Nuklearversuchen ist daher inhaltlich zu begrüßen. Mein Kollege Mag. Gudenus hat das im Namen der freiheitlichen Fraktion schon getan.

Allerdings – ich muß das noch einmal bekräftigen – konnte die Notwendigkeit verfassungsändernder Bestimmungen im Artikel VII sowie die Frage der Beschlußfassung dieser verfassungsändernden Bestimmungen, die in den insgesamt dreimal stattgefundenen Beratungen im Außenpolitischen Ausschuß des Nationalrates diskutiert wurden, weder vom Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten, vom Ausschußvorsitzenden, von den Vertretern des Verfassungsdienstes des Bundeskanzleramtes, des Völkerrechtsbüros des Außenministeriums noch von der Parlamentsdirektion zufriedenstellend dargelegt werden.

Nach wie vor sind für uns folgende Bedenken nicht ausgeräumt:


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Erstens: nicht zwingend notwendige Erhebung einzelner Bestimmungen in den Verfassungsrang. Grundsätzlich sind Änderungen des Vertrages, des Protokolls und der Anlagen von einer eigenen Änderungskonferenz zu behandeln. Solche Änderungen werden durch die Vertragsstaaten nach Maßgabe ihrer verfassungsrechtlichen Verfahren ratifiziert. Das heißt Befassung des Nationalrates und in der Folge auch des Bundesrates gemäß Artikel 50 B-VG. Allerdings bestehen besondere Vorschriften für die Teile 1 und 3 des Protokolls und die Anlagen 1 und 2 zum Protokoll, soweit sich Modifikationen auf verwaltungsmäßige und technische Vorschriften beziehen. Diese unterliegen einem einfacheren Änderungsverfahren. Deshalb ist vorgesehen, Artikel VII Abs. 8 lit. d und e, der unter anderem das einfachere Änderungsverfahren normiert, in den Verfassungsrang zu heben. Damit entfällt die Pflicht, diesbezüglich hinkünftig den Nationalrat und den Bundesrat zu befassen.

Die in den Ausschußbericht aufgenommene Ausschußfeststellung, wonach der Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten den Außenpolitischen Ausschuß des Nationalrates über verwaltungsmäßige oder technische Änderungen in Kenntnis setzen wird, ändert nichts an der Tatsache, daß durch die vorgesehenen verfassungsändernden Bestimmungen nicht nur das österreichische Verfassungsrecht weiter zersplittert wird, sondern vielmehr die Rechte des Parlamentes zusätzlich beschnitten werden. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Meine Damen und Herren! Abgesehen davon vertreten wir freiheitlichen Bundesräte die Auffassung, daß die vorgesehene 90-Tage-Frist – Herr Kollege Meier ist schon darauf eingegangen – bei gutem Willen der Exekutive durchaus ausreichend wäre, das verfassungsmäßige Procedere auch einzuhalten. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Trotz des Verständnisses für ein rasches und einfacheres Änderungsverfahren auch auf internationaler Ebene sind jedoch die Interessen des Parlaments und die Einhaltung der verfassungsmäßigen Vorgangsweise von größter Bedeutung, weshalb eine Erhebung der Bestimmungen des Artikels VII Abs. 8 lit. d und e in den Verfassungsrang nicht notwendig ist. Wir lehnen das heute ab. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Der zweite Bereich, meine Damen und Herren, enthält die Bezeichnungspflicht gemäß Artikel 50 Abs. 3 B-VG. Da laut den Erläuterungen zur Regierungsvorlage die Bestimmungen des Artikels VII Abs. 8 d und e nunmehr verfassungsändernde beziehungsweise verfassungsergänzende Bestimmungen darstellen, bedürfen sie daher einer Behandlung gemäß Artikel 50 Abs. 3 B-VG. In einem nach Artikel 50 Abs. 1 B-VG gefaßten Genehmigungsbeschluß sind solche Staatsverträge oder solche in Staatsverträgen enthaltenen Bestimmungen ausdrücklich als verfassungsändernd zu bezeichnen.

Da eine derartige Bezeichnung logischerweise dem Abkommen selbst nicht zu entnehmen ist, sondern durch die gewählte Vorgangsweise lediglich den Erläuterungen der Regierungsvorlage, hätte der Ausschuß des Nationalrates einen Beschluß fassen müssen, in dem er dem Nationalrat nicht nur die Genehmigung des Abschlusses des vorliegenden Staatsvertrages empfiehlt, sondern der Ausschuß hätte in seinem Beschluß ausdrücklich darauf verweisen müssen, daß es sich bei den Bestimmungen des Artikels VII Abs. 8 d und e nunmehr um verfassungsändernde beziehungsweise verfassungsergänzende Bestimmungen handelt. Meine Damen und Herren! Ein solcher Beschluß wurde aber im Außenpolitischen Ausschuß des Nationalrates nicht gefaßt.

Diese Unterlassung kann auch nicht dadurch saniert werden, daß sich nunmehr im Antrag des Ausschusses an den Nationalrat ein Hinweis auf verfassungsändernde Bestimmungen findet. Aus Sicht der freiheitlichen Abgeordneten gab daher der Ausschußbericht die Beschlußlage des Ausschusses unzureichend wieder, wie dem beigeschlossenen Minderheitsbericht der freiheitlichen Nationalräte auch zu entnehmen war. Der Mangel des Ausschußbeschlusses führte dazu, daß auch der Beschluß des Nationalrates über den Antrag des Ausschusses mangelhaft war und sich daraus letztlich ein verfassungswidriges Zustandekommen des Beschlusses des Nationalrates ergeben hat. An dieser Beschlußlage ändert auch der ÖVP-Antrag, der heute eingebracht wird, nach unserem Dafürhalten nichts.


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Meine Damen und Herren! Einer solchen Vorgangsweise können wir freiheitlichen Bundesräte aus den angeführten Gründen nicht zustimmen, da vor allem auch, wie den Erläuterungen zur Regierungsvorlage und zum Ausschußbericht des Nationalrates zu entnehmen ist, nicht auszuschließen ist, daß durch den Vertrag insgesamt Länderrechte berührt werden, was eine Beschlußfassung auch durch den Bundesrat gemäß Artikel 50 Abs. 1 B-VG notwendig macht. Es sei hier festgehalten, daß wir freiheitlichen Bundesräte keiner weiteren Beschneidung der verfassungsmäßigen Rechte des Bundesrates zustimmen können und werden. Insbesondere ist eine solche spezielle Einschränkung unangebracht, solange es keine allgemeine verfassungsrechtliche Stärkung unserer Kammer als vollwertige zweite Kammer des Parlaments im Zuge einer längst notwendigen Bundesstaats- und Demokratiereform in Österreich gibt.

Meine Damen und Herren! Die Verzögerungen im Rahmen einer von der Bundesregierung immer wieder angekündigten Bundesstaats- und Bundesratsreform sollten uns dabei ein warnendes Beispiel sein. Der Bundesrat muß sein Selbstverständnis unserer Ansicht nach auch selbstbewußt leben, um den Nationalrat und die Bundesregierung dazu zu bewegen, die Länderrechte auch ernstzunehmen.

Meine Damen und Herren Kollegen! Wir Freiheitlichen fordern Sie deshalb auf, den Verfassungsbestimmungen in diesem Ausschußbericht keine Zustimmung zu geben und auch dem Antrag, keinen Einspruch zu erheben, nicht zuzustimmen. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

11.43

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Als nächster zu Wort gemeldet ist Herr Vizepräsident Weiss. – Bitte.

11.43

Bundesrat Jürgen Weiss (ÖVP, Vorarlberg): Frau Präsidentin! Frau Bundesministerin! Hohes Haus! Ich möchte kurz auf die vom Vorredner dargelegten Bedenken eingehen, die in erster Linie formeller und rechtlicher Art sind und sich nicht so sehr auf den Inhalt des Vertrages beziehen, der allgemein gutgeheißen wird. Insoweit kann ich mich den Ausführungen der Vorredner zum sachlichen Gehalt der Vorlage anschließen.

Herr Kollege Bösch hat zwei Gesichtspunkte in den Vordergrund gestellt. Der erste ist die seiner Meinung nach nicht notwendige Erhebung einzelner Bestimmungen des Artikels VII in den Verfassungsrang. Er sieht darin einen Angriff auf den Parlamentarismus und im besonderen auf unsere Vertretung von Länderinteressen. Nun ist allerdings festzuhalten, daß die Länder in das Zustandekommen dieses Vertrages eingebunden waren, zumal sie zumindest potentiell – aber man muß sich anstrengen, um ein Beispiel zu finden – betroffen sein könnten. Es liegt ganz klar auf der Hand, Herr Kollege Bösch, daß von keinem einzigen Land darin eine Beeinträchtigung von Länderinteressen, weder in materieller noch in formeller Hinsicht, gesehen wurde. Insoweit fällt es mir leicht, in der Vertretung von Länderinteressen dem Antrag des Ausschusses zuzustimmen.

Was nun die Information der gesetzgebenden Körperschaften über Aufgaben, die üblicherweise dem Vollziehungsbereich zuzurechnen sind, betrifft, wenn also technische Maßnahmen getroffen werden, wenn auf einer Station womöglich eine Teilzeitkraft eingestellt wird und dergleichen mehr, ist zu sagen, daß das typische Vollziehungsaufgaben sind. Die Besonderheit solcher Vertragskonstruktionen bringt es mit sich, daß ein etwas anderes Procedere anzuwenden ist, als wir es innerstaatlich an solche Dinge anlegen würden. So wie der Nationalrat die Zusage erreicht hat, daß er über diese Dinge informiert wird, damit er allenfalls – worst case vorausgesetzt – reagieren kann, so gehe ich davon aus, daß der Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten auch die Mitglieder des Bundesrates darüber informieren wird, wenn ein solcher Sachverhalt einmal eintreten sollte. Ich gehe davon aus, daß das keine Schwierigkeiten machen wird.

Nun zu der Bezeichnungspflicht, die mangelhaft sei. Dem uns übermittelten Ausschußbericht des Nationalrates ist zweifelsfrei zu entnehmen, daß die Bezeichnungspflicht, daß Artikel VII verfassungsändernd sei, erfüllt ist. Das ist schwarz auf weiß gedruckt. Nun wurde eingewandt, diese Beschlußausfertigung, dieser Ausschußbericht des Nationalrates entspreche nicht der tat


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sächlichen Beschlußlage. Das weiß ich nicht. Ich war nicht dabei, und ich maße mir auch nicht an, Beschlußausfertigungen des Nationalrates zu hinterfragen.

Für uns ist maßgeblich – ich habe dazu etwas mehr gelesen als den Minderheitenbericht der freiheitlichen Ausschußfraktion –, was uns vom Nationalrat als Beschluß des Nationalrates mitgeteilt wurde. Hier ist auch wieder – Unterschriften: Präsident Fischer, Schriftführerin Ute Apfelbeck, soweit mir bekannt ein Mitglied der freiheitlichen Fraktion – zu lesen:

Der Nationalrat hat in seiner Sitzung vom Soundsovielten folgende Beschlüsse gefaßt – ich beziehe mich jetzt nur auf den relevanten Teil –:

1. Der Abschluß des nachstehenden Staatsvertrages: Vertrag über das umfassende Verbot von Nuklearversuchen ..., dessen Artikel VII Abs. 8 d und e verfassungsändernd sind, wird bei Anwesenheit der verfassungsmäßig vorgesehenen Anzahl der Abgeordneten mit der erforderlichen Zweidrittelmehrheit genehmigt. Das ist unsere Beratungs- und Beschlußgrundlage: die Mitteilung des Nationalrates über einen gefaßten Gesetzesbeschluß.

Da solche Dinge releviert werden und wir bei unserem Ausschußbericht auch keine perfekte Formulierung gefunden haben – es ist davon die Rede, daß Verfassungsbestimmungen in Artikel VII zugestimmt wird, die es natürlich von vornherein nicht geben kann –, stelle ich folgenden Antrag:

Antrag

der Bundesräte Weiss und Kollegen zum Antrag des Außenpolitischen Ausschusses über den Beschluß des Nationalrates vom 22. Jänner 1998 betreffend einen Vertrag über das umfassende Verbot von Nuklearversuchen samt Anlagen und Protokoll samt Anlagen (in 5627 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Bundesrates)

Der Bundesrat wolle beschließen:

Das in Ziffer 1 des bezeichneten Ausschußantrages enthaltene Wort "Verfassungsbestimmungen" wird ersetzt durch die Worte "verfassungsändernde Bestimmungen".

*****

Ich bitte Sie alle, diesem Antrag zuzustimmen. (Beifall bei der ÖVP und bei Bundesräten der SPÖ.)

11.49

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Bitte, Frau Bundesministerin.

11.49

Bundesministerin für Unterricht und kulturelle Angelegenheiten Elisabeth Gehrer: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich möchte Ihnen zuerst einmal für die konstruktive inhaltliche Diskussion herzlich danken. Ich glaube doch, daß dieser Tagesordnungspunkt sehr wichtig ist, daß es dabei um für uns alle wichtige Bereiche geht, nämlich um das Verbot von Nuklearversuchen. Ich habe der Diskussion entnommen, besonders den Diskussionsbeiträgen der Kollegen Meier und Rodek, auch des Herrn Vizepräsidenten Weiss, daß der Bundesrat verstärkt Information durch den Herrn Außenminister möchte. Ich werde das selbstverständlich an den Herrn Außenminister weiterleiten.

Ich möchte vielleicht noch ein Wort zur Bundesstaatsreform sagen. Es ist nicht so, daß die Bundesstaatsreform verzögert wird. Es ist vielmehr so, daß gerade im letzten Ministerrat festgestellt wurde, daß Übereinstimmung besteht, daß die Bundesstaatsreform in der vorliegenden Form, wie es auch im Perchtoldsdorfer Abkommen steht, jetzt umgesetzt wird. Daß es dann weitere Schritte, weitere Entwicklungen geben wird, ist selbstverständlich. Denn alle Dinge im


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Leben entwickeln sich weiter. Die Bundesstaatsreform wird jedoch so, wie es paktiert ist, auch umgesetzt werden. (Beifall bei der ÖVP.)

11.50

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Der von den Bundesräten Jürgen Weiss und Kollegen eingebrachte Antrag betreffend die Ziffer 1 des Ausschußantrages ist genügend unterstützt und steht demnach auch in Verhandlung.

Es liegt allerdings keine Wortmeldung mehr vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall.

Die Debatte ist daher geschlossen.

Wird von seiten der Berichterstattung ein Schlußwort gewünscht? – Auch das ist nicht der Fall.

Wir kommen zur Abstimmung.

Der gegenständliche Beschluß regelt Angelegenheiten des selbständigen Wirkungsbereiches der Länder, weshalb dieser der Zustimmung des Bundesrates gemäß Artikel 50 Abs. 1 zweiter Satz Bundes-Verfassungsgesetz bedarf.

Überdies enthält er in dessen Artikel VII Abs. 8 lit. d und e verfassungsändernde Bestimmungen, welche die Zuständigkeit der Länder in Gesetzgebung und Vollziehung einschränken, weshalb diese genannten Bestimmungen der Zustimmung des Bundesrates gemäß Artikel 50 Abs. 1 zweiter Satz B-VG beziehungsweise Artikel 50 Abs. 3 B-VG in Verbindung mit Artikel 44 Abs. 2 B-VG bei Anwesenheit von mindestens der Hälfte der Mitglieder des Bundesrates und einer Mehrheit von mindestens zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen bedürfen.

Ich stelle zunächst die für die Abstimmung erforderliche Anwesenheit der Mitglieder des Bundesrates fest.

Ich bitte jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag des Ausschusses in der Fassung des Antrages der Bundesräte Jürgen Weiss und Kollegen zustimmen, den im Artikel VII Abs. 8 lit. d und e des vorliegenden Beschlusses enthaltenen verfassungsändernden Bestimmungen gemäß Artikel 50 Abs. 1 zweiter Satz B-VG beziehungsweise Artikel 50 Abs. 3 B-VG in Verbindung mit Artikel 44 Abs. 2 B-VG die verfassungsmäßige Zustimmung zu erteilen, um ein Handzeichen. – Dies ist die Stimmenmehrheit.

Der Antrag, den zitierten verfassungsändernden Bestimmungen die verfassungsmäßige Zustimmung zu erteilen, ist somit unter Berücksichtigung der besonderen Beschlußerfordernisse angenommen.

Ausdrücklich stelle ich die verfassungsmäßig erforderliche Zweidrittelmehrheit fest.

Ich bitte jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem vorliegenden Beschluß des Nationalrates im Sinne des Artikels 50 Abs. 1 zweiter Satz B-VG die verfassungsmäßige Zustimmung erteilen, um ein Handzeichen. – Dies ist die Stimmenmehrheit.

Der Antrag, dem vorliegenden Beschluß im Sinne des Artikels 50 Abs. 1 zweiter Satz B-VG die verfassungsmäßige Zustimmung zu erteilen, ist somit angenommen.

Weiters bitte ich jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den Beschluß des Nationalrates, gemäß Artikel 50 Abs. 2 B-VG den gegenständlichen Staatsvertrag durch die Erlassung von Gesetzen zu erfüllen, keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Es ist dies die Stimmenmehrheit.

Der Antrag, gegen den Beschluß des Nationalrates, gemäß Artikel 50 Abs. 2 B-VG den gegenständlichen Staatsvertrag durch die Erlassung von Gesetzen zu erfüllen, keinen Einspruch zu erheben, ist somit angenommen.


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2. Punkt

Beschluß des Nationalrates vom 22. Jänner 1998 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Konsulargebührengesetz 1992 geändert wird (930 und 1046/NR sowie 5628/BR der Beilagen)

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Wir gelangen nun zum 2. Punkt der Tagesordnung: Bundesgesetz, mit dem das Konsulargebührengesetz 1992 geändert wird.

Die Berichterstattung hat Herr Bundesrat Vindl übernommen. Ich bitte ihn um den Bericht.

Berichterstatter Wolfram Vindl: Mit der Inkraftsetzung der Schengener Übereinkommen für Österreich muß auch jener Tarifsatz des Konsulargebührengesetzes geändert werden, der die Höhe der Gebühren für die Erteilung von Sichtvermerken regelt. Die Novellierung des Konsulargebührengesetzes gehört daher zu dem Paket von gesetzlichen Maßnahmen, mit denen die Schengener Übereinkommen für den österreichischen Rechtsbereich umgesetzt werden. Bei der Neufassung des Konsulargebührengesetzes sind die entsprechenden neuen Bestimmungen des neuen Fremdengesetzes, vor allem über die Kategorisierung der verschiedenen Arten von Sichtvermerken, zu berücksichtigen.

Der Außenpolitische Ausschuß stellt nach Beratung der Vorlage am 10. Februar 1998 mit Stimmenmehrheit den Antrag, keinen Einspruch zu erheben.

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Danke für den Bericht.

Wir gehen in die Debatte ein.

Zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesrat Gudenus. – Bitte.

11.56

Bundesrat Mag. John Gudenus (Freiheitliche, Wien): Frau Präsidentin! Frau Bundesministerin! Meine Damen und Herren! Die Novellierung des Konsulargebührengesetzes gehört zu einem Paket von gesetzlichen Maßnahmen, mit denen die Schengener Übereinkommen für den österreichischen Rechtsbereich umgesetzt werden. Meine eher theoretische Frage geht dahin: Was wäre, wenn das österreichische Parlament dieser Regierungsvorlage nicht zugestimmt hätte? Was würde passieren, wenn sich Österreich souverän verhalten und sagen würde: Dem stimmen wir nicht zu!?

Ist die Zustimmung erforderlich, weil wir Mitglied der EU sind? – Dann wäre es eigentlich kaum mehr notwendig, daß wir hier darüber sprechen und so tun, als ob wir darüber entscheiden könnten, zuzustimmen oder nicht zuzustimmen. Ist diese Vorlage den Schengener Abkommen gemäß jedoch nicht erforderlich, dann bräuchten wir dieses Procedere nicht. Ich frage mich also, weshalb wir uns in einem weiteren Schengen-abhängigen und EU-abhängigen Vorgang zu einer Zustimmung bequemen – zumindest was die Vertreter der Regierungsparteien betrifft –, wenn wir wissen, daß wir eigentlich gar keine Chance haben, nicht zuzustimmen.

Dieses Gesetzesvorhaben stellt auch im übertragenen Sinne den österreichischen Bürger schlechter als den nach Österreich oder in die EU einreisenden Bürger. Ich sage "im übertragenen Sinne", denn für österreichische Bürger werden innerhalb Österreichs ständig Gebühren und Abgaben erhöht. Wir sind diejenigen, die den Einnahmenausfall durch die Verbilligung der Gebühren für Ausländer auffangen müssen – wir hier, aber auch unsere Staatsbürger. Es ist einfach nicht einsichtig, daß wir hier zum Vorteil der Ausländer, und zwar sogar nicht nur jener innerhalb der EU, sondern auch jener außerhalb der EU, aber zum Nachteil der österreichischen Staatsbürger ein Gesetz beschließen.

Was die Ausländer anlangt, ist die Interessenlage weiterer EU-Staaten in bezug auf Einreisende natürlich oftmals eine andere als jene, die Österreich haben muß. Sie ist daher unterschiedlich. Ich frage mich, wieso Österreich dazu kommt, eine durchaus vernünftige Regelung, die in bezug auf Sichtvermerke vorhanden ist, aufheben zu müssen, sodaß jemand, der in einen x-beliebigen


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EU-Staat einreist, auch in Österreich sofort aufgenommen wird. Ich frage mich wirklich: Was ist der Grund? Es sind nicht unsere Interessen, die durch dieses Abkommen vertreten werden. (Vizepräsident Weiss übernimmt den Vorsitz.)

So wie ich den Satz "dein Freund ist nicht mein Feind" entschieden zurückweise, zweifle ich aber auch an der Richtigkeit des Gegenteils, nämlich daß "dein Freund mein Freund sein muß". Mit diesem Gesetz wird eine weitere Scheibe österreichischer Souveränität am Altar Schengens und der EU geopfert.

Wir lehnen dieses Gesetz ab. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

12.00

Vizepräsident Jürgen Weiss: Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Wünscht jemand das Wort? – Es ist dies nicht der Fall.

Die Debatte ist geschlossen.

Wird von der Berichterstattung ein Schlußwort gewünscht? – Dies ist ebenfalls nicht der Fall.

Wir kommen zur Abstimmung.

Ich bitte jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den vorliegenden Beschluß des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Es ist dies Stimmenmehrheit.

Der Antrag, keinen Einspruch zu erheben, ist somit angenommen.

3. Punkt

Beschluß des Nationalrates vom 22. Jänner 1998 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Schulzeitgesetz 1985 geändert wird (939 und 1058/NR sowie 5630/BR der Beilagen)

4. Punkt

Beschluß des Nationalrates vom 22. Jänner 1998 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Landeslehrer-Dienstrechtsgesetz 1984 geändert wird (950 und 1059/NR sowie 5626 und 5631/BR der Beilagen)

5. Punkt

Beschluß des Nationalrates vom 22. Jänner 1998 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das land- und forstwirtschaftliche Landeslehrer-Dienstrechtsgesetz 1985 geändert wird (941 und 1060/NR sowie 5632/BR der Beilagen)

Vizepräsident Jürgen Weiss: Wir gelangen nun zu den Punkten 3 bis 5 der Tagesordnung, über welche die Debatte unter einem abgeführt wird.

Es sind dies:

ein Bundesgesetz, mit dem das Schulzeitgesetz 1985 geändert wird,

ein Bundesgesetz, mit dem das Landeslehrer-Dienstrechtsgesetz 1984 geändert wird, und

ein Bundesgesetz, mit dem das land- und forstwirtschaftliche Landeslehrer-Dienstrechtsgesetz 1985 geändert wird.

Die Berichterstattung über die Punkte 3 bis 5 hat Herr Bundesrat Peter Rieser übernommen. Ich bitte ihn um den Bericht.


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636. Sitzung / Seite 55

Berichterstatter Peter Rieser:
Sehr geehrter Herr Präsident! Frau Bundesministerin! Ich bringe die Berichte zu den Tagesordnungspunkten 3, 4 und 5. Die Berichte liegen Ihnen schriftlich vor, und ich nehme daher Abstand von einer Verlesung.

Zum Tagesordnungspunkt 3:

Der Unterrichtsausschuß stellt nach Beratung der Vorlage am 10. Februar 1998 mit Stimmeneinhelligkeit den Antrag, keinen Einspruch zu erheben.

Zum Tagesordnungspunkt 4:

Der Unterrichtsausschuß stellt nach Beratung der Vorlage am 10. Februar 1998 mit Stimmen-einhelligkeit den Antrag, keinen Einspruch zu erheben.

Zum Tagesordnungspunkt 5:

Der Unterrichtsausschuß stellt nach Beratung der Vorlage am 10. Februar 1998 mit Stimmeneinhelligkeit den Antrag, keinen Einspruch zu erheben. – Danke.

Vizepräsident Jürgen Weiss: Ich danke für die Berichterstattung.

Wir gehen in die Debatte ein, die über die zusammengezogenen Punkte unter einem abgeführt wird.

Zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesrat Herbert Platzer. Ich erteile es ihm.

12.03

Bundesrat Herbert Platzer (SPÖ, Niederösterreich): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Bundesministerin! Meine Damen und Herren Bundesräte! Ich möchte nicht verhehlen, daß ich eigentlich lieber zu Themen gesprochen hätte, wie sie in der Pflichtschullehrer-Zeitung, die ich gestern erhalten habe, dargestellt sind: Erstellung eines Gesamtbildungskonzeptes, Fachkompetenz der Lehrerinnen und Lehrer stärken oder auch notwendige zeitbedingte Veränderungen mitgestalten und mitverantworten. – In den dritten Punkt würde zumindest das Schulzeitgesetz hineinfallen.

Wir werden also heute das Schulzeitgesetz 1985 ändern. Die Staffelung der Semesterferien wird gelockert. Die Bundesländer haben die Möglichkeit, die Halbjahresferien um eine Woche vorzuverlegen oder eine Woche später anzusetzen. Diese Neuregelung gilt allerdings erst ab dem Jahr 2002, und es ist auch klar, daß es Vorlaufzeiten geben wird müssen und daß die Beschlüsse der Länder, so sie eine Änderung wollen, im Jahr 2000 zu erfolgen haben.

Die bisherige Dreierstaffelung – in der ersten Woche Wien, Niederösterreich, in der dritten Woche Steiermark, Oberösterreich, in der zweiten Woche die anderen Bundesländer – ist bekannt. Die nunmehrige Neuregelung erfolgt aus fremdenverkehrspolitischen Gründen.

Es müssen sich die Landesschulräte und die Bundesländer einig sein und an das Ministerium herantreten, und es wird dort auch die Akzeptanz erfolgen, wenn – ich darf zitieren – "keine verkehrspolitischen oder überregionalen Interessen entgegenstehen".

Ich darf an den Beginn der Halbjahresferien zurückerinnern: Sie wurden ursprünglich "Energieferien" genannt und sind im Bewußtsein vieler Menschen heute noch als solche verankert. Der Sinn dieser Energieferien war damals, Heizenergie, Stromenergie in den Schulen zu sparen, aber auch der Tourismuswirtschaft ein willkommenes Fenster aufzumachen. Die Tourismuswirtschaft hat, wie ich mich erinnere, damals versprochen, keine höheren Preise für die Ferienwochen zu verlangen. Was daraus geworden ist, wissen wir alle. Das ist aber ein anderes Kapitel.

Vor 1995 hatten sich die einzelnen Bundesländer auf die jeweiligen Semesterferien zu einigen. Ich erinnere mich, daß es dabei große Schwierigkeiten gegeben hat. Ich denke etwa an die Dis


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kussionen im Landesschulratskollegium von Niederösterreich, in dem es geheißen hat: In Niederösterreich könnte es in einer Familie Schüler geben, die in drei Bundesländern zur Schule gehen. Aus einer Familie, die in Wiener Neustadt zu Hause ist, könnte ein Schüler in Wien, ein zweiter in Niederösterreich und ein dritter vielleicht im Burgenland zur Schule gehen. Daher wäre es sehr schwierig, eine andere Ferienstaffelung zu machen als Wien, Niederösterreich, Burgenland. So war es auch lange Zeit der Fall. Nur sinnvoll war das sicherlich nicht, wenn man bedenkt, daß dann Autos aus drei Bundesländern, wobei aus Wien und Niederösterreich viele Menschen in die Ferien gefahren sind, die Autobahnen kilometerlang verstopft haben.

Daher war es gut, daß 1995 die Fixierung vorgenommen worden ist, daß es drei Staffeln gibt. Das war zumindest schülerpopulationsmäßig eine halbwegs gerechte Verteilung und, wie ich meine, auch im Hinblick auf die Belastung der Straßen, aber auch in bezug auf die Tourismusorte.

Nun beschließen wir eine weitere Flexibilisierung. Es ist klar, daß Semesterferien eine wichtige fremdenverkehrswirtschaftliche Bedeutung haben, und daher begrüße ich diesen heutigen Beschluß. Ich meine aber auch, daß man, wenn man konsequent weiterdenkt, auch die Überlegung anstellen könnte, ob tatsächlich dieser große Block von neun Wochen im Sommer auf einmal konsumiert werden muß oder ob man nicht Teile dieser neun Wochen im Sommer auf den Herbst, auf den Frühling oder auch auf die zwei Ferienblöcke im Winter verlegen könnte, was wahrscheinlich auch wieder der Tourismuswirtschaft zugute kommen würde. Warum sollte man nicht auch darüber eine Diskussion eröffnen?

Nur ein paar Sätze zum Landeslehrer-Dienstrechtsgesetz. Genauso wie es die Flexibilität bei der Ferienordnung gibt, die ich für gut halte, könnte es, so meine ich, auch eine Flexibilität beim Einsatz der Lehrer geben. Mehr Flexibilität und Mobilität zunächst einmal bei den Berufsschullehrern auf freiwilliger Basis, aber auch was den Einsatz der Lehrer an landwirtschaftlichen Bundesschulen betrifft, wären durchaus wünschenswert.

Abschließend sei daher gesagt: Alle drei Gesetzesnovellen sind zu befürworten und werden von meiner Fraktion selbstverständlich mitbeschlossen. (Beifall bei SPÖ und ÖVP.)

12.08

Vizepräsident Jürgen Weiss: Als nächster Rednerin erteile ich Frau Bundesrätin Barbara Pühringer das Wort. – Bitte.

12.08

Bundesrätin Uta Barbara Pühringer (ÖVP, Oberösterreich): Herr Präsident! Frau Bundesministerin! Meine Damen und Herren! Uns liegen, wie schon gesagt, drei Gesetze aus dem Schulbereich vor, denen meine Fraktion die Zustimmung erteilen wird.

Zum Schulzeitgesetz: Im oberösterreichischen Schulzeitgesetz gibt es – wie wahrscheinlich auch in den anderen Bundesländern – die Regelung, daß der Landesschulrat per Verordnung den Beginn der Semesterferien für einzelne Bereiche des Bundeslandes verschieben kann, wenn örtliche Gegebenheiten, zum Beispiel auch fremdenverkehrspolitische Gründe, das zwingend erfordern. Ein Abweichen für das gesamte Bundesland ist aber derzeit nicht vorgesehen. Das wird nun, wie schon von meinem Vorredner ausgeführt wurde, in der vorliegenden Novelle dadurch ermöglicht, daß künftig das Unterrichtsministerium einem Antrag, der von der jeweiligen Landesregierung und dem Landesschulrat gemeinsam kommen muß, nachkommen kann, wenn dies aus fremdenverkehrspolitischen Gründen wichtig erscheint – eine Möglichkeit, von der wahrscheinlich am ehesten unser westlichstes Bundesland Gebrauch machen wird. Ich glaube, von dort ist auch dieser Wunsch ausgegangen.

Im Unterrichtsausschuß wurde von einem der Mitglieder die Frage gestellt, ob das nun die letzte Änderung sei oder ob noch weitere Novellen, weitere Änderungen des Schulzeitgesetzes zu erwarten seien. Mein Vorredner hat diesbezüglich schon einige Wünsche anklingen lassen und gemeint, daß man darüber diskutieren sollte. Auch ich habe einen Wunsch: Ich hoffe sehr, daß es noch zu einer Änderung kommt – nicht in bezug auf die Semesterferienregelung, aber in bezug auf einen anderen Punkt.


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Im Bundesschulzeitgesetz heißt es, daß die Schulbehörde, also der Bezirksschulrat und der Landesschulrat, einen Zwickeltag, aus welchem Grund auch immer, nicht unterrichtsfrei geben darf. Ich glaube, daß dieser Satz gestrichen werden sollte. Wir haben das seinerzeit in einer Stellungnahme zum Bundesgesetz zum Ausdruck gebracht, und der Oberösterreichische Landtag hat diesbezüglich auch eine Resolution verfaßt. Derzeit kann aufgrund des gültigen Gesetzes nur die einzelne Schule in ihrer schulautonomen Verantwortung, durch Abstimmung im Schulforum, durch Abstimmung von Eltern und Lehrern gemeinsam, über Zwickeltage entscheiden. Das führt – diese Erfahrung haben wir in Oberösterreich gemacht – leider zu unkoordinierten Maßnahmen. In Oberösterreich trifft uns das vielleicht deswegen mehr als andere Bundesländer, weil wir im Pflichtschulbereich die Fünf-Tage-Woche haben und daher in jedem Jahr mindestens zwei solche Zwickeltage haben, folgend auf die zwei Donnerstag-Feiertage. Das führt dazu, daß in einer Familie Kinder, die unterschiedliche Schulen besuchen, unterschiedlich schulfrei haben, und das schafft Probleme für die Eltern und wird vor allem von den Eltern kritisiert.

Der Landesschulrat kann diesbezüglich nur eine Empfehlung abgeben, die aber von den Schulen nicht befolgt werden muß. Eine einheitliche Lösung ist schwer machbar. Ich möchte Ihnen dieses Problem aber trotzdem ein bißchen nahebringen. Ich werde das in Oberösterreich weiterhin beobachten. Vielleicht handelt es sich nur um Anfangsschwierigkeiten, denn Autonomie und Eigenverantwortung sind sicherlich eine schwierige Sache. Es mag Ihnen vielleicht als ein Randproblem erscheinen, das nicht so wichtig ist, aber ich spüre in unserem Bundesland, daß es derzeit doch Unruhe und ungute Auseinandersetzungen verursacht.

Nun zum Dienstrecht der Berufsschullehrer und Lehrer an land- und forstwirtschaftlichen Schulen.

Die vorliegende Novelle wird von den betroffenen Lehrergruppierungen als positiv angesehen. Sie können künftig unter bestimmten Voraussetzungen bundeslandübergreifend verwendet werden, nämlich dann, wenn sie im eigenen Bundesland nicht vollbeschäftigt werden können, also dort ihre Lehrverpflichtung nicht erfüllen, wenn diese Maßnahme vor allem vom unterrichtlichen Standpunkt her zweckmäßig ist, wenn zum Beispiel ein Lehrer ein Mangelfach abdeckt, das im anderen Bundesland gefragt ist, und wenn der betroffene Lehrer einverstanden ist.

Ich glaube nicht, daß es zu einem Berufsschullehrer-Tourismus von einem Bundesland in das andere kommen wird. Eine Frage, die aber in diesem Zusammenhang im Bundesland geklärt werden muß, ist der finanzielle Ausgleich zwischen zwei betroffenen Bundesländern. Die Kosten für diese Lehrer werden nämlich zu je 50 Prozent vom Bund und vom Land getragen, und es ist nicht zu erwarten, daß ein Bundesland 50 Prozent jener Stunden finanziert, die ein Lehrer in einem anderen Bundesland erbringt. Ich glaube aber, das ist kein großes Problem, es ist leicht lösbar.

Jedenfalls ermöglicht diese neue Regelung mehr Flexibilität, und vor allem – das sagen mir die betroffenen Lehrer – hilft es kleinen Berufsgruppen innerhalb der Lehrerschaft, eher eine Vollbeschäftigung und eine Dauerbeschäftigung zu bekommen.

Ich möchte im Zusammenhang mit dem Dienstrecht der Lehrer Bemerkungen, die Frau Abgeordnete Schaffenrath vom Liberalen Forum im Nationalrat anläßlich der Beschlußfassung dieses Gesetzes gemacht hat, nicht unkommentiert lassen. Sie hat nämlich gemeint, daß sie beziehungsweise ihre Fraktion letztmalig einer Änderung des Landeslehrer-Dienstrechtsgesetzes, das für die pragmatisierten Lehrer gilt, zustimme, weil sie glaube, daß die Pragmatisierung ein Relikt eines patriarchalischen Beamtenstaates sei und daß Pragmatisierung leistungshemmend sei.

Ich halte das für eine Fortsetzung der leider erfolgreichen Bemühungen, in der Öffentlichkeit weiterhin Neid zu erzeugen. Ich halte das für eine Fortsetzung der Beamten- und der Lehrerhatz, die, nachdem man sich nach den zwei Sparpaketen doch wieder etwas beruhigt hat, von einzelnen Politikern und von Medien als dankbares Thema in der Öffentlichkeit leider weitergeführt wird.


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636. Sitzung / Seite 58

Die Zeit für eine Forderung "Weniger Sicherheit für Lehrer!" ist sicher günstig. Wenn in vielen Bereichen Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes herrscht, und man weiß, daß letztlich auch Qualifikation kein Garant mehr für einen sicheren Arbeitsplatz ist, vor allem ab einem gewissen Alter, dann ist es nicht verwunderlich, daß vermehrt Neid gegen Berufsgruppen aufkommt, die diese Unsicherheit nicht haben. Es ist für manche nicht einsichtig, warum es andere besser haben sollen.

Was aber das pragmatische Dienstverhältnis für beamtete Lehrer, für Beamte tatsächlich bringt und sichert, das wissen diese Kritiker und Neider meist nicht. Was machen sie uns zum Vorwurf?

Da wird einmal die Behauptung aufgestellt, pragmatisierte Lehrer könnten nicht entlassen werden, könnten nicht gekündigt werden. Beides stimmt nicht beziehungsweise nur bedingt. Es gibt ein Regulativ zur Entlassung jener, die sich etwas Gravierendes zuschulden kommen ließen, und es gibt auch ein Regulativ für Kündigung bei krasser Minderleistung.

Der Lehrer ist aber durch die Pragmatisierung in seiner unterrichtlichen Tätigkeit vor Willkür, zum Beispiel auch vor politischer Willkür – sagen Sie bitte nicht, das gibt es bei uns nicht, das gibt es in der heutigen Zeit nicht –, oder vor bestimmten Interesseneinflüssen geschützt. Und diesen Schutz – ich meine jetzt nicht den Schutz für Minderleister – muß man auch im Falle einer Abschaffung der Pragmatisierung wieder sichern.

Es wird auch behauptet, Pragmatisierte könnten nicht versetzt werden, und dadurch sei das ganze System so unflexibel. Das stimmt ebenfalls nicht. Es gibt genügend dienstliche Notwendigkeiten, nach denen eine Versetzung nicht nur unumgänglich, sondern auch möglich ist.

Ein weiterer Vorwurf: Pragmatisierte erhalten eine bessere Pension. Darauf brauche ich nicht näher einzugehen. Wir haben im Dezember im Bundesrat das 1. Budgetbegleitgesetz behandelt, das eine schrittweise Harmonisierung der Pensionssysteme bringen wird, und ihm auch zugestimmt.

Eine letzte Bemerkung, die ich auch immer wieder höre: Pragmatisierte verdienen besser. – Das Gegenteil ist der Fall. Ich habe vorgestern einen Artikel in den "Salzburger Nachrichten" gelesen und möchte einen Satz daraus zitieren. Darin heißt es: Die Regierung will mit der Beamtengewerkschaft demnächst über eine weitgehende Abschaffung der Pragmatisierung verhandeln. Sie glaubt, daß Angestellte billiger sind als Beamte. Untersuchungen aus dem In- und Ausland sagen das Gegenteil.

Sollte die Pragmatisierung abgeschafft werden, werden wir als Lehrervertreter – ich kann aber nur für meinen Bereich sprechen – uns nicht dagegen stellen. Die Frau Ministerin weiß das. Wir sagen aber auch, wenn es soweit kommt, dann muß ein neues Dienstrecht geschaffen werden. Wir meinen auch, daß man sich vorher über den weiteren gesetzlichen Regelungsbedarf klar werden muß.

Es kann doch nicht so sein, daß man sagt: Es wird nicht mehr pragmatisiert!, und daß man der Meinung ist, die pragmatisierten Beamten oder Lehrer sterben einfach mit der Zeit ohnehin aus, und dann gibt es nur mehr das Vertragsbedienstetengesetz. Das genügt nicht, denn vieles, was den dienstlichen Bereich der Lehrer regelt, steht eben nur im Landeslehrer-Dienstrechtsgesetz.

Ich nenne nur ein Beispiel unter vielen: Es ist darin die Frage geregelt, wie ein Schulleiter ernannt wird, unter welchen Voraussetzungen er sich bewerben kann, in welche Reihung er hinsichtlich seiner Bewerbung gebracht wird und wie er dann Schulleiter wird. Wenn es aber keine Pragmatisierten mehr gibt, dann muß man das neu regeln. Wir haben in Oberösterreich jetzt schon die Situation, daß wir hauptsächlich im ländlichen Bereich vereinzelt Kleinschulen ausgeschrieben haben, für die es keinen Bewerber gegeben hat, weil es dort nur mehr Jüngere, noch nicht Pragmatisierte gibt. Diese hätten zwar Interesse, konnten sich aber aus rechtlichen Gründen nicht bewerben.


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Wenn man nur die Pragmatisierung abschaffen will, zeugt das sicherlich von einer fehlenden Kenntnis der rechtlichen Situation, von einer fehlenden Kenntnis der gesetzlichen Notwendigkeiten und, wie ich glaube, auch von einem mangelnden Verantwortungsbewußtsein.

Ich nehme an, daß uns dieses Thema in Kürze hier beschäftigen wird, und ich hoffe, daß man sich nicht populistisch und oberflächlich, sondern verantwortungsvoll und kompetent damit auseinandersetzt. – Danke schön. (Beifall bei der ÖVP und bei Bundesräten der SPÖ.)

12.21

Vizepräsident Jürgen Weiss: Als nächstem Redner erteile ich Herrn Bundesrat Dr. Reinhard Eugen Bösch das Wort. – Bitte.

12.21

Bundesrat Dr. Reinhard Eugen Bösch (Freiheitliche, Vorarlberg): Herr Vizepräsident! Frau Ministerin! Wir diskutieren heute diese drei Gesetze aus dem Schulbereich. Ich werde zum Schulzeitgesetz Stellung nehmen, bezüglich dessen wir im Bundesrat schon einmal, nämlich im Jahre 1995, in dieselbe Richtung hin diskutiert haben, in der wir heute hier eine Änderung beschließen.

Am 6. 7. 1995 hatten wir dieses Gesetz schon einmal im Plenum zu beraten. Schon damals gab es die verschiedensten Vorstöße, vor allem aus den westlichsten Bundesländern, daß man aus touristischen Gründen, wenn die Semesterferien mit der Faschingswoche zusammenfallen sollten, eine Verschiebung dieser Semesterferien ermöglichen müßte, damit es zu keiner Überlastung der Feriengebiete kommt, damit keine Geschäftsverluste eintreten, damit es zu keinen Überbuchungen und auch zu keiner Verkehrsüberlastung kommt.

In der damaligen Debatte konnten wir uns auf die Stellungnahme der Vorarlberger Landesregierung vom 18. 4. 1995 und auf eine Stellungnahme des Vorarlberger Tourismusverbandes vom 9. 6. 1995 stützen. In weiterer Folge haben dann die freiheitlichen Nationalratsabgeordneten am 6. 4. 1996 unter der Nummer 158 einen Antrag im Nationalrat eingebracht und diesen am 17. 4. 1997 mit der Nummer 446 wiederholt und bekräftigt. Es gab dann von seiten der Koalitionsparteien eigene Initiativen, und diese Initiativen gipfeln nunmehr in dieser Regierungsvorlage, die wir heute hier beschließen. Man kann daher sagen, daß nach drei Jahren diesem, so glaube ich, berechtigten föderalistischen Anliegen zum Durchbruch verholfen wurde.

Diese Regierungsvorlage, Frau Ministerin, die Sie hier heute vorlegen und die wir auch im Bundesrat debattieren können, ist von unserer Seite aus begrüßenswert. Wir Freiheitlichen werden deshalb diesem einen Gesetz und auch den beiden anderen Schulgesetzen die Zustimmung geben. (Beifall bei den Freiheitlichen und bei Bundesräten der ÖVP.)

12.24

Vizepräsident Jürgen Weiss: Als nächster Rednerin erteile ich Frau Bundesrätin Ilse Giesinger das Wort. – Bitte.

12.24

Bundesrätin Ilse Giesinger (ÖVP, Vorarlberg): Sehr verehrte Frau Ministerin Gehrer! Sehr geehrter Herr Präsident! Auch ich möchte heute zum Schulzeitgesetz Stellung nehmen. Die 1995 vorgenommene Neuregelung der Semesterferien beseitigte die früher für alle Betroffenen unbefriedigende, weitgehend unkoordiniert gehandhabte Flexibilität bei der Festlegung der Ferienwoche. Diese Regelung war so starr, daß regionale Unterschiede nicht berücksichtigt werden konnten.

Der regionale Unterschied betrifft vor allem auch das Bundesland Vorarlberg, das aufgrund seiner Lage kaum Berührungspunkte mit den Semesterferien der anderen Länder hat. Weder fahren viele Vorarlberger zum Schifahren in andere Bundesländer, noch haben wir, von Lech abgesehen, im Winter einen großen Gästeanteil von Familien aus anderen Bundesländern. Zwei Drittel unserer Wintersportgäste kommen aus Deutschland, ein weiterer erheblicher Teil kommt aus den Niederlanden zu uns. Daher liegt es auf der Hand, daß wir den Zweck des Schulzeitgesetzes, nämlich eine für die Buchungs- und Verkehrsverhältnisse nachteilige Ballung von Ferien


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terminen zu vermeiden, nicht durch Koordinierung mit anderen Bundesländern, sondern nur durch Abstimmung unserer Ferienwoche mit den Ferienwochen der wichtigsten Herkunftsländer unserer ausländischen Gäste erreichen können.

Der Winter 1997 hat gezeigt, wie nachteilig das Zusammentreffen unserer Semesterferien mit der winterlichen Hauptferienzeit in Deutschland ist. Dabei darf man nicht nur an die Tourismuswirtschaft und an die Überlastung von Straßen und Schipisten denken. Ich denke auch an jene zahlreichen Familien, die mit der preistreibenden Konkurrenz um freie Hochsaisonzimmer, vor allem in günstigen Unterkünften, nicht mithalten können.

Dieses Problem kann nicht dadurch gelöst werden, daß die Semesterferien für Vorarlberger gesetzlich – und somit dauerhaft – von der zweiten auf die erste oder dritte Februarwoche verlegt werden, weil es dann von Jahr zu Jahr, je nach den deutschen Ferienterminen verschieden, zu neuen Kollisionen kommen würde.

Nachdem nun dieses Anliegen bei der letzten Novellierung des Schulzeitgesetzes mangels eines politischen Konsenses in dieser Zweidrittel-Materie nicht mehr berücksichtigt werden konnte, erhielten wir Vorarlberger Bundesräte aufgrund einer parlamentarischen Anfrage von Frau Bundesministerin Gehrer die Zusage, daß in gemeinsamen Gesprächen geklärt werde, wie für Vorarlberg eine sachgerechte Flexibilität der Ferientermine erreicht werden könnte.

Ich und auch Vizepräsident Weiss danken daher, daß diese Zusage nun, nach langwierigen Bemühungen um die erforderliche Zweidrittelmehrheit, im Nationalrat eingelöst werden konnte und unter bestimmten Bedingungen die Verschiebung der Semesterferien um eine Woche erlaubt. Diese Regelung ist nicht nur auf Vorarlberg beschränkt, sondern käme bei Bedarf auch anderen Ländern mit einer vergleichbaren Situation zugute. Daher ist diese gefundene Lösung, wonach eine in Aussicht genommene Verschiebung frühzeitig – zwei Jahre vorher – eingeleitet werden muß, im allgemeinen Interesse, da nun sowohl den Schulen wie auch den Eltern eine langfristige Planung möglich ist.

Bei der Vorbereitung dieses Beitrages bin ich auf einen im Bundesrat am 26. Juni 1987 eingebrachten und dann auch einstimmig beschlossenen Entschließungsantrag gestoßen, mit dem unter anderen von Dr. Helmut Frauscher, Maria Rauch-Kallat und Dr. Christa Krammer eine flexiblere Gestaltung der Wintersemesterferien gefordert wurde. Sie kam tatsächlich, führte zu Fehlentwicklungen und wurde dann wieder zurückgenommen.

Mit dem heutigen Gesetzesbeschluß sind wir nun dort, wo die Bundesrats-Entschließung aus dem Jahre 1987 eigentlich hinwollte, nämlich bei einer Bedachtnahme auf die spezifische Situation in den einzelnen Bundesländern, insbesondere hinsichtlich der angrenzenden Nachbarländer. Ich freue mich und danke daher nochmals, daß wir es nun endlich geschafft haben! (Beifall bei der ÖVP und bei Bundesräten der SPÖ.)

12.28

Vizepräsident Jürgen Weiss: Ich erteile Frau Bundesministerin Elisabeth Gehrer das Wort. – Bitte.

12.28

Bundesministerin für Unterricht und kulturelle Angelegenheiten Elisabeth Gehrer: Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Diese Novelle zum Schulzeitgesetz ist auch ein Zeichen für einen gelebten Föderalismus. Wir wollen es ermöglichen, dort, wo Schwierigkeiten auftauchen, Lösungen zu finden, die dem Bundesland angepaßt sind.

Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Es geht mir dabei vor allem um die Kinder. Es geht mir darum, daß die Kinder in ihrer Semesterferienwoche die Möglichkeit zum Schifahren haben, daß die Pisten nicht "überfüllt" sind, daß es die Möglichkeit zur Erholung gibt. Daher, so glaube ich, ist es ein wichtiger Schritt, daß wir das durch eine mögliche Verlegung den Bundesländern selber überantworten. Daß dabei eine gewisse Koordinationsfunktion vorhanden sein muß, wird dadurch ausgedrückt, daß die Bundesländer den Antrag stellen – die Landesregierungen, die Lan


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desschulräte –, aber vom Bundesministerium die Genehmigung erteilt und die Begründung überprüft werden muß.

Wenn gefragt wird, ob am Schulzeitgesetz nie mehr etwas geändert wird, dann muß man sofort die Antwort geben: Das wird nicht möglich sein, denn alle Dinge verändern sich, alle Dinge entwickeln sich weiter.

Was mir natürlich auch ein Anliegen ist: Schulzeit muß Schulzeit bleiben. Mehr Ferien, so glaube ich, sind auch politisch nicht zu verantworten. Das heißt, es kann immer nur darum gehen, die Ferienzeiten besser, vernünftiger zu ordnen.

Jede Neuordnung bringt natürlich eine breite Diskussion mit sich, und die Vorschläge, man möge doch die Sommerferien verkürzen und dafür Herbstferien einführen, müßte man, wie ich meine, grundlegend beraten und politisch überdenken. Es müssen auch die Schulpartner zu diesen Vorschlägen befragt werden. Ich meine, daß gerade solche Entscheidungen nicht übers Knie gebrochen werden sollen.

Zu den beiden Gesetzen, die den Dienstbereich betreffen, nämlich zum L-DG und zum Dienstrecht für die landwirtschaftlichen Lehrer, ist festzustellen, daß wir damit auch unserem Ziel der Flexibilisierung Rechnung tragen. Es ist selbstverständlich, daß die Bundesländer über den finanziellen Ausgleich miteinander reden müssen. Das findet immer statt. Wenn Schüler eine Berufsschule besuchen, die sie nur in einem bestimmten Bundesland besuchen können, weil es nur dort diese Berufsschule gibt, gibt es auch einen finanziellen Ausgleich. Es ist Aufgabe der Länder, den finanziellen Ausgleich festzulegen.

Ich danke jedenfalls den Fraktionen dieses Hohen Hauses für die einmütige Zustimmung zu unserem Schulzeitgesetz und zu den zwei anderen Gesetzen. Ich glaube, daß es wichtig ist, daß Fragen der Schule, daß Fragen der Bildung von den politisch Verantwortlichen gemeinsam getragen werden. (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)

12.31

Vizepräsident Jürgen Weiss: Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort. – Es ist dies nicht der Fall.

Die Debatte ist daher geschlossen.

Wird von der Berichterstattung ein Schlußwort gewünscht? – Das ist ebenfalls nicht der Fall.

Die Abstimmung über die vorliegenden Beschlüsse des Nationalrates erfolgt getrennt.

Bevor ich in die Abstimmung eingehe, halte ich für das Protokoll fest, daß der zu Beginn der Sitzung entschuldigt gewesene Bundesrat Mag. Michael Strugl inzwischen anwesend ist.

Wir kommen zur Abstimmung über den Beschluß des Nationalrates vom 22. Jänner 1998 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Schulzeitgesetz 1985 geändert wird.

Ich bitte jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den vorliegenden Beschluß des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Es ist dies Stimmeneinhelligkeit.

Der Antrag, keinen Einspruch zu erheben, ist somit angenommen.

Wir kommen zur Abstimmung über den Beschluß des Nationalrates vom 22. Jänner 1998 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Landeslehrer-Dienstrechtsgesetz 1984 geändert wird.

Ich bitte jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den vorliegenden Beschluß des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Es ist dies Stimmeneinhelligkeit .


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Der Antrag ist somit angenommen.

Wir kommen zur Abstimmung über den Beschluß des Nationalrates vom 22. Jänner 1998 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das land- und forstwirtschaftliche Landeslehrer-Dienstrechtsgesetz 1985 geändert wird.

Ich bitte jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den vorliegenden Beschluß des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Es ist dies Stimmeneinhelligkeit.

Der Antrag, keinen Einspruch zu erheben, ist somit angenommen.

6. Punkt

Beschluß des Nationalrates vom 22. Jänner 1998 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Gleichbehandlungsgesetz geändert wird (842 und 1047/NR sowie 5629/BR der Beilagen)

Vizepräsident Jürgen Weiss: Wir kommen nun zum 6. Punkt der Tagesordnung: Bundesgesetz, mit dem das Gleichbehandlungsgesetz geändert wird.

Die Berichterstattung hat Herr Bundesrat Wolfgang Hager übernommen. Ich bitte ihn um den Bericht.

Berichterstatter Wolfgang Hager: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bericht des Sozialausschusses über den Beschluß des Nationalrates vom 22. Jänner 1998 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Gleichbehandlungsgesetz geändert wird, liegt Ihnen schriftlich vor. Ich verzichte daher auf dessen Verlesung.

Der Sozialausschuß stellt nach Beratung der Vorlage am 10. Februar 1998 mit Stimmenmehrheit den Antrag, keinen Einspruch zu erheben.

Vizepräsident Jürgen Weiss: Ich danke für den Bericht.

Wir gehen in die Debatte ein.

Zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesrat Engelbert Weilharter. Ich erteile es ihm.

12.34

Bundesrat Engelbert Weilharter (Freiheitliche, Steiermark): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Bundesministerin! Daß eine Änderung des Gleichbehandlungsgesetzes notwendig ist, bezweifle ich angesichts der Diskussion, wie sie in der vergangenen Woche von der Frauenministerin begonnen wurde. Daß Sie, Frau Ministerin, die Hausarbeit gesetzlich regeln wollen, grenzt an einen Faschingsscherz. Meiner Meinung nach geht es bei der Gleichbehandlung von Mann und Frau vielmehr um die Durchsetzung der Frauenrechte. Dazu haben Sie, Frau Ministerin, sich aber nicht geäußert.

Meine Damen und Herren! Allein die Aussage der Frauenministerin, daß sie bei eventueller Scheidung oder Trennung die Vermögensverhältnisse regeln will, läßt für mich den Schluß zu, daß es ihr mehr um die Vermögensverhältnisse geht als um intakte Familien in Österreich.

Meine Damen und Herren! Man hat vielmehr das Gefühl ... (Bundesrätin Schicker: Kein Applaus, Herr Kollege Weilharter! – Bundesrat Eisl: Da kann man nicht applaudieren, wenn es um die Trennung von Ehepartnern geht!)

Frau Kollegin Schicker! Man hat vielmehr das Gefühl, die Frau Ministerin verwechselt oder kennt in diesem Bereich die gesetzlichen Bestimmungen nicht, denn geschlechtsspezifische Benachteiligungen sind ohnedies nicht erlaubt; ich verweise in diesem Zusammenhang auf das Arbeitsrecht. Es gibt weder arbeitsrechtliche Bestimmungen noch Kollektivverträge, die Frauen oder Männer schlechterstellen dürfen (Bundesrat Payer: Dann schau dir die Statistik an!) , und es gibt


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diesbezüglich auch OGH-Erkenntnisse, die davon sprechen, daß es, wenn dies in der Praxis der Fall wäre, eine klare Diskriminierung wäre.

Meine Damen und Herren! Völlig richtig ist der Einwand von seiten der sozialdemokratischen Fraktion, daß es im Einkommen zwischen Männern und Frauen Unterschiede gibt, aber das bezieht sich lediglich auf das Durchschnittseinkommen, wobei man gleich dazusagen muß, daß man beim Durchschnittseinkommen korrekterweise die Basis für dessen Berechnung berücksichtigen muß.

Meine Damen und Herren! Selbstverständlich ist der Anteil der Teilzeitbeschäftigten bei Frauen höher, und dadurch ist selbstverständlich auch die Ausgangssituation für die Berechnung des Durchschnittseinkommens eine andere. (Bundesrat Payer: Warum selbstverständlich?) Allein der Umstand, daß Frauen in den schlechtbezahlten Branchen, wie beispielsweise in der Textilwirtschaft, beschäftigt sind und daß Männer in den besser bezahlten Branchen, wie etwa in der Metall- und Schwerindustrie, beschäftigt sind, erklärt schon, daß beim Durchschnittseinkommen ein Unterschied gegeben ist. Daher kann man nicht global sagen: Aufgrund der Durchschnittseinkommen käme es zur Diskriminierung. – Das ist nicht stichhaltig beziehungsweise nicht richtig.

Ein weiterer Gedanke dazu: Wie Sie wissen, hat selbstverständlich auch die Nachtarbeitsregelung einen Einfluß auf die Einkommenssituation. Auch da gibt es rechtlich unterschiedliche Ausgangsbasen. (Bundesrat Payer: Sie haben lange nachgedacht, um dieses Argument zu finden!)

Meine Damen und Herren! Herr Kollege Payer! Umgekehrt stellt sich die Situation im öffentlichen Dienst dar, vor allem bei den Beamten. Da liegen die Fraueneinkommen bei subjektiver Betrachtung 8 Prozent über jenen der Männer. Auch diese Zahl, meine Damen und Herren, läßt sich relativieren. So werden Frauen im Schuldienst aufgrund ihrer Verwendung und aufgrund ihrer Qualifizierung meistens besser bezahlt beziehungsweise entlohnt.

Die niedrige Einkommenssituation für Frauen ist in erster Linie darin begründet, daß bei den sogenannten traditionellen Frauenberufen, wie vorhin schon angeführt, zum Beispiel in der Textilwirtschaft, bedauerlicherweise niedrige Löhne gezahlt und niedrige Kollektivverträge abgeschlossen werden. Da, meine Damen und Herren, bedarf es keines Gleichbehandlungsgesetzes, sondern da ist längst die Gewerkschaft gefordert. Es hat die Gewerkschaft schlechte Löhne ausverhandelt. (Bundesrätin Schicker: Das ist eine leichte Erklärung! Das ist zu leicht!) Da erhebt sich die Frage, meine Damen und Herren: Wo war da Herr Verzetnitsch? Wo war da Frau Hostasch? Wo war da Frau Kollegin Kainz? Wo war da Kollege Drochter und wie sie alle heißen, die sogenannten Arbeitnehmervertreter? (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Da hätte ich mir, meine Damen und Herren, von den sogenannten Arbeitnehmervertretern aus der sozialdemokratischen Partei viel mehr Engagement erwartet. Vor allem hätte ich mir erwartet, daß sie sich für korrekte und gute Kollektivverträge einsetzen. (Bundesrat Freiberger: Geh mit streiken!)

Herr Kollege Freiberger! In Ihren Reihen gibt es eine rühmliche Ausnahme. Der Vorsitzende der steirischen Sozialdemokraten hat diesbezüglich ausgezeichnet reagiert. Vermutlich hat er das Programm der SPÖ umzusetzen versucht, oder es war sein persönlicher Stil, ich kann es nicht beurteilen. Faktum ist jedenfalls, daß der steirische SPÖ-Boss als kreativer Erfinder von Dienstposten, und zwar vor allem im Kulturbereich, die ehemalige Ministerin Konrad mit einem entsprechenden Posten versorgen wollte. Die selbsternannte Frauenrechtlerin Konrad (Bundesrätin Schicker: Was soll das?!) , meine Damen und Herren, fand daran nichts Übles und nichts Unanständiges. Sie hat ursprünglich auf diesem 58 000-S-Posten, der von ihrem Vorsitzenden Schachner frei erfunden wurde, beharrt.

Meine Damen und Herren! Genau mit diesen Methoden erweisen Sie der Sache der Gleichberechtigung, der Sache der Frauen einen Bärendienst. Nehmen Sie das, meine Damen und Herren von der Sozialdemokratie, endlich einmal zur Kenntnis! (Beifall bei den Freiheitlichen.)


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Meine Damen und Herren! Gerade in dieser Diskussion um die Postenbeschaffung für Frau Konrad war für uns Steirer die Haltung der Frauenministerin auffällig passiv. Wo waren Sie, Frau Ministerin Prammer, als der Fall Konrad in der Steiermark am Höhepunkt war? (Bundesrätin Schicker: Die Frauenministerin war in Graz! Wo warst du?) Warum haben Sie sich dazu nicht geäußert? Frau Ministerin Prammer! Entspricht das Verhalten Ihres Parteikollegen Schachner Ihrem Empfinden von Gleichberechtigung?

Solange, meine Damen und Herren, diese sogenannten Postenschachereien, wie wir es in der Steiermark bezeichnen, gang und gäbe sind und sich eine Frauenministerin davon nicht distanziert, so lange kann man dem Ansinnen der Frau Ministerin nicht glauben, daß es ihr und der Regierung um Gleichbehandlung geht.

Hohes Haus! Meine Damen und Herren! Aus den oben genannten Gründen ist für uns Freiheitliche die vorliegende Regierungsvorlage nichts anderes als ein Pseudoschritt, der Versuch, sich mit anderen Themen über die tatsächlichen Probleme hinwegzuturnen. (Bundesrat Payer  – in Richtung der Freiheitlichen –: Daher ist die Riess-Passer hinausgegangen! Es sind alle hinausgegangen! Die haben gewußt, was auf sie zukommt!) Die Vorlage mit der sogenannten beabsichtigten Regionalisierung, nämlich der Gleichbehandlungsanwaltschaft ... (Zwischenruf der Bundesrätin Schicker. )

Frau Kollegin Schicker! Die Gleichbehandlungsanwaltschaft in der vorliegenden Form ist ein laienhafter Versuch, sich über viele Ungereimtheiten, die es natürlich in diesem Bereich gibt, hinwegzuturnen. Die Umsetzung der Gleichbehandlung und die Einführung einer diesbezüglichen Beschwerdestelle wurden zwar angedeutet – Wien und das Umland werden zitiert –, aber ob es Alternativen dazu gibt, die unter Umständen effizienter wären, und zwar nicht nur im Kostenbereich, sondern auch in ihrer Wirkung, ist gar nicht erst geprüft worden.

Die Dezentralisierung dieser Gleichbehandlung, meine Damen und Herren, läßt natürlich auch die Frage aufkommen, inwieweit die Frau Ministerin mit ihrem Entwurf auf dem letzten Stand der Dinge ist. Es gibt in der Steiermark – ich als steirischer Mandatar zitiere natürlich wieder die Steiermark – eine Beschwerdestelle und eine Frauenbeauftragte. Bedeutet das, daß die Frauenbeauftragte obsolet ist?

Meine Damen und Herren! Dieser Gesetzentwurf ist, wie gesagt, daher nur ein Pseudoschritt. Daß es ein Pseudoschritt ist, bestätigt die Frauenministerin selbst: Am 14. 1. dieses Jahres hat sie nämlich im Ausschuß selbst gesagt – den Medien war es auch zu entnehmen –, daß es sich bei dem vorliegenden Entwurf nur um einen kleinen ersten Schritt handelt. Erforderlich wäre ihrer Meinung nach eine große vernünftige Novelle.

Meine Damen und Herren des Bundesrates! Wenn diese vernünftige große Novelle vorliegt, dann können Sie mit uns als Partner wieder rechnen, dann werden wir bereit sein, über dieses Thema in sachlicher Weise wieder zu diskutieren. Ich erwarte mir daher, daß man bis zum Vorliegen dieser großen, von der Frau Ministerin selbst geforderten Novelle wartet und nicht diesen Pseudoschritt setzt beziehungsweise dieser Vorlage nicht zustimmt. (Beifall bei den Freiheitlichen. – Bundesrätin Schicker: Auftrag ausgeführt!)

12.43

Vizepräsident Jürgen Weiss: Als nächster Rednerin erteile ich Frau Bundesrätin Aloisia Fischer das Wort. – Bitte.

12.43

Bundesrätin Aloisia Fischer (ÖVP, Salzburg): Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Bundesministerin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Gleichbehandlung, Gleichberechtigung für Männer und Frauen ist ein Handlungsauftrag. Sie muß in allen Bereichen, in der Familie, in der schulischen und beruflichen Ausbildung, im Beruf, in gesellschaftlichen und politischen Organisationen verwirklicht werden. Seit der offenen Thematisierung und auch der Bewußtseinsbildung hat sich viel in Bewegung gesetzt. Traditionsargumente gelten nur mehr bedingt. Ein sehr positiver Punkt: Buben und Mädchen sind in der Familie gleichviel wert.


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Frau Bundesministerin! Was die Aufteilung der Hausarbeit betrifft, so meine ich, daß schon in der Familie, in der Erziehung unserer Kinder der Grundstein für Partnerschaft gelegt werden muß, und zwar für Partnerschaft in allen Bereichen, nicht nur in der Hausarbeit, sondern auch in allen anderen angesprochenen Bereichen.

Eine unserer Forderungen heißt, bei gleicher Qualifikation von Frauen und Männern der Frau den Vorzug zu geben. Die Wirtschaft – so sehe ich das – ist männlich dominiert. Hinzu kommt noch, daß bei der momentanen Arbeitsplatzsituation auch die Männer oft gegenseitig in Konkurrenz treten. Es ist damit ein zusätzliches Problem, um der Forderung, bei gleicher Qualifikation der Frau den Vorzug zu geben, zur Durchsetzung zu verhelfen, dazugekommen.

Eine weitere Forderung von uns lautet: gleicher Lohn für gleiche Arbeit. In diesem Zusammenhang möchte ich den Sozialbericht 1996 zitieren. Darin ist ausgeführt, daß bei Männern bei mittlerem Verdienst 27 100 S herauskommen, und zwar unter Einbeziehung der Teilzeitarbeit, während Frauen 44 Prozent darunter liegen. Weiters heißt es darin, daß männliche Angestellte um zwei Drittel mehr verdienen als Frauen im Angestelltenverhältnis und daß männliche Arbeiter zirka drei Fünftel mehr verdienen als Frauen als Arbeiterinnen. Da ist noch sehr viel zu bewegen.

Es gibt für die Region Wien und das Umland bereits eine Anwältin für Gleichbehandlungsfragen, eine Beratungsstelle, die Frauen bei Ungereimtheiten in Anspruch nehmen und die in geringem Maße auch von Männern in Anspruch genommen wird. Es kommt nicht immer zu einem Verfahren, sondern viele bleiben reine Beratungsfälle. Zirka 2 100 Menschen haben bei dieser Beratungsstelle Rat gesucht, und bei 50 Fällen ist es letztlich zu einem Verfahren gekommen. Der Rest waren Beratungsfälle, es konnte im Gespräch Hilfe angeboten werden.

Es ist gut, daß Themen, die bisher tabuisiert waren, nun offen ausgesprochen werden können. Es ist gerecht, daß Frauen im ländlichen Raum die gleiche Chance bekommen wie Frauen in Wien und Umgebung. Es ist nämlich nicht zumutbar, daß Betroffene weite Reisen auf sich nehmen, um Beratung und Information in Anspruch nehmen zu können. Es ist daher gut, daß die Möglichkeit geschaffen wird, auch in den Bundesländern eine Stelle einzurichten, bei der den Frauen Unterstützung und Beratung geboten wird. Was ich nicht will, ist, daß darüber polemisiert oder gewitzelt wird, denn das haben unsere Frauen nicht verdient. Meine Fraktion wird dieser Regierungsvorlage die Zustimmung geben. (Beifall bei der ÖVP und bei Bundesräten der SPÖ.)

13.47

Vizepräsident Jürgen Weiss: Als nächster Rednerin erteile ich Frau Bundesrätin Irene Crepaz das Wort. – Bitte.

13.47

Bundesrätin Irene Crepaz (SPÖ, Tirol): Herr Präsident! Frau Bundesministerin! Vielleicht können Sie, meine Damen und Herren von den Freiheitlichen, Ihrem Kollegen Weilharter ausrichten, daß ich seinen Vorwurf, daß uns SPÖ-Frauen und der Ministerin die gescheiterten Ehen weniger am Herzen liegen würden als die Vermögensverhältnisse, zurückweise. Uns liegt sehr am Herzen, daß die Partnerschaften intakt und die Ehen von Bestand sind, aber wenn schon eine Ehe in Brüche geht, dann liegen uns natürlich auch die Vermögensverhältnisse der Frauen am Herzen, denn wie wir wissen, stehen meistens die Frauen mit den Kindern allein da und sind finanziell schlecht abgesichert.

Was die traditionellen Frauenberufe betrifft, so braucht man nur die Geschichte zurückzuverfolgen. So waren in der Textilbranche nur Frauen beschäftigt. Alle Billiglohnberufe wurden – das belegt die Geschichte –, wie beispielsweise Dienstmädchen oder die Berufe im Dienstleistungsbereich, allein von Frauen ausgeübt. Von den "besseren" Berufen, wie etwa Metallarbeiter oder Buchdrucker, hat man die Frauen ausgesperrt, denn in diesen Berufen hat man gut verdient, da wollte man die Frauen nicht haben. Das sind geschichtlich gewachsene Dinge, die wir jetzt, vor dem Jahr 2000, endlich abbauen müssen. Wir sollten bald zu einem positiven Ergebnis kommen.


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Es wird auch im EU-Vertrag in der Fassung des Amsterdamer Vertrages im Artikel 141 – davor war es Artikel 119 – die Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgeltes für Männer und Frauen bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit als Ziel sichergestellt. Es sollen Maßnahmen zur Gewährleistung des Grundsatzes der Chancengleichheit in Arbeits- und Beschäftigungsfragen zur Durchsetzung des gleichen Entgeltes bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit gesetzt werden.

Um die volle Gleichstellung im Arbeitsleben zu erreichen, sollen die Mitgliedstaaten dem unterrepräsentierten Geschlecht zur Verhinderung beziehungsweise zum Ausgleich von Benachteiligung spezifische Begünstigungen beschließen. Auch in Österreich gilt, wie wir wissen, in der Papierform der Grundsatz: gleicher Lohn für gleiche Arbeit.

Um dieses Staatsziel und auch, wie ich ausführte, das europäische Ziel weiter zu verfolgen und zu erreichen, sind die Gleichbehandlungsanwälte und der Gleichbehandlungsausschuß meiner Meinung nach ein äußerst taugliches Mittel. Daß es leider fast nur die Frauen sind, die auch im Berufsleben diskriminiert werden, brauche ich nicht besonders hervorzuheben, sondern kann ich als bekannt annehmen. Die Diskriminierungen beginnen für die Frauen oft schon bei den Einstellungsgesprächen, indem sie gefragt werden, ob sie schwanger sind oder ob sie es bald werden wollen. Es werden nicht selten Schwangerschaftstests verlangt. Es wird gefragt, wer auf die Kinder schaut, wenn sie krank sind und ob genügend Verwandte in der Nähe sind. – Lauter Hürden, die Männern nie in den Weg gestellt werden. Im Gegenteil! Der Trend im Geschäftsleben, verheirateten Familienvätern den Vorzug gegenüber ihren ledigen Kollegen zu geben, ist auch eine Tatsache und stellt auch für die ledigen Männer eine Diskriminierung dar. Aber die Frauen sind da oft fast chancenlos.

Frauen werden auch heute noch von vielen technischen und sogenannten männlichen Berufen ausgesperrt und verhindert. Sie arbeiten oft in Betrieben besser qualifiziert als ihre männlichen Kollegen, verdienen trotzdem weniger und stehen in der Karriereleiter ewig auf der untersten Sprosse. Der berufliche Aufstieg und auch die Beförderung stoßen an die gläserne Decke.

Allen Widrigkeiten zum Trotz haben die Frauen heutzutage eine bessere Ausbildung als zum Beispiel noch ihre Mütter und wollen ihre gute Ausbildung auch im Berufsleben einbringen. Nach einer jüngsten Umfrage wollen die jungen Frauen nicht mehr zwischen Familie und Kinder einerseits und dem Beruf andererseits entscheiden müssen, nein, sie wollen beides, also Familie und Beruf. Sie wollen dasselbe, das für die Männer so selbstverständlich ist: Familie und Beruf. Denn ein Entweder-Oder stellt sich für die Männer überhaupt nicht.

Ein ungutes Kapitel stellt für die Frauen die sexuelle Belästigung auf dem Arbeitsplatz dar. Die öffentliche Debatte hat sicherlich bewirkt, daß mit diesem Thema etwas sensibler umgegangen wird. Tatsache ist aber nach wie vor, daß zum Beispiel im Jahre 1996 98 Frauen wegen Diskriminierung durch sexuelle Belästigung auf dem Arbeitsplatz bei der Gleichbehandlungsanwaltschaft vorstellig wurden. Die Tendenz ist leider steigend. Betroffen sind Frauen aller Branchen und Berufe. Überall sind es Männer, die ihre Vorgesetztenposition ausnützen. Seltener passiert es zwischen gleichrangigen Kolleginnen und Kollegen. So gut wie nie werden weibliche Vorgesetzte von ihren Mitarbeitern belästigt.

Die Errichtung von Regionalbüros der Gleichbehandlungsanwaltschaft finde ich sehr gut und auch notwendig, denn im Schnitt kamen in den letzten Jahren zirka 80 Prozent der Frauen aus dem Auszugsgebiet Wien und Niederösterreich. Je weiter der Weg ist, umso weniger Anfragen und Beschwerden wurden an die Gleichbehandlungsanwältin gestellt. Das heißt aber nicht, daß die Frauen in den westlichen Bundesländern weniger diskriminiert werden, was ich mir wünschen würde, sondern daß die Frauen fast keine Möglichkeit haben, ihre Probleme aufzuzeigen und diese auch zu lösen.

Abschließend würde mich interessieren, wie weit die Vorarbeiten für das erste Regionalbüro im Westen, also in Innsbruck, bereits gediehen sind. Nachdem, so glaube ich, die Finanzierung gesichert ist, dürfte einer Öffnung nicht viel im Wege stehen.

Meine Fraktion und ich stimmen dieser Vorlage gerne zu. – Danke. (Beifall bei der SPÖ.)

12.54


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636. Sitzung / Seite 67

Vizepräsident Jürgen Weiss:
Ich erteile Frau Bundesministerin Mag. Barbara Prammer das Wort. – Bitte.

12.54

Bundesministerin für Frauenangelegenheiten und Verbraucherschutz Mag. Barbara Prammer: Herr Präsident! Meine Damen und Herren Bundesräte! Zunächst möchte ich darauf hinweisen, weil es auch der erfreuliche Inhalt dieser Gleichbehandlungsgesetz-Novelle ist, in mehreren Bundesländern – zunächst in einem – eine regionale Gleichbehandlungsanwaltschaft einzurichten, daß wir, sobald dieses Gesetz Gesetz ist, sofort mit allem darangehen werden, die Gleichbehandlungsanwaltschaft in Tirol, in Innsbruck einzurichten. Wir haben auch schon mit den Vorbereitungsarbeiten begonnen.

Ich gehe davon aus, daß es schon im zweiten Halbjahr dieses Jahres realisiert werden wird, denn diese Stelle muß auch fundiert eingerichtet sein. Ich möchte an dieser Stelle gleich vorweg meine Absicht kundtun, daß das nächste Bundesland – ich stelle mir vor, daß das Jahr 2000 eine realistische Perspektive ist – Kärnten sein wird, in dem eine weitere, sozusagen die dritte Gleichbehandlungsanwaltschaft eingerichtet werden soll. Natürlich gehe ich auch von der Distanz aus. Ich möchte diese Einrichtungen dort haben, wo Frauen weit weg von Wien sind, es soll ihnen der Weg abgekürzt werden, und sie sollen vor Ort zu ihrem Recht kommen.

Wir alle wissen, daß die Gleichstellung zwischen Männern und Frauen per Gesetz gegeben ist – Gott sei Dank seit einiger Zeit. Wir wissen aber auch, daß die Gleichstellung de facto noch lange nicht erreicht ist. Da momentan die ganze Welt, auch Österreich nach Japan schaut, möchte ich gerne einen sportlichen Vergleich heranziehen, wie er auch zwischen den Geschlechtern stattfindet. Es ist unwahrscheinlich, daß zwei Langstreckenläufer, wovon einer 500 Meter weiter hinten starten darf, ungefähr zum selben Zeitpunkt durch das Ziel gehen. Aus diesem Grund geht es in erster Linie in den nächsten Jahren darum, spezielle Frauenförderung, spezielle Frauenförderungspolitik zu machen, um auch das zu erreichen, was Frauen ganz eindeutig von sich, von der Gesellschaft, von der Politik und von der Wirtschaft erwarten.

Die jungen Frauen haben es eindeutig kundgetan: Sie stellen an sich, an die Gesellschaft den Anspruch, berufstätig sein zu wollen und nicht nur zu müssen, gleichzeitig nicht auf die Familie verzichten zu wollen, und all das braucht Rahmenbedingungen und braucht auch geeignete Maßnahmen.

Aus diesem Grund ist es notwendig, daß wir alles, was die Politik nur irgendwie diesen Frauen mit auf den Weg geben kann, auch zur Verfügung stellen, wie zum Beispiel Kinderbetreuungseinrichtungen. Wir müssen auch die Wirtschaft motivieren, Frauenförderung als ernstes Kapitel zu betrachten; nicht, weil wir die Wirtschaft schikanieren, sondern weil wir wissen – alle Betriebe, die das schon machen, bestätigen uns das auch –, daß es im Interesse der Unternehmen ist und zum Nutzen, zum betriebswirtschaftlichen Nutzen der Unternehmen führt, wenn Frauen entsprechend eingesetzt werden und entsprechende Chancen bei ihrer Berufstätigkeit haben. Gerade die jungen Frauen investieren unglaublich viel in ihre Ausbildung, in ihren Beruf.

Ich möchte an dieser Stelle auch sagen, daß ich immer häufiger, wenn es um Frauenförderung geht, Bündnispartner, nicht Bündnispartnerinnen finde. Ich sage auch gleich dazu, daß das in erster Linie Männer um die 50 Jahre sind. Warum? – Meistens haben diese Männer Töchter, und diese Männer erleben mit, unmittelbar hautnah mit, was es für ihre eigene Tochter bedeutet, nicht dieselben Chancen vorzufinden wie vielleicht der männliche Kollege, zunächst der Schulkollege und dann der Berufskollege. Man sollte es auch einmal ganz nüchtern sehen, daß es darum geht, diese Erwartungen ernstzunehmen und nicht lächerlich zu machen, nicht wegzustecken, nicht wegzudiskutieren.

Es ist ein Faktum, daß Frauen rund 40 Prozent weniger verdienen. Teilzeitbereinigt, Herr Bundesrat, teilzeitbereinigt (Bundesrat Weilharter: Unterschiedliche Ausgangsbasis, Frau Ministerin!), nicht auf Basis der geringfügig oder der Teilzeitbeschäftigten, sondern hochgerechnet auf die Vollzeit. Sie haben 40 Prozent weniger Einkommen. Das hat viele Ursachen. (Bundesrat Weilharter: Kollektivverträge! Wer hat sie verhandelt, Frau Ministerin?) In erster Linie werden


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Frauen nicht ihrer Qualifikation entsprechend eingesetzt, nicht ihrer Qualifikation entsprechend entlohnt, bezahlt. Frauen unterbrechen allzusehr und unfreiwillig ihr Berufsleben und steigen viele Stufen darunter wieder ein. Auch da bedarf es geeigneter Maßnahmen, sie sozusagen nicht ganz herauszunehmen. Da haben auch die Wirtschaft und auch die Politik ihre Verantwortung. (Bundesrat Weilharter: Das hat Ihre Vorgängerin auch schon gesagt! – Bundesrat Mag. Gudenus: Machen Sie die Familien nicht schwach!)

Auf die Familie komme ich gerne zurück. Die Familie wird gerade in diesen Tagen alles andere als schwach gemacht, das ist hier auch schon dementsprechend dargestellt worden.

Ich sage noch etwas dazu: Wer haben möchte, daß man sich dazu bekennt, daß Frauen bei gleichwertiger Arbeit über dasselbe Einkommen verfügen sollen wie Männer, muß die Frage der Familienarbeit und Familiensituation mitdiskutieren. Derjenige, der dieses Thema nämlich ausklammert und sagt, all das habe nichts miteinander zu tun, ist blind – aus einem ganz einfachen Grund: Ein junges Mädchen, von dem noch niemand sagen kann, welchen Beruf es ergreifen, welchen Lebensverlauf es nehmen wird, wird bereits bei Vorstellungsgesprächen gefragt, wie es denn mit der Familienplanung ausschaue. Die Wiedereinsteigerin, die wieder in ihren Beruf zurück will, weil sie zu Hause war und ihre Kinder betreut hat, wird folgendes gefragt: Wer kümmert sich jetzt um die Kinder? Es ist doch hoffentlich eine Großmutter da? Sie werden doch nicht auf Pflegeurlaub gehen wollen? – Und noch viele andere Fragen mehr müssen sich Frauen anhören. Diese subtilen Untergriffe sind Realität und stellen Hemmnisse dar. Ich könnte noch viele zusätzliche Punkte anführen und aufzeigen. Aus diesem Grund bedarf es – gerade was die Familien betrifft – geeigneter Maßnahmen.

Herr Bundesrat! Sie haben das Thema des Familienrechtes und die anstehende Familienrechtsreform angeschnitten. Ich möchte Ihnen ganz konkret einen Fall schildern und Ihnen die Beurteilung überlassen, ob folgendes in Ordnung ist oder nicht. Wenn sich ein junges Paar kennenlernt, sich entschließt zu heiraten und die Frau Kinder bekommt, bleibt meist die Frau zu Hause, denn der Mann ist berufstätig und bringt das Geld nach Hause. Somit ist per Gesetz ganz klar: Die Frau ist für die Familienarbeit zuständig und erbringt einen Teil der Leistung. Den anderen Teil der Leistung erbringt der Mann durch die Erwerbstätigkeit. Nun werden Kinder bekanntlich größer – auch in meinem geschilderten Fall –, und die Frau will – meines Erachtens zu Recht – zurück in den Beruf. Der Mann sagt nun: Das kannst du schon tun, aber du verläßt einseitig den Vertrag. Du kannst das tun, aber ich bin nicht bereit, an der Familienarbeit, an der Hausarbeit teilzunehmen. – In einem solchen Fall – und in vielen unzähligen mehr – gibt es richterliche Unterhaltsentscheidungen, in denen der Frau zur Last gelegt wird, sie hätte einseitig diesen Vertrag verletzt und aus diesem Grund keinen Unterhaltsanspruch. Das ist meines Erachtens damals vor 25 Jahren nicht damit gemeint gewesen, als ein sehr modernes und zukunftsträchtiges Familienrecht beschlossen wurde. Wenn das nun korrigiert werden soll – nicht mehr und nicht weniger steckt hinter "halbe-halbe" –, dann meine ich folgendes: Setzen wir etwas um, was im Sinne der damaligen Gesetzgebung schon beabsichtigt und initiiert war! (Beifall bei der SPÖ.)

Meine Damen und Herren! Ich habe schon im Nationalratsplenum davon gesprochen, daß auch eine "große" Gleichbehandlungsgesetz-Novelle zu diskutieren sein wird. Wir von der SPÖ haben uns immer dazu bekannt, den kleinen Schritt einer "kleinen" Novelle zu machen, um die Regionalanwaltschaft einrichten zu können. Die große Novelle – dieses Angebot gilt natürlich für die Mitglieder des Bundesrates genauso wie für jene des Nationalrates – will ich gerne auch mit Ihnen vorweg diskutieren. Ich möchte über Ihre Erwartungshaltungen und Wünsche an eine große Gleichbehandlungsgesetz-Novelle diskutieren, so wie ich diese natürlich auch mit den Sozialpartnern sofort in Angriff nehmen und in Diskussionen einbringen werde.

Ziel ist es, bis Ende dieses Jahres den Entwurf einer derartigen großen Gesetzesnovelle fertigstellen zu können; ich denke hier vor allen Dingen an die jungen Frauen, die motiviert an ihr Leben, an ihre Ausbildung, an ihre Zukunftsplanung herangehen. Wir sind es diesen Frauen schuldig, ihnen die Rahmenbedingungen zur Verfügung zu stellen, damit sie ihre Chancen auch nützen können. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei SPÖ und ÖVP.)

13.05


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Vizepräsident Jürgen Weiss:
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Wünscht jemand das Wort? – Es ist dies nicht der Fall.

Die Debatte ist geschlossen.

Wird von der Berichterstattung ein Schlußwort gewünscht? – Das ist ebenfalls nicht der Fall.

Wir kommen zur Abstimmung.

Ich bitte jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den vorliegenden Beschluß des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Es ist dies die Stimmenmehrheit.

Der Antrag ist somit angenommen.

7. Punkt

Beschluß des Nationalrates vom 21. Jänner 1998 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Universitäts-Studiengesetz geändert wird (652/A und 1053/NR sowie 5633/BR der Beilagen)

8. Punkt

Beschluß des Nationalrates vom 21. Jänner 1998 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Studienförderungsgesetz geändert wird (1054/NR sowie 5634/BR der Beilagen)

Vizepräsident Jürgen Weiss: Wir gelangen nun zu den Punkten 7 und 8 der Tagesordnung, über welche die Debatte unter einem abgeführt wird.

Es sind dies: ein Bundesgesetz, mit dem das Universitäts-Studiengesetz geändert wird, und ein Bundesgesetz, mit dem das Studienförderungsgesetz geändert wird.

Die Berichterstattung über die Punkte 7 und 8 hat Herr Bundesrat Ferdinand Gstöttner übernommen. Ich bitte ihn um den Bericht.

Berichterstatter Ferdinand Gstöttner: Sehr geehrter Herr Präsident! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen des Bundesrates! Zu Punkt 8: Der gegenständliche Beschluß des Nationalrates beruht auf einem Antrag des Ausschusses für Wissenschaft und Forschung des Nationalrates, den dieser gemäß § 27 Abs. 1 GOG-NR im inhaltlichen Zusammenhang mit dem dort verhandelten Antrag 652/A betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Universitäts-Studiengesetz geändert wird, gestellt hat.


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Der Ausschuß für Wissenschaft und Forschung stellt nach Beratung der Vorlage am 10. Februar 1998 mit Stimmenmehrheit den Antrag, keinen Einspruch zu erheben.

Ich darf gleich den zweiten Bericht bringen:

Gemäß § 20 Abs. 5 des Hochschülerschaftsgesetzes 1973, Bundesgesetzblatt Nr. 309, ist die Entrichtung des Hochschülerschaftsbeitrages "semesterweise anläßlich der Inskription nachzuweisen und bildet die Voraussetzung für die gültige Inskription des jeweiligen Semesters".

Aufgrund der nunmehr vorgeschlagenen Änderungen müssen Studierende in allen Semestern, in denen sie Lehrveranstaltungsprüfungen ablegen wollen, somit also in allen Semestern, in denen sie sogenannte prüfungsimmanente Lehrveranstaltungen besuchen wollen, dafür Sorge tragen, daß eine Meldung über die Fortsetzung des Studiums erfolgt ist. Dies garantiert der Österreichischen Hochschülerschaft weiterhin die Bezahlung des Hochschülerschaftsbeitrages.

Der Ausschuß für Wissenschaft und Forschung stellt nach Beratung der Vorlage am 10. Februar 1998 mit Stimmenmehrheit den Antrag, keinen Einspruch zu erheben.

Vizepräsident Jürgen Weiss: Danke für die Berichterstattung.

Wir gehen in die Debatte ein, die über die zusammengezogenen Punkte unter einem abgeführt wird.

Zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesrat Dr. Peter Böhm. – Bitte sehr.

13.08

Bundesrat Dr. Peter Böhm (Freiheitliche, Wien): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Bundesministerin! Geschätzte Damen und Herren des Hohen Hauses! Dieses Bundesgesetz, mit dem das Universitäts-Studiengesetz geändert wird, liegt einmal mehr voll auf jener Linie, die der Hochschulpolitik der Regierung in den letzten Jahren entspricht, also auf einer ideologischen Linie, nach der nahezu alles wichtiger ist als das Leistungsprinzip.

Dies wird bei der jüngsten Vorlage wieder vollends deutlich, wenn gemäß § 52 Abs. 2 "neu" die Studierenden Lehrveranstaltungsprüfungen nur in solchen Semestern ablegen dürfen, für die sie die Fortsetzung des Studiums gemeldet haben. – Gewiß waren sie schon bisher dazu verpflichtet, innerhalb der allgemeinen Zulassungsfrist jedes Semester die Fortsetzung des Studiums der jeweiligen Studienrichtung zu melden. Ein Erlöschen der Zulassung für ordentliche Studien tritt aber erst dann ein, wenn der Studierende mehr als zwei Semester die Meldung der Fortsetzung des Studiums der jeweiligen Studienrichtung unterlassen hat. Das soll sich künftig ändern, zumindest soweit es sich um das Recht handelt, Lehrveranstaltungsprüfungen abzulegen.

Mir ist schon klar, daß es dabei lediglich darum gehen soll, der Österreichischen Hochschülerschaft als Körperschaft öffentlichen Rechts in ihrer Funktion als gesetzliche Interessenvertretung ihre Beiträge zu sichern. Aber ist umgekehrt den Protagonisten dieser Neuregelung bewußt, welch negatives, hochschulpolitisches Signal sie damit setzen? Ist das der von einem verantwortungsvollen Gesetzgeber zu erwartende Beitrag dazu, dem Leistungsgedanken Rechnung zu tragen?

Mir persönlich – als akademischem Lehrer – erscheint es nicht nur höchst problematisch, sondern sogar sachlich untragbar, wenn Inskriptionsvorschriften offenbar für wichtiger erachtet werden als die Erbringung und Beurteilung von studentischen Leistungen! In dieser Richtung muß man es schon als partielle Einsicht werten, daß der im Nationalrat gestellte Antrag der Abgeordneten Dr. Lukesch, DDr. Niederwieser, Amon, Ablinger und Kollegen nicht zum Gesetz erhoben worden ist; wurde in diesem Antrag doch ernsthaft ein § 46 Abs. 4 angestrebt, der folgendermaßen hätte lauten sollen:

"Die Beurteilung einer Lehrveranstaltungsprüfung, die ohne vorliegende aktuelle Meldung der Fortsetzung des Studiums abgelegt wurde, ist nichtig. Auf Antrag der oder des Studierenden hat die Studiendekanin oder der Studiendekan einen Feststellungsbescheid zu erlassen." – Zitatende.

Man stelle sich vor, eine derartige Absurdität wäre Gesetz geworden. Die Beurteilung einer abgelegten Prüfung hätte deshalb nichtig sein sollen, weil die Inskriptionsvorschrift verletzt, insbesondere die Einzahlung des ÖH-Beitrages versäumt worden ist. Da freilich der entsprechende Feststellungsbescheid nur auf Antrag des Studierenden ergangen wäre, hätte es sich dabei zweifellos ohnehin nur um negative Beurteilungen gehandelt. Vielleicht wäre dann einem Hörer, der eine negative Beurteilung zu befürchten gehabt hätte, zum strategischen Einbau dieses Fehlers geraten worden. Doch genug des grausamen Spiels; wenigstens diese "Neuerung", die uns weltweit blamiert hätte, ist nicht beschlossen worden.

Gerne zolle ich den Abgeordneten Dr. Lukesch und DDr. Niederwieser Respekt und Anerkennung dafür, daß sie mit einem Abänderungsantrag ihre Fehlleistung selbst wieder korrigiert haben. Etwas verschämt heißt es in der Begründung dazu: "Mit dem vorliegenden Abänderungsantrag soll die ursprünglich vorgesehene Sanktion der Nichtigkeit von Prüfungen entfallen. Eine


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nochmalige gründliche Überlegung der Angemessenheit einer derartigen Sanktion für das Versäumen der Meldung hat letztlich zu der Ansicht geführt, daß die Nichtigkeit der Prüfung nicht adäquat wäre. Es wird Aufgabe der zuständigen Organe der Universitäten sein, die Erfüllung der Voraussetzungen für die Ablegung von Lehrveranstaltungsprüfungen anläßlich der Anmeldung zu überprüfen." – Mit anderen Worten: Der Ball wird wieder den Universitäten und ihrer ohnehin überfrachteten Administration zurückgespielt.

All dessen ungeachtet muß ich dennoch meinen kritischen Befund aufrechterhalten. Dem Gesetzgeber ist demnach die Garantie der prompten Bezahlung des Hochschülerschaftsbeitrages an die ÖH fortan wichtiger als der zügige Fortgang des Studiums durch die rechtzeitige Ablegung von Prüfungen!

Eben das erscheint zu einem Zeitpunkt, zu dem der Ressortchef – ich bedauere, daß er nicht anwesend ist – dem gesamten Lehrpersonal mit einem geradezu unfaßbaren Mißtrauensvorschuß begegnet ist, umso aufreizender.

Es ist nicht mein persönlicher Stil – wie Sie, meine Damen und Herren, bereits wissen –, in dramatisierende und überzogene Gegenpolemik zu verfallen, wie sie im Aufschrei erster Empörung von Vertretern der Rektorenkonferenz und in einzelnen Medien zum Ausdruck kam. Ich rede daher bewußt nicht von "Spitzeltum, Lauschangriff, Metternich´schem Polizeistaat" oder dergleichen, wobei ich freilich nicht einmal wage, mir auszumalen, wie ein vergleichbarer Vorschlag von seiten eines freiheitlichen Wissenschaftsministers etikettiert worden wäre.

Nein, im Gegenteil! Ich bestreite auch gar nicht Schwachstellen im inneruniversitären Bereich und das Fehlverhalten einzelner schwarzer Schafe in den Reihen der akademischen Lehrer. Wo gibt es solche nicht? – Und ich bezweifle überhaupt nicht das Recht, auch die Institution Universität und ihre Organe auf die Erfüllung ihrer Aufgaben, auch unter dem Aspekt der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit – kurz: der Effizienz des Einsatzes öffentlicher Mittel, und um solche handelt es sich – zu überprüfen und zu kontrollieren.

Aber sieht man denn nicht, daß Hochschullehrer einer laufenden und permanenten öffentlichen Kontrolle unterliegen? – Selbst wenn man nicht an die – meines Erachtens allerdings höchst wirksame – interne Kontrolle der Scientific Community, an die Anerkennung unter den eigenen Kollegen und in der Fachwelt, glauben mag, gibt es doch – von der staatlichen Oberaufsicht des Bundesministers einmal abgesehen – klar definierte Kontrollinstanzen innerhalb der universitären Autonomie wie die Studienkommissionen, die drittelparitätisch besetzt sind, und künftig nach dem UOG 1993 die Studiendekane. Darüber hinaus sind umfassende Instrumente der Evaluation von Forschung und Lehre geschaffen worden. Niemals zuvor in der Geschichte der Universitäten gab es eine vergleichbare Kontrolle ihrer Funktionsfähigkeit wie heute, ganz zu schweigen von dem täglichen Plebiszit der Praxis im Hörsaal, was hautnahe Kontrolle durch die unmittelbar Betroffenen bedeutet. Was sollen also die "bezahlten Informanten", wie sie der Wissenschaftssprecher der ÖVP, Herr Abgeordneter Dr. Lukesch, bezeichnet?

Freilich verkenne ich nicht, daß Herr Bundesminister Dr. Einem seine ursprünglich – ich unterstelle gerne: in kreativ-provokativer Absicht – getroffene Ankündigung inzwischen wieder – indem er sie in bewährter Manier als böswillig mißverstanden interpretiert – inhaltlich gewendet und erheblich eingeschränkt hat. Die Universität und ihre Repräsentanten können es allerdings nicht akzeptieren, zwar nicht länger als Verweigerer von Dienstpflichten denunziert, wohl aber als des Managements einer effizienten Organisation des Hochschul- und Studienbetriebs unfähige und daher der – ihnen erst jüngst in Zeiten von Sparpaketen und daraus resultierenden Verteilungskämpfen übertragenen – Teilautonomie unwürdige und versagende Rechtsträger hingestellt zu werden.

Bereits aus anderem Anlaß habe ich auf das Grundproblem des Fehlens einer ehrlichen, politischen Systementscheidung hingewiesen. Wollen wir uns den freien Zugang zur Universität zum Nulltarif weiterhin leisten – ich vermeide auch hier das offenbar bereits politisch unkorrekte Reizwort der "Massenuniversität" –, dann müssen wir dieses gesellschaftspolitische Ziel auch finanzieren können. Die Engpässe der materiellen wie personellen Ressourcen aber aus


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schließlich den Universitäten und ihren Repräsentanten zu überbürden und aufzulasten, ist keine Lösung und wird bei uns Freiheitlichen auch niemals konsensfähig sein. Insofern ist es sachlich so verfehlt wie politisch unverfroren, es dem in internationaler Relation in völlig unzulänglichem Ausmaß zur Verfügung stehenden Lehrpersonal zuzurechnen, wenn der Studienverlauf angeblich so unzureichend organisiert ist, daß die Studierenden gar nicht in der Lage sind, ihre Prüfungen zeitgerecht abzulegen, um somit in kürzestmöglicher Zeit ihr Studium abschließen zu können.

Wie verhält sich nun aber gerade diese Zielvorstellung zu der hier behandelten Vorlage? – Man möge mir nicht einwenden, daß die Novelle des Universitäts-Studiengesetzes ohnehin bloß zwei Jahre gelten soll. Bis dahin werde man nämlich die ÖH in Pflicht nehmen, eine sachgerechtere Lösung ihres Problems, zu ihren Beiträgen zu gelangen, selbst vorzuschlagen. Ebendas werde mit den zeitgerechten Mitteln der Informationstechnologie unschwer erreichbar sein. Meines Erachtens wirft nämlich auch diese Annahme rechtliche Probleme auf; denn es ist vorgesehen, daß der Zugriff auf relevante Daten wie Mitgliedschaft in der ÖH, Prüfungsevidenz und die auf die Familienbeihilfe, Studienförderung, Sozialversicherung und so fort bezogenen Eingaben, Bestätigungen und sonstigen Akte auch über Datenaustausch mittels E-Mail, Internet und dergleichen möglich werden soll. Ob all dies wirklich mit dem verfassungsrechtlich verankerten Datenschutz und der Sicherheit öffentlicher Urkunden vereinbar ist, wage ich mit guten Gründen zu bezweifeln.

Gegen § 80 Abs. 2 letzter Satz ist insofern kein Einwand zu erheben, als er Studienkommissionen für berechtigt erklärt, für die Dauer der Anwendung der bisherigen Studiengesetze, Studienordnungen und Studienpläne durch Verordnung einzelne Prüfungen aus nachfolgenden Studienabschnitten festzulegen, die bereits vor dem Abschluß des jeweils vorangehenden Studienabschnitts abgelegt werden dürfen. – Damit repariert der Gesetzgeber allerdings nur eine eklatante Panne, die dadurch entstanden ist, daß § 20 Abs. 3 AHStG mit Ende Juli 1997 außer Kraft getreten ist und die neuen Studienpläne erst sukzessive in Kraft treten werden. Sehen diese doch hinkünftig in verstärktem Ausmaß die Möglichkeit von Überlappungen der aufeinanderfolgenden Studienabschnitte vor.

Höchst bedauerlich ist auch die Tatsache, daß aus Anlaß dieser Novelle der Entschließungsantrag der Abgeordneten Dr. Brauneder und Kollegen keine Mehrheit im Nationalrat gefunden hat. Dieser Antrag hatte gefordert, daß neben den obligatorisch für den Anfang und für das Ende jedes Semesters anzusetzenden Prüfungsterminen solche auch für die Mitte des Semesters – in Abänderung von § 53 Abs. 2 Satz 2 – nur in begrenzten Ausnahmesituationen im Einvernehmen mit den vorgesehenen Prüfern stattfinden sollen.

Das wäre zumindest für einzelne Fakultäten der Universität Wien, insbesondere für die Rechtswissenschaftliche Fakultät, zumindest in bezug auf die sogenannten Kernfächer, die aus einem schriftlichen und einem mündlichen Diplomprüfungsteil bestehen, unabdingbar gewesen. Denn angesichts der Hörerzahlen, das heißt, der jeweils zu erwartenden Anzahl von Prüfungskandidaten, und der bundesweit unvergleichbar schlechteren Relation zur Zahl der Prüfer ist der Wiener Rechtswissenschaftlichen Fakultät die Mehrbelastung durch einen echten dritten Volltermin, also nicht bloß einen für Reprobanten, von der Kapazität her unzumutbar.

Zu Recht wurde in der Erläuterung dieses Antrages hervorgehoben, daß sich dadurch die Anzahl der Kandidaten nicht bloß, wie man prima vista meinen mag, von zwei Terminen auf drei Termine umverteilt; vielmehr erhöht sich dadurch der bürokratische Aufwand um zirka 25 Prozent pro Semester – von der zeitlichen Bindung der Prüfer, die dann dauernd zu korrigieren haben, ganz zu schweigen.

Zutreffenderweise wird auch befürchtet, daß die zu dichte Aufeinanderfolge von Prüfungsterminen Studierende eher dazu verleitet, Prüfungen vor sich herzuschieben. Damit wäre aber gerade dem Ziel nicht entsprochen, die Studienzeiten zu verkürzen. Allein auf Reprobanten sollte wohl nicht abgestellt werden.


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Auf die dort gleichfalls erwähnten negativen Auswirkungen auf den Studienbetrieb durch Zerteilung des das ganze Semester umfassenden Lehrveranstaltungsbetriebes und die dadurch bedingte Forcierung der pädagogisch fragwürdigen Blocklehrveranstaltungen, die auf Schnellsiedekurse hinauslaufen können, will ich dabei erst gar nicht näher eingehen.

Auch diese Gegenüberstellung macht aber zur Genüge deutlich, daß es der gegenwärtigen Hochschulpolitik offenbar nicht um die Verbesserung der Rahmenbedingungen für die Universitäten, insbesondere ihre ausreichende Finanzierung geht, auch nicht um die Arbeitsbedingungen der akademischen Lehrer, die zugleich Wissenschafter sind, die ihrer Verpflichtung zur Forschung nachkommen wollen.

Wohl aber ist man rührend darum bemüht, der ÖH um jeden Preis zur Einhebung der ihr zukommenden Beiträge zu verhelfen – sogar um den Preis, die Ablegung von Prüfungen davon abhängig zu machen. Einer solchen Vorlage werden wir daher unsere Zustimmung versagen. – Danke. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

13.23

Vizepräsident Jürgen Weiss: Als nächstem Redner erteile ich Herrn Bundesrat Gottfried Jaud das Wort. – Bitte.

13.23

Bundesrat Gottfried Jaud (ÖVP, Tirol): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Ministerin! Hoher Bundesrat! Wir von der ÖVP könnten uns eigentlich zurücklehnen und uns über einen unfähigen SPÖ-Minister freuen. (Bundesrat Meier: He he! Das war nicht schön! Das ist nicht schön!) Denn daß Minister Einem in weiten Bereichen der Universitätspolitik seine Unfähigkeit bewiesen hat, steht für mich außer Zweifel. (Beifall bei der ÖVP und bei den Freiheitlichen. – Bundesrat Farthofer: Harte Worte!)

Nachdem SPÖ und ÖVP aber gemeinsam einer Regierung angehören, kann es uns von der ÖVP eben nicht egal sein, wenn ein sozialistischer Minister sein Ressort schlecht verwaltet. (Bundesrat Prähauser: Sozialdemokratischer Minister!) Oder ein sozialdemokratischer Minister; wie Sie wollen. (Bundesrat Prähauser: Das ist so! – Zwischenruf des Bundesrates Dr. Tremmel. )

Die Fehler – entschuldigen Sie bitte – eines solchen Ministers werden auch uns als Koalitionspartner negativ angerechnet. Sie können meiner falschen Bezeichnung der Partei entnehmen, daß ich schon lange in der Politik tätig bin und deshalb eine frühere Bezeichnung gewählt habe.

In einem stimme ich Minister Einem allerdings zu, nämlich daß die Effizienz an den österreichischen Universitäten gesteigert werden muß. (Bundesrat Meier: Da schau her!) Auch die Leistungsbereitschaft muß in vielen Bereichen gesteigert werden. Aber die von Minister Einem vorgeschlagene Methode der Bespitzelung scheint mir nicht nur ungeeignet, sondern auch als Vorgangsweise gegenüber den österreichischen Akademikern äußerst unwürdig zu sein. (Bundesrat Meier: Davon ist überhaupt keine Rede, von Bespitzelung! Sie sagen Worte nach, die nicht stimmen! Wo hat er das gesagt?)

Es mag in der Öffentlichkeit als eine wirksame Maßnahme klingen, wenn man verdeckte Ermittler an die Universitäten schickt und damit herausfinden möchte, wer die guten und wer die schlechten Professoren sind. Gegenüber dem Professorenkollegium und auch gegenüber den Studenten, die diese Professoren beurteilen könnten, ist dies aber nichts anderes als ein Ausdruck höchsten Mißtrauens.

Ich stelle mir vor, welche Reaktion in meinem Betrieb erfolgen würde, wenn ich Betriebsberater als getarnte Mitarbeiter einstellen würde, um die anderen Mitarbeiter zu kontrollieren, die mir dann darüber berichten sollten. (Bundesrat Prähauser: Sie sind ja selbst in einem Betrieb, Herr Kollege!) Das, so glaube ich, wäre sicher eher kontraproduktiv und würde natürlich sehr viel Gegenreaktion hervorrufen. Zu Recht, wie ich glaube.


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Ich möchte mich in dieser Angelegenheit der Forderung meines Parlamentskollegen, Herrn Nationalrat Dieter Lukesch, anschließen und den Minister auffordern, diese Vorgangsweise zurückzunehmen und andere Aktivitäten zur Straffung der Universitätsorganisation zu ergreifen. Ich würde in dieser Situation nämlich mit meinen leitenden Mitarbeitern gemeinsame Lösungen erarbeiten und diese umsetzen.

Ich bin davon überzeugt, wenn der Herr Minister mit den Direktoren und Professoren Gespräche führen und diese beraten würde, dann würde er sicherlich zu einem besseren Ergebnis kommen, als wenn er "hinten herum" Kontrollen macht. Es ist ganz einfach zu wenig, nur über Veränderungen zu reden, wie es vor kurzem Bundeskanzler Klima tat, der eine enge Zusammenarbeit von Universität und Wirtschaft forderte. Offenbar erkennt man in der Sozialdemokratie, daß es auf dem Universitätssektor zu tiefgreifenden Veränderungen kommen muß. Dazu sind aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, Handlungen dringendst erforderlich.

So lange der freie und kostenlose Zugang zu den Universitäten für alt und jung, für Fähige oder Unfähige ohne jede Einschränkung und Kontrolle kostenlos gewährleistet wird, solange wird eine Effizienzsteigerung an den Universitäten nur sehr schwer möglich sein. Ich halte es ganz einfach für unverantwortlich, wenn mit dem Geld, das fleißige Arbeiter verdienen, jenen ein Studium ermöglicht wird, die dafür nicht geeignet sind oder nur deshalb studieren, um sich ihre Hände nicht schmutzig zu machen. (Beifall bei der ÖVP und bei Bundesräten der Freiheitlichen. – Bundesrat Prähauser: Jetzt reicht es! – Bundesrat Dr. Tremmel: Der Applaus gilt dann voll, wenn Sie Arbeiterinnen und Arbeiter sagen!)

Es ist ganz einfach notwendig, gerechte Formen dafür zu finden, daß jene, die für ein Studium geeignet und leistungsbereit sind, auch die entsprechenden Möglichkeiten bekommen, und daß jene, die für ein Studium nicht geeignet sind oder zu wenig Leistungsbereitschaft zeigen, nicht den willigen und leistungsbereiten Studenten im Wege stehen und damit insgesamt die Ergebnisse an den Universitäten verschlechtern.

Eine außerordentlich wichtige Angelegenheit für die Zukunft der Universitäten ist die Zusammenarbeit zwischen Universität und Wirtschaft. Auf diesem Gebiet haben wir nach meiner Auffassung gegenüber anderen Staaten, im besonderen zum Beispiel gegenüber der Bundesrepublik Deutschland, einen enormen Nachholbedarf. Auch Praktika der Studenten während der Studienzeit halte ich in den dafür geeigneten Studienrichtungen für besonders wichtig.

Als gelungenes Beispiel für die Zusammenarbeit von Universität und Wirtschaft kann meiner Auffassung nach das Beispiel des Joanneum Research in Graz dienen. Auch die Erfolge, die durch diese Zusammenarbeit zustande gekommen sind, können sich sehen lassen. Der Motoren-Cluster – Ihnen allen bekannt – und der Holz-Cluster, der für die Zukunft vorgesehen ist, sind für mich Beispiele für eine effiziente Zusammenarbeit von Wissenschaft und Wirtschaft.

Das Thema Gentechnik kann als Beispiel für Versäumnisse in der Wissenschafts- und Forschungspolitik angesehen werden. Wenn ein solch hochwissenschaftlicher Bereich nicht dem Wissenschaftsminister, sondern nur der Konsumentenschutzministerin überlassen wird, brauchen wir uns darüber nicht zu wundern, wenn in Folge mangelnder Information und Aufklärung in der Bevölkerung eine sehr skeptische Einstellung zu diesem Wissensgebiet entsteht.

Durch diese Einstellung in der Öffentlichkeit, die zum Teil auch auf Versäumnisse des Wissenschaftsministers zurückzuführen ist, kann Österreich in der Zukunft ein großer wirtschaftlicher Schaden entstehen. Wenn sich die österreichische Wissenschaft von der Gentechnikforschung abkoppelt, werden Arbeitsplätze für diesen Zukunftsbereich eben in anderen Ländern entstehen, und wir in Österreich werden nicht nur wirtschaftliche Nachteile dieser Haltung in Kauf nehmen müssen, sondern werden auch notwendiges Know-how auf diesem Gebiet teuer kaufen müssen. Fachleute sprechen davon, daß die forschungsfeindliche Haltung Österreichs auf dem Gebiet der Gentechnik 50 000 Arbeitsplätze kosten wird. Durch Gesetzespläne in Österreich ist auch der medizinische Teil der Biotechnikforschung bedroht – also eine Bedrohung unserer Gesundheitsforschung. (Vizepräsidentin Haselbach übernimmt den Vorsitz.)


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636. Sitzung / Seite 75

Neben der Zusammenarbeit der Universitäten mit der Wirtschaft ist aber die direkte praxisorientierte Ausbildung in den Fachhochschul-Studiengängen für die Erhaltung des Wohlstandes in unserer Gesellschaft von eminenter Bedeutung. An den Fachhochschullehrgängen werden jene Jugendlichen ausgebildet, die für die wirtschaftliche Entwicklung der Zukunft unseres Landes Verantwortung zu tragen haben. Deshalb ist nach meiner Auffassung diesen Fachhochschulen in der Zukunft höchste Priorität zuzuerkennen.

Meine Damen und Herren! Wenn dann bekannt wird, daß derzeit 20 Anträge auf neue Fachhochschul-Studiengänge vorliegen, aus finanziellen Gründen aber nur zwei davon genehmigt werden können, so ist auch das ein Zeichen einer unfähigen Wissenschaftspolitik. Die Tatsache, daß Fachhochschulstudiengänge aus finanziellen Gründen von einem SPÖ-Minister nicht genehmigt werden, läßt mich aber auch an der Ernsthaftigkeit der Aussage des SPÖ-Bundeskanzlers zweifeln, der mehr Praxisorientiertheit in Wissenschaft und Forschung fordert, zumal auch der Finanzminister der SPÖ angehört.

Die Ausbildung unserer Jugend ist das Fundament, auf dem die Zukunft unseres Staates ruht. Deshalb erschien es mir notwendig, diese Kritik hier und heute anzubringen. Wir als Parlamentarier haben die Aufgabe und Verantwortung, bei Bekanntwerden von Mängeln, die in der Wahrnehmung der Staatsaufgaben passieren, diese anzuprangern und alles in unser Macht Stehende zu tun, um sie abzustellen.

Werte Kollegen der SPÖ! Werte Frau Ministerin! Ich bitte Sie, diese meine Kritik und auch meine Anregungen nicht einfach als Parteigeplänkel abzutun, sondern Maßnahmen zu treffen, um die Situation an unseren Hochschulen und Fachhochschulen zu verbessern. – Ich danke Ihnen. (Beifall bei der ÖVP und bei den Freiheitlichen.)

13.34

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Als nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Hager. – Bitte.

13.34

Bundesrat Wolfgang Hager (SPÖ, Steiermark): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Frau Bundesministerin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Jaud! Ihr Beitrag zu dieser Debatte hat mich jetzt doch etwas verwirrt. Ich habe nämlich den Eindruck, daß Sie in folgendes Schema verfallen: So lange ein junger Mensch studiert, so lange er Kosten für den Staat verursacht, solange kann man auf ihn schimpfen, kann man auf ihn draufhauen und sagen, er solle gefälligst fleißiger sein, er solle gefälligst weniger verbrauchen, er solle schnell fertig sein. Aber sobald derselbe junge Mensch mit dem Studium fertig ist, nach der Promotion, ziehen Sie den Hut vor dem fertigen Herrn Doktor – das ist dann ein ganz fleißiger, braver und unserer Gesellschaft angepaßter Mensch.

Was Ihre Ausführungen zu den Fachhochschulstudien betrifft, möchte ich anmerken, daß es auch andere wichtige Studienrichtungen gibt, die nicht ausschließlich der Wirtschaft dienen.

Kollege Jaud! Sie fordern die Leistungsbereitschaft in der Wirtschaft, und ich nehme an, Sie werden auch keine Gelegenheit auslassen, Ihren Mitarbeitern in Ihrem Betrieb genau auf die Finger zu schauen. Ich verstehe dann eigentlich nicht, daß Sie genau das Herrn Minister Einem nicht zugestehen wollen. (Bundesrat Jaud: Ich vertraue auf meine Mitarbeiter!) Minister Einem vertraut ebenfalls auf seine Mitarbeiter, aber Kontrolle ist besser! (Beifall bei der SPÖ.)

Ich möchte aber eigentlich nur kurz auf die Novelle des Universitäts-Studiengesetzes eingehen. Die Novellierung des Universitäts-Studiengesetzes – Kollege Böhm hat darüber schon ausführlich berichtet – bringt die Änderung mit sich, daß Studierende künftig verpflichtet sind, in allen Semestern, in denen sie Lehrveranstaltungsprüfungen ablegen wollen, eine Meldung über die Fortsetzung ihres Studiums abzugeben. Dadurch soll die Entrichtung des ÖH-Beitrages sichergestellt werden. Nach den bisherigen Bestimmungen konnten Studierende ihr Studium zwei Semester lang fortsetzen, ohne eine diesbezügliche Meldung abzugeben und den ÖH-Beitrag zu bezahlen.


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Ich habe mir die Protokolle des Nationalrates angesehen und darin gelesen, daß der Abgeordnete der FPÖ Herr Dr. Grollitsch die Ansicht vertreten hat, daß es problematisch sei, der Hochschülerschaft in einer für sie schwierigen Phase auch noch die Einnahmen zu sichern. Den Imageverlust der ÖH bei den Studierenden und die zunehmende Wahlmüdigkeit hat er als Beleg dafür angeführt, um zu hinterfragen, ob ein Pflichtbeitrag für die ÖH überhaupt angebracht sei. – Ich glaube, daß wieder einmal anhand eines sachlich völlig unauffälligen Themas die Diskussion zum Thema Pflichtmitgliedschaft bei Interessenvertretungen angezettelt werden sollte. Diese Diskussion wird immer nur von jenen geführt, die in den demokratisch gewählten Interessenvertretungen unter mangelndem Wählerzuspruch leiden. (Bundesrat Dr. Tremmel: Das können wir aber nicht glauben!) Diese Diskussion wird von jenen geführt, die in der ÖH nichts zu reden haben. Diese Herrschaften sind auch jene, die sofort behaupten, eine gewählte Institution sei unnötig, nur weil sie keine Wähler finden, die sie dort vertreten sehen möchten.

Selbstverständlich wird mit dieser Novelle den Interessen der ÖH entsprochen. Das hat auch seine Bedeutung und Richtigkeit. Die Österreichische Hochschülerschaft hat eine wichtige Funktion, und ich sehe sie als wertvolles Glied in der Universitätslandschaft an. Wir haben die Pflicht, dafür zu sorgen, daß sie ein ordentliches Budget aus den Beiträgen aller Hörer erstellen kann. Was sie schließlich mit dem Geld macht, liegt in ihrer autonomen Entscheidung. Jene, die die Entscheidungen treffen, haben diese schließlich auch vor ihren Wählern zu vertreten.

Der Freiheitlichen Partei ist die Österreichische Hochschülerschaft und die Pflichtmitgliedschaft ein Dorn im Auge, aber eben weil diese Organisation eine Körperschaft öffentlichen Rechts ist und ihre Funktionäre per Gesetz ein Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrecht an der Universität haben, kann die ÖH wirkungsvoll arbeiten. Die FPÖ will die Entmachtung der Studentenvertretung, und ich vermute, einzig geleitet von der Überlegung, die ich bereits angeführt habe, nämlich keinerlei Zuspruch auf Studentenebene zu haben. Der Ring Freiheitlicher Studenten – ich glaube, so heißt er – dümpelt seit Jahrzehnten in irgendwelchen unbedeutenden Niederungen. Zurzeit ist mir gar nicht bekannt, ob er in irgendeiner Studienvertretung überhaupt noch existiert. (Bundesrat Dr. Tremmel: Dann müssen Sie sich erkundigen!)  – Meine Fraktion wird dieser Vorlage zustimmen. (Beifall bei der SPÖ.)

13.39

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Als nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Mühlwerth. – Bitte.

13.39

Bundesrätin Monika Mühlwerth (Freiheitliche, Wien): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Ministerin! Sehr geehrte Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Hager! Wovor fürchten Sie sich eigentlich? – Selbstverständlich hat Kollege Grollitsch recht, und selbstverständlich sind wir in allen Bereichen gegen eine Pflichtmitgliedschaft – aber da liegt die Betonung schon auf Pflicht mitgliedschaft. Es geht überhaupt nicht darum, eine Interessenvertretung zu entmachten – wir haben überhaupt nichts dagegen, daß auch die Hochschüler eine Vertretung haben –, es geht immer nur um die Verpflichtung. Wenn Sie, Herr Kollege Hager, der Überzeugung sind, daß diese Vertretung so effizient und so gut ist, dann frage ich mich: Welches Problem soll es dann geben, wenn es eine freiwillige Versicherung und einen freiwilligen Beitritt zu dieser Interessenvertretung gibt? – Dann kann überhaupt nichts passieren! (Bundesrat Schaufler: Haben Sie, Frau Kollegin Mühlwerth, noch immer nicht zur Kenntnis genommen, wie die Urabstimmungen in den Arbeiterkammern ausgegangen sind?)

Da ging es nicht um die Frage der Pflichtmitgliedschaft, sondern darum, ob es eine Interessenvertretung geben soll oder nicht. Wenn Sie nicht wissen, wovon Sie reden, Herr Kollege, dann schweigen Sie besser! (Rufe und Gegenrufe bei der ÖVP und bei den Freiheitlichen.)

Diese Novelle ist eigentlich ein Novellchen, ein Reförmchen, und selbstverständlich geht es nur um die Reparatur des § 32 UniStG, und selbstverständlich geht es in erster Linie darum, der ÖH ihre Mitgliedsbeiträge zu sichern.

Es ist sicherlich nichts dagegen einzuwenden, wenn man sagt, ein Student, der weiterstudieren will, soll dies bekanntgeben. So weit, so gut. Daß das aber dann gleich mit dem Mitgliedsbeitrag


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einer dahinsiechenden Mitgliedervertretung gekoppelt ist, damit auch dieser gesichert ist, ist wohl wirklich nicht einzusehen. Es ist die Frage, ob das Gegenstand einer Novelle sein muß. Sie brauchen sich nur anzuschauen, wie viele Leute zur Wahl dieser von Ihnen so gelobten Interessenvertretung gehen: ein Viertel aller Studierenden! Das heißt, drei Viertel aller Studenten sehen sich nicht mehr von der Österreichischen Hochschülerschaft vertreten. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Das einzige, was man von der ÖH sieht und hört, sind ihre Streitereien, wenn es um den Vorsitz geht – da waren sie sehr wohl in den Medien präsent –, und das nächste Mal sieht man sie dann wieder vor der nächsten Wahl. Wenn das die Interessenvertretung ist, für die die Mitgliedsbeiträge gesichert sein sollen, dann, so glaube ich, könnte man genausogut darauf verzichten. (Bundesrat Hager: Es tut Ihnen leid, daß Sie nicht mitstreiten können, weil Sie gar nicht vertreten sind in der ÖH!) Sind Sie es? Studieren Sie noch? – Dann sind Sie auch so ein Langzeitstudent!

Auch wenn diese Novelle nur auf zwei Jahre begrenzt ist und auch wenn man davon ausgeht, daß man sich der EDV bedienen wird, um die Verwaltung effizienter zu machen, muß ich schon anmerken: Das elektronische Zeitalter gibt es nicht erst seit heuer, auch nicht erst seit letztem Jahr, da hätte man schon längst etwas tun können, wenn man das wollte. Und wenn es um die Effizienz der Verwaltung insgesamt geht – meine Vorredner haben es schon angesprochen –, dann halte ich es für den Gipfel der Ungeheuerlichkeit, wenn der Ressortchef hergeht – da bin ich nicht so vornehm wie mein Fraktionskollege Böhm – und dort Spitzel hineinsetzt. Das ist nämlich ein Spitzel, wenn ein bezahlter Informant heimlich, still und leise irgendwo hineingesetzt wird! Dieses System hat es meines Wissens das letzte Mal in der DDR gegeben, und ich glaube, wir alle sind uns darüber einig, daß wir froh sind, daß dieses System endlich überwunden ist. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Ich muß Kollegen Jaud recht geben: Ein kleiner Betrieb mag noch vom Chef überschaubar sein, aber in jedem größeren Betrieb brauchen Sie jemanden, wenn Sie eine Organisations- und Verwaltungsstraffung herbeiführen wollen, nämlich Fachleute, die Ihnen dabei zur Hand gehen, die die einzelnen Arbeitsgänge anschauen und durchforsten. Es ist aber überall üblich, daß dies natürlich in Zusammenarbeit mit den Mitarbeitern geschieht. Man hat nämlich überhaupt nichts davon, wenn irgendwo jemand hineingesetzt wird, der heimlich mitschreibt, heimlich Bericht erstattet, und die Mitarbeiter wissen nichts davon: Damit wird nur der gegenteilige Effekt erzielt.

Herr Minister Einem hätte es natürlich auch anders machen können. Ich mache ihm einen Vorschlag: Es wäre durchaus möglich – das kann er sich noch überlegen –, Studenten von der Wirtschaftsuniversität, die auch für diese Sachen ausgebildet werden, in einer Projektgruppe in Zusammenarbeit mit anderen Studenten und mit den Professoren das Verwaltungssystem durchforsten zu lassen. Da hätten alle Teile etwas davon, und es kostet wesentlich weniger. Es ist natürlich auch wieder ein großer finanzieller Aufwand, wenn Leute irgendwo hineingesetzt werden, die extra dafür bezahlt werden, daß sie irgend etwas berichten, wovon wir alle nicht wissen, was letzten Endes berichtet werden soll. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Daher glaube ich, es wäre – um wieder auf diese Novelle zurückzukommen – wichtig, der Hochschülerschaft zu empfehlen, wieder eine selbstverwaltete Organisationseinheit zu werden, zu schauen, daß sie ihre Beiträge selbst einfordert, und selbst dafür sorgt, daß sie verwaltungsvereinfachend arbeiten kann. Und vor allem sollte sie als oberstes Ziel im Auge haben, tatsächlich die Interessen der Studenten zu vertreten und sich nicht in Streitereien zu ergehen. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

13.45

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Als nächster zu Wort gemeldet ist Herr Dr. Liechtenstein. – Bitte.

13.45

Bundesrat Dr. Vincenz Liechtenstein (ÖVP, Steiermark): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Frau Ministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte ein paar Worte zur Situation im universitären und im Fachhochschulbereich sagen, und zwar zum allgemeinen Teil, da zum


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besonderen bereits vieles gesagt wurde. Ich stimme voll mit Kollegen Jaud überein und auch mit sehr vielem, was Professor Böhm gesagt hat.

Immer mehr Berufe erfordern wissenschaftliche Qualifikation. Wir müssen uns dafür einsetzen, daß jeder entsprechend Begabte eine angemessene Ausbildung erhält. Ausbildungsförderung ermöglicht auch einkommensschwachen Bürgern über eine qualifizierte Ausbildung den Weg zum beruflichen Erfolg. Es ist meiner Meinung nach ein Ausgleich zu finden zwischen dem Bestreben, möglichst viele Bewerber zuzulassen, und dem Anspruch des zugelassenen Studenten auf eine ordnungsgemäße Ausbildung und dem Ziel einer ertragreichen Forschung.

Sinnvoll ist auch der rasche Ausbau der Fachhochschulen – Kollege Jaud sagte es –, weil an ihnen die von der Arbeitswelt stark nachgefragten Hochschulabsolventen praxisnah und in angemessener Zeit ausgebildet werden.

Die Freiheit von Forschung und Lehre ist unabdingbare Voraussetzung für die Leistungsfähigkeit der Hochschulen und Universitäten. Die gemeinsame Verantwortung von Lehrenden und Lernenden erfordert deren ständigen Dialog, ein vertrauensvolles Zusammenwirken und Mitwirkungsrechte. Da ist die Hochschülerschaft, der ich selbst vor 20 Jahren angehört habe, sicherlich heute sehr gefordert beziehungsweise wäre sehr gefordert.

Das Studienangebot ist beständig zu aktualisieren, neue und aussichtsreiche Studiengänge sind zu fördern. Die Hochschule kann selbst durch interne Umwidmung von Ressourcen wesentlich dazu beitragen. Nötig ist eine Verkürzung der überlangen Studienzeiten durch eine sinnvolle und effiziente Gestaltung des Studiums und eine Begrenzung der Leistungsnachweise auf das notwendige Maß.

Die Qualität der Lehre ist durch geeignete Anreize zu steigern, dabei ist besonders auf die Vermittlung eines breiten Grundwissens zu achten.

Für mich ist die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses ein herausragender bildungspolitischer Schwerpunkt. Dabei sind junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gleichberechtigt – das ist heute aktuell in dem Haus – und unter dem Gesichtspunkt der Qualität gezielt zu fördern. Gerade der demokratische Staat und die moderne, von Wissenschaft und Technik bestimmte Gesellschaft brauchen geistige Eliten von Universitäten und Hochschulen. Sie sind ein lebensnotwendiges Element, das unser Volk geistig und gesellschaftlich voranbringt und so seinen wissenschaftlichen und damit auch seinen wirtschaftlichen und politischen Rang in der gesamten Welt sichert.

Komplizierte und vielschichtige Fragestellungen verlangen interdisziplinäre fakultäts- und hochschulübergreifende Kooperation. Die Universitäten und Hochschulen müssen stets Orte internationaler Begegnung, des Wissenschaftsaustausches und des wissenschaftlichen Dialoges sein. Insbesondere gilt das für die Hochschulen der Länder Osteuropas und – mit Blick auf den europäischen Einigungsprozeß – für die Hochschulen im gesamten Europa.

Bildung und Erziehung stehen für eine persönlichkeitsgerechte und leistungsorientierte Gesellschaft. Bildung eröffnet dem Menschen Chancen für ein Leben in Freiheit, Selbstentfaltung und Verantwortung in der Gemeinschaft, sie eröffnet uns Berufswege, bietet gesellschaftlichen Aufstieg und sozialen Ausgleich, sie ermöglicht Orientierung, Urteilskraft und Verantwortungsbewußtsein. Der Wettbewerb der Völker und Nationen verlangt schöpferischen Umgang mit der eigenen Tradition und den Herausforderungen der Gegenwart.

Bildung und Erziehung sichern die Weitergabe der kulturellen Traditionen unseres Volkes, der religiösen Werte und wissenschaftlichen Erkenntnisse an die nächsten Generationen. Sie fordern zugleich kulturelle und wissenschaftliche Neuschöpfungen heraus.

Bildung ist Investition in die Zukunft. Bei der Auswahl der Bildungsinhalte muß sich der Staat von der Vielfalt der gewachsenen Kultur, von unserer demokratischen Grundordnung, aber auch von Anforderungen eines sich einigenden Europas und einer zusammenwachsenden Welt leiten lassen. Man muß die Freiheit der Lehrenden entsprechend ihrem Bildungs- und Erziehungs


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auftrag gewährleisten. – Ich danke sehr. (Beifall bei der ÖVP und bei Bundesräten der Freiheitlichen.)

13.51

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Als nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Dr. Ludwig. – Bitte.

13.51

Bundesrat Dr. Michael Ludwig (SPÖ, Wien): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Bundesministerin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Kollegin Mühlwerth! Sie haben es ganz richtig erkannt: Die vorliegende Novelle zum Universitäts-Studiengesetz ist eine Maßnahme, mit der die Tätigkeit der Österreichischen Hochschülerschaft unterstützt werden soll. Ich halte das auch für eine richtige Maßnahme.

Aufgrund der nunmehr vorgeschlagenen Änderungen müssen Studierende in allen Semestern, in denen sie Lehrveranstaltungsprüfungen ablegen wollen, dafür Sorge tragen, daß eine Meldung über die Fortsetzung des Studiums erfolgt ist. Der Österreichischen Hochschülerschaft ist dadurch die Bezahlung des Hochschülerschaftsbeitrages gesichert.

Wenn man davon ausgeht, daß die ÖH eine gesetzliche Interessenvertretung der Studierenden in Österreich ist, muß man sagen: Wenn man sich zu dieser Interessenvertretung bekennt, muß man sich auch dafür einsetzen, daß die finanzielle Absicherung dieser Interessenvertretung gewährleistet ist.

Mit der vorliegenden Änderung des Universitäts-Studiengesetzes wird die Fortsetzung des Studiums an die Einzahlung des ÖH-Beitrages gebunden. Die ÖH hat dadurch die Möglichkeit, die Fülle ihrer Aufgaben im demokratiepolitischen, aber auch im sozialen Bereich zu erfüllen. Sie betreut nicht nur Studentinnen und Studenten, sondern bietet im übrigen auch die Möglichkeit, daß sich die Studierenden in den Universitätsbetrieb sinnvoll einordnen können.

Frau Kollegin Mühlwerth! Ich verstehe Sie nicht ganz, wenn Sie aufgrund des Umstandes, daß es mehrere oder viele Fraktionen im Rahmen der ÖH gibt, das als Streitereien bezeichnen, wenn es darum geht, einen Vorsitzenden zu wählen. Ich würde Sie – überspitzt formuliert – fragen wollen: Wie würden Sie dazu stehen, wenn es im Parlament einmal so viele Parteien gäbe und es bei einer Regierungsbildung zu Kontroversen käme? Wäre dann Ihr Vorschlag – ich unterstelle Ihnen das nicht, aber das wäre die logische Konsequenz daraus –, das Parlament abzuschaffen? – Ich nehme an, nein. (Bundesrätin Mühlwerth: Ich habe auch nicht gesagt, daß man die ÖH abschaffen soll! Ich habe es nicht gesagt!)

Ich würde daher meinen, daß das, wenn es auch innerhalb der ÖH zu kontroversiellen Diskussionen kommt, letzten Endes eine Institution ist, durch die sich die Studierenden im demokratischen Bereich einbringen können und in der sie die unterschiedlichen politischen Vorstellungen artikulieren können. (Bundesrätin Mühlwerth: Ich habe gesagt, das einzige, was man hört von der ÖH, sind die Streitereien!) Und wenn man das als Streitereien bezeichnet, zeugt das von einer demokratiepolitisch falschen Einstellung, würde ich sagen.

Eine sinnvolle Einbeziehung der Studierenden in den Universitätsbetrieb orte ich in der vorgeschlagenen Evaluierung des Universitätsbetriebes.

Es ist in den letzten Tagen sehr viel über die Vorschläge des Herrn Bundesministers Einem geschrieben und gesagt worden. Wir haben auch in der heutigen Diskussion einige Mißinterpretationen dieser Vorstellungen und Vorschläge gehört. Ich habe die Formulierungen, die von Ihnen, Frau Kollegin Mühlwerth, und auch vom Kollegen Jaud gekommen sind, vom Bundesminister nicht gehört. Mir ist der Begriff "Spitzel" in keiner Weise in Erinnerung. Er hat das meines Wissens weder gesagt noch irgendwo geschrieben. (Bundesrätin Mühlwerth: Ich bezeichne es so!)

Ich teile auch seine Einschätzung, daß es in Österreich sehr gute Universitäten und hervorragende Professoren gibt, auch sehr gute Dozenten und Assistenten, daß es aber in den


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Handlungsabläufen Schwierigkeiten gibt, zum Beispiel beim Ansetzen von Prüfungsterminen, und daß diese administrativen Probleme letzten Endes mit ein Grund dafür sind, daß die Verweildauer der Studierenden an unseren Hochschulen relativ lang ist.

Darüber nachzudenken, wie man diese administrativen, organisatorischen Schwierigkeiten beseitigen kann, muß einem Bundesminister, wie ich meine, zugestanden werden. Ich halte das auch durchaus für sinnvoll. (Bundesrätin Mühlwerth:  ... genau auf diese Art und Weise passiert es, daß man sagt, man bezahlt einen, den man heimlich hineinsetzt! Das ist ganz typisch für Minister Einem!)

Ich beziehe mich eher auf das, was er auch im Wege von Verordnungen schon vorgestellt hat. Wir können uns natürlich auch über verschiedenste Interpretationen hier unterhalten, diese diskutieren, aber ich möchte mich eigentlich eher auf das beziehen, was er schriftlich vorgelegt hat, nämlich im Rahmen einer Verordnung, die bereits im vergangenen Jahr von ihm erlassen wurde, in der ganz genau festgelegt ist, wie diese Evaluierung aussehen soll.

Es gibt vier Evaluierungsarten, die er im Rahmen dieser Verordnung vorstellt.

Erstens: die Bewertung von Forschungstätigkeiten durch externe Fachleute. Das ist etwas, was in Großbetrieben durchaus immer wieder gemacht wird. Es werden immer wieder auch externe Fachleute beispielsweise zur Organisationsberatung beigezogen.

Zweitens: Sachverständigenbefragungen und -gutachten. Auch das ist etwas, was in der Wirtschaft durchaus üblich ist.

Drittens: sachbezogene Aufbereitung von Kennzahlen, insbesondere aus den Arbeitsberichten der Institutsvorstände – etwas, was auch in unserem Kreis keinen Widerspruch finden wird.

Viertens – das ist etwas, was ich für sehr gut halte, und deshalb ist auch die Österreichische Hochschülerschaft als Interessenvertretung der Studierenden so besonders wichtig –: In diese Evaluierung der Universitäten sollen auch die Studierenden in ganz besonderer Weise eingebunden werden, nämlich durch die Bewertung von Lehrveranstaltungen durch die Studierenden. Ich halte das für eine sinnvolle Beteiligung der Studierenden, die im übrigen so neu auch wieder nicht ist, denn bereits im Universitäts-Organisationsgesetz aus dem Jahr 1993 ist diese Möglichkeit einbezogen worden. Es wurde bereits vorgeschlagen, die angegebenen Ziele, Inhalte, die Didaktik, aber beispielsweise auch die Lernbehelfe einer Lehrveranstaltung von Studierenden begutachten und bewerten zu lassen.

Ich halte das für einen weiteren Schritt im Bereich der Demokratisierung unserer Universitäten und Hochschulen, und in diesem Sinne unterstütze ich alle Maßnahmen, die mithelfen, die Österreichische Hochschülerschaft zu unterstützen, und werde gegen diese Vorlage keinen Einspruch erheben. (Beifall bei der SPÖ und bei Bundesräten der ÖVP.)

13.57

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall.

Die Debatte ist geschlossen.

Wird von der Berichterstattung ein Schlußwort gewünscht? – Auch das ist nicht der Fall.

Wir kommen daher zur Abstimmung über den Beschluß des Nationalrates vom 21. Jänner 1998 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Universitäts-Studiengesetz geändert wird.

Ich bitte jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den vorliegenden Beschluß des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmenmehrheit.

Der Antrag, keinen Einspruch zu erheben, ist somit angenommen.


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Wir kommen weiters zur Abstimmung über den Beschluß des Nationalrates vom 21. Jänner 1998 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Studienförderungsgesetz geändert wird.

Ich bitte jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den vorliegenden Beschluß des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmenmehrheit.

Der Antrag, keinen Einspruch zu erheben, ist somit angenommen.

9. Punkt

Beschluß des Nationalrates vom 21. Jänner 1998 betreffend ein Abkommen zwischen der Republik Österreich und der Republik Ungarn über Gleichwertigkeiten im Hochschulbereich samt Anlagen (742 und 1024/NR sowie 5635/BR der Beilagen)

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Wir gelangen nun zum 9. Punkt der Tagesordnung: Abkommen zwischen der Republik Österreich und der Republik Ungarn über Gleichwertigkeiten im Hochschulbereich samt Anlagen.

Ich sehe, daß der Berichterstatter, Herr Mag. Gudenus, nicht im Raum anwesend ist, und darf daher den Vorsitzenden des Ausschusses, Kollegen Bösch, bitten, uns den Bericht zu bringen.

Berichterstatter Dr. Reinhard Eugen Bösch: Frau Vizepräsidentin! Meine Damen und Herren! Ich bringe den Bericht über den Beschluß des Nationalrates vom 21. Jänner 1998 betreffend ein Abkommen zwischen der Republik Österreich und der Republik Ungarn über Gleichwertigkeiten im Hochschulbereich samt Anlagen.

Ziel des gegenständlichen Beschlusses des Nationalrates ist es, die Fragen von Anerkennungen und Gleichwertigkeiten in genereller Form neu zu regeln, wobei bestehende Abkommen mit anderen Staaten als Vorbild dienen sollen.

Dieses Abkommen legt die Bedingungen fest, unter denen Studien zwischen beiden Vertragsstaaten angerechnet, Prüfungen anerkannt und akademische Grade geführt werden können. Die Bestimmungen umfassen den Bereich der Universitäten, der Hochschulen künstlerischer Richtung und der Fachhochschul-Studiengänge.

Der gegenständliche Staatsvertrag ist gesetzändernd und gesetzesergänzend, enthält aber keine verfassungsändernden Bestimmungen.

Eine Zustimmung des Bundesrates gemäß Artikel 50 Abs. 1 zweiter Satz B-VG ist nicht erforderlich, da keine Angelegenheiten, die den selbständigen Wirkungsbereich der Länder betreffen, geregelt werden.

Dem Nationalrat erschien bei der Genehmigung des Abschlusses des vorliegenden Staatsvertrages die Erlassung von besonderen Bundesgesetzen im Sinne des Artikels 50 Abs. 2 B-VG zur Überführung des Vertragsinhaltes in die innerstaatliche Rechtsordnung nicht erforderlich.

Der Ausschuß für Wissenschaft und Forschung stellt nach Beratung der Vorlage am 10. Februar 1998 mit Stimmeneinhelligkeit den Antrag, keinen Einspruch zu erheben.

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Ich danke für den Bericht.

Wortmeldungen liegen zu diesem Tagesordnungspunkt nicht vor.

Wünscht jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall.

Wir kommen daher zur Abstimmung.


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Ich bitte jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den vorliegenden Beschluß des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Es ist dies Stimmeneinhelligkeit.

Der Antrag, keinen Einspruch zu erheben, ist somit angenommen.

10. Punkt

Beschluß des Nationalrates vom 21. Jänner 1998 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Tiertransportgesetz-Luft geändert wird (739 und 961/NR sowie 5636/BR der Beilagen)

11. Punkt

Beschluß des Nationalrates vom 21. Jänner 1998 betreffend ein Bundesgesetz über den Transport von Tieren auf der Eisenbahn (Tiertransportgesetz-Eisenbahn – TGEisb) (946 und 963/NR sowie 5637/BR der Beilagen)

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Wir gelangen nun zu den Punkten 10 und 11 der Tagesordnung, über welche die Debatte unter einem abgeführt wird.

Es sind dies: ein Bundesgesetz, mit dem das Tiertransportgesetz-Luft geändert wird und

ein Bundesgesetz über den Transport von Tieren auf der Eisenbahn.

Die Berichterstattung über die Punkte 10 und 11 hat Frau Bundesrätin Crepaz übernommen. – Bitte.

Berichterstatterin Irene Crepaz: Aufgrund eines Redaktionsversehens ist in den Ausschußberatungen des Nationalrates über die Stammfassung des Tiertransportgesetzes-Luft am 7. Feber 1996 im § 18 Abs. 1, 3 und 4 anstelle des in der Regierungsvorlage enthaltenen Begriffes "Zollorgane" der Begriff "Organe der Grenzkontrolle" gesetzt worden. Da unter dem Begriff "Organe der Grenzkontrolle" die Überwachung von Bewegungen eines Menschen über die Bundesgrenze gemeint ist, muß der ursprünglich vorgesehene Begriff "Zollorgane" wieder aufgenommen werden.

Mit diesem Beschluß des Nationalrates soll eine effektive Kontrolle der Tiertransporte auf dem Luftweg von, nach und durch Österreich gewährleistet werden.

Ein von den Bundesräten Peter Rieser und Erich Farthofer eingebrachter Entschließungsantrag, womit der Bundesminister für Wissenschaft und Verkehr aufgefordert wird, den gemäß Entschließung des Nationalrates vom 21. Jänner 1998 diesem vorzulegenden Bericht über die Entwicklung des Tiertransportwesens auch dem Bundesrat vorzulegen, wurde mit Stimmeneinhelligkeit angenommen.

Der Ausschuß für öffentliche Wirtschaft und Verkehr stellt nach Beratung der Vorlage am 10. Feber 1998 mit Stimmeneinhelligkeit den Antrag,

1. keinen Einspruch zu erheben und

2. die dem schriftlichen Bericht beigedruckte Entschließung anzunehmen.

Der Text der Entschließung lautet:

"Der Bundesminister für Wissenschaft und Verkehr wird aufgefordert, den gemäß Entschließung des Nationalrates vom 21. Jänner 1998 diesem vorzulegenden Bericht über die Entwicklung des Tiertransportwesens auch dem Bundesrat vorzulegen."

Der zweite Bericht: Mit dem gegenständlichen Beschluß des Nationalrates soll die gesetzliche Verankerung erreicht werden. Er enthält Bestimmungen über:


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die Zulässigkeit von Tiertransporten,

die Durchführung solcher Transporte,

die Ausstattung der Transportmittel, der Verlade- und Entladevorrichtungen und der Anhängervorrichtungen,

Begrenzung der Schlachttiertransportdauer auf sechs Stunden, Fütterungs- und Tränkungszeiten, über die Betreuung der Tiere während des Transportes sowie über die Transporthöchstdauer,

die zuständigen Behörden und

die Überwachung der Einhaltung dieser Bestimmungen.

Der Ausschuß für öffentliche Wirtschaft und Verkehr stellt nach Beratung der Vorlage am 10. Feber 1998 mit Stimmeneinhelligkeit den Antrag, keinen Einspruch zu erheben.

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Ich danke für die beiden Berichte.

Wir gehen in die Debatte ein, die über die zusammengezogenen Punkte unter einem abgeführt wird.

Zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesrat Grasberger. – Bitte.

14.04

Bundesrat Ing. Walter Grasberger (ÖVP, Niederösterreich): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Frau Bundesministerin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wenn es um Fragen des Tiertransportes geht, schlagen in der Öffentlichkeit nicht selten die Wogen hoch. Ich meine, daß zu Recht Frächter, die da und dort vereinzelt als schwarze Schafe – im wahrsten Sinne des Wortes – die Tiere unter unwürdigen Bedingungen über Tausende Kilometer transportieren, an den Pranger gestellt werden.

Wir als Gesetzgeber haben die Aufgabe, Rahmenbedingungen zu schaffen, die eine würdige Verfrachtung des Geschöpfes Tier ermöglichen und dort harte Strafen zulassen, wo lebende Tiere als Geschöpfe wie tote Ware behandelt werden und nicht tiergerechte Ruhezeiten beziehungsweise tiergerechte Fütterungsmöglichkeiten während des Transportes gewährleistet werden.

Die beiden vorliegenden Bundesgesetze, das Tiertransportgesetz-Eisenbahn und das Tiertransportgesetz-Luft, haben es sich zur Aufgabe gemacht, bestehende EU-Vorschriften umzusetzen – wenn auch verhältnismäßig spät.

Die einhellige Zustimmung im Ausschuß für öffentliche Wirtschaft und Verkehr war geprägt vom gemeinsamen Willen, Verbesserungen beim Tiertransport zu unterstützen. Für mich war allerdings in der Ausschußsitzung wieder einmal das vorgebrachte Begehren der sozialdemokratischen Fraktion hinsichtlich der Einführung eines bundeseinheitlichen Tierschutzgesetzes unverständlich.

Mir als Landesvertreter – ich schaue da insbesondere auf dich, Kollege Farthofer – wurde in der Ausschußsitzung wirklich nicht klar, wie man sich als Landesvertreter dafür aussprechen kann, daß eine in den Händen der Landesgesetzgebung befindliche Kompetenz dem Bund übertragen werden soll. Es kann meines Erachtens nicht das Ziel der Länderkammer sein, sich darum zu bemühen. (Bundesrätin Crepaz: Vernünftig wäre es!)

Die Tierhaltung im Bundesland Wien ist mit Sicherheit nicht vergleichbar mit der Tierhaltung im Bundesland Niederösterreich, weil einfach schon von der Form her in diesen beiden Bundesländern ganz unterschiedliche Akzente gesetzt werden. Ich möchte ein Beispiel anführen, um das zu verdeutlichen.


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In Niederösterreich steigt die Zahl jener Fälle, in denen Tierhalter, die aus landwirtschaftsfremden Berufen kommen, Tierhaltung auf Liegenschaften betreiben, die sie selbst nicht oder vielleicht auch nur zeitweise bewohnen. Wenn es dann auf einem solchen nicht bewohnten Einzelhof zu einer Brandkatastrophe kommt – das war erst vor kurzem im Semmeringgebiet der Fall –, dann ist rasche Hilfe für die Tiere einfach nicht möglich. 40 Schafe sind in diesem Fall elend in den Flammen umgekommen.

Ich denke, daß wir – um wieder auf die Frage: Tierschutzregelung auf Bundes- oder auf Landesebene? zurückzukommen – auf Landesebene durchaus darüber nachdenken, die entsprechenden Schlüsse ziehen und das nicht auf die Bundesebene verlagern sollten.

Auf Landesebene könnten wir konkret in Richtung tierfreundlicherer Stallformen denken, beispielsweise an Laufställe mit freiem Auslauf, wodurch die Möglichkeit bestünde, daß die Tiere, auch wenn niemand auf diesem Gehöft anwesend ist, den Flammen entkommen können.

Ein wichtiges Anliegen möchte ich hier auch noch einbringen: Es gibt ein Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 11. Dezember 1996, das besagt, daß ein Frächter nicht bestraft werden kann, wenn er nach dem Grenzübertritt nach Österreich sozusagen neu mit dem Zählen der Kilometer beginnt, auch wenn er vorher beispielsweise schon mehr als 1 000 Kilometer weit – im konkreten Fall waren es mehr als 1 000 Kilometer – die Tiere transportiert hat.

Ich möchte daher an Sie, sehr geehrte Frau Bundesministerin, die Sie heute in Vertretung des Herrn Verkehrsministers Einem hier sind, das Ersuchen richten, darauf hinzuwirken, daß diese tierunfreundliche Bestimmung möglichst rasch korrigiert wird.

In diesem Sinne wird meine Fraktion selbstverständlich die Zustimmung zu den vorliegenden Beschlüssen des Nationalrates geben. – Danke. (Beifall bei der ÖVP sowie Beifall des Bundesrates Pfeifer. )

14.10

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Nächster Redner ist Herr Bundesrat Farthofer. – Bitte.

14.10

Bundesrat Erich Farthofer (SPÖ, Niederösterreich): Frau Präsidentin! Frau Bundesministerin! Geschätzte Damen und Herren! Kollege Grasberger! Ich verstehe die Aufregung nicht. Ich verstehe sie deshalb nicht, weil bekannt ist, daß der Niederösterreichische Landtag beziehungsweise die Niederösterreichische Landesregierung bereits ein wirklich vorbildliches Tierschutzgesetz, das Vorbild für ganz Österreich sein sollte, beschlossen hat. Ich darf die Schwerpunkte in Erinnerung rufen und aus der Sicht Niederösterreichs fordern, diese auch auf Bundesebene umzusetzen.

Schwerpunkte des Bundestierschutzgesetzes sollten unter anderem ein strenger Strafkatalog für den Tatbestand der Tierquälerei, Verbote von Pferdedoping und ein modernes Schutzsystem mit Tierschutzsiegeln für Tiere in landwirtschaftlicher Haltung sein. Mit einem Bundestierschutzgesetz müßte auch die entsprechende Mitfinanzierung des Bundes gesichert werden. Weiters müßte eine bundeseinheitliche Regelung auch eine österreichweit gültige Begriffsdefinition enthalten, die zwischen der Haltung von Heim-, Wildtieren und Nutztieren unterscheidet. Weiters seien Regelungen für Heimtiere, Wildtiere, Pelztiere und Sporttiere zu treffen.

Ich möchte noch einmal in Erinnerung rufen: Niederösterreich war hier wirklich beispielgebend. Das am 11. September 1996 beschlossene Tierschutzgesetz hat bereits vieles vorweggenommen, was auf Bundesebene einheitlich geregelt werden soll. In Niederösterreich gibt es noch keinen Verhaltenskodex, da muß man etwas tun, wie etwa bei der Wildtierhaltung. Und am 16. März 1997 wurde ein weiteres diesbezügliches Landesgesetz beschlossen.

Also noch einmal: Ich verstehe die Aufregung nicht. Es ist sehr viel geschehen, und es wäre wünschenswert, daß dies auch auf Bundesebene passiert.


Bundesrat
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Jetzt zum heutigen Gesetz. Mit dem Tiertransportgesetz-Eisenbahn hat Österreich seine europäische Vorreiterrolle bestätigt. Auch für die Tierschützer ist dies eine fortschrittliche und umfassende Regelung. Es geht darum, daß in Österreich tatsächlich nur transportfähige Tiere transportiert werden dürfen, daß eine Betreuung der Tiere artgerecht erfolgt, daß nur mit tiergerechten Transportmitteln befördert wird und es größtmögliche Schonung bei Ein- und Ausladung gibt. Es gibt weiters eine Begrenzung bei Schlachttiertransporten auf sechs Stunden.

Meine Damen und Herren! Wir alle haben noch – wir haben darüber hier im Hohen Haus schon des öfteren diskutiert – die sehr eindrucksvolle Berichterstattung des ORF-Redakteurs Walter Schiejok über die internationalen Tiertransporte in Erinnerung. Wir alle sind aufgerufen, nicht nur darüber zu diskutieren, sondern alles daranzusetzen, um da Verbesserungen zu erzwingen. Ich sage das mit aller Deutlichkeit. Erfreulicherweise – aber es ist nach wie vor zuwenig – hat die EU auf die österreichischen Forderungen und Vorstellungen reagiert und einiges davon bereits aufgenommen.

Tiertransporte mit einer Dauer von mehr als acht Stunden sind einer klaren Regelung zuzuführen. Es müssen Spezialfahrzeuge mit hohem Tierschutzstandard, mit Einstreufütterung, Wasserversorgung und Belüftung, zum Einsatz kommen. Dies wird in diesem Gesetz klar geregelt.

Mein persönliches Anliegen ist, daß die EU-Gelder natürlich auch in Zukunft nur ausbezahlt werden sollten, wenn die Tiere in einem guten Zustand den Zielort erreichen. Wir werden von der Öffentlichkeit und vor allem von den Medien sehr oft von den bedauerlichen Mißständen in diesem Bereich informiert.

Nun zum Entschließungsantrag, meine sehr verehrten Damen und Herren! Der im Ausschuß eingebrachte Entschließungsantrag zielt auf eine weitere Verbesserung in diesem Bereich ab. Unser Verkehrsminister wird ersucht, uns einen Bericht vorzulegen, der die Entwicklung des Tiertransportwesens der letzten fünf Jahre in Österreich, aber auch international darstellt. Wir können dann im Bundesrat diesen Bericht analysieren und etwaige Verbesserungen vorschlagen.

Herr Kollege Grasberger! Noch einmal darf ich in Erinnerung rufen, daß der niederösterreichische Naturschutz- und Gesundheitslandesrat eine sehr lobenswerte und auch von der Öffentlichkeit gutgeheißene Aktion ins Leben gerufen hat, nämlich Mitte Dezember vorigen Jahres, unter dem Titel: Laßt sie leben! Wir haben erfreulicherweise bereits 35 000 Unterschriften bekommen, die dokumentieren, daß die niederösterreichischen Aktivitäten bundesweit anerkannt werden sollten. Auf der anderen Seite dokumentieren sie aber auch, daß der Tierschutz in Niederösterreich ein spezielles Anliegen ist.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir sind aufgefordert, uns auf EU-Ebene dafür einzusetzen und alles zu tun, daß die milliardenteuren und tierfeindlichen Zucht- und Schlachtmethoden, die, wie ich behaupte, auch zu großen Tierseuchen führen, wie wir in Deutschland vor einigen Wochen gesehen haben, ein Ende finden.

Ich persönlich halte das Gesetz für sehr gut, möchte aber abschließend noch folgendes sagen: Kollege Jaud, der momentan nicht anwesend ist, hat hier in einer für mich sehr überraschenden Art und Weise den abwesenden Verkehrsminister kritisiert und unter anderem gesagt, daß er sich für die Aussagen des Herrn Bundesministers schäme. Ich bin ein niederösterreichischer Mandatar und momentan in der unglücklichen Lage und in der wirklich betroffenen Situation, daß ich mich in der Öffentlichkeit für den ersten Repräsentanten des Landes Niederösterreich schäme, der von einer christlichen Partei kommt und es ganz einfach als notwendig erachtet, sich in der Öffentlichkeit, coram publico, vor laufender Kamera, mit den hohen Geistlichen anzulegen. Er hat dort gesagt, daß er sich angemotzt fühlt, und einiges andere mehr.

Geschätzte Damen und Herren der ÖVP! Ich als niederösterreichischer Vertreter sehe da die Gefahr, daß wir als Politiker, wenn hohe Repräsentanten der Politik solche Aussagen tätigen, solche Äußerungen, solch populistischen Klatsch von sich geben, sehr viel an Ansehen in der


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Öffentlichkeit verlieren. Da ich persönlich mit diesem Herrn nicht diskutiere und nicht spreche, würde ich Sie bitten, ihm das auszurichten. (Beifall des Bundesrates DDr. Königshofer. )

Wir von der sozialdemokratischen Fraktion werden diesem Gesetz die Zustimmung geben. (Beifall bei der SPÖ.)

14.17

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Als nächster zu Wort gemeldet ist Herr DDr. Königshofer. – Bitte.

14.17

Bundesrat DDr. Franz Werner Königshofer (Freiheitliche, Tirol): Frau Präsidentin! Frau Bundesministerin! Meine Damen und Herren! Ich möchte meine Ausführungen mit einem Zitat aus der "Kronen Zeitung" vom 23. 1. 1998 beginnen, in welcher wiederum aus einem Schulbuch zitiert worden ist, und zwar aus dem Sprachbuch 3 für Haupt- und allgemeinbildende höhere Schulen. Dort heißt es – ich zitiere –: "Kühe, Schweine und Hühner arbeiten heute in Tierfabriken für den Menschen." – Zitatende. Da könnte man jetzt noch anfügen: Und nach getaner Arbeit werden sie irgendwohin verbracht, tot oder lebendig. Damit wären wir schon beim heutigen Thema.

Meine Damen und Herren! Ich weiß nicht, wie solch ein Zitat in ein Schulbuch kommt. Ist es die Gedankenlosigkeit jener Leute, die heute bei der Erstellung solcher Lehrmittel tätig sind, oder sickert hier schon ein offizieller oder inoffizieller EU-Sprachgebrauch durch?

Die vorliegenden Gesetze, das Tiertransportgesetz-Luft, das nur eine formale Korrektur erfährt, und das Tiertransportgesetz-Eisenbahn, genauso wie das Tiertransportgesetz-Straße, sind meines Erachtens leider nur Kosmetik an bestehenden Symptomen. Trotzdem befürworten wir Freiheitliche diese Gesetze, weil wir meinen, daß jede Maßnahme, die zur Verringerung des Tierleides beitragen kann, unterstützt werden sollte.

Das eigentliche Problem aber, meine Damen und Herren, liegt wesentlich tiefer. Zuerst möchte ich einmal über die – ich nenne es ganz bewußt so – Verbringung lebender Tiere sprechen, das heißt über die Lebendtiertransporte für Exportzwecke. Der Skandal dabei liegt in der Tatsache, daß die EU solche Transporte ganz massiv unterstützt und fördert. Allein im Jahre 1996 hat die EU für Subventions- und Ausfuhrerstattungen im Zusammenhang mit Lebendtiertransporten rund 300 Millionen Ecu oder umgerechnet rund 4 Milliarden Schilling bereitgestellt.

Meine Damen und Herren! So etwas kann man auch als EU-subventionierte Tierquälerei bezeichnen. Meines Erachtens wäre es weit sinnvoller, die Wertschöpfung in den eigenen Schlachthöfen, im eigenen Land zu belassen und dann das Schlachtfleisch zu exportieren. Ich weiß schon, daß dann immer wieder das Argument kommt, die Abnehmerländer, in welche das Fleisch transportiert wird – das sind vor allem der Libanon, Ägypten und die Türkei, wo 1996 rund eine halbe Million Schlachttiere hintransportiert wurde –, wollen unsere Schlachtmethoden nicht akzeptieren, weil sie selbst nach ihren Regeln und Ritualen die Tiere schlachten wollen. Das heißt, die Tiere werden der Schächtung und damit der letzten Qual vor ihrem Tod ausgeliefert.

Meine Damen und Herren! Ich bekomme auch immer wieder Zuschriften von Tierschützern, und es ist schon sehr erschütternd, was man hier lesen und welche Bilder man sich hier anschauen muß. In der Zeitschrift "Tierschutz konsequent" vom Verein gegen Tierfabriken wird eine Schilderung aus dem Adria-Hafen Koper wiedergegeben, wo genau dieses Problem angesprochen wird. Ich zitiere: Bei Recherchen im slowenischen Hafen von Koper verschafften wir uns Zugang zu den Laderäumen der Almahmard II – das ist ein Frachtschiff –, vollgepfercht mit 700 Überschußrindern aus EU-Ländern. In dem extrem heißen, dunklen Schiffsrumpf treten diese gequälten Nutztiere ihre letzte Reise an. Viele werden verdursten oder vor Erschöpfung sterben. Das nennt man kalkulierten Ausschuß. Die überlebenden erwartet in den islamischen Zielländern das stumpfe Messer der Schächter, weil das Entbluten durch Kehlschnitt ohne Betäubung dort eben der religiös begründete Brauch ist. – Ende des Zitats.


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Meine Damen und Herren! Ich meine, wenn der Fleischbedarf in diesen Ländern gegeben ist, dann werden diese auch Schlachtfleisch in entsprechender Quantität abnehmen und importieren, bevor Mangel in diesen Ländern oder gar Hungersnöte auftreten. Außerdem sollten wir auch unsere abendländische Ethik nicht ganz vergessen, denn immerhin feiern wir jeden 4. Oktober den Tag des Heiligen Franziskus von Assisi, und daran sollten wir uns als Europäer auch erinnern, wenn wir diese Dinge heute besprechen und über die Situation in diesem Bereich oft sehr betroffen sind.

Die Tierquälerei beginnt aber in Europa schon viel früher, nicht erst beim Transport. Jetzt komme ich wieder auf das Eingangszitat zurück, auf die Tierfabriken, in denen die lieben Tiere für die Menschen "arbeiten". Das Leid beginnt in den Agrarfabriken, bei der industriellen Herstellung der Lebensmittel, bei der Massentierhaltung. Kollege Farthofer hat das schon angesprochen: Es gibt riesige Legebatterien, es gibt riesige Stallungen für Schweine, Kühe und so weiter. Die Pikanterie an der Sache ist: Zuerst, wenn Gewinne gemacht werden, sind diese Gewinne privat, passiert aber dann etwas, wie beispielsweise der BSE-Skandal oder die Schweinepest in Holland und Deutschland, dann muß die öffentliche Hand in Form des Nationalstaates oder in Form der EU einspringen, und dann werden die Verluste sozusagen sozialisiert. Das ist das Problem, auch volkswirtschaftlich. (Bundesrat Farthofer: Das ist die Philosophie der Neoliberalen!)

Ja, ich stelle das nur dar: Die Massentierhaltung bringt zuerst Profite für den privaten Unternehmer, aber wenn dann 20 000, 30 000 oder 100 000 Tiere vernichtet und entsorgt werden müssen, dann muß die öffentliche Hand einspringen.

Wir Binnenländer sehen immer nur die Landwirtschaft, ich schaue mir aber immer wieder auch Berichte über die Fischerei und die Entwicklung des Fischereiwesens an. Dort spielt sich das gleiche wie im Bereich der Landwirtschaft ab. Auch hier gibt es schwimmende Fischfabriken, riesige Schiffe, die mit Echoloten auf die Meere hinausfahren, die Fischschwärme aufspüren, mit riesigen Netzen fangen und dann direkt auf den Schiffen verarbeiten. Auch hier werden Tiere grausam und qualvoll in den Netzen zu Tode gebracht. Das Tragische dabei ist, daß Tausende Fische gar nicht verwertet werden können, weil sie entweder ungenießbar sind oder nicht auf dem Fangplan stehen, und tot dem Meer wieder zugeführt werden.

Der Nebeneffekt ist in beiden Fällen der gleiche, sowohl bei der industrialisierten Landwirtschaft wie auch bei den schwimmenden Fischfabriken: der wirtschaftliche Ruin der Kleinbauern, der bäuerlichen Familienbetriebe beziehungsweise der kleinen Fischereibetriebe, die Überdüngung und Übersäuerung der Böden in der Landwirtschaft beziehungsweise die Ausfischung der Meere.

Letztendlich werden wir mit dieser Politik auf Dauer keinen Erfolg haben. Wir werden ähnliche Debakel erleben wie bei der BSE-Krise, und letztendlich wird uns diese Art der Landwirtschaftspolitik eine Verteuerung der Produkte bringen, weil all diese Schäden, all diese Ausfälle, die noch kommen werden, zu einer teureren Produktion und damit zu einer Verteuerung der Produkte führen werden.

Etwas möchte ich in diesem Zusammenhang noch ansprechen, weil es um den Tierschutz geht. Eine ganz besonders perfide Praktik wird seit der BSE-Krise im EU-Raum angewendet, und zwar die Ausschüttung der sogenannten Herodes-Prämie. Es ist so, daß ein gewisser Milchbedarf gegeben ist, der Bedarf an Rindfleisch aber seit der BSE-Krise aufgrund des Konsumentenverhaltens abgenommen hat. Das heißt jetzt, die Milchkühe, die Kälber werfen, braucht man, aber die Kälber nicht mehr, und deshalb hat die EU eine Prämie für die sofortige Tötung und Entsorgung neugeborener Kälber ausgesetzt. Diese sogenannte Herodes-Prämie hat im Jahr 1997 rund 2 000 S betragen, während dieselbe EU für die Aufzucht eines Mastkalbes lediglich rund 850 S zur Verfügung gestellt hat. So etwas nennt man in den EU-Gremien dann "Marktlenkung": Die Milch wird gefördert, das Fleisch wird entsorgt.

Meine Damen und Herren! Das ist eine recht unwürdige Vorgangsweise, und für diese Barbarei trägt leider ein Österreicher die Hauptverantwortung, es ist dies Agrarkommissar Dr. Franz


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Fischler. Meine Damen und Herren! Ich finde diese Situation und diese Vorgangsweise in der EU zum Schämen.

In Zusammenhang mit diesen Tiertransportgesetzen sollte man auch einen Paragraphen des Strafgesetzbuches beachten, und zwar § 222, in dem es um den Tierschutz geht. Ich meine, daß es gerade für die Vollziehung der hier vorliegenden Gesetze notwendig wäre, ein Zusammenwirken zwischen Tiertransportgesetzen und dem Tierquälerei-Paragraphen zu erreichen. § 222 Abs. 1 lautet: Wer ein Tier roh mißhandelt oder ihm unnötige Qualen zufügt, ist mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen zu bestrafen. Abs. 2 lautet: Ebenso ist zu bestrafen, wer, wenn auch nur fahrlässig, im Zusammenhang mit der Beförderung einer größeren Zahl von Tieren diese dadurch, daß er Fütterung oder Tränke unterläßt, oder auf andere Weise längere Zeit hindurch einem qualvollen Zustand aussetzt.

Ich meine, daß bei dementsprechenden Delikten auch das Strafgesetzbuch in Form dieses § 222 Abs. 2 beachtet werden sollte.

Wir Freiheitlichen – ich habe es schon einmal gesagt – stimmen dem Antrag, den vorliegenden Gesetzesbeschluß nicht zu beeinspruchen, gerne zu, meinen aber, daß eben nicht nur die Symptome beim Tiertransport bekämpft werden sollten, sondern daß es auch wichtig wäre, die Ursachen, die ich vorhin geschildert habe, zu bekämpfen und auch EU-weit abzustellen.

Meine Damen und Herren! Der Umgang mit Tieren zeigt den kulturellen Standard von Völkern. Die europäischen Völker haben meiner Meinung nach derzeit einen dringenden Bedarf, diesen Standard zu heben. – Danke. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

14.29

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Als nächster ist Herr Bundesrat Rieser zu Wort gemeldet. – Bitte.

14.29

Bundesrat Peter Rieser (ÖVP, Steiermark): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Frau Bundesministerin! Hohes Haus! Gleich vorweg zu meinem Vorredner: Lieber Herr Kollege Königshofer! Wenn man in die Vergangenheit schaut, dann muß man sagen, sind bis jetzt immer die Auflagen auf dem Rücken des Produzenten ausgetragen worden, und ich kann mich in der letzten Zeit wirklich nicht daran erinnern, daß der Konsument die Rechnung hätte tragen müssen. Diese Entwicklung spiegelt sich auch darin wider, daß das landwirtschaftliche Einkommen im vergangenen Jahr um 6,7 Prozent zurückgegangen ist.

Angesichts der seit Jahren laufenden Diskussion über den Tiertransport wurde seitens der Präsidentenkonferenz der Landwirtschaftskammern wiederholt eine Reihe von Verbesserungsvorschlägen in Brüssel eingebracht. Ich darf hier einige dieser Vorschläge nennen. Die Fleischexporte sollten gegenüber den Lebendtiertransporten bevorzugt behandelt werden, und ich erinnere an den Vorschlag, die Gewährung von Exporterstattungen an die Einhaltung der Tiertransportrichtlinien und aller übrigen Tierschutzbestimmungen zu binden – ein Vorschlag von Österreich.

Oder: Die Auszahlung der Erstattung sollte nur für jene Tiere erfolgen, die gesund am Bestimmungsort ankommen. Oder: In europäischen Schlachthöfen sollte die für den Islam notwendige Schlachtmethode erlaubt werden, um einerseits der Anforderung der Käufer nachzukommen und andererseits die Zahl der Lebendtiertransporte zu verringern beziehungsweise diese überhaupt zu vermeiden. Dies würde natürlich auch die Wertschöpfung in dem jeweiligen Staat entsprechend erhöhen.

Das Plenum des EU-Parlaments – wir haben es heute bereits gehört – fordert in diesem Zusammenhang eine mit acht Stunden begrenzte maximale Transportzeit für Tiere. Die österreichischen Abgeordneten stimmten gegen diese Bestimmung und forderten eine maximale Transportzeit von sechs Stunden für Schlachttiere. – Man muß in diesem Zusammenhang zwischen Nutztiertransport und Schlachttiertransport unterscheiden.


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Da wir heute über das Tiertransportgesetz-Luft und -Eisenbahn diskutieren, muß ich schon die Frage stellen, warum der Herr Bundesminister für Verkehr das Tiertransportgesetz-Straße nicht den EU-Richtlinien anpaßt. Dies bedeutet, daß zum Nachteil der Tiere nicht einmal die derzeit gültigen EU-Standards angewendet, kontrolliert und sanktioniert werden können.

Hohes Haus! Der Verwaltungsgerichtshof hat im Dezember 1996 einem deutschen Frächter recht gegeben, der die erlaubte Tiertransportzeit – man höre! – um das Fünffache überschritten hat – rund 20 Stunden Fahrzeit! – und deshalb jeweils 20 000 S hätte zahlen müssen. Das Höchstgericht entschied jedoch, daß die im Ausland zurückgelegten Strecken nicht mitgerechnet werden dürfen. Bestraft, so das Höchstgericht, könne nur jemand werden, der die Fracht vom Inland aus losgeschickt habe.

Herr Staatssekretär Ruttenstorfer! Ich würde Sie schon ersuchen, daß man das im Ministerrat bespricht, daß auch Herr Bundesminister Einem in diesem Zusammenhang kontaktiert wird und mir nicht, wie bei meiner parlamentarischen Anfrage vom 9. 7. 1997, einfach die kalte Schulter gezeigt wird, wenn es darum geht, Verbesserungen beim Tierschutz umzusetzen. Dies liegt auch keineswegs im Interesse der Unterzeichner des Tierschutzvolksbegehrens, die fälschlicherweise im Glauben gelassen worden sind, daß der Bund ein Garant für eine bessere Wahrung des Tierschutzrechtes ist.

In diesem Zusammenhang und angesichts der traurigen Tatsachen kann ich die beiden heutigen Gesetzesvorlagen nur als ersten Schritt – verstehen Sie mich: als ersten Schritt! – betrachten. EU-konform wäre eine Obergrenze von acht Stunden. Wir hätten die Möglichkeiten, Unklarheiten zu beseitigen. Gleichzeitig hat die Präsidentenkonferenz der Landwirtschaftskammern angeboten, daß bei jenen Transporten, die das AMA-Gütesiegel beanspruchen, die Sechs-Stunden-Frist freiwillig eingehalten wird. Aber wir hätten auf der anderen Seite die Möglichkeit, wenn das Gesetz EU-konform ist, daß hier rechtens vorgegangen werden könnte.

Die österreichischen Bauern, die ihre Tiere vorbildlich halten und pflegen, haben es satt, daß sie unter diesen Umständen immer wieder und zu Unrecht pauschal als Tierschutzsünder hingestellt werden, was angesichts der heimischen Strukturen in der Landwirtschaft, angesichts der Tatsache, daß wir den höchsten Anteil an Bio-Bauern und natürlich die höchste Teilnahme an Umweltprogrammen haben, nicht länger hingenommen werden kann. All diese Anschuldigungen sind nach unserer Auffassung nicht gerechtfertigt!

Es ist heute über das Tierschutzgesetz diskutiert worden. Herr Kollege Farthofer und Herr Kollege Grasberger haben es angesprochen. Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben hier im Bundesrat Landesinteressen zu vertreten, und ich bitte um Verständnis dafür, daß wir hier nicht immer nur parteipolitisch taktieren sollten. Von allen Bundesländern wurde die Artikel 15a-Vereinbarung des Nutztierschutzgesetzes mittels Landesgesetzen umgesetzt, und zwar mit höheren Standards, als die 14 EU-Länder sie haben. Wir haben eine einheitliche Regelung. Es gibt auch einen Expertenentwurf, welcher in der letzten Sitzung des Tierschutz-Unterausschusses des Nationalrates am 16. Jänner dieses Jahres diskutiert wurde.

Laut Bundesverfassung ist Tierschutz Landeskompetenz. Die Landeshauptleutekonferenz hat im Mai 1997 einstimmig entschieden, keinen so weitreichenden Kompetenzverschiebungen zuzustimmen. Nehmen wir zur Kenntnis, daß mit einem Bundes-Tierschutzgesetz auch die Jagdkompetenz von den Ländern an den Bund übertragen werden würde. Die Länder haben unterschiedliche Strukturen und Interessen. Ich denke in diesem Zusammenhang etwa an die Forderung nach einem Anbindeverbot für Nutztiere. Die viehlosen Betriebe wird dies weniger interessieren als jene, die ihr Einkommen über die Nutztierhaltung in den Bergregionen erzielen müssen.

Ich erlaube mir, auch in diesem Zusammenhang eine Frage zu stellen: Ist das Schutzbedürfnis der Kinder geringer als jenes der Tiere? – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Chauffeure von Tiertransporten müssen unbescholten sein, dürfen keinerlei Vorstrafen haben, während dies auf Chauffeure von Schulbussen nicht zutrifft!


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Ich fasse zusammen und möchte noch einmal darauf hinweisen, daß die Bundesregierung nicht darum herumkommen wird, auch das Tiertransportgesetz-Straße zu novellieren. Angestrebt werden eine Reduzierung der Exportquote von Lebendrindern sowie die Forcierung und der Ausbau von Fleischexporten. Im Zuchtviehbereich sollen Maßnahmen getroffen werden, um den Export – wir haben das auch im Ausschuß diskutiert – mit der Eisenbahn attraktiver zu gestalten. Für den Transport auf der Schiene benötigt man derzeit mehr als die doppelte Zeit als für den Transport auf der Straße.

Außerdem muß man unterscheiden: Der Transport auf der Schiene ist zwar der umweltfreundlichere, aber der tierfreundlichere Transport ist zur Zeit derjenige auf der Straße. Wir sollten daher keine pauschalen Verurteilungen der Tiertransporte vornehmen, sondern die Sache nüchtern und sachlich betrachten. Die tausenden Nutzrinder, die jährlich von Österreich in ferne Länder transportiert werden – ich betone: Nutzrinder, nicht Schlachtrinder! –, sind der beste Beweis für einen sachlichen Umgang mit diesem Bereich. Unsere Bauern schöpfen Einkommen aus dem Viehverkauf und sichern somit die Lebensgrundlage ihrer Familien. Und die Bauern erwarten Solidarität, die Solidarität unserer Gesellschaft.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Betrachten Sie unseren gemeinsamen Entschließungsantrag als Beweis dafür, daß uns der Tierschutz ein wichtiges Anliegen ist. Ich bitte daher um Ihre Zustimmung. – Danke. (Beifall bei der ÖVP und bei Bundesräten der SPÖ.)

14.40

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Als nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Grillenberger. – Bitte.

14.40

Bundesrat Johann Grillenberger (SPÖ, Burgenland): Frau Präsidentin! Herr Staatssekretär! Meine Damen und Herren! Ich möchte mich gleich vorweg entschuldigen, meine Stimme ist fast nicht vorhanden. In der Früh habe ich überhaupt keine Stimme gehabt. (Bundesrat Dr. Harring: Sehr interessant!) Ich glaube, ich habe Fieber. Ich nehme an, es wird Ihnen auch schon einmal so gegangen sein, lieber Herr Kollege!

Aber ich möchte trotzdem einige Worte zu diesem Gesetz über den Tiertransport auf der Schiene und in der Luft vorbringen. Von den Vorrednern ist schon intensiv darauf eingegangen worden, wie notwendig dieses Transportgesetz-Straße beziehungsweise -Eisenbahn ist. Es ist ein Beförderungsgesetz, das auch international abgestimmt worden ist.

Meine Damen und Herren! Ich denke, vielen von Ihnen sind die Fernsehberichte, die es vor einiger Zeit über die Tiertransporte gegeben hat, noch in Erinnerung. Ich glaube, daß damals nicht nur die Tierschützer sensibilisiert wurden, sondern die ganze Bevölkerung wurde durch diese grauenhaften Bilder aufgerüttelt.

Ich möchte es folgendermaßen beschreiben: Ein Mensch, der Hunger verspürt, kann einem anderen, der noch nie Hunger gehabt hat, nicht beschreiben, wie das ist. Ein Mensch kennt das Gefühl nicht, wenn er es nicht am eigenen Leib verspürt hat. Ich denke, auch wir Menschen können nicht konkret mitfühlen, wie es den Tieren in den beschriebenen Situationen geht. Ich verstehe schon, daß die Tiere auch als Ware behandelt werden müssen, aber trotz allem sollten wir die Tiere als Lebewesen achten und menschenwürdig behandeln. Dementsprechend sollten wir mit den Tieren auch beim Transport umgehen.

Es ist sehr begrüßenswert, daß beim Tiertransport auch jene Schutzbestimmungen erfüllt werden, nach welchen kranke, verletzte oder schwache Tiere nicht transportiert werden dürfen, und daß auch der Transportweg mit sechs Stunden zeitlich begrenzt ist. Ich meine, damit haben wir sicherlich nicht nur die EU-Richtlinien erfüllt – meine Vorredner haben acht Stunden gefordert –, sondern nehmen mit sechs Stunden maximaler Transportzeit eine Vorreiterrolle in ganz Europa ein. Dieses Zeitlimit können wir nur begrüßen.

Auch die Betreuung der Tiere während des Transports und die Ausstattung der Transportmittel werden in dieser Regelung angesprochen. Wenn man etwa besonders den Transport von Ost


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nach West und die erwähnten Bilder wieder vor Augen hat, die zeigen, wie manche Tiere während des Transports behandelt werden, dann muß man sagen, eine Regelung ist dringend notwendig. Eine solche ist nun für diesen Bereich festgeschrieben.

Meine Damen und Herren! Es gibt derzeit in ganz Europa heftige Diskussionen über den Lebendtiertransport. Es wurde schon angesprochen, ob man den Tiertransport nicht nur mit Lebendtieren durchführen sollte, sondern ob es nicht auch andere Transportmöglichkeiten für Fleisch durch halb und ganz Europa gibt. Man sollte entsprechende Regelungen finden. Manchmal hat man fast den Eindruck, daß Kilometergelder geschunden werden, weil man die Tiere durch halb Europa und per Schiff sogar durch die ganze Welt verfrachtet.

Zum Inhalt dieses Gesetzes wäre noch einiges zu sagen, aber meine Vorredner sind auf diese Materie schon sehr ausführlich eingegangen. Meine Fraktion wird diesem Gesetz die Zustimmung geben. – Ich danke für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPÖ. – Vizepräsidentin Haselbach überreicht dem Redner eine Packung Lutschtabletten gegen Halsweh. Bundesrat Grillenberger bedankt sich dafür. – Heiterkeit.)

14.44

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Als nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Eisl. – Bitte.

14.44

Bundesrat Andreas Eisl (Freiheitliche, Salzburg): Hohes Haus! Meine Damen und Herren! Herr Staatssekretär! Mit diesem Gesetz für den Tiertransport sollen die Regelungen über die Zulässigkeit der Tiertransporte, die Durchführung solcher Transporte, die Erstattung der Transportmittel, die Verladung und die Entladungsvorrichtungen, die Begrenzung der Schlachttiertransportdauer auf sechs Stunden, die Fütterungs- und Tränkezeiten, die Trennung der Tiere während des Transportes sowie die Transporthöchstdauer und über die für die Überwachung und Einhaltung dieser Bestimmungen zuständigen Behörden beschlossen werden.

Meine Damen und Herren! Die Diskussion über den Tiertransport hat bereits in den vergangenen Jahren hohe Wogen geschlagen. Sie müssen sich vorstellen, daß die Tiere beispielsweise auf einem Transport von Hamburg nach Salzburg 20 Stunden unterwegs sind, über 1 000 Kilometer transportiert werden, und auf der Grenze dann durch den Inspektor, der in Salzburg eingesetzt worden ist, durch den Tiertransportinspektor – das ist der Titel dieses Mannes –, kontrolliert werden, um dem Leid dieser Tiere entgegenzuwirken.

Es hat am Walserberg eine Reihe von Demonstrationen gegeben. Es werden täglich zirka 1 000 Stück Vieh über diese Strecke, über die Tauern Autobahn, in Richtung Süden, nach Italien und Griechenland, nach Triest oder Slowenien transportiert. Diese unmenschliche oder, besser gesagt, untierliche Haltung hat das Parlament oder das Ministerium jetzt in Angriff genommen. Es besteht ein Briefverkehr zwischen dem Landesrat in Salzburg, Dr. Thaler, und Herrn Kommissär Fischler. Thaler hat mit Fischler schon einige Sträuße ausgefochten. Fischler verweist immer auf die Richtlinien der EU. Die Richtlinien ziehen aber, wie wir wissen, keine Strafsanktionen nach sich. Dadurch sind diese Richtlinien zahnlos. Das heißt, selbst wenn Transporte auf dem Walserberg ankommen, die bereits 20 Stunden unterwegs sind, ist derzeit keine Möglichkeit gegeben, gesetzlich einzugreifen. Auch das neue Gesetz sieht nichts derartiges vor. Es ist auch nach dem neuen Gesetz nicht möglich, diesbezüglich Strafsanktionen durchzuführen.

Seit April 1997 wurden bereits 202 Transporte, davon 177 ausländische, kontrolliert, und 70mal wurden Maßnahmen angeordnet, wie zum Beispiel Einstreu und Tränke, aber auch Notschlachtungen waren einige Male notwendig. Man sieht auf diesem Gebiet verheerende Dinge. Ich möchte betonen, daß dieses Gesetz nur dann wirksam sein wird, wenn es wirklich europaweit angewendet werden kann. Dann hätte es eine Wirkung.

Auch die Tiroler haben bereits erkannt, daß durch die strengen Kontrollen am Walserberg ein Umdenken erforderlich ist. Wie den Zeitungen zu entnehmen ist, hat die BH Innsbruck bereits verlauten lassen, man wolle im Inntal keine Rennstrecke von Tiertransporten haben. Man ist


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derzeit auf der Suche nach Einstellplätzen, weil der Bezirkshauptmann befürchtet, falls er einmal vor der Tatsache stehen sollte, daß Hunderte Kälber auf den Lastwagen in der Hitze nahezu verkommen, daß er nicht in der Lage sei, sie auszuladen und zu versorgen.

Das Thema geht aber noch weiter, und meine Vorredner sind bereits darauf eingegangen. Kollege Rieser hat mit Recht darauf hingewiesen, daß die Massentierhaltung in den EU-Ländern nicht nur die weiten Transportstrecken bedingt, sondern auch die Arbeitsplätze in unseren Regionen gefährdet. Eine artfremde Tierhaltung in den Massenagrarfabriken in Dänemark und Holland sind natürlich der Ursprung dieser Transporte. Es geht dabei darum, billiges Fleisch zu erzeugen und dann in jene Länder zu transportieren, wo die Tiere geschächtet werden müssen.

Ich meine, daß gerade dieses Gesetz EU-weit streng vollzogen werden sollte. Es wäre auch auf lange Sicht gesehen eine kleine Maßnahme in die Richtung, den Familienbetrieben in unserem Lande den Arbeitsplatz Bauernhof zu sichern. Und noch etwas ist wichtig und darf nicht übersehen werden: Es geht auch darum, daß die Menschen, die in diesen bäuerlichen Betrieben verbleiben können, den anderen den Arbeitsplatz nicht streitig zu machen brauchen, denn wenn der Landwirt zu Hause seine Beschäftigung und sein Auskommen hat, dann wird er den ohnehin schon angespannten Arbeitsmarkt nicht zusätzlich belasten.

Trotz der insgesamt sehr vagen Regelung werden die Freiheitlichen diesem Gesetz zustimmen, weil es, wie viele schon erwähnt haben, ein erster Schritt ist. Vollzugsmöglichkeiten gibt es in diesem Gesetz keine, das möchte ich noch einmal wiederholen. Länger als sechs Stunden fährt niemand durch Österreich. Das heißt, wenn der Transport an der Grenze ankommt und erst ab dort die Zeit gezählt wird, hat er vor Ablauf der sechs Stunden schon längst wieder das Land verlassen. Das heißt, dieses Papier ist zwar ziemlich wertlos, aber es ruft immerhin zur weiteren Behandlung dieser Materie auf. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

14.50

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Als nächster zu Wort gemeldet ist Herr Vizepräsident Weiss. – Bitte.

14.50

Bundesrat Jürgen Weiss (ÖVP, Vorarlberg): Frau Präsidentin! Herr Staatssekretär! Hohes Haus! Für das leider noch viel zu oft festzustellende menschliche Fehlverhalten im Umgang mit Tieren wird vielfach die Tatsache verantwortlich gemacht, daß gesetzliche Regelungen in den Zuständigkeitsbereich der Länder fallen und daher einer bundesgesetzlichen Regelung entzogen seien.

Daß wir heute das letzte von drei Bundesgesetzen zur Regelung des Tiertransportes behandeln, zeigt deutlich, daß diese Annahme keineswegs zutrifft. Der Tiertransport repräsentiert in diesem Zusammenhang nur einen kleinen Teil der vorhandenen Bundeszuständigkeiten. Denn es gibt erstens Regelungen betreffend die Tierquälerei im Strafgesetzbuch. Ferner obliegen Tierversuche und die Ausübung von Gewerben mit Tieren, insbesondere natürlich des Tierhandels, bundesgesetzlicher Regelung. Davon sind die Kennzeichnungsvorschriften im Tierhandel, das gesamte Veterinärwesen sowie der Waren- und Viehverkehr mit dem Ausland betroffen. All das sind Bereiche, in denen die Gesetzgebungszuständigkeit dem Bund zukommt.

Zu sagen, daß in diesem Bereich alles zum besten steht und der Bund im Gegensatz zu den Ländern seine Hausaufgaben sozusagen bereits erfüllt hätte, wäre angesichts der tatsächlichen Verhältnisse aber wohl übertrieben, ebenso wie es bei den Ländern teilweise übertrieben wäre, zu sagen, daß sie all ihre Hausaufgaben schon gemacht hätten!

Dazu kommt – das wird häufig übersehen – , daß das Hauptproblem häufig nicht in der fehlenden gesetzgeberischen Vorsorge liegt, sondern in den fehlenden Vollziehungsmöglichkeiten. Diese wiederum können weniger mit Kompetenzverschiebungen, sondern nur mit klaren, leicht handhabbaren Regelungen und ausreichenden personellen und sachlichen Ressourcen bereinigt werden.


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Abgesehen von dieser inhaltlichen Frage der Wahrnehmung von Zuständigkeiten ist auch die Umsetzungsgeschwindigkeit beim Bund keineswegs vorbildlich. Österreich hat sich mit den europäischen Übereinkommen zum Schutz von Tieren beim internationalen Transport bereits 1973 völkerrechtlich verpflichtet, Gefahren, die Tieren beim Transport drohen, abzuwehren. Anläßlich der Genehmigung hat der Nationalrat seinerzeit beschlossen, daß das Übereinkommen durch die Erlassung von Bundesgesetzen zu erfüllen ist. Erst 20 Jahre später, nämlich im April 1993, kam es erstmals zu einer Regierungsvorlage für ein Tiertransportgesetz-Straße.

Doch damit nicht genug. Unter Hinweis auf seine Zuständigkeit hatte es der Bund den Ländern in der Zwischenzeit mit Einsprüchen zu Landesgesetzen verwehrt, ersatz- und übergangsweise eigene Regelungen zu schaffen. Seit November 1991 gibt es zudem eine EU-Richtlinie über den Schutz von Tieren beim Transport. Die bundesgesetzliche Umsetzung des Straßen- und Lufttransports kam 1994 zustande, jene für den Eisenbahnverkehr erst heuer. Dabei muß aber zugute gehalten werden, daß es in eisenbahnrechtlichen Vorschriften durchaus bereits verwandte Regelungen gegeben hatte. Und es wurde schon mehrfach darauf hingewiesen, daß das Tiertransportgesetz-Straße wegen der in der Praxis auftretenden Vollziehungsprobleme und Überschneidungen mit der EU-Richtlinie bereits bald anpassungsbedürftig wurde.

Am 1. Mai 1992 ist das bereits 1987 zur Unterzeichnung aufgelegte Europäische Übereinkommen zum Schutz von Heimtieren in Kraft getreten, und es ist ein wichtiger Gesichtspunkt, der bei der gesamten Diskussion über den Tierschutz nicht außer acht gelassen werden sollte, welche Lebensbedingungen Heimtiere vorfinden und ob überall eine artgerechte Tierhaltung vorgenommen wird. Nach mehr als fünf Jahren langte erst am 28. Oktober 1997 die entsprechende Regierungsvorlage im Nationalrat ein, ohne daß es inzwischen zu einem Beschluß oder zu einer Beratung gekommen wäre. – So weit beispielhaft zu der in der Praxis nicht belegbaren Annahme, daß Zuständigkeiten vom Bund in diesem Bereich wirkungsvoller, entschlossener und rascher wahrgenommen würden.

Auf Einheitlichkeit zielt das an sich richtige Argument ab, daß Tiere in Innsbruck kein anderes Schmerzempfinden als jene in Eisenstadt haben. Damit kann man es aber nicht bewenden lassen, denn schließlich gilt dasselbe auch für französische oder schwedische Tiere! Angesichts der Mobilität und der Auswirkungen auf die Kostenkonkurrenz führt das zwangsläufig zu der schon vorhin erhobenen Forderung, daß wesentliche Mindeststandards europaweit festgelegt werden sollten.

Das kann durchaus dadurch ergänzt werden, daß neben anderen Grundrechten auch das Anliegen des Tierschutzes verfassungsrechtlich verankert wird. So hat beispielsweise mit der Volksabstimmung vom vergangenen Sonntag der bayerische Verfassungsgesetzgeber, nämlich das Volk, nicht nur den Senat abgeschafft, sondern auch die wertbetonte bayerische Landesverfassung um Bestimmungen über den Tierschutz ergänzt. "Tiere werden als Lebewesen und Mitgeschöpfe geachtet und geschützt", heißt es künftig in der bayerischen Landesverfassung. – Und solche Beispiele gibt es in anderen Ländern natürlich auch.

Mit solchen Grundsätzen und einheitlichen Standards, ergänzt durch koordinierende Vereinbarungen der Länder, lassen sich durchaus sinnvolle regionale Differenzierungen verbinden. Denn schließlich gibt es nicht überall die gleichen Tierarten und auch nicht überall die gleichen Lebensräume für Tiere. Auch unter diesem Gesichtspunkt der Einheitlichkeit ist der Bund alles andere als zu einer Schulmeisterrolle gegenüber den Ländern berufen. Wir haben allein für die Regelung des Tiertransportes – je nach Transportmittel – inzwischen drei verschiedene Bundesgesetze, obwohl die EU mit einer einzigen Richtlinie auskommt.

Die dem Bund zustehenden Zuständigkeiten für den Tierschutz sind nach wie vor auf zahlreiche Bundesministerien verteilt, obwohl der Nationalrat mit Entschließung aus dem Jahre 1992 die Bundesregierung ersucht hat, zur Erleichterung der Wahrnehmung der Aufgaben des Tierschutzes auf Bundesebene einen Entwurf für eine Novelle zum Bundesministeriengesetz vorzubereiten, mit welcher die Zusammenfassung der Tierschutzkompetenz bei einem einzigen Bundesministerium vorgesehen wird. Auch das ist jedoch bis heute unerledigt.


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Es wäre für die richtigen und wichtigen Anliegen des Tierschutzes hilfreich, wenn man die Frage der Zuständigkeiten an sich nicht zum Selbstzweck erhebt, sondern in erster Linie darüber berät, wie jede Gebietskörperschaft ihre Aufgaben in sachgerechter Weise selbst wahrnehmen soll und kann, wie das heute auf Bundesebene mit den beiden vorliegenden Gesetzesbeschlüssen der Fall ist. Davon sind die Länder natürlich nicht auszunehmen. Sie unternehmen bereits Anstrengungen der Koordinierung mit 15a-Vereinbarungen, sie sind aber – das sollten wir in der Länderkammer nicht unerwähnt lassen – auch in diese Bemühungen einzuschließen. – Danke. (Beifall bei der ÖVP und bei Bundesräten der SPÖ.)

14.57

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Als nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Mag. Gudenus. – Bitte.

14.57

Bundesrat Mag. John Gudenus (Freiheitliche, Wien): Frau Präsidentin! Herr Staatssekretär! Meine Damen und Herren! Das Tiertransportgesetz ist für uns, die wir an die Schöpfung durch Gott glauben, mindestens ebenso wertvoll wie andere schöpfungsschützende Gesetze.

Beim Tiertransport geht es um gelebten Tierschutz. Und der Tierschutz wurde schon dem Gründungsvertrag der Europäischen Gemeinschaft beigefügt – ich betone: beigefügt! –, und zwar mit dem Text: "Bei der Festlegung und Durchführung der Politik der Gemeinschaft in den Bereichen Landwirtschaft, Verkehr, Binnenmarkt und Forschung tragen die Gemeinschaft und die Mitgliedstaaten den Erfordernissen des Wohlergehens der Tiere in vollem Umfang Rechnung; sie berücksichtigen hiebei die Rechts- und Verwaltungsvorschriften und die Gepflogenheiten der Mitgliedstaaten insbesondere in bezug auf religiöse Riten, kulturelle Traditionen und religiöses Erbe."

Wenn mein Vorredner, Kollege Jürgen Weiss, die Beifügung zur bayerischen Landesverfassung erwähnt hat, die den Tierschutz besonders hervorhebt, so ist das, wie ich meine, nicht mehr als recht, denn Tiertransport ist Schöpfungstransport. Aber umso mehr erstaunt es, daß dieses Gesetz, welches wir heute sicherlich einstimmig verabschieden werden, eher ein Placebogesetz ist. Denn im Bericht des Verkehrsausschusses heißt es – ich zitiere – : "In der Praxis sind bisher keine Mißstände beim Transport von Tieren auf der Eisenbahn bekanntgeworden. Etliche der in diesem Bundesgesetz festgelegten, einzuhaltenden Standards beim Transport von Tieren werden im österreichischen Eisenbahnverkehr durch die Anwendung und tarifliche Verankerung der UIC-Standards bereits zum heutigen Zeitpunkt erfüllt. Das Transportaufkommen von Tieren auf der Eisenbahn weist im übrigen in den vergangenen Jahren eine rückläufige Tendenz auf. Diese Tendenz wird sich mit Inkrafttreten der Schlachttiertransportregelung noch verstärken. Alle diese Umstände lassen die Schlußfolgerung zu, daß die Vollziehung dieses Gesetzes keine zusätzlichen Kosten auslösen wird." Den letzten Punkt nehmen wir mit Befriedigung zur Kenntnis.

Es erhebt sich jedoch die Frage: Was soll das Ganze? Wozu soll ein Gesetz dienen, welches im Grunde genommen keine bekannten Mißstände regeln soll? Oder gibt es vielleicht doch Mißstände? Wir haben zum Beispiel in den Medien vernommen, daß am Walserberg – wie heute schon mehrfach erwähnt  –, insbesondere durch unseren Landesrat Thaler, Mißstände aufgedeckt worden sind.

Die Textierung dieses Gesetzes ist, wie so oft, leider Gottes nicht zufriedenstellend. "Transportmittel und Transportbehältnisse müssen mit einem Symbol für lebende Tiere gekennzeichnet sein, das diese in aufrechter Stellung zeigt." Dieser § 7 Abs. 2 enthält jedoch keine Verordnungsermächtigung, und es geht daraus auch nicht hervor, in welcher Größe, wo, wie, in welcher Form die jeweilige Symbolisierung angebracht werden soll. – Ich bringe dazu ein etwas von der Norm abweichendes Beispiel: In Österreich wird der Wildwechsel durch ein springendes Reh angezeigt. In Schweden beziehungsweise in Skandinavien wird dieser durch einen Elch angezeigt. Das bedeutet in diesem Fall: Wenn wir jetzt gewisse Symbole auf die Transportbehältnisse heften, kann das Symbol jeweils ganz unterschiedliche Pflegemaßnahmen signalisieren.


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Hier fehlt es an Feingefühl und – wie ich fast sagen möchte – an Tierliebe seitens jener, die dieses Gesetz gemacht haben.

In § 7 Abs. 4 wird vorgeschrieben, daß die Innenwände von Transportmitteln aus Holz oder einem anderen geeigneten Material bestehen müssen. – Da frage ich: Wofür soll es geeignet und durch welche Eigenschaften soll es ausgezeichnet sein? Ich weiß sehr wohl, daß in England Eisenbahntransportwaggons für Rennpferde gepolstert sind. Die Rennpferde oder Turnierpferde sind oft besser dran als Menschen! Im vorliegenden Fall kommt es hauptsächlich darauf an, wohin welche Tiere zu welchen Zweck transportiert werden, wobei der Zweck des Transportes, daß das Tier letztlich eh getötet wird, nicht rechtfertigen soll, daß die Waggons eine rüde, harte Holzdrapierung haben. Übrigens sind die meisten Waggons sowieso mit Holz ausgeschlagen.

Was ist also ein geeignetes Transportmittel? – Es gibt wieder nichts, woran sich derjenige, der den Transport vornimmt, halten kann beziehungsweise ohnedies vielleicht gerne hielte, außer dessen persönlichen gesunden Menschenverstand, gepaart mit Tierliebe. Allerdings kann er Eisenbahnwaggons nicht selbst bauen, das ist nicht möglich. Er kann einen Lkw entsprechend ausstatten, nicht aber einen Eisenbahnwaggon, und das umso mehr, als die Eisenbahnwaggons derzeit noch – zum Glück oder nicht zum Glück, das bleibe dahingestellt – den Bundesbahnen oder den jeweiligen Landes- oder Staatsbahnen der Nachbarstaaten gehören und nicht privatisiert sind. Ob es dann besser würde, bleibt allerdings dahingestellt.

Weiters heißt es, daß den Tieren beim Verladen und Ausladen aus dem Transportmittel keine unnötigen Schmerzen, Leiden und Schäden zugefügt werden dürfen. Meine Damen und Herren! Was sind nötige Schmerzen? Ich frage mich: Kann man zu nötigen Schmerzen unnötige Schmerzen hinzufügen? – Würden wir alle hier uns bemühen, Tiere aufzuladen, dann würde das wahrscheinlich lange dauern, weil wir uns bemühen würden, den Tieren gar keine Schmerzen zuzufügen. Aber was sind unnötige Schmerzen? – Ich glaube, diese Formulierung des § 10 Abs. 1 zeigt den Gummiparagraphencharakter des Gesetzes!

Hier steht zum Beispiel, daß der Einsatz der Stromstoßgeräte auf das unbedingt notwendige Ausmaß zu beschränken ist. – Was ist denn das notwendige Ausmaß? Ich finde Stromstoßgeräte an und für sich widerlich, aber möglicherweise lassen sie sich bei vernünftigem Einsatz durchaus zweckmäßig verwenden. Aber wie? – Vielleicht muß für diejenigen, die die Tiere aufladen, ein entsprechender Kurs abgehalten werden. Es mag komisch tönen, aber der Transport von Tieren ist eine verantwortungsvolle Tätigkeit, man darf dabei nicht nur an den Schlachthof denken.

In § 11 Abs. 3 heißt es: "Bei der Zugbildung und den Verschubbewegungen sind heftige Stöße der Transportmittel zu vermeiden." Heißt das, daß nur noch Sonderzüge zusammengestellt werden dürfen, damit es nicht zu Stoßbewegungen kommt? Das ist im Zusammenhang mit § 6 zu sehen, gemäß welchem im Hinblick auf die Transportdauer die Transportrouten so zu wählen sind, daß die Tiere so schnell wie möglich am Bestimmungsbahnhof ankommen. Bedeutet auch das, daß Sonderzüge für den Tiertransport verwendet werden sollen? – Das ließe sich nämlich daraus interpretieren!

Wenn man sich § 11 Abs. 3 in Verbindung mit § 6 ansieht und dann noch andere Regelungen betreffend den Tiertransport zu interpretieren versucht, dann ist es für uns nicht verwunderlich, daß die Tiertransporte auf Lkw verlegt werden. Denn bald wird es nicht mehr möglich sein, diese Transportmöglichkeiten gesetzeskonform zu lukrieren – im besten Sinne des Gesetzes, das eine Bandbreite hat, die ich darzulegen versuchte.

Meine Damen und Herren! Auf diese Art und Weise werden wir mit diesem Gesetz sicherlich nicht den Erfolg haben, den wir uns erhoffen. Wir werden einander aber heute wieder – mehr oder minder symbolisch – auf die Schulter klopfen und sagen: Wir haben gemeinsam ein gutes Gesetz zum Tierschutz und zum Tiertransport gemacht!

Wie schon angetönt: Der beste Tiertransport ist der Tottiertransport, der Transport der Tierhälften und der Fleischprodukte. Derzeit entspricht es aber den Tatsachen, daß ein Großteil der


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Tiertransporte Schlachttiere betrifft, während nur ein sehr kleiner Teil der gesamten Tiertransporte auf der Schiene keine Schlachttiere, sondern Reitpferde, Zuchttiere oder Heimtiere betrifft.

Ich kann daher zusammenfassend sagen: ein großes Ja zum Tierschutz, ein großes Ja auch zu einem Eisenbahntiertransportgesetz. Leichten Herzens gebe ich dieses Ja allerdings nicht, da wir wissen, daß mit diesem Gesetz nichts verbessert wird. Trotzdem stimmen wir zu. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

15.08

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall.

Die Debatte ist geschlossen.

Wird von der Berichterstattung ein Schlußwort gewünscht? – Auch das ist nicht der Fall.

Wir kommen daher zur Abstimmung über die vorliegenden Beschlüsse, die getrennt erfolgt.

Zuerst lasse ich über den Beschluß des Nationalrates vom 21. Jänner 1998 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Tiertransportgesetz-Luft geändert wird, abstimmen.

Ich bitte jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den vorliegenden Beschluß des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben und die dem Ausschußbericht beigedruckte Entschließung anzunehmen, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmeneinhelligkeit.

Der Antrag, keinen Einspruch zu erheben und die beigedruckte Entschließung anzunehmen, ist somit angenommen. (E. 154)

Wir kommen zur Abstimmung über den Beschluß des Nationalrates vom 21. Jänner 1998 betreffend ein Bundesgesetz über den Transport von Tieren auf der Eisenbahn.

Ich bitte jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den vorliegenden Beschluß des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Es ist dies die Stimmeneinhelligkeit.

Der Antrag, keinen Einspruch zu erheben, ist somit angenommen.

12. Punkt

Beschluß des Nationalrates vom 21. Jänner 1998 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Investmentfondsgesetz (InvFG) geändert wird (917 und 995/NR sowie 5625 und 5638/BR der Beilagen)

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Wir gelangen nun zum 12. Punkt der Tagesordnung: Bundesgesetz, mit dem das Investmentfondsgesetz geändert wird.

Die Berichterstattung hat Herr Bundesrat Prähauser übernommen. Ich bitte ihn um den Bericht.

Berichterstatter Stefan Prähauser: Frau Präsidentin! Herr Staatssekretär! Hoher Bundesrat! Ich bringe den Bericht des Finanzausschusses über den Beschluß des Nationalrates vom 21. Jänner 1998 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Investmentfondsgesetz geändert wird.

Ziele des gegenständlichen Beschlusses des Nationalrates sind die Hintanhaltung des Abfließens von Marktanteilen in Fonds ausländischer Kapitalanlagegesellschaften, die Ergänzung der gesetzlichen Pensionsvorsorge durch zusätzliche Möglichkeiten der privaten Vorsorge sowie die Schaffung praxisgerechter Regelungen für die Zusammenlegung von Fonds.


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Dadurch sollen Dachfonds und thesaurierende Fonds für das breite Publikum und Spezialfonds für Großanleger, die keine natürlichen Personen sind, sowie Pensionsinvestmentfonds für Zwecke der privaten Pensionsvorsorge ermöglicht werden. Weiters sollen gesetzliche Maßnahmen zur Ermöglichung der vereinfachten Fondszusammenlegung geschaffen werden.

Der Finanzausschuß stellt nach Beratung der Vorlage am 10. Februar 1998 mit Stimmenmehrheit den Antrag, keinen Einspruch zu erheben.

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Ich danke für den Bericht.

Wir gehen in die Debatte ein.

Zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesrat Dr. Harring. – Bitte.

15.11

Bundesrat Dr. Peter Harring (Freiheitliche, Kärnten): Frau Präsidentin! Herr Staatssekretär! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Wir reden heute über einen Markt, der in ein paar Jahren etwa 100 Milliarden Schilling umfassen wird. Jetzt sind es etwas über 50 Milliarden beziehungsweise rund 60 Milliarden, in ein paar Jahren werden auf diesem Markt, der durch das Gesetz, das wir heute zu beschließen haben, geregelt wird, 100 Milliarden umgesetzt werden. Das betrifft jährliche Neuveranlagungen, das Volumen, das bereits in Investmentfonds veranlagt ist, liegt nämlich derzeit schon bei rund 600 Milliarden Schilling. Es handelt sich also um eine ganz gewaltige Summe, und die Anleger sind natürlich an einem übersichtlichen und korrekten Gesetz, durch welches berechenbare Rahmenbedingungen geschaffen werden, interessiert.

Meine Damen und Herren! Die Materie ist äußerst wichtig und ist daher mit Ernst zu behandeln. Daher ist es bedauerlich, daß der Nationalrat diese Gesetzesmaterie gegen Mitternacht in sehr kurzer Form ohne längere Debatte beschlossen hat. Wahrscheinlich war der Grund dafür, daß wieder einmal rückwirkend vorgegangen wurde. Das ist für Anleger aus Österreich, aber insbesondere für internationale Anleger so ziemlich das Schlimmste, was passieren kann. Denn gerade auf einem Finanzmarkt ist es wichtig, daß die Gesetzesbeschlüsse berechenbar sind.

Das kommt aber nicht das erste Mal vor. Der Nationalrat hat dieses Gesetz am 21. 1. beschlossen, der Bundesrat hat es jedoch noch nicht beschlossen. Meine Damen und Herren! Ich habe hier eine kleine Broschüre, die ich Ihnen zeigen möchte. Dieser können Sie entnehmen, wie ernst wir hier im Bundesrat genommen werden. Das liegt allerdings weniger an uns Freiheitlichen als an den Regierungsparteien, weil Sie, meine Damen und Herren, praktisch allem sofort und ohne viel Debatte zustimmen und man sich praktisch darauf verlassen kann, daß hier im Bundesrat nicht eigenständig entschieden wird. Auch die Aufsichtsbehörde nimmt uns nicht ernst, das sage ich deshalb, weil der Herr Staatssekretär jetzt hier ist, und ich werde nicht aufhören, Sie darauf aufmerksam zu machen, bis das abgestellt ist. Ich lade Sie hier heute nicht zum ersten Mal ein, sich mit der Novelle zum Investmentfondsgesetz zu beschäftigen.

Die mir vorliegende Broschüre wurde in den ersten Jännertagen in ganz Österreich verschickt und betrifft ein Spezialseminar. Die Überschrift lautet: "Novelle zum Investmentfondsgesetz". Darunter ist zu lesen: "am 21. Jänner 1998 vom Nationalrat beschlossen", und es findet sich kein Hinweis darauf, daß noch die Behandlung im Bundesrat folgt beziehungsweise die Kundmachung notwendig ist. – Soviel dazu.

In der Broschüre ist dann zu lesen: "Sie erhalten Informationen aus erster Hand von den mit der Ausarbeitung dieser Novelle befaßten Ministerialbeamten." Ich sage heute, daß das die beiden Spitzenbeamten sind. Ich werde sie nicht nennen, aber sie sind in der Broschüre genannt. Der eine Referent "ist Referent in den für Steuerpolitik, Einkommensteuer, Bewertung und EU-Koordination zuständigen Abteilungen des Bundesministeriums für Finanzen. Er betreut in diesem fachlichen Zusammenhang unter anderem schwerpunktmäßig die steuerliche Behandlung von Anteilen an Investmentfonds". Der zweite Spitzenreferent – es sind nur zwei – "ist seit dem Jahre 1991 als Jurist in der Rechtsabteilung der Kreditsektion des Bundesministeriums für Finanzen tätig. Im Rahmen dieser Tätigkeit hat er an der Erarbeitung des Investmentfondsgesetzes 1993 und seiner Novellen mitgewirkt." Die Tagungsgebühr für ein Eintagesseminar be


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trägt weit über 4 000 S, und Sie können sich ausrechnen, wenn es 80 bis 100 Teilnehmer gibt, wie das funktioniert. Mich und meine Fraktion ärgert aber vor allem, daß auf der Broschüre steht "der Nationalrat hat beschlossen" und sich diejenigen Damen und Herren, die die Vorarbeiten geleistet haben, schon jetzt als Referenten zur Verfügung stellen. Ich glaube, daß das kein guter Stil ist, meine Damen und Herren! Es ist auch interessant, daß der Herr Staatssekretär auf einen ähnlichen Vorhalt, den wir ihm im Zusammenhang mit dem Bausparkassengesetz gemacht haben, mit keinem Wort geantwortet hat!

Wem nützt das Gesetz, meine Damen und Herren? – Das Ziel haben wir dem Bericht entnommen: Der Anleger soll geschützt werden. Außerdem soll der Finanzplatz Wien bessergestellt werden, es soll also eine weitere Liberalisierung erfolgen, die sicherlich notwendig ist, wenn am 1. 1. 1999 der Euro kommt, wenn er tatsächlich kommt und nicht doch noch irgend etwas geschieht. Für die Anleger bedeutet das zweifellos eine Verbesserung, da die Publizitätsvorschriften besser sind als bisher. Zu steuerlichen Fragen wird sicherlich mein Kollege Scherb noch Stellung nehmen.

Meine Damen und Herren! Das Gesetz hilft aber sicherlich auch den Kapitalanlagegesellschaften der großen, staatsnahen und damit parteinahen Banken. Den vielen unabhängigen regionalen Banken und den Kunden dieser Banken, den Sparkassen, den Volksbanken, den Raiffeisenbanken und den Kunden dieser regionalen Banken, also Kunden, die Dezentralität und Eigenverantwortung schätzen, hilft dieses Gesetz jedoch sicherlich sehr wenig, denn es wird zu einer weiteren Verstärkung der Umschichtungen von Spareinlagen in Kapitalfonds beitragen.

Der Herr Staatssekretär wird mir sicherlich recht geben, daß im abgelaufenen Jahr, 1997, bei allen österreichischen Banken kein Zuwachs an Spareinlagen, auf welchen wir viele Jahre sehr stolz waren, mehr festzustellen war. Die Banken haben nicht einmal einen Zuwachs an Zinsen ihren Büchern zuschreiben, weil eben zuviel abgeflossen ist. Daraus erklären sich die Zuwächse in den nationalen und internationalen Fonds von über 25 Prozent. Wir konnten nicht herausfinden, wie hoch der Zuwachs bei ausländischen Investmentfonds ist. Vielleicht ist der Herr Staatssekretär so freundlich und sagt uns, wie das Verhältnis zwischen dem Zuwachs bei österreichischen Fonds und bei ausländischen Fonds ist. Es gibt Banken, die im Schnitt bis zu 50 Prozent Zuwächse ausweisen. Das heißt, es fließt sehr viel Geld in diese Fonds und natürlich auch ins Ausland ab. Es ist zweifellos richtig, daß natürlich auch österreichische Kapitalanlagefonds ausländische Aktien im Portefeuille haben. Das Problem ist aber, daß bilanzwirksame Liquidität bei österreichischen Unternehmen sehr stark abfließt. Das sollte man einmal überdenken! Es sollte wirklich einmal darüber nachgedacht werden, ob das langfristig zu begrüßen ist.

Wenn etwas zu begrüßen ist, so ist es die neue Form der verstärkten privaten Pensionsvorsorge. In Amerika ist das ein Anlageprodukt, das gang und gäbe ist und sich größter Beliebtheit erfreut. Man muß allerdings dazu sagen: Das ist allerdings nur für jene Österreicherinnen und Österreicher interessant, die sich das auch leisten können. Ich spreche jetzt von den sogenannten PIF, wie sie im Gesetz heißen, also von den Pensionsinvestmentfonds, die wirklich eine Alternative zu Pensionskassen und zu Er- und Ablebensversicherungen darstellen. Für den Anleger ist bedeutsam, daß es zum Beispiel auch ganz problemlos einen Jobwechsel während der Karriere geben kann, weil man die Ansprüche praktisch mitnimmt. Bei der Auszahlung kann sich der Anleger mit 65 Jahren entscheiden, ob er eine lebenslange Rente oder diese Rente auf 20 Jahre haben will. Er geht Verpflichtungen ein, obwohl er eigentlich vom Staat oder von der Republik keine Unterstützung bekommen hat, insbesondere keine steuerliche Förderung, wie es beispielsweise bei den Lebensversicherungen der Fall ist. Auf diese Steuerbegünstigung, liebe Kolleginnen und Kollegen, hat man vergessen! Entsprechende Hinweise wird es dann im Jahr 2000 geben, denn dann kommt die große Steuerreform. Man hört die Botschaft wohl, aber der Glaube fehlt doch sehr oft. (Präsident Bieringer übernimmt den Vorsitz.)

Neu ist, daß es auch thesaurierende Fonds gibt, was sicherlich ein Vorteil ist. Das sind Fonds, bei welchen die Gewinne nicht ausgeschüttet, sondern sofort wieder veranlagt werden. Neu ist,


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daß es auch Dachfonds für Anleger gibt, welche Vermögen und Risiko quasi noch einfacher streuen wollen.

Bei Dachfonds ist es aber so, daß die Anleger oder Sparer eigentlich keinen Überblick mehr darüber haben, wo ihre Gelder veranlagt sind. Dabei ist die Verbindung zwischen demjenigen, der anlegt, und demjenigen, der darüber entscheidet, wo das Geld letztlich landet, im Grunde sehr weit hergeholt.

Den größten Vorteil von diesen Dachfonds hat aber – fast möchte ich fragen: Wie könnte es anders sein? – die Bank Austria. Sie kann durch dieses Gesetz jetzt ihre Fonds aus der Sparinvest-Gruppe, die seinerzeit gemeinsam mit der Sparkassengruppe gegründet wurde, herauslösen, und man fusioniert sich mit der ÖIG, der Fonds-Tochter der CA. Das ist ein sehr wichtiger Schritt, um auch auf diesem Gebiet zur Marktbeherrschung zu kommen. Aber offensichtlich stört das hier niemanden. Ich wundere mich, daß es niemanden von der Volkspartei stört, daß die Marktbeherrschung nun auch in diesem Bereich voll Einzug hält.

Das ist aber nicht das einzige, das uns stört, meine Damen und Herren! Uns stört selbstverständlich auch die Ungleichbehandlung bei Spekulationsgewinnen und das Vertrösten auf die Steuerreform, uns stört insbesondere wieder das rückwirkende Inkrafttreten und letztlich auch, daß man immer noch zuwenig überlegt, wie man den Anleger schützen kann.

Ich glaube nicht, daß jemand hier im Bundesrat, der sich damit beschäftigt hat, von der Wirksamkeit der Verpflichtung ausgeht, daß ein Anlegerprofil zu erstellen ist und Informationen weiterzugeben sind, wie das im Wertpapieraufsichtsgesetz beschlossen ist, das seit 1. Juli 1997 gilt und dessen Bestimmungen jetzt mit 1. Jänner in Kraft getreten sind. Das heißt, wenn Sie als Sparer in ein Bankinstitut oder zu einem Anlageberater gehen, muß die Firma, die Ihr Geld entgegennimmt, Ihr Anlegerprofil aufnehmen und zu Papier bringen. Sie muß schriftlich festhalten, welche Vorstellungen Sie haben, welches Vermögen Sie besitzen und wie das Einkommen beschaffen ist. Vom Anleger soll dann bestätigt werden, daß er keinen Fehler macht, wenn er anders entscheidet, als ihm empfohlen worden ist. Das halte ich für wesentlich und für sehr gut, und wir Freiheitliche sind froh, daß diese Regelung in Österreich über die entsprechende Richtlinie der EU hinausgeht, denn die EU-Regelung ist ausschließlich auf Banken konzentriert, wohingegen in unserem Wertpapieranlagegesetz diese Vorschrift weit darüber hinaus für alle Anlegerfirmen statuiert ist. Das halte ich für gut.

Aber ich frage Sie: Wer kontrolliert das, wann wird das kontrolliert, und bei wem wird das kontrolliert? – Die Wertpapieraufsicht ist zwar zuständig, aber ich habe bisher von keiner einzigen Kontrolle auf diesem Gebiet gehört, nichts davon, daß man sich jemals von Banken oder Anlegerfirmen die Anlegerprofile, die erstellt worden sind, hätte vorlegen lassen, um zu sehen, ob das dort wirklich geschehen ist. Kontrolliert wird nur dann, wenn es irgendwo zu Unregelmäßigkeiten gekommen ist. Aber der Normalfall müßte sein, daß dann, wenn ein Gesetz beschlossen wird – ich denke dabei an den Anleger –, auch festgelegt wird, in welcher Form Kontrollen durchgeführt werden.

Insbesondere bei Finanzgesetzen ist in dieser Hinsicht noch viel zu tun. Wir von der Freiheitlichen Partei möchten den Herrn Staatssekretär sowie auch die beiden Regierungsparteien einladen, in Hinkunft – vielleicht gleich von heute an – bei all diesen Gesetzwerdungen etwas mehr an die Betroffenen zu denken, an die wirklich von den Gesetzen Betroffenen und nicht so sehr an die Lobbys, die immer dahinterstehen. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

15.23

Präsident Ludwig Bieringer: Zu Wort gemeldet hat sich Herr Staatssekretär Dr. Wolfgang Ruttenstorfer. Ich erteile es ihm.

15.23

Staatssekretär im Bundesministerium für Finanzen Dr. Wolfgang Ruttenstorfer: Herr Präsident! Hoher Bundesrat! Erlauben Sie mir zwei Anmerkungen.


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Zum ersten zur Frage des Inkrafttretens des Gesetzes: Infolge eines Abänderungsantrages im Plenum tritt dieses Gesetz nicht rückwirkend mit 1. Jänner in Kraft, sondern mit 1. März 1998, davon einige Bestimmungen erst später: die Steuerbestimmung ab 1. Jänner 1999 und die 5-Prozent-Bestimmung beim Pensionsinvestmentfonds erst ab 2000. – Das möchte ich nur ergänzen.

Zum zweiten: Ich möchte anmerken, daß es nicht darum geht, etwas für die Banken oder für besondere österreichische Banken zu tun, sondern darum, für den österreichischen Kapitalmarkt etwas zu tun. Die Förderung des Kapitalmarktes ist deshalb sinnvoll, weil wir den österreichischen Unternehmern Eigenmittel mindestens so günstig zur Verfügung stellen wollen, wie ihre ausländischen Wettbewerber sie auch zur Verfügung haben. Denn eine höhere Eigenmittelausstattung festigt die Unternehmen in Krisen und hilft ihnen auch in Wachstumsphasen, stärker zu sein. Beides aber hilft letzten Endes der Beschäftigung, und darum treten wir für Reformen am Kapitalmarkt ein.

Weiters gibt es bei dieser Kapitalmarktreform einige entscheidende Punkte, die es zu beachten gilt. Der erste Erfolgsfaktor für einen gesunden Kapitalmarkt besteht darin, daß er fair und transparent sein muß. Dazu haben wir die Bundes-Wertpapieraufsicht eingerichtet, und deswegen sind wir auch dabei, ein Übernahmegesetz zu entwerfen.

Der zweite Faktor ist, daß die Transaktionskosten auf dem Kapitalmarkt günstig sein müssen. Er darf nicht wesentlich teurer sein, als dies im Ausland der Fall ist. Deshalb haben wir dazu beigetragen, daß die Termin- und die Kassabörse fusioniert und andere Maßnahmen gesetzt werden, damit dieses Ziel erreicht wird. Diesen Sinn hatte auch die Börsegesetz-Novelle.

Wesentlich für einen funktionierenden Kapitalmarkt ist drittens, daß er sehr liquid ist. Diese Novelle zum Investmentfondsgesetz trägt dazu bei, die Liquidität zu erhöhen. Sie trägt insbesondere dazu bei, zwischen inländischen und ausländischen Fonds Waffengleichheit herzustellen. Aus der Erinnerung kann ich jetzt leider nicht sagen, um wieviel Prozent inländische oder ausländische Fonds zugenommen haben, diese Daten liegen mir nicht auch vor. Aber diese Maßnahme dient dazu, daß auch die inländischen Fonds so gerieren können wie ausländische, damit die Österreicher verstärkt auf inländische Fonds zugreifen und sich nicht, wenn sie thesaurierende oder andere Fonds vorziehen, in Richtung ausländische Fonds bewegen.

Noch zwei abschließende Bemerkungen, zunächst zum Pensionsinvestmentfonds: Es ist richtig, daß in dieser Novelle keine steuerlichen Verbesserungen vorgesehen sind. Trotzdem war das meiner Ansicht nach ein richtiger Schritt, um den Anleger zu schützen. Denn er hat ein besonders spezifiziertes Anlageinteresse, wenn es sich um einen Pensionsinvestmentfonds handeln soll. Daher war es sinnvoll, diesen Fonds auch aus Konsumentenschutz-Überlegungen in diesem Gesetz einmal zu definieren. Die Steuerreformkommission berät aber, ob und in welcher Weise dafür auch eine steuerliche Förderung möglich wäre.

Last but not least eine Bemerkung zur Frage des Anlegerschutzes nach dem Wertpapieraufsichtsgesetz: Ich denke, daß eine dauernde Überprüfung deswegen nicht erforderlich ist, weil im Schadensfall die Bank nachzuweisen hat, daß dem Kunden diese Fragen sehr wohl vorgelegt wurden, daß er sie auch beantwortet hat und daß dann möglicherweise eben anders entschieden wurde. Wenn die Bank das nicht nachweisen kann, dann ist sie ersatzpflichtig. Solche Fälle hat es bereits in Deutschland gegeben. Daher ist das Gesetz so konstruiert, daß die Bank von sich aus das Interesse hat, diese Fragen zu stellen und dies auch zu dokumentieren. Würde sie das nicht tun, dann wäre sie in weiterer Folge diesem Risiko ausgesetzt. – Danke schön. (Beifall bei der SPÖ.)

15.28

Präsident Ludwig Bieringer: Danke, Herr Staatssekretär.

Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Dr. h. c. Manfred Mautner Markhof. Ich erteile es ihm.

15.28

Bundesrat Dr. h. c. Manfred Mautner Markhof (ÖVP, Wien): Herr Präsident! Herr Staatssekretär! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit diesem zu novellierenden Bundesgesetz,


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das – dies halte ich für außerordentlich wichtig – eine Erweiterung des heimischen Anlageangebotes bewirkt, wird der heimische Kapitalmarkt belebt. Die vorliegende Novellierung trägt nicht nur der Marktentwicklung der letzten Jahre Rechnung, sondern sie folgt auch dem Beispiel anderer EU-Staaten, unter anderem dem unseres Nachbarstaates Deutschland.

Die Bedeutung dieses Gesetzes liegt vor allem darin, daß es dazu beitragen wird, das Abfließen von anlagesuchendem Kapital in Fonds ausländischer Kapitalanlagegesellschaften hintanzuhalten. Nicht zuletzt ist zu hoffen, daß sich die im internationalen Vergleich geringere Börsenkapitalisierung in Österreich verbessern wird.

Mit dem Stichwort "Kapitalisierung" komme ich zu einem Thema, das mir ein ganz besonderes Anliegen ist und das jetzt – wie ich mit großer Freude feststellen konnte – der Herr Staatssekretär intensiv angesprochen hat: die Eigenkapitalausstattung heimischer Unternehmen. Um diese ist es – betrachtet man die österreichische Situation insgesamt – leider nicht zum allerbesten bestellt. Als Beispiel möchte ich nur die Eigenkapitalquote in der Industrie nennen, die bei durchschnittlich knapp über 31 Prozent der Bilanzsumme und damit noch immer unter dem EU-Durchschnitt liegt.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Eine nicht entsprechende Eigenkapitalausstattung bedeutet für Unternehmen nicht nur, daß in Zeiten allgemeiner Stagnation der Überlebenskampf wesentlich schwieriger ist. Eine nicht entsprechende Eigenkapitalausstattung bedeutet vor allem, daß Möglichkeiten und Chancen, die österreichischen Unternehmen offenstehen, nicht genützt werden können. Dadurch wird wiederum die Konkurrenzfähigkeit österreichischer Unternehmen im internationalen Wettbewerb gemindert. Ich denke in diesem Zusammenhang etwa an den eminent wichtigen Bereich der Forschung und Entwicklung.

Meine Damen und Herren! Forschung ist eine kostenintensive Angelegenheit, Forschung und Entwicklung sind aber Grundvoraussetzungen für die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen. Österreich verfügt – man ist fast geneigt zu sagen: noch – über hervorragende Wissenschaftler und Ingenieure. Ohne entsprechende Finanzmittel für Forschung und Entwicklung ist jedoch zu befürchten, daß diese in Österreich vorhandenen Kapazitäten in Zukunft nicht mehr vorhanden sein werden. Denken Sie nur an die enormen Beträge, die etwa in der Pharmabranche für Forschung und Entwicklung ausgegeben werden, meine Damen und Herren, oder denken Sie an die Zahlen, die im Zuge der jüngsten Fusion in der Schweiz oder im Zusammenhang mit Fusionsplänen in Großbritannien genannt worden sind.

An dieser Stelle eine kleine Bemerkung zum Thema Mentalitätsunterschiede: Von einem Schweizer wird man nie "Wir aus der kleinen Schweiz" hören. Hingegen neigen wir Österreicher durchaus zu einer Überbetonung der Kleinheit unseres Landes.

Was ich noch hervorheben möchte, ist der Umstand, daß viele fabelhafte Ideen in Österreich nicht zum Durchbruch kommen, weil für entsprechendes Marketing einfach kein Geld vorhanden ist. Hinzu kommen die vielen Chancen, die sich heimischen Unternehmen aufgrund der Ostöffnung bieten, die jedoch wegen mangelnder Kapitalausstattung nicht ergriffen werden können. Die Chancen werden sich noch steigern, wenn die Osterweiterung – besser gesagt: die EU-Erweiterung in Richtung Osten und Süden – Realität wird, denn Österreich ist dank seiner geographischen Lage und aufgrund seiner Geschichte dazu prädestiniert, diese Gunst der Stunde wahrzunehmen. Allerdings bedarf es dazu entsprechenden Kapitals. Kurz gesagt: Wenn man diese Entwicklung beobachtet, dann läßt sich unschwer erkennen, daß Eigenkapital ein Gebot der Stunde ist.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ein weiterer wesentlicher Punkt des uns heute vorliegenden Investmentfondsgesetzes betrifft die Einführung von Pensionsinvestmentfonds. Die Schaffung eines zusätzlichen Instrumentes im Rahmen der privaten Pensionsvorsorge erachte ich als einen Schritt, für den es höchst an der Zeit ist, denn gerade beim Aufbau einer zweiten und dritten Säule der Pensionsfinanzierung zählt Österreich im Vergleich zu anderen OECD-Staaten noch zu den Nachzüglern. Zwar gehen mit dem vorliegenden Gesetz noch keine


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flankierenden steuerlichen Maßnahmen für die Pensionsinvestmentfonds Hand in Hand, aber ich bin zuversichtlich, daß dies im Zuge einer nächsten Steuerreform nachgeholt werden wird.

Eine dynamische Entwicklung im Bereich der betrieblichen und individuellen Pensionsvorsorge und damit nicht zuletzt auch der Börsenkapitalisierung ist für Österreichs Wirtschafts jedenfalls von größter Bedeutung. In anderen Ländern kann man die Bedeutung der Fonds sehr gut beobachten.

Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir, bevor ich zum Abschluß meiner Ausführungen komme, im Zusammenhang mit der Kapitalausstattung heimischer Unternehmen noch eine kurze Bemerkung. Ich meine, daß es gerade in der Zeit einer immer enger verflochtenen, internationalen Wirtschaft notwendig ist, sich auch mental zu öffnen. Damit meine ich konkret die Hereinnahme von Partnern. Denn ich bin der Ansicht, daß diesbezüglich im Denken etlicher Unternehmen dieses Landes noch eine gewisse Hemmschwelle besteht, die jedoch den Sprung zu einer adäquaten Unternehmensgröße be- oder verhindert.

Aber nun zurück zur Novelle des Investmentfondsgesetzes: Dieses Gesetz ist, wie bereits angesprochen, aus mehreren Gründen von größter Bedeutung. Nicht zuletzt ist es für den Finanzplatz Wien von besonderer Wichtigkeit. Meine Parteifreunde und ich werden keinen Einspruch dagegen erheben. (Beifall bei der ÖVP.)

15.34

Präsident Ludwig Bieringer: Zu Wort gemeldet hat sich Bundesrat Johann Kraml. Ich erteile es ihm.

15.34

Bundesrat Johann Kraml (SPÖ, Oberösterreich): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Staatssekretär! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit dem vorliegenden Investmentfondsgesetz wird der Marktentwicklung der letzten Jahre Rechnung getragen.

So bietet die Ermöglichung thesaurierender Fonds vor allem langfristig orientierten Anlegern die Möglichkeit, einfacher als bisher auf Substanzgewinn ausgerichtete Anlageformen zu wählen. Nicht bei jeder Kapitalanlagegesellschaft war die Möglichkeit gegeben, daß ausgeschüttete Gewinne eines Fonds ohne Ausgabeaufschlag wieder in denselben Fonds reinvestiert werden konnten. Die Beträge mußten bis zur Reinvestierung ertragslos auf einem Konto sozusagen zwischengeparkt werden.

Die Zulassung von Dachfonds bietet zudem den österreichischen Kapitalanlagegesellschaften eine Anlageform, die den Gesellschaften anderer Länder bereits zur Verfügung steht. Damit wurde sozusagen Chancengleichheit geschaffen. Auch soll damit verhindert werden, daß es zu größeren Kapitalabflüssen kommt. Allein 1997 wurden 136 Milliarden Schilling in Fonds investiert, und mit Stichtag 31. Dezember 1997 betrug das gesamte Fondsvolumen 567 Milliarden Schilling.

Meine Damen und Herren! Weiters sind die Vereinfachungen für die Zusammenlegung von Fonds und den Wechsel der Depotbank zu begrüßen. Wichtig ist dabei auch, daß zum Beispiel Fonds, die ihr Vermögen nur mündelsicher veranlagen, selbst als mündelsichere Veranlagung gelten und angekauft werden können. Die Beseitigung bürokratischer Hürden kommt den Erfordernissen eines modernen Finanzmarktes sicherlich eher entgegen als die bisher geltende Rechtslage. Zu beachten ist dabei jedoch eine faire Behandlung der Anleger.

Meine Damen und Herren! Mit dem Gesetz verbunden ist auch die Schaffung von Pensionsinvestmentfonds. Damit wird ein zusätzliches Instrument im Rahmen der privaten Pensionsvorsorge geschaffen. Die Fondsbestimmungen müssen zum Schutz der Anleger und als Hinweis für sie vorsehen, daß im Namen des Fonds obligatorisch die Bezeichnung "Pensionsinvestmentfonds" aufscheint. Die Anteilscheine von Pensionsinvestmentfonds sind durch Sammelurkunden darzustellen. Die Vorschriften für Investmentfonds in diesem Bereich tragen dem besonderen Schutzbedürfnis der Anleger Rechnung.


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Pensionsinvestmentfonds unterliegen – zusätzlich zu den allgemeinen Veranlagungsbestimmungen des Investmentfondsgesetzes – besonderen Bestimmungen. Höchstens 50 Prozent des Fondsvermögens dürfen in Wertpapieren ausländischer Aussteller veranlagt werden, zu mindestens 30 Prozent muß das Vermögen in Aktien, Genußscheinen und Gewinnverschreibungen angelegt werden, und mindestens 30 Prozent müssen in Teilschuldverschreibungen, Kassenobligationen, Pfandbriefen, Kommunalschuldverschreibungen und Bundesschatzscheinen angelegt werden. Optionsscheine dürfen nicht erworben werden. Diese besonderen Veranlagungsvorschriften sollen langfristig bessere Erträge gewährleisten.

Nach Ende der Ansparphase können Anspruchsberechtigte zwischen einer Versicherungslösung – in Form einer Rentenversicherung auf Lebenszeit mit Einmalerlag – und der Auszahlung durch das depotführende Kreditinstitut über einen Zeitraum von zumindest 20 Jahren, und zwar in jährlichen Teilbeträgen, wählen.

Meine Damen und Herren! Nicht ganz gelungen zu sein scheint mir dabei das Hineinpacken von Versicherungselementen in die Bestimmungen. Ebenfalls noch offen ist die steuerliche Behandlung der privaten Pensionsvorsorge; dazu wird die Steuerreform 2000 angeführt. Problematisch sehe ich auch die Selbstbindung in der Auszahlung, da sie über 20 Jahre dauern muß und weil sie zudem erst beginnen kann, wenn eine Pension angetreten wird oder das 65. Lebensjahr erreicht ist.

Weiters sieht das vorliegende Gesetz vor, daß bestehende Investmentfonds mit anderen zusammengelegt und gemeinsam verwaltet werden können, sofern die Zusammenlegung vom Ministerium genehmigt wird. Die Kostenvorteile von Investmentfonds lassen sich normalerweise erst bei großen Fondsvolumina verwirklichen. Die Zusammenführung von Kapitalgesellschaften im Zuge des Konzentrationsprozesses auf dem österreichischen Bankensektor und die mit der Einführung des Euro geänderten Rahmenbedingungen im Fremdwährungsbereich können dazu führen, daß eine Kapitalgesellschaft oftmals mehrere Kapitalfonds mit weitgehend gleichartiger Vermögensstruktur und Anlagestrategie nebeneinander verwaltet. Hierfür wird mit der vorliegenden Novelle die Konzentrierung und Zusammenführung erleichtert.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Eine Änderung gibt es auch bei der Heranziehung von Investmentfondsanteilen als Mündelgeld. Dies war bisher nur mit richterlicher Genehmigung und nach Anhörung eines Sachverständigen für Börsen- oder Bankwesen möglich. Um dem Bedürfnis der Praxis Rechnung zu tragen, werden Veranlagungen in mündelsichere Wertpapiere nunmehr nicht nur als Direktveranlagung, sondern auch über entsprechend ausgestaltete Investmentfonds ermöglicht.

Die ursprünglich in der Regierungsvorlage vorgesehene Möglichkeit, die im Prospekt vorgeschriebenen Angaben nicht im Prospekt selbst anzuführen, sondern durch einen Verweis auf die Fondsbestimmungen oder auf den Rechenschaftsbericht zu ersetzen, wurde vom Nationalrat noch dahin gehend geändert, daß ein Angebot von Anteilscheinen im Inland nur dann erfolgen darf, wenn spätestens einen Werktag davor ein Prospekt veröffentlicht und der Anleger somit in die Lage versetzt wird, sich ein fundiertes Urteil bilden zu können. Die Informationsbeschaffung für den einzelnen Anleger muß so leicht wie möglich sein. Markttransparenz ist hier gefragt.

Meine Damen und Herren! Das vorliegende Bundesgesetz bringt eine Ausweitung der Anlagemöglichkeiten, verbessert auch den Schutz der Anleger und sorgt für mehr Transparenz in diesem Bereich. Die SPÖ-Fraktion wird daher dem Investmentfondsgesetz zustimmen. (Beifall bei der SPÖ sowie des Bundesrates Dr. h. c. Mautner Markhof. )

15.41

Präsident Ludwig Bieringer: Nächster Redner ist Herr Bundesrat Mag. Walter Scherb. – Bitte.

15.41

Bundesrat Mag. Walter Scherb (Freiheitliche, Oberösterreich): Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Staatssekretär! Hohes Haus! Die Novelle des Investmentfondsgesetzes hat zum Ziel, einerseits das Abfließen von Marktanteilen in ausländische Fonds beziehungsweise auslän


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dische Kapitalanlagegesellschaften hintanzuhalten und den österreichischen Finanzmarkt zu stärken und andererseits die Möglichkeiten der privaten Vorsorge zu verbessern.

Aufgrund der steuerlichen Nachteile, die ausländische Fonds gegenüber inländischen schon jetzt haben, bestand in der Vergangenheit nicht die Gefahr, daß inländische Investmentfonds vom ausländischen Wettbewerb unter Druck gesetzt wurden. Dennoch ist es gut, daß durch manche in diesem Gesetz vorgesehene Lösungen inländische Kapitalanlagegesellschaften Möglichkeiten erhalten, die ausländische Kapitalanlagegesellschaften schon lange haben.

Positive Punkte dieses Gesetzes sind – ich will das jetzt nur kurz in Stichworten anführen, weil es meine Vorredner eigentlich auch schon gebracht haben –, daß Dachfonds und Thesaurierungsfonds zugelassen werden. Positiv ist weiters die Möglichkeit der steuerneutralen Fusion von Fonds, und positiv ist auch, daß Spezialfonds für Großanleger unter wesentlich vereinfachten Formalbestimmungen geführt werden können, daß Investmentfonds vereinfacht den Status der Mündelsicherheit erhalten können und daß externe Manager nun offiziell zugelassen werden.

Die inländischen Kapitalanlagegesellschaften werden hoffentlich diese neuen Gestaltungsspielräume nutzen, daher ist es in Zukunft nicht mehr notwendig, daß inländische Kapitalanlagegesellschaften durch steuerliche Diskriminierung ausländischer Fonds praktisch abgeschottet werden. Viele ausländische Fonds werden zum Beispiel fiktiv, das heißt unabhängig vom tatsächlichen Gewinn oder sogar Verlust, besteuert. Das heißt, ich muß bei diesen Fonds selbst dann eine Steuer zahlen, wenn ich einen Verlust erleide.

Eine weitere gravierende Diskriminierung ist, daß viele ausländische Fonds nicht endbesteuerungsfähig sind, was zur Folge hat, daß die Erträge der Fonds der vollen Einkommensteuer und auch Erbschaftssteuer unterliegen.

Sehr geehrter Herr Staatssekretär! Ich hoffe, daß auch in diesem Bereich der Investmentfonds in Zukunft ein freier Wettbewerb einkehren wird und daß Handelshemmnisse in Form von steuerlichen Diskriminierungen abgeschafft werden. Marktbeherrschende Stellungen im Inland, die von meinem Kollegen Harring angesprochen wurden, können dadurch auch hintangehalten werden, weil eben nicht mehr nur der inländische Markt gegeben ist, sondern auch ein internationaler Großmarkt für Fonds möglich ist.

Es gibt viele ausländische Fonds mit exzellenten Fondsmanagern, die über Jahre hinweg überdurchschnittliche Erträge erzielen, die über enormes Fondsvermögen verfügen, einem Fondsvermögen, mit dem man auch Märkte machen kann, die sehr streng und laufend von der Öffentlichkeit und von Behörden kontrolliert werden, die aber aufgrund der steuerlichen Diskriminierungen von Österreichern nicht gezeichnet werden können.

Jetzt möchte ich auf das zweite Ziel, das diese Novelle verfolgt, eingehen, nämlich darauf, daß durch die Schaffung von Pensionsfonds die private Vorsorge verbessert werden soll. Es ist bestürzend, wie sorglos und unkoordiniert seitens der Regierung mit dem zarten Pflänzchen der Privatvorsorge beziehungsweise der dritten Säule der Pensionsvorsorge umgegangen wird. Die Pensionsinvestmentfonds haben gegenüber normalen Investmentfonds nur Nachteile und Einschränkungen, ohne gleichzeitig Vorteile zu bieten. Es wird zwar von seiten der Regierung darauf hingewiesen, daß im Jahre 2000 steuerliche Vorteile geschaffen werden sollen, aber das ist noch ungewiß.

Dabei wäre es so wichtig, daß gerade in diesem Bereich ein schlüssiges Gesamtkonzept erstellt wird, um die Österreicher zu motivieren, der privaten Vorsorge mehr Bedeutung zuzumessen. Anstelle dieses notwendigen Gesamtkonzeptes wird mit dem Pensionsinvestmentfonds kontraproduktiv nur ein Bruchstück geschaffen, das zwar notwendig ist, aber eben im Rahmen eines Gesamtkonzeptes. Es wird ein Bruchstück geschaffen, das nur Nachteile bringt, wodurch die Österreicher nicht motiviert werden, privat vorzusorgen, sondern – im Gegenteil – leider sogar demotiviert werden.


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Ich bin nicht gegen die privaten Investmentfonds, sondern ich bin dagegen, daß das so bruchstückhaft durchgeführt wird. Dabei wäre angesichts der dynamischen Entwicklung auf den Finanzmärkten eine Möglichkeit gegeben, den Österreichern die dritte Säule der Pensionsvorsorge positiv zu vermitteln, indem man aufzeigt, welche positiven Ergebnisse breitgestreut investierte, konservativ gemanagte, international gemischte, in Anleihe- und Aktienfonds unterteilte Fonds in der Vergangenheit erzielt haben.

Nun möchte ich auf die Besteuerung von Substanzgewinnen näher eingehen. Durch § 42 dieses Gesetzes, mit dem ein Tor in diese Richtung geöffnet wird, greift der Finanzminister nach neuen Einnahmequellen. Dies ist in dieser Form entschieden abzulehnen, weil Substanzgewinne auch Teile von Erträgen von Vorsorgefonds sind und die Besteuerung in besonderer Weise ungerecht ist, da zwar die Substanzgewinne besteuert werden, wenn aber Substanzverluste vom Anleger erlitten werden, muß er diese zur Gänze alleine tragen, ohne daß Teile des Verlustes in Form einer Negativsteuer subventioniert werden – was auch nicht sinnvoll wäre.

Außerdem wird die Ermittlung von Substanzgewinnen kompliziert und aufwendig, da die Fondsbuchhaltungen der Fondsgesellschaften bezüglich der einjährigen Spekulationsfrist nicht differenzieren und dies international auch nicht üblich ist.

Präsident Ludwig Bieringer (das Glockenzeichen gebend): Am Wort ist Herr Bundesrat Scherb. Ich würde bitten, die Unterhaltungen einzustellen.

Bitte, Herr Bundesrat, setzen Sie fort.

Bundesrat Mag. Walter Scherb (fortsetzend): Ich möchte nun kurz auf die selbst für Fachleute unverständlichen und unklaren Steuergesetze eingehen, weil durch die Besteuerung der Investmentfonds in diesem Bereich ein weiteres Beispiel dafür geliefert wird. Wenn man wissen will, wie die Erträgnisse eines Investmentfonds zu besteuern sind, muß man oft eine komplizierte, vieldimensionale Matrix von Parametern durcharbeiten, um dann erst zu keinem klaren Ergebnis zu kommen.

Die Besteuerung von Investmentfonds hängt von Parametern ab wie etwa solchen, ob es sich um einen inländischen oder einen ausländischen handelt oder um einen ausländischen Fonds, der in Österreich registriert ist. Die Besteuerung hängt auch davon ab, ob es sich bei dem Investor um eine Privatperson, eine Kapitalgesellschaft, eine Personengesellschaft oder eine Stiftung handelt. Weiters ist für die Besteuerung entscheidend, ob die Erträge des Fonds aus Zinserträgen, aus Dividendenerträgen oder aus Substanzerträgen bestehen und in welchem Zusammenhang diese Erträge zueinander stehen.

Selbst Steuerberatern ist es bei vielen Fonds nicht möglich, zu klären, wie diese beim Investor zu versteuern sind. Bei manchen Fonds können selbst hochkarätige Experten in ihren Expertisen nur Wahrscheinlichkeiten annehmen, aber sie wissen nie, wie die Besteuerung exakt sein wird. Selbst ihnen ist es nicht möglich, aufgrund der bestehenden Gesetze eine klare Stellungnahme abzugeben.

Da möchte ich die von Ihnen, Herr Staatssekretär, soeben geschilderte Forderung nach mehr Fairneß und Tansparenz im österreichischen Kapitalmarkt unterstreichen. Auch die Steuergesetzgebung in diesem Bereich muß mehr Fairneß und vor allem mehr Transparenz aufweisen.

Durch § 42 des Investmentfondsgesetzes, mit dem Substanzgewinne besteuert werden, wird diese Intransparenz leider sogar noch verstärkt. Dies führt zu einer dramatischen Rechtsunsicherheit, die den österreichischen Bürgern und internationalen Investoren eigentlich nicht zumutbar ist.

Abschließend möchte ich die wichtigsten Punkte meiner Rede noch einmal zusammenfassen:

Durch dieses Gesetz werden den österreichischen Kapitalanlagegesellschaften viele neue, positive Gestaltungsmöglichkeiten erteilt. Die steuerliche Diskriminierung von ausländischen Fonds


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sollte jedoch aufgehoben werden, um den Wettbewerb auch in diesen Teil des Finanzmarktes einziehen zu lassen. Die Schaffung von Pensionsinvestmentsfonds ohne ein Gesamtkonzept zur privaten Vorsorge ist kontraproduktiv. Die Substanzgewinne von Investmentfonds sind nicht zu versteuern, weil dadurch die Intransparenz weiter gestärkt wird. Steuergesetze sind zu vereinfachen, Unklarheiten sind zu beseitigen, anstatt weiter zu verkomplizieren.

Aufgrund der von mir aufgezeigten negativen Punkte im Bereich des Investmentsfondsgesetzes stimmen wir diesem Gesetzesantrag nicht zu. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

15.51

Präsident Ludwig Bieringer: Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Es ist dies nicht der Fall.

Die Debatte ist geschlossen.

Wird von der Berichterstattung ein Schlußwort gewünscht? – Das ist ebenfalls nicht der Fall.

Dann kommen wir zur Abstimmung.

Ich bitte jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den vorliegenden Beschluß des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Es ist dies Stimmenmehrheit.

Der Antrag, keinen Einspruch zu erheben, ist somit angenommen.

13. Punkt

Beschluß des Nationalrates vom 21. Jänner 1998 betreffend ein Internes Abkommen zwischen den im Rat vereinigten Vertretern der Mitgliedstaaten über die Finanzierung und Verwaltung der Hilfen der Gemeinschaft im Rahmen des zweiten Finanzprotokolls des vierten AKP-EG-Abkommens samt Erklärungen (899 und 992/NR sowie 5639/BR der Beilagen)

Präsident Ludwig Bieringer: Wir gelangen zum 13. Punkt der Tagesordnung: Internes Abkommen zwischen den im Rat vereinigten Vertretern der Mitgliedstaaten über die Finanzierung und Verwaltung der Hilfen der Gemeinschaft im Rahmen des zweiten Finanzprotokolls des vierten AKP-EG-Abkommens samt Erklärungen.

Die Berichterstattung hat Herr Bundesrat Stefan Prähauser übernommen. Ich bitte um den Bericht.

Berichterstatter Stefan Prähauser: Herr Präsident! Herr Staatssekretär! Hoher Bundesrat! Aus zeitökonomischen Gründen bitte ich Sie, den Bericht des Finanzausschusses den Unterlagen, die Ihnen vorliegen, zu entnehmen.

Der Finanzausschuß stellt nach Beratung der Vorlage am 10. Februar 1998 mit Stimmenmehrheit den Antrag , keinen Einspruch zu erheben. (Bundesrat Dr. Tremmel: Mehrheitlich!)

Präsident Ludwig Bieringer: Ich danke für die Berichterstattung.

Wir gehen in die Debatte ein.

Zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesrat Dr. Paul Tremmel. Ich erteile ihm dieses.

15.53

Bundesrat Dr. Paul Tremmel (Freiheitliche, Steiermark): Herr Präsident! Herr Staatssekretär! Sehr geehrter Herr Berichterstatter! Es steht mir zwar nicht zu, den Berichterstatter zu korrigieren, aber im letzten Satz hätte es "mehrheitlich" lauten müssen.


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Meine Damen und Herren! Wie bei vielen Vorlagen ist der materielle Kern dieser Vorlage durchaus berechtigt. Entwicklungshilfe ist gut und richtig, wenn sie richtig gewährt wird. Damit komme ich bereits zu den einzelnen Kritikpunkten.

Die Anwendung, die Zielrichtung, die Kontrolle vor Ort ist hier nur teilweise oder nicht erkennbar. Weiters können wir dieser Vorlage entnehmen, daß die Entwicklungshilfe zersplittert, gesplittet ist. Österreich gibt einen eigenen Betrag, die EU gibt einen eigenen Betrag, es gibt einen eigenen Fonds hiefür.

Ein weiterer Punkt, den ich anmerken möchte, ist, daß mit dieser Vorlage eigentlich einer Initiative des Bundesrates zuwidergehandelt wird, die im Zusammenhang mit der Agenda 2000 und mit der EU insgesamt mehrheitlich gefaßt wurde, daß nämlich keine vermehrten Zahlungen geleistet werden sollen. Diese vermehrten Zahlungen werden in diesem Falle jedoch ab dem Jahr 2000 mit rund 4 Milliarden Platz greifen.

Der Europäische Entwicklungsfonds wurde im Jahr 1958 gegründet, ist insgesamt sechsmal novelliert worden, und zwar nicht nur, weil mehr Mitglieder dazugekommen sind, sondern auch deshalb, weil man die Entwicklungshilfe effektiver gestalten wollte, was nur teilweise gelungen ist.

Der Beitrag Österreichs wird im Jahr 2000 schlagend. Die Summe habe ich bereits genannt. Es sind mehr als 4 Milliarden Schilling – knapp 4,7 Milliarden Schilling –, die wir zu leisten haben.

In diesem Zusammenhang – das sei eine Bemerkung am Rande – ist festzustellen, daß etwa der Umrechnungskurs des Ecu mit 13,8 S pro Ecu festgelegt ist. Erinnern wir uns – es wurde uns damals nicht geglaubt –: Vor zwei Jahren war dieser Umrechnungskurs 12,95 S. Also hier ist etwas passiert, womit man bereits zukünftiges Sparkapital anknabbert.

Überhaupt meinen wir, daß in zukünftigen Verhandlungen und auch bei solchen Vorlagen darauf zu achten wäre, daß der Finanzeinsatz Österreichs im Rahmen bleibt, ist doch Österreich neben Deutschland und Holland mit ungefähr 1 500 S pro Kopf der drittgrößte Nettozahler in der EU. Ohne diese Mittel, die ich jetzt hier nenne, haben wir im vorigen Jahr, meine Damen und Herren, rund 74 Milliarden Schilling geleistet, und zwar nicht nur an die EU und an die UNO, sondern an alle möglichen Organisationen. Dazu kommen noch – teilweise freiwillige – Leistungen, wie etwa die knappe halbe Milliarde – es waren 454 Millionen Schilling – an den Entwicklungsfonds.

Vice versa muß man dann etwa bei den Krankenscheinen in Österreich sparen, während wir im Ausland durchaus großzügig sind. Diese Großzügigkeit würde ich verstehen, wenn ich die entsprechende Kontrolle finden könnte. Daß es diese Kontrolle gibt, meine Damen und Herren, das zeigt die österreichische Entwicklungshilfe. Ich verweise hier auf das Beispiel Uganda, wo vor Ort die Projektkontrolle und auch die Kontrolle des Finanzeinsatzes der entsprechenden Mittel erfolgen.

Das ist eine der Anmerkungen, die ich zu dieser Vorlage anzubringen habe. Ich muß den Vorwurf erheben, daß dieser Mitteleinsatz vor Ort nicht entsprechend kontrolliert wird. Ich konnte das auch in der Vorlage nicht feststellen, denn wenn ich die Kontrollmechanismen durchleuchte, dann steht hier, daß die Kommission allein über den Mitteleinsatz entscheidet, daß das getrennt vom EU-Budget ist und auch nicht der Kontrolle der Europäischen Rechnungshofes unterworfen wird. Dann heißt es hier bezüglich der Mitgliedstaaten, daß die entsprechenden Maßnahmen zu berücksichtigen wären. Es ist weiters von Evaluierung der Gemeinschaftshilfe, von entwicklungspolitischen Problemen die Rede, also es wird hier nur sehr allgemein von der Kontrolle gesprochen.

Oder wenn man weiterblättert, heißt es, daß die Banken Berichte einfordern können, insoweit sie mit der Tätigkeit der Bank im Projektbereich direkt verknüpft sind. Ich finde aber keine Maßnahme, die die Kontrolle sicherstellt, die es ermöglicht, den effektiven Mitteleinsatz tatsächlich entsprechend zu kontrollieren.

Das, meine Damen und Herren – ich glaube, ich bin jetzt schon bei den knapp 5 Minuten, die ich selbst zugesagt habe –, ist der Hauptkritikpunkt, den ich hier anbringen möchte. Entwick


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lungshilfe: gut! Entwicklungshilfe sollte gezielt sein, sollte kontrolliert werden – auch im Interesse derjenigen, die diese Entwicklungshilfe bekommen sollten –, und der Mitteleinsatz und die Durchführung der einzelnen Projekte müßten vor Ort kontrolliert werden.

Da diese Bedingnisse für uns aus dieser Vorlage nicht entsprechend erkennbar sind, können wir ihr nicht unsere Zustimmung geben. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

16.00

Präsident Ludwig Bieringer: Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Zu Wort gemeldet hat sich der Herr Berichterstatter. Ich erteile ihm dieses.

16.00

Berichterstatter Stefan Prähauser (Schlußwort): Hoher Bundesrat! Da ich zwischen den Formulierungen "mehrheitlich" und "mit Stimmenmehrheit" keinen Unterschied erkennen kann, bleibt die Berichterstattung bei der Bezeichnung "mit Stimmenmehrheit gegen den Antrag keinen Einspruch zu erheben". (Beifall bei Bundesräten von der SPÖ und den Freiheitlichen.)

16.01

Präsident Ludwig Bieringer: Wir kommen nunmehr zur Abstimmung.

Ich bitte jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den vorliegenden Beschluß des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Es ist dies Stimmenmehrheit.

Der Antrag, keinen Einspruch zu erheben, ist somit angenommen.

Ich unterbreche nunmehr die Verhandlungen zur Tagesordnung.

Dringliche Anfrage

der Bundesräte Dr. Susanne Riess-Passer, Monika Mühlwerth, Dr. Peter Böhm an den Bundesminister für Justiz betreffend falsche Prioritäten in der Strafrechtspolitik (1356/J–BR/98)

Präsident Ludwig Bieringer: Wir gelangen nunmehr zur Verhandlung über die Dringliche Anfrage der Bundesräte Dr. Susanne Riess-Passer und Kollegen an den Herrn Bundesminister für Justiz Dr. Nikolaus Michalek. Da diese inzwischen allen Bundesräten zugegangen ist, erübrigt sich eine Verlesung durch die Schriftführung.

Ich erteile Frau Bundesrätin Dr. Susanne Riess-Passer als erster Anfragestellerin zur Begründung der Anfrage das Wort.

16.02

Bundesrätin Dr. Susanne Riess-Passer (Freiheitliche, Wien): Herr Präsident! Herr Bundesminister! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In Anbetracht der Kriminalitätsentwicklung, speziell in besonders gravierenden Bereichen wie der organisierten Kriminalität, des Drogenhandels und der Sexualstraftaten – vor allem gegen Kinder –, ist es notwendig, die Entwicklung des Strafrechtes in Österreich einmal generell kritisch zu untersuchen und zu überprüfen, vor allem im Hinblick darauf, ob in vielen Novellen zum Strafrecht auch wirklich das drinnensteht, was draufsteht.

Am 5. Jänner dieses Jahres erschien im "Kurier" ein Artikel mit der Überschrift "Im Justizministerium liegt der Plan zur Abschaffung des Strafrechts." – So ein Satz kann von einem Journalisten gar nicht erfunden sein, und er bezieht sich auch auf eine konkrete Äußerung eines Beamten Ihres Ministeriums, der sich bereits früher in die Richtung geäußert hat, er werde nicht aufhören, an der Abschaffung des Strafrechts zu arbeiten.

Dieser Artikel und diese Aussage entlarven eine konsequent verfolgte Tendenz in der österreichischen Strafrechtsentwicklung der letzten Jahre. Seit spätestens 1987 sind Novellen regelmäßig mit täterfreundlichen Regelungen verbunden. Unter dem Deckmantel der angestrebten


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Verstärkung der Verbrechensbekämpfung wird fortlaufend entkriminalisiert, der Strafvollzug humanisiert und wenig beziehungsweise gar nichts für die Verbrechensopfer getan. Man könnte von einem auf ideologischen Wurzeln beruhenden stillen Ausbau des Verbrecherschutzes sprechen. Jede Verschonung von Verbrechern muß sich aber als logisches Ergebnis zum Nachteil der Opfer auswirken. Dem Gesetzgeber ist der Opferschutz sichtlich nicht ein annähernd so großes Anliegen wie die Verbesserung der Situation der Rechtsbrecher.

Ich möchte Ihnen auch ein paar Beispiele für diese Behauptung nennen, weil Herr Kollege Konečny das nicht glauben kann, ein paar Beispiele, die das bestätigen. Allein mit dem Strafrechtsänderungsgesetz 1996 wurde unter dem Banner der verschärften Bekämpfung der Kriminalität in sage und schreibe 13 Punkten die Position der Rechtsbrecher unauffällig erleichtert. Es erfolgte eine Erweiterung der Härteklausel zugunsten des Rechtsbrechers bei der Abschöpfung der Bereicherung, nämlich zwingendes Absehen davon unter anderem dann, wenn die Bereicherung zum Urteilszeitpunkt nicht mehr vorhanden ist. – § 20a Abs. 2 Z 3 des Strafgesetzbuches. Keine Ersatzfreiheitsstrafen für Abschaffung der Bereicherung und Verfall; Verzicht auf den Versuch, die Geldstrafe vor Neubemessung der Höhe des Tagessatzes einbringlich zu machen; die Möglichkeit der bedingten Nachsicht von Nebenstrafen und Rechtsfolgen unabhängig von der bedingten Nachsicht der Hauptstrafe; kein zwingender Widerruf mehr bei bedingter Strafnachsicht oder Entlassung, wenn der Rechtsbrecher eine gerichtliche Weisung trotz förmlicher Mahnung nicht befolgt oder sich beharrlich dem Einfluß des Bewährungshelfers entzieht; eine wesentliche Entschärfung der nunmehr "Kindesentziehung" genannten Bestimmung im § 195 des Strafgesetzbuches; der Entfall der Werbung für Unzucht mit Personen des gleichen Geschlechts oder mit Tieren; die Einführung eines Lösungsbetrages zur Abwendung der Sicherstellung der Abschöpfung der Bereicherung; das Recht des Untersuchungshäftlings, Telefongespräche zu führen; die Kaution bei allen Verbrechen, auch wenn sie mit mindestens zehn Jahren Freiheitsstrafe bedroht sind; die Entschärfung der Verfallsbestimmung für die Kaution; die Möglichkeit des Aufschubs der Abschöpfung der Bereicherung und die Hemmung des Vollzugs bei einem Antrag auf nachträgliche Strafmilderung, auch wenn generalpräventive Gründe dagegen sprechen.

Und so geht es weiter. Im Zusammenhang mit der Kronzeugenregelung wurde unter anderem, vom Problem ganz unabhängig, die bedingte Nachsicht auch in Fällen zehnjähriger oder lebenslanger Strafdrohung ermöglicht. Das neue Suchtmittelgesetz wurde dazu genützt, mit der Grenzmengenverordnung die unliebsame – weil strenge – Judikatur des Obersten Gerichtshofs zu den Grenzmengen auszuschalten. Die geplante Diversionsregelung, besser bekannt unter dem Titel "außergerichtlicher Tatausgleich", macht es schließlich möglich, Straftätern gegen geringes Entgelt einen Persilschein auszustellen. Da geht es nicht – damit das klargestellt ist – um Bagatelldelikte, sondern es darf nicht übersehen werden, daß mit der geplanten Änderung, abgesehen von einer systemfremden Übertragung von Kompetenzen an den Staatsanwalt, die Schwelle des Unrechtsbewußtseins deutlich hinaufgesetzt, die positive Generalprävention in Frage gestellt und damit auch die Motivation zur Rechtstreue beträchtlich verringert werden.

Herr Minister! In der Fernsehsendung "Report" dieser Woche hat ein Beamter Ihres Ministeriums im Fernsehen gesagt, man plane in Ihrem Ministerium eine Regelung, wonach dieser außergerichtliche Tatausgleich in Hinkunft auch für Sexualstraftaten gegen Kinder eingeführt werden soll. Die damit verbundene Behauptung dieses Beamten, dies sei im Interesse der Opfer solcher Straftaten, kann ich wirklich nur als Zynismus empfinden. Sexualstraftaten gegen Kinder sind scheußliche Verbrechen, die man nicht als Bagatelldelikte behandeln kann. Herr Bundesminister! Ich möchte Sie auffordern, zu verhindern, daß sich solche Täter billig von ihrer Schuld freikaufen können.

Das Strafrecht ist eine sehr sensible Materie, die mit Ruhe und Kontinuität behandelt werden soll und die nicht vom rastlosen Gesetzgeber durch mindestens jährliche Novellen in Bewegung gehalten werden sollte. Auch Anlaßgesetzgebung ist daher grundsätzlich abzulehnen. Nicht Anlaßfälle wie die Affäre Dutroux oder des EuGH-Richters Wathelet sind es daher, die eine Reaktion erfordern. Die klaren Fakten der letzten Monate und Jahre zeigen vielmehr die Notwendigkeit eines Umdenkens. Dringend notwendig ist zum Schutze unserer Kinder eine Verschärfung des Strafrechts im Bereich der Sittlichkeitsdelikte. Die sonst so rührige Strafrechtslegislative ist bis


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her in dieser Frage untätig geblieben, man denkt – im Gegenteil – schon wieder über eine Entkriminalisierung in diesem Bereich nach, man denkt zum Beispiel an die Abschaffung des Vergehens der Blutschande.

Die Taten und Fakten sprechen eine deutliche und dramatische Sprache. Schätzungen von Experten gehen davon aus, daß in Österreich jedes 20. Kind sexuell mißbraucht, aber nur ein Bruchteil dieser Fälle zur Anzeige gebracht wird. Das Landeskrankenhaus Graz hat eine Statistik erstellt, in der festgestellt wurde, daß dort im Durchschnitt pro Woche drei mißhandelte und mißbrauchte Kinder aufgenommen werden. Davon wurde ein Drittel sexuell mißbraucht, zwei Drittel wurden körperlich mißhandelt. Die Hälfte dieser Zahl von betroffenen Kindern ist noch nicht einmal ein Jahr alt.

Auch der Wiener Gesundheitsbericht aus dem Jahr 1996 weist eine dramatische Zahl von Fällen auf: 11 340 Fälle sexueller Mißhandlung! Die Verurteilungen stagnieren im Vergleich dazu. Die Täter sind vor allem Männer, aber auch Frauen sind am sexuellen Mißbrauch beteiligt, wenn sie zulassen, daß Kinder der Prostitution zugeführt, vergewaltigt oder für pornographische Zwecke mißbraucht werden. 80 Prozent der Fälle passieren im Familien- oder Bekanntenkreis, und 50 Prozent der Täter werden rückfällig.

Kinderpornographie, Kinderprostitution, Kinderhandel und Kindersextourismus sind allesamt im Steigen begriffen. Das Internet schafft zusätzliche gigantische und auch kaum kontrollierbare Verbreitungsmöglichkeiten. Die Justizbehörden sind vielfach überfordert und halten in keinem Fall Schritt mit einer Entwicklung, die sich wie eine Seuche ausbreitet.

Herr Bundesminister! Es muß in diesem Bereich endlich zu Handlungen kommen! Schöne Worte, schöne Reden sind bereits sehr viele gehalten worden. Es muß gehandelt werden – vor allem im Bereich der Strafen.

Damit Sie nicht glauben, daß das ein Randproblem ist, möchte ich Ihnen anhand einiger Verurteilungen der letzten Monate aufzeigen, wie hier mit dem Strafrecht umgegangen wird, wie die Täter wirklich zur Verantwortung gezogen werden.

Ein Vater, der zehn Jahre lang seine drei Töchter mißbraucht und sich auch seiner fünfjährigen Enkelin unsittlich genähert hat, wird vom Gericht zu 18 Monaten Haft verurteilt, sechs Monate davon bedingt. Ein 36jähriger Mann, der wegen wiederholten Kindesmißbrauchs verurteilt wird, erhält zwei Jahre Haft. Ein 43jähriger Mann, der sich an seiner sechsjährigen Tochter vergeht, bekommt zwei Jahre Haft. Ein 45jähriger, der versucht hat, seine zehnjährige Tochter zu vergewaltigen, bekommt zwei Jahre Haft, acht Monate davon bedingt. Ein Vater, der seine fünfjährige Tochter wiederholt mißbraucht hat, bekommt zweieinhalb Jahre Haft. Ein Vater, der seine sechsjährige Tochter mißbrauchte, bekommt drei Jahre Haft. Ein Mann, der eine 13jährige jahrelang mißbrauchte, bekommt drei Jahre Haft. Ein Vater, der seine beiden Töchter im Alter von acht und zwölf Jahren mißbrauchte, bekommt dreieinhalb Jahre Haft. Ein Mann, der die sechsjährige Tochter seiner Lebensgefährtin mißbrauchte, bekommt dreieinhalb Jahre Haft unbedingt. Ein Mann, der seine Frau vergewaltigte und den dreijährigen Sohn mißbrauchte, wird freigesprochen. Ein Vater, der seine fünfjährige Tochter mißbrauchte, wird freigesprochen. Ein Vater, der seine 13jährige Tochter schwängerte, wird zu 15 Jahren Haft verurteilt. Ein Vater, der seine Tochter vom 4. bis zum 13. Lebensjahr mißbraucht hat, bekommt vier Jahre Haft. Ein 60jähriger, der mehrere Buben mißbraucht hat, zwei davon jünger als 14 Jahre, bekommt zweieinhalb Jahre Haft.

Ein Wiederholungstäter, der zum wiederholten Male auffällig wird beziehungsweise überführt wird, kinderpornographische Videos nicht nur selbst zu besitzen, sondern auch zu vertreiben, kommt mit 24 000 S Geldstrafe im Wiederholungsfalle davon.

Ich kann nicht glauben, Herr Bundesminister, daß Sie der Ansicht sind, daß diese Strafen den abscheulichen Delikten wirklich angemessen sind. Wir sind der Meinung, daß in diesem Bereich Höchststrafen erforderlich sind. Der Abschreckungsgedanke kann dabei nur eine untergeordnete Rolle spielen, denn Triebtäter sind nicht abzuschrecken. Höhere Strafen dienen in erster


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Linie dem Schutz der Gesellschaft und dem Schutz der mißbrauchten Kinder. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Milde Urteile wie diese, die ja nicht Einzelfälle, sondern die Mehrheit sind, unterhöhlen darüber hinaus die Autorität der Justiz, und sie fördern außerdem den Ruf nach Selbstjustiz, nach Rache und Vergeltung. Ich glaube nicht, daß das in unserem Interesse liegen kann.

Wir fordern daher lebenslange Strafen in Fällen von schwerem Kindesmißbrauch und Kinderpornographie. Die Geschichte von Sexualstraftaten gegen Kinder ist in erster Linie eine Geschichte von Rückfalltätern. Solche Täter sind aber auch eine lebenslange Gefahr für eine Gesellschaft, selbst wenn sie sich jahrelang unauffällig verhalten. Kein Richter, kein Gutachter, kein Arzt, kein Therapeut kann eine Garantie dafür übernehmen, daß sie nicht doch eines Tages rückfällig werden. Viele tragische Beispiele beweisen das.

Was wird aber heute überhaupt getan, um die Gefährlichkeit der Täter zu erkennen oder ihre Gefährlichkeit herabzusetzen? Oft sind die Strafen wie in den aufgezeigten Fällen zu kurz, um überhaupt eine sinnvolle Therapie durchführen zu können. Es gibt ja nicht einmal eine vernünftige Statistik darüber, wie viele Delikte von Rückfalltätern nach Verbüßung ihrer Haftstrafe während ihrer Bewährungszeit oder während des gelockerten Vollzuges begangen werden. Die Frage, die sich in diesem Zusammenhang aber auch stellt, ist: Können diese Täter überhaupt geheilt werden? Die klassische Therapie – das weiß jeder fachkundige Therapeut – basiert auf dem Freiwilligkeitsprinzip. Eine angeordnete Therapie, die vom Patienten selbst abgelehnt oder nicht gewünscht wird, hat kaum Aussicht auf Erfolg. In keinem Fall bietet eine Therapie eine Garantie dafür, daß der Täter nicht doch wieder rückfällig werden kann.

Wenn wir dieses Risiko nicht eingehen und wenn wir nicht in kostenintensive Therapien ohne Erfolgsgarantie investieren wollen, dann bleibt als Alternative nur die Inhaftierung.

Eine weitere Forderung, die ich an Sie, Herr Bundesminister, richten möchte, ist, daß es bei diesen Delikten überhaupt keine bedingten Strafen geben darf. Wenn der Täter den Gerichtssaal als freier Mann verläßt, ist er nicht nur für das Opfer, sondern auch für andere Kinder eine dauernde Gefahr. Auch vorzeitige Haftentlassungen sind durch nichts zu rechtfertigen. Sexualstraftäter werden oft wegen, wie es so schön heißt, guter Führung vorzeitig entlassen. Gute Führung im Strafvollzug sagt aber über die Gefährlichkeit dieser Täter überhaupt nichts aus.

Ein weiterer Punkt, der jetzt auch in den letzten Tagen in Diskussion gekommen ist, ist die Frage der Verjährungsfrist für Delikte an Minderjährigen. Der schon angesprochene Beamte Ihres Ministeriums, der in dieser Fernsehsendung aufgetreten ist, hat gesagt, daß in Ihrem Ministerium bereits ein Entwurf vorbereitet wird, um die Verjährungsfristen so zu erstrecken, daß sie erst mit der Volljährigkeit des Opfers zu laufen beginnen. Ich möchte Sie auffordern, Herr Justizminister, diese Aussage, die ja auch Sie schon mehrfach getroffen haben, heute einmal zu verifizieren und klarzumachen, ob es sich dabei weiterhin um eine bloße Ankündigung handelt oder ob Sie wirklich endlich darangehen wollen, das in die Tat umzusetzen, und wann das endlich passieren wird – in Diskussion steht das jetzt schon seit Jahren, und ich glaube nicht, daß wir hier weiter zuwarten dürfen.

Ein weiterer Punkt ist die Schaffung eines neuen Straftatbestandes der unterlassenen Anzeige, wobei ich überhaupt nicht verstehen kann, warum man diese Anzeigepflicht zunächst abgeschafft hat. Es gibt eine Reihe von Fällen gerade auch in der letzten Zeit, wo die Kinder unter Umständen noch leben könnten, wenn diejenigen im Familienbereich oder im ärztlichen Bereich, die die Anzeichen oder zumindest gravierende Anzeichen einer solchen Tat erkannt haben, rechtzeitig Anzeige erstattet hätten.

Wir fordern weiters die Schaffung eines neuen Straftatbestandes für psychischen Kindesmißbrauch. Wir fordern die Schaffung eines neuen Straftatbestandes im Pornographiegesetz für das öffentliche Anpreisen von Sittlichkeitsdelikten an Unmündigen. Wir fordern die Einfügung eines eigenen Erschwerungsgrundes der vorsätzlichen Begehung von Straftaten an Kindern. Dies würde auch im Bereich von Körperverletzungen wirken. Wir fordern die Erhöhung der


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oberen Strafgrenze bei geschlechtlicher Nötigung von drei auf fünf Jahre wie bei schwerer Nötigung, weil das an sich ein Systemfehler im Gesetz ist, der absolut widersinnig ist.

Wir fordern die Ausdehnung des Straftatbestandes der Schändung auch auf das männliche Geschlecht als Opfer. Wir fordern die Ausdehnung des Tatbestandes des Beischlafs mit Unmündigen auch auf beischlafähnliche Handlungen, die gegebenenfalls auch als Vergewaltigung gelten würden, und wir fordern für diese Täter das Verbot jeglicher Hafterleichterungen wie Freigang oder Kontakt mit anstaltsfremden Personen. Vor wenigen Tagen hat es wieder einen Fall gegeben, wie in den Medien nachzulesen war, wo ein höchst gefährlicher Straftäter von einem Freigang nicht zurückgekommen ist und nur durch eine Großfahndung der Exekutive glücklicherweise nach einigen Stunden dingfest gemacht werden konnte. Ich möchte mir gar nicht vorstellen, was passieren hätte können, wenn diese Fahndung nicht erfolgreich gewesen wäre.

Wir fordern weiterhin eine lebenslange Führungsaufsicht für solche Täter nach der Haftentlassung – das heißt regelmäßige Meldung bei der Polizei und dauernde Therapie – und ein lebenslanges Verbot aller Tätigkeiten, die den Täter mit Kindern in Kontakt bringen können. Grundsätzlich muß von jedem Täter ein sogenannter genetischer Fingerabdruck genommen werden, weil dadurch diese Täter für alle Zeiten registriert sind und es im Tatwiederholungsfalle bei neuen Delikten wesentlich leichter ist, diese Täter zu überführen.

Wir fordern darüber hinaus, so wie es das in anderen Ländern bereits gibt, Sonderabteilungen bei den Ermittlungsbehörden zur Bekämpfung von Kinderpornographie und sexuellem Mißbrauch. Beispiele in Frankreich oder Bayern zeigen, daß dort diese Einrichtungen, diese Spezialabteilungen der Exekutive mit großem Erfolg arbeiten, besonders auch bei der Bekämpfung der Kriminalität im Internet. Sie müssen natürlich, um erfolgreich arbeiten zu können, auch mit besonderen Befugnissen ausgestattet werden. Die freiheitliche Fraktion hat bereits im September 1996 im Parlament einen entsprechenden Antrag eingebracht, wonach diese Möglichkeiten geschaffen werden sollen.

Ein letzter sehr wesentlicher Bereich in diesem Zusammenhang ist die Frage des Kindersextourismus, eine Entwicklung, die in den letzten Jahren dramatisch zugenommen hat und die in den offiziellen Deliktstatistiken nicht einmal enthalten ist.

Die UNICEF schätzt zirka zwei Millionen sexuell ausgebeuteter Kinder weltweit. Das muß man sich einmal vorstellen! Die Täter kommen hauptsächlich aus dem europäischen Raum, aus den USA und Japan. Ich glaube, daß es – in Fortsetzung dessen, was in diesem Bereich schon geschehen ist – notwendig ist, weitere Maßnahmen zu setzen.

Es darf aber nicht nur bei den Strafen bewendet bleiben. Es gilt, auch in der Prävention dieser Taten entschlossene Maßnahmen zu setzen. Wir müssen nicht nur das Verbrechen, sondern auch dessen Ursachen und Folgen bekämpfen.

Eine verpflichtende Aufklärungsarbeit, wie sie in anderen Bereichen, zum Beispiel in der Aids-Aufklärung, selbstverständlich ist, ist gerade auch in diesem Bereich dringend notwendig, um allen Personen, die im Umfeld Beobachtungen machen, die auf solche Verbrechen hindeuten, den Sinn zu schärfen für die dramatischen Anzeichen, damit rechtzeitig eingeschritten werden kann. Hier sind auch besonders die Medien gefragt. Erforderlich ist auch eine Koordination der Anlauf- und Beratungsstellen, wo vielfach eine Konkurrenzsituation gegeben ist, die es den Betroffenen erschwert, sich darüber klarzuwerden, wohin sie sich wirklich wenden können.

Weiters: eine absolute Anzeigepflicht für alle Behörden, die primär zum Schutz der Kinder eingerichtet sind, von allen an Unmündigen begangenen Straftaten – ich habe schon erwähnt, daß es mir völlig unverständlich ist, warum man diese Bestimmung zunächst abgeschafft hat – sowie eine Meldepflicht an den Amtsarzt für alle Personen, die beruflich die Betreuung von Kindern übernommen haben, wenn ein begründeter Verdacht des Mißbrauchs besteht.

In den Vereinigten Staaten von Amerika gibt es außerdem eine Maßnahme, durch die die Gesellschaft vor solchen Tätern gewarnt wird. Sie beinhaltet, daß sich Sexualstraftäter nach ihrer Haftentlassung regelmäßig bei der Polizei melden und auch ihren Aufenthaltsort bekanntgeben


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müssen, damit die Bewohner einer Gemeinde entsprechend informiert werden können, wenn sich ein solcher Sexualstraftäter dort niederläßt. In der Güterabwägung zwischen dem Persönlichkeitsrecht des einzelnen und dem Schutz der Gesellschaft beziehungsweise der Kinder muß, glaube ich, unbestreitbar letzteres Vorrang haben.

Auch in der Gesellschaft ist natürlich jeder einzelne von uns gefordert. Aufmerksamkeit, Schutz und Hilfe in der Familie, in der Schule und in der Nachbarschaft sollten eine Selbstverständlichkeit sein.

Ein dritter wesentlicher Bereich, der leider Gottes nicht nur in der Gesetzespraxis, sondern auch in der Diskussion vielfach ausgeklammert wird, ist jener des Opferschutzes. Es wird sehr viel von den Tätern gesprochen, es wird sehr wenig von den Opfern gesprochen. Wenn man sich die Gesetze und Verfahren sowie vor allem die Art und Weise, wie diese in der Praxis angewendet werden, ansieht, dann erkennt man, daß sich fast alles ausschließlich auf den Täter konzentriert. Die Opfer werden weitestgehend allein gelassen, mit Ausnahme – das möchte ich hier einmal ausdrücklich feststellen – der vielfach hervorragende Arbeit leistenden ehrenamtlichen privaten Opferhilfeorganisationen.

Es gibt zwei Stufen, die das Opfer eines sexuellen Mißbrauchs traumatisieren: zum einen die Tat selbst und zum zweiten das, was danach passiert. Hier geht es nicht nur um eine an sich selbstverständliche, verbesserte Information der Opfer, sondern auch darum, daß das Opfer in den Verfahren eine entsprechende Stellung bekommt. Derzeit sind die Opfer als Opferzeugen bloße Objekte eines Verfahrens, sie besitzen keinerlei Antragsrechte, keinerlei Möglichkeiten, einzugreifen.

Wir haben auch hier in diesem Haus, wie ich mich erinnern kann, schon einmal mit Ihnen, Herr Bundesminister, die Frage einer sofortigen Schadenswiedergutmachung im Rahmen eines solchen Verfahrens diskutiert, ohne daß das Opfer erst den zivilrechtlichen Weg beschreiten muß. Die freiheitliche Fraktion hat bereits im Jahr 1996 einen entsprechenden Antrag auf Änderung der Strafprozeßordnung und der Exekutionsordnung zur Verbesserung der Rechtsstellung von Opfern und zur Miterledigung der privatrechtlichen Ansprüche im Strafverfahren eingebracht. Ich entnehme Äußerungen von Ihnen, Herr Bundesminister, daß Sie einer solchen Regelung nicht grundsätzlich ablehnend gegenüberstehen. Daher würde ich Sie bitten, daß Sie das auch endlich einmal durchführen und nicht immer nur davon sprechen.

Selbstverständlich sollte es auch sein ... (Unruhe. – Präsident Bieringer gibt das Glockenzeichen.)

Präsident Ludwig Bieringer: Ich bitte um Entschuldigung, daß ich Sie störe. Ich möchte eindringlich bitten, Unterhaltungen außerhalb des Plenarsaales zu führen. Es ist äußerst störend für die Rednerin oder den Redner, wenn dauernd geschwätzt wird. Es kommt dann vor, daß mancher aufgrund der schlechten Akustik nicht das versteht, was gesagt wird.

Frau Dr. Riess-Passer, ich bitte Sie fortzusetzen.

Bundesrätin Dr. Susanne Riess-Passer (fortsetzend): Danke, Herr Präsident.

Sehr wesentlich ist auch die Frage der Vernehmung, besonders jene der jugendlichen Opfer, in einem solchen Verfahren. Es gibt seit 1994 in Österreich die Regelung der Videovernehmung, die an sich zweckmäßig ist, nur oft daran scheitert, daß die entsprechenden Einrichtungen nicht vorhanden sind. Grundsätzlich muß dafür gesorgt werden, daß den Kindern, wenn irgend möglich, die Vernehmung im Gerichtssaal erspart bleibt, daß auch bei Vernehmungen durch die Exekutive Vertrauenspersonen anwesend sind und daß das Opfer in jedem Fall eine Prozeßbegleitung durch einen Opfer- oder Kinderanwalt bekommt. Das ist eine Regelung, die schon in vielen anderen Staaten sehr erfolgreich praktiziert wird und, wie ich glaube, auch bei uns dringend erforderlich wäre.

Ein weiterer wichtiger Punkt wäre – auch diesbezüglich bitte ich Sie, Herr Justizminister, dafür zu sorgen, daß man sich einmal darüber Gedanken macht –, daß die Prozesse schneller abgewickelt werden. Das laufende Verfahren und alles, was damit verbunden ist, stellt eine dauernde


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Belastung für das Opfer dar. Man sollte dafür Sorge tragen, daß die Prozesse, soweit dies möglich ist, innerhalb von sechs Monaten abgewickelt werden, damit die Opfer dann auch wirklich endlich zur Ruhe kommen können.

Ein weiterer wesentlicher Punkt ist die Frage, was man mit dem Täter tut, wenn ein solches Delikt zur Anzeige kommt, wenn Beweise dafür sprechen, daß ein solches Delikt vorliegt. Es steht dann wohl außer Frage, daß der Täter nicht im Familienverband verbleiben kann, nicht mit dem Opfer unter einem Dach wohnen kann. Ich glaube, es wäre wichtig, dazu überzugehen, nicht die Kinder aus ihrer Umgebung zu entfernen, sondern ein Wegweiserecht für den Mißbraucher zu schaffen. Das heißt, daß bei hinreichendem Verdacht der Täter umgehend aus der Familie zu entfernen und zum Schutz des Kindes in Untersuchungshaft zu nehmen ist. Die Herausnahme des Kindes sollte die allerletzte Möglichkeit sein und nur dann erfolgen, wenn der Verbleib des Kindes in der Familie weiteren Schaden für das Kind bedeuten würde.

Opfer brauchen Soforthilfe. Es ist wirklich beschämend, daß sich die öffentliche und politische Diskussion in Fragen der Therapie fast immer nur um die Therapie für den Täter dreht. Bevor über Therapieplätze für Täter nachgedacht wird, sollten einmal ausreichend Therapieplätze für Opfer bereitgestellt werden, denn nicht die Täter brauchen vorrangig unsere Hilfe, sondern die Opfer. (Beifall bei den Freiheitlichen.) Die Angehörigen sollten, soweit dies irgend möglich ist, in diese Therapie miteinbezogen werden, sofern sie und der Patient es wünschen.

Auch im Bereich des medialen Opferschutzes gibt es noch sehr viel zu tun. Um die Anonymität eines Opfers zu wahren, reicht es meines Erachtens nicht aus, nur den Familiennamen des Opfers in der Presse abzukürzen, wenn gleichzeitig das Familienleben, das gesamte soziale Umfeld und alle näheren Umstände im Detail dargestellt werden. Das mißbrauchte und mißhandelte Kind bedarf eines besonderen Schutzes, und hier seien auch die Medien aufgefordert, entsprechende Zurückhaltung zu üben – wie ich überhaupt die Frage der Selbstkontrolle der Medien in diesem Bereich einmal ansprechen möchte.

Das ist auch etwas, das immer wieder bei bestimmten Symposien diskutiert wird. Sie alle kennen diese Statistiken, wie lange schon Drei- bis Fünfjährige täglich vor dem Fernseher sitzen, nämlich eineinhalb Stunden. Dreizehnjährige bringen es bereits auf drei Stunden täglich. Bis zu 20 000 Morde sieht ein Kind heutzutage, bis es erwachsen ist. Und wie viele Sexfotos und Sexszenen ein Kind konsumiert hat, bevor es erwachsen ist, hat noch niemand berechnet. Ich glaube, daß da dringend Handlungsbedarf gegeben ist, daß sich die Medien einmal Gedanken über die Art der Darstellung solcher Fälle machen sollten.

Kinder haben – das möchte ich abschließend sagen – generell ein Recht auf Gesellschaftsschutz. Das klingt jetzt selbstverständlich. Und würde man den Verlautbarungen des Familienministeriums oder der Werbung in den verschiedenen Medien Glauben schenken, dann bekäme man den Eindruck, in unserer Gesellschaft würde sich alles um das Kind drehen. Die Wirklichkeit sieht aber leider Gottes anders aus. Immer mehr Kinder leben auch in unserem Land, in Österreich, unter der Armutsgrenze. Jedes zehnte Kind in Österreich lebt bereits von der Sozialhilfe. Drogenkonsum und Obdachlosigkeit von Kindern und Jugendlichen nehmen zu, ebenso wie Straftaten gegenüber Kindern in vielfältiger Form.

Kinder sind die schwächsten Glieder unserer Gesellschaft. Sie können sich nicht wehren, und sie haben keine pressure group. Im Jahr 1989 wurde die UNO-Resolution über die Rechte des Kindes verabschiedet, und es gibt keine andere internationale Initiative, die so schnell so viel Zustimmung von so vielen Staaten erhalten hat. Das Problem besteht nur darin, daß zwar alle diese Resolution unterzeichnet haben, aber die Umsetzung in die Gesetzespraxis der Unterzeichnerstaaten in vielen Bereichen sehr unzulänglich ist, so auch in Österreich.

Der zum ersten Mal so deutlich ausgesprochene Grundgedanke dieser Resolution war, daß die Rechte der Kinder Hand in Hand gehen mit der Anerkennung des Kindes als eigenständiges Individuum. Das war bis dahin keine Selbstverständlichkeit, denn Kinder wurden und werden heute noch oft als Objekte sozialer Gesinnung betrachtet und nicht als das, was sie selbstverständlich auch sind, nämlich Grundrechtsträger.


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Unter normalen Umständen ist es sicherlich im größten Interesse des Kindes, das Recht der Eltern zu respektieren, ihre Kinder ohne staatliche Einmischung so zu erziehen, wie sie es für richtig halten. Gleichzeitig wissen wir aber, daß manche Eltern ihre Kinder schwer verletzen und daß sie nicht immer in der Lage oder willens sind, ihre Kinder bestmöglich zu schützen. Für diese Kinder wird das Elternhaus zum Tatort ihrer schlimmsten Unterdrückung. In diesem Fall ist es notwendig, staatliche Maßnahmen zu setzen, um das Kind zu schützen. Wir sollten uns alle vergegenwärtigen, daß das Wohl des Kindes nicht eine, sondern die wesentliche Entscheidungsgrundlage unseres gesetzgeberischen Handelns in allen Bereichen sein sollte.

Wenn wir heute von einem "Bündnis für Kinder" sprechen, dann werden Sie alle sagen: Das ist ja eine Selbstverständlichkeit, da sind wir uns alle einig! Es genügt aber nicht, schöne Reden zu halten, es genügt auch nicht, sogenannte Charities oder Wohltätigkeitsveranstaltungen durchzuführen, bei denen man Spenden sammelt, um das eigene Gewissen zu beruhigen, denn was wir brauchen, ist konkretes Handeln zum Schutz unserer Kinder. Dazu möchte ich Sie als den zuständigen Ressortchef besonders auffordern und Sie auch bitten, uns konkret zu sagen, wann Sie welche Maßnahmen in der nächsten Zukunft planen. – Danke. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

16.31

Präsident Ludwig Bieringer: Zur Beantwortung hat sich Herr Bundesminister für Justiz Dr. Nikolaus Michalek zu Wort gemeldet. Ich erteile ihm dieses.

16.31

Bundesminister für Justiz Dr. Nikolaus Michalek: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bevor ich die Beantwortung der gestellten Fragen vornehme, möchte ich im Hinblick auf die teils über die gestellten Fragen weit hinausgehenden Ausführungen sowohl in der Begründung der Anfrage als auch in der vorhergehenden Wortmeldung einige grundsätzliche Bemerkungen zur Strafrechtspolitik und zu meiner Ressortführung machen.

Die Politik und die darauf gegründeten legislativen Vorhaben meines Ressorts haben sich stets einer rationalen und ausgewogenen kriminalpolitischen Zielsetzung verpflichtet gefühlt. Den pauschalen Vorwurf einer einseitigen, tätergünstigen, tendentiell entkriminalisierenden, die Funktion des Strafrechts aufweichenden, zuwenig opferorientierten Strafrechtspolitik muß ich entschieden zurückweisen. Auch muß ich sagen, daß manches von dem dafür in der Anfrage beziehungsweise von meiner Vorrednerin Angeführten mißverständlich in den Katalog von "Tätererleichterungen", wie es dort heißt, aufgenommen wurde. Manches wurde durchaus auch mit Zustimmung der Freiheitlichen Partei beschlossen, manches, etwa was Sie im Zusammenhang mit der Abschöpfung der Bereicherung gesagt haben, über ausdrückliches Betreiben des Justizsprechers der Freiheitlichen Partei.

Meine Damen und Herren! Das Bundesministerium für Justiz arbeitet legistische Vorschläge nicht "für Täter" und "für Opfer" aus, sondern ist im materiellen Strafrecht wie im Prozeßrecht um kriminalpolitisch zweckmäßige, ausgewogene, zeitgemäße Lösungsvorschläge bemüht. Ich halte die populär gewordene Zuspitzung strafrechtspolitischer Fragen auf die Opfer-Täter-Polarität für eine Vereinfachung, die eher geeignet ist, Emotionen auszulösen, als in der Sache weiterzuführen. In diesem Sinn kann ich für mich in Anspruch nehmen, den schon vor einem Jahrzehnt begonnenen Weg einer verstärkten Berücksichtigung von Opferinteressen mit der inneren Überzeugung fortgesetzt zu haben, daß die Aufgabe einer modernen Strafrechtspflege über die Verfolgung und Bestrafung von Rechtsbrechern hinaus auch darin besteht, legitimen Interessen und Rechten der Opfer von Straftaten den gebührenden Stellenwert einzuräumen.

Nach der teilweisen Neuordnung des Sexualstrafrechts im Bereich der Vergewaltigung unter vorrangiger Berücksichtigung von Opferinteressen durch die Strafrechtsgesetznovelle 1989 und den mit der Mediengesetznovelle 1992 verwirklichten Schutz vor einer ausufernden, Persönlichkeitsrechte des Opfers verletzenden Berichterstattung wurde mit dem Strafprozeßänderungsgesetz 1993 eine ganze Reihe von Opferschutzbestimmungen in die Strafprozeßordnung aufgenommen. Dazu gehören Anliegen des Zeugenschutzes im engeren Sinne ebenso wie sonstige Bedachtnahmen auf Opferinteressen. Insbesondere in den international anerkannten und für


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manche ausländische Rechtsvorhaben seither beispielgebenden Bestimmungen über die Verfahrensbegleitung durch Vertrauenspersonen und über die neue Möglichkeit der schonenden Vernehmung von kindlichen Tatopfern und von Opfern von Sexualverbrechen wird das Bemühen deutlich, die sogenannte sekundäre Viktimisierung durch das Strafverfahren gerade bei besonders schonungsbedürftigen Opfern zurückzudrängen.

Das Thema der Rechtsstellung des Verletzten im Strafverfahren steht auch im Zusammenhang mit einer breiten internationalen Tendenz zur stärkeren Opferorientierung des Strafrechts und des Strafverfahrens, die von einer stärkeren Einbeziehung der Wiedergutmachung bis zu Fragen des Zeugenschutzes reicht. Ich bin der festen Überzeugung, daß sich in der angesprochenen Sensibilisierung Anliegen und Sorgen der Bevölkerung niederschlagen, die ernst zu nehmen sind und sowohl dem Verlangen nach einer verstärkten Partizipation der von einem strafrechtlich relevanten Konflikt Betroffenen als auch einem sich wandelnden Grundverständnis des Strafrechtes und der Strafverfolgung entsprechen.

Mit der von mir in Aussicht genommenen gesetzlichen Anerkennung der Parteistellung des Opfers, unabhängig von vermögenswerten Ersatzansprüchen, im Strafverfahren ist die Verstärkung des Wiedergutmachungsaspektes im Rechtsfolgenbereich verbunden. Beide Gesichtspunkte beziehen sich auf die – selbst bei Betroffenen von interfamiliären Kontaktdelikten durch internationale Opferbefragungen belegbare – Erwartung, daß nicht nur das Viktimisierungsereignis selbst, sondern auch die spätere strafverfolgende Reaktion eine Angelegenheit mit öffentlichem Charakter darstellt. Wir müssen daher auch anerkennen, daß die öffentliche Strafverfolgung von der Mehrheit der Opfer als Dienstleistung und entlastende Hilfestellung erachtet wird.

Diesem Anliegen, nämlich dem Gedanken der Wiedergutmachung, aber auch des Eingehens auf die anderen Opferinteressen, zu denen durchaus auch die Genugtuung gehört, und des stärkeren Einbeziehens und Durchsetzens der Interessen der Opfer im Strafverfahren überhaupt, fühlt sich der zurzeit in Begutachtung stehende Entwurf einer Strafprozeßnovelle 1998, die heute auch schon angesprochen wurde, im besonderen Ausmaß verpflichtet – ein Entwurf, der mit den Schlagworten "außergerichtlicher Tatausgleich" und "Diversion" bezeichnet wird.

Dabei geht es freilich nicht um eine Entkriminalisierung, was ich nicht oft genug wiederholen kann, oder auch nur um eine Reprivatisierung der Bereinigung strafrechtlich relevanter Konflikte. Ganz im Gegenteil! Es ändert sich bloß die Art der staatlichen Reaktion auf bestimmte Formen strafbar bleibender, minder schwerer strafbarer Verhaltensweisen weniger gefährlicher Täter.

Auch beim außergerichtlichen Tatausgleich bleibt also die angesprochene Dienstleistungsfunktion des Strafverfahrens erhalten, weil der Staatsanwalt, abgesehen vom Vorliegen der übrigen Voraussetzungen, wie geringe Schuld und das Vorliegen der spezial- und generalpräventiven Voraussetzungen, pflichtgemäß auch zu beurteilen hat, ob die Einsicht des Beschuldigten in das Unrecht der Tat und die Bemühungen um Wiedergutmachung tatsächlich geeignet sind, die konkreten Interessen des Opfers zu fördern. Schon aus diesem Grund ist das Opfer in Bemühungen um einen außergerichtlichen Tatausgleich, sofern es dazu bereit ist, stets einzubeziehen.

Aber auch bei den anderen Formen der sogenannten intervenierenden Diversion soll die Position des Opfers weiter gestärkt werden. Ferner soll sich das Opfer – unabhängig von seiner allfälligen Stellung als Privatbeteiligter – aktiv an der diversionellen Verfahrenserledigung beteiligen können. In diesem Zusammenhang soll es daher künftig auch möglich sein, dem Verdächtigen spezifisch opferbezogene Verpflichtungen oder Auflagen als Voraussetzung für eine vorläufige Verfahrensbeendigung aufzuerlegen, die im Falle eines Schuldspruchs als Weisungen ausgesprochen werden könnten, wie beispielsweise: Kontakte zu der von der Straftat betroffenen Person zu unterlassen oder sich anstelle der Schadensgutmachung, wenn diese etwa von dritter Seite – denken Sie an die Versicherung beim Auto – erfolgte, um einen sonstigen Folgenausgleich zu bemühen. Im übrigen werde ich zu diesen Problemen bei der Beantwortung der einzelnen konkreten Fragen noch näher Stellung nehmen.


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Da im Vorblatt der Anfrage auch dem Suchtmittelgesetz breiter Raum gewidmet ist, kann ich nicht umhin, auch dazu in aller Kürze einiges anzumerken. Das mit Jahresbeginn in Kraft getretene neue Suchtmittelgesetz trägt dem allgemein anerkannten Grundsatz, daß dem Drogenproblem nicht allein mit den Mitteln des Strafrechts begegnet werden kann, Rechnung. Die maßvolle Erweiterung des durchaus bewährten Prinzips der Therapie und des Helfens statt oder vor Strafe ist Ausdruck der Erkenntnis, daß Sucht und Abhängigkeit primär medizinische beziehungsweise soziale Probleme sind, weshalb es einer umfassenden Gegenstrategie über das Strafrecht hinausgehender präventiver und therapeutischer Ansätze bedarf.

Durch das neue Suchtmittelgesetz wird ein bewegliches System geschaffen, das die Möglichkeit bietet, die einzusetzende Maßnahme an der Schwere des Delikts, der Gefährlichkeit des Suchtgifts und der Behandlungsbedürftigkeit des Täters zu orientieren. Dort, wo der Täter ein hohes kriminelles Potential aufweist, insbesondere im Bereich der organisierten Kriminalität oder beim professionellen Drogenhandel, bleiben die zu den höchsten Strafdrohungen der österreichischen Rechtsordnung zählenden Strafrahmen bestehen. Nur dort, wo die medizinisch-therapeutischen Maßnahmen notwendig, sinnvoll, erfolgversprechend und adäquat sind, tritt das Strafrecht vorläufig in den Hintergrund.

Österreich beschreitet mit diesem neuen Suchtmittelgesetz den Weg einer "intelligenten Härte" mit neuen strafrechtlichen Instrumenten und einen Weg der "einfühlsamen Hilfe" mit modernen Therapiekonzepten. Die Kritik der Dringlichen Anfrage an einzelnen Neuerungen im Suchtmittelgesetz übersieht, daß auch mit diesen Neuerungen durchaus Vorschlägen aus der Praxis jener, die tagtäglich mit der Verfolgung dieser Straftaten befaßt sind, Rechnung getragen wurde.

Alle verordnungsmäßig festgelegten Grenzmengen entsprechen der vom Suchtgiftbeirat schon im Jahr 1985 festgelegten Grenzmengen; auch die für Heroin festgelegte Grenzmenge wurde demgegenüber nicht erhöht. Die von Ihnen angesprochene Judikatur des Obersten Gerichtshofs wurde von uns in die Vorbereitung einbezogen. Die jetzige Regelung in Übernahme des seinerzeitigen Suchtgiftbeiratsgutachtens wurde vom Obersten Gerichtshof ausdrücklich gebilligt.

Geringere Formen der Beschaffungskriminalität, etwa eine Rezeptfälschung oder kleinere Eigentumsdelikte, wurden in das Konzept "Therapie statt Strafe" einbezogen, weil die Praxis beklagte, daß deren zwingende Bestrafung das Therapiekonzept gefährden würde.

Auch das Instrument des Aufschubes des Strafvollzuges soll dazu dienen, daß sich der Täter, quasi unter dem Damoklesschwert sonstiger Strafverbüßung, intensiv bemüht, von seiner Sucht loszukommen, und damit einem Rückfall, der eine neue Straftat darstellen würde, vorzubeugen.

Die angesprochene Anzeigepflicht wurde nur dort eingeschränkt, wo diese zum Bruch eines Vertrauensverhältnisses zu einer amtlichen Beratungsstelle führen würde. Ohne ein derart geschütztes Vertrauensverhältnis ist beratende Therapie ganz einfach nicht möglich.

Die Erfolgskontrolle liegt in den Händen der Betreuungseinrichtungen, deren Qualitätsstandards durch das neue Suchtmittelgesetz wesentlich besser gewährleistet sind, als das früher der Fall war. Gerade was die Qualitätssicherung anlangt, ist es einer der Schwerpunkte des Gesundheitsressorts, ein Behandlungs- und Betreuungsberichtswesen aufzubauen, um bestandene Informationslücken zu füllen. Ich darf in diesem Zusammenhang auf den Bericht des Österreichischen Bundesinstituts für Gesundheitswesen zur Drogensituation im Jahr 1997 verweisen.

Meine Damen und Herren! Nun konkret zu den einzelnen Fragen:

Zur ersten Frage: Lassen Sie mich zur ersten Frage vorausschicken, daß die Auswirkungen punktueller strafrechtlicher Maßnahmen nicht überschätzt werden sollten, und zwar weder von Verschärfungen noch von sogenannten Erleichterungen.

Lassen Sie mich vorweg weiters die großen Linien meiner, aber auch der von meinen Vorgängern gepflogenen Strafrechtspolitik skizzieren:


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Einsatz des Strafrechts und seines Instrumentariums mit Augenmaß, das heißt getragen von Vernunft, Menschlichkeit und Sozialverträglichkeit

– unter Bedachtnahme auf spezial- und generalpräventive Bedürfnisse ebenso wie auf einen möglichst effizienten Einsatz der vorhandenen Ressourcen

– berechtigte Forderungen durchaus aufgreifend, hingegen mitunter bloß tagespolitisch motivierten, übertriebenen Vorstellungen entgegentretend.

Meine Damen und Herren! Der Anteil der unbedingten Freiheitsstrafen an allen Sanktionen hat sich schon seit vielen Jahren knapp unter 10 Prozent eingependelt, während er gegenüber etwa Anfang der siebziger Jahre noch rund doppelt so hoch war. Es gibt keine Anzeichen dafür, daß sich Entwicklungen wie diese general- oder spezialpräventiv in irgendeiner Form negativ ausgewirkt hätten. Dazu bedarf es nicht einmal eines Blicks über die Grenzen, wenngleich ich nicht unerwähnt lassen möchte, daß der Anteil der unbedingten Freiheitsstrafen in Deutschland nur rund 5 Prozent beträgt; also nur halb so hoch ist wie in Österreich. Auch die österreichische Rückfallsstatistik belegt, daß in Sprengeln mit einer weniger strengen Sanktionenpraxis die Rückfallsquote um nichts höher ist als in anderen Sprengeln mit strengerer Sanktionenpraxis.

Zu den Fragen 2 und 3, insbesondere betreffend die Einschränkung der Anzeigepflicht. Auch das Strafprozeß-Änderungsgesetz 1993 hat dem Gedanken des Opferschutzes besonderes Augenmerk gewidmet. Dabei geht es nicht nur darum, den Schutz der Persönlichkeitsrechte und der Intimsphäre von Beschuldigten und Zeugen dem grundliegenden Ziel der Strafprozeßordnung, der Wahrheitsfindung, gegenüberzustellen, sondern auch darum, andere Prinzipien unserer Rechtsordnung, insbesondere den das Kindschafts- und Jugendwohlfahrtsrecht beherrschenden Grundsatz des Wohles des Kindes auch im Strafverfahren und im Vorfeld eines solchen zu berücksichtigen.

Dabei konnte von der Erkenntnis ausgegangen werden, daß bei kaum einer anderen Deliktsgruppe das System der gesellschaftlichen Kontrolle, durch strafrechtliche Reaktionsmechanismen, also durch Aufstellen strafrechtlicher Normen, durch Strafverfolgung in einem gesetzlich geordneten Verfahren und durch Verhängung und Vollzug von Strafen, schweren gesellschaftlichen Verstößen wirksam zu begegnen, so versagt hat, wie im Bereich von Gewalt und Mißbrauch an Kindern überhaupt. Will man daher Opfern von Kindesmißhandlungen wirklich wirksam helfen, und das sollte im Interesse der Opfer und der Gesellschaft primärer Zweck auch des Strafrechts sein, müssen Lösungsansätze erarbeitet werden, die in erster Linie den Opfern helfen.

In Interessensabwägung zwischen Opferschutz, effektiver Opferhilfe und legitimer Strafverfolgung hat sich der Gesetzgeber damals deshalb dazu entschlossen, Behörden oder öffentliche Dienststellen dann von der Anzeigepflicht auszunehmen, wenn die Anzeige eine amtliche Tätigkeit beeinträchtigen würde, deren Wirksamkeit eines persönlichen Vertrauensverhältnisses bedarf. Diese Stellen kommen vielfach überhaupt nur dann in Kenntnis der strafbaren Handlung, wenn der Anzeigende eine glaubwürdige Zusicherung der Vertraulichkeit seiner Mitteilung erwarten kann, vor allem deshalb, da er oftmals nicht an einer Strafverfolgung einer Person, sondern an einer effektiven Hilfe für das Kind interessiert ist. Diesen Personen muß jedoch eine gewissenhafte Interessensabwägung auferlegt werden, und das ist ja auch geschehen, sodaß mangels anderer außerstrafrechtlicher Reaktionsformen eine Anzeige jedenfalls dann geboten erscheint, wenn eine weitere Gefährdung des Opfers nicht ausgeschlossen werden kann.

Diese Neuorientierung im Umgang mit kindlichen Tatopfern hat in der Folge zu einer vermehrten Einrichtung von spezifischen Kinderschutzgruppen geführt, die in erster Linie die therapeutischen Notwendigkeiten beurteilen, was durch eine unmittelbare strafverfahrensrechtliche Reaktion, insbesondere auch die Vernehmung des kindlichen Tatopfers, die auf die konkreten Bedürfnisse des Kindes ja nicht vollständig Rücksicht nehmen kann, nicht selten erschwert würde.

Die Einschränkung der Anzeigepflicht hat danach nicht nur zu einer weiteren Sensibilisierung der betroffenen Berufsgruppen geführt, sondern auch eine beträchtliche Erweiterung der betreu


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enden und beratenden Möglichkeiten und somit eine Hinwendung zu einer effektiveren Hilfestellung bewirkt.

Primäres Anliegen ist es eben, die Kinder zu schützen, wozu auch gehört, daß präsumptive Täter abgeschreckt werden, weil sie mit hoher Wahrscheinlichkeit damit rechnen müssen, zur Verantwortung gezogen zu werden.

Ein Überblick über die Zahl der bekanntgewordenen Fälle sowie der ermittelten Tatverdächtigen wegen der §§ 206 und 207 StGB und des Verhältnisses der Verurteilten zu den ermittelten Tatverdächtigen in den Jahren 1993, also nach dem Strafrechtsänderungsgesetz, bis 1996 beweist darüber hinaus, daß die geschilderten Maßnahmen keinen Rückgang im Anzeigeverhalten bewirkten. Allein in den Jahren 1995 und 1996 ist die Zahl der bekanntgewordenen Fälle um 25 Prozent, der ermittelten Tatverdächtigen um 23 Prozent und der Verurteilten um 24 Prozent gestiegen. Die Verurteilungsquote liegt bei den §§ 206 und 207 StGB weit über dem Durchschnitt sämtlicher strafbarer Handlungen, wobei anzunehmen ist, daß die Nichtverurteilungsquote bei den angeführten Tatbeständen hauptsächlich auf Beweisschwierigkeiten zurückzuführen ist.

Grundsätzlich vertrete ich die Auffassung, daß die primäre Berufspflicht des Arztes in der Behandlung und Therapie liegt. Nach der derzeitigen Rechtslage trifft allerdings jeden Arzt eine Anzeigepflicht, wenn er in Ausübung des Berufes Anzeichen dafür feststellt, daß durch eine gerichtlich strafbare Handlung der Tod oder eine schwere Körperverletzung eines Menschen herbeigeführt worden ist oder daß durch das Quälen oder Vernachlässigen eines unmündigen Jugendlichen oder Wehrlosen dieser am Körper verletzt oder an der Gesundheit geschädigt wurde. Das Unterlassen dieser Pflicht begründet derzeit eine Verwaltungsübertretung.

Allerdings sollte auch für den Bereich der ärztlichen Tätigkeit, wie schon hinsichtlich der öffentlichen Stellen geschehen, der für die übrigen im beratenden und betreuenden Bereich tätigen Berufsgruppen geltende Grundsatz zur Anwendung gelangen, daß sie bei Bestehen oder zum Aufbau eines besonderen Vertrauensverhältnisses eine Anzeigepflicht nur nach Vornahme einer berufsspezifischen Interessensabwägung trifft, die eine Abwägung zwischen den Interessen des Kindesschutzes und der Strafverfolgung erlaubt. Nur auf diese Weise kann Zugang zu den betroffenen Familienmitgliedern gefunden und verhindert werden, daß nach jeder Verletzungshandlung mit unklarem Verletzungshergang ein anderer Arzt aufgesucht wird.

Gerade darin lag die Problematik in dem in der Anfrage angesprochenen sogenannten Fall Kevin, weil die Mutter zunächst aus Furcht vor einer Verfolgung ihres Lebensgefährten auf die unbedingt erforderliche Behandlung des Kindes verzichtete.

Soviel zu der Anzeigeverpflichtung.

Zur Frage 4: Diversion in den angesprochenen Bereichen. – Mit dem Schlagwort "Diversion" werden alle jene staatlichen Reaktionsformen auf strafbares Verhalten bezeichnet, die vor einem Strafverfahren, außerhalb oder anstelle eines solchen erfolgen und den Verzicht auf die Durchführung oder Beendigung des Strafverfahrens ermöglichen. Sie sind in der Regel von Leistungen des Verdächtigen, wie Schadensgutmachung, Zahlung einer Geldbuße, Leistung gemeinnütziger Arbeit und dergleichen, abhängig.

Wie ich bei mehreren Gelegenheiten bereits festgestellt habe, zielen diese Maßnahmen auf den unteren Kriminalitätsbereich, die sogenannte Bagatellekriminalität. Ihre Einordnung, soweit es den Anwendungsbereich der Staatsanwaltschaften betrifft, auf Straftaten mit einer Freiheitsstrafdrohung bis zu fünf Jahren entspricht diesen Vorstellungen und unserem System des materiellen österreichischen Strafrechts, das nach Deliktsgruppen unterscheidet und in diesen mit abgestuften Strafrahmen differenziert. So sind unter dem Begriff "Einbruchsdiebstahl" nicht nur schwere Delikte, sondern beispielsweise auch die Entfremdung, wie es dort heißt, eines alten Fahrrades zu verstehen, sofern dieses mit einer der üblichen Zahlenschlösser gesichert war. Eine derartige Straftat ist daher mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren bedroht.


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Somit ist völlig mißverständlich, wenn der Eindruck erweckt wird, Diversionsmaßnahmen sollten im Falle durchschnittlichen oder gar oberen Kriminalitätsgehaltes zum Tragen kommen. Der Umstand, daß im Begutachtungsentwurf für die Gerichte, deren Entscheidungen im Rechtsmittelweg bekämpfbar sind, bei der Anwendung der Diversion keine Strafobergrenzen vorgesehen sind, ändert nichts an den dargestellten Überlegungen und sollte lediglich die Unabhängigkeit und Freiheit der Gerichte von solchen gesetzlichen Schranken unterstreichen.

Zwar sind seltene Ausnahmefälle denkbar, und es wurden plausible Fälle genannt, in denen auch nach schwereren Delikten Diversionsmaßnahmen sachgerecht erscheinen könnten, doch ist, meine ich, zu überlegen, das Gesetz – um es nicht ungerechtfertigt der Kritik auszusetzen – auf die mit geringerer Strafe belegten Hauptanwendungsfälle zu begrenzen.

Zur Frage 5, nämlich zur Frage, wie viele Verfahren etwa darunter fallen werden: Nach derzeitigen Schätzungen, die naturgemäß nicht verläßlich sind, sich aber auch an den Erfahrungen des außergerichtlichen Tatausgleiches und der Diversion im Jugendstrafrecht und dem Modellversuch außergerichtlicher Tatausgleich im Erwachsenenbereich orientieren, kann erwartet werden, daß diversionelle Maßnahmen in bis zu etwa 30 000 Fällen jährlich und damit bei weniger als einem Viertel der Strafverfahren überhaupt in Betracht kommen werden.

Es ist aber damit zu rechnen, daß die Zahl der Hauptverhandlungen deshalb nicht wesentlich sinken wird, weil, wie auch ausländische Erfahrungen belegen, der bei weitem größte Teil der Diversionsmaßnahmen auf die sogenannten Geldbußen und damit auf Fälle entfallen wird, in denen derzeit eine Strafverfügung erlassen wird, also auch keine Hauptverhandlung stattfindet.

Zur Frage 6, die die Rückfallshäufigkeit betrifft: Diesbezügliche Studien liegen dem Bundesministerium für Justiz bislang nicht vor. Nach den Erfahrungsberichten damit befaßter Stellen, insbesondere der Bewährungshilfe, sowie den Ergebnissen der allgemeinen Sanktionenforschung ist jedoch davon auszugehen, daß der ATA nicht nur keine negative Auswirkung auf die Rückfallsneigung ausübt, sondern die besondere Form der Aufarbeitung der Straftat auch eine besondere Minderung für die Rückfallshäufigkeit darstellt.

Zu den Fragen 7, 8 und 9 darf ich zusammenfassend antworten: Ich habe bereits vielfach darauf hingewiesen, daß es mir ein besonderes Anliegen ist, die Rechtsstellung der Geschädigten im Strafverfahren zu stärken. Im Rahmen der Gesamtreform des Strafprozesses ist beabsichtigt, Personen, die schweren körperlichen oder seelischen Schaden erlitten haben, Befugnisse einzuräumen, die nach Intensität und Umfang jenen eines Anklägers nahekommen. Diese Überlegungen sind so weit gediehen, daß es voraussichtlich möglich sein wird, schon in den nächsten Monaten der Öffentlichkeit einen Diskussionsentwurf vorzustellen.

Derartige Instrumente, wie sie hier angesprochen wurden, sind aber durchaus nicht unproblematisch, worauf beispielsweise auch beim letzten Österreichischen Juristentag im vergangenen Jahr mehrfach und eindringlich hingewiesen wurde.

Die Entprivatisierung der Strafverfolgung und die, wenn Sie so wollen, Verstaatlichung des Strafrechts bilden auch ein wesentliches Kulturmerkmal aller hochentwickelten Staaten. Nur der Staat soll mit einem Gewaltmonopol für die Strafverfolgung zuständig sein. Die Zulassung privater Interessen im Strafrecht – nicht bei der Schadensgutmachung! – birgt nämlich die Gefahr in sich, daß im einzelnen mitunter verständliche, im allgemeinen aber doch eher archaische Rachegedanken breiteren Raum, als es gut ist, gewinnen.

In diesem Sinn glaube ich, daß gerade der außergerichtliche Tatausgleich im besonderen Maße – allerdings nur im unteren Kriminalitätsbereich – geeignet ist, dem Gedanken der Sühne, der Schadensgutmachung und der Versöhnung zu dienen. Seine Möglichkeiten gehen weit über die hinaus, die der klassische Strafprozeß bietet. Gerade der außergerichtliche Tatausgleich ist tendenziell besonders geeignet, dem Opfer mit seinen Interessen breiten Raum einzuräumen. Das haben alle Untersuchungen und die Begleitforschung sowohl zu dem jetzt seit zehn Jahren in Anwendung befindlichen außergerichtlichen Tatausgleich im Jugendbereich als auch zu dem seit 1992 schrittweise ausgeweiteten außergerichtlichen Tatausgleich bei Erwachsenen gezeigt. Die Schadensgutmachung wird dabei in der Regel wesentlichste Voraussetzung des Gelingens


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sein. Im Sinne dieser Erwägungen glaube ich aber nicht, daß sie als Voraussetzung des Ausgleiches ausnahmslos, ohne Möglichkeit der Berücksichtigung der Erfordernisse des einzelnen Falles, festgeschrieben werden sollte. (Vizepräsident Weiss übernimmt den Vorsitz.)

Das neue Instrument, das im Jugendstrafrecht und im Erwachsenenstrafrecht große Erfolge gezeitigt hat, sollte weder ideologisch überladen noch bürokratisch eingeschränkt werden. Dies umso mehr, als die durch strafbare Handlungen geschädigten Personen aus einem gelungenen Ausgleich jedenfalls ungleich mehr unmittelbaren Nutzen ziehen können als aus einer strafgerichtlichen Verurteilung des Beschuldigten mit dem mühsamen Weg des Opfers, zu seinem Schadenersatz zu kommen.

Zur Frage 10 und zur letzten Frage, zur Frage 24, bei der es um die Kontrolle der Sittlichkeitstäter geht, darf ich folgendes sagen: Schon derzeit besteht die Möglichkeit, im Zuge einer bedingten Entlassung Weisungen, darunter insbesondere auch Therapieweisungen, zu erteilen, deren Befolgung zu überwachen und im Falle der Nichtbefolgung die bedingte Entlassung zu widerrufen.

Vielfach werden Personen, die wegen eines Sexualdeliktes an Unmündigen angeklagt sind, in den Maßnahmenvollzug eingewiesen. Das bedeutet, daß sie im Vollzug in ärztlicher und psychologischer Betreuung sind und bei ihrer Entlassung eine Probezeit ausgesprochen wird, in der eine entsprechende Behandlung und Beobachtung durchgeführt werden.

Unabhängig davon hat das Bundesministerium für Justiz im Vorjahr damit begonnen, alle in Österreich wegen Sexualdelikten verurteilten Personen besonders zu erfassen. Sofern sie lediglich zu einer Freiheitsstrafe ohne Verhängung einer vorbeugenden Maßnahme verurteilt wurden, wird seither im Hinblick auf ihre Entlassung ihr psychischer Zustand überprüft und ihnen gegebenenfalls eine weitere Betreuung nach Haftentlassung nahegelegt und ermöglicht.

Die dabei gemachten Beobachtungen sind auch eine wertvolle Hilfe für die Diskussionen in der Arbeitsgruppe Sexualstrafrecht, in der auch dieser Problemkreis erörtert wird.

Wir müssen uns jedoch dessen bewußt sein, daß nicht alle Unzukömmlichkeiten und Defizite im Bereich der psychosozialen Behandlung und Betreuung aufgefangen werden können, schon gar nicht von der an und für sich dafür nicht zuständigen Justiz.

Ich möchte in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, daß nach der jüngst beschlossenen Regelung in Deutschland zwar im Rahmen der sogenannten Führungsaufsicht Therapieweisungen aufgetragen werden können, die Nichtbefolgung dieser Weisungen aber keinen Sanktionen unterliegt.

Zur Frage 11 betreffend Rückfallstatistik: Jede Änderung im Bereich strafgesetzlicher Maßnahmen wird in der ersten Zeit ihrer Geltung einer vielfältigen Evaluierung unterzogen. So wird bei der Erstellung der jährlichen Wahrnehmungsberichte der staatsanwaltschaftlichen Behörden, mittels Aufträgen zur besonderen Berichterstattung, bei den Revisionsplänen und bei den Amtseinschauen, anläßlich regelmäßiger Leiterbesprechungen, durch Initiierung und Unterstützung wissenschaftlicher Begleitforschung, insbesondere durch das Institut für Rechts- und Kriminalsoziologie, und nicht zuletzt auch durch Auswertung statistischer Unterlagen, insbesondere durch das Österreichische Statistische Zentralamt, auf aktuelle Gesetzesänderungen und deren Auswirkungen auf die Praxis Bedacht genommen. Auch wenn das Österreichische Statistische Zentralamt durch eine Verbesserung des Datenverarbeitungsprogrammes seit kurzem in der Lage ist, über die Daten der gerichtlichen Kriminalstatistik hinaus für solche Untersuchungen ausführlichste Rückfallstatistiken nach allen möglichen Kriterien zu erstellen, so ist mit solchen Statistiken doch nicht alles beantwortet.

Man darf nämlich nicht vergessen, daß die Frage, ob ein Straftäter rückfällig wird, auch und vorwiegend von sehr vielen justizunabhängigen Faktoren abhängt, insbesondere davon, wie die Gesellschaft im allgemeinen mit Menschen und ihren Problemen umgeht. Eine eindimensionale Verknüpfung der Rückfallsquote mit der Qualität und der rechtspolitischen Sinnhaftigkeit von


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Änderungen im Strafrecht wird meines Erachtens der gegebenen Komplexität des Problems nicht gerecht.

Einige der Fragen beschäftigen sich mit dem Opferschutz, und zwar die Fragen 12 bis 15, 18, 19 und 21. Ich möchte diese zusammenfassend wie folgt beantworten:

Unabhängig von der bereits erfolgten stärkeren Opferorientierung des Straf- und Strafverfahrensrechts bedarf es weiterer konkreter Reformschritte, die von der Verfahrensbegleitung von Opfern und Zeugen samt psychosozialer und rechtlicher Beratung und Betreuung während und nach Beendigung des Verfahrens bis hin zur verfahrensrechtlichen Stellung des Verbrechensopfers im Gesamtgefüge des Strafprozesses unter Befriedigung des Bedürfnisses an materieller und immaterieller Wiedergutmachung reichen.

Die Vorteile, aber auch die Grenzen der Beteiligung des Opfers am Strafprozeß wurden, wie ich schon erwähnt habe, auch im Rahmen des letzten, des 13. Österreichischen Juristentages in umfassender Weise dargestellt und gewichtet. Dabei hat sich deutlich gezeigt, daß es im Strafprozeß in erster Linie darum geht, die Stellung eines vermuteten Tatopfers im Verhältnis zur Stellung des Verdächtigen zu bestimmen. Die damit zusammenhängenden Strukturfragen, insbesondere auch die schwierig zu lösende Frage nach der verfahrensrechtlichen Durchsetzung und Sicherung der Einhaltung von Opferrechten, sind daher im Gesamtzusammenhang der fälligen Neugestaltung des strafprozessualen Vorverfahrens zu behandeln.

Die Aufwertung der Rechtsstellung des Opfers kann nämlich nur in einer Verfahrensstruktur geschaffen werden, in welcher auch die Rechte des Beschuldigten in angemessener und fairer Weise definiert werden. Ansonsten bestünde die Gefahr eines Ungleichgewichtes, wenn dem Staatsanwalt eine Art gleichberechtigter "Nebenkläger" zur Seite tritt.

Im Rahmen dieses, wie ich schon erwähnt habe, in Kürze in Gestalt eines Diskussionsentwurfes vorzulegenden Vorhabens, soll nach den Vorstellungen meines Ressorts eine weitergehende Aufwertung der Rechtsstellung von Personen, die durch eine strafbare Handlung körperlich oder seelisch schwer verletzt wurden, erreicht werden. Darüber hinaus sollen dem Opfer über die nach derzeitiger Rechtslage dem Privatbeteiligten zustehenden Rechten hinaus weitergehende Informations- und Parteirechte, Anspruch auf Belehrung über seine Verfahrensrechte, Akteneinsichtsrechte, Teilnahmerechte an Beweisaufnahmen und dergleichen eingeräumt werden.

In Anlehnung an ausländische Vorbilder, etwa das angesprochene eidgenössische Opferhilfegesetz, soll schließlich an die persönliche Betroffenheit und den Grad der Viktimisierung angeknüpft werden. Für einen solchen engeren Personenkreis sollten besondere Verfahrensbestimmungen sowohl ihre Rechtsstellung als auch ihre Ansprüche auf immaterielle und materielle Wiedergutmachung betreffend geschaffen werden.

Schon vor der Verwirklichung dieses Reformvorhabens erscheint es allerdings dringlich, Opfer von Straftaten umfassender als bisher über die ihnen schon heute zur Verfügung stehenden Möglichkeiten auf Strafverfahrens-, aber durchaus auch auf Zivilverfahrens- und sozialrechtlicher Ebene zu belehren. Eine diesbezügliche, von meinem Ressort verfaßte Broschüre ist in Fertigstellung. Danach werden Opfer von strafbaren Handlungen besser in die Lage versetzt sein, bestehende Informations- und Gestaltungsrechte sowie Hilfsangebote in Anspruch zu nehmen.

Es ist auch durchaus unser Anliegen, neben legislativen Bemühungen die praktische Umsetzung bereits geschaffener Bestimmungen, insbesondere jener über die Begleitung von Zeugen durch Vertrauenspersonen und die Durchführung schonender Vernehmungen von kindlichen Tatopfern oder in ihrer Sexualsphäre verletzten Personen durch verstärkte Belehrungs-, Beratungs- und Betreuungsangebote zu erleichtern und zu verbessern.

Über die Auflage der erwähnte Broschüre hinaus soll daher eine stärkere Koordination und Vernetzung schon bestehender Einrichtungen, insbesondere auf dem Gebiet der Jugendwohlfahrt und der Beratung und Betreuung von Opfern von Sexualdelikten, herbeigeführt werden. In diesem Zusammenhang möchte ich auf einen im März dieses Jahres beginnenden Modellversuch


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zur Prozeßbegleitung sowie auf die gemeinsam mit dem Österreichischen Anwaltskammertag eingeleitete erste anwaltliche Beratung für Verbrechensopfer bei den Bezirksgerichten hinweisen.

Darüber hinaus wurde im Rahmen bestehender Bauvorhaben die Einrichtung kindgerechter Vernehmungsräume bereits durchgeführt und vermehrte Schulungs- und Fortbildungsmöglichkeiten angeboten, um die schonende Vernehmung von Kindern und Jugendlichen in der Praxis zu fördern.

Schließlich wird durch den Einsatz automationsunterstützter Aktenführung bei den Staatsanwaltschaften ermöglicht, daß vom Jahr 1998 an statistisches Zahlenmaterial über die Durchführung solcher schonender Vernehmungen zur Verfügung stehen wird.

Die staatlichen Maßnahmen zur Hilfeleistung an Verbrechensopfern bei der Bereinigung der immateriellen und materiellen Tatfolgen scheinen in Teilbereichen tatsächlich unbefriedigend zu sein. Dabei sind jedoch den Möglichkeiten des Strafverfahrensrechtes enge Grenzen gesetzt, zumal die Angelegenheiten des Verbrechensopfergesetzes zum Zuständigkeitsbereich des Bundesministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales und Angelegenheiten der Sozialhilfe zum Verantwortungsbereich der Länder ressortieren.

Es wird, worauf ich immer wieder hinweisen muß, entschlossener gemeinsamer Anstrengungen von Bund und Ländern bedürfen, um mehr Opferhilfe und Opferberatungseinrichtungen zu schaffen und diese auch zu fördern.

In einem ersten Schritt könnte, ähnlich wie im Bereich des Gesetzes zum Schutz vor Gewalt in der Familie, das seit 1. März 1997 in Kraft ist, eine stärkere Koordination und Vernetzung schon bestehender Einrichtungen, insbesondere auf dem Gebiet der Jugendwohlfahrt – denken Sie an die Kinderschutzzentren, Kinder- und Jugendanwälte, Ämter für Jugend und Familie –, und deren Beratung von Opfern von Sexualdelikten angestrebt werden, die sich auch der psychosozialen und rechtlichen Beratung von Verbrechensopfern und der Verfahrensbegleitung durch die schon erwähnten Vertrauenspersonen mit den erforderlichen Kontakten zu Gericht und Staatsanwaltschaft widmen können.

Schließlich könnte im Rahmen der von mir bereits vorgestellten Überlegungen zur Neugestaltung des strafprozessualen Vorverfahrens auch an eine Neuregelung im Bereich der Vorschußgewährung nach § 373a StPO gedacht werden, die im Bereiche des Ersatzes der erforderlichen Therapiekosten an die mit dem Gesetz zum Schutz vor Gewalt in der Familie erweiterte Regelung des § 1328 ABGB über den materiellen und immateriellen Schadenersatz bei Verletzungen an der geschlechtlichen Selbstbestimmung anknüpfen sollte.

Zur Frage 16, Kinderpornographie: Österreich kommt im Bereich der Bekämpfung der Kinderpornographie europaweit eine Vorreiterrolle zu, was man auch bei den kürzlichen Diskussionen im Europaparlament durchaus bemerken konnte. 1994 wurde der Straftatbestand pornographische Darstellung mit Unmündigen, § 207a StGB, geschaffen, der auch den Besitz der Kinderpornographie unter Strafe stellt, also auch die Nachfrage eindämmen soll. Durch das Strafrechtsänderungsgesetz 1996 kam es zu einer deutlichen Strafverschärfung in diesem Bereich. Die Grundstrafdrohung wurde verdoppelt, im Falle der gewerbsmäßigen Begehung sogar verdreifacht.

Einer von mir aus Anlaß der Entschließung des Nationalrates vom 19. September 1996 betreffend den Schutz unserer Kinder in Auftrag gegebene Erhebung über die Erfahrungen mit § 207a StGB sowie der Spruchpraxis der Gerichte hat die Wirksamkeit dieser Bestimmung belegt. Obgleich die Aufklärung strafbarer Handlungen nicht im Kompetenzbereich meines Ressorts liegen, möchte ich betonen, daß im Bereich der bekanntgewordenen Sittlichkeitsdelikte insgesamt die Aufklärungsquote 77,9 Prozent beträgt und somit deutlich über dem Durchschnitt sämtlicher strafbarer Handlungen mit 49,6 Prozent liegt.

Zur Frage 17, öffentliche Darstellung pornographischen Inhalts: Zur Ahndung und möglichsten Eindämmung der, wie ich meine, doch verwerflichsten Form der Pornographie, nämlich der


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Kinderpornographie, hat Österreich mit dem schon erwähnten, jüngst verschärften § 207a als eines der ersten Länder in Europa eine umfassende und strenge Bestimmung zur Verfügung. Es hieße aber, den gesellschaftlichen Wandel zu ignorieren, wollte man jegliche Darstellung, die früher unter Schmutz und Schund verstanden wurde, aus der Öffentlichkeit verbannen.

Der Schutz von Kindern und Jugendlichen vor einer medialen Reizüberflutung in diesem Bereich obliegt vor allem den Erziehungs- und Medienverantwortlichen, wobei insbesondere auf EU-Ebene an Instrumenten zur Filterung von illegalen und schädlichen Inhalten im Bereich der elektronischen Medien gearbeitet wird. Ich glaube, daß hier schon bald über erzielte Fortschritte berichtet werden kann.

Zur Frage 20: Mit der Bestimmung des § 7a Mediengesetzes steht den Betroffenen ein, wie ich meine, ausgewogenes Instrument zur Verfügung, das insbesondere Opfer von Straftaten davor schützen soll, noch ein weiteres Mal, und zwar diesmal den Medien, zum Opfer zu fallen. Von diesem Persönlichkeitsschutz sind aber auch Verdächtige und Verurteilte erfaßt, wenn ein Medium gegen Spielregeln eines verantwortungsvollen Journalismus verstößt. Denn niemand soll als Quotenfänger mißbraucht werden oder neben seiner gerichtlichen Strafe noch eine zusätzliche Prangerstrafe moderner Prägung erfahren.

Daß dieser Schutz durch einen Anspruch auf zivilrechtliche Entschädigung für immaterielle Schäden gewährleistet wird, die dem Opfer selbst zugute kommt und nicht durch gerichtliche Verurteilung des Journalisten, wie dies früher der Fall war, wird allgemein als positiv anerkannt. Die dabei in den ersten Jahren der Geltung dieser Bestimmung aufgetretenen Wertungswidersprüche zwischen Zivil- und Strafgerichten – erinnern Sie sich an die unterschiedliche Judikatur nach Mediengesetz und nach Urheberrechtsgesetz bezüglich Bildnisschutz – scheinen sich im Lichte jüngster höchstgerichtlicher Erkenntnis nunmehr auch zu entschärfen.

Nicht zuletzt liegt es in der Hand aller im Lichte des öffentlichen Medieninteresses Stehenden, durch die Art ihres Umgangs mit gesellschaftlichen Problemen und sensiblen Themen ihren Beitrag zur Wahrung einer hochstehenden Gesprächs- und damit auch Medienkultur zu leisten.

Zur Frage 22, Bekämpfung der Sexual- und Gewaltdelikte an Unmündigen: Wie Sie wissen, diskutiert derzeit eine von mir eingesetzte multidisziplinäre Arbeitsgruppe, zu der auch alle im Parlament vertretenen politischen Parteien eingeladen sind, den Reformbedarf im Bereiche des gesamten Sexualstrafrechts. Dabei kommt den Strafbestimmungen gegen Sexualdelikte an Kindern eine zentrale Bedeutung zu. Wenngleich gerade auch im Bereiche des Sexualstrafrechts strengere Strafen kein Allheilmittel darstellen, ist es dennoch eine sich schon heute abzeichnende Maßnahme, daß die Strafdrohung für die schwereren Unzuchtshandlungen an Kindern, insbesondere solche, die mit einer Penetration verbunden sind, auf zehn Jahre angehoben, also verdoppelt wird. Als weitere Maßnahme ist die Verlängerung der Verjährungsfrist auf drei bis fünf Jahre über die Erreichung der Volljährigkeit hinaus in Aussicht genommen.

Zur Frage 23: Das Internet übt durch seine vielseitigen Möglichkeiten zur Nachrichtenübermittlung zweifellos eine besondere Faszination für immer größer werdende Kreise der Bevölkerung aus und bleibt deshalb auch vor jenem Ausmaß an Mißbrauch nicht verschont, der in allen Lebensbereichen anzutreffen ist. Das Internet ist aber trotz seiner neuartigen technischen Möglichkeiten kein rechtsfreier Raum, sodaß die Beteiligten nach wie vor den gleichen gesetzlichen Regeln unterworfen sind, die auch außerhalb des Internets gelten. Die grenzüberschreitende Wirkungsweise des Internets sowie Regelungsunterschiede in den verschiedenen Ländern machen es für einen Einzelstaat aber oft schwer, seine bestimmten Vorstellungen von dem, was erlaubt und was verboten ist, mit jener Effizienz durchzusetzen, die ihm innerstaatlich möglich ist.

Mir erscheint deshalb eine Harmonisierung von Strafbestimmungen in besonderen Bereichen sowie eine Verbesserung der Zusammenarbeit der Staaten auf dem Gebiet der Strafverfolgung gerade im Hinblick auf die Internet-Kriminalität besonders vordringlich. Daher ist das Justizressort in den maßgeblichen Arbeitsgruppen der Europäischen Union an der Ausarbeitung diesbezüglich geeigneter Instrumente intensiv beteiligt.


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Meine Damen und Herren! Ich möchte meine Ausführungen zu den einzelnen Fragen mit ein paar allgemeineren Worten schließen, mit einem sozusagen persönlichen Credo:

Die Schwerpunkte der Justizpolitik der nächsten Jahre werden sich weiterhin aus der Notwendigkeit eines entschlossenen Kampfes gegen schwere und organisierte Kriminalität einerseits, aber auch aus der Notwendigkeit möglichst sinnvoller, auch opferorientierter Reaktionen im Bereich der massenhaft auftretenden sogenannten Alltagskriminalität andererseits ergeben. Im gleichen Maße müssen wir einen von rationalen Überlegungen geprägten Strafvollzug gewährleisten, der sowohl der sicheren Verwahrung des Straftäters zum Schutze der Gesellschaft, als auch seiner optimalen Vorbereitung auf die Entlassung und Wiedereingliederung gerecht wird, weil nur das den Rückfall möglichst vermeiden läßt und Rückfall mit neuen Opfern verbunden wäre.

Hiebei geht es mir nicht um vordergründige, ideologische oder sozial-romantische Positionen, um Liberalität oder Law-and-Order-Denken, sondern es geht mir vielmehr um eine nüchterne Analyse der durchaus sehr schwierigen Problemstellungen und um eine sachliche Abwägung von Vor- und Nachteilen der Lösungsalternativen, von Aufwand und Nutzen, sowohl im sozialen als auch im materiellen Sinn.

Kurz: Es geht um eine rationale und zweckorientierte Strafrechtspolitik, die es ermöglicht, auf die unterschiedlichen Sachverhalte flexibel durch täter- und opferorientierte Maßnahmen wirksam zu reagieren. Diesen Grundsätzen habe ich mich während meiner bisherigen Tätigkeit als Bundesminister für Justiz stets verpflichtet gefühlt, und sie werden auch meine Handlungsmaxime in der Zukunft sein. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPÖ sowie des Bundesrates Dr. Linzer. )

17.30

Vizepräsident Jürgen Weiss: Wir gehen nunmehr in die Debatte ein.

Ich mache darauf aufmerksam, daß die Redezeit eines jeden Bundesrates mit insgesamt 20 Minuten begrenzt ist.

Zu Wort gemeldet hat sich Frau Bundesrätin Monika Mühlwerth. Ich erteile es ihr.

17.30

Bundesrätin Monika Mühlwerth (Freiheitliche, Wien): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Minister! Ich kann nicht behaupten, daß mich Ihre Antworten zufriedengestellt haben, vor allem in jenen Bereichen nicht, von denen Sie sagen, wir von den Freiheitlichen sähen das viel zu schwarz (Bundesminister Dr. Michalek: Habe ich nicht gesagt!), und in Wirklichkeit passe im großen und ganzen ohnehin alles – von der Opferbegleitung und der vermehrten Möglichkeit, das Opfer zu schützen, einmal abgesehen. Aber allein die bedingte Strafnachsicht, die wir in dieser dringlichen Anfrage anführen, ist gegeben. Es gibt heute kaum noch ein Urteil, das auf "lebenslänglich" lautet. Die meisten Täter gehen schon viel früher frei, und man konnte auch in der Vergangenheit immer wieder sehen, daß es sehr wohl auch Rückfallstäter gibt, auch wenn Sie sagen, darüber gebe es keine richtigen Statistiken.

Trotz alledem freut es mich, wenn Sie sagen, Ihr Kampf gegen das Verbrechen sei nach wie vor entschlossen, und Sie seien auch für sinnvolle Reaktionen. – Wir werden uns vielleicht nicht immer darüber einigen können, was eine sinnvolle Reaktion ist. Selbstverständlich haben Sie unsere Unterstützung, wenn Sie sagen, der Täter müsse als Schutz vor der Gesellschaft in Verwahrung genommen werden. In der Praxis schaut es aber oft ganz anders aus.

Ich will Ihnen auch glauben, daß Sie dem Opfer mehr Schutz angedeihen lassen wollen. Ich hoffe aber, Herr Minister, daß das nicht wieder nur eine Ankündigungspolitik ist, denn es ist ziemlich genau ein Jahr her, daß ein Vertreter Ihres Ressorts, Herr Sektionschef Miklau, in der "Kronen-Zeitung" genau jene Punkte, die Sie jetzt angeführt haben, schon aufgezählt hat. Er hat angekündigt, daß bei der Überarbeitung des Sexualstrafrechts geprüft werde, ob die Strafsätze dem Unrechtsgehalt der Tat entsprechen. Man hat darüber gesprochen, daß bei Kindesmißbrauch die normalen Verjährungsfristen nicht ausreichend seien. Und es wurde angekündigt,


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daß die Verjährungsfrist erst mit Großjährigkeit zu laufen beginnt, damit dem Opfer die Gelegenheit gegeben wird, auch als Erwachsener den Fall noch ins Rollen zu bringen.

Am 30. September 1997 konnte man diese Ankündigung auch im "Standard" wieder lesen. Es ist aber leider seit damals nichts geschehen. Es wird auch da immer wieder darauf hingewiesen, daß sich die Zahl der mißbrauchten Kinder erhöht (Bundesminister Dr. Michalek: Bekanntgewordene! Leider!) , daß sich die Zahl der bekanntgewordenen Fälle erhöht, und die Opfer werden immer jünger. Das sagt zum Beispiel ein Gerichtsgutachter und Kinderpsychologe, nämlich Herr Professor Friedrich.

Das war die Lage vor einem Jahr. Das ist zumindest mein Informationsstand. Die erste Ankündigung – vielleicht erfolgte sie auch schon früher – wurde vor einem Jahr getätigt. Ein Jahr ist nun seit dem vergangen, und wieder sagen Sie, es werde etwas geschehen. Ich frage Sie: Wann wird etwas geschehen? – Wir können nur hoffen, daß sehr schnell etwas geschehen wird, und eigentlich hätten wir Freiheitlichen uns gewünscht, daß es schon längst passiert wäre, weil die Kinder die Leidtragenden sind.

Das ist nicht ein Vorfall, bei dem man eine kleine Schnittwunde bekommt, die verbunden werden muß, und wenn sie ausgeheilt ist, erinnert nur noch eine kleine Narbe an der Hand daran, sondern diese mißbrauchten Kinder tragen lebenslängliche Narben davon, die sie auch bei psychologischer Betreuung nie ganz verlieren werden. Das heißt: Es wird überhaupt keine 100prozentige Heilung der seelischen Wunden bei diesen mißbrauchten Kindern geben. Das ist nicht einfach eine Behauptung von mir, sondern das sagen genügend viele Kinderpsychologen, die uns beipflichten.

Sie haben, was das Procedere bei einem Prozeß angeht, wenn es endlich zu einer Anzeige gekommen ist, nun angekündigt, daß es den Kindern leichter gemacht werden solle und das theoretisch auch schon ginge. – Das ist aber in der Praxis nicht so, weil man nicht vergessen darf, daß die Einvernahme für ein Kind eine wirkliche Hürde darstellt. Es gibt bereits den ersten Tatbestand, die erste Verletzung, nämlich die des Mißbrauchtseins, hat schon stattgefunden, und das Ganze wird vor Gericht noch einmal aufgewärmt. Es ist natürlich gut, wenn das Kind in einem Nebenraum von einer Videokamera gefilmt wird, ich darf aber auch hier Herrn Professor Friedrich noch einmal zitieren, der sagt, es gebe genügend Fälle, bei denen das Kind spätestens dann nicht mehr kann.

Er zitiert hier den Fall – man muß sich das vorstellen – eines vierjährigen mißbrauchten Mädchens, das sich erst nach langer Zeit seiner Großmutter geöffnet hat. Die Großmutter wurde dann initiativ und hat das Jugendamt eingeschaltet. Im Zuge dessen ist dieses Kind zu Pflegeeltern gekommen. Erst nach langer Zeit des Zutrauengewinnens hat sich dieses vierjährige Kind seiner Pflegemutter geöffnet. Auch Herr Professor Friedrich hat dieses Kind befragt. Es haben sich dabei, wie er sagt, Abgründe aufgetan. Später gab es die Situation, daß das Kind die Geschehnisse vor der Kamera noch einmal wiederholen sollte, wobei fremde Personen wie der Kameramann und zwei Schriftführer anwesend waren. Das Kind hat geschwiegen, und der Täter ist daraufhin freigegangen. Das ist das Wesentliche! In diesem Moment ist es aus! Das Kind bleibt über, der Täter kann nicht mehr verurteilt werden. Ich meine, da müssen wirklich dringend Maßnahmen gesetzt werden, und man kann nicht nur sagen: Wir werden das machen. Wir haben das vor, und das ist in Arbeit. (Bundesminister Dr. Michalek: Das haben wir nicht vor! Das ist so!)  – Hier muß tatsächlich schnell gehandelt werden.

Wenn Sie es ernst meinen, Herr Minister, dann muß das so sein. Wenn Sie sagen, es sei gewisser Popularismus, wenn man das Opfer dem Täter gegenüberstelle und – so quasi populär – hohe Strafen, vor allem bei Kindesmißbrauch und Kindesmißhandlung, für die Täter verlange, dann hat das schon seine Richtigkeit. Sachverständige sagen, daß nach internationalen Erfahrungen derzeit 50 Prozent aller Täter Rückfallstäter sind. Da wird es nicht genügen, wenn man den Täter mit einer Therapie begleitet, sondern dieser kann nur aus Schutz für die Kinder eingesperrt werden.


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Lange Jahre hat man geglaubt, mit der Begleitung durch Psychotherapie sei alles getan. Wie viele Fälle gibt es, bei denen man der Meinung war, durch die psychotherapeutische Betreuung sei der Täter geheilt? – Der Täter wurde früher freigelassen, und die Folge davon war, daß wieder ein Toter oder ein Mißbrauchter zu beklagen war. Das kann es wohl nicht sein. Da ist das Risiko zu groß. Wie erklären Sie einem mißbrauchten Kind oder den Eltern eines getöteten Kindes, daß der Täter eben leider unter die Risikoquote gefallen ist? – Ich meine, daß das nicht richtig ist, und es ist daher völlig in Ordnung, wenn wir Freiheitlichen verlangen, daß der Täter bei solch gräßlichen Taten auch tatsächlich ein Leben lang als Schutz vor der Gesellschaft eingesperrt bleibt.

Zum Schluß möchte ich auf die begleitende Therapie der Opfer eingehen, die natürlich auch notwendig ist, denn auch die Opfer können diese Leiden ohne psychologische Betreuung überhaupt nicht bewältigen. Es ist nicht so, daß es mit der Verurteilung und dem Wegsperren der Täter alleine getan ist. Wir wissen, daß sie auch trotz Therapie nie zu 100 Prozent geheilt werden können. Therapieplätze für Kinder, die selbstverständlich kostenlos sein müssen – in der Schweiz gibt es einen eigenen Fonds dafür, daß mißbrauchte Kinder kostenlos therapiert werden können –, gibt es natürlich nicht in ausreichendem Maße.

Am 4. März 1997 hat der "Kurier" berichtet, daß die Medienberichte über Kindesmißbrauch und Kindesmißhandlung die Bevölkerung aufgerüttelt haben und daß es Gott sei Dank immer mehr Betroffene wagen, sich gegen das ihnen zugefügte Leid zu wehren. Nur decke diese positive Entwicklung einen schwerwiegenden Mangel auf, denn es gebe viel zu wenig kostenlose Therapieplätze für die Opfer von Gewalt. Es heißt weiter: Die Situation ist katastrophal. – So dramatisch beschreibt Frau Marion Gebhart die Lage. Wartezeiten von bis zu vier Monaten seien keine Seltenheit.

Die meisten Opfer können sich die Psychotherapie auf eigene Rechnung nicht leisten. Die Zuschüsse der Krankenkassen sind ein Witz. Das wissen wir ohnehin, und daher meine ich, daß auch in dieser Frage dringend etwas getan werden muß.

Herr Minister! Wenn Sie es mit Ihren Ankündigungen wirklich ernst meinen und es nicht noch ein weiteres Jahr oder noch länger bei einer reinen Ankündigungspolitik bleiben soll, dann handeln Sie bitte zum Wohle dieser mißbrauchten Kinder, und zwar rasch! (Beifall bei den Freiheitlichen.)

17.40

Vizepräsident Jürgen Weiss: Als nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Dr. Vincenz Liechtenstein. Ich erteile es ihm.

17.40

Bundesrat Dr. Vincenz Liechtenstein (ÖVP, Steiermark): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Minister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mein Kollege Dr. Milan Linzer wird als aktiver Jurist später zu speziellen Dingen Position beziehen. Ich werde mir erlauben, mich zu allgemeinen Positionen und Notwendigkeiten zu äußern.

Der Rechtsstaat ist eine Voraussetzung der Freiheit und auch der Sicherheit. Ziel der Rechtspolitik muß die Bewahrung und Stärkung des demokratischen Rechtsstaates sein. Das Rechtsbewußtsein der Bürger sowie der Konsens und die Akzeptanz über die Grundwerte unseres Staates und die Akzeptanz des Rechtes sind seine Grundlagen. Deshalb betrachten wir von der ÖVP es auch als Aufgabe der Rechtspolitik, alle vom Wert und von der Unverbrüchlichkeit des Rechts zu überzeugen. Rechtsstaatlichkeit ist nur möglich, wenn jeder die Freiheit und die Rechte seiner Mitmenschen und die Gemeinschaftsbezogenheit des Rechtes anerkennt und achtet. Das Recht gewährleistet nicht nur Gestaltungsspielraum für den Bürger, es muß ihn notwendiger Weise auch begrenzen.

Die rechtsstaatlichen Verfahrensordnungen müssen der Gerechtigkeit und dem Rechtsfrieden dienen. Sie sind dazu da, Entscheidungen herbeizuführen, nicht zu verhindern. Wo Verfahrensneuregelungen zum formalen Selbstzweck werden, nicht dem Ziel einer gerechten Entscheidung dienen, sondern zur rücksichtslosen Durchsetzung von Individualinteressen mißbraucht werden,


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leidet das Rechtsbewußtsein der Bürger und ihr Vertrauen in Politik und Staat. Der Rechtsstaat muß handlungsfähig bleiben. Nur schnelles Recht ist auch gutes Recht.

Zur inneren Sicherheit und sozialen Dimension der Freiheit: Bürgerrecht und Bürgerfreiheiten werden heute nicht wie in der Vergangenheit durch Obrigkeitsstaat und Diktatur, sondern durch verantwortungslosen oder verbrecherischen Mißbrauch von Freiheit und Rechtsordnung bedroht. Zunehmende Gewaltbereitschaft ist eine Folge des Schwundes ethischer Bindungen in der Gesellschaft. Dies und die international operierende und organisierte Kriminalität bedrohen die Sicherheit der Bürger. Sie untergraben das Rechtsbewußtsein des einzelnen und die Fähigkeit des Staates zu wirksamem Schutz. Wir müssen entschlossen sein, die Handlungsfähigkeit des Staates nach allen Seiten gegen die die Gesellschaft zersetzende Kraft des Verbrechens zu verteidigen. Nur ein rechtlich starker Staat vermag Liberalität und Freiheit in der Gesellschaft zu gewährleisten.

Innere Sicherheit ist nicht nur Voraussetzung der Freiheit, sie hat eine soziale Dimension. Wachsende Kriminalität droht die Gesellschaft in einen kleinen Teil, der sich Sicherheit kaufen kann, und in einen überwiegenden Teil, der mangels staatlicher Autorität um körperliche Unversehrtheit, Eigentum und Vermögen fürchten muß, zu spalten. Wir brauchen gleiche Sicherheit für alle Bürger. Polizei und Justiz müssen alle notwendigen und adäquaten Instrumente zur wirksamen Verbrechensbekämpfung erhalten. Vergehen und Verbrechen dürfen sich nicht lohnen. Deshalb müssen wir für eine leistungsfähige, motivierte und als Autorität anerkannte Polizei und Justiz eintreten.

Unser innerer Friede, was uns zusammenhält: Das Recht ist die Haus- und Friedensordnung jeder Gesellschaft. Wer den Nachbarn und die Mitbürger respektiert, wird auch Respekt vor dem Recht haben. Denn Recht ist auch immer das Recht des anderen.

Wir müssen Recht konsequent durchsetzen. Deshalb müssen wir die innere Sicherheit mit allen verfügbaren Kräften gewährleisten. Nur in der Wahrung von Rechtstreue und innerer Sicherheit verwirklicht sich unser Verfassungsgrundsatz: gleiches Recht für alle.

Polizei und Justiz müssen weiter gestärkt werden. Polizei und Justiz brauchen aber auch Gesetze, die dem Verbrechen keinen Vorsprung lassen. Weder der kleine Ganove noch die Wirtschaftskriminellen dürfen eine Chance haben. Deshalb können und dürfen wir unserer Polizei die Mittel der modernen Technik nicht aus ideologischer Verblendung vorenthalten. Denn: Wo innere Sicherheit schwindet, verliert der Bürger die soziale Dimension seiner Freiheit. Innere Sicherheit ist vor allem die Freiheit des kleinen Mannes. Deshalb müssen alle auf der Seite des Rechtes stehen.

Man muß die Kultur der Anteilnahme und Hilfsbereitschaft fördern. Wir dürfen uns nicht damit abfinden, daß Kinder verprügelt, Frauen vergewaltigt und Unschuldige niedergeschlagen werden, weil die Unkultur des Wegsehens in der Anonymität unserer Gesellschaft dies oft zuläßt. Unsere Gesellschaft braucht mehr Zivilcourage. Wir sollen deshalb die Stellung und den Schutz von Zeugen im Strafverfahren verbessern. Nur wenn die Zivilcourage wächst, wenn Zeugen auch gegen Ganoven aussagen, werden wir Unrecht besser verfolgen können.

Wir müssen gegen zunehmenden Vandalismus und Verwahrlosung, vor allem in Großstädten, aber auch in allen anderen Städten, ankämpfen. Unsere Städte müssen als sichere Orte der Zivilisation und Kultur, der Gemeinschaft freier Bürger gestärkt werden. Ich möchte hier das Beispiel New York anführen, wo Bürgermeister Giuliani etliches erreicht hat. Ich war vor drei Tagen in New York. Ich bin in der Nacht durch den Central Park in Manhattan gegangen. Das ist nun gefahrlos. Vor wenigen Jahren hat sich dort zu Recht kein Mensch hineingetraut. Das war von mir auch nicht heldenmütig, weil viele durch den Park gegangen sind.

Wir brauchen härtere Strafen für Verbrecher und Kinderschänder. Wer Gesetze bricht, muß zur Rechenschaft gezogen werden. Dabei ist auf das Gerechtigkeitsempfinden unserer Bürger Rücksicht zu nehmen. Die Strafe muß der Schwere der Tat entsprechen. Die Strafe für Verbrecher muß zugleich Schutz der Allgemeinheit bedeuten. Strafen für Sexualverbrecher müssen verschärft werden, Kinderschänder müssen unverzüglich hinter Gitter. Gleiches gilt bei Straf


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taten gegen das Leben oder die körperliche Unversehrtheit. Strafverfahren müssen verkürzt werden. Schnelle und harte Strafen sind im Kampf gegen das Verbrechen unverzichtbar.

Es gilt, die organisierte Kriminalität einzudämmen. Die organisierte Kriminalität wächst leider! Besorgniserregend ist dabei die Zunahme der grenzüberschreitenden Kriminalität. Es gibt oft Täter, die sich nur kurze Zeit oder illegal in einem Land – zum Beispiel in Österreich – aufhalten. Wir brauchen auf dem ganzen Kontinent mehr Instrumente zur Bekämpfung. Um den Kampf gegen das Verbrechen erfolgreich führen zu können, müssen wir die richtigen Waffen zur Verfügung haben. Das rechtliche Instrumentarium muß immer wieder der jeweiligen Bedrohung angepaßt werden.

Ich darf noch etwas sagen: Jedes Drogenopfer ist eines zu viel. Im Mittelpunkt des organisierten Verbrechens steht die Rauschgiftkriminalität. Zu ihrer erfolgreichen Bekämpfung ist eine konsequente Drogenpolitik notwendig. Jedes Opfer ist zuviel! Alarmierend ist der ansteigende Mißbrauch synthetischer und harter Drogen. Deswegen gilt: Hände weg von der Freigabe von Drogen! Unsere Jugend braucht unseren Schutz. Wir müssen uns weiterhin jeglichen Forderungen nach Freigabe von Drogen oder jeglichen Erleichterungen des Konsums strikt widersetzen. (Beifall bei den Freiheitlichen.) Für uns alle haben die Grundsätze Vorbeugen, konsequentes Vorgehen von Polizei und Justiz gegen Kriminelle sowie Beratung und Therapie zu gelten. – Ich danke. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

17.49

Vizepräsident Jürgen Weiss: Als nächstem Redner erteile ich Herrn Bundesrat Josef Rauchenberger das Wort. – Bitte.

17.49

Bundesrat Josef Rauchenberger (SPÖ, Wien): Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Bundesminister! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, daß mit der an den Herrn Justizminister gerichteten dringlichen Anfrage der Freiheitlichen ein in letzter Zeit verstärkt festzustellendes Signal an die Bevölkerung ganz massive Unterstützung fördern soll. Dieses Signal soll offensichtlich den Eindruck vermitteln, nur die Freiheitlichen treten für Recht und Ordnung in unserem Staat ein. (Bundesrätin Dr. Riess-Passer: Wenn Sie es nicht tun, Herr Kollege? – Bundesrat Dr. Harring: Es hindert Sie ja niemand, Herr Kollege!) Nur die Freiheitlichen bieten Sicherheit im Staat. Nur die Freiheitlichen bestrafen den Täter. Die Freiheitlichen suggerieren damit die Fehlmeinung, dafür einzutreten, daß Selbstschutz und damit privater Waffenbesitz notwendig seien, weil der Staat keinen oder nicht ausreichend Schutz bietet.

Daß eine Partei mit einer von der rechten Seite des politischen Spektrums geprägten Politik diese Nische wählt, ist legitim. Deshalb muß die so lautstark gepriesene Botschaft ... (Bundesrätin Dr. Riess-Passer: Ich finde es schändlich, daß Sie so ein Thema mißbrauchen für Parteipolemik! Das ist eine Schande! Sie sollten sich schämen! – Beifall bei den Freiheitlichen. – Bundesrätin Dr. Riess-Passer: Das sagen Sie den Opfern dieser Verbrecher, daß Sie aus Parteitaktik nicht bereit sind, in dieser Frage etwas zu unternehmen! Das sagen Sie den Opfern! Ja! – Bundesrat Eisl: Sie gehen ja gar nicht auf das Thema ein!)

Frau Kollegin Riess! Ich weiß um Ihre Betroffenheit. Wenn ich den Medien glauben darf, sind Sie persönlich betroffen. (Bundesrätin Dr. Riess-Passer: Nein, ich bin nicht betroffen!) Ich habe in einem Interview gelesen, daß Sie vor Jahren einmal eine persönliche Betroffenheit in dieser Sache geäußert haben. Glauben Sie mir, auch ich persönlich bin betroffen, ich weiß, wovon ich rede. (Bundesrätin Dr. Riess-Passer: Glauben Sie nicht, daß es in so einer Frage wichtig ist, zusammenzuarbeiten und nicht parteipolitische Scharmützel zu führen? Das ist ja unmöglich!) – Lassen Sie mich meine Rede beenden, und beurteilen Sie sie dann!

Eine so lautstark gepriesene Botschaft muß aber deswegen noch immer nicht den Tatsachen entsprechen, auch wenn sie hier vorgetragen wird.

Lassen Sie mich daher zum Kern der Anfrage zurückkehren, der in den Vorwurf mündet, falsche Prioritäten in der Strafrechtspolitik zu setzen. Dazu werden Stehsätze verwendet, die zugege


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benermaßen ins Ohr gehen und auf der Gefühlsebene oberflächlich fallweise vielleicht sogar Kopfnicken bewirken – Stehsätze wie etwa: Die Strafrechtspolitik im letzten Jahrzehnt sei durch stetige Erleichterung für die Täter gekennzeichnet.

Doch selbst die Antragsteller müssen bereits im zweiten Satz dieser Angriffswelle eingestehen, daß einige – nicht bloß eine einzelne – Gesetzesänderungen geschaffen wurden, die – wörtlich zitiert – eine Verbesserung der Strafverfolgung zum Ziel hatten, und zählen Beispiele auf wie etwa im Bereich der Geldwäsche, der Verfolgung der organisierten Kriminalität und der Gewalt in der Familie.

Besonders bemerkenswert ist dieses letzte Beispiel, nämlich die Erwähnung einer Verbesserung der Strafverfolgung zum Bereich Gewalt in der Familie, deshalb, weil die Freiheitlichen diesem Gesetz nicht zugestimmt haben. Hier waren vermutlich die Interessen von Gewalttätern in der Familie – vorwiegend sind das Männer – offensichtlich wichtiger als das Schutzbedürfnis der Opfer, nämlich der Frauen.

Weiters stellen Sie in dieser Anfrage dennoch fest, daß trotz allem eine Aufweichung des Strafrechts festzustellen wäre und nun mit dem Entwurf zur gesetzlichen Regelung des außergerichtlichen Tatausgleichs im Erwachsenenstrafrecht eine Entkriminalisierung angestrebt werde, die einer Abschaffung des Strafrechts gleichkomme.

Lassen Sie mich daher einige Argumente gegen diese doch sehr einseitige Sichtweise vorbringen. Beginnend mit dem Strafrechtsänderungsgesetz 1987, BGBl. Nr. 605, hat das Bundesministerium für Justiz eine Reihe von Maßnahmen zur Verbesserung der Rechtsstellung des Verletzten eingeleitet. So wurde mit dem erwähnten Strafrechtsänderungsgesetz 1987 die Verpflichtung aller im Strafverfahren tätigen Behörden eingeführt, den durch eine gerichtlich strafbare Handlung in seinen Rechten Verletzten über seine Rechte im Strafverfahren ehestens zu belehren.

Bei Auskunftserteilung und ähnlichen Maßnahmen sind diese Behörden überdies verpflichtet, die berechtigten Interessen des Verletzten an der Wahrung seines höchstpersönlichen Lebensbereiches zu beachten. Dies gilt insbesondere für die Weitergabe von Lichtbildern und von Angaben zur Person, die zu einem Bekanntwerden der Identität oder einer Bloßstellung des Verletzten in einem größeren Personenkreis führen könnten.

Ferner wurde durch eine Neufassung des § 153 der Strafprozeßordnung erreicht, daß bei der Fragestellung an eine durch die strafbare Handlung in ihrer Geschlechtssphäre verletzte Person tunlichst Zurückhaltung geübt wird. Zugleich wurde die Möglichkeit geschaffen, zum Schutz der Privatsphäre und überwiegender privater Interessen die Öffentlichkeit der Hauptverhandlung auszuschließen.

Mit der Strafgesetznovelle 1989, BGBl. Nr. 242, wurde das Sexualstrafrecht im Bereich der Vergewaltigung unter vorrangiger Berücksichtigung von Opferinteressen neu gestaltet. Unter anderem wurden dabei Freiheitsstrafen von bis zu 20 Jahren festgelegt.

Mit dem Strafprozeßänderungsgesetz 1993, BGBl. Nr. 526, wurde schließlich eine Reihe von Opferschutzbestimmungen in die Strafprozeßordnung eingefügt, die zum einen Anliegen des Zeugenschutzes – sogenannter anonymer Zeuge – und zum anderen einer stärkeren Berücksichtigung von Opferinteressen, insbesondere in Form der Gewährleistung einer möglichst schonenden Befragung der Opfer von Sexualverbrechen, dienen.

Mit dem Strafrechtsänderungsgesetz 1996, BGBl. Nr. 762, wurde dieser Weg fortgesetzt und durch neue Bestimmungen über die Zusammensetzung von Kollegialgerichten gewährleistet, daß eine in ihrer Geschlechtssphäre verletzte Person das erlebte Geschehen nicht vor einem ausschließlich gegengeschlechtlich besetzten Gerichtskörper, insbesondere wenn Frauen ausschließlich vor Männern aussagen sollen, wiedergeben muß.

Durch den soeben zur allgemeinen Begutachtung versandten Entwurf einer Strafprozeßnovelle 1998, der den eigentlichen Grund dieser dringlichen Anfrage stellt, soll die Position des


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Opfers weiter gestärkt werden. Auf dessen berechtigte Interessen ist jedenfalls Bedacht zu nehmen. Maßnahmen der Diversion sollen in besonderer Weise die Interessen des Verletzten, also der von der Rechtsgutbeeinträchtigung betroffenen Person, wahren. Der Verletzte soll sich – unabhängig von seiner allfälligen Stellung als Privatbeteiligter – aktiv an der diversionellen Verfahrenserledigung beteiligen können.

In Bemühungen um einen außergerichtlichen Tatausgleich ist der Verletzte, sofern er dazu bereit ist, stets einzubeziehen. Vor einem Verfolgungsverzicht ist der Verletzte zu hören, sofern dies nach Maßgabe seiner Interessen erforderlich ist. In diesem Zusammenhang soll es künftig daher auch möglich sein, dem Verdächtigen solche spezifisch opferbezogenen Verpflichtungen oder Auflagen als Voraussetzung für eine vorläufige Verfahrensbeendigung aufzuerlegen, die im Falle eines Schuldspruchs als Weisung ausgesprochen werden könnten, wie beispielsweise Kontakte zu der von der Straftat betroffenen Person zu unterlassen – damit ist auch eine Forderung von Bundesrätin Riess-Passer erfüllt – oder sich anstelle der Schadensgutmachung, wenn diese etwa von dritter Seite erfolgt, um einen sonstigen Folgenausgleich zu bemühen, wobei die verletzte Person von einer Verpflichtung oder Auflage, die unmittelbar ihre Interessen berührt, zu verständigen ist.

Der Entwurf sieht auch vor, daß das Bundesministerium für Justiz aus voraussichtlich zu erzielenden Mehreinnahmen nach dem Vorbild der Haftentlassenenhilfe Einrichtungen der Opferhilfe fördert. Dabei sollen insbesondere auch Einrichtungen unterstützt werden, die sich der Betreuung von minderjährigen Opfern oder von Personen, die in ihrer Geschlechtssphäre verletzt wurden, widmen.

Mit der umfassenden Neugestaltung des strafprozessualen Vorverfahrens soll schließlich, wie das Bundesministerium für Justiz in der Broschüre "Das neue Strafrechtsprozeßordnungs-Vorverfahren" ausgeführt hat, eine weitergehende Aufwertung der Rechtsstellung des Verletzten verbunden sein. Sie soll vor allem nicht von der Geltendmachung ihres materiellen Schadenersatzanspruches abhängig sein.

Darüber hinaus sollen dem Opfer über die nach der derzeitigen Rechtslage dem Privatbeteiligten zustehenden Rechte hinaus weitergehende Informations- und Parteirechte, also Anspruch auf Belehrung über seine Verfahrensrechte, Akteneinsichtsrecht, Teilnahmerecht an unwiederholbaren Beweisaufnahmen und ähnliches, eingeräumt werden. Angestrebt werden soll ferner die Einrichtung einer Opferanwaltschaft zur umfassenden Sozialberatung von Opfern von Straftätern.

Nach dieser ausführlichen Darstellung gestatten Sie mir die Feststellung, daß aufgrund der von mir skizzierten, im letzten Jahrzehnt vorgenommenen positiven Veränderung im Strafrecht keine Rede davon sein kann, daß dieses Strafrecht aufgeweicht wurde oder dabei der Opferschutz gar nur zweitrangig wäre. Vielmehr geht es doch darum, die positiven Erfahrungen beim außergerichtlichen Tatausgleich im Bereich der Jugendgerichtsbarkeit nunmehr auch im Erwachsenenbereich zu ermöglichen und somit dazu beizutragen, daß eine Wiedergutmachung durch den Täter möglich wird und den Opfern unmittelbar zugute kommen kann.

Bemerkenswert ist der Umstand – gestatten Sie mir, auch darauf besonders hinzuweisen –, daß die seit 1983 praktizierte Strafrechtspolitik in unserem Land von den Freiheitlichen im wesentlichen, insbesondere aber vom ehemaligen Justizminister Dr. Harald Ofner, teilweise sogar unter seiner Federführung, mitgetragen wurde und deren Zustimmung fand. Insofern ist mit der heute vorliegenden dringlichen Anfrage auch eine Art Kindesweglegung festzustellen (Bundesrat Dr. Tremmel: Wie bitte? Die Kinder wollen Sie weglegen?) , es sei denn, die Bundesratsfraktion der Freiheitlichen mißtraut der im Nationalrat vertretenen eigenen Fraktion.

Der vorliegende Vorschlag über die Diversion soll künftig eine einfachere, zugleich aber besser auf den Einzelfall abgestimmte Ahndung von leichteren Verstößen weniger gefährlicher Straftäter ermöglichen. Das bedeutet weder eine Entkriminalisierung noch die Privatisierung des Strafrechts.


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Der Schadenswiedergutmachung wird neben den anderen Interessen der Opfer, zu welchen auch eine ideelle Genugtuung gehört, dabei besonderes Augenmerk zukommen. Bei der Umsetzung dieser Diversion geht es daher nicht um den Bereich gefährlicher Straftäter – diese sollen auch in Hinkunft mit besonderer Härte ihrer gerechten Strafe zugeführt werden –, sondern um leichte Verstöße und weniger gefährliche Täter.

Meine Fraktion unterstützt die von mir sehr ausführlich dargestellten Überlegungen und vom Herrn Justizminister ausgearbeiteten Vorschläge und Maßnahmen im Bereich Diversion, ohne damit gleich sämtliche Formulierungen als ausformuliert zu erklären. (Beifall bei der SPÖ.)

18.01

Vizepräsident Jürgen Weiss: Als nächstem erteile ich Herrn Bundesrat Dr. Peter Böhm das Wort. – Bitte.

18.01

Bundesrat Dr. Peter Böhm (Freiheitliche, Wien): Herr Präsident! Herr Bundesminister! Sehr geehrte Damen und Herren! Auf die gesellschaftspolitische Brisanz des sexuellen Mißbrauchs von Kindern ist bereits ausführlich genug hingewiesen worden – das ist nicht mein primäres Thema. Das schon deshalb nicht, weil diesem Problem auf allen gesellschaftlichen Ebenen begegnet werden muß; auch in Bereichen, für die der Bundesminister für Justiz nicht zuständig ist.

So sehr es sich demnach auch von selbst versteht, daß das Recht im allgemeinen und das Strafrecht im besonderen als Ultima ratio staatlicher Reaktion kein Allheilmittel bildet, so unverzichtbar ist diese aber gerade bei der Bekämpfung des sexuellen Mißbrauchs von Kindern. Hiebei handelt es sich schon vom sozialethischen Unrechtsgehalt her um ein so schwerwiegendes Delikt, daß nach meiner Überzeugung die meisten Begünstigungen, die das materielle Strafrecht dem Täter sonst gewährt, bei diesem Verbrechen nicht in Betracht kommen.

Das gilt an erster Stelle für den mehrfach angesprochenen außergerichtlichen Tatausgleich, der durch das Strafrechtsänderungsgesetz 1996 auch auf erwachsene Täter und auch auf Delikte, die mit mehr als fünfjähriger Freiheitsstrafe bedroht sind, ausgedehnt worden ist. Selbst wenn diese Maßnahme an sich vertretbar wäre, scheint sie mir bei Sexualdelikten unvertretbar zu sein, denn eine Wiedergutmachung wie in anderen Fällen ist bei sexuellem Mißbrauch an sich nicht vorstellbar.

Desgleichen verbieten sich hier meines Erachtens auch die Verhängung bloß bedingter Strafen und grundsätzlich auch bedingter Strafnachlaß und vorzeitige Haftentlassung. Ganz im Gegenteil: Es müßte die vorsätzliche Begehung von Straftaten an Kindern einen besonderen Erschwerungsgrund bei der Strafzumessung bilden.

Damit ist es aber noch nicht getan. So gewiß die Ausmessung einer auf den Einzeltäter bezogenen Strafe originäre Aufgabe des unabhängigen Richters ist und immer bleiben muß, so wenig kann übersehen werden – Frau Kollegin Dr. Riess-Passer hat es ja schon erwähnt –, daß die Strafpraxis auf diesem Gebiet vielfach zu milde und insofern für die Bevölkerung unverständlich ist. Sie verletzt ihr Gerechtigkeitsempfinden und ist damit auch nicht sozialverträglich. Es wird daher kein Weg daran vorbeiführen, die Strafgrenzen bei geschlechtlicher Nötigung angemessen zu erhöhen. Der Gleichstellung mit der "schweren Nötigung" käme die gebotene gesellschaftspolitische Signalwirkung zu. Eine allfällige Anhebung auch der Untergrenze hätte indirekt Einfluß auf die richterliche Strafpraxis. Bei besonders schweren Fällen von Kindesmißbrauch und bei Kinderpornographie wäre die Erstreckung des Strafrahmens bis zur lebenslangen Freiheitsstrafe inklusive ernsthaft in Erwägung zu ziehen. Die Verjährung von Delikten an Minderjährigen dürfte keinesfalls vor Eintritt der Volljährigkeit des Opfers zu laufen beginnen und sollte frühestens zwei oder drei Jahre danach enden. Eine solche Gesetzesänderung hat der Herr Bundesminister auch bereits angekündigt.

In bezug auf Strafvollzug und sichernde Maßnahmen trage ich folgende rechtspolitische Vorschläge vor: Aus der Natur dieser Delikte ergibt sich, daß Hafterleichterungen wie vor allem der sogenannte Freigang hier nicht zu gewähren sind. Für die Zeit nach der Haftentlassung sollte die heute auch schon erwähnte Führungsaufsicht vorgesehen werden. So ließe sich an periodi


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sche Kontrollen durch Sicherheitsbehörden und an eine regelmäßige Meldepflicht des Verurteilten denken. Über die vorbeugenden Maßnahmen und Auflagen im Bereiche der Therapie haben wir heute auch bereits gehört. Ich teile allerdings die Skepsis gegenüber der Erfolgsmöglichkeit der Heilung. Die für geistig abnorme Rechtsbrecher etablierte Sicherungsverwahrung sollte auf normale Rückfalls- und Gewohnheitstäter in dieser Deliktsgruppe ausgedehnt werden. Das setzt freilich voraus, daß überhaupt einmal eine entsprechende Statistik über Rückfalltäter erstellt wird.

Darüber hinaus erscheint der gegenwärtige Katalog an Straftatbeständen auf diesem Gebiet unzureichend. Ohne jeden Anspruch auf Vollständigkeit schlagen wir folgende neue Bestimmungen vor:

Meines Erachtens – damit komme ich zu einem neuralgischen Punkt – müßte jede anzeigepflichtige Person, die die Anzeige an den Amtsarzt unterlassen hat, strafbar sein. Das führt freilich zu der umstrittenen Frage zurück, wie weit diese Pflicht reichen soll. Bei begründetem Tatverdacht müßte sie meines Erachtens sehr wohl alle Personen treffen, die beruflich mit der Betreuung von Kindern befaßt sind. Ich habe noch ein gewisses Verständnis für die gesetzlich getroffenen Einschränkungen der Anzeigepflicht im Zusammenhang mit der therapeutischen Behandlung aufgrund des Suchtmittelgesetzes; ich glaube aber, daß die Lage hier doch grundsätzlich anders ist.

Ich muß auch ganz offen sagen: Wenn im "Fall Kevin" darauf hingewiesen wurde, daß die Mutter sich deshalb nicht zur Inanspruchnahme ärztlicher Hilfe für ihr Kind mit der Folge einer Anzeige durchringen konnte, um nicht ihren Lebensgefährten zu verlieren – also nicht etwa in Angst um ihr Leben –, dann – die anwesenden Kolleginnen mögen es mir verzeihen – handelt es sich für mich hier um eine Mutter, die es nicht verdient, "Mutter" genannt zu werden.

Außer Zweifel steht für mich, daß das öffentliche Anpreisen von Sittlichkeitsdelikten an Unmündigen selbst eine strafwürdige Untat ist. Nach Möglichkeit wäre auch die Verbreitung einer solchen Anpreisung über das Internet in diesen Straftatbestand einzubeziehen. Ich bin mir aber der vom Herrn Bundesminister angesprochenen Problematik der international rechtlichen Dimension dabei voll bewußt.

Der bestehende Tatbestand des Beischlafs mit Unmündigen sollte auch auf beischlafähnliche Handlungen erweitert werden. Zu überdenken wäre auch – nicht zuletzt aus der verfassungsrechtlichen Erwägung des Gleichheitssatzes –, ob der Tatbestand der Schändung in bezug auf das Opfer nicht geschlechtsneutral formuliert werden müßte.

Ein besonderes Anliegen sehe ich schließlich darin, den "Kindersex-Tourismus" zu inkriminieren.

Auf der Ebene der polizeilichen Aufklärung – mir ist klar, daß damit der Innenminister angesprochen ist – erwägen wir die Gründung einer Sonderabteilung zur Bekämpfung der Kinderpornographie und des sexuellen Mißbrauchs an Kindern. Überführte Täter sollten erkennungsdienstlich erfaßt bleiben.

Parallel zu den vorgeschlagenen Verschärfungen des materiellen Strafrechts und der Stärkung einer effizienten Strafverfolgung erscheint es uns in der Tat dringend geboten, den Opferschutz erheblich auszubauen. Ich verkenne nicht die Reformschritte, die in diese Richtung bereits gesetzt wurden, sie sind aber dringend ausbauwürdig und -fähig. Insbesondere bedarf es einer verbesserten Information der Opfer über ihre Rechte und Möglichkeiten und ihre Stellung im Verfahren. In prozessualer Hinsicht sollte – auch das ist heute bereits mehrfach erwähnt worden – die Stellung des Geschädigten im Strafverfahren als solchem, insbesondere auch durch eine Neugestaltung und Belebung des Adhäsionsverfahrens, verbessert werden, wie das auch jüngst beim 13. Österreichischen Juristentag diskutiert und gefordert worden ist. Das sollte es nebenher dem Opfer auch erleichtern, seine Ansprüche durchzusetzen, ohne den kostspieligen zivilprozessualen Weg beschreiten zu müssen.


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Im Strafprozeß sollte von den bereits seit 1994 zugelassenen Videovernehmungen verstärkt Gebrauch gemacht werden können, um das Opfer nicht der Konfrontation mit dem Täter, der vielfach aus dem Familienbereich kommt, auszusetzen. Von einer schonenden Vernehmung in kindergerechten Sälen war auch bereits die Rede.

Wünschenswert wäre – wenngleich ich mir der Finanzierungsprobleme sehr wohl bewußt bin – die Einführung einer rechtskundigen Prozeßbegleitung für Kinder sowie die Etablierung eines Opfer- beziehungsweise Kinderanwalts. Geboten erscheint auch die Therapie und die Nachbetreuung der Opfer. Die Angehörigen sollten gegebenenfalls in die Therapie einbezogen werden.

Im Bereich des Medienrechts orte ich ebenfalls Defizite: Ich meine auch, daß das mißbrauchte oder mißhandelte Kind eines besseren Schutzes bedarf. Es reicht nämlich unseres Erachtens nicht aus, nur die Familiennamen der Opfer in der Berichterstattung zu verkürzen. Es sollten auch das Familienleben und das soziale Umfeld nicht in einer die Identität des Opfers preisgebenden Weise dargestellt werden dürfen.

Lassen Sie mich zum Resümee kommen. Die erschütternde Zahl der Fälle sexuellen Mißbrauchs von Kindern – jeder einzelne ist freilich schon zu viel –, die hohe Rückfallsquote bei diesen Delikten und die allzu milde Praxis der Strafgerichte machen deutlich, welch enormer Handlungsbedarf für die Bundesregierung und die sie tragenden Parteien hier besteht. Wir fordern Sie daher auf: Kommen Sie Ihrer Verantwortung nach, diesen gravierenden gesellschaftlichen Mißstand nach Kräften wenn schon nicht abzustellen – das wäre Utopie –, so doch erheblich einzudämmen. Andernfalls entstünde in der Bevölkerung tatsächlich der prekäre Eindruck, daß dem Gesetzgeber der Opferschutz nicht dasselbe Anliegen ist wie die laufende Verfeinerung der Rechtsstellung des Rechtsbrechers. – Danke. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

18.12

Vizepräsident Jürgen Weiss: Als nächstem erteile ich Herrn Bundesrat Dr. Milan Linzer das Wort. – Bitte.

18.12

Bundesrat Dr. Milan Linzer (ÖVP, Burgenland): Herr Präsident! Herr Bundesminister! Meine Damen und Herren! Ich kann den Schlußsätzen meines verehrten Kollegen Dr. Böhm zustimmen. Wenn aus den Gründen, die hier angeführt worden sind, wir uns der Problematik und der Thematik der Sexualstraftatbestände, die sich in den letzten Wochen und Monaten aufgetan hat, in einer Diskussion widmen, so sind wir völlig d’accord. Ich bin aber nicht der Meinung, daß die Worte, die zur Begründung dieser dringlichen Anfrage von der Antragstellerin gefallen sind und auch in der schriftlichen dringlichen Anfrage am Beginn genannt werden – es wird von Aufweichung des Strafrechtes in den letzten Jahren, Entkriminalisierung strafbarer Handlungen und einigem mehr gesprochen –, berechtigt sind. Der Herr Bundesminister hat die Vorwürfe ohnehin zurückgewiesen.

Meine Damen und Herren! Ich habe beim Lesen dieser dringlichen Anfrage den Eindruck gewonnen, daß gewisse eigenartige Maßstäbe angelegt worden sind bei der Frage, was in dieser Thematik bedeutend ist und was nicht. Und ich habe den Eindruck gewonnen, daß alle Maßnahmen – vor allem im Drogenbereich –, die zu einer verbesserten Resozialisierung und Reintegration von Straftätern dienen, eher als schlecht gedeutet werden. Das heißt unter anderem, daß die Anfragesteller offenbar eher dazu neigen, Jugendliche einzusperren, als sie einer Drogentherapie zu unterziehen. – Ich glaube nicht, daß das der geeignete Weg ist. Im übrigen kann man das neue Suchtmittelgesetz eigentlich mit dem Suchtgiftgesetz, seinem Vorgänger, vergleichen. Und wenn man es richtig vergleicht, kann man feststellen, daß es schon vorher eine bedingte Anzeigezurücklegung und einen Aufschub des Strafvollzugs gegeben hat.

Das Hohe Haus hat nicht, wie Sie, meine Damen und Herren Anfragesteller, ständig behaupten, das Suchtmittelgesetz liberalisiert. Die Neufassung dieses Gesetzes hat vielmehr dazu gedient, daß Österreich internationale Konventionen, insbesondere die Psychotropenkonvention und die Wiener UN-Suchtgiftkonvention, ratifizieren konnte. Daß dies zu einer Verschärfung im Bereich des Suchtmittelmißbrauchs beigetragen hat, verschweigen Sie aber lieber.


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Demgegenüber sprechen die Antragsteller in Bereichen, in denen tatsächlich viel zur Steigerung der Sicherheit in Österreich geschaffen wurde, davon, daß dies nur medienwirksam präsentierte Gesetzesänderungen gewesen wären. Schauen Sie sich doch unsere Fortschritte hinsichtlich Gesetzesänderungen im Bereich der OK, der organisierten Kriminalität, an! Ich spreche nicht nur von den neuen Ermittlungsmethoden. Der Gesetzgeber hat schon viel früher die Notwendigkeit erkannt, konsequent gegen die OK vorzugehen.

Bundesminister Michalek hat das Strafprozeßänderungsgesetz 1993, die Strafgesetznovelle 1993 und das Strafrechtsänderungsgesetz 1996 erwähnt. Mit dem letzten Strafrechtsänderungsgesetz wurde insbesondere die organisierte Kriminalität im § 278a Strafgesetzbuch neu umschrieben und damit eine Voraussetzung für die Einführung der neuen Ermittlungsmethoden geschaffen. Auf dieser Basis war es möglich, eine ausgewogene Regelung zu finden, die der Verbrechensbekämpfung dient und in Persönlichkeitsrechte nur dann eingreift, und zwar unter ständig begleitender Kontrolle, wenn andere Methoden keine Aussicht auf Erfolg haben. Ich glaube nicht, daß dies lediglich deshalb, um Medienwirksamkeit zu erzielen, beschlossen worden ist. Lassen Sie mich erwähnen, daß die Freiheitliche Partei im übrigen diesem Gesetz nicht zugestimmt hat, weil eine Forderung der Rechtsanwälte – sie mag durchaus verständlich sein – nicht erfüllt worden ist. Wo bleibt hier die sogenannte kompromißlose Strafrechtspolitik?

Meine Damen und Herren Anfragesteller! Wenn Sie diese dringliche Anfrage an den Justizminister allerdings gestellt haben, um bereits im frühesten Stadium Ihre Position zum Diversionsgesetz darzulegen, so ist dieses Anliegen durchaus legitim. Auch die Österreichische Volkspartei ist der Auffassung, daß beim außergerichtlichen Tatausgleich für Erwachsene mit sehr viel Fingerspitzengefühl vorgegangen werden muß. Die Problematik der Grenzziehung ist auch im Begutachtungsverfahren deutlich gemacht worden. Wir zweifeln nicht daran, daß der Justizminister diese Ergebnisse berücksichtigen wird. Dazu kommt, daß gerade im Justizbereich eine besondere Gesprächskultur entwickelt worden ist, wodurch bereits vor der parlamentarischen Behandlung eine Einbindung des Parlaments sichergestellt ist.

In einem weiteren Punkt ist die dringliche Anfrage thematisch von besonderem Interesse, nämlich dort, wo es um eine Verbesserung des Opferschutzes geht. Darüber wurde schon ausreichend berichtet. Gerade da hat es im vergangenen Sommer einen Vorstoß der Österreichischen Volkspartei gegeben, und wir werden diese Richtung vehement weiter verfolgen.

Lassen Sie mich zum Schluß kommen. Nach unserer Auffassung bietet gerade der überparteiliche Justizminister die Gewähr dafür, daß eine objektive Justizpolitik betrieben wird. Bundesminister Michalek hat diese Objektivität ständig unter Beweis gestellt. Dies wird auch dadurch unterstrichen, daß er stets zu Gesprächen bereit ist, um im ständigen Kontakt mit dem Parlament die für Österreich bestmöglichen Regelungen auszuarbeiten. Ich sehe keine Anzeichen dafür, daß dieser Weg gerade beim zuletzt angedeuteten Diversionsgesetz verlassen werden soll.

Die Notwendigkeit und insbesondere die Dringlichkeit, um die es heute geht, sind nach meiner Auffassung nur bedingt gegeben. Der Bundesminister hat uns mit seiner Anfragebeantwortung in einer beeindruckenden Weise vor Augen geführt, daß wir den Weg, der während der letzten Jahre in unserer Strafrechtspflege gegangen worden ist, durchaus weitergehen können, und wir brauchen uns nicht zu scheuen, Vergleiche mit anderen Staaten in Europa anzustellen. Es ist schon gesagt worden, daß wir von den Unionsländern immer wieder auch entsprechende Anerkennung in puncto Strafrechtspflege bekommen. (Beifall bei der ÖVP.)

18.19

Vizepräsident Jürgen Weiss: Als nächster erteile ich Frau Bundesrätin Helena Ramsbacher das Wort. – Bitte.

18.20

Bundesrätin Helena Ramsbacher (Freiheitliche, Kärnten): Sehr verehrter Herr Bundesminister! Sehr verehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst möchte ich mich vollinhaltlich den Ausführungen des Kollegen Liechtenstein anschließen. Ich muß sagen, ich kann mich mit all dem, was Sie gesagt haben, auch voll identifizieren.


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Ich stehe heute hier als Frau und als Mutter eines fünfjährigen Sohnes, und zumindest für mich und auch für meine Fraktion ist dieses Thema mehr als nur dringlich; ich glaube, das ist es für alle Menschen. Es ist für mich insbesondere auch eine Herzensangelegenheit.

Fälle wie jene in Belgien, Oberösterreich und jetzt auch in Kärnten sowie die täglichen Meldungen zwingen die Justiz einfach dazu, Maßnahmen zu ergreifen und die entsprechenden Gesetze zu verschärfen. Mein Motto und meine Forderung im Zusammenhang mit diesen Kinderschändern sind einfach: schwere und harte Strafen für schwere Verbrechen! – Ich glaube, das sagt alles aus.

Es gibt kein schlimmeres Verbrechen als körperliche und seelische Verbrechen an Kindern. Die Täter zerstören Leben, bevor diese noch begonnen haben. Auf diese Opfer muß, wie bereits gesagt wurde, besonders Rücksicht genommen werden.

Wenn es um die Schadenswiedergutmachung geht, muß ich sagen: Schadenswiedergutmachung prinzipiell ja, nur: Schadenswiedergutmachung bei Sexualdelikten, bei Kindesmißhandlungen und bei Mißbrauch von Kindern ist meiner Meinung nach unmöglich, diese gibt es nicht. Schadenswiedergutmachung kann man bei einem Diebstahl oder bei sonstigen Verbrechen ähnlicher Art vornehmen.

Es geht mir im Zusammenhang mit der Schadenswiedergutmachung um eine Bewertung. Zwei oder drei Jahre Haft im Durchschnitt, wie Frau Dr. Riess vorhin gesagt hat, für jemanden, der Kinder mißhandelt oder mißbraucht hat, ist zuwenig. Wenn ich mir als Mutter vorstelle, daß ein Täter, der mein Kind mißbraucht, vergewaltigt hat, nach zwei Jahren wieder herauskommt und dieses Verbrechen möglicherweise ein paar Jahre später wieder begeht, muß ich sagen: In dieser Angelegenheit haben wir recht.

Wir haben einen Entschließungsantrag vorbereitet, den ich am Schluß meiner Ausführungen einbringen werde. Vorher möchte ich aber noch etwas zum Thema Opferschutz vor Täterschutz sagen.

Ich persönlich habe absolut kein Verständnis für jegliche Art von Kinderpornographie und sexuellem Mißbrauch von Kindern, und sei es auch nur im geringsten Ausmaß. Diese Täter sind abartig und höchst kriminell, und wir tragen als Gesellschaft die Verantwortung dafür, daß für solch schwerwiegende Vergehen tatsächlich strenge Gesetze geschaffen werden. Ich glaube, jemand, der als Kind im Alter von zum Beispiel fünf oder zehn Jahren vergewaltigt wurde, wird nie wieder ein normales Leben führen und auch keine normale Beziehung zur Sexualität erreichen können. Das ist absolut unmöglich, und ebenso ist Wiedergutmachung unmöglich.

Unser Entschließungsantrag, den ich hiemit einbringe, lautet:

Entschließungsantrag

der Bundesräte Dr. Susanne Riess-Passer, Monika Mühlwerth, Dr. Peter Böhm, Helena Ramsbacher, Dr. Paul Tremmel betreffend wirksame Maßnahmen gegen Kindesmißbrauch und Kinderpornographie

In den letzten Jahren mußte anhand einiger entsetzlicher Fälle und einer deutlich steigenden Zahl angezeigter Delikte zur Kenntnis genommen werden, daß die gegen Kinder gerichtete Gewalt mit den derzeit eingesetzten Mitteln offensichtlich nicht wirksam bekämpft werden kann. Nicht nur die körperliche Gewalt im familiären Nahbereich tritt erschreckend häufig und mit steigender Intensität auf, auch sexueller Mißbrauch ist mittlerweile sogar in gewerbsmäßigem Umfang und mit internationaler Vernetzung anzutreffen. Es ist daher dringend erforderlich, alle Möglichkeiten zu nutzen, um die frühzeitige Aufdeckung der Taten zu erleichtern, adäquate Reaktionen des Rechtsstaates auf schwere Verbrechen an Kindern sicherzustellen, das Rückfallrisiko zu verringern, die Opfer bestmöglich zu schützen und eine wirksame Prävention zu ermöglichen.


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Die unterzeichneten Bundesräte stellen daher den nachstehenden

Entschließungsantrag:

Der Bundesrat wolle beschließen:

"Die Bundesregierung wird ersucht, dem Nationalrat Gesetzentwürfe zuzuleiten, die zum umfassenden Schutz der Kinder folgende Maßnahmen vorsehen:

1. Einrichtung einer zentralen Meldestelle pro Bundesland, an die Ärzte alle Fälle zu melden haben, in denen ein Verdacht physischen, sexuellen oder psychischen Kindesmißbrauchs besteht, und die entsprechende Auskünfte an Sicherheitsbehörden, Jugendwohlfahrtseinrichtungen und Ärzte erteilt;

2. Meldepflicht an den Amtsarzt für alle Personen, die beruflich die Betreuung von Kindern übernommen haben (z. B. Kinderbetreuer, Lehrer, Ärzte, Psychotherapeuten, Psychologen, Schulärzte), wenn ein begründeter Verdacht physischen, sexuellen oder psychischen Kindesmißbrauchs besteht;

3. absolute Anzeigepflicht für Behörden, die primär zum Schutz der Kinder eingerichtet sind (Jugendwohlfahrtseinrichtungen, Kinder- und Jugendanwälte etc.) für alle an Unmündigen begangenen Straftaten;

4. Schaffung eines neuen Straftatbestandes der unterlassenen Anzeige für alle Personen, die der Anzeigepflicht unterliegen;

5. Einrichtung von Sonderabteilungen der Sicherheitsbehörden zur Bekämpfung der Kinderpornographie, die auch Schein- und Vertrauenskäufe durchführen dürfen;

6. Abnahme eines genetischen Fingerabdrucks bei jedem Täter zur leichteren Aufklärung künftiger Delikte;

7. Strafdrohung von lebenslanger Freiheitsstrafe für schwere Straftaten im Bereich des Kindesmißbrauchs und der Kinderpornographie;

8. Einführung erhöhter Strafdrohungen für alle Sittlichkeitsdelikte, wenn sie aus wirtschaftlichen Gründen wie etwa zur Herstellung von Kinderpornographie begangen werden;

9. Einführung eines besonderen Erschwerungsgrundes für die vorsätzliche Begehung von strafbaren Handlungen an Kindern;

10. Klarstellung, daß für Vergewaltigungen oder geschlechtliche Nötigungen an Unmündigen dieselben höheren Strafrahmen gelten, wie wenn diese Delikte an Erwachsenen in besonders qualvoller Weise begangen werden;

11. Gleichstellung der Strafdrohung für Vergewaltigung mit Todesfolge mit der für schweren Raub mit Todesfolge (lebenslang);

12. Erhöhung der Strafobergrenze für geschlechtliche Nötigung von drei auf fünf Jahre (wie bei schwerer Nötigung);

13. Ausdehnung des Straftatbestandes der Schändung auch auf Opfer männlichen Geschlechts" – ich sage dazu: es werden auch immer öfter Buben sexuell mißbraucht! –;

"14. Ausdehnung des Tatbestandes des Beischlafs mit Unmündigen auch auf beischlafsähnliche Handlungen (wie bei Vergewaltigung);

15. Ende der Verjährungsfrist für Delikte an Minderjährigen frühestens zwei Jahre nach der Mündigkeit des Opfers, wenn die Anzeige durch das Opfer erfolgt;


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636. Sitzung / Seite 138

16. Verschärfung der Strafdrohungen im Bereich des Pornographiegesetzes für alle Formen von Kinderpornographie;

17. Schaffung eines neuen Straftatbestandes im Pornographiegesetz für das öffentliche Anpreisen von Sittlichkeitsdelikten an Unmündigen (auch über das Internet);

18. gesetzliches Verbot vorzeitiger Haftentlassung und bedingter Strafen für Sexualstraftäter an Unmündigen;

19. bei psychischer Auffälligkeit des Täters, Tatbegehung mit besonderer Grausamkeit, bei Sittlichkeitsdelikten und im Maßnahmenvollzug (§ 21 Abs. 1 oder 2 StGB): Verbot aller Hafterleichterungen, die mit einem unbeaufsichtigten Entfernen aus der Haftanstalt beziehungsweise dem unbeaufsichtigten Kontakt mit anstaltsfremden Personen verbunden sind, und Bindung der Einleitung des Entlassungsvollzuges an eine vorhergehende gründliche Begutachtung durch anstaltsfremde Sachverständige und an eine darauf folgende gerichtliche Entscheidung, für die auch die anstaltsinternen Erfahrungen mit dem Häftling heranzuziehen sind; wenn das Risiko der Begehung weiterer Straftaten gegeben zu sein scheint oder wenn eine lebenslange Freiheitsstrafe verhängt und die Tat mit besonderer Grausamkeit begangen wurde, hat die Entscheidung sich am Sicherheitsbedürfnis der Bevölkerung zu orientieren;

20. lebenslange Führungsaufsicht nach der Haftentlassung für alle Personen, die wegen sexuellen Kindesmißbrauchs verurteilt wurden (regelmäßige Meldungen bei den Sicherheitsbehörden; dauernde Überwachung und Kontrolle der Therapie; Verbot aller Tätigkeiten, die den Täter mit Kindern in Kontakt bringen würden; nötigenfalls elektronische Kontrolle des Aufenthalts und Bekanntgabe der Vorstrafe bei Nachbarn);

21. erweiterte Rechte des Opfers im Strafverfahren (Einbindung des Opfers als Prozeßpartei neben dem Staatsanwalt unabhängig von zivilrechtlichen Ansprüchen; Miterledigung zivilrechtlicher Ansprüche im Strafverfahren als Regelfall; umfangreichere und präzisierte Informationsverpflichtung des Gerichtes gegenüber dem Opfer; Berechtigung zum Einbringen von Beweisanträgen; volle Akteneinsicht; Beigebung eines kostenlosen Verfahrenshilfeanwalts bei schwieriger Sach- und Rechtslage ohne Bezugnahme auf die finanziellen Verhältnisse des Opfers; volles Berufungsrecht; Entscheidung über die privatrechtlichen Ansprüche auch in freisprechenden Urteilen; vorläufige Entschädigung durch eine vor den Zivilgerichten bekämpfbare Festlegung des Strafgerichtes nach billigem Ermessen; bevorzugte Wiedergutmachung aus der Arbeitsvergütung des Täters in Strafhaft);

22. Recht auf Beiziehung einer Vertrauensperson bei jedem Behördenkontakt des Opfers;

23. Klarstellung, daß minderjährige Opfer in der Regel nicht direkt im Gerichtssaal vernommen werden sollen;

24. weitestgehende Einschränkung der Zahl der Einvernahmen minderjähriger Opfer; Vernehmung nur durch erfahrene und psychologisch geschulte Personen;

25. bevorzugte rasche Abwicklung des Strafverfahrens, um das Opfer zu schonen;

26. prinzipielle Wegweisung des Täters aus dem Familienverband zum Schutz des unmündigen Opfers;

27. Soforthilfe für das Opfer durch unmittelbar nach der Anzeige einsetzende Therapie und Betreuung auf Kosten des Täters (staatliche Vorfinanzierung);

28. Ausweitung der Leistungen des Verbrechensopfergesetzes zur Sicherstellung einer unentgeltlichen Betreuung der psychischen Schäden von Unmündigen über das Versorgungsniveau der Krankenversicherung hinaus, zur Gewährleistung einer fairen Berechnung des künftigen Verdienstentganges und zur Übernahme der Schmerzensgeldansprüche;


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636. Sitzung / Seite 139

29. verstärkte Anonymisierung des Opfers und seiner Lebensumstände in der medialen Berichterstattung;

30. verpflichtende Aufklärung und Warnung der Bevölkerung durch die Medien zu den bestmöglichen Sendezeiten analog zur AIDS-Aufklärung und

31. verstärkte Warnung der Kinder und Jugendlichen in Schulen und Kindergärten."

*****

Danke sehr. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

18.31

Vizepräsident Jürgen Weiss: Der von den Bundesräten Dr. Riess-Passer und Kollegen eingebrachte Entschließungsantrag betreffend wirksame Maßnahmen gegen Kindesmißbrauch und Kinderpornographie ist genügend unterstützt und steht daher mit in Verhandlung.

Als nächster erteile ich Frau Bundesrätin Dr. Susanne Riess-Passer das Wort. – Bitte.

18.31

Bundesrätin Dr. Susanne Riess-Passer (Freiheitliche, Wien): Herr Präsident! Herr Bundesminister! Meine Damen und Herren! Ich möchte kurz auf das eingehen, was Herr Kollege Rauchenberger vorhin gesagt hat, und möchte Ihnen, Herr Kollege, in diesem Zusammenhang etwas ganz Persönliches sagen und Ihnen auch erklären, warum ich bei Ihrer Rede den Saal verlassen habe. (Zwischenruf bei der ÖVP.)  – Mit Ihnen rede ich jetzt eigentlich nicht.

Herr Kollege Rauchenberger! Sie haben gesagt, daß ich persönlich in dieser Sache betroffen bin, und das ist zum Teil richtig. Ich möchte Ihnen auch den Grund dafür erklären.

Ich war einmal in meinem Leben in einer sehr gefährlichen Situation und habe das Glück gehabt, daß mir rechtzeitig jemand zu Hilfe gekommen ist. Andere Opfer desselben Täters hatten nicht dieses Glück! – Das ist auch der Grund dafür, daß ich betroffen war von der Art und Weise, wie Sie hier herausgekommen sind und Ihre Rede damit begonnen haben, politisches Kleingeld aus diesem Thema zu schlagen.

Mir ist es, ehrlich gesagt, völlig gleichgültig, wer sich hier einen politischen Erfolg auf seine Fahnen heftet. Ob Sie sich dieses Mascherl anstecken oder der Herr Bundesminister oder sonst irgend jemand, ist für mich völlig nebensächlich. Mir ist es nur wichtig, daß etwas passiert, daß etwas zum Schutz dieser Opfer getan wird (Beifall bei den Freiheitlichen), daß vor allem auch etwas in Richtung Prävention gemacht wird, um solche Delikte zu verhindern und diese Kinder zu schützen.

Es kann nicht sein, Herr Kollege, daß es bei all dem, was wir heute hier vorgelegt haben, keinen Punkt gibt, den Sie unterstützen können. Ich sage nicht, daß Sie den Antrag zur Gänze unterstützen müssen, aber es kann nicht sein, daß Sie nicht erkennen, daß die Vorschläge, die wir hier gemacht haben, fundiert sind, daß sie sich mit Expertenmeinungen decken, daß die Umsetzung vieler Vorschläge notwendig ist und daß es wichtig ist, in diesem Bereich etwas zu tun. (Vizepräsidentin Haselbach übernimmt den Vorsitz.)

Es wäre schön, könnten Sie sich bei diesem Thema noch einmal besinnen und vielleicht auch erkennen, daß es in dieser Frage nicht um Ideologie geht, daß Ideologie und ideologische Vorbehalte da völlig fehl am Platze sind. Es geht bei diesem Thema um eine Verantwortung, die wir alle über alle Parteigrenzen hinweg gemeinsam wahrzunehmen haben, Herr Kollege; ich lege in diesem Zusammenhang Wert auf das Wort "gemeinsam". (Beifall bei den Freiheitlichen.)


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636. Sitzung / Seite 140

18.34

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Als nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Tremmel. – Bitte.

18.34

Bundesrat Dr. Paul Tremmel (Freiheitliche, Steiermark): Frau Präsidentin! Herr Bundesminister! Meine Damen und Herren! Auch ich möchte einen Entschließungsantrag einbringen, aber gestatten Sie mir vorher noch einige Hinweise.

Aufgrund des Ablaufes der Debatte ist es verständlich, Herr Kollege Rauchenberger, daß jetzt bei uns die Emotionen hochgehen, da hier in einer unglaublichen Art und Weise unterstellt wurde, daß im Zusammenhang mit dem gegenständlichen Thema populistische Politik gemacht wird, obwohl es doch um einen verbesserten Opferschutz geht.

Herr Bundesminister! Sie haben es vornehmer gesagt, wie wir festgestellt haben, nämlich: Es muß Generallinie sein, daß Opferschutz vor Verbrechensschutz geht. – Das war jetzt eine vereinfachte Wiedergabe Ihrer Worte. Sie haben dann auf Initiativen hingewiesen, die unter anderem auch von freiheitlichen Abgeordneten gekommen sind, haben dabei aber vergessen, sehr geehrter Herr Minister, daß es auch andere Bereiche gibt, Bereiche, hinsichtlich derer die vorgebrachten Punkte erstens nicht von uns gekommen sind und zweitens gravierend sind, sodaß wir meinen, daß die Prioritätensetzung der Strafrechtsnovellierung verfehlt ist.

Ich erwähne zum Beispiel: bedingte Strafnachsicht auch bei mehr als zehnjähriger oder lebenslanger Strafdrohung. Man bedenke folgendes: Ein Richterkollegium oder ein Richter verurteilt nach langen Verhandlungen, und im nachhinein wird die Strafe, die genau abgewogen ist, herabgesetzt. Welchen Eindruck macht das auf die Opfer? Aber welchen Eindruck macht das auch auf jene, die Recht sprechen?

Ein weiterer Punkt: kein zwingender Widerruf der bedingten Strafnachsicht oder Entlassung bei Nichtbefolgung einer gerichtlichen Weisung oder Verweigerung der Zusammenarbeit.

Oder: Wir alle, meine Damen und Herren, haben es mit Bedauern zur Kenntnis genommen, als in der Strafanstalt Karlau ein Kidnapping stattfand. Es sollen auch die Rechte derjenigen, die dort einsitzen, einigermaßen gewahrt werden, aber ich frage heute trotzdem folgendes: Ich weiß, daß Telefongespräche so wie der Briefverkehr der Kontrolle unterworfen sind, aber wie schaut die Praxis aus? Wie viele Handys gibt es dort drinnen, mit denen heraustelefoniert wird? – Ich weiß, Herr Bundesminister, daß ich Ihnen das nicht direkt vorwerfen kann, aber wenn man solche Dinge durchführt, wenn man solche Vergünstigungen gewährt, dann muß man auch dafür Sorge tragen, daß die Öffentlichkeit etwa bei einem Freigang vor einem allfällig Rückfälligen geschützt ist. Dafür muß man Sorge tragen! Dafür haben wir, dafür haben Sie, dafür hat die Bundesregierung, dafür haben die hiezu bestellten Organe zu sorgen.

Sie haben auf einige Punkte hier sehr umfangreich geantwortet und unter anderem festgestellt – Herr Kollege Dr. Linzer hat das dann noch unterstrichen –, daß Österreich hinsichtlich des Sittlichkeits-Strafrechts federführend sei und in Europa an vorderster Stelle stehe. (Bundesrat Dr. Linzer: Nein!) Daß unsere diesbezügliche Novellierung durchaus Beachtung findet – zumindest der Herr Minister hat es so gesagt. (Bundesminister Dr. Michalek: Das EU-Parlament hat das gesagt!)  – Bitte.

Ich frage mich aber, meine Damen und Herren, sehr geehrter Herr Minister: Wie kann es sein, daß sich die Zahl der Strafanzeigen wegen Kindesmißbrauchs in den letzten Jahren verdoppelt hat, wenn wir so führend in diesem Bereich sind? – Jedes vierte Mädchen, jeder zehnte Bub wird Opfer sexueller Gewalt. Und wenn Sie, Herr Kollege Linzer, diesem Thema trotz Vorliegen dieser Fakten die Dringlichkeit absprechen, dann frage ich mich, wie Sie dazu kommen. (Bundesrat Dr. Linzer: Das habe ich auch nicht gesagt! Ich habe genau das Gegenteil gesagt!)  Sie haben gesagt, Sie sprechen unserer dringlichen Anfrage die Dringlichkeit ab. (Bundesrat Dr. Linzer: Nein!) Genau auf diesen Punkt hat die Anfrage heute abgezielt. Es ist erstaunlich, daß Sie dem Schutz der Kinder nicht den entsprechenden Wert beimessen! (Weitere Zwischenrufe der Bundesräte Dr. Linzer und Rauchenberger. )

Ich möchte den Damen und Herren des Bundesrates die Möglichkeit bieten, hier ein gemeinsames Vorgehen zu finden. Herr Minister! Ich gebe durchaus zu, Sie haben in der Zeitung bereits erklärt, und Sie haben es auch verbrämt gesagt – es ist dem auch nicht widersprochen


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worden; es steht in einer Zeitung des gestrigen Tages: Michalek verschärft das Sexualstrafrecht; ich nehme an, das stammt von Ihnen, denn es wurde dem auch nicht widersprochen –, daß die Verjährungsfrist bei Kindesmißbrauch erst nach Volljährigkeit des Opfers, also nach Beendigung des 19. Lebensjahres, zu laufen beginnt. (Zwischenbemerkung des Bundesministers Dr. Michalek. ) Und ich habe Sie heute auch in Ihrer Anfragebeantwortung so verstanden. Ich hoffe, es ist das keine Ankündigung.

Unser diesbezüglicher Entschließungsantrag, Herr Bundesminister, läßt diese Möglichkeit durchaus offen, und ich darf diesen nun vortragen. Ich bitte Sie, meine Damen und Herren, weit über das einzelne politische Interesse hinausgehend, sich zu überlegen, ob Sie diesem nicht doch die Zustimmung geben könnten, gerade in dieser Causa! Es wird damit der nicht Minister diskriminiert, und wir könnten hier einen entsprechenden Fingerzeig in Richtung Bundesregierung und Nationalrat geben. Bitte prüfen Sie, ob Sie diesem Entschließungsantrag beitreten können, der wie folgt lautet:

Entschließungsantrag

der Bundesräte Dr. Susanne Riess-Passer, Monika Mühlwerth, Dr. Peter Böhm, Helena Ramsbacher, Dr. Paul Tremmel betreffend Verlängerung der Verjährung von Kindesmißbrauch

Gerade der jüngst bekanntgewordene Fall von mehrfachem Kindesmißbrauch hat klar gezeigt, daß die derzeit geltenden Verjährungsfristen in diesem Bereich des Strafrechtes wesentlich zu kurz sind. – Also, das ist ein Rahmen, in den man durchaus Ihre Idee hineinpacken könnte. – Kinder können das ihnen widerfahrene Unrecht oft erst Jahre nach der Tat artikulieren und können sich vielfach zu einer Anzeige erst durchringen, wenn sie bereits volljährig sind und mehr Abstand vom Täter gewonnen haben. – Wie wir ja immer wieder gerade in letzter Zeit hören. – Der Bundesminister für Justiz hat dementsprechend auch angekündigt, daß die Verjährungsfrist künftig erst ab der Volljährigkeit des Opfers zu laufen beginnen soll. Um diesem berechtigten Anliegen auch zur nötigen politischen Unterstützung zu verhelfen, stellen die unterzeichneten Bundesräte folgenden

Entschließungsantrag

Der Bundesrat wolle beschließen:

"Der Bundesminister für Justiz wird ersucht, dem Nationalrat ehestmöglich einen Gesetzentwurf zuzuleiten, der vorsieht, daß strafbarer Kindesmißbrauch frühestens zwei Jahre nach der Mündigkeit des Opfers verjährt."

*****

(Beifall bei den Freiheitlichen.)

18.43

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Der Antrag der Bundesräte Dr. Riess-Passer und Kollegen betreffend Verlängerung der Verjährung von Kindesmißbrauch ist genügend unterstützt und steht demnach mit in Verhandlung.

Es liegt eine weitere Wortmeldung vor, und zwar von Herrn Bundesrat Konečny. – Ich darf ihn bitten, das Wort zu nehmen.

18.43

Bundesrat Albrecht Konečny (SPÖ, Wien): Frau Präsidentin! Herr Bundesminister! Man kann immer eine Fülle von spontanen Ideen niederschreiben in einem Artikel, in einem Diskussionsbeitrag, sogar in einer parlamentarischen Rede. Aus guten Gründen ist die Beschlußfassung in einem parlamentarischen Gremium Dingen vorbehalten, die gründlich beraten, in alle Richtungen überlegt wurden und die nicht Gegenstand eines Schusses aus der Hüfte sind.


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Ich glaube, daß eine solch fundamentale Frage wie die Reform des Sexualstrafrechtes nicht mit einem entschließungsantraglichen Hüftschuß ernsthaft in Angriff genommen werden kann. (Beifall bei Bundesräten der ÖVP.)

Wir wissen – ich glaube, der Herr Minister hat es heute auch erwähnt –, daß unter Mitarbeit aller Parteien, auch derjenigen, die diese dringliche Anfrage gestellt hat, seit geraumer Zeit eine Kommission, die vom Justizministerium eingeladen wurde, akkordierte und zusammenstimmende Vorschläge erarbeitet hat. Wenn das Ergebnis dieser Arbeit noch vor dem Sommer vorliegt, dann ist es eben nicht die Aneinanderreihung von spektakulären Einzelmaßnahmen, sondern es ist der Ausdruck einer Konzeption – und wenn jene, die da mitgesprochen haben, zu dem stehen, was sie dort gesagt haben: sogar Ausdruck einer abgestimmten Konzeption –, um in diesem schwierigen Bereich zu einer besseren strafrechtlichen Verfolgung und zu einer wirksameren – das heißt nicht notwendigerweise härteren, aber wirksameren – Bestrafung zu kommen.

Jeder von uns in diesem Saal wird in den nahezu unzähligen Punkten dieses Entschließungsantrages den einen oder anderen oder auch relativ viele finden, die ihm prima facie einleuchten. Manche widersprechen einander, wenn man sie ein zweites Mal durchdenkt, manche erweisen sich beim zweiten Durchdenken als nicht mehr ganz so glanzvoll.

Ein parlamentarisches Gremium sollte sich zu gut sein, ein so undurchdachtes und zufälliges Sammelsurium von Maßnahmen, von denen einzelne sehr wohl zielführend sein können und wahrscheinlich auch in dem Paket enthalten sein werden, als seine Meinung zu beschließen. Wir sind es gewöhnt – und der parlamentarische Prozeß ist darauf aufgebaut –, daß wir in einer Konfrontation von Standpunkten unter der Heranziehung von Fachwissen, das nicht jeder in jedem Bereich selbst aufzubieten in der Lage ist, zu Ergebnissen kommen. Wir sollten auch diesmal von dieser Praxis nicht abweichen.

Das und nicht die Zurückweisung jedes einzelnen Gedankenganges, der in diesem Entschließungsantrag zum Ausdruck gebracht wird, ist die Begründung dafür, daß meine Fraktion ihm keine Zustimmung geben kann. (Beifall bei der SPÖ.)

18.48

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Als nächster zu Wort gemeldet ist Herr Präsident Bieringer. – Bitte.

18.48

Bundesrat Ludwig Bieringer (ÖVP, Salzburg): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Herr Bundesminister! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Namens der ÖVP-Fraktion halte ich ausdrücklich fest, daß der erste Entschließungsantrag, den die Freiheitliche Partei eingebracht hat, eine krasse Überforderung für alle Mitglieder dieses Hauses ist. Denn es kann niemand von uns erwarten, daß wir innerhalb von 5 Minuten zu 31 Punkten Stellung nehmen; noch dazu sind einige Punkte enthalten, bezüglich derer von Ländern erhebliche Bedenken angemeldet worden sind. Aber das ist nicht der Grund, aus dem wir ihn ablehnen. Wir lehnen ihn nicht dem Inhalt nach ab – damit wir ja nicht mißverstanden werden! –, sondern wir lehnen ihn ab ... (Bundesrat Eisl: Koalitionsabkommen! Ihr dürft ja nicht!) – Herr Kollege Eisl! Solch ein Antrag ist mir viel zu wichtig, als daß ich jetzt über ein Koalitionsabkommen rede.

Wir lehnen ihn deshalb ab, weil ich mich außerstande sehe, den Mitgliedern meiner Fraktion zu empfehlen, dem beizutreten, weil wir die Auswirkungen nicht kennen – noch dazu, nachdem wir vom Herrn Bundesminister für Justiz gehört haben, daß das Justizministerium dabei ist, bis spätestens Mitte dieses Jahres eine umfassende Reform des Sexualstrafrechtes im Hinblick auf diese unappetitlichen Angelegenheiten vorzulegen. Das ist der Grund, aus dem wir dem ersten Entschließungsantrag nicht beitreten können. (Beifall bei der ÖVP und bei Bundesräten der SPÖ.)

Wir haben nichts dagegen, wenn der Herr Bundesminister für Justiz ersucht wird, dem Nationalrat ehestmöglich einen Gesetzentwurf zuzuleiten, der vorsieht, daß strafbarer Kindesmißbrauch frühestens zwei Jahre nach der Mündigkeit des Opfers verjährt. Diesem Entschließungsantrag


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636. Sitzung / Seite 143

werden wir unsere Zustimmung erteilen. (Beifall bei ÖVP und Freiheitlichen sowie bei Bundesräten der SPÖ.)

18.50

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall.

Die Debatte ist geschlossen.

Wir kommen zur Abstimmung über die Anträge.

Es liegt ein Antrag der Bundesräte Dr. Riess-Passer und Kollegen vor auf Fassung einer Entschließung betreffend wirksame Maßnahmen gegen Kindesmißbrauch und Kinderpornographie.

Ich lasse jetzt über diesen Entschließungsantrag abstimmen und bitte jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die diesem Antrag zustimmen, um ein Handzeichen. – Das ist die Minderheit.

Der Antrag auf Fassung einer Entschließung betreffend wirksame Maßnahmen gegen Kindesmißbrauch und Kinderpornographie ist daher abgelehnt.

Wir kommen zur Abstimmung über den nächsten Antrag der Bundesräte Dr. Riess-Passer und Kollegen auf Fassung einer Entschließung betreffend Verlängerung der Verjährung von Kindesmißbrauch.

Ich bitte jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die diesem Antrag zustimmen, um ein Handzeichen. – Es ist dies Stimmeneinhelligkeit.

Der Antrag auf Fassung einer Entschließung betreffend Verlängerung der Verjährung von Kindesmißbrauch ist daher angenommen. (E. 153)

Dringliche Anfrage

der Bundesräte Monika Mühlwerth, Mag. John Gudenus, Dr. Reinhard Eugen Bösch und Kollegen an den Bundeskanzler betreffend Lesung von Otto Mühl im Burgtheater (1357/J-BR/98)

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Wir gelangen nunmehr zur Verhandlung über die dringliche Anfrage der Bundesräte Monika Mühlwerth und Kollegen an den Herrn Bundeskanzler.

Da auch diese inzwischen allen Bundesräten zugegangen ist, erübrigt sich eine Verlesung durch die Schriftführung, und ich erteile Frau Bundesrätin Mühlwerth als Anfragestellerin zur Begründung der Anfrage das Wort.

18.52

Bundesrätin Monika Mühlwerth (Freiheitliche, Wien): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Staatssekretär! Der Grund unserer heutigen dringlichen Anfrage ist eine Unerträglichkeit, die in dieser Republik stattfindet, nämlich daß man einem wegen Kinderschändung Verurteilten nach Verbüßung seiner Haftstrafe auf einer staatlich subventionierten Bühne die Gelegenheit gibt, die Justiz zu verhöhnen und sich darüber auch in einem Dramolett, wie er es nennt, auszulassen.

Die linke Kulturschickeria applaudiert dem Otto Mühl – um ihn geht es nämlich – in seiner gestrigen Lesung am Wiener Burgtheater. Er bekommt das Burgtheater zur Verfügung gestellt ... (Bundesrat Prähauser: Wer ist das?) Ein verurteilter Kinderschänder, Herr Kollege Prähauser, falls Sie es noch nicht wissen sollten. (Bundesrat Prähauser: Wer die linke Schickeria ist, möchte ich wissen! Sie werden ja der Schickeria nicht unterstellen, Kinderschänder zu sein!) Er bekommt eine öffentlich subventionierte Bühne ... (Bundesrat Prähauser: Wer ist denn das?) Claus Peymann ist zum Beispiel einer davon, Ludwig Attersee wäre der nächste. Ich könnte Ihnen eine ganze Latte aufzählen, aber darum allein geht es nicht.


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636. Sitzung / Seite 144

Die Unerträglichkeit an dieser Sache ist, daß ein verurteilter Kinderschänder eine öffentlich subventionierte Bühne zur Verfügung gestellt bekommt und ihm dort Gelegenheit gegeben wird zu sagen, er wäre sozusagen ein Verfolgter der Justiz. Der Staatssekretär, der für Kunst und Kultur zuständig ist, und im übrigen auch alle anderen Regierungsmitglieder schweigen dazu. Herr Staatssekretär Wittmann meint sogar, die Politik sollte sich nicht in die Gestaltung der Häuser einmischen. Ich glaube, das ist ein bißchen billig. Wir sprechen hier nämlich nicht von einer privaten Bühne, auf der Herr Mühl aufgetreten ist und der Verhöhnung der Justiz frönen konnte, sondern wir sprechen von einer, wie ich schon gesagt habe, subventionierten Bühne, von einem subventionierten Direktor, der dieses zuläßt, der diesem – ich sage es noch einmal – Kinderschänder die Gelegenheit gibt, sich dort auszulassen und die Justiz anzuprangern.

Im Vorfeld dieser Veranstaltung sind von der Ensemblevertretung – sie hat sich gegen diese Veranstaltung ausgesprochen – Flugzettel verteilt worden, auf denen die Schauspieler dezidiert darauf hinweisen, daß sie sich seit langem gegen diese Veranstaltung ausgesprochen haben. Robert Meyer, ein Schauspieler des Burgtheaters, schreibt auf diesem Zettel auch: "Vergessen Sie für den heutigen Abend die Opfer" – hier geht es um die Opfer des Otto Mühl –, "sonst könnte Ihnen das Lachen im Halse steckenbleiben."

Damit aber nicht genug wird dort auch das Buch, das er im Gefängnis geschrieben hat: "Aus dem Gefängnis 1991 – 1997", verkauft, in dessen Vorwort auch gesagt wird, daß Mühl ein Opfer der Justiz geworden sei. Es geht überhaupt nicht darum, welche Verbrechen er begangen hat – und wir haben gerade vor einer Stunde darüber gesprochen, wie entsetzlich Kindesmißbrauch, Vergewaltigung et cetera sind –, nein, dort wird nur von einem Opfer der Justiz gesprochen.

Michel Ohnfray schreibt in seinem Vorwort: "Das triste Tafelbild einer sexuellen Jagd ist heute um die Person Otto Mühls zu erweitern – kompromißloser Künstler des Wiener Aktionismus, Enfant terrible radikaler österreichischer Ästhetik, der sich der Verschmelzung von fundamentalen künstlerischen Ansprüchen und der eigenen Existenz mit Leib und Seele widmet. Denn es darf nicht vergessen werden, daß Otto Mühl von 1991 bis 1997 mehr als zweitausendfünfhundert Tage in österreichischen Gefängnissen verbrachte, weil er sexuelle Beziehungen mit jungen Mädchen der Kommune unterhielt."

Das ist schon einmal total verharmlosend, denn ein junges Mädchen könnte auch eine Siebzehnjährige sein.

Dann geht es weiter, denn damit ist es noch nicht zu Ende: "Wobei zu beachten ist, daß sie" – nämlich die sexuellen Beziehungen, das, was wir anprangern, denn das waren nämlich nicht junge Mädchen, sondern Minderjährige – "im Rahmen einer künstlerischen, ethischen und politischen Gemeinschaft stattfanden, in der alles geteilt wurde, auch die Sexualität."

Das heißt, man gibt quasi dem Otto Mühl einen Freibrief, daß er das eben im Rahmen seiner sexuellen Freiheit und seiner Kommune gemacht habe.

Weiters steht dann in diesem Vorwort: "Der Staat, seit Jahrzehnten der Eskapaden des Aktionisten überdrüssig, nützte die Gelegenheit und beschloß durch seine Gerichte sieben Jahre Haft."

Das heißt, und so wird es hier dargelegt: Nicht ein unabhängiges Gericht hat ihn aufgrund von Straftaten verurteilt, sondern es handelt sich um eine Verfolgung eines unliebsamen Künstlers durch die Justiz. Das kann es wohl nicht sein, das darf ja wohl nicht wahr sein! (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Auch der ORF hat in einem Beitrag in der Sendung "Treffpunkt Kultur" nichts anderes zu tun gewußt, als diesen unfaßbaren Satz zu sagen, daß er an den Normen des Strafrechtes gescheitert sei. Der ORF, der einen öffentlichen Bildungsauftrag hat, sagt, Mühl sei an den Normen der Justiz gescheitert, als ob das ein Bagatelldelikt wäre!

Herr Otto Mühl zeigt aber auch selbst kaum Reue. Es ist nicht so, daß er selbst das Gefühl hat, etwas strafrechtlich Verbotenes begangen zu haben. Er selbst fühlt sich auch als Opfer der Justiz. So antwortet er beispielsweise in einem Interview der "Presse" vom 17. Jänner im


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636. Sitzung / Seite 145

"Spectrum" auf die Frage: "Sie wurden verurteilt wegen Unzucht, Beischlaf mit Unmündigen, Vergewaltigung, Mißbrauch eines Autoritätsverhältnisses. Wie sehen Sie heute diese ziemlich schwerwiegenden Delikte?" – Zitat Otto Mühl: "Ich fühle mich total ungerecht behandelt. Das war die Rache der Justiz. Da gibt es Leute, die mit ihren Töchtern geschlafen haben, die haben drei, vier Jahre gekriegt. Das Mädchen, um das es in meinem Fall ging, war dreizehneinhalb Jahre alt. Mit 14 ist es erlaubt. Sieben Jahre, das ist Wahnsinn. Ich finde, daß die Justiz provinziell agiert. Das sind sehr einfache Leute, die die Welt durch ihre Paragraphen sehen, ein Apparat, der bedient wird. Die Justiz ist Leuten übertragen, die mehr oder weniger unkontrolliert machen können, was sie wollen – das führt zu Größenwahnsinn." – Ende des Zitats.

Das sagt dieser Otto Mühl, der auf der Burgtheaterbühne so hofiert wird. Er tritt unseren Rechtsstaat mit Füßen, und die Regierung, die eigentlich alles daransetzen müßte, diesen Rechtsstaat zu vertreten, schweigt dazu! (Beifall bei den Freiheitlichen.) Kein einziger Kommentar ist dazu gekommen!

Er wiederholt auch, daß er sich eigentlich nichts vorzuwerfen habe, zum Beispiel am 9. Februar in einem Ö 3-Interview. Da sagt er zwar: "Ich habe Fehler gemacht in der Kommune." – Wir wissen aber mittlerweile – wir alle, die gestern die TV-Sendung "Im Brennpunkt" gesehen haben –, daß er damit nur meint, daß die Kommune zu groß und daher unüberschaubar geworden ist. Er meint keineswegs, daß die Kommune an sich, mit den Taten, die er begangen hat, ein Fehler war. Er sagt ja: "Ethisch und moralisch habe ich mir nichts vorzuwerfen." – Und auf die Lesung angesprochen sagte er noch: "Das ist wunderbar, wenn ein großes Ekel der Republik wie ich, ein Kinderschänder, auf so einer Bühne auftreten darf. Das ist wirklich sehr kreativ und publikumswirksam!"

Mittlerweile hat er aus den Fehlern seiner Kommune, aus der Unüberschaubarkeit offensichtlich gelernt. Er hat an der Algarve bereits eine neue Kommune gebildet, unter den gleichen Voraussetzungen, die er seinerzeit schon gehabt hat, unter denen er schon seinerzeit seine Verbrechen verübt hat. Ich würde doch meinen, daß auch die Kinder, die diesmal mit dabei sind, in erheblichem Maße gefährdet sind.

Man muß sich vor Augen halten, welche Vorbildwirkung ein öffentlicher Raum hat, sei es im Burgtheater, sei es im ORF oder sei es auch im Fernsehen oder im Radio. Was bekommt denn der Kinderschänder, der die Kinder mißbraucht – das Beispiel, über das wir heute mit dem Herrn Justizminister schon gesprochen haben –, für ein Signal damit? – Er muß den Eindruck haben, das sei ein Kavaliersdelikt, und daß das alles nicht so schlimm sei, wenn man einem verurteilten Kindesmißbraucher wie Otto Mühl einen solch großen Raum für seine Darstellungen gibt.

Ich möchte nicht wissen, wie viele sich daran ein Beispiel nehmen! Vielleicht fühlt sich dann dieser "Onkel" auch noch als Künstler und sagt: Das brauche ich für mein künstlerisches Werden, diese Erfahrungen auch gemacht zu haben. Ich meine, wir waren uns heute in diesem Punkt doch wohl einig, daß das die falschen Signale sind!

Herr Staatssekretär! Sie können sich in diesem Fall nicht einfach aus der Verantwortung davonschleichen und angesichts der Debatte über die künftige Ausgliederung der Bundestheater sagen, Peymann habe die Gestaltung seines Hauses autonom über. – Damit machen Sie es sich zu einfach! So kann es nicht sein. Wir sprechen nicht über den Künstler Mühl, sondern wir sprechen über den wegen Kindesmißbrauchs verurteilten Otto Mühl. Da können Sie nicht sagen, es sei Sache des Peymann, wen er in sein Haus einlädt. Da ist auch Ihre Verantwortlichkeit gefragt!

Aus diesem Grunde haben wir Ihnen heute eine ganze Reihe von Fragen dazu gestellt. Wir glauben, daß es dringend notwendig ist, darüber zu sprechen, und wir hoffen, daß sich solche Vorfälle nicht noch einmal wiederholen werden! (Beifall bei den Freiheitlichen.)


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636. Sitzung / Seite 146

19.05

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Zur Beantwortung hat sich Herr Staatssekretär Dr. Wittmann zu Wort gemeldet. – Bitte.

19.05

Staatssekretär im Bundeskanzleramt Dr. Peter Wittmann: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Hohes Haus! Bevor ich die Fragen beantworte, erlaube ich mir, kurz einige Worte zu dieser Angelegenheit zu sagen. Otto Mühl wurde von einem österreichischen Gericht aufgrund seiner Straftaten rechtskräftig verurteilt und hat diese Strafe verbüßt. Die österreichische Rechtsordnung sieht vor, daß darüber hinausgehende Verfolgungshandlungen grundsätzlich nicht angebracht sind. Bei der Beurteilung des Künstlers Otto Mühl ist natürlich die Schwere der ihm zur Last gelegten beziehungsweise auch festgestellten Verbrechen durchaus tiefgreifend, das soll hier nicht verharmlost werden. Seine Taten sind in keiner Weise zu verteidigen oder zu entschuldigen. Er hat aber seine Strafe dafür bekommen und auch verbüßt.

Es ist also die künstlerische Beurteilung des Menschen Otto Mühl von seiner künstlerischen Tätigkeit zu trennen. Es ist auch sein Gesamtwerk mit der Schwere seiner Verfehlungen in der öffentlichen Auseinandersetzung zu beurteilen. (Bundesrat Mag. Gudenus: Jetzt machen Sie Werbung!) Das heißt aber, daß diese Beurteilung jeder für sich zu treffen hat.

Fest steht auch, daß Otto Mühl einer jener Repräsentanten des Wiener Aktionismus war, die diese repräsentative österreichische Kunstrichtung sehr wesentlich beeinflußt haben, und daß er seinen Platz in der Kunstgeschichte gefunden hat. Der Wiener Aktionismus war eine jener Kunstströmungen, die die zeitgenössische Kunst in Österreich weit über die Grenzen Österreichs hinaus international zur Geltung gebracht hat.

Ich möchte darauf verweisen, daß derzeit eine Ausstellung des Wiener Aktionismus im Museum of Contemporary Arts in Los Angeles zu sehen ist, was die internationale Notwendigkeit bedeutet, sich mit dem künstlerischen Schaffen dieser Gruppe auseinanderzusetzen. (Bundesrat Mag. Gudenus: Jetzt machen Sie Werbung für ihn, nicht wahr, Herr Staatssekretär?! Warum machen Sie Werbung für ihn?! Es sollten doch auch andere Künstler eine Chance haben, daß Sie Werbung für sie machen, Künstler, die nicht verurteilt waren!)

Es liegt mir völlig fern, für irgend jemanden Werbung zu machen, sondern ich stelle fest, worum es sich bei der Angelegenheit Mühl handelt, nämlich einerseits um die Verfehlungen, die strafrechtlich abgeurteilt wurden, die auch zu Recht mit einer Strafe versehen wurden, die verbüßt wurde, und andererseits um die Beurteilung des Schaffens des Künstlers Otto Mühl.

Ich glaube aber auch, daß es ein sehr wichtiger und entscheidender Punkt ist, daß sich die Politik nicht in die Gestaltung des Spielplanes eines Hauses einmischt, sondern die Entscheidung über die Gestaltung des Spielplanes eines Hauses demjenigen überläßt, dem sie die Leitung dieses Hauses anvertraut hat. Es ist daher notwendig, den künstlerischen Leiter eines solchen Hauses autonom entscheiden zu lassen, was er auf seinen Spielplan setzt. Ich halte es für eine der wichtigsten Aufgaben der Politik, sich nicht in das künstlerische Tagesgeschäft dieser Spielleiter einzumischen. Ich glaube, daß es in diesem Bereich eine autonome Entscheidung geben muß und daß die Spielpläne nicht durch die Politik beeinflußt werden sollen.

Die Freiheit der Kunst geht für mich so weit, daß man dem künstlerischen Leiter eines Hauses die Gestaltung seines Spielplanes zu überlassen hat, auch wenn man sich nicht unbedingt mit Form oder Inhalt seines Spielplanes identifiziert. Das ist eine politische Entscheidung, die wir so handhaben, und ich bin froh, in einem Land zu leben, in dem Entscheidungen entgegen der politischen beziehungsweise öffentlichen Geschmacksrichtung möglich sind und in dem diese Möglichkeit dem jeweiligen Verantwortlichen auch eingeräumt wird. (Bundesrat Mag. Gudenus: Stehen Sie hinter dem, was Peymann macht?)

Ich werde mich auch in Zukunft nicht in die Spielplangestaltung der einzelnen Häuser einmischen. Es gibt im Laufe eines Spieljahres Produktionen, die mir gefallen, und einige andere Produktionen, die mir nicht gefallen. (Bundesrat Mag. Gudenus: Hat die gestrige Ihnen gefallen?!) Das ist aber meine persönliche Einschätzung, und ich glaube nicht, daß meine persönlichen Befindlichkeiten hier Thema der Anfrage sind. (Zwischenruf der Bundesrätin Dr. Riess-Passer.  – Bundesrat Mag. Gudenus: Es interessiert das Publikum! – Bundesrat Dr. Harring: Das interessiert uns schon!)


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Ich darf jetzt zur Beantwortung der Fragen kommen.

Zur Frage 1: Bei der Veranstaltung am 11. Februar 1998 im Burgtheater wurden die für Lesungen an den Sprechbühnen der österreichischen Bundestheater üblichen Preise, nämlich die halben Preise gegenüber Aufführungen dramatischer Werke, verlangt. Dies wurde auch bei anderen Lesungen, zum Beispiel von Heltau, Loriot, Günter Grass, Handke, Martin Walser und Christoph Ransmayr, so gehandhabt. Es wurde also für die Lesung am 11. Februar 1998 kein Sonderstatus eingeräumt.

Zur Frage 2: Abgesehen von den allabendlich bestehenden Fixkosten sind an Ausstattungskosten 2 000 S, für ein farbiges Podest 7 000 S und für einen Prospekt nochmals 7 000 S Spesen entstanden. Die Honorarfrage werde ich im Zuge der folgenden Ausführungen beantworten.

Zur Frage 3: Die Einnahmen aus der Lesung betrugen 76 475 S inklusive 10 Prozent Mehrwertsteuer.

Zur Frage 4: Dieser Anregung kann vom Österreichischen Bundestheaterverband allein aus bundeshaushaltsrechtlichen Gründen nicht entsprochen werden.

Zur Frage 5: Es wurden keine Leistungsansprüche an die Republik gestellt, da Hilfeleistungen nach dem Verbrechensopfergesetz nur erbracht werden, wenn das Opfer eine schwere Körperverletzung im Sinne des Strafgesetzbuches erlitten hat oder in seiner Erwerbsfähigkeit länger als sechs Monate gemindert wurde. Im vorliegenden Fall ist es eine Aufgabe des Opfers, eine zivilrechtliche Klage gegen den jeweiligen Täter einzubringen, eine Klage kann von Staats wegen nicht stattfinden. Das ist in unserer Rechtsordnung nicht ausreichend fundiert.

Zur Frage 6: Dem Autor wurde für die Lesung seiner Werke sowie für seinen Auftritt ein Honorar in der Höhe von 14 000 S aus dem Budget des Burgtheaters bezahlt. Reise- und Hotelspesen fielen keine an.

Zur Frage 7: Soweit es im jetzigen Kompetenzbereich des Bundeskanzleramtes liegt, ist weder Otto Mühl noch seiner Kommune eine Subvention zugesprochen worden.

Zur Frage 8: Das Buch "Aus dem Gefängnis 1991 – 1997" wurde nicht subventioniert.

Zur Frage 9: Von seiten des Bundeskanzleramtes gibt es keine Pläne, das Werk Otto Mühls anzukaufen.

Zur Frage 10: Die Frage nach der Erfüllung des Kulturauftrages des ORF ist nicht Gegenstand der Vollziehung des Bundeskanzleramtes. Ich glaube aber persönlich, daß der ORF in verschiedenen Sendungen, insbesondere auch gestern, in einer sehr umfassenden Art und Weise versucht hat, diesem Thema gerecht zu werden.

Zu den Fragen 11 und 12: Weder der Herr Bundeskanzler noch ich haben Herrn Mühl eine Präsentationsmöglichkeit eingeräumt. Es war dies die autonome Entscheidung der Leitung des Burgtheaters.

Zu den Fragen 13 und 14: Wir haben den Abend im Wiener Burgtheater nicht unterstützt. Wir nehmen auf die gesamte Spielplangestaltung und einzelne Abende aus Gründen der künstlerischen Autonomie und Freiheit keinen Einfluß.

Zur Frage 15: Aufgrund der Tatsache, daß das Burgtheater eines der bedeutendsten Sprechtheater ist, bedarf es keinerlei gesonderter Einzelveranstaltungen, um seine Situation zu verbessern.

Zur Frage 16: Die Betriebsräte des künstlerischen und technischen Personals haben am 15. Jänner 1998 ein Protestschreiben an Direktor Peymann mit dem Ersuchen um umgehende Stellungnahme gerichtet, das mit Schreiben vom 19. Jänner 1998 beantwortet wurde. Darüber hinausgehende Aktionen der Betriebsräte sind nicht erfolgt.


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Zur Frage 17: Ja, mehrere Schauspielerinnen und Schauspieler haben die Mitwirkung an dieser Lesung aus inhaltlichen Gründen verweigert. Dazu ist jedoch anzumerken, daß die Teilnahme an Lesungen gemäß dem Schauspielergesetz nicht verpflichtend ist.

Zur Frage 18: Ich persönlich habe in einem Interview mit der Tageszeitung "Die Presse" gesagt, daß es eine autonome Entscheidung des Direktors ist, wie er die künstlerische Gestaltung seines Hauses vornimmt, und es nicht Aufgabe der Politik sein kann, in künstlerische Entscheidungen der Häuser einzugreifen. Es gibt Direktoren, die dafür verantwortlich sind, und man sollte ihnen diese Autonomie lassen und in keiner Form eingreifen. Das ist für mich ein Credo, welches ich auch weiterhin befolgen werde. Das ist auch das Credo, das ich heute neuerlich hier ablege und das unabhängig von der Situation des Otto Mühl zu sehen ist.

Zur Frage 19: Es liegt in der Natur der Sache, daß nicht immer alle Vorstellungen des Burgtheaters exakt den Vorstellungen der politisch Verantwortlichen entsprechen. Ich bin aber davon überzeugt, daß niemand ein System halten wollte, auf das diese von Ihnen gewählte Formulierung zutrifft. Ich habe bereits ausgeführt, daß wir – im Gegenteil – versuchen, die Autonomie der Theater zu stärken, und zwar sowohl künstlerisch als auch ökonomisch.

Im wesentlichen würde ich bei der sehr emotionalen Behandlung dieses Themas die Trennung zwischen dem Menschen Otto Mühl mit den nicht zu verharmlosenden Verbrechen, die er begangen hat, und dem Werk Otto Mühls als Künstler durchaus in meine Überlegungen einbeziehen, weil in diesem Fall zwei unterschiedliche Betrachtungsweisen angebracht sind. Es kann nicht sein, daß wir über das Strafrecht hinausgehende Verfolgungsmaßnahmen setzen, wenn es sich um einen Künstler handelt. – Danke.

19.17

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Wir gehen nunmehr in die Debatte ein.

Ich mache darauf aufmerksam, daß gemäß § 61 Abs. 7 der Geschäftsordnung die Redezeit jedes Bundesrates mit insgesamt 20 Minuten begrenzt ist.

Zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesrat Gudenus. Ich darf ihn bitten, das Wort zu ergreifen, und weise nochmals auf die 20 Minuten Gesamtredezeit hin.

19.17

Bundesrat Mag. John Gudenus (Freiheitliche, Wien): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Staatssekretär! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Jetzt richte ich meinen Gruß auch an jemanden, der nicht hier anwesend ist, nämlich an Herrn Mag. Reinhard Kohlprath, wohnhaft in der Zahnradbahnstraße in Wien 19. Er hat nämlich einen Brief an den Bundeskanzler gerichtet, und dieser Brief vom 11. Februar gelangte auch in meine Hände.

Ich gebe Herrn Mag. Kohlprath in allen Punkten seines Schreibens zu Otto Mühl recht – mit einer Ausnahme: Meine Parteifreunde und ich, wir widersprechen sehr wohl. Wir sind nämlich empört, und ich persönlich bin geniert ob des Schweigens der von ihm angeführten Personen am Ballhausplatz, im Parlament und in den Ministerien. Wir Freiheitliche schweigen nicht zu dem Skandal, Otto Mühl ein öffentliches Auftreten zu ermöglichen und sich dabei hinter dem Paravent der Freiheit der Kunst und der Freiheit des Burgtheaters zu verstecken!

Ja, Thomas Bernhards Kunstfigur "Professor Robert" aus dem "Heldenplatz" hat in ihren Ausfällen über den mentalen und moralischen Zustand unseres Gemeinwesen recht! Ich greife Immanuel Kants Aufforderung auf, die da lautet: Habe Mut, dich deines Verstandes zu bedienen und dies auch öffentlich auszudrücken!

Ich habe den Mut, zu sagen, daß mir dieses Verhalten um und mit Otto Mühl auf keinen Fall gefällt und nicht toleriert werden kann. Es geht nicht um die Kunst Otto Mühls, es geht um ihn und um die Behandlung und Lächerlich-Machung der Republik und der österreichischen Justiz, Herr Staatssekretär! Und das wollen Sie nicht wahrhaben! (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Hohes Haus! Der öffentliche Diskurs um der Sache willen ist in unserer Gesellschaft unüblich und unterentwickelt. Ich klage den Zeitgeist an, ich klage die Tugendterroristen an, und ich klage


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auch all jene an, welche die Political Correctness verabsolutieren. Denn es sind diese, die dazu führen, daß jene in Frage gestellt werden, die diese Untaten und das Verhalten der öffentlichen Hand, Herr Staatssekretär, übergehen wollen und sagen, das müßte so sein, das ist in Ordnung. Es ist nicht in Ordnung, Herr Staatssekretär, so wie Sie antworten! (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Herr Staatssekretär Wittmann! Vielleicht sehe ich einen Silberstreif am Horizont, wenn Sie in Ihrer Presseaussendung mit Sperrfrist 18.30 Uhr sagen, man habe sich im Lichte der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung sehr genau auseinanderzusetzen. Tun Sie das, Herr Staatssekretär, bevor es zu spät ist! Das Unbehagen ist landesweit fühlbar, es wird nur kaum ausgesprochen. Aber ich glaube, das Faß ist nahe daran überzurinnen. Oder ist es vielleicht schon übergeronnen? – Sie merken es vielleicht noch gar nicht.

Angeblich haben auch Sie Abscheu vor der Tat. Aber aus Ihren Worten, Herr Staatssekretär, tönt teilweise Wohlwollen dem Täter gegenüber. Sie hätten ganz andere Möglichkeiten, mit Ihren Institutionen umzuspringen und umzugehen. Sie brauchen nicht umzuspringen, Sie brauchen nur korrekt umzugehen. (Bundesrat Meier: "Umspringen"!) Sie haben sich im Bundeskanzleramt die Kunst als Ihr Metier zugelegt, als Ihren Aufgabenbereich. Dann tun Sie etwas! Agieren Sie! Verstecken Sie sich nicht hinter dem Pult dort und da! (Staatssekretär Dr. Wittmann: Ich will aber nicht umspringen!)

Herr Staatssekretär! Hat Otto Mühl eine zeitgemäße Gesinnung, um mit Freunden an den Schalthebeln der Medien mit Bevorzugung rechnen zu können? – Das fragt Professor Marian Heitger im heutigen "Kurier". Oder sind nach Orwell einige eben gleicher? – Fast habe ich den Eindruck. Werden Sie jedem, der aus dem Gefängnis herauskommt, ebenso zubilligen, daß er im Burgtheater auftritt? – Ich könnte einige Namen nennen, da würde es Ihnen die Haare aufstellen, wenn diese Leute im Burgtheater oder sonstwo aufträten. Vielleicht könnte es mit dem einen oder anderen sogar eine Lesung im Parlament geben.

Das ist doch eine Lächerlich-Machung! Verstecken Sie sich nicht! Treten Sie auf! Seien Sie ein Mann! Wehren Sie sich gegen diese Anwürfe! (Beifall bei den Freiheitlichen. – Staatssekretär Dr. Wittmann: Ich sollte herumspringen!)

Man spricht vom "Burgtheater des Herrn Peymann" so, als ob er es von Ihnen zum Lehen bekommen hätte. Das ist doch nicht der Fall! Die Zeit eines Lehens des Burgtheaters oder ähnlicher Einrichtungen haben wir alle gemeinsam 1848 von uns geschüttelt. (Staatssekretär Dr. Wittmann: Aber nicht die politische Einstellung!) Stellen Sie dieses System nicht in Frage, Herr Staatssekretär! (Beifall bei den Freiheitlichen. – Bundesrat Konečny: Da war er auch schon dabei?) Nun ja, sehr verehrter Herr Kollege, ich sage Ihnen einmal mehr: Es ist schade, wenn ein Gescheiter manchmal ungescheite Sachen sagt. (Bundesrat Konečny: Aber auf welcher Seite sind jene, für die Sie heute reden, damals gestanden?)

Man spricht auch von Zeilers Rundfunk und von seiner Clique. Wem gehört der Österreichische Rundfunk, meine Damen und Herren? – Es ist der Österreichische Rundfunk! Er gehört uns allen, der Republik, und nicht irgendwelchen Leuten, die ihn sich unter den Nagel gerissen haben und Werbung für Otto Mühl, diesen Kriminellen, machen, daß es einem zum Hals heraushängt. Werbung für Kriminelle! Nicht seine Kunst steht hier zur Debatte, nur seine Taten und die Art, wie diese in dieser Republik abgehandelt werden.

Das demokratische Gleichheitsprinzip wird verletzt, Herr Staatssekretär! Tabuverletzern, Alternativen klar linkslinken Zuschnitts stehen die Türen zu Hochburgen der Meinungsmacher offen. Ich rede nicht der Zensur oder faschistischem Handeln das Wort. (Staatssekretär Dr. Wittmann: Nein, was denn?!) Nein! Dieses Verhalten ist schon von der Gegenposition besetzt, Herr Staatssekretär! Denn wer Medien und staatliche Einrichtungen nur oder vorwiegend einer bestimmten Meinung öffnet, meine Damen und Herren, der übt Zensur aus. Andere Meinungen werden nicht zugelassen! Schauen Sie sich doch das Burgtheater oder den ORF an! Es sind immer die gleichen Leute, die dort in Diskussionen sitzen, immer die gleichen Leute, die bestimmen, was in ist und wer schlecht ist und wer "pfui" ist.


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Wehren Sie sich dagegen! Werden Sie Demokrat, Herr Staatssekretär! (Staatssekretär Dr. Wittmann: Ich bin schon einer!) Sie sind jung, Sie haben noch die Chance dazu. (Beifall bei den Freiheitlichen. – Staatssekretär Dr. Wittmann: Trotz meiner Jugend bin ich schon Demokrat!) Hier arbeitet man jenen zukünftigen Diktatoren in die Hand, welche das Gleichheitsprinzip in der Behandlung von Umständen negieren.

Aber von wegen Diktatoren: Es trifft sich ganz gut, eben feiert man den 100. Geburtstag des Bertolt Brecht, als ob er nur Literat und Künstler gewesen wäre. Er war ein Wegbereiter, ein Stangenhalter des Panzerkommunismus! Da ist es genauso. Die 100 Millionen Toten in dem System, für das er sich künstlerisch hergegeben hat, werden nicht erwähnt! Wobei ich sagen muß, ich sehe ihn gern, ich höre ich gern, am liebsten noch seine Musik. Das ist das eine. Aber die kritische Auseinandersetzung mit Bertolt Brecht hat nicht nur auf dem künstlerischen Gebiet zu erfolgen, sondern auch auf politischem Gebiet. Er ist ein Systemerhalter des Kommunismus gewesen! (Bundesrat Payer: Das ist aber schon Ihre private Meinung!)

Und Otto Mühl? – Er agiert mit Staatsgeldern. Sie sagen, er hat keine bekommen. Immerhin hat ihm die burgenländische Landesregierung mit 43 Millionen ein gutes Startgeld gegeben. Ist das kein Staatsgeld? – Auch ein Bundesland ist Teil des Staates, Herr Staatssekretär! Zu Lasten der Schwächsten, der Kinder, und der von ihm sektengleich abhängigen Erwachsenen hat er sich ein System aufgebaut. Und da sagen Sie, das ist nichts? (Bundesrat Prähauser: Zu einer Zeit, als die Verbrechen noch nicht bekannt waren!)

Das ist schon richtig, aber auch jetzt gibt er bekannt, daß er wieder mit einer Gruppe zusammenlebt. Ich möchte nicht behaupten, daß das nur schlecht ist, so derart nichts ist es aber auch nicht. Er bemüht sich weiterhin. Er ist nicht einsichtig, Herr Kollege! Nehmen wir zur Kenntnis: Der Mann veräppelt die österreichische Justiz! Er veräppelt auch Sie, auch wenn Sie es nicht wahrhaben wollen. Wirklich wahr! (Ironische Heiterkeit bei der SPÖ. – Bundesrat Prähauser: Mich sicher nicht!) Sie nicht. Gut, das ist vernünftig, daß Sie sich gar nicht davon tangiert fühlen. Ich hoffe, Sie kaufen keine Bilder oder so etwas. (Neuerliche Heiterkeit.)

Die Werke von Otto Mühl werden durch das Herzeigen und öffentliche Veranstaltungen preislich hochgetrieben. Es ist unanständig, Otto Mühl zu kaufen, das sage ich Ihnen! Er und sein Galerist leisten diesem System Vorschub. Aber die Frage ist: Wird durch die hereingekommenen Gelder Wiedergutmachung an den Opfern geleistet? Wird der Staat in seiner Prozeßführung und seiner Unterbringung in einem Gefängnis schadlos gehalten? Oder laufen diese Gelder nur ihm persönlich und seiner Clique in die Tasche? – Das wäre zu überprüfen.

Otto Mühl ist uneinsichtig und nicht resozialisierbar. Das sagt er selbst. Das geht doch einfach nicht! Er ist auch nicht vergleichbar mit Rimbaud und Verlaine, mit Schiele und Rushdie. Er ist tatsächlich ein Verbrecher! Er hat diesen Staat zum Teil um die Jugend dieses Staates und ihre Zukunft betrogen. Und da stellen Sie sich hierher und meinen, es sei allein Sache des Herrn Peymann, wer im Burgtheater auftritt. Ich erwarte nicht, daß Sie es Peymann offen sagen, aber schicken Sie ihm ein Kassiberl! Da gibt es ein paar Leute im Amt, die das hinübertragen und sagen sollen, es mißfällt Ihnen. (Staatssekretär Dr. Wittmann: Aber ich will das nicht!) Das spricht gegen Sie und nicht gegen Peymann. Tun Sie es! Seien Sie aktiv, Herr Staatssekretär! (Staatssekretär Dr. Wittmann: Nein!) Sie sind ein passiver Staatssekretär. (Staatssekretär Dr. Wittmann: Nein, ein aktiver! Ich verteidige Peymann gegen diesen Angriff!)

Er hat seine Ideologie auf dem Rücken der Schwachen aufgebaut und macht jetzt Geschäfte. Er macht Geschäfte, und es gibt andere Künstler, die anständig sind. Da kenne ich eine Frau Helga Pasch, da kenne ich einen Stark in der Liliengasse, da kenne ich einen Odin Wiesinger oder einen Helmut Ditsch, der vor geraumer Zeit hier im Parlament ausgestellt hatte. Sie haben keine Skandale gemacht. Sie haben nicht diese Gratiswerbung durch Ihre Einrichtungen.

Herr Staatssekretär! Das sind die Ihnen unterstellten Einrichtungen! Ja, Sie nicken, jawohl, Sie nicken. Dann tun Sie etwas und nicken Sie nicht nur! Das Nicken ist mir zuwenig, Herr Staatssekretär! Das tut das Pferd beim Brunnen auch.


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Herr Staatssekretär! Wenn Sie sagen, das Bundeskanzleramt wird derzeit keinen Einfluß auf Ankäufe ausüben oder es wird nichts angekauft – das steht in Ihrer Aussendung –, dann zweifle ich daran, denn möglicherweise kaufen Museen, die Ihnen unterstehen, etwas an (Staatssekretär Dr. Wittmann: Sie unterstehen mir nicht!) , möglicherweise kaufen Einrichtungen, die Ihnen unterstehen, etwas an. (Staatssekretär Dr. Wittmann: Die Museen unterstehen mir nicht!) Sie üben nur Ihren Einfluß nicht aus! Ein Staatssekretär, meine Damen und Herren, der seinen Einfluß nicht ausübt, ist obsolet. Schaffen wir ihn ab! Ein Wittmann schafft sich selbst ab, weil er nicht Einfluß nimmt. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Aber wenn es stimmt, daß das Bundeskanzleramt keine Ankäufe vornimmt und nicht vorhat, das zu tun, dann kann ich nur sagen: Hoffentlich tun das auch die Privaten nicht! Damit meine ich, der Fall Mühl gehört auf die Müllhalde. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

19.30

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Als nächster zu Wort gemeldet ist Herr Mag. Himmer. – Bitte.

19.30

Bundesrat Mag. Harald Himmer (ÖVP, Wien): Hohes Haus! Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Staatssekretär! Wir haben gerade bei der vorherigen Debatte und in den letzten Monaten immer wieder über den sexuellen Mißbrauch von Kindern diskutiert, und ich glaube, wir alle waren empört, wir alle waren betroffen.

Vor diesem Hintergrund, meine ich, muß man kein prüder Kleinbürger sein, wenn man mit Verständnislosigkeit das Wohlwollen einiger betrachtet, mit dem sie dem Straftäter Otto Mühl gegenübertreten. Otto Mühl ist ein Verbrecher, der zwar seine Haftstrafe abgebüßt hat, sich aber in keiner Weise von seinen widerlichen Vergewaltigungen und Kinderschändungen distanziert hat. (Beifall bei ÖVP und den Freiheitlichen.)

Herr Staatssekretär! Ich möchte an dieser Stelle einen Unverdächtigen zitieren, nämlich Herrn Professor Ernst Hanisch, der als anerkannter Historiker über die Zeit, in der Otto Mühl bekannt wurde, folgendes schreibt: "Das Umschlagen des Wiener Aktionismus in ein faschistisches Modell, das Robert Musil bereits vor dem Ersten Weltkrieg exemplarisch analysiert hatte, läßt sich am Beispiel Otto Mühl nochmals aufzeigen. Dieser ehemalige Mittelschullehrer, der bei den ersten Veranstaltungen der Wiener Aktionisten führend mitmachte, sich dann eine eigenwillige Psychologie zurechtbastelte, gründete die Aktionsanalysekommune, eine Art Sexkloster mit dem Gründer als Abt, die zwischen 1971 und 1991 ungefähr 2 000 Menschen anzog.

Das Feindbild hieß – dem Zug der Zeit folgend –: sexuelle Zweierbeziehung, Kleinfamilie. Der Traum nährte sich von der Freisetzung der Sexualität, die nicht nur durch die Schranken des Privateigentums oder stabiler Partnerbeziehungen behindert sein sollte. Bereits vor dem Ersten Weltkrieg habe die individuelle Vision der befreiten Sinne bei Gustav Klimt zur Angst des Mannes vor dem Weibe geführt.

Das kollektive Experiment der Mühl-Kommune endete in der Diktatur. Die freie Sexualität wurde durch einen genauen Sexplan reglementiert. Die Folgen waren häufige Impotenzfälle. Der Traum einer absoluten Selbstbestimmung schuf neue, harte Hierarchien, die vom Sektenführer Mühl völlig abhängig waren. Die Negation des Privateigentums wandelte sich in den Ausbau eines Geschäftsimperiums, die freie antiautoritäre Erziehung griff rasch zur traditionellen Watschen als Disziplinierungsmittel. Wie eine ehemalige sogenannte ,Erste Frau‘ trauernd konstatierte: ,Wir, die wir anfänglich gegen die autoritäre Vatergesellschaft protestierten, endeten mit einem faschistischen Erziehungsideal.‘"

Ich möchte das an dieser Stelle sagen, weil ich gerade der Geschichte der Sozialdemokratie nicht ohne Respekt gegenüberstehe, und ich frage mich, wie die Kollegen der Sozialdemokratie damit umgehen, daß hier ein faschistisches Erziehungsideal zugrunde liegt, und wie sehr man das dann noch unter "Freiheit der Kunst" zu subsumieren bereit ist.


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636. Sitzung / Seite 152

Meine Damen und Herren! Hohes Haus! Wie konnte es zur Aufführung – wie das in einer Zeitung so passend gebracht worden ist – dieses "trostlosen Schmarrens" im Burgtheater kommen?

Ich glaube, wir alle hier wissen, wer Claus Peymann bestellt hat, und es ist zweifellos die Verantwortung derer, die Peymann als Burgtheaterdirektor haben wollten. Sie tragen jetzt auch die Verantwortung für das, was im Burgtheater stattfindet. (Beifall bei ÖVP und den Freiheitlichen.) Da kann man sich nicht so einfach davonschleichen. (Bundesrat Mag. Gudenus: So ist es! – Bundesrat Dr. Böhm: So ist es!)

Claus Peymann ist ein sehr begabter Regisseur, ein sehr unfähiger Manager und ein erbärmlicher Mensch. (Beifall bei ÖVP und den Freiheitlichen.)

Wie anders, bitte, ist es zu erklären, daß man in der Zeitung von einem "fröhlich lachenden Peymann" liest, der sich amüsiert, während Otto Mühl seine Anschuldigungen gegen den Generalverbrecher Staat und Kirche vorbringt oder darüber reflektiert, wie man Parkinson für sexuelle Praktiken nützen kann. Ich glaube, daß da die Grenzen der Freiheit der Kunst – zumindest das muß man sich auch herausnehmen dürfen – überschritten worden sind. (Bundesrat Mag. Gudenus: So ist es! – Beifall bei ÖVP und den Freiheitlichen.)

Ich möchte mich hier einem Artikel, den Marian Heitger im "Kurier" geschrieben hat, anschließen und folgende Passage daraus vorlesen: "Es geht nicht um die Person des Otto Mühl, es geht auch nicht darum, einem straffällig Gewordenen den Weg in die Gesellschaft zu verbauen. Es geht aber sehr wohl darum, daß hierzulande Personen mit ,zeitgemäßer‘ Gesinnung, mit den entsprechenden Freunden an den Schalthebeln der öffentlichen Medien mit besonderer Bevorzugung rechnen dürfen."

Weiter schreibt er: "Es geht also um die Verletzung des demokratischen Gleichheitsprinzips. Wer eine bestimmte Gesinnung besitzt – als Tabubrecher, als ,Alternativer‘ mit dem Anspruch von ,linker‘ Ideologie –, dem sind die Zugänge zu den Hochburgen der Meinungsmacher weit geöffnet." (Bundesrat Mag. Gudenus: So ist es!)

"Man komme mir ja nicht mit dem Einwand von Zensur und der Tendenz zu faschistischem Denken. Das trifft nämlich umgekehrt gerade für die Gegenposition zu: Wer die Medien nur oder vorwiegend einer bestimmten Meinung öffnet, der übt Zensur aus; versteckt, aber umso wirkungsvoller.

Wer das Gleichheitsprinzip nicht achtet, der arbeitet den Diktatoren in die Hand. Dem gilt es vorzubeugen, aber auch jener Ideologie, die die Instrumentalisierung des wehrlosen Kindes zu eigenem sexuellen Genuß propagiert, und das noch mit der Unterstützung öffentlicher Gelder." – Dem ist im Grunde kaum etwas hinzuzufügen.

Ich möchte an dieser Stelle auch die Medien zum Nachdenken anregen. Sie, Herr Staatssekretär, und Ihre Fraktion möchte ich sehr herzlich einladen, darüber nachzudenken, wie Sie jene Kräfte in Ihrer Fraktion zurückdrängen, durch die frustrierte Achtundsechziger geschützt und unterstützt werden, sodaß unter dem Deckmantel der Freiheit der Kunst manche ausschließlich ihre Egomanie ausleben und in ihrer Primitivität nur durch Provokation ihre Befriedigung finden können. Sonst sind Sie es, die einem undifferenzierten Kulturkampf, an dem wir alle kein Interesse haben, den Nährboden liefern. (Beifall bei ÖVP und den Freiheiltichen.)

19.38

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Als nächster zu Wort gemeldet ist Herr Dr. Ludwig. – Bitte.

19.38

Bundesrat Dr. Michael Ludwig (SPÖ, Wien): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Staatssekretär! Meine Kolleginnen und Kollegen! Emotionen in der Politik sind manchmal sinnvoll, nur besteht oft die Gefahr, daß die Fakten dabei etwas untergehen. Ich möchte sie daher für unsere gemeinsame Diskussion rekapitulieren:


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636. Sitzung / Seite 153

Otto Mühl ist für die von ihm begangenen Vergehen verurteilt worden und, wie ich meine, auch zu Recht verurteilt worden. Er hat mit einer langjährigen Haftstrafe seine Taten gebüßt. – Das zum einen. Zum anderen gibt es in der Öffentlichkeit eine sehr rege Diskussion über seine Person, über sein Werk, und im Unterschied zu Ihnen, Herr Kollege Gudenus, bin ich der Meinung, daß der ORF sehr korrekt berichtet und die Vergehen Otto Mühls sehr wohl in die Berichterstattung über den Künstler Otto Mühl eingebracht hat. Es sind in vielen Beiträgen des ORF in verschiedensten Sendungen Befürworter, aber auch Gegner und Kritiker Otto Mühls sehr sachlich zu Wort gekommen, und dank dieser Berichterstattung konnten alle, die an dieser Veranstaltung im Burgtheater nicht teilgenommen haben – ich nehme an, das werden wir alle in diesem Saal sein –, auch hören, daß es dort sehr kontroversielle Meinungen gegeben hat, auch im Publikum.

Wegen dieser Reaktionen gehe ich davon aus, daß dieses Dramolett und diese Lesung sicherlich kein Höhepunkt in der Geschichte des künstlerischen Schaffens des Burgtheaters waren. (Beifall des Bundesrates Mag. Gudenus. ) Dennoch kann es nicht Aufgabe der Politik – weder des Bundeskanzlers noch des Staatssekretärs – sein, den Spielplan des Burgtheaters oder eines anderen Theaters zu bestimmen. Dazu gibt es eben künstlerische Leiter und Direktoren, die im Rahmen der Autonomie des Theaters für die Programmgestaltung verantwortlich sind. Wenn man für politische Intervention im Theaterbetrieb eintritt, sollte man ehrlicherweise dazusagen, daß man Zensur meint. Das soll man dann offen sagen. Und diese Zensur lehne ich ab! (Bundesrat Mag. Gudenus: Sie machen ja eine Gegenzensur!)

Herr Gudenus! Wohin Sie mit Ihrer Kritik wollen, das haben Sie auch in den vielen Beispielen zum Ausdruck gebracht, die Sie angeführt haben und die mir zeigen, daß es Ihnen nicht um Otto Mühl und auch nicht um seine Person geht, sondern daß es Ihnen sehr wohl um eine politische Auseinandersetzung mit verschiedensten Formen der Kunst und Kultur geht.

Wenn Sie im Jahre 1998 noch immer einen Brecht-Boykott verlangen, kann ich nur sagen: Das ist eine Geisteshaltung, mit der ich mich nicht identifizieren kann und die ich auf das heftigste ablehnen muß. (Beifall bei der SPÖ. – Bundesrat Mag. Gudenus: Das habe ich nie verlangt! Ich verlange eine politische Auseinandersetzung!) Was fordern Sie denn? – Sie fordern keinen Diskurs über das Werk von Brecht, sondern Sie fordern die Beeinträchtigung des Spielplanes. (Bundesrat Mag. Gudenus: Das habe ich nicht gesagt! Nein!) Das war es, was Sie zum Ausdruck gebracht haben, auch im Vergleich zwischen Otto Mühl und Bert Brecht. (Bundesrat Mag. Gudenus: Sie unterstellen mir etwas, das ich nie gesagt habe!) Gut!

Otto Mühl zählt neben Günter Brus und Hermann Nitsch zu den Hauptexponenten des Wiener Aktionismus, einer der wichtigsten Kunstrichtungen der letzten Jahrzehnte. Apropos Hermann Nitsch: Ich habe noch im Ohr, wie sich viele Funktionäre der Freiheitlichen über ihn, sein Orgien-Mysterien-Theater, seine Schüttbilder und Aktionismen geäußert haben. (Bundesrätin Dr. Riess-Passer: Das wird man wohl noch sagen dürfen! Darf ich schon eine eigene Meinung haben, oder?) Ja, natürlich! Wenn man sieht, wie Ihr Bundesparteivorsitzender heutzutage Hermann Nitsch beispielsweise hofiert, sieht man, wie relativ manche Kunstbetrachtung ist. Das will ich damit zum Ausdruck bringen. (Beifall bei der SPÖ.)

Wenn mir auch persönlich viele Happenings und Aktionen nicht zusagen, nehme ich doch zur Kenntnis, daß sich viele Menschen für diese Art der Kunst interessieren und sich auch kritisch mit ihr auseinandersetzen. Das haben letzten Endes der sehr starke Publikumszustrom ins Burgtheater bei dieser Lesung und die kritischen Auseinandersetzungen des Publikums gezeigt. Das ist auch gut und richtig so, wie ich meine. Das muß aber dennoch heißen, daß Menschen, die sich für bestimmte Kunstformen interessieren, die Möglichkeit bekommen sollen, sich auch mit derartigen Kunstformen auseinanderzusetzen, sei es aus künstlerischem Interesse, sei es aus Sensationslust, aus Neugierde oder um sich persönlich damit auseinanderzusetzen.

Abschließend: Ich verurteile so wie die anderen Mitglieder meiner Fraktion die strafrechtlich relevanten Taten Otto Mühls, für die er gesühnt hat. Ich trete aber dafür ein, daß sich Menschen künstlerisch äußern dürfen, auch wenn es Kritik an deren Äußerungsformen gibt. Und ich trete vor allem dafür ein, daß Theater in Österreich unbeeinflußt von politischer Intervention ihre Programme gestalten können. – Danke. (Beifall bei der SPÖ.)

19.42


Bundesrat
Stenographisches Protokoll
636. Sitzung / Seite 154

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach:
Als nächster zu Wort gemeldet ist Herr Dr. Bösch. – Bitte.

19.42

Bundesrat Dr. Reinhard Eugen Bösch (Freiheitliche, Vorarlberg): Frau Vizepräsidentin! Herr Staatssekretär! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Ludwig! Uns Freiheitlichen geht es heute nicht um eine Debatte über die Freiheit der Kunst, die auch für uns unbestritten ist, sondern uns geht es heute eindeutig darum, in diesem einen Bereich die Doppelzüngigkeit der Bundesregierung und ihrer Politik aufzuzeigen. Denn, Herr Staatssekretär, das können Sie sich merken: Es ist keine Trennung möglich zwischen dem Künstler Otto Mühl und dem, der die Verbrechen begangen hat! (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Bei der gestern in einem aus öffentlichen Mitteln subventionierten Theater abgehaltenen Veranstaltung wurde auch jenes schon zitierte Buch "Otto Mühl. Aus dem Gefängnis 1991 – 1997. Briefe/Gespräche/Bilder" verkauft. Darin heißt es – nunmehr vom Künstler Otto Mühl, um bei Ihrer Trennung zu bleiben –, wenn ich kurz zitieren darf: "Im Kampf gegen die vom Christentum produzierten sozialen Neurosen greift Mühl frontal die Familie an, die er – zu Recht – als das erste Glied in der Kette der Askese betrachtet. Statt des Paares, der Heirat, der Treue, der Monogamie forciert er die freie Sexualität, die einzig den Launen jener gehorcht, die sich zu ihr bekennen."

Herr Staatssekretär! Ist das jetzt der Künstler, oder ist das der Kinderschänder Mühl? – Diese Trennung müssen Sie mir noch genauer zeigen.

In weiterer Folge gibt Mühl in einem Interview mit der Herausgeberin dieses Buches auch noch Einblick in sein Geistes- und Seelenleben. Er sagt:

"Also, wenn man mich ins Burgtheater gelassen hätte" – er konnte damals nur im Konjunktiv sprechen, heute könnte er schon im Imperfekt oder Perfekt sprechen, denn man hat ihn gelassen –, "hätte ich alles, was es auf der Welt gibt, dargestellt: Einen Vater, der Kinder schändet. Zum Schluß ist er noch Gefängnisdirektor. Oder Richter. Draußen ist er ganz brav und anständig. Ein Nazi ist er, ein Mörder ist er. Er macht alles, keine Geisteskrankheit, keine Perversität, die es auf der Welt gibt, läßt er aus. Die Kinder sind auch schon toll, die ficken untereinander, es geht drunter und drüber in der Familie. Und nach außen sind sie anständig. Das gäbe ein Theaterstück! Da bleibt kein Auge trocken." (Bundesrat Dr. Böhm: In der Tat!)

Meine Damen und Herren! Es blieb leider kein Auge trocken. Wir als Oppositionspartei haben heute überhaupt keine Veranlassung, eigene Argumente zu finden. Die Argumente liefert uns nämlich die Gesellschaft, denn gestern hat die Belegschaft des Burgtheaters vor der Veranstaltung ein Flugblatt verteilt, in dem es heißt:

"Otto Mühl hat heute sein Burgtheaterdebüt. Sie ehren ihn durch Ihre Anwesenheit" – so sprechen die Mitglieder des Ensembles die Besucher der Veranstaltung an, – "Sie ehren damit einen Mann, der im November 1991 verurteilt wurde wegen

1. Unzucht mit Unmündigen

2. Beischlaf mit Unmündigen

3. sittlicher Gefährdung in zahlreichen Fällen

4. Mißbrauch eines Autoritätsverhältnisses und

5. Vergewaltigung eines knapp über vierzehnjährigen Mädchens."

Meine Damen und Herren! Herr Staatssekretär! Ich nehmen Ihnen die faule Ausrede, die Sie hier mit der Trennung dieser Persönlichkeit gebrauchen, einfach nicht ab. Sie haben als der für Kultur verantwortliche Staatssekretär alle Folgen, die von diesem Auftritt ausgehen, zu tragen,


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und Sie haben auch die politischen Konsequenzen zu ziehen. Daß Sie hier ein politisches Klima hofieren und fördern, das all diese Dinge möglich macht, machen wir Ihnen zum Vorwurf.

Es hat auch in der Tageszeitung "Die Presse" einen Artikel gegeben, in dem sich ein Augenzeuge beziehungsweise Zeitzeuge aus der Kommune Friedrichshof zu Wort gemeldet und die Zustände, die dort vorherrschten, geschildert hat. Ich darf zitieren:

"Otto Mühl hat weit mehr Vergehen wider die Menschlichkeit und menschliche Würde begangen, als deren er verurteilt wurde. Neben den Taten, deren er verurteilt wurde, hat er versucht, durch ein perfides System des Psychoterrors viele Mitglieder, vor allem auch Kinder und Jugendliche, seelisch zu zerbrechen, und sich auf psychische und materielle Kosten seiner Untergebenen ein feudales Leben geleistet. ... Die Jugendlichen und Kinder des Friedrichshofes sind seine wirklichen Opfer. ... Es zeigt sich im Verhalten von Mühl die Parallele zu so vielen ideologischen Führern von Sekten, faschistoiden Gruppierungen, aber auch zum untergegangenen Kommunismus."

Sie sehen also, Herr Staatssekretär, daß diese ganze Lebensform, die von Ihnen verteidigt und als Experiment verharmlost wird, durchaus auch von den betroffenen Menschen richtig gesehen wird. Die Doppelbödigkeit Ihrer Politik wird dadurch deutlich, daß es einerseits über Wochen und Monate hinweg in unserem Staat unwidersprochen eine Debatte gibt, in der unstrittig ein vehementer Kampf gegen Kindesmißbrauch und Kinderpornographie gefordert wird, aber andererseits von der Bundesregierung eine solche Situation geradezu herbeigeführt und dann auch noch verharmlost wird. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Die Bundesregierung beschließt auf der einen Seite großartige sogenannte Familienpakete und spricht von 10 bis 15 Milliarden Schilling, die jetzt eingesetzt werden, doch auf der anderen Seite fördert sie jede Einrichtung und jeden politischen, gesellschaftlichen Zug, der die Institution Familie in den Dreck zieht.

Herr Staatssekretär! Wir Freiheitliche protestieren gegen diese Ihre Politik. Merken Sie sich, daß die Freiheit der Kunst für uns und eigentlich – so meinen wir – für jeden anständigen Menschen dort enden muß, wo sie verantwortungslos in das Leben anderer Menschen eingreifen möchte. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

19.49

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Als nächste ist Frau Bundesrätin Dr. Riess-Passer zu Wort gemeldet. – Bitte.

19.49

Bundesrätin Dr. Susanne Riess-Passer (Freiheitliche, Wien): Frau Präsidentin! Herr Staatssekretär! Meine Damen und Herren! Ich möchte mich gerne den vielen richtigen Äußerungen, die heute von diesem Podium aus schon zu hören waren, anschließen und noch einmal in aller Deutlichkeit darauf aufmerksam machen, wie mit diesem "Phänomen" – wie Sie es so schön gesagt haben – Otto Mühl umgegangen wird.

Man braucht nur die Schlagzeilen einiger Medien aus der letzten Zeit anzuschauen. Es gab Schlagzeilen wie: "Mühl ist frei!", "Mühl-Großevent im Burgtheater", "Die Burg und der Häfenliterat", "Comeback des Aktionisten, geläutert und provokant", "Bühne frei für Otto Mühl".

"Bühne frei!" sagen der Herr Bundeskanzler und Sie, Herr Staatssekretär, für Ihren Günstling Otto Mühl. Man muß immer wieder darauf hinweisen, daß Sie, wie auch aus Ihrer Anfragebeantwortung zu erkennen war, bedauerlicherweise die Schwere dieser Verbrechen offensichtlich nicht erkannt haben. Denn Sie haben uns heute hier einen Vortrag über die Verdienste des hervorragenden, unvergleichlichen Künstlers Otto Mühl gehalten. Sie haben aber kein Wort über dessen Opfer verloren, über die Opfer eines Mannes, der wegen Unzucht, Beischlaf mit Minderjährigen, Vergewaltigung und Mißbrauch eines Autoritätsverhältnisses verurteilt wurde.

Sie und der Herr Bundeskanzler sagen "Bühne frei!" für Ihren Günstling Otto Mühl, der zusätzlich zu den vom Gericht nachgewiesenen Fällen noch zahlreiche weitere Opfer zu verant


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worten hat, die so eingeschüchtert wurden, deren seelische Verwundungen so groß waren, daß sie gar nicht mehr die Kraft hatten, ihrem Peiniger entgegenzutreten.

"Bühne frei!" sagen der Herr Bundeskanzler und Sie, Herr Staatssekretär, für Ihren Günstling Otto Mühl, der keinerlei Einsicht in seine Tat, geschweige denn Reue zeigt. "Ich fühle mich total ungerecht behandelt", hat Herr Mühl in mehreren Interviews gesagt. Auf die Frage "Wie haben Sie sich denn durch das Gefängnis verändert?" antwortete Otto Mühl gestern im Fernsehen: "Ich bin noch geiler geworden." Auf die Frage "Gibt es etwas, was Sie nicht mehr tun würden? Gibt es etwas, was Ihnen leid tut?" antwortet Otto Mühl: "Ich möchte mich nur selbst glücklich machen."

"Bühne frei!" sagen Sie, Herr Staatssekretär, und der Herr Bundeskanzler für Ihren Günstling Otto Mühl, der sich als Opfer der Justiz betrachtet. "Das war die Rache der Justiz", sagt Otto Mühl, dem Sie für seine Anschüttungen der Justiz auf Kosten der Steuerzahler noch das Burgtheater andienen.

Ich muß im Zusammenhang mit Ihrer heutigen Anfragebeantwortung, Herr Staatssekretär, auch etwas über die Kosten dieses Abends sagen. Sie haben das jetzt sehr simpel und lapidar auf Kosten für ein Prospekt und ein Podest eingeschränkt. Sie haben wohlweislich vermieden, die Fixkosten eines solchen Abends im Burgtheater zu erwähnen. Vielleicht können Sie das noch nachholen. Das wäre sicherlich interessant.

Sie haben in Ihrer Anfragebeantwortung kein einziges Wort über jene Menschen verloren, die die Opfer dieses Mannes sind. Sie haben nur ein einziges Mal – ich habe sehr genau aufgepaßt – das Wort "Opfer" verwendet. Als es um die Entschädigung gegangen ist, darum, was die Republik für die Opfer Otto Mühls getan hat und nicht für Herrn Mühl, haben Sie gesagt: Es ist Aufgabe der Opfer, ihre Ansprüche durchzusetzen. – Das ist wirklich Zynismus. Da können Sie sich nicht auf irgendwelche haushaltspolitischen Richtlinien ausreden. Das ist eine Frage der Humanität und der Menschlichkeit, und da haben Sie total versagt, Herr Staatssekretär, Sie und der Herr Bundeskanzler, der diese Kunstangelegenheiten zur Chefsache gemacht hat. Ich möchte einmal wissen: Wo ist der Herr Bundeskanzler, wenn es um solche Diskussionen geht? Wo hat denn der Herr Bundeskanzler einmal das Wort in dieser Sache ergriffen? (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Wenn Sie sagen, es ist die autonome Entscheidung eines Bundestheaters, den Spielplan zu bestimmen, dann muß ich sagen: Sehr richtig! Da gebe ich Ihnen völlig recht, und daran soll man auch bei Gott nichts ändern. Wenn allerdings diese autonome Entscheidungsfähigkeit von den Verantwortlichen mißbraucht wird, mißbraucht wird von Ihrem Günstling Peymann, um so etwas zuzulassen, dann sind Sie gefordert, denn sonst brauchen wir keinen Kunstminister! (Beifall bei den Freiheitlichen.)

In diesem Fall brauchen wir überhaupt kein Kunstressort – weder bei Ihnen noch beim Herrn Bundeskanzler –, sondern dann geben wir das Steuergeld Herrn Peymann und sagen ihm: Tun Sie damit, was Sie wollen. Das kann es wohl nicht sein, Herr Staatssekretär!

"Bühne frei!" sagen der Herr Bundeskanzler und Sie, Herr Staatssekretär, für Ihren Günstling Otto Mühl, der alles ablehnt, was diesen Rechtsstaat ausmacht, der sagt: "Ich bin voll Haß gegen jede Institution." – Das ist Anarchie. Das ist etwas, das er nicht vorher in der Friedrichshof-Kommune gesagt hat, sondern etwas, das er nach seiner Haftentlassung gesagt hat. – Soviel zur Resozialisierung des Herrn Mühl.

"Bühne frei!" sagen der Herr Bundeskanzler und Sie, Herr Staatssekretär, für Ihren Günstling Otto Mühl, der nicht das Geringste zur Wiedergutmachung an seinen Opfern unternommen hat, der kein Wort der Entschuldigung über seine Lippen gebracht hat, der im Gegenteil seine Opfer noch verhöhnt, wenn er sagt: "Ich wollte ja auch etwas Gutes machen. Die Mädchen" – hat er gestern gesagt – "waren ja schon gut entwickelt und recht knusprig." – Ja wird Ihnen da nicht schlecht, Herr Staatssekretär, wenn Sie so etwas hören? Berührt Sie das überhaupt nicht, wenn ein Mann, den Sie fördern und dem Sie staatliche Bühnen zur Verfügung stellen, so etwas sagt?


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"Bühne frei!" sagen Sie, Herr Staatssekretär, und der Herr Bundeskanzler für Ihren Günstling Otto Mühl, der seine faschistoiden Methoden bis heute mit Kunst beziehungsweise Künstlertum zu legitimieren versucht. Ich habe dieses Buch mitgebracht, nicht, weil ich die Ferkeleien und Schweinereien des Herrn Mühl hier einem breiteren Publikum zur Kenntnis bringen möchte, sondern weil im Vorwort zu diesem Buch genau die Geisteshaltung vertreten wird, die auch Kollege Himmer schon angesprochen hat, genau die Geisteshaltung, aus der man versucht, den Herrn Mühl als Opfer darzustellen. Da heißt es nämlich:

"Das Denken Otto Mühls ist wahrhaft libertär – im ursprünglichen Sinne des Wortes im 17. Jahrhundert: freigeistig, ohne jede Rücksicht auf die herrschenden sozialen, ethischen, metaphysischen und religiösen Konventionen. ...

Die Haft beweist, daß der Staat selbst die Abweichungen, die seine Existenz rechtfertigen, schafft – vorgeblich um sie auszumerzen. ... Ausbeutung, Gewalt und Entfremdung, um die offenkundigsten Grausamkeiten zu nennen, gehen vom Staat aus, der angeblich dazu dient, sie zu bekämpfen. ...

Im Kampf gegen die vom Christentum produzierten sozialen Neurosen greift Mühl frontal die Familie an, kritisiert Vater- und Mutterschaft des kapitalistischen Regimes", und so weiter. – Der Staat ist also der Verbrecher und nicht Herr Mühl.

Dann kommt man zu dem Schluß, daß man sagt: "Nach wie vor ein Feind der Konventionen, immer noch und mehr denn je rebellisch und aufsässig, nach sieben Jahren Gefängnis, zur Stunde, wo das Zu-Kreuze-Kriechen jenen draußen eine zweite Natur geworden zu sein scheint, wird er zwar geschwächt, krank, physisch angegriffen, doch aufrecht herauskommen."

Aufrecht kommt Herr Mühl aus dem Gefängnis. Aufrecht heißt ohne Reue, aufrecht heißt ohne Schuldbewußtsein und ohne Schuldbekenntnis, aufrecht heißt ohne Bedauern für seine Opfer. Auch Sie, Herr Staatssekretär – das bedauere ich –, haben heute kein Wort des Bedauerns für die Opfer von Otto Mühl gefunden. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

"Bühne frei!" sagen der Herr Bundeskanzler und Sie, Herr Staatssekretär, für Ihren Günstling Otto Mühl auch im ORF. Es gab Sondersendungen anläßlich seiner Freilassung aus dem Gefängnis, in denen reihenweise Freunde des Herrn Mühl auftreten und sagen durften, daß man Herrn Mühl mit anderen Maßstäben messen müsse. Er sei ja ein Künstler, er hätte diese Dinge, die ich jetzt nicht noch einmal wiederholen möchte, zu seiner künstlerischen Entwicklung gebraucht. Das müsse man anders sehen als bei einem gewöhnlichen Menschen. Herr Mühl sei kein Verbrecher, er sei ein Künstler. Es hat Sondersendungen in Ö 3, Österreich 1 und im "Kulturjournal", Auftritte in "Zeit im Bild"-Sendungen und gestern eine Sondersendung über die Kommune Friedrichshof als idyllisches Experiment eines neuen Gesellschaftsmodells gegeben. Dies war – auch das soll man nicht vergessen – einmal ein Paradevorzeigemodell einer sozialistischen Alleinregierung.

Damit Sie auch wissen, wie es in der Kommune Friedrichshof zugegangen ist, möchte ich Ihnen nur sagen, wie dort die Hierarchien waren. Da wurden die Menschen mit Nummern versehen und durchnumeriert, da war es so, daß die Nummer 15 über die Nummer 16 die volle Gewalt hatte, auch sexuelle Gewalt, die Nummer 16 über die Nummer 17 und die Nummer 17 über die Nummer 18. Das war das Gesellschaftsexperiment des Herrn Mühl, das die sozialistische Partei, Ihre Vorgänger und Sie bis heute offensichtlich als etwas Erstrebenswertes ansehen.

Er scheiterte – auch das ist heute schon einmal zitiert worden und wurde im ORF gesagt – an den Normen des Strafgesetzbuches.

Da möchte ich Sie jetzt fragen, Herr Staatssekretär: Sind Sie der Meinung, daß das Strafrecht in Österreich das Problem ist und nicht Herr Mühl? – Das muß man einmal klären. Denn wenn Herrn Mühl nichts vorzuwerfen ist, dann liegt offensichtlich das Problem am Rechtsstaat. Sind Sie der Meinung, daß nicht der Verbrecher, sondern der Rechtsstaat das Problem ist? Sind Sie der Meinung, daß Otto Mühl ein Opfer ist? Was heißt das für jene Kinder und Jugendlichen, die


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Otto Mühl sexuell mißbraucht und vergewaltigt hat? – Haben Sie darüber schon einmal nachgedacht, Herr Staatssekretär?

Was mit Ihrer Duldung, Zustimmung, Unterstützung und Subvention aus Steuergeldern passiert, ist – das möchte ich in aller Deutlichkeit sagen – eine Schande, eine Schande für Sie und das Ressort, das Sie hier in Vertretung des Herrn Bundeskanzlers repräsentieren. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Abschließend möchte ich Sie nicht nur als Verantwortlichen in der Bundesregierung, sondern als Mensch fragen, Herr Staatssekretär Wittmann, ob Sie da wirklich ruhig schlafen können, ob Sie den Menschen, deren Leben Otto Mühl zerstört hat, gegenübertreten können und ob Sie überhaupt irgendeinem Opfer sexuellen Mißbrauchs angesichts dieser Verhöhnung ihres Leides in diesem Land noch in die Augen schauen können. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

20.00

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Als nächster zu Wort gemeldet ist Herr Dr. Tremmel. – Bitte.

20.00

Bundesrat Dr. Paul Tremmel (Freiheitliche, Steiermark): Frau Präsidentin! Herr Staatssekretär! Meine Damen und Herren! Es ist bezeichnend – meine Vorrednerin Dr. Riess-Passer hat dies bereits ausgeführt –, daß es eine Sondersendung im ORF gab, die ungefähr mit folgenden Worten begann: Die ganz große Freiheit hätte es werden sollen, das Lebensglück jenseits von rigider Sexualmoral und Kleinfamilie; sehr bald ist das eine sektenhafte Sexdiktatur geworden, gesteuert von materiellen Interessen der Gruppe und vom Hormonfaschismus ihres Führers Otto Mühl. – Das sind nicht meine Worte, sondern ist ein Resümee, das auch im Fernsehen gezogen wurde! (Präsident Bieringer übernimmt den Vorsitz.)

Kürzlich wurde Otto Mühl entlassen, nachdem er für sechseinhalb Jahre ins Gefängnis mußte. Es gibt jetzt nicht nur im Bereich der Öffentlichkeit Probleme, sondern Probleme hat er auch mit seinen ehemaligen Kommunarden. Otto Mühl – das bringt sein persönliches Gefühl gegenüber seinen Mitmenschen zum Ausdruck und auch das Gefühl, das er gegenüber seinen ehemaligen Kommunarden hatte – fühlt sich von den ehemaligen Gefährten verraten. Er wirft der Genossenschaft Friedrichshof und dem Galeristen Hubert Klocker Geldgier vor. Mühls Anwalt Georg Zanger fordert 300 Bilder zurück. Im "Kurier"-Gespräch listet Magdalena Stumpf als deren Sprecherin auf, wieviel die Gesellschaft Friedrichshof an Zahlungen an Otto Mühl geleistet hat: 4,1 Millionen Schilling gingen an seinen Anwalt Wegrostek, und "Kommunarden, die 1989 ausgezogen sind und Otto Mühl mit Klagen bedroht haben, wurden mit insgesamt 14 Millionen Schilling abgefunden". War das Schweigegeld? – "Damit die Aussagen von sechs Mädchen gegen Otto Mühl nicht zu radikal ausfallen, wurden außerdem insgesamt 3,8 Millionen Schilling an sie bezahlt." Zu dieser Zeit sei "Otto Mühl noch der oberste Finanzherr" gewesen, verteidigt man sich.

Meine Damen und Herren! Ich frage mich, woher diese Kommune so bedeutende Geldmittel hatte. Ich weiß schon – das wurde in der Debatte bereits ausgeführt –, daß dort 700 Menschen in einem sklavenähnlichen System gehalten wurden und dabei verhalten waren, auch ihre materiellen Mittel – neben ihrer menschlichen Freiheit – abzuliefern. Aber das allein würde noch nicht ausreichen. Woher sind die Mittel gekommen, um diese Schweigegelder, diese Beruhigungsgelder zu bezahlen?

Herr Staatssekretär! Das wäre auch eine Möglichkeit – ohne daß Sie die künstlerische Freiheit gefährden –, einmal nachzufragen, wie dort gewirtschaftet wurde. Denn wenn ich das strafrechtlich werte, meine Damen und Herren, dann schrammt das entlang strafrechtlicher Bestimmungen, was dort geschehen ist. Da aber setzt Ihre Verpflichtung ein, ohne daß Sie damit die Freiheit der Kunst angreifen. Wenn es so ist, wie es im zitierten Interview gesagt wurde, dann haben Sie als Staatssekretär hiermit auch die Aufgabe – es handelt sich dann wahrscheinlich um ein Offizialdelikt –, diesen Dingen nachzugehen.

Es wurden auch an Mühls Frau Claudia und deren Kinder Zahlungen geleistet. Weiters wurden rund 1,6 Millionen Schilling an sieben Frauen überwiesen, die je ein Kind mit Otto Mühl haben, und ähnliches mehr. Das ist letztlich von dieser großen Freiheit übriggeblieben.


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Meine Damen und Herren! Wenn es dabei nur um die Freiheit einzelner ginge, wäre das noch nicht ein solches Problem. Aber ich habe bereits die Kinder erwähnt, die wahrscheinlich ihr Leben lang mit Schäden leben müssen und nie mehr ablegen können, was ihnen dort angetan wurde, was ihnen möglicherweise unter Zwang angetan wurde – auch wenn vordergründig gesagt wird, das sei möglicherweise freiwillig gewesen. Stellen Sie sich einmal vor, Sie wären in einer solchen Kommune, und Sie wären ihr ausgeliefert! Sie bekommen nichts zu essen! Ein kleines Kind, das nicht einmal weiß, wer der Vater ist: Wohin soll es sich wenden? Wenn es dort angehalten wird, sexuelle Beziehungen zu pflegen – ich weiß nicht, wie das Ganze aussieht. Das sind die wirklichen Schäden, die dort mitangerichtet wurden, Herr Staatssekretär! Ihre Aufgabe ist nicht nur, hier als oberster Schirmherr zu wachen, sondern sie besteht auch darin, nachzusehen, wie der Einsatz von Steuermitteln erfolgt ist. Das sollten Sie bitte ebenfalls überprüfen.

Darüber hinaus gibt es sicherlich auch andere Möglichkeiten. Meine Vorrednerin hat auf jenes Buch hingewiesen, in dem meiner Beurteilung nach Bilder enthalten sind, die sicherlich an Religionsstörung herankommen. Ich möchte die Begriffe, die dabeistehen, hier in Anbetracht der Würde dieses Hauses nicht zitieren. Es ist schlicht und einfach erschreckend, wie das Symbol einer religiösen Gemeinschaft mit teilweise geschundenen Leibern mißbraucht wurde. Das ist erschreckend, und allein schon das wäre es wert, daß Sie sich heute überlegen, eine Sachverhaltsdarstellung an die Staatsanwaltschaft zu richten, um zu überprüfen, ob das denn wirklich rechtens ist. Es stehen nämlich Namen dabei.

In der vorhergehenden dringlichen Anfrage – ich möchte hier noch einmal den Mitgliedern des Hohen Hauses dafür danken, daß wir uns zu einem Entschließungsantrag gefunden haben, in dem auch die moralische Wertigkeit des Bundesrates aufgezeigt wird – haben wir, Herr Staatssekretär, unter anderem über die Verschärfung des Sexualstrafrechts gesprochen. Es bestand dabei mehr oder minder einhellig die Meinung, daß dort etwas zu geschehen hat, und zwar durchaus unter Abwägung des Gleichbehandlungsprinzips in bezug auf andere Delikte. Ich habe dazu eine Schlagzeile aus einer Zeitung zitiert, die lautet: Michalek verschärft das Sexualstrafrecht.

Herr Staatssekretär! Ich denke, da dies der Wille der Regierung ist – ich nehme an, Herr Minister Michalek sagt das nicht allein von sich aus, sondern deshalb, weil er mit seinen Regierungskolleginnen und -kollegen darüber befunden hat und weil uns dazu eine Novellierung ins Haus steht –, müßte man umso mehr bemüht sein, daß solche Vorkommnisse an unserer größten Bühne nicht Platz greifen. Es kann doch nicht sein, daß wir es heute als das oberste Gebot unserer Kunst sehen, daß eine Häfenelegie – ein anderer ist schon verstorben – das oberste Merkmal dessen ist, was dieses Haus zu bieten hat. – Ohne jedoch damit in die künstlerische Freiheit eingreifen zu wollen! Aber Sie können sich, Herr Staatssekretär, durchaus einmal berichten lassen, wie das Ganze vor sich ging. Auch das stünde Ihnen zu. Dabei würden Sie Ihren Standpunkt als neutraler Beobachter nicht verlassen. Auch die Öffentlichkeit würde das erwarten.

Was müssen sich die Menschen draußen eigentlich denken? – Da kommt ein verurteilter Verbrecher heraus und erhält – quasi als Belohnung über die öffentliche Hand, wie dann der einfache Mensch draußen meint – die größte Bühne dieses Landes, um dort seine moralinsauren Geschichten darzustellen. Das muß doch unterbunden werden! Das hat nichts mit Zensur zu tun. (Staatssekretär Dr. Wittmann: Was ist das dann? – Bundesrat Konečny: Was ist das dann, "unterbinden"?)

Herr Staatssekretär! Ich würde mir an Ihrer Stelle berichten lassen, was dort vorgefallen ist. Sie können die Öffentlichkeit nicht endlos mit solchen Dingen quälen. Der Bürger draußen hat ein schlichtes und einfaches Wort dafür: Das, was dort passiert ist, ist eine Sauerei! (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

20.10

Präsident Ludwig Bieringer: Zu Wort gemeldet hat sich Herr Dr. Franz Werner Königshofer. – Bitte.


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20.11

Bundesrat DDr. Franz Werner Königshofer (Freiheitliche, Tirol): Herr Präsident! Herr Staatssekretär! Meine Damen und Herren! Ich möchte noch einmal kurz die Fakten aus dieser Diskussion zusammenfassen und ein Resümee daraus ziehen.

Erstens: Otto Mühl wurde im November 1991 zu sechseinhalb Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Otto Mühl hatte laut Urteil folgende Tatbestände verwirklicht: erstens Unzucht mit Unmündigen, zweitens Beischlaf mit Unmündigen, drittens sittliche Gefährdung in zahlreichen Fällen, viertens Mißbrauch eines Autoritätsverhältnisses und fünftens Vergewaltigung eines vierzehnjährigen Mädchens. Otto Mühl wurde im Dezember 1997 aus der Strafhaft entlassen.

Zweitens: Otto Mühl zeigt laut eigenen Aussagen keine Einsicht in den Unrechtsgehalt seiner Taten. Ich zitiere dazu aus der neuesten Ausgabe der Zeitschrift "News", in der Herr Mühl auf Seite 150 in einem Interview darlegt: "Ich bekenne mich total zu meiner Tat." Weiters sagt er: "Also bereue ich nichts. Ich bin auch nicht resozialisiert." – Ende des Zitats.

Drittens: Claus Peymann stellt Otto Mühl am 11. Februar dieses Jahres, also rund zwei Monate nach der Entlassung aus sechseinhalbjähriger Strafhaft, das Burgtheater als Österreichs erste Bühne für eine Selbstdarstellung und für die Aufführung eines "Dramoletts" – was immer das sein mag – namens "Muchl" zur Verfügung.

Viertens: Otto Mühl kommt damit zumindest indirekt auch in den Genuß öffentlicher Förderungen, zumal das Burgtheater eine aus Steuergeldern hoch subventionierte Bühne ist. – Ende der Fakten.

Das Resümee, meine Damen und Herren: In einer Zeit, in der in ganz Europa – von Brüssel bis nach Bad Goisern; Sie kennen die Sache mit der Kinderpornographie, die dort vorgefallen ist – vermehrt Sexualstrafdelikte gegenüber Kinder begangen werden, diese aber Gott sei Dank auch immer öfter aufgedeckt werden, wird einem einschlägig vorbestraften Täter unmittelbar nach seiner Haftentlassung die erste Bühne Österreichs zur Verfügung gestellt. Damit wird ein unmittelbarer Konnex von Kindesmißhandlung zu öffentlicher, staatlicher Förderung hergestellt.

Meine Damen und Herren! Wir nehmen diesen beschämenden und von den zuständigen Regierungsmitgliedern zu verantwortenden Skandal zur Kenntnis, behalten uns aber vor, die österreichische Bevölkerung ausreichend darüber zu informieren. – Danke. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

20.13

Präsident Ludwig Bieringer: Zu Wort gemeldet hat sich Herr Staatssekretär Dr. Peter Wittmann. Ich erteile es ihm.

20.14

Staatssekretär im Bundeskanzleramt Dr. Peter Wittmann: Hohes Haus! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die von Ihnen geltend gemachten Vorwürfe gegenüber Otto Mühl sind in keiner Weise in irgendeiner Form zu entschuldigen beziehungsweise zu verharmlosen. Ich möchte nur festhalten, daß es dafür aber jene Gremien gibt, die ihn verurteilt haben, und nicht eine zusätzliche Verurteilung durch weitere Verfolgung dieser Taten stattzufinden hat. (Bundesrat Dr. Böhm: Er beschimpft ja uns!)

Ich glaube aber, daß wir gut beraten sind, diese Verurteilung den Gerichten zu überlassen und niemand anderem. Auch halte ich es für eine ganz gefährliche und schnell aufgestellte Forderung, in den künstlerischen Freiraum eines Theaterdirektors einzugreifen, wenn man jemandem eine Lesung zubilligt, der seine Strafe abgedient oder abgesessen hat. Wie nennen wir denn im üblichen Sprachgebrauch eine Einflußnahme, die auf das Verbieten des Auftretens eines Künstlers hinausläuft? – Zensur! (Bundesrat Dr. Tremmel: Herr Staatssekretär! Das hat niemand verlangt!)

Wie nennen wir denn die Einflußnahme auf den ORF, die von Ihnen verlangt wurde, Herr Bundesrat Gudenus, indem Sie gefordert haben, man solle auf den ORF Einfluß nehmen, um die


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Berichterstattung über dieses Ereignis in einer anderen Form darzustellen? (Bundesrat Mag. Gudenus: Gleichgewichtig!) Wie würden wir denn diesen Eingriff nennen? (Bundesrat Mag. Gudenus: Förderung!) Sprechen wir in diesem Fall dann nicht von Zensur, sondern ist dieser Eingriff gerechtfertigt?

Es ist meiner Ansicht nach eine sehr gefährliche Forderung, daß die Politik festzustellen hat, was Kunst sein darf und was nicht. (Bundesrat Mag. Gudenus: Das tun Sie ja!) Sie darf aber keine Eingriffsmöglichkeit dahin gehend erhalten, daß die Kunst einem Verbot unterliegt und daß die Berichterstattung über die Kunst einem Verbot unterliegt. Es darf nicht der Politik obliegen, hier aufgrund von nicht zu verharmlosenden, sondern zu verurteilenden Straftaten nicht in irgendeiner Weise dies zu verharmlosen oder gutzuheißen. (Bundesrätin Mühlwerth: Das tut er ja selbst!)

Aber hier geht es nicht um ein schon festgestelltes Verbrechen, sondern es geht darum, daß jemand, der für dieses Verbrechen gesühnt hat, eine Lesung an einem Theater gehalten hat (Bundesrat Mag. Gudenus: Das ist ja das Gegenteil von Zensur! Das ist Förderung!) und diese Lesung dem Direktor in seiner autonomen Entscheidung darüber, ob er sie zuläßt oder nicht, zugestanden ist, aber keine wie immer geartete Förderung durch die politischen Stellen erhalten hat.

Ich möchte nochmals darauf hinweisen: Hier geht es darum, daß man, wenn man dem Direktor jene autonome Entscheidung nicht zugesteht, sehr wohl einen Eingriff in seine künstlerische Freiheit vornimmt – nicht in die des Künstlers, sondern in die Entscheidung des Direktors über die Gestaltung des künstlerischen Spielplans, und dann ist das losgelöst vom Problem des Menschen Otto Mühl zu sehen –, und das ist sehr gefährlich. Ob ich der Politik diese Möglichkeit einräumen möchte, das möchte ich einmal bezweifeln. Ich glaube aber auch, daß es entgegen den hier immer sehr schnell formulierten und in der öffentlichen Auseinandersetzung auch sehr leicht argumentierbaren Forderungen nach Verboten schwieriger ist, sich diesen Forderungen entgegenzusetzen, als diese Forderungen aufzunehmen und in der Argumentation zu verwenden.

Ich denke, wenn man für die Kunst verantwortlich ist, dann gilt das auch für Herrn Peymann und seinen künstlerischen Spielplan sowie dafür, daß man diesen Spielplan nicht durch permanente Eingriffe verändert. (Bundesrat Mag. Gudenus: Permanent nicht!) Ich glaube, daß es auch eine Verantwortlichkeit der Politik gibt, diese künstlerische Freiheit zu gewährleisten. Es gibt auch die Verantwortlichkeit, diese künstlerische Freiheit dann zu gewährleisten, wenn sie unbequem und in vielen Fällen die Person, die dahintersteht, zu verurteilen ist. Aber diese Freiheit wollen wir uns alle doch bewahren und nicht durch Interventionen, durch Eingriffe oder durch andere Möglichkeiten einschränken, die darauf hinauslaufen, die Kunst nur dann zuzulassen, wenn sie niemanden stört. Diese Freiheit sollte uns erhalten bleiben. (Beifall bei der SPÖ.)

20.19

Präsident Ludwig Bieringer: Zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesrat Erhard Meier. Ich erteile es ihm.

20.19

Bundesrat Erhard Meier (SPÖ, Steiermark): Herr Präsident! Herr Staatssekretär! Hoher Bundesrat! Ich habe mich trotz der späten Stunde noch zu Wort gemeldet, weil ich einfach das sagen möchte, was ich zu diesem Fall denke. Es gehört von meiner Seite auch kein Mut dazu, dies zu tun.

Erstens denke ich, daß die Gesetze unseres Staates einzuhalten sind und auf gesetzlicher Basis Maßnahmen dafür getroffen werden müssen, daß Verfehlungen gegen das Gesetz zu entsprechenden Urteilen führen. Ich kenne diese damalige Kommune nur aus der Presse und aus den Medien. Wie viele andere Österreicher habe auch ich davon gehört, und ich möchte dazu eines sagen: Das Tragische bei solchen Gemeinschaften sowie auch in anderen Sekten ist, daß neben Erwachsenen, die in irgendeiner Weise und aus irgendwelchen Einstellungen heraus in diesen Kreis eintreten – sie können nicht alle mit brachialer Gewalt dazu gezwungen werden –, auch deren Kinder in einer solchen Gemeinschaft aufwachsen und nach unserem Empfinden das erleiden müssen, was wir nicht verstehen.


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Ich möchte über die gesetzlichen Bestimmungen hinausgehend sagen: Dies ist meine Einstellung zur Behandlung von Menschen untereinander und meine Lebensweise nicht  – ohne daß ich mich da besonders hervortun will. Für diese straffälligen Angelegenheiten ist dieser Herr Otto Mühl verurteilt worden. Wir wissen selbstverständlich auch, daß Urteile von denjenigen, gegen die sie gerichtet sind, nicht gerne angenommen werden. Ich nenne keine Namen, möchte aber darauf hinweisen, daß wir aus allen Richtungen Verurteilte – in welcher Instanz auch immer – kennen, die dann das Gericht, die Gesetzgebung, den Staat und die Politik dafür beschuldigt haben, daß dieses oder jenes Urteil so oder so gefällt wurde. Gott sei Dank war ich noch nie in der Lage eines Verurteilten; wahrscheinlich glaubt man dann immer, recht zu haben. – Das also zu diesem Urteil.

Nun zu dieser Veranstaltung, meine Damen und Herren, bei der ich natürlich auch als Bad Ausseer nicht anwesend war, ich wäre aber auch als Wiener nicht hingegangen, und ich werde und würde kein Bild kaufen: Das ist unsere Gesellschaft. Eigentlich möchte ich – obwohl Sie jetzt meine ersten Ausführungen gehört haben, auch über die Einstellungen – jedem einzelnen sagen: Ob dieses Bild als Kunstwerk zu betrachten ist oder nicht, das wird die Gesellschaft oder die Geschichte à la longue – so oder so, nehme ich an – schon richtig herausstellen. Es hat auch andere Maler und Literaten gegeben, deren Lebenshaltung – wenn man ihre Geschichte ansieht – ebenfalls nicht mit der unseren übereinstimmt. Aber davon wurde vieles vergessen, und im Laufe der Geschichte ist einer dann doch irgendwie ein anerkannter Künstler geworden.

Ich würde also diese Veranstaltung nicht besuchen. Aber ich schaue auch nicht, wer dort hingegangen ist, und kann nun nicht beurteilen, ob das links, rechts, oben oder unten in unserer Gesellschaft gewesen ist. (Bundesrat Dr. Harring: Eher links!) Aber es hat ein ziemlich volles Haus in der Burg gegeben, das ist eine Tatsache. Sollte dieser Herr Mühl Aussagen gemacht haben, die wiederum Tatbestände zur rechtlichen Verfolgung bieten, dann sollte dies wahrgenommen und von jemandem getan werden. (Bundesrat Dr. Böhm: Das würde ich so nennen!) Ich war auch wiederum nicht dort und habe das nicht einmal im Fernsehen gesehen, aber man hört all das aus den Medien. Dieser Meinung bin ich auch.

Aber auf der anderen Seite bitte ich alle auch um Verständnis dafür – wenn Sie halbwegs dem zustimmen, was ich gesagt habe –, daß es nicht eine Partei geben kann, die das befürwortet, und eine andere, die dagegen ist, sondern wir können in diesem Hause – auch wenn wir unsere Familienverhältnisse nicht kennen, und diese gehen letzten Endes ohnehin niemanden etwas an – eine Einstellung haben, die nicht unbedingt mit jener von Otto Mühl übereinstimmt. Ich glaube, das für viele sagen zu dürfen, ohne mir dieses Recht herauszunehmen.

Es scheint mir aber sehr schwierig zu sein, die Frage des staatlichen Eingriffs, der Verhinderung, der Lenkung, der Aufstellung eines Planes zu behandeln. Denn ich glaube, daß es nicht der Staat oder die Politik oder die Regierung oder ein Minister sein sollte, der dort eingreift, sondern wir als Gesellschaft. Ohne mit jemandem gesprochen zu haben, glaube ich auch nicht, daß es diese Herren waren, die diesen Punkt auf die Tagesordnung der Burg gesetzt haben oder Übereinstimmung oder Ablehnung zu erkennen gegeben haben. Das ist geschehen, meine Damen und Herren!

Ich möchte die Frage stellen: Wo endet die Einflußnahme der Politik in Dinge, die irgend jemand als Kunst bezeichnet? – Wir haben leidvolle Zeiten in der Geschichte erlebt – ob das links oder rechts war –, in denen Politik bestimmt hat, was Kunst ist. Vor dieser Grenze der Entscheidung habe ich eher das Gefühl, daß wir als gesunde Gesellschaft, als wirklich weitgehend gesunde Gesellschaft selbst Urteile bilden werden, die der Einflußnahme der Politik in die unmittelbare Gestaltung nicht bedürfen. Das ist meine Meinung zu diesem Problem.

Sie haben einige Male gesagt: Wir betreiben jetzt Werbung. Betreiben wir nicht alle Werbung, indem dieser Name genannt und von ihm in den Zeitungen wieder berichtet wird? – Lassen wir die Gesellschaft mit unserer Meinung und unserer Diskussion, in die wir auch eintreten können, jetzt und in Zukunft ein Urteil darüber bilden, was die künstlerische Seite betrifft, und lassen wir unsere Gesetze und das Recht beurteilen, was Seite und Pflicht des Gesetzes ist, um dieses Problem, das jetzt in Diskussion steht, zu lösen! – Danke. (Beifall bei der SPÖ.)

20.26


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Präsident Ludwig Bieringer:
Eine weitere Wortmeldung liegt von Herrn Bundesrat Konečny vor.

20.27

Bundesrat Albrecht Konečny (SPÖ, Wien): Herr Präsident! Herr Staatssekretär! Meine Damen und Herren! Nicht, um eine Debatte zu verlängern und Gesagtes zu wiederholen, habe ich mich zu Wort gemeldet, sondern um mein tiefes Unbehagen über die Art, wie hier argumentiert worden ist, zum Ausdruck zu bringen.

Da hat der Herr Staatssekretär vor wenigen Minuten in – wie ich denke – logisch absolut zulässiger Ableitung gemeint, er stehe nicht dafür zur Verfügung, Zensur auszuüben, woraufhin dann aus den hinteren Bänken in der Mitte – auch von Kollegen Gudenus, das füge ich hinzu, weil ich mich auf ihn beziehen werde – der empörte Aufschrei kam: Das sei doch das letzte, was die Anfragesteller wollten.

Manchmal ist Sprache verräterischer als das, was inhaltlich gesagt wird. Herr Gudenus hat das schöne Wort verwendet – im Protokoll sicherlich nachlesbar –, daß der Herr Staatssekretär mit denen im Burgtheater "umspringen" sollte. Wie ist das also mit dem Umspringen? Steht das für "freundschaftlicher Ratschlag" in der Übersetzung des Duden, oder was sonst? – Umspringen heißt, daß ich jemanden mit aller mir zur Verfügung stehenden Gewalt – der Gewalt des Herrschenden – zu einem bestimmten Verhalten zwinge. Und derselbe Redner hat auch gemeint: Nein, wir sind nicht dafür, daß der Herr Staatssekretär immer ins Burgtheater eingreift, sondern nur dann, wenn so etwas passiert.

Bitte schön: Entweder – oder! Wir sind sozusagen auf das Verkehrsstrafrecht angewiesen: Wenn alle immer rechts und ordentlich fahren, brauchen wir es nicht! Genau das ist der Punkt: Will ich dort Zwangscharakter einführen – was Strafrecht ist –, dann ist das ein legitimer Standpunkt. Aber wenn ich Zensur ablehne, dann ist das kein legitimer Standpunkt, denn ich kann nur entweder Zensur üben oder nicht. Die gute Zensur gibt es sowenig wie den guten Diktator! (Beifall bei der SPÖ.)

Ein Zweites: Es haben sich zahlreiche Sprecher der Opposition in einer Emphase, die selbst schon wieder an die Grenze des guten Geschmacks ging, über die Delikte des Herrn Mühl ausgelassen. Mehr oder weniger deutlich – manche haben es ziemlich deutlich ausgesprochen, das ist auch eine Frage des sprachlichen Vermögens – ist einzelnen Mitgliedern der Bundesregierung, Mitgliedern der sozialdemokratischen Fraktion implizit und explizit unterstellt worden, daß sie sich mit dem in diesen strafbaren Taten zum Ausdruck kommenden Verhalten identifizieren oder zuwenig oder gar kein Mitgefühl mit den Opfern zeigen. Die Tatsache, daß sowohl der Herr Staatssekretär als auch Kollege Ludwig hier genau das Gegenteil gesagt haben, hat Sie in Ihrer doch sehr eigenartigen Argumentation nicht beirren können.

Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich noch einmal feststellen: Nicht nur, daß wir aus guten Gründen einen Tagesordnungspunkt früher über eine Verschärfung der Strafgesetzgebung und auch eine Wirksamer-Machung der Strafgesetze in diesem Bereich diskutiert und uns auch in einem Punkt verständigt haben und in der generellen Richtung wohl keine großartigen Unterschiede zwischen unseren Auffassungen bestehen, darüber hinaus verurteilen wir Sozialdemokraten derartige Delikte. "Verurteilen" ist irgendwie gar nicht das richtige Wort, uns ist das widerlich, es ist zu Recht bestraft worden.

Meine Damen und Herren! Dennoch, auch wenn es nicht opportun klingt, muß es gesagt werden: Mensch und Werk sind nicht dasselbe. Ich gebe schon zu, daß es auch mir persönlich so geht, daß ich, wenn ich ein Werk bewundere, möchte, daß dahinter ein Mensch steht, der ebenso bewundernswert ist. Das geht auch auf den Heroenkult des 19. Jahrhunderts zurück, der aus jedem der zugegebenermaßen großen Künstler, denen dieser Kult gewidmet war, auch so etwas wie einen Übermenschen machte. Dabei hat es die Schöpfer dieses Kultes allerdings nicht gestört, daß zum Beispiel der Übermensch Goethe in einer Zeit, die nichts mehr verurteilt hat als den Ehebruch, trotzdem dazu Anlaß gab, daß Maturanten sämtliche 21 – oder wie viele


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es auch immer waren – offiziellen Geliebten des Geheimrats auswendig können mußten; aber das nur als Nebenbemerkung.

Es ist dieses Übermenschentum nicht notwendigerweise mit Kunstproduktion verbunden. Ich will jetzt keine Namen nennen, denn in dieser heutigen Debatte käme vermutlich jeder Name, den ich nennen würde, nur in eine diffamierende Parallelität mit Mühl. Ich verkneife mir jedes Beispiel, aber es kann sich jeder selbst entsprechende Beispiele einfallen lassen. Es gab in jeder Epoche unendlich viele sehr große Künstler – bei welchen die Frage, ob sie wirklich Künstler waren, nicht mehr zu stellen ist –, die menschliche Mistviecher waren, um das in einen nicht strafrechtlich wertenden Begriff zu kleiden: Wegelagerer, Diebe, Mörder. Es exkulpiert sie nicht, daß sie große Werke geschaffen haben, und das exkulpiert auch Herrn Mühl nicht. Aber dieses Phänomen gibt es, und ich meine, daß wir hinter einem – vielleicht – großen Kunstwerk nicht immer einen Übermenschen vermuten sollten. Daher muß es legitim sein, daß zwischen diesen beiden Dingen auch unterschieden wird.

Ich habe mit dem Wiener Aktionismus meine höchst persönlichen Probleme, und es gibt einige andere Kunstrichtungen, mit denen ich auch meine Probleme habe, wenn auch nicht generell mit der Moderne. Mein Geschmack ist – ich würde sagen: zum Vorteil der österreichischen Kunst – kein Beurteilungskriterium, und ich würde anderen Kollegen, die sich heute sehr weit hinausgelehnt haben, eine ähnliche Selbsterkenntnis wünschen!

Ich glaube, daß wir uns im Bereich der Kunst – das ist die Politik dieser Bundesregierung und dieses Staatssekretärs – auf das Möglich-Machen zurückziehen sollten. Wenn ich diese Politik betreibe, dann kann ich mir allerdings nicht als Urteil anmaßen, so nebenbei zu sagen: Aber das nun wirklich nicht! – Die Entscheidung darüber, was davon Bestand hat, können wir heute nicht treffen, auch die Kunstkritik nicht, auch die Medien nicht; darüber wird in Zukunft ein Urteil zu fällen sein. Was wir uns allenfalls in einer historischen Abfolge vorzuwerfen hätten, wäre, etwas nicht möglich gemacht zu haben.

Lassen Sie mich ein Drittes sagen: Sie haben – ich glaube, es war Frau Kollegin Riess – Herrn Mühl gewissermaßen zum SPÖ-Parteimitglied erklärt. (Bundesrätin Dr. Riess-Passer: Nein! Abgesehen davon war er es einmal!) Frau Kollegin! Ich habe gesagt: gewissermaßen. Lassen Sie mich zumindest einmal einen halben Satz vollenden, bevor Sie dazwischenbellen! (Bundesrätin Dr. Riess-Passer: Sie reden schon 20 Minuten!) Zu Ihnen habe ich genau einen Viertelsatz gesagt! Kollege Gudenus hat sich meine Ausführungen geduldig angehört, Kollege Böhm hat sogar ein paarmal verständnisvoll gelächelt, und Sie werden jetzt bitte auch eine Sekunde zuhören!

Sie haben gesagt, daß Herr Mühl in dieser Kommune ein Gesellschaftsmodell exerziert habe, das von der SPÖ unterstützt wurde und das uns sympathisch war. – Das trifft nicht zu! Wie kommen Sie auf diese absurde Einschätzung? Es hat dort ein Experiment gegeben, und ich stehe dazu, daß Dinge im vorhinein anders gesehen werden können als im nachhinein. Dieses Experiment ging zu Lasten der willentlich Beteiligten, nämlich der Erwachsenen, und – Kollege Meier hat das gesagt – zu Lasten der unendlich zu bedauernden unwillentlich Beteiligten, nämlich der Kinder, und ist in einer brutalen und gemeinen Art gescheitert.

Es gibt Hunderte, Tausende beziehungsweise wahrscheinlich leider noch sehr viel mehr in geringerem Maße experimentale Familienbeziehungen, die auch grausam und brutal scheitern. Hängen Sie das irgend jemandem politisch an?

Sie haben in einem Zwischenruf gesagt, daß Mühl gewissermaßen links sei und sein Publikum links sei. Ich weiß nicht, was an Mühl links sein soll! Ich weiß nicht, ob Wiener Aktionismus etwas Linkes ist! Er geht mit einem sehr konservativen Kunstverständnis sicherlich nicht zusammen; mit einem linken – wenn damit sozialdemokratisch gemeint ist – Kunstverständnis, das es als Programm nicht geben kann, weil wir eine offene Bewegung sind, kann es zusammengehen oder kann es nicht zusammengehen.

Es gibt eine Reihe von Förderern und Lobrednern dieser Richtung, die alles andere als unsere Freunde sind. Deshalb sage ich: Ich habe viele Ihrer dringlichen Anfragen als weder dringlich


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noch notwendig bezeichnet, ich glaube aber, daß es ein legitimes Anliegen ist, sich zu einem solchen Thema auszusprechen. Hingegen meine ich, daß es absolut illegitim ist, gewissermaßen eine politische Bewegung oder eine Regierung zum Sündenbock zu machen, nur weil sie auch unter Bedingungen, die unter dem Druck dieser Person stehen, zu einem richtigen Grundsatz steht.

Es hat einmal das Wort vom "Staatskünstler" – kritisch gemeint – gegeben. Das war damals auch unberechtigt. Aber wenn es sich die Kunstpolitik zum Ziel macht, jeden Verdacht auszuräumen, daß eine staatliche Instanz, positiv wie negativ, Kunstpolitik macht, dann muß man jenen, denen man die Verantwortung im eigenen Bereich überträgt, auch das Recht zum Irrtum und auch zur Geschmacklosigkeit einräumen. Das ist nichts, was politisch zu verantworten ist. Das sind die negativen Folgen, die man in Kauf nehmen muß, wenn man Autonomie begründet.

Ich habe es, als der Herr Staatssekretär geantwortet hat, hinter mir grummeln gehört: Immer redet er von der Autonomie! – Jawohl! Von dieser Autonomie können wir gar nicht genug reden, weil sie das einzige Prinzip ist, das auf diesem Feld Bestand haben wird! (Beifall bei der SPÖ.)

20.40

Präsident Ludwig Bieringer: Eine weitere Wortmeldung liegt von Frau Dr. Susanne Riess-Passer vor. Ich mache ausdrücklich darauf aufmerksam, daß gemäß § 61 Abs. 7 der Geschäftsordnung die Redezeit noch 9 Minuten beträgt.

Frau Dr. Susanne Riess-Passer! Ich erteile Ihnen das Wort. – Bitte.

20.40

Bundesrätin Dr. Susanne Riess-Passer (Freiheitliche, Wien): Herr Präsident! Herr Staatssekretär! Meine Damen und Herren! Keine Sorge, es wird sehr viel schneller gehen.

Ich möchte nur ergänzend zu dem, was Herr Kollege Konečny jetzt zum Schluß gesagt hat, anmerken, was in den Medien zu lesen war, und ich bitte Sie wirklich, mich zu korrigieren, wenn es nicht stimmt. In den letzten Tagen war zu lesen: "Otto Mühl trat in den fünfziger Jahren der SPÖ bei." "Aus einer der SPÖ zuzurechnenden burgenländischen Wohnbauförderungsstelle bezog die Mühl-Kommune für ihren burgenländischen Friedrichshof 43 Millionen Schilling aus Steuergeldern." Gestern wurde im ORF berichtet, daß Landeshauptmann Kery und der frühere Bundeskanzler Kreisky Unterstützer des Projektes gewesen seien. – Wenn das nicht stimmen sollte, bitte ich Sie – denn ich will Ihnen nichts unterstellen –, in den Medien beziehungsweise im ORF diese Meldungen berichtigen lassen. Denn wir wollen Ihnen nicht etwas andichten, womit Sie gar nichts zu tun haben!

Ich möchte aber abschließend zu Ihnen, Herr Kollege Konečny, und auch zu dem, was der Herr Staatssekretär gesagt hat, nur noch zwei Sätze sagen: Ich bin sehr traurig darüber, daß Sie in dieser heutigen Diskussion nicht verstehen wollten – denn ich glaube nicht, daß Sie es nicht verstehen konnten –, worum es tatsächlich ging, und daß Sie es nicht über sich gebracht haben, ein Wort des Bedauerns im Hinblick auf die Opfer zu sagen. (Bundesrat Prähauser: Absätze des Bedauerns hat Kollege Konečny gesagt! – Bundesrat Konečny: Zuletzt habe ich vor zweieinhalb Minuten mein Bedauern geäußert!) Sie haben sich auf einen sehr formalistischen Standpunkt gestellt und gesagt: Mühl hat seine Strafe verbüßt, und damit ist die Geschichte erledigt. – Für die Opfer des Herrn Mühl ist aber mit der Verbüßung der Strafe des Herrn Mühl gar nichts erledigt, sie werden vielmehr ein Leben lang an dem leiden, was sie dort mitgemacht haben.

Herr Staatssekretär! Ich bedauere sehr, am Schluß dieser Debatte feststellen zu müssen, daß Sie mit Otto Mühl etwas gemeinsam haben, nämlich daß Sie nicht lernfähig sind! (Beifall bei den Freiheitlichen.)

20.42

Präsident Ludwig Bieringer: Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Es ist dies nicht der Fall.

Die Debatte ist geschlossen.


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Fortsetzung der Tagesordnung

Präsident Ludwig Bieringer: Ich nehme die Verhandlung zur Tagesordnung wieder auf.

14. Punkt

Beschluß des Nationalrates vom 22. Jänner 1998 betreffend einen Vertrag zwischen der Regierung der Republik Österreich und der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika über die Rechtshilfe in Strafsachen samt Formblätter (837/NR sowie 5640/BR der Beilagen)

Präsident Ludwig Bieringer: Wir gelangen nun zum 14. Punkt der Tagesordnung: Vertrag zwischen der Regierung der Republik Österreich und der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika über die Rechtshilfe in Strafsachen samt Formblätter.

Die Berichterstattung hat Herr Bundesrat Ferdinand Gstöttner übernommen. Ich bitte um den Bericht.

Berichterstatter Ferdinand Gstöttner: Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Der gegenständliche Beschluß des Nationalrates trägt dem Umstand Rechnung, daß bislang der Rechtshilfeverkehr in Strafsachen zwischen der Republik Österreich und den Vereinigten Staaten von Amerika auf der Grundlage der Gegenseitigkeit stattgefunden hat.

Mit dem Abschluß des gegenständlichen Staatsvertrages werden daher die vertraglichen Grundlagen sowie die verfahrensrechtlichen Voraussetzungen für den bilateralen Rechtshilfeverkehr in Strafsachen geschaffen.

Dem Nationalrat erschien bei der Genehmigung des Abschlusses des vorliegenden Abkommens die Erlassung von besonderen Bundesgesetzen im Sinne des Artikels 50 Abs. 2 B-VG zur Überführung des Vertragsinhaltes in die innerstaatliche Rechtsordnung nicht erforderlich.

Der gegenständliche Staatsvertrag ist gesetzändernd beziehungsweise gesetzesergänzend. Da auch Angelegenheiten des selbständigen Wirkungsbereiches der Länder geregelt werden, bedarf er der Zustimmung des Bundesrates gemäß Artikel 50 Abs. 1 zweiter Satz B-VG.

Der Rechtsausschuß stellt nach Beratung der Vorlage am 10. Februar 1998 mit Stimmeneinhelligkeit den Antrag, dem gegenständlichen Beschluß des Nationalrates gemäß Artikel 50 Abs. 1 zweiter Satz B-VG die verfassungsmäßige Zustimmung zu erteilen.

Präsident Ludwig Bieringer: Ich danke für die Berichterstattung.

Wir gehen in die Debatte ein.

Zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesrat Wolfram Vindl. – Bitte.

20.45

Bundesrat Wolfram Vindl (ÖVP, Tirol): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Geschätzte Damen und Herren des Hohen Hauses! Gestatten Sie mir, kurz noch einige Anmerkungen zum vorliegenden Vertrag über den Rechtshilfeverkehr in Strafsachen zwischen der Republik Österreich und den Vereinigten Staaten von Amerika zu machen.

Der vorliegende Vertrag regelt den Rechtshilfeverkehr in Strafsachen zwischen der Republik Österreich und den Vereinigten Staaten von Amerika. Dieser Rechtshilfeverkehr hat bisher auf Basis der Gegenseitigkeit stattgefunden.

Aufgrund der Unterschiedlichkeit der Rechtssysteme der beiden Vertragsstaaten waren von österreichischer Seite sehr komplizierte Verfahrensvorschriften nach amerikanischem Recht zu beachten. Dadurch sind dem österreichischen Staat nicht unerhebliche Kosten entstanden, die im Rechtshilfeweg erstattet werden mußten.


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Die Zunahme insbesondere der grenzüberschreitenden Kriminalität aufgrund des zwischen der Republik Österreich und den Vereinigten Staaten von Amerika nunmehr bestehenden visafreien Reiseverkehrs und der erhöhten Mobilität der Bürger beider Staaten hat zu einer beträchtlichen Zunahme der gegenseitigen Rechtshilfeanträge geführt. Die Zunahme des Rechtshilfeverkehrs hat es erforderlich scheinen lassen, die Rechtshilfe in Strafsachen auf eine gemeinsame vertragliche Grundlage zu stellen.

Im vorliegenden Vertrag wird insbesondere auf die Unterschiedlichkeit der beiden Rechtssysteme Bedacht genommen, wobei durch eine wesentliche Regelung zwischen den beiden Vertragspartnern festgelegt ist – das wurde von Kollegin Kainz im Ausschuß bereits angesprochen –, daß Österreich Personen nur dann ausliefert, wenn feststeht, daß für diese die Todesstrafe nicht in Betracht kommt. In diesem Punkt hat Österreich wirklich eine bahnbrechende Funktion übernommen.

Der Vertrag sieht die Leistung umfassender Rechtshilfe zwischen den Vertragspartnern vor, wobei die Rechtshilfe unabhängig davon zu leisten ist, ob die gegenständlichen Handlungen auch nach dem Recht des ersuchenden Staates gerichtlich oder verwaltungsrechtlich strafbar sind.

Dieser Vertrag bedarf gemäß Artikel 50 Abs. 1 letzter Satz B-VG der Zustimmung des Bundesrates, da der Vertrag auch Angelegenheiten des selbständigen Wirkungsbereiches der Länder regelt. Das trifft vor allem auf die in den selbständigen Wirkungsbereich der Länder fallenden Verwaltungsstrafen zu.

Der Abschluß dieses Vertrages über die Rechtshilfe in Strafsachen zur Schaffung vertraglicher Grundlagen und verfahrensrechtlicher Voraussetzungen für den bilateralen Rechtshilfeverkehr in Strafsachen ist, wie ausgeführt, eine unbedingte Notwendigkeit. Meine Fraktion wird daher diesem Vertrag gerne die Zustimmung erteilen. (Beifall bei der ÖVP und bei Bundesräten der SPÖ.)

20.48

Präsident Ludwig Bieringer: Nächste Rednerin ist Frau Bundesrätin Hedda Kainz. – Bitte.

20.48

Bundesrätin Hedda Kainz (SPÖ, Oberösterreich): Meine Damen und Herren! Auch ich werde versuchen, mich kurz zu fassen, obwohl diese Materie zu der heute – streckenweise berechtigterweise – sehr emotional geführten Diskussion durchaus einen Bezug hat.

Eingangs eine Richtigstellung: Es geht natürlich nicht um Fragen der Auslieferung, sondern um Fragen der Rechtshilfe.

Mein Vorredner hat die konkreten Inhalte bereits angesprochen. Erlauben Sie mir daher, auf das Bezug zu nehmen, was bereits in der diesbezüglichen Debatte, die wir heute hier geführt haben, Bedenken ausgelöst und auch mir einiges Unbehagen bereitet hat, nämlich auf die Verschärfung von Strafbedingungen, die im Zusammenhang mit dem vorliegenden Vertrag weit über das hinausgehen kann, was man gemäß seinem Rechtsempfinden in einem Rechtsstaat noch als angemessen empfindet.

Es sind Bedenken auch von den Vertretern der Freiheitlichen Partei dahin gehend geäußert worden, daß in diesem Zusammenhang Eingriffe in die österreichische Souveränität stattfinden können, und zwar in der Form, daß wir aufgrund dieses Vertrags zwingend an einem völlig anderen und sehr differenziert zu sehenden Rechtssystem teilnehmen müssen, nämlich am in den einzelnen Bundesstaaten unterschiedlichen amerikanischen Strafrecht, und das vor dem Hintergrund, daß in den Vereinigten Staaten seit 1976 in 38 Staaten die Todesstrafe wieder eingeführt wurde.

Ich möchte in diesem Zusammenhang nur ganz kurz darauf verweisen, daß es sich nicht nur in den USA so verhält. Jedenfalls kann aber nach unserem Rechtsempfinden die Todesstrafe keine angemessene Zielsetzung für den Strafvollzug darstellen. Derzeit sind wir mit der Situation konfrontiert, daß in 94 Staaten die Todesstrafe nicht nur im Strafrecht vorgesehen ist, sondern


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auch exekutiert wird; darunter befinden sich sechs Staaten, in denen die Todesstrafe auch an Jugendlichen unter 18 Jahren exekutiert wird.

In den USA wird, wie gesagt, in 38 Staaten die Todesstrafe vollstreckt. Seit 1976 wurde in 432 Fällen per Todesstrafe exekutiert, davon allein in Texas 144mal, und die Tendenz ist steigend. Ich weiß schon, daß Sie mir jetzt entgegenhalten werden, daß das mit der Zunahme der Straftaten und der Verurteilungen an und für sich korrespondiert. Ich halte es dennoch für einen äußerst beängstigenden Umstand, daß 1996 95 und 1997 bereits 71 Exekutionen stattgefunden haben, wobei seit 1990 in den USA sechs Jugendliche exekutiert wurden.

Gott sei Dank gingen die Aussagen des Herrn Bundesministers in bezug auf den europäischen Raum und auf Österreich in die andere Richtung, daß nämlich in Europa und vor allem in Österreich in der Strafrechtspflege auf den Schutz der Gesellschaft, aber auch auf die mögliche Wiedereingliederung der Straftäter Wert gelegt wird.

Meine Damen und Herren! Der Schutz der Gesellschaft ist heute hier in vielfältiger Weise angesprochen worden. Ich meine, daß wir selbstverständlich einerseits den Schutz der Gesellschaft in den Vordergrund stellen müssen, andererseits aber auch mildernde Umstände für die Täter nicht völlig außer acht lassen können.

Gerade in den letzten Tagen wurde der Fall der verurteilten Tucker, einer Doppelmörderin, plakativ durch die Medien gezerrt: Ich glaube auch, daß man die Tat grundsätzlich nicht verharmlosen darf, meine aber, daß man auch Prozesse zur Wiedereingliederung durchaus gelten lassen muß. Keinesfalls kann jedoch eine auch noch so abscheuliche Tat die Verhängung der Todesstrafe rechtfertigen, die nach meiner Einschätzung legalisierten Mord bedeutet.

Ich möchte in diesem Zusammenhang noch einen Hinweis vorbringen: In bezug auf die USA sind wir mit der bedrückenden Tatsache konfrontiert, daß dort mehr Geld für Gefängnisse als für Bildung ausgegeben wird. Meine Damen und Herren! Ich glaube, der korrespondierende Zusammenhang sollte in diesem Fall auch nicht untergehen. In den USA heißt ein Großteil der Bevölkerung die Todesstrafe und auch deren Vollstreckung gut; wenn ich die Zahl richtig im Kopf habe, sind es in Texas 74 Prozent der Bevölkerung. Wenn ich das berechtigte Anliegen und den Schmerz der Angehörigen der Opfer in Betracht ziehe, dann habe ich für harte Aussagen durchaus Verständnis. Ich glaube jedoch nicht, daß die Annahme berechtigt ist, daß nach der Exekution eines Todesurteiles die Gesellschaft besser geworden ist.

Meine Damen und Herren! Diese Bedenken müssen wir auch im Zusammenhang mit dem an und für sich richtigen und notwendigen Rechtshilfevertrag gegenüber den USA immer wieder zur Sprache bringen. Österreich unterhält zu den USA gute Beziehungen. Daß wir an und für sich Rechtsverhältnisse, die durchaus ihre Begründung in der Autonomie der einzelnen Staaten haben, sehr wohl akzeptieren und unterstützen, beweist der Abschluß dieses Vertrages. Ich meine aber, daß wir uns dennoch anmaßen können, auszudrücken, daß Todesstrafe weder verhängt noch vollzogen werden darf, und ich bin froh, daß eindeutig klargestellt wurde, daß im Rahmen dieses Vertrages eine Auslieferung, wenn die Todesstrafe verhängt werden könnte, nicht in Frage kommt. (Beifall bei SPÖ und ÖVP.)

20.55

Präsident Ludwig Bieringer: Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Es ist dies nicht der Fall.

Die Debatte ist geschlossen.

Wird von der Berichterstattung ein Schlußwort gewünscht? – Das ist ebenfalls nicht der Fall.

Wir kommen zur Abstimmung über den Beschluß des Nationalrates vom 22. Jänner 1998 betreffend einen Vertrag zwischen der Regierung der Republik Österreich und der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika über die Rechtshilfe in Strafsachen samt Formblätter.


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Da der vorliegende Beschluß Angelegenheiten des selbständigen Wirkungsbereiches der Länder regelt, bedarf er der Zustimmung des Bundesrates gemäß Artikel 50 Abs. 1 zweiter Satz Bundes-Verfassungsgesetz.

Ich bitte jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, dem vorliegenden Beschluß des Nationalrates gemäß Artikel 50 Abs. 1 zweiter Satz Bundes-Verfassungsgesetz die verfassungsmäßige Zustimmung zu erteilen, um ein Handzeichen. – Es ist dies Stimmeneinhelligkeit.

Der Antrag, dem gegenständlichen Beschluß des Nationalrates gemäß Artikel 50 Abs. 1 zweiter Satz Bundes-Verfassungsgesetz die verfassungsmäßige Zustimmung zu erteilen, ist somit angenommen.

Die Tagesordnung ist erschöpft.

Ich gebe noch bekannt, daß seit der letzten beziehungsweise in der heutigen Sitzung insgesamt fünf Anfragen, 1356/J bis 1360/J, eingebracht wurden.

Die Einberufung der nächsten Sitzung des Bundesrates wird auf schriftlichem Wege erfolgen. Als Sitzungstermin ist Donnerstag, der 12. März 1998, 10 Uhr in Aussicht genommen.

Für die Tagesordnung dieser Sitzung kommen jene Vorlagen in Betracht, die der Nationalrat bis dahin verabschiedet haben wird, soweit sie dem Einspruchsrecht beziehungsweise dem Zustimmungsrecht des Bundesrates unterliegen.

Die Ausschußvorberatungen sind für Dienstag, den 10. März 1998, ab 14 Uhr vorgesehen.

Die Sitzung ist geschlossen.

Schluß der Sitzung: 20.57 Uhr

 

Berichtigung

Im Stenographischen Protokoll der 633. Sitzung des Bundesrates ist auf Seite 8 die Anfrage (1346/J-BR/97) zu streichen.