Ein einzigartiges Gericht
Der Verfassungsgerichtshof wurde 1919, kurz nach Entstehung der Republik Österreich, gegründet. Er baute auf einem völlig neuen Gedanken auf: Ein besonderes Gericht sollte Streitigkeiten über Fragen des Verständnisses und der Anwendung der Regeln der Verfassung entscheiden. So etwas gab es bis dahin auf der ganzen Welt nicht. Eigentlich war es nur in den USA und in Norwegen Gerichten erlaubt, zu prüfen, ob Gesetze den Vorgaben der Verfassung entsprachen. Überall sonst wurde die Überzeugung vertreten, dass die Entscheidungen eines Königs oder eines Parlaments (in Vertretung des Volks) letztgültig seien.
In Österreich – und gleichzeitig auch in der neuentstandenen Tschechoslowakei – standen die Politiker aber noch unter dem Eindruck vieler Streitigkeiten in der Habsburgermonarchie. Sie wollten vor allem ein Gericht schaffen, das mögliche Auseinandersetzungen zwischen dem Bund und den Ländern entscheiden konnte. Gleichzeitig sollte verhindert werden, dass die bestehenden Gerichte mehr Macht erlangten. Daher wurde ein besonderes Gericht, der Verfassungsgerichtshof, geschaffen.