Stenographisches Protokoll

654. Sitzung des Bundesrates der Republik Österreich

 

 

Donnerstag, 6. Mai 1999

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Stenographisches Protokoll

654. Sitzung des Bundesrates der Republik Österreich

Donnerstag, 6. Mai 1999

Dauer der Sitzung

Donnerstag, 6. Mai 1999: 9.03 – 18.27 Uhr

*****

Tagesordnung

1. Selbständiger Antrag der Bundesräte Gottfried Jaud, Anna Elisabeth Haselbach, Dr. Reinhard Eugen Bösch und Kollegen betreffend Änderung der Geschäftsordnung des Bundesrates

2. Bundesgesetz, mit dem das Bundesvergabegesetz 1977 geändert wird

3. Bundesgesetz, mit dem das Forschungsförderungsgesetz 1982 geändert wird

4. Bundesgesetz, mit dem das Bundeshaushaltsgesetz geändert wird

5. Bundesgesetz, mit dem das Katastrophenfondsgesetz 1996 geändert wird

6. Bundesgesetz, mit dem das Ausfuhrerstattungsgesetz geändert wird

7. Bundesgesetz, mit dem das Hochleistungsstreckengesetz und das Bundesgesetz zur Errichtung einer "Brenner-Eisenbahn-Gesellschaft" geändert werden und Regelungen über die Einhebung und Festsetzung von Benützungsentgelt für bestimmte Hochleistungsstrecken festgelegt werden

8. Bundesgesetz, mit dem das Privatbahnunterstützungsgesetz 1988 geändert wird

9. Wahl eines Ordners für den Rest des 1. Halbjahres 1999

*****

Inhalt

Bundesrat

Schreiben des Präsidenten des Salzburger Landtages betreffend Wahl der Mitglieder und Ersatzmitglieder in den Bundesrat 7

Angelobung der Bundesräte Ludwig Bieringer, Stefan Prähauser, Josef Saller und Mag. Eduard Mainoni 7

Erklärung des Präsidenten Gottfried Jaud  anläßlich des 50. Jahrestages der Gründung des Europarates 42

Debatte über die Erklärung des Präsidenten

Dr. Milan Linzer 42


Bundesrat
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654. Sitzung / Seite 2

Johanna Schicker 44

Dr. Reinhard Eugen Bösch 45

Unterbrechung 94

Wahl eines Ordners für den Rest des 1. Halbjahres 1999 94

Personalien

Krankmeldungen 7

Entschuldigungen 7

Nationalrat

Beschlüsse und Gesetzesbeschlüsse 41

Bundesregierung

Vertretungsschreiben 40

Ausschüsse

Zuweisungen 41

Fragestunde

Bundesministerium für auswärtige Angelegenheiten 8

Mag. Michael Strugl (1043/M-BR/99); Erhard Meier, Ing. Kurt Scheuch

Albrecht Konecny (1037/M-BR/99); Dr. Paul Tremmel, Franz Wolfinger

Dr. Reinhard Eugen Bösch (1050/M-BR/99); Alfred Schöls, Herbert Thumpser

Dr. Vincenz Liechtenstein (1044/M-BR/99); Stefan Prähauser, Dr. Peter Böhm

Erhard Meier (1038/M-BR/99); Dr. André d'Aron, Peter Rodek

Dr. Milan Linzer (1045/M-BR/99); Johann Payer, Mag. John Gudenus

Dr. Paul Tremmel (1051/M-BR/99); Ing. Franz Gruber, Albrecht Konecny

Johann Payer (1039/M-BR/99); Ulrike Haunschmid, Friedrich Hensler

Mag. Harald Himmer (1046/M-BR/99); Herbert Thumpser, Monika Mühlwerth

Hedda Kainz (1040/M-BR/99); Mag. Christof Neuner, Maria Grander

Engelbert Schaufler (1047/M-BR/99); Herbert Thumpser, Mag. John Gudenus

Mag. John Gudenus (1052/M-BR/99); Alfred Schöls, Albrecht Konecny

Johann Ledolter (1048/M-BR/99); Dr. Paul Tremmel

Klaus Gasteiger (1041/M-BR/99); Engelbert Weilharter

Dipl.-Ing. Hannes Missethon (1049/M-BR/99); Mag. Walter Scherb

Monika Mühlwerth (1053/M-BR/99); Friedrich Hensler


Bundesrat
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654. Sitzung / Seite 3

Dringliche Anfrage

der Bundesräte Dr. Reinhard Eugen Bösch, Dr. André d'Aron, Dr. Peter Böhm, Mag. John Gudenus, Dr. Paul Tremmel und Kollegen an den Bundeskanzler betreffend "Neutralitäts-Lüge" des Bundeskanzlers (1610/J-BR/99)

Begründung: Dr. Reinhard Eugen Bösch 94

Beantwortung: Staatssekretär Dr. Peter Wittmann 96

Redner:

Dr. André d'Aron 100

Dr. Vincenz Liechtenstein 102

Albrecht Konecny 104

Dr. Peter Böhm 107

Erhard Meier 110

Mag. John Gudenus 113

Dipl.-Ing. Hannes Missethon 115

Dr. Paul Tremmel 116

Dr. Milan Linzer 120

Stefan Prähauser 122

Alfred Schöls 124

Verhandlungen

(1) Selbständiger Antrag der Bundesräte Gottfried Jaud, Anna Elisabeth Haselbach, Dr. Reinhard Eugen Bösch und Kollegen betreffend Änderung der Geschäftsordnung des Bundesrates (116/A-BR/99 und 5924/BR d. B.)

Berichterstatter: Dr. Peter Böhm 47

(Antrag, der Bundesrat wolle beschließen, der diesem Ausschußbericht angeschlossenen Änderung der Geschäftsordnung des Bundesrates wird die verfassungsmäßige Zustimmung erteilt)

Redner:

Gottfried Jaud 47

Stefan Prähauser 49

Dr. Paul Tremmel 50


Bundesrat
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654. Sitzung / Seite 4

Annahme des Antrages des Berichterstatters, der Bundesrat wolle beschließen, der diesem Ausschußbericht angeschlossenen Änderung der Geschäftsordnung des Bundesrates wird die verfassungsmäßige Zustimmung erteilt (mit Stimmeneinhelligkeit) 52

(2) Beschluß des Nationalrates vom 21. April 1999 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Bundesvergabegesetz 1977 geändert wird (1650 und 1716/NR sowie 5923 und 5925/BR d. B.)

Berichterstatter: Mag. Karl Wilfing 52

(Antrag, keinen Einspruch zu erheben)

Redner:

Mag. Harald Repar 53

Johann Ledolter 53

Dr. Paul Tremmel 54

Wolfgang Hager 55

Staatssekretär Dr. Peter Wittmann 56

Annahme des Antrages des Berichterstatters, keinen Einspruch zu erheben (mit Stimmeneinhelligkeit) 57

(3) Beschluß des Nationalrates vom 21. April 1999 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Forschungsförderungsgesetz 1982 geändert wird (1671 und 1711/NR sowie 5926/BR d. B.)

Berichterstatterin: Ulrike Haunschmid 57

(Antrag, gegen den vorliegenden Beschluß des Nationalrates – soweit dieser dem Einspruchsrecht des Bundesrates unterliegt – keinen Einspruch zu erheben)

Redner:

Dipl.-Ing. Hannes Missethon 57

Horst Freiberger 59

Ing. Kurt Scheuch 61

Karl Drochter 62

Mag. Walter Scherb 63

Bundesminister Dr. Hannes Farnleitner 65

Annahme des Antrages des Berichterstatters, gegen den vorliegenden Beschluß des Nationalrates – soweit dieser dem Einspruchsrecht des Bundesrates unterliegt – keinen Einspruch zu erheben (mit Stimmeneinhelligkeit) 67


Bundesrat
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654. Sitzung / Seite 5

Gemeinsame Beratung über

(4) Beschluß des Nationalrates vom 21. April 1999 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Bundeshaushaltsgesetz geändert wird (1036/A und 1713/NR sowie 5927/BR d. B.)

(5) Beschluß des Nationalrates vom 21. April 1999 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Katastrophenfondsgesetz 1996 geändert wird (1035/A und 1714/NR sowie 5928/BR d. B.)

(6) Beschluß des Nationalrates vom 21. April 1999 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Ausfuhrerstattungsgesetz geändert wird (1655 und 1715/NR sowie 5929/BR d. B.)

Berichterstatter: Johann Kraml 68

[Antrag, zu (4), (5) und (6) keinen Einspruch zu erheben]

Redner:

Friedrich Hensler 69

Johann Grillenberger 70

Dr. Paul Tremmel 70

Staatssekretär Dr. Wolfgang Ruttenstorfer 72

Annahme des Antrages des Berichterstatters, zu (4), (5) und (6) keinen Einspruch zu erheben (mit Stimmeneinhelligkeit) 74

Entschließungsantrag der Bundesräte Dr. Paul Tremmel, Dr. Reinhard Eugen Bösch, Dr. André d'Aron, Mag. John Gudenus und Engelbert Weilharter betreffend Erhöhung des Landesverteidigungsbudgets zur Aufrechterhaltung der Einsatzbereitschaft des österreichischen Bundesheeres gemäß § 2 Wehrgesetz 72

Ablehnung 74

Gemeinsame Beratung über

(7) Beschluß des Nationalrates vom 21. April 1999 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Hochleistungsstreckengesetz und das Bundesgesetz zur Errichtung einer "Brenner-Eisenbahn-Gesellschaft" geändert werden und Regelungen über die Einhebung und Festsetzung von Benützungsentgelt für bestimmte Hochleistungsstrecken festgelegt werden (1644 und 1732/NR sowie 5930/BR d. B.)

(8) Beschluß des Nationalrates vom 21. April 1999 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Privatbahnunterstützungsgesetz 1988 geändert wird (1645 und 1733/NR sowie 5931/BR d. B.)

Berichterstatterin: Mag. Melitta Trunk 75

[Antrag, zu (7) und (8) keinen Einspruch zu erheben]

Redner:

Dr. André d'Aron 76

und (tatsächliche Berichtigung) 82

Georg Keuschnigg 78

Erich Farthofer 80

Wilhelm Grissemann 82

Engelbert Weilharter 84

Ing. Kurt Scheuch 85

Mag. John Gudenus 86

Bundesminister Dr. Caspar Einem 88

Annahme des Antrages des Berichterstatters, zu (7) keinen Einspruch zu erheben (mit Stimmenmehrheit) 93

Entschließungsantrag der Bundesräte Dr. André d'Aron und Kollegen betreffend die Schaffung einer einheitlichen Bahninfrastrukturgesellschaft 78

Ablehnung 93

Annahme des Antrages des Berichterstatters, zu (8) keinen Einspruch zu erheben (mit Stimmeneinhelligkeit) 93

Entschließungsantrag der Bundesräte Engelbert Weilharter und Kollegen betreffend Objektivierung der Förderungsvergabe an Privatbahnen 85

Ablehnung 93

Eingebracht wurden

Anfragen

der Bundesräte Dr. Reinhard Eugen Bösch und Kollegen an den Präsidenten des Bundesrates betreffend Erledigung der Selbständigen Anträge im Bundesrat (1607/J-BR/99)

der Bundesräte Dr. Reinhard Eugen Bösch und Kollegen an den Bundesminister für Inneres betreffend Aufhebung des Aufenthaltsverbotes über einen straffällig gewordenen Kroaten in Österreich (1608/J-BR/99)

der Bundesräte Erhard Meier, Horst Freiberger, Wolfgang Hager und Johanna Schicker an den Bundesminister für Landesverteidigung betreffend "Öffnung des Militärflughafens Zeltweg für zivile Zwecke" (1609/J-BR/99)


Bundesrat
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654. Sitzung / Seite 6

der Bundesräte Dr. Reinhard Eugen Bösch, Dr. André d'Aron, Dr. Peter Böhm, Mag. John Gudenus, Dr. Paul Tremmel und Kollegen an den Bundeskanzler betreffend "Neutralitäts-Lüge" des Bundeskanzlers (1610/J-BR/99)

der Bundesräte Dr. Reinhard Eugen Bösch und Kollegen an den Bundesminister für Inneres betreffend Mißbrauch der Versammlungsfreiheit (1611/J-BR/99)

der Bundesräte Dr. André d'Aron, Dr. Reinhard Eugen Bösch und Kollegen betreffend Zusammenlegung der Österreichischen Wetterdienste und Einsparungseffekte für das österreichische Bundesbudget an den Bundesminister für Wissenschaft und Verkehr (1612/J-BR/99)

der Bundesräte Ulrike Haunschmid, Dr. Reinhard Eugen Bösch, Mag. John Gudenus, Dr. Paul Tremmel und Engelbert Weilharter an den Bundesminister für Landesverteidigung betreffend Besetzung von Kommandantenfunktionen (1613/J-BR/99)

der Bundesräte Ulrike Haunschmid, Dr. Reinhard Eugen Bösch, Mag. John Gudenus, Dr. Paul Tremmel und Engelbert Weilharter an den Bundesminister für Landesverteidigung betreffend weitere Verbesserung der UO-Ausbildung (1614/J-BR/99)

der Bundesräte Ulrike Haunschmid, Dr. Reinhard Eugen Bösch und Kollegen an den Bundesminister für Wissenschaft und Verkehr betreffend Erhalt der Gütertransporte auf der Bahnstrecke Linz – Aigen/Schlägl (1615/J-BR/99)

Anfragebeantwortungen

des Bundesministers für Inneres auf die Frage der Bundesräte Dr. Paul Tremmel, Dr. Reinhard Eugen Bösch, Mag. John Gudenus, Andreas Eisl und Engelbert Weilharter (1462/AB-BR/99 zu 1582/J-BR/99)

des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten auf die Frage der Bundesräte Dr. André d'Aron, Dr. Reinhard Eugen Bösch, Ulrike Haunschmid und Kollegen (1463/AB-BR/99 zu 1580/J-BR/99)

des Bundesministers für Wissenschaft und Verkehr auf die Frage der Bundesräte Ernest Windholz und Kollegen (1464/AB-BR/99 zu 1581/J-BR/99)

des Bundesministers für Wissenschaft und Verkehr auf die Frage der Bundesräte Ernest Windholz und Kollegen (Zu 1464/AB-BR/99 zu 1581/J-BR/99)

des Bundesministers für Inneres auf die Frage der Bundesräte Ernest Windholz und Kollegen (1465/AB-BR/99 zu 1591/J-BR/99)

des Bundeskanzlers auf die Frage der Bundesräte Jürgen Weiss, Ilse Giesinger und Dr. Reinhard Eugen Bösch (1466/AB-BR/99 zu 1574/J-BR/99)

des Bundeskanzlers auf die Frage der Bundesräte Jürgen Weiss, Ilse Giesinger und Dr. Reinhard Eugen Bösch (1467/AB-BR/99 zu 1575/J-BR/99)


Bundesrat
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654. Sitzung / Seite 7

Beginn der Sitzung: 9.03 Uhr

Präsident Gottfried Jaud: Ich eröffne die 654. Sitzung des Bundesrates.

Das Amtliche Protokoll der 653. Sitzung des Bundesrates vom 15. April 1999 ist aufgelegen, unbeanstandet geblieben und gilt daher als genehmigt.

Krank gemeldet haben sich die Mitglieder des Bundesrates Josef Rauchenberger und Ing. Walter Grasberger.

Entschuldigt haben sich die Mitglieder des Bundesrates Dr. Günther Hummer, Alfred Gerstl und Ernest Windholz.

Angelobungen

Präsident Gottfried Jaud: Eingelangt ist ein Schreiben des Präsidenten des Salzburger Landtages betreffend Wahl der Mitglieder und Ersatzmitglieder in den Bundesrat. Ich ersuche die Schriftführung um Verlesung dieses Schreibens.

Schriftführerin Hedda Kainz:

"Sehr geehrter Herr Präsident!

Hiemit beehre ich mich, Sie, sehr geehrter Herr Präsident, davon in Kenntnis zu setzen, daß der Salzburger Landtag in seiner ersten (konstituierenden) Sitzung nach der am 7. März 1999 erfolgten Landtagswahl heute, Dienstag, 27. April 1999, gemäß Artikel 35 B-VG folgende Mitglieder des Bundesrates und deren Ersatzmänner gewählt hat:

Mitglieder: Ludwig Bieringer (ÖVP), Stefan Prähauser (SPÖ), Josef Saller (ÖVP), Mag. Eduard Mainoni (FPÖ)

Ersatzmitglieder: Ing. Christian Struber (ÖVP), Manfred Gruber (SPÖ), Hannes Miller (ÖVP), Dr. Karl Schnell (FPÖ)

Gemäß § 42 Abs. 1 Salzburger Landtags-Geschäftsordnungsgesetz (GO-LT), LGBl. Nr. 26/1999, liegt die für Wahlen erforderliche schriftliche Zustimmung der genannten Bundesräte und deren Ersatzmänner vor.

Ich bitte um Kenntnisnahme und Berücksichtigung."

Präsident Gottfried Jaud: Die neuen beziehungsweise wiedergewählten Mitglieder des Bundesrates sind im Hause anwesend. Ich werde daher sogleich ihre Angelobung vornehmen.

Nach Verlesung der Gelöbnisformel durch die Schriftführung wird die Angelobung mit den Worten "Ich gelobe" zu leisten sein.

Ich ersuche die Schriftführung um Verlesung der Gelöbnisformel und anschließend um den Namensaufruf.

Schriftführerin Hedda Kainz: "Sie werden geloben unverbrüchliche Treue der Republik Österreich, stete und volle Beobachtung der Verfassungsgesetze und aller anderen Gesetze sowie gewissenhafte Erfüllung Ihrer Pflichten."

Ich darf nun aufrufen: Herr Ludwig Bieringer.

Bundesrat Ludwig Bieringer (ÖVP): Ich gelobe.

Schriftführerin Hedda Kainz: Mag. Eduard Mainoni.


Bundesrat
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654. Sitzung / Seite 8

Bundesrat Mag. Eduard Mainoni
(Freiheitliche): Ich gelobe.

Schriftführerin Hedda Kainz: Stefan Prähauser.

Bundesrat Stefan Prähauser (SPÖ): Ich gelobe.

Schriftführerin Hedda Kainz: Josef Saller.

Bundesrat Josef Saller (ÖVP): Ich gelobe.

Präsident Gottfried Jaud: Ich begrüße die neuen beziehungsweise wiedergewählten Mitglieder recht herzlich in unserer Mitte. (Allgemeiner Beifall.)

Fragestunde

Präsident Gottfried Jaud: Wir gelangen nunmehr zur Fragestunde.

Um die Beantwortung aller zum Aufruf vorgesehenen Anfragen zu ermöglichen, erstrecke ich die Fragestunde, soferne mit 60 Minuten das Auslangen nicht gefunden wird, im Einvernehmen mit den beiden Vizepräsidenten erforderlichenfalls auf bis zu 120 Minuten.

Ich beginne jetzt – um 9.07 Uhr – mit dem Aufruf der Anfragen.

Bundesministerium für auswärtige Angelegenheiten

Präsident Gottfried Jaud: Wir kommen nun mehr zur 1. Anfrage, 1043/M, an den Herrn Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten. Ich bitte den Anfragesteller, Herrn Bundesrat Mag. Michael Strugl, um die Verlesung der Anfrage.

Bundesrat Mag. Michael Strugl (ÖVP, Oberösterreich): Sehr geehrter Herr Bundesminister! Meine Frage lautet:

1043/M-BR/99

Welche neuen Perspektiven eröffnet die Beschlußfassung über die Agenda 2000 für die Strukturpolitik in den Grenzregionen?

Präsident Gottfried Jaud: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Hoher Bundesrat! Zuerst herzliche Gratulation an die neugewählten oder wiedergewählten Bundesräte auch von der Regierungsbank aus.

Zur Agenda darf ich folgendes sagen: Wir haben bei den Schlußverhandlungen des Europäischen Rates in Berlin den Status des gesamten Burgenlandes als Ziel 1-Gebiet sichern können. Immerhin sind damit 260 bis 261 Millionen Euro in den Jahren 2000 bis 2006 verbunden. Das ist deutlich mehr als für die letzten fünf Jahre; da waren es 183 Millionen Euro.

Die Ziel 2-Gebiete werden neu definiert, und zwar mit dem von uns gewünschten Sicherheitsnetz und einer ausreichenden Flexibilisierung, also einer ausreichenden Berücksichtigung nationaler Problemindikatoren. Das heißt, der Anteil der förderfähigen Bevölkerung in den nächsten Jahren beträgt 24,7 Prozent, das sind rund 2 Millionen Menschen. Dieses Sicherheitsnetz war für uns ganz entscheidend.

Neu hineingekommen ist eine Aufwertung der Gemeinschaftsinitiativen, der INTERREG-Programme, die vor allem für diese Grenzregionen zweckgewidmet sind. Wir können für diese Programme insgesamt 350 Millionen Euro – das sind nicht ganz 5 Milliarden Schilling – für die nächsten sieben Jahre geltend machen. Das muß noch kofinanziert werden, daher stehen aus


Bundesrat
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654. Sitzung / Seite 9

diesem Titel für die Grenzregionen fast 10 Milliarden Schilling in den nächsten sieben Jahre von Bund und Ländern zur Verfügung.

Präsident Gottfried Jaud: Wird eine Zusatzfrage gewünscht? – Bitte.

Bundesrat Mag. Michael Strugl (ÖVP, Oberösterreich): Herr Bundesminister! Wie sieht ungefähr die zeitliche Planung für die Vorbereitung der Erstellung und Durchführung der neuen Programmgeneration aus?

Präsident Gottfried Jaud: Bitte, Herr Bundesminister.


Bundesrat
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654. Sitzung / Seite 10

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel:
Die Programme beginnen ab Jänner. Das heißt, wir müssen die Ziel 1-Programme bis spätestens September einreichen, wenn wir tatsächlich von Beginn weg mitdabeisein wollen. Wir müssen die Ziel 2-Vorschläge, die aber natürlich erst zwischen den Ländern abgestimmt werden müssen, meiner Einschätzung nach spätestens im Sommer fertig haben und in Brüssel einreichen. Wir wissen, daß die Kommission dafür natürlich auch einige Monate brauchen wird, hoffen aber, daß wir jedenfalls die Programmplanungsdokumente im Februar 2000 einreichen können.

Bei den Gemeinschaftsinitiativen ist es so, daß wir erst die Leitlinien, die die Kommission ausarbeiten muß, genehmigen müssen – das wird voraussichtlich am 17. 6. 1999 der Fall sein –, und wir haben auch bereits in der österreichischen Landeshauptleutekonferenz Übereinstimmung darüber erzielt, daß bis spätestens Mitte des Jahres die innerösterreichische Abstimmung fertig sein soll.

Präsident Gottfried Jaud: Herr Bundesrat Erhard Meier hat sich zu einer weiteren Zusatzfrage gemeldet. – Bitte schön.

Bundesrat Erhard Meier (SPÖ, Steiermark): Herr Vizekanzler! Welche Möglichkeiten bieten sich im Rahmen der Grenzlandförderung, insbesondere der Gemeinschaftsinitiativen INTERREG, LIGA UND EQUAL, die Pendlerproblematik für die grenznahen Regionen im Falle einer Integration der mittel- und osteuropäischen Länder zu entschärfen?

Präsident Gottfried Jaud: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Diese Grenzregionen sind für uns deswegen so wichtig, weil genau diese Probleme, die Sie mit dem Pendlerproblem angesprochen haben, dort gelöst werden könnten. Es wird befürchtet, daß bei einer allfälligen Integration von Nachbarländern – Tschechien, Slowakei, Ungarn oder Slowenien – die Regionen der Kandidatenländer aus dem Gemeinschaftsbudget gefördert werden, was zur Folge haben könnte, daß durch den Abbau von Förderungen quasi eine Verdünnung auf unserer Seite eintreten würde.

Deswegen haben wir massiv auf dieses Grenzlandregionenprogramm hingearbeitet, weil wir damit gegensteuern können. Da geht es natürlich um Verkehrsverbindungen, um Schulen, um Bildungsmöglichkeiten und um Wirtschaftsparks, die man damit fördern kann. Wir werden jetzt, natürlich gemeinsam mit den Bundesländern, die in diesem Zusammenhang eine besondere Bedeutung haben werden, erstklassige Projekte zu entwickeln haben, die dann der Kommission zur Genehmigung vorgelegt werden. Dazu gehört auch das Pendlerproblem, keine Frage.

Präsident Gottfried Jaud: Zu einer weiteren Zusatzfrage hat sich Herr Ing. Kurt Scheuch gemeldet. – Bitte schön.

Bundesrat Ing. Kurt Scheuch (Freiheitliche, Kärnten): Sehr geehrter Herr Bundesminister! Stimmt es, daß es von seiten der EU Geldflüsse in Richtung Flughafen Laibach zum Nachteil des Flughafens Klagenfurt gegeben hat, und wenn, wie hoch waren diese?

Präsident Gottfried Jaud: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Herr Bundesrat! Das kann ich Ihnen nicht auswendig sagen, weil ich die Zahlen bezüglich dessen, was Slowenien aus den EU-Budgets bekommt, nicht ständig bei mir trage. Aber ich werde Ihnen die gewünschten Zahlen gerne schriftlich liefern.

Nur sage ich Ihnen eines auch dazu: Ich wäre sehr vorsichtig mit Aussagen wie: Zum Nachteil Klagenfurts wird Laibach ausgebaut. – Ich sage Ihnen voraus, für die kommenden Jahre und Jahrzehnte wird der Ausbau von Flughäfen eines der wichtigsten Projekte in bezug auf Infrastruktureinrichtungen in der gesamten Region sein. Warum setzen wir Österreicher uns zum Beispiel so massiv dafür ein, daß es eine Flughafenkooperation zwischen Wien und dem 50 Kilometer entfernten Flughafen in Preßburg gibt? – Einfach deshalb, weil wir Flaschenhälse haben, die nur durch eine gemeinsame Kooperation gelöst werden können.

Ich persönlich würde großen Wert darauf legen, daß wir eine Investition oder eine Förderung in eine Infrastruktur, etwa in Straßen, in Eisenbahnlinien, in Flughäfen, jenseits der Grenze nicht als Bedrohung empfinden, sondern im Gegenteil, wir sollten von der rein nationalen Betrachtung ein bißchen weggehen und einfach überregional denken. Der Standort Österreich als solches hat unter Einbeziehung der Grenzregionen Ungarns, Sloweniens, Tschechiens, der Slowakei, aber auch Norditaliens oder der Schweiz und Süddeutschlands die riesige Chance, in den nächsten Jahren und Jahrzehnten die spannendste Wirtschaftsregion von ganz Europa zu werden.

Präsident Gottfried Jaud: Wir gelangen nunmehr zur 2. Anfrage, 1037/M, an den Herrn Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten. Ich bitte den Anfragesteller, Herr


Bundesrat
Stenographisches Protokoll
654. Sitzung / Seite 11

Bundesrat Albrecht Konecny, um die Verlesung der Anfrage.

Bundesrat Albrecht Konecny (SPÖ, Wien): Herr Vizekanzler! Meine Frage lautet:

1037/M-BR/99

Welche Position vertritt Österreich vor dem Hintergrund der Kosovo-Krise in der Frage der Reform der Vereinten Nationen, insbesondere hinsichtlich der Reform des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen?


Bundesrat
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654. Sitzung / Seite 12

Präsident Gottfried Jaud:
Bitte, Herr Bundesminister.


Bundesrat
Stenographisches Protokoll
654. Sitzung / Seite 13

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel:
Herr Bundesrat! Ich sage dazu ganz ehrlich, daß wir die Reform der Vereinten Nationen schon lange vor der Kosovo-Krise andiskutiert haben, und eigentlich hat sich unsere Bewertung durch die Kosovo-Krise nicht wirklich verändert. Wir unterstützen beispielsweise den neugewählten Generalsekretär der Vereinten Nationen, Kofi Annan, bei seinem Konzept, die UNO intern zu reformieren, etwa in bezug auf eine schlankere Verwaltung, eine größere Effizienz, eine bessere Koordination zum Beispiel etwa bei den humanitären Hilfsleistungen. – Die Konzentration der humanitären Assistenz der Vereinten Nationen ist sehr wichtig, und das ist ein Punkt, der übrigens auch im Rahmen der Kosovo-Krise erstmals sichtbar wird!

Nun aber zu der an sich hier offensichtlich besonders stark angesprochenen Frage der Reform des Sicherheitsrats: Auch da hat sich wenig geändert. Die österreichische Position ist, so glaube ich, allen bekannt. Wir vertreten eine Erweiterung des Teilnehmerkreises des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen auf bis zu 25 Mitglieder, Ständige und Nicht-Ständige Mitglieder, mit einem schrittweisen Abbau des Vetorechts von Ständigen Mitgliedern bis hin – als Fernziel – zur Abschaffung desselben.

Ich finde, das ist absolut richtig, hat aber mit einer speziellen Krise nichts zu tun. Es ist eigentlich die Lehre aus vielen Erfahrungen, die wir im Sicherheitsrat gemacht haben.


Bundesrat
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654. Sitzung / Seite 14

Präsident Gottfried Jaud:
Wird eine Zusatzfrage gewünscht? – Bitte sehr.

Bundesrat Albrecht Konecny (SPÖ, Wien): Wie würden Sie gerade bei den betroffenen Groß- und Nicht-ganz-so-groß-Mächten die Bereitschaft einschätzen, einen solchen Kurs mitzugehen?

Präsident Gottfried Jaud: Bitte, Herr Bundesminister.


Bundesrat
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654. Sitzung / Seite 15

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel:
Ehrliche oder diplomatische Antwort? (Heiterkeit. – Bundesrat
Konecny: Wir sind sozusagen unter uns!) – Ehrliche Antwort: gering.

Eine Ausweitung des Teilnehmerkreises ist, so glaube ich, eine absolute Möglichkeit. Eine Einschränkung des Vetorechts ist derzeit ein Wunsch aller anderen, und die fünf sind natürlich absolut nicht bereit, so etwas zu machen. Aber im Prinzip glaube ich, die Tendenz müßte dorthin gehen, so schwierig es ist. Aber es ist wichtig, daß man sich einmal auch Ziele setzt, die vielleicht heute noch unrealistisch sein mögen. Es wäre zum Beispiel ganz wichtig, daß die Europäische Union als solche einen Sitz im Sicherheitsrat hat. Wenn wir einmal beispielsweise eine Gemeinsame Außenpolitik haben, dann wäre das zum Beispiel ein absolutes Muß, wäre absolut vernünftig und sinnvoll. Ich weiß aber, daß dies heute kein Konsensstandpunkt aller 15 EU-Staaten ist.

Präsident Gottfried Jaud: Zu einer weiteren Zusatzfrage hat sich Herr Bundesrat Dr. Paul Tremmel gemeldet. – Bitte.

Bundesrat Dr. Paul Tremmel (Freiheitliche, Steiermark): Herr Präsident! Herr Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten! Österreich war vor einigen Jahren Nicht-Ständiges Mitglied des Sicherheitsrates. Sind diesbezüglich in der von Ihnen angedeuteten Form Initiativen, etwa Anfragen in schriftlicher Form, gesetzt worden?

Präsident Gottfried Jaud: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Ja, das ist erstens einmal schon einige Jahre her, und zweitens ist es nicht Aufgabe des Sicherheitsrates, die Reform der Vereinten Nationen, im besonderen jetzt der Institutionen – das wichtigste Organ ist natürlich der Sicherheitsrat – selbst durchzuführen, denn das muß von der Generalversammlung der Vereinten Nationen im Konsensweg, weil es auch Vertragsänderungen bedeutet, durchgesetzt werden. Aber diese Position, die ich jetzt auf die Anfrage von Herrn Bundesrat Konecny ausgeführt habe, ist die Position, die österreichische Vertreter, jetzt etwa Botschafter Sucharipa, immer eingenommen haben.

Präsident Gottfried Jaud: Zu einer weiteren Zusatzfrage hat sich Herr Bundesrat Franz Wolfinger gemeldet. – Bitte.

Bundesrat Franz Wolfinger (ÖVP, Oberösterreich): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Vizekanzler! Wie steht Österreich zu einem EU-Sitz im Sicherheitsrat?

Präsident Gottfried Jaud: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Wir kämpfen derzeit darum – ich begrüße das auch absolut –, daß große, wichtige Länder, die vor allem auch als Beitragszahler für die Vereinten Nationen unverzichtbar sind, wie etwa Deutschland, ein EU-Mitgliedsland, aber auch Japan, einen Ständigen Sitz im Sicherheitsrat bekommen. Das ist sehr schwierig, und das ist beispielsweise selbst innerhalb der Europäischen Union nicht klar, weil etwa die Italiener selbst einen Sitz für sich in Anspruch nehmen und nicht bereit sind, da einen EU-Konsens mitzutragen.

Daher ist auch das zweite Ziel, das ich persönlich sehr unterstützen würde, nämlich langfristig einen Sitz im wichtigsten Gremium der Vereinten Nationen dauerhaft mit einem Vertreter der Europäischen Union zu besetzen, im Moment nicht realistisch und vor allem nicht im Konsens mit allen 15 erzielbar.

Präsident Gottfried Jaud: Wir gelangen nunmehr zur 3. Anfrage, 1050/M, an den Herrn Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten. Ich bitte den Anfragesteller, Herrn Bundesrat Dr. Reinhard Eugen Bösch, um die Verlesung der Anfrage.

Bundesrat Dr. Reinhard Eugen Bösch (Freiheitliche, Vorarlberg): Herr Präsident! Herr Vizekanzler! Meine Frage lautet:

1050/M-BR/99

Sind Sie ebenso, wie Bundeskanzler Klima in einer Rede vor der NATO betonte, der Auffassung, daß seitens der NATO die Tür für eine Mitgliedschaft weiterhin offensteht?

Präsident Gottfried Jaud: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Der NATO-Gipfel, der vor dem Partnerrat stattgefunden hat, hat einige Prinzipien bekräftigt: Erstens einmal bleibt die Tür der NATO für künftige Erweiterungen offen. Das ist im Dokument ausdrücklich anerkannt. Zweitens sind Länder im Erweiterungszusammenhang genannt worden, nämlich Rumänien, Slowenien, Estland, Lettland, Litauen, Bulgarien, Slowakei, Mazedonien und Albanien.

Diese Beitrittswerber – Aspiring Nations heißt es im Dokument – bekamen einen sogenannten Membership Action Plan angeboten, gleichzeitig – das ist aber der entscheidende Unterschied oder vielleicht die Präzisierung zu dem, was ich vorhin gesagt habe – ist aber auch klargemacht worden, daß im Augenblick die Allianz keine weiteren Erweiterungsschritte vorsieht. Der nächste Gipfel findet – das ist in Washington fixiert worden – im Jahr 2002 statt. Das heißt, bis dorthin werden keine weiteren Erweiterungen stattfinden. Allerdings wird bis dorthin eine Diskussion etwa über ein europäisches Sicherheits- und Verteidigungssystem weitergeführt werden.

Präsident Gottfried Jaud: Wird eine Zusatzfrage gewünscht? – Bitte schön.

Bundesrat Dr. Reinhard Eugen Bösch (Freiheitliche, Vorarlberg): Ab wann wird Ihrer Auffassung nach im Rahmen dieser Diskussion ein NATO-Beitritt Österreichs wieder aktuell werden?

Präsident Gottfried Jaud: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Wie ich schon vorhin gesagt habe: Vor 2002, also vor dem nächsten NATO-Gipfel, sind konkrete Erweiterungen nicht wahrscheinlich. Allerdings wird in diesem Zeitraum – wie ich glaube, in den nächsten ein bis zwei Jahren – auf der europäischen Ebene die Diskussion um ein europäisches Sicherheits- und Verteidigungsbündnis sehr stark intensiviert werden – eine Diskussion, die übrigens unter österreichischem Vorsitz begonnen hat. Ich verweise darauf, daß sich etwa unter dem Vorsitz von Bundeskanzler Klima die Regierungschefs in Pörtschach mit diesem Thema massiv auseinandergesetzt und damals eigentlich eine Diskussion begonnen haben. Es haben sich dann die Verteidigungsminister zum erstenmal unter österreichischer Präsidentschaft – zum erstenmal überhaupt seit Bestehen der Union – zusammengefunden, die Außenminister – unter meinem Vorsitz – haben zweimal über dieses Thema getagt, und ich rechne damit, daß man sozusagen jetzt über den Weg einer europäischen Sicherheitsarchitektur die Fragen, die zusammenhängen – EU, WEU und NATO-Mitgliedschaft – sehr bald diskutieren wird. Das wird wahrscheinlich innerhalb der nächsten beiden Jahre eine sehr spannende Diskussion auf europäischer Ebene werden.

Präsident Gottfried Jaud: Zu einer weiteren Zusatzfrage hat sich Herr Bundesrat Alfred Schöls gemeldet. – Bitte.

Bundesrat Alfred Schöls (ÖVP, Niederösterreich): Herr Präsident! Herr Vizekanzler! Welche Folgen erwarten Sie von der NATO-Erweiterung für die europäische Sicherheit?

Präsident Gottfried Jaud: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: An sich absolut positive, denn der Beitritt von Polen, von Ungarn und der Tschechischen Republik zur NATO hat natürlich die Zone der Sicherheit und Berechenbarkeit, der Stabilität ausgedehnt, und das ist für uns – ein Land im Herzen Europas, an Bruchlinien, die jahrhundertelang immer wieder Kriege, Spannungen gezeitigt haben – absolut wichtig.

Ich glaube auch, daß diese Länder durch die Integration in die NATO einerseits, aber auch durch die unter österreichischer Präsidentschaft aufgenommenen Beitrittsverhandlungen eigentlich an Dynamik gewonnen haben. Der interne Reformprozeß – die Tendenz zur Demokratisierung, zu freien Medien, zur Übernahme des europäischen Rechtsbestandes, sozusagen die Annäherung an den europäischen Standard – hat eine deutliche Beschleunigung erfahren, und das ist für diese Länder, für ihre Bürger, für ihre Wirtschaft positiv, aber das ist natürlich auch für uns Österreicher absolut wichtig.

Präsident Gottfried Jaud: Zu einer weiteren Zusatzfrage hat sich Herr Bundesrat Herbert Thumpser gemeldet. – Bitte.

Bundesrat Herbert Thumpser (SPÖ, Niederösterreich): Sehr geehrter Herr Vizekanzler! Welche Möglichkeiten sehen Sie für ein neutrales Österreich in einer eigenständigen europäischen Sicherheitspolitik?

Präsident Gottfried Jaud: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Da ist es, so glaube ich, einmal sehr wichtig, daß man begreift, daß das Wesen einer europäischen Sicherheitspolitik nicht die Neutralität sein kann, sondern die Solidarität. Das ist das Kernprinzip, daß die 15 EU-Länder gemeinsam etwas tun wollen; wir kommen dann bei späteren Fragen darauf zu sprechen. Der Kern des Amsterdam-Vertrages ist, daß die 15 gemeinsam etwas tun wollen – die Petersberg-Aktionen, humanitäre Einsätze, Krisensicherung, Friedenssicherung, sogar militärische Aktionen zur Friedensschaffung. All dies setzt voraus, daß man gemeinsam etwas tun will, sonst bräuchte man den Amsterdam-Vertrag überhaupt nicht, sonst macht jeder weiter, was er will oder wozu er bereit ist oder wozu er sich in der Lage sieht. Das Wesen dieser europäischen Sicherheits- und Verteidigungsbemühungen ist es also, gemeinsam, solidarisch etwas zu tun.

Daher: In diesem Zusammenhang hat Neutralität überhaupt keinen Sinn. Im Gegenteil, wir wollen eine Einbindung – nie gegen unseren Willen, daher gibt es auch die Möglichkeit des Opting-out. Niemand wird gezwungen, an etwas teilzunehmen, aber es darf auch niemand, der sich zu einem solchen Prinzip bekennt, die anderen behindern. Daher ist alles, was seit 1. Mai mit dem Amsterdam-Vertrag in Kraft getreten ist, ein Mehr an Solidarität, aber auch – das muß man ehrlich und offen sagen – ein Weniger an Neutralität.

Aber das ist eine Position, die übrigens in der Bundesregierung gemeinsam vertreten wird, denn wir haben in der Bundesregierung einen gemeinsamen Beschluß gefaßt, daß wir an diesen europäischen Projekten teilnehmen wollen. Der Nationalrat und der Bundesrat haben den Amsterdam-Vertrag mit mehr als der erforderlichen Zweidrittelmehrheit ratifiziert, er ist daher geltendes Recht. Wir haben jetzt schon angekündigt, daß wir uns, wenn es zu den politischen Beschlüssen kommt, die etwa bis zur Verschmelzung EU und WEU gehen können, jetzt schon deklarieren und sagen: Daran werden wir teilnehmen.

Das ist eigentlich ein sehr wichtiger Punkt. Es ist auch gar nicht mehr notwendig, das zu ratifizieren, da genügt ein Beschluß des Rates oder wahrscheinlich des Europäischen Rates. – Ich sage das nur, damit man in Erinnerung ruft, was wir eigentlich schon beschlossen haben; all dies ist vernünftig, ist sinnvoll, bringt ein Mehr an Sicherheit für ganz Europa, bringt aber auch für uns ein Mehr an Solidarität und ein Weniger an Neutralität.

Präsident Gottfried Jaud: Wir gelangen nunmehr zur 4. Anfrage, 1044/M, an den Herrn Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten. Ich bitte den Anfragesteller, Herrn Bundesrat Dr. Vincenz Liechtenstein, um die Verlesung der Anfrage.

Bundesrat Dr. Vincenz Liechtenstein (ÖVP, Steiermark): Herr Bundesminister! Meine Frage lautet:

1044/M-BR/99

Welche wesentlichen Fortschritte bringt das Inkrafttreten des Amsterdamer Vertrages für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union?

Präsident Gottfried Jaud: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Herr Bundesrat! Ich darf das in Schlagworten beantworten, weil, so glaube ich, allen gut bekannt ist, was hier gemeint ist.

Das erste ist einmal: Zum ersten Mal soll ein sichtbarer Vertreter – der sogenannte Hohe Vertreter der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik – benannt werden. Das sollte eine Persönlichkeit mit einem starken politischen Profil sein, und wir haben gehofft, daß man eigentlich jetzt schon über konkrete Namen reden kann. Das ist leider noch nicht der Fall, aber wir hoffen, daß in Köln ein solcher Beschluß gefaßt wird.

Ein zweiter Beschluß sind die gemeinsamen Strategien. Wir haben in Wien den Beschluß gefaßt – aufgrund dieses Amsterdam-Vertrages –, als erste Strategie eine Rußland-Strategie vorzunehmen; diese ist im Moment in Arbeit.

Der dritte Bereich, der mit Sicherheit gerade jetzt besondere Aktualität hat, ist das Balkan-Konzept der Europäischen Union. Da gibt es erste Entwürfe, da haben auch die Österreicher schon massiv in unserer Präsidentschaft mitgearbeitet.

Vierter Punkt: Es soll innerhalb des Rates – das Ratssekretariat unterstützt den Ministerrat der Union besonders stark und nachhaltig – zum ersten Mal eine eigene Strategie- und Planungseinheit, eine Task-Force, zum Einsatz kommen, die nachdenkt, was kann theoretisch an Problemen auf uns zukommen – damit man dann nicht von dem überrascht wird, was gerade irgendwo an Schwierigkeiten da ist. Diese Planungseinheit soll möglichst rasch eingesetzt werden.

Dann kommen eben, wie schon erwähnt, die sogenannten Petersberg-Aufgaben dazu, ganz konkrete Aktionsmöglichkeiten der Union. Das war bei uns verfassungsrechtlich nicht ganz einfach. Viele wissen, daß wir dazu unsere Bundesverfassung ändern mußten: Wir haben einen Artikel 23f neu eingeführt, der ganz bewußt unser Neutralitätsgesetz einschränkt und unseren Handlungsspielraum erweitert.

Das andere ist operational auch noch interessant, denn durch den Amsterdam-Vertrag kann erstmals die Westeuropäische Union sozusagen einen Verteidigungsarm – wie immer Sie es nennen wollen – in Anspruch nehmen, und es ist klar, daß am Ende eines solchen Prozesses auch eine gemeinsame Verteidigungspolitik der Union entstehen kann.

All dies enthält in Ansätzen der Amsterdam-Vertrag, aber natürlich bedarf die Durchführung weiterer Willensbildungen und konkreter Beschlüsse.

Präsident Gottfried Jaud: Wird eine Zusatzfrage gewünscht? – Bitte.

Bundesrat Dr. Vincenz Liechtenstein (ÖVP, Steiermark): Welche Rolle hat der Hohe Vertreter?

Präsident Gottfried Jaud: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Es wird eine neue Troika geben. Diese neue Troika, die die Union nach außen vertreten soll, wird aus dem jeweiligen Präsidenten – in der Regel ist das in der Außenpolitik natürlich der Außenminister jenes Landes, das den Vorsitz führt; jetzt Deutschland – plus dem Generalsekretär des Rates und gleichzeitig Hohem Vertreter der Außenpolitik – er ist sozusagen das kontinuierliche Element in der Außenpolitik, denn er wird dauerhaft oder jedenfalls für eine bestimmte Periode von Jahren bestellt – und der Kommission bestehen, die eine ganz bestimmte Aufgabe hat, etwa was die humanitäre Zielsetzung betrifft. Wirtschaftshilfe ist Gemeinschaftsrecht, und damit ist die Kommission zuständig. Da hoffen wir, daß es dann einen Kommissar oder eine Kommissarin geben wird, die für die Außenvertretung der Union zuständig ist, sodaß wir dann praktisch eine neue Troika haben werden: Präsidentschaft, Generalsekretär, Hoher Vertreter der Außenpolitik plus Kommissionsaußenvertretung. Die drei vertreten dann die Union nach außen. Das, so glaube ich, wäre eine ganz interessante Geschichte.

Präsident Gottfried Jaud: Zu einer weiteren Zusatzfrage hat sich Herr Bundesrat Stefan Prähauser gemeldet. – Bitte.

Bundesrat Stefan Prähauser (SPÖ, Salzburg): Herr Vizekanzler! Ist unsere Neutralität bei der Umsetzung des Amsterdamer Vertrages eine Belastung?

Präsident Gottfried Jaud: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Eine Belastung nicht, weil wir unsere Gesetze so angepaßt haben, daß wir an all diesen Projekten solidarisch teilnehmen können.

Präsident Gottfried Jaud: Zu einer weiteren Zusatzfrage hat sich Herr Bundesrat Dr. Peter Böhm gemeldet. – Bitte.

Bundesrat Dr. Peter Böhm (Freiheitliche, Wien): Herr Präsident! Herr Bundesminister! Teilen Sie die Auffassung Ihres Koalitionspartners, insbesondere des Herrn Bundeskanzlers, aber auch die kürzlich in völliger Kehrtwendung gegenüber der bisherigen Position Ihrer Partei geäußerte Ansicht von Klubobmann Dr. Khol und Ihrer Abgeordneten im Europaparlament Ursula Stenzel, daß Österreich seine Neutralität unverändert beibehalten kann, weil wir an den sogenannten Petersberg-Missionen nicht teilnehmen müssen, und daß dies sogar dann gelten soll, wenn sich die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU dahin entwickelt, daß EU und WEU miteinander verschmolzen werden und sich eine europäische Verteidigungsstruktur im Rahmen der NATO herausbildet? Teilen Sie das, oder sehen Sie wie wir darin einen so eklatanten wie evidenten Widerspruch in sich?

Präsident Gottfried Jaud: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Ich will jetzt andere nicht kommentieren, vor allem war das jetzt so zusammengepackt, daß das eigentlich acht Fragen und Kommentare zu drei verschiedenen anderen Meinungen gewesen sind.

Ich sage Ihnen meine Meinung ganz klar dazu: Wir haben alles abgeändert, damit wir an diesen Projekten teilnehmen können. Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Von "unverändert" kann überhaupt nicht die Rede sein. Die österreichische Neutralität war nie unverändert. Wir sind den Vereinten Nationen zu einem Zeitpunkt beigetreten, als die Vereinten Nationen noch keine Zwangsmaßnahmen gegen Mitglieder hatten. Wir haben das dann mitgetragen. Wir haben unsere Gesetze abgeändert. Wir sind der Europäischen Union beigetreten und haben damit natürlich auch unseren Neutralitätsstatus verändert. Wir haben ihn inhaltlich anders interpretiert, haben auch die notwendigen Verfassungsgesetze dazu beschlossen.

Wir haben gerade vor wenigen Monaten – von "unverändert" kann also nicht die Rede sein – ein Verfassungsgesetz, Artikel 23f, beschlossen, das es uns überhaupt ermöglicht, an diesen Pe


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tersberg-Aktionen teilzunehmen. Daher: Von "unverändert" kann nicht die Rede sein, und sollte eine solche Gemeinsame Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik entstehen, würde sie selbstverständlich auch eine weitere Veränderung bedeuten.

Man kann jetzt darüber diskutieren, ob das eine Abschaffung der Neutralität bedeutet. Ich glaube nicht, denn es bleiben eben Restbestände erhalten, wo Sie selbstverständlich auch weiterhin eine eigenständige neutrale Position einnehmen können. Aber es wird immer weniger wichtig. Im Rahmen der Europäischen Agenda ist selbstverständlich Solidarität gefragt. Das ist aber genau die gleiche Meinung, die Ursula Stenzel oder Andreas Khol immer wieder zum Ausdruck gebracht haben. Von einer unveränderten, quasi von 1955 bis 2045 reichenden unveränderten Neutralität kann sicher nicht die Rede sein. Die Welt hat sich geändert, unser Neutralitätsverständnis, unsere Solidaritätsnotwendigkeit, unser Empfinden für ein gemeinsames Handeln haben sich geändert, und ich finde es ganz in Ordnung, daß wir das auch offen und ehrlich sagen. Man soll den Leuten reinen Wein einschenken, und das tue ich hiemit.

Präsident Gottfried Jaud: Meine sehr verehrten Damen und Herren! Aufgrund dieser eben gestellten Frage möchte ich Sie alle noch einmal daran erinnern, um gleich den Anfängen zu wehren, ohne kleinlich erscheinen zu wollen: Nach § 63 Abs. 5 der Geschäftsordnung hat jede Zusatzfrage mit der Hauptfrage in unmittelbarem Zusammenhang zu stehen. Es darf nur eine konkrete Frage gestellt werden; sie darf nicht in mehrere Unterfragen geteilt werden. (Bundesrat Dr. Böhm: Das war es auch!)

Wir kommen nun zur 5. Anfrage, 1038/M, an den Herrn Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten. Ich bitte Herrn Bundesrat Erhard Meier um Verlesung der Anfrage.

Bundesrat Erhard Meier (SPÖ, Steiermark): Herr Bundesminister! Meine Frage lautet:

1038/M-BR/99

Welche institutionelle Weiterentwicklung der EU (Rat, Kommission, Parlament, Kontrolle, Gerichtsbarkeit) ist vor allem im Hinblick auf die Erweiterung notwendig?

Präsident Gottfried Jaud: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Persönlich glaube ich, daß diese Reformen in jedem Fall notwendig sind, auch wenn wir die Union überhaupt nicht erweitern würden. Aber es ist richtig, daß der Erweiterungszusammenhang immer wieder offen angesprochen wird.

Wir haben einige Punkte, die beim Amsterdamer Vertrag offengeblieben sind. Das ist einmal die Frage der Zahl der Kommissäre. Im Moment ist es so: Jedes Land hat einen Kommissär, fünf große Länder haben zwei Kommissäre. Würde jetzt eine Erweiterung stattfinden, hätten die meisten Länder einen Kommissär zusätzlich, und die Polen wären dann mit zwei Kommissären in der Kommission vertreten. Daraus ergibt sich die Gefahr, daß die Kommission zu groß und damit handlungsunfähig würde. Wir haben diskutiert, hatten damals aber keinen Konsens, daß man nach einer bestimmten Zeittabelle – das kann mit der Erweiterung Hand in Hand gehen – die Zahl der Kommissionsmitglieder auf generell einen Kommissär pro Land beschränkt. Das ist, so glaube ich, eine vernünftige Lösung. Österreich ist dafür.

Die großen Länder sagen, sie wären bereit, darüber zu reden – einen Konsens gibt es noch nicht –, aber es müßte dann darüber nachgedacht werden, daß man das Stimmgewicht im Rat anders gliedert. Vergleich: Österreich hat vier Stimmen im Rat, die Deutschen, deren Einwohnerzahl zehnmal höher ist, haben zehn Stimmen im Rat. Über eine solche Gewichtung in einem geringen Umfang kann man sicherlich diskutieren. Sie spielt auch, ehrlich gesagt, in der Praxis eine relativ geringe Rolle. Es geht im wesentlichen eher um die Frage der Sperrminoritäten, ab wann man bei qualifizierter Mehrheit einen Beschluß verhindern kann.


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Also ich persönlich glaube, daß in diesem Bereich ein Konsens möglich ist, aber er ist noch nicht ausdiskutiert. Dazu müßte eine eigene Regierungskonferenz geschaffen werden, welche wahrscheinlich in den nächsten ein, zwei Jahren ihre Arbeit aufnehmen wird.

Der dritte Punkt, der immer wieder diskutiert wird, aber nicht in einem unmittelbaren Zusammenhang mit den Amsterdamer Verträgen steht, ist der Wunsch nach mehr Mehrheitsabstimmungen. Wir haben heute wahnsinnig viele Bereiche, die immer nur einstimmig beschlossen werden können, und damit ist natürlich die Gefahr von Blockaden relativ groß. Da gibt es eine Initiative der Belgier, Franzosen, Italiener, die diese Frage des Prinzips der Mehrheitsabstimmung als Regel – Finanzfragen und Vertragsänderungen immer ausgenommen – zum Gegenstand einer neuen Regierungskonferenz machen wollen. Persönlich würde ich das für sehr wichtig halten.

Diese drei Punkte, so würde ich sagen, stehen im Vordergrund einer künftigen Institutionenreform.

Präsident Gottfried Jaud: Wird eine Zusatzfrage gewünscht? – Bitte.

Bundesrat Erhard Meier (SPÖ, Steiermark): Wird nach dem Inkrafttreten des Amsterdamer Vertrages und nach der Ernennung der neuen Kommission die Außenpolitik der EU durch Zusammenfassung der Agenden etwa bei einem Kommissär oder bei einem "Mister GASP" mehr Gemeinsamkeit darstellen?

Präsident Gottfried Jaud: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Ich hoffe das sehr. Die Frage ist – das muß man natürlich der Kommission überlassen, vor allem dem neuen Kommissionspräsidenten Romano Prodi, der jetzt mit überwältigender, ich glaube, mit fast Vierfünftelmehrheit vom Parlament bestätigt und einstimmig auch schon vom Europäischen Rat designiert wurde –, ob sozusagen eine Person in der Kommission tatsächlich für alle Außenbeziehungen voll verantwortlich sein soll. Sie müssen sich vorstellen, diese Person ist dann nicht nur für außenpolitische Fragen zuständig, sondern müßte die Handelsfragen mit den Amerikanern, mit den Japanern, mit allen asiatischen Ländern genauso behandeln wie etwa die Fragen der Außenbeziehungen zum Mittelmeerraum oder die Fragen betreffend Rußland, betreffend die wirtschaftlichen Auswirkungen der Balkankrise. Also die Frage, wie sich die Kommission sozusagen intern organisiert, muß sie selbst lösen. Dazu kann auch ein Ratsmitglied selbst bei gutem Willen, so glaube ich, wenig beitragen. Das muß in der Kommission erarbeitet werden. Ob das physisch eine Person allein schafft, ist die Frage, das traue ich mir nicht zu sagen. Die Bereiche waren früher zusammen, aber sie haben sie dann aus Gründen der Arbeitsüberlastung getrennt. Das heutige System ist nicht gut, da haben wir fünf, und das ist absolut ineffizient.

Präsident Gottfried Jaud: Zu einer weiteren Zusatzfrage hat sich Herr Bundesrat Dr. André d'Aron gemeldet. Ich bitte um die Zusatzfrage.

Bundesrat Dr. André d'Aron (Freiheitliche, Wien): Herr Vizekanzler! Im Zusammenhang mit den Skandalen bei der EU – ich erwähne hier nur BSE-Skandal, Geldverschwendung, politische Besetzungen und sicherlich auch Besetzungen innerhalb der EU – hat sich gezeigt, daß das EU-Parlament nicht jene Rechte im Durchschnitt hat, die die Landesparlamente der einzelnen Mitgliedsländer haben, und zwar hinsichtlich der Regierung, also hinsichtlich der EU-Kommissäre. Ich frage Sie daher in diesem Zusammenhang: Setzen Sie sich dafür ein, daß das EU-Parlament das Recht erhält, auch einzelnen Kommissären gegenüber das Mißtrauen aussprechen zu können?

Präsident Gottfried Jaud: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Ich darf Ihnen in einem Punkt massiv widersprechen: Die EU-Kommission ist ganz sicher nicht die europäische Regierung. Herr Bundesrat! Ich würde mich als Österreicher massiv dagegen zur Wehr setzen, daß wir plötzlich den Eindruck erwecken, die EU-Kommission ist unsere euro


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päische Regierung – überhaupt nicht! Die Kommission ist die von den Mitgliedsländern bestellte Spitze der Verwaltung.

Die politische Regierung sind immer noch die Mitgliedsländer, die zugleich einerseits Regierung und andererseits Gesetzgebung sind und von den nationalen Parlamenten kontrolliert werden. Bitte, auf diese Balance lege ich gerade als Vertreter eines kleinen Landes sehr viel wert, denn bezüglich der Alternative eines quasi direkt demokratisch gewählten Europäischen Parlaments und einer Art europäischen Regierung, die vom Parlament kontrolliert wird, sage ich Ihnen voraus, daß wir nach der Erweiterung irgendwo in einem Meer von 700 Abgeordneten mit unseren derzeit 21 Abgeordneten verschwinden und in Wahrheit viel weniger Möglichkeiten, den Gang der europäischen Geschichte und Agenda zu beeinflussen, als heute haben.

Ich werde also mit Sicherheit nicht den Eindruck mittragen, daß wir eine europäische Regierung und ein Europäisches Parlament haben und das gleiche, was in Österreich gespielt wird, dann auf europäischer Ebene gemacht wird. Das ist, so glaube ich, eine sehr vernünftige, feine Balance, die hier gefunden wird.

Natürlich bin ich dafür – konkrete Frage –, daß das Europäische Parlament im Falle des Fehlverhaltens eines Kommissärs andere Möglichkeiten eingeräumt bekommt. Ich sage ganz offen, es war so, daß nicht der ganzen Kommission Fehlverhalten vorgeworfen werden konnte, sondern nur ganz wenigen Mitgliedern. Sie wurden benannt, die Namen brauche ich hier nicht zu wiederholen, denn Sie kennen sie ohnehin alle. Es wäre klug gewesen, hätten diese Personen ihre persönliche politische Verantwortung so interpretiert, daß sie sich nicht hinter einem Kollektiv verstecken, sondern selbst die Verantwortung übernehmen oder, wenn das schon nicht gemacht wird, daß dann das Europäische Parlament die Möglichkeit der Abwahl erhält oder wenigstens der Kommissionspräsident das Recht hat, einzelne Kommissäre zu entlassen.

Diese Möglichkeit muß es selbst in einer Verwaltung geben, weil ich auch haben möchte, wenn in meinem Haus etwas nicht richtig läuft, daß ich zumindest den Verantwortlichen von seinem Posten wegbringe. Wenn ich das nicht machen kann, dann kann ich auch keine politische Verantwortung wahrnehmen. Das ist meine Antwort auf Ihre Frage.

Präsident Gottfried Jaud: Zu einer weiteren Zusatzfrage hat sich Herr Bundesrat Peter Rodek gemeldet. – Bitte.

Bundesrat Peter Rodek (ÖVP, Oberösterreich): Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Vizekanzler! Welche Reformen wären vor der Erweiterung der Europäischen Union noch vorstellbar?

Präsident Gottfried Jaud: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Ein Punkt ist zum Beispiel die interne Effizienzsteigerung – dazu braucht man gar keine Vertragsänderung –, etwas, was wir in unserer Präsidentschaft begonnen haben. Ich habe einen ganzen Tag beim informellen Außenministerrat damit zugebracht, daß wir einfach eine ganz neue Aufgabenverteilung und Arbeitsmethode im Allgemeinen Rat diskutiert haben, die bisher auch völlig klaglos läuft. Das heißt, wir haben jetzt geblockt, was horizontale Arbeit ist, also wo andere Bereiche sind, die die Unionspolitik betreffen. Die Außenminister machen nicht nur die Außenpolitik, sondern sie sind quasi als Allgemeiner Rat letztlich für die Finanzen, für die Vertragsänderungen, für alles zuständig. Das wird am Anfang immer diskutiert: Agenda, Verfassungsänderungen, Strategien et cetera. Dann, beim informellen Minister-Mittagessen, werden immer die heiklen Dinge diskutiert, Dinge, die man sozusagen nicht schon beschlußfertig vor sich hat, damit man Impulse für die Arbeit der Beamten gibt, und am Nachmittag wird die Außenpolitik gemacht, und zwar ganz konkret Punkt für Punkt. Am zweiten Tag haben wir immer die Drittstaatenkontakte, sei es Europakonferenz, seien es Beitrittsverhandlungen, seien es die Troika-Treffen, seien es die Assoziationsräte. All diese Punkte sind am zweiten Tag dran. Das heißt, wir bestehen darauf: Die Minister müssen am ersten Tag dasein, müssen sich am Vormittag für die europäischen Agenden Zeit nehmen, am Nachmittag für die Außenpolitik, und der zweite Tag ist dann für die Drittstaatenkontakte vorgesehen.


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Ein zweiter Punkt, der ganz wichtig ist, ist, daß man die Betrugsbekämpfung ernst nimmt, ernster nimmt als in der Vergangenheit. Es muß ein unabhängiges Betrugsbekämpfungsbüro eingerichtet werden, dieses OLAF. Diesbezüglich hat das Parlament viel gemacht, das muß man auch sehr anerkennen. Man muß aber auch dem scheidenden Kommissionspräsidenten Jacques Santer ein ausgesprochenes Dankeschön sagen, denn das war seine Idee genauso. Daß wir das heute haben, ist ein gutes Zeichen für das Funktionieren der europäischen Institutionen.

Präsident Gottfried Jaud: Wir gelangen nunmehr zur 6. Anfrage, 1045/M, an den Herrn Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten. Ich bitte den Anfragesteller, Herrn Bundesrat Dr. Milan Linzer, um die Verlesung der Anfrage.

Bundesrat Dr. Milan Linzer (ÖVP, Burgenland): Herr Präsident! Herr Vizekanzler! Meine Frage lautet:

1045/M-BR/99

Wie ist der aktuelle Stand der Beitrittsverhandlungen der Europäischen Union mit den mittel- und osteuropäischen Ländern?

Präsident Gottfried Jaud: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Herr Bundesrat Dr. Linzer! Wir haben unter österreichischem Vorsitz mit den Verhandlungen begonnen, wir haben sieben von insgesamt 31 Kapiteln eröffnet und zum Teil mit den sechs Kandidaten auch provisorisch abgeschlossen. Wir rechnen damit, daß unter deutschem Vorsitz weitere Kapitel jetzt im Mai politisch besprochen und sicherlich auch vorläufig abgeschlossen werden können. Die Finnen wollen dieses Tempo weitergehen. Wir rechnen vor allem damit, daß dann beim Europäischen Rat in Helsinki weitere Länder in den Kreis der Verhandlungsteilnehmer aufgenommen werden. Vor allem wäre es für uns wichtig, daß unser Nachbarland Slowakei in diesen Kreis aufgenommen wird, aber auch die anderen beiden baltischen Länder.

Präsident Gottfried Jaud: Wird eine Zusatzfrage gewünscht? – Bitte.

Bundesrat Dr. Milan Linzer (ÖVP, Burgenland): Herr Vizekanzler! Lassen sich jetzt schon die Schritte der Beitrittsverhandlungen mit den unmittelbaren Nachbarländern für die nächsten ein, zwei Jahre skizzieren?

Präsident Gottfried Jaud: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Ich rechne damit, daß wir Mitte des Jahres ungefähr die Hälfte aller Kapitel mit den unmittelbaren Nachbarländern, Slowakei als Ausnahme, abgeschlossen, vorläufig abgeschlossen haben werden. Wir wissen, daß in den Ländern selbst die Anstrengungen auf Hochtouren laufen, um auch Schritt zu halten mit diesem sehr anspruchsvollen Zeitplan. Das hat natürlich auch sehr positive Auswirkungen für uns, nämlich in bezug auf die Rechtssicherheit für unsere Investoren, für unsere Unternehmer, die dort Handel treiben oder Niederlassungen aufgemacht haben. Es hat, so finde ich, auch politisch einen sehr positiven Effekt, weil sich dadurch – auch im Wissen, daß sich Österreich für diesen Kalender sehr eingesetzt hat – auch Möglichkeiten ergeben haben, die uns ansonsten nicht so ohne weiteres offengestanden wären.

Ich bin jedenfalls mit dieser Strategie sehr zufrieden. Wir haben auch sichtbare wirtschaftliche Erfolge verzeichnen können, die uns mit Sicherheit auch Arbeitsplatzeffekte in Österreich gebracht haben.

Präsident Gottfried Jaud: Zu einer weiteren Zusatzfrage hat sich Herr Bundesrat Johann Payer gemeldet. – Bitte.

Bundesrat Johann Payer (SPÖ, Burgenland): Sehr geehrter Herr Vizekanzler! In der Studie des Wifo über die Auswirkungen der EU-Osterweiterung auf den österreichischen Arbeitsmarkt


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wird von einem zusätzlichen Arbeitskräfteangebot im Ausmaß von 47 000 Arbeitskräften gesprochen. Ein besonderes Problem dabei ist aber die Pendlerproblematik. Mit Übergangsfristen kann man die Migration sicher in den Griff bekommen.

Welche zusätzlichen Kriterien könnten Sie sich vorstellen, um die Pendlerströme etwas einzudämmen? – Ich frage das aus der Position des Burgenlandes.


Bundesrat
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Präsident Gottfried Jaud:
Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Es ist wahnsinnig schwierig, wissenschaftlich und ökonomisch Migrationsströme wirklich genau und exakt zu berechnen. Denken Sie an unseren eigenen Beitritt vor jetzt fast viereinhalb Jahren. Die Situation ist damals ganz ähnlich gewesen. Wir haben zum Teil Horrorzahlen prognostiziert bekommen, was sich alles abspielen wird etwa in bezug auf Billigarbeitskräfte, die von Portugal, Süditalien nach Österreich kommen werden, jetzt aber kennen wir die genaue Auswirkung.

Es sind, so glaube ich, insgesamt um zirka 6 000 mehr EU-Bürger nach Österreich gekommen. Es ist extrem schwer zu schätzen, wie viele zusätzliche Arbeitskräfte im Falle einer EU-Erweiterung nach Österreich kommen würden.

Erstens weiß niemand, wann die erste EU-Erweiterung stattfinden wird.

Zweitens weiß niemand, wie zum Zeitpunkt der ersten EU-Erweiterung die wirtschaftliche Situation in dem betreffenden Beitrittsland oder in den betreffenden Beitrittsländern sein wird.

Drittens weiß niemand, wie zu diesem Zeitpunkt die wirtschaftliche Situation und Aufnahmefähigkeit in den EU-Staaten sein wird.

Wenn man realistisch ist, dann muß man – heute haben wir das Jahr 1999 – davon ausgehen, daß die erste derartige Terminsetzung vielleicht das Jahr 2004 oder das Jahr 2005 sein kann. Ich bezweifle, daß Sie einen seriösen Ökonomen finden, der Ihnen auch nur eine einigermaßen haltbare Wirtschaftsprognose für einen Zeitraum von fünf, sechs, sieben Jahren machen kann.

Ich sage das jetzt nicht deswegen, um etwas zu verschweigen – ich gestehe: das ist ein Problem, das ist gar keine Frage –, sondern deshalb, weil ich darauf hinweisen will, daß es enorm schwierig ist, jetzt zu sagen: Es werden beispielsweise 47 000, 32 500 oder 50 000 sein. Das ist wirklich nicht mehr als ein Über-den-Daumen-Peilen.

Die strategische Antwort auf ein solches Problem, das man ernst nehmen sollte, ist: Wir verhandeln, geben diesen Ländern Impulse auf ihren Weg, der ihnen ja auch wirtschaftlich hilft! Wenn diese Länder eine Beitrittsperspektive haben, so ist es natürlich das beste Mittel, daß sie auch international Investitionskapital bekommen und damit ihre Arbeitsplatzsituation verbessern können.

Zweitens: Es ist sehr wichtig, daß wir versuchen, diesseits und jenseits der Grenze als Österreicher mit beiden Beinen zu stehen. Das ist im Burgenland, muß man sagen, hervorragend gelungen, weil auf diese Art und Weise vieles abgefedert werden kann. Ein Betrieb, der mit beiden Beinen in den relevanten Grenzregionen steht, tut sich wesentlich leichter, als einer, der nur auf der einen Seite steht. Er kann so vieles abfedern.

Drittens: Es ist klar – aber über diese Kapitel haben wir noch nicht einmal zu verhandeln begonnen, weil das bilaterale Acquis Screening über die heiklen Themen "Landwirtschaft" und "Arbeitsmarkt" überhaupt noch nicht begonnen hat –, daß wir in diesem Bereich Übergangsfristen verlangen werden. Das ist gemeinsame Auffassung. Es finden diesbezüglich wöchentlich Koordinationssitzungen mit den österreichischen Sozialpartnern statt, auch mit allen Ministerien und mit allen davon betroffenen Bundesländern, sodaß wir mit einer gemeinsamen Linie in diese wichtigen Verhandlungen gehen können.

Präsident Gottfried Jaud: Zu einer weiteren Zusatzfrage hat sich Herr Bundesrat Mag. John Gudenus gemeldet. Ich bitte um die Zusatzfrage.

Bundesrat Mag. John Gudenus (Freiheitliche, Wien): Herr Bundesminister! Hat Österreich schon offizielle Verhandlungen über die Freizügigkeit von Arbeitskräften aus den genannten Länderbereichen eingeleitet?

Präsident Gottfried Jaud: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Herr Bundesrat! Es ist genauso, wie ich es soeben gesagt habe: Über diese zwei heiklen Kapitel "Landwirtschaft" und "Migration beziehungsweise Freizügigkeit des Personenverkehrs" sind die Beratungen noch nicht einmal von der Kommission mit den betroffenen Ländern begonnen worden. Sie werden wahrscheinlich in den nächsten Wochen beginnen. Aber ich bin nicht einmal sicher, ob schon unter finnischem EU-Ratsvorsitz diese politischen Verhandlungen beginnen werden. Es wird meiner Einschätzung nach erst in einem Jahr mit den Verhandlungen auf politischer Ebene begonnen werden.

Präsident Gottfried Jaud: Wir gelangen nunmehr zur 7. Anfrage, 1051/M, an den Herrn Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten. Ich bitte Herrn Bundesrat Dr. Paul Tremmel um die Verlesung seiner Anfrage.

Bundesrat Dr. Paul Tremmel (Freiheitliche, Steiermark): Herr Präsident! Herr Bundesminister! Meine Frage lautet:

1051/M-BR/99

Aus welchen Gründen halten Sie nach wie vor daran fest, daß die Frage der Aufhebung der menschenrechts- und völkerrechtswidrigen Beneš-Dekrete in der Tschechischen Republik und der AVNOJ-Bestimmungen in Slowenien eine bilaterale und keine EU-relevante Angelegenheit ist?

Präsident Gottfried Jaud: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Zum ersten halte ich fest – wir haben das schon einige Male auch im Bundesrat diskutiert –, daß es in der Bewertung der Beneš-Dekrete und der AVNOJ-Dekrete als menschenrechtswidrig und völkerrechtswidrig nichts Trennendes gibt. Ich glaube, daß das alle Fraktionen so sehen. Die Flüchtlingsströme der Sudetendeutschen, der Mährer oder der Donauschwaben sind ganz ähnlich beziehungsweise genauso zu sehen – und zwar mit Schmerz und Trauer und zum Teil auch mit ohnmächtigem Entsetzen, auch nachträglich, 50 oder 55 Jahre danach – wie die heutigen Flüchtlingsströme im Kosovo oder jene in Bosnien oder sonstwo. Da gibt es überhaupt keinen Unterschied.

Die konkrete Frage, die Sie mir stellen, möchte ich folgendermaßen beantworten: Beim EU-Beitrittsprozeß kann nur der EU-Rechtsbestand verhandelt werden. Selbstverständlich gibt es eine ganze Reihe von Themen, die politisch besprochen werden können und sollen und auch werden. Es sind auch nicht beispielsweise – der Vergleich ist jetzt nicht 100prozentig treffend, aber ich möchte doch darauf hinweisen – beim Beitritt Österreichs zur Europäischen Union Fragen der Vermögensrestitution an Holocaust-Opfer oder an andere Personen diskutiert worden, und zwar deshalb, weil das mit dem EU-Rechtsbestand nichts zu tun hat. Das hindert natürlich überhaupt nicht, daß all diese Themen politisch angesprochen werden, wie wir das auch immer wieder tun.

Ich darf in diesem Zusammenhang auf die Entschließung des EU-Parlaments verweisen, die – allerdings auch ohne Junktim mit dem EU-Erweiterungsprozeß – meiner Meinung nach eine sehr vernünftige Wortwahl, ein sehr gutes Wording, eine sehr gute Wortfassung gefunden hat. Das geschah übrigens auf Initiative von Otto von Habsburg.


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Da ist vieles unterwegs, und ich glaube, daß diese Schiene absolut in Ordnung ist. Da kommt man meiner Auffassung nach auch längerfristig weiter.

Präsident Gottfried Jaud: Wird eine Zusatzfrage gewünscht? – Bitte.

Bundesrat Dr. Paul Tremmel (Freiheitliche, Steiermark): Herr Bundesminister! Ist Ihr Standpunkt, den Sie in einer Anfragebeantwortung vom 19. September 1997 an mich vertreten haben, nämlich daß bilaterale Verhandlungen dazu geführt werden, obsolet? – Sie selbst haben, Herr Bundesminister, vorhin den Abänderungsantrag des Europäischen Parlaments vom 15. 4. 1999 zitiert, in welchem eine Mehrheit von 94 Prostimmen zu 90 Gegenstimmen die Tschechische Republik aufgefordert hat, die menschenrechtswidrigen Beneš-Dekrete aufzuheben.

Präsident Gottfried Jaud: Ich bitte, bei einer Frage zu bleiben. – Herr Bundesminister! Ich bitte, die Frage zu beantworten.

Bundesrat Dr. Paul Tremmel (Freiheitliche, Steiermark): Sind Sie, Herr Bundesminister, bei dem diesbezüglichen Mechanismus, den der Amsterdamer Vertrag vorsieht ...

Präsident Gottfried Jaud: Sie können nicht noch einmal fragen! Sie haben die Frage bereits gestellt!

Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Herr Bundesrat! Ich habe von mir aus diese Entschließung des Europäischen Parlaments, die ich sehr begrüße, angesprochen, nur muß man auch sehen, in welchem Kontext diese Entschließung steht und was eigentlich dabei ausgesagt wird. Da ist kein Junktim vorgesehen, wie Sie es verlangt haben. Da wird nicht verlangt, daß das im EU-Beitrittsprozeß bei den Verhandlungen integriert wird, sondern darin wird die tschechische Regierung wörtlich aufgefordert, im Geist gleichlautender versöhnlicher Erklärungen von Staatspräsident Havel fortbestehende Gesetze und Dekrete aus den Jahren 1945 und 1946 aufzuheben, soweit sie sich auf die Vertreibung von einzelnen Volksgruppen in der ehemaligen Tschechoslowakei beziehen.

Folgendes ist auch interessant: Diese Entschließung ist am 15. April vom Europäischen Parlament, das dafür an sich nicht zuständig ist – das wissen wir –, zu einer politischen Willenserklärung des Europäischen Parlaments gemacht worden. Es ist auch interessant, zu sehen, wie in der Tschechischen Republik darauf reagiert wurde: Zunächst einmal waren, wie fast immer bei diesem Thema, massive kritische Stimmen zu hören, die in den tschechischen Zeitungen ihren Niederschlag fanden. Jetzt merkt man aber doch deutlich, daß immer nuanciertere Erklärungen kommen. Präsident Havel hat zum Beispiel jetzt öffentlich gesagt, er wolle es der Beurteilung der Juristen überlassen, ob es möglich wäre, einige der Dekrete aus der tschechischen Rechtsordnung zu entfernen.

Noch interessanter für mich ist die Stellungnahme des Richters des tschechischen Verfassungsgerichts in Brünn, Vladimir Czermak, der öffentlich gesagt hat, er könnte sich vorstellen, daß die umstrittenen Beneš-Dekrete gestrichen werden können, und eine entsprechende Erklärung des Parlaments könnte als Geste des guten Willens gegenüber dem Ausland angesehen werden. Dem Verfassungsrichter zufolge haben die Dekrete bereits ihren Zweck erfüllt. Seit mehr als 40 Jahren hätten diese Nachkriegserlässe keine neuen rechtlichen Beziehungen begründet.

Dazu kommt – das ist auch interessant – zum ersten Mal eine Entscheidung des tschechischen Verfassungsgerichtshofs, in der Vorwoche verkündet, daß eine Österreicherin als erste Ausländerin überhaupt die Chance eingeräumt bekommen hat, ihr nach dem Zweiten Weltkrieg in der damaligen Tschechoslowakei verstaatlichtes Vermögen zurückzuerlangen.

Diese Diskussion, die in der Tschechischen Republik jetzt begonnen hat, sollten wir unterstützen, und zwar auch im Sinne der Formulierung in der Entschließung des Europäischen


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Parlaments, die kein Veto gegen die EU-Erweiterung, kein Junktim mit den EU-Erweiterungsverhandlungen vorsieht, sondern ein Thematisieren im Geiste der Versöhnung.

Ich meine, daß das ein Weg ist, den wir Österreicher, den aber auch die Tschechen gehen könnten.

Präsident Gottfried Jaud: Zu einer weiteren Zusatzfrage hat sich Herr Bundesrat Ing. Franz Gruber zu Wort gemeldet. Ich bitte um die Zusatzfrage.

Bundesrat Ing. Franz Gruber (ÖVP, Kärnten): Sehr geehrter Herr Bundesminister! Welche Anzeichen sehen Sie, Herr Minister, für den von Ihnen angesprochenen Umdenkprozeß in der tschechischen Republik?

Präsident Gottfried Jaud: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Stellungnahmen von höchsten Repräsentanten, vom Staatspräsidenten Havel, die geänderte Rechtsprechung des tschechischen Verfassungsgerichtes. Aber ich muß auch dazusagen, daß es natürlich nicht nur positive Sachen gibt. In der Slowakei, die zum ehemaligen Staatsgebiet der Tschechoslowakei dazugehörte, haben wir zwar vor wenigen Wochen ein sehr gutes Gespräch mit dem Parlamentspräsidium geführt, das uns da sehr weit entgegengekommen ist und bereit war, über dieses Thema zu reden, wir wissen aber andererseits, daß es in der Koalitionsvereinbarung dieser Koalitionsregierung einen Passus gibt, der da lautet, daß über diese Fragen in dieser Koalitions-Legislaturperiode überhaupt nicht geredet werden darf.

Es gibt also immer noch eine Tabuzone, und ich meine daher, daß es ganz wichtig wäre, daß wir auf allen Ebenen, vor allem auf bilateraler und auf politischer Ebene, beispielsweise auf Ministerebene, aber auch auf Ebene der Parlamentarier der beiden Kammern, eine Art Versöhnungsgeist einleiten, der letztlich zu einem positiven Weg der Geschichtsbewältigung führen kann.

Präsident Gottfried Jaud: Zu einer weiteren Zusatzfrage hat sich Herr Bundesrat Albrecht Konecny gemeldet. Ich bitte, die Zusatzfrage zu stellen.

Bundesrat Albrecht Konecny (SPÖ, Wien): Herr Bundesminister! Sie haben zu Recht darauf hingewiesen, daß es sich da vor allem um etwas handelt, was sich in der innerstaatlichen Diskussion in jedem der angesprochenen Länder entwickeln muß.

Die Frage, die ich Ihnen stellen möchte, lautet: Welche nichtpolitischen Impulse, wissenschaftlichen Impulse – das Wort "Kultur" ist in diesem Zusammenhang vielleicht nicht angemessen, aber Sie wissen, was ich damit zum Ausdruck bringen will –, also welche Impulse können wir, kann Österreich geben, um diese Diskussion dort, wo sie nicht geführt wird, in Gang zu bringen, und dort, wo sie geführt wird, zu verstärken?

Präsident Gottfried Jaud: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Es gibt sehr viele, Herr Bundesrat, in der sogenannten Civic Society. Zu nennen wären da beispielsweise die Vertriebenenverbände, mit denen ich – und auch viele von Ihnen, wie ich weiß – regelmäßig Kontakt habe. Diese bemühen sich, genau in diesem Geist regional sehr viel zu machen, indem sie Austauschtreffen in Mähren, in Südböhmen, in der Slowakei haben und auch auf slowenischer Seite so etwas beginnen. Wir versuchen, da auch mit Förderungen zu helfen. Wir versuchen, unsere Heimatvertriebenenverbände von seiten der Bundesregierung zu unterstützen, und zwar mit nicht unbeträchtlichen Förderungen. So sind zum Beispiel 10 Millionen Schilling für das Haus der Heimat vorgesehen. Das Ganze soll nicht nur eine Förderung von irgend etwas sein, sondern soll eigentlich auch der Geschichtsbewahrung, dem Bewahren der kollektiven Erinnerung dienen, und es soll durchaus ein Weg sein, daß man andere herholen und sagen kann: So war es, so sah die Situation aus!


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Mich hat sehr berührt, als mir – ich glaube, daß es ein Liberaler gewesen ist, aber ich bin mir jetzt nicht ganz sicher – ein Vizepräsident im slowakischen Parlament erzählt hat – und zwar vor allen anderen; einige Abgeordnete waren gar nicht erfreut darüber –, er komme aus einem kleinen Dorf, in welchem früher vier Kulturen quasi zusammengetroffen sind und das Dorfleben ausgemacht haben: die slowakische, die ungarische, die deutsche und die jüdische Kultur. Er sagte, es sei eigentlich ein Jammer, daß drei dieser vier Kulturen mittlerweile in diesem Dorf nicht mehr vertreten sind oder es davon nur mehr geschichtliche Spurenelemente gebe.

Das heißt: Es wächst schon auch das Gefühl, daß da etwas verlorengegangen ist. Doch da kann man mit wissenschaftlichen Gutachten, mit Publikationen, mit Symposien oder auch mit einfachen Treffen der Regionen, der Verbände vieles tun. Wir versuchen, immer wieder zu ermutigen, diesen Weg zu gehen.

Präsident Gottfried Jaud: Wir gelangen nunmehr zur 8. Anfrage, 1039/M, an den Herrn Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten. Ich bitte den Fragesteller, Bundesrat Johann Payer, um die Verlesung seiner Anfrage.

Bundesrat Johann Payer (SPÖ, Burgenland): Herr Vizekanzler! Meine Frage lautet:

1039/M-BR/99

Mit welchen Initiativen kann Österreich als neutrales Land zur Lösung des Kosovo-Konfliktes beitragen?

Präsident Gottfried Jaud: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Als erstes darf ich dazu sagen: Als neutrales Land können wir dazu wenig beitragen. Wir haben aber viel während unserer EU-Ratspräsidentschaft dazu beigetragen – das möchte ich sehr deutlich sagen –, und zwar insofern, als eigentlich zum ersten Mal in der Unionsgeschichte das Thema Kosovo thematisiert wurde. Das haben wir aber nicht deshalb machen können, weil wir neutral gewesen sind, sondern deswegen, weil wir den Vorsitz im Rat der Europäischen Union innehatten. Nur deshalb konnte ich die erste Balkanstrategie beziehungsweise Kosovo-Strategie auf der Ebene der europäischen Außenminister einleiten, leiten und führen.

Ich war derjenige, der den ersten EU-Vertreter für den Kosovo bestellt hat – zum Teil gegen massiven Widerstand einiger großer EU-Mitgliedsländer –, und zwar den Österreicher Wolfgang Petritsch. Das konnte ich aber nicht deshalb machen, weil ich neutral war, sondern deswegen, weil Österreich den Vorsitz im Rat der Europäischen Union innehatte, weil ich der Vorsitzende des Allgemeinen Rates war. Ich habe extensiv alles ausgeschöpft, was die Möglichkeiten der EU-Ratspräsidentschaft ausmachen.

Ich war derjenige, der erstmals die humanitären Hilfen über die Europäische Kommission koordinieren ließ. Bis zu diesem Zeitpunkt ist das völlig auseinandergelaufen. Es hat schon im vorigen Jahr, noch bevor der kriegerische Konflikt im engeren Sinn ausgebrochen ist, 400 000 Vertriebene aus dem Kosovo gegeben.

Wir haben massiv versucht, die Opposition in Jugoslawien, in Serbien zu ermutigen. Es hat mehrere Treffen gegeben. Wir haben beispielsweise in Alpbach Ende August zum ersten Mal einen moderaten Kosovo-Albaner von der LDK und andere Unabhängige mit moderaten Serben, wie etwa Djukanović, dem neugewählten Präsidenten von Montenegro, aber auch andere, zusammengebracht.

Wir haben im Dezember im Rahmen des Europäischen Rates in Wien acht verschiedene wichtige Gruppen der serbischen demokratischen Opposition eingeladen. Ich sage das deswegen, weil man manchmal solche Dinge vergißt. Mir ist es wichtig, daß erhalten bleibt, daß sich das kleine Österreich mehr als jedes andere Land der Europäischen Union präventiv eingesetzt hat, um den Konflikt nicht ausbrechen zu lassen.


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Wir haben die Vertragstexte vorgelegt, die letztlich in Rambouillet und in Paris zur Verhandlung gestanden sind. Aber das haben wir nicht deshalb gemacht, weil wir uns neutral gefühlt haben, sondern deswegen, weil wir uns in der Europäischen Union jeden Spielraum, der sich aufgetan hat, zunutze gemacht haben.

All das hat am Ende leider nichts genützt. Nur: Wir kommen wieder dorthin! Es wird irgendwann auf diesen Elementen von Lösungen wieder aufgebaut werden müssen, und dann werden, so glaube ich, diese Impulse sehr wichtig sein.


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Präsident Gottfried Jaud:
Wird eine Zusatzfrage gewünscht? – Bitte.

Bundesrat Johann Payer (SPÖ, Burgenland): Herr Vizekanzler! Ich möchte NATO-Debatte und Kosovo-Konflikt nicht zusammen diskutiert haben, aber trotzdem lautet meine Frage: Glauben Sie persönlich, daß wir als NATO-Mitglied noch mehr für den Kosovo hätten tun können, als schon bisher geschehen ist?

Präsident Gottfried Jaud: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Meine ehrliche Antwort ist eigentlich ziemlich deckungsgleich mit dem, was ich zuvor gesagt habe. Ich glaube, daß man da bewußt nicht NATO versus Neutralität stellen soll. Für ein kleines Land wie Österreich – das gleiche gilt für Belgien oder für Finnland oder für andere Länder, die sich überhaupt dafür interessieren, da eine Rolle zu spielen – ist es ganz gleichgültig, ob es neutral oder NATO-Mitgliedsland ist. Die Frage ist: Ist man engagiert? Mischt man sich ein? Will man überhaupt eine Rolle spielen? – Das ist der Punkt.

Ich habe nicht gesagt, daß wir als NATO-Mitgliedsland da eine aktivere oder bessere Rolle hätten spielen können. Ich sage nur: Das eine hat mit dem anderen überhaupt nichts zu tun!

In der Frage Kosovo hat das kleine Österreich eine absolut aktive Nachbarschaftspolitik im weiteren Sinn betrieben. Und das wird auch anerkannt.

Ich bin – auch jetzt, in der Krise – in Telefonkontakt mit dem Präsidenten von Montenegro Djukanović. Ich habe mit Vuk Drašković, dem Stellvertretenden Ministerpräsidenten von Serbien, als es schlecht ging, bevor ihn Milošević entlassen hat, aber auch, nachdem er entlassen wurde, telefonisch geredet. Ich war der einzige. Ich habe das gar nicht auf die große Glocke gehängt. Ich rede ständig mit der Opposition, mit Djindjić und anderen, um ihnen Mut zu machen, um ihnen auch zu helfen, wie man etwa freie Medien oder demokratische Zeitungen und Journalisten unterstützen könnte.

Ich mache das nicht deshalb, weil ich neutral bin, oder deswegen, weil irgend jemand jetzt in die NATO hinein oder von der NATO hinaus will, sondern deshalb, weil ich das für wichtig und für richtig halte. Das ist meine Botschaft.

Es kommt in diesem Punkt nicht darauf an, ob man neutral ist oder ob man bei der NATO ist, sondern ob man sich engagiert. Und für diese Botschaft eines solidarischen Engagements stehe ich. Das hat Österreich bisher, so finde ich, sehr gut gemacht, und darauf bin ich auch ein bißchen stolz. (Beifall bei der ÖVP.)

Präsident Gottfried Jaud: Zu einer weiteren Zusatzfrage hat sich Frau Bundesrätin Ulrike Haunschmid gemeldet. – Bitte.

Bundesrätin Ulrike Haunschmid (Freiheitliche, Oberösterreich): Herr Bundesminister! Sie haben jetzt erklärt, egal, ob bei der NATO oder nicht, aber wie erklären Sie mir das, wenn Ihr Koalitionspartner und Bundeskanzler einerseits für die immerwährende Neutralität in Österreich steht, andererseits in Berlin dem Schlag der NATO auf Serbien zustimmt und sich die Beteiligung österreichischer Soldaten in einem friedenssichernden Kriegseinsatz im Kosovo vorstellen kann beziehungsweise zuläßt, daß österreichische Soldaten unter NATO-Kommando stehen ...

Präsident Gottfried Jaud: Bitte, stellen Sie die Frage.

Bundesrätin Ulrike Haunschmid (fortsetzend): Ja, ich frage gerade. Ich habe so angefangen: Glauben Sie ...

Präsident Gottfried Jaud: Bitte eine kurze Frage!

Bundesrätin Ulrike Haunschmid (fortsetzend): Ich habe gesagt: glauben Sie.

Wenn Ihre Fraktion für einen NATO-Beitritt ist, glauben Sie, daß diese Zweigleisigkeiten nicht eher die Glaubwürdigkeit, Paktfähigkeit und Verläßlichkeit Österreichs in der Sicherheitspolitik aufs Spiel setzen als zur Lösung solcher Konflikte wie jetzt im Kosovo beizutragen?

Präsident Gottfried Jaud: Haben Sie die Frage in etwa verstanden? (Heiterkeit.) Wenn Sie unsicher sind, Herr Bundesminister, dann brauchen Sie nicht zu antworten.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Herr Präsident! Ich werde es versuchen.

Ich glaube, daß wir mit der Linie, die ich beim Allgemeinen Rat in Brüssel eingenommen habe und die wir gemeinsam, Klima und ich, beim Europäischen Rat in Berlin eingenommen haben, solidarisch, mit einer Stimme sprechend die NATO-Airstrikes als gerechtfertigt und als notwendig einzustufen, richtig gelegen sind. Man kann sich in dieser Situation, wenn man eine gemeinsame Außenpolitik der Union will, nicht abseits stellen und vergessen, was eigentlich alles geschehen ist.

Vor zwölf Jahren, genau zu diesem Zeitpunkt, hat eigentlich die ganze Krise noch im ehemaligen Jugoslawien begonnen. Damals ist der blutjunge serbische Parteiführer Slobodan Milošević mit einem Coup d’Etat innerhalb der serbischen Partei an die Macht gekommen. Es ist ganz interessant, sich daran zu erinnern, wie das geschah, nämlich über das Ausspielen der Kosovo-Karte, über das Schüren von Nationalismus. Zum ersten Mal sind die nationalistischsten Ressentiments geschürt worden. Dann kam es zwei Jahre später, 1989, bei diesem Jubiläum 600 Jahre Schlacht am Amselfeld zu der historischen Rede von Slobodan Milošević, der vor Hunderttausenden – ich glaube, es waren eine Million Serben, die bewußt dorthin gebracht worden sind – gesprochen hat.

Ich habe damals übrigens als kleiner Tourist die serbisch-orthodoxen Klöster besucht und habe mit Erstaunen und Entsetzen gesehen, wie jedes Wochenende Hunderttausende in Kragujevac und sonstwo aufmarschiert sind und ihre Parolen gedroschen haben. Diese Atmosphäre war unglaublich. Das ist ganz bewußt zwölf Jahre lang geschürt worden, und es ist daher völlig absurd, zu glauben, man könne aus der Geschichte nicht lernen. Es war daher richtig und notwendig, das auszusprechen.

Das heißt jetzt in keiner Weise, daß man deswegen morgen der NATO beitreten muß, das hat mit dieser Frage gar nichts zu tun. Ich möchte das auch bewußt auseinanderhalten. Die solidarische Benennung von Menschenrechtsverletzungen, von Vertreibungen, von ethnischen Säuberungen und die Notwendigkeit, als letztes Mittel zur Wahrung der Menschenrechte und zur Verhinderung von humanitären Katastrophen auch Gewalt einzusetzen, finde ich richtig und notwendig, und das hat auch Viktor Klima in Berlin bestätigt.

Das sollte man, so finde ich, nicht zusammenmischen mit einer kleinkarierten innerösterreichischen Debatte: Sollen wir oder sollen wir nicht? Diese Diskussion ist zu führen. Sie wird nicht direkt laufen, denn der Erste Erweiterungszug ist abgefahren, sondern sie wird über den quasi anderen Einstieg einer europäischen Sicherheitsordnung erfolgen.

Ich würde diese Gemeinsamkeit, daß man Vertreibungen Ende dieses Jahrhunderts als etwas Unzumutbares bezeichnet, gerne beibehalten. Sie werden daher von mir jetzt kein kritisches


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Wort über ein innerösterreichisches Thema hören, weil das meiner Meinung nach dem Ernst der Stunde nicht angemessen ist.

Ich finde es wichtig, daß etwa ich vor einer Woche in Albanien das Österreich-Camp gesehen habe, daß gestern der Bundeskanzler in Albanien und vor einer Woche in Mazedonien gewesen ist, und wir sind engagiert, solidarisch zu helfen, wo immer es geht, sprechen aber auch mit klarer Stimme aus, was man sagen muß. Ich glaube, dieser Weg ist der einzig richtige.

Dann diskutieren wir zu gegebener Zeit, wenn die Zeit der Entscheidung gekommen ist, die ohnedies notwendige Einbindung in eine europäische Sicherheitsordnung, wissend, daß diese nicht irgendwo aus dem blauen Himmel entstehen wird, sondern auf EU, Westeuropäischer Union und NATO aufbauen wird. Und that’s it! Da soll man jetzt keine künstlichen Wahlkämpfe abhalten. Ich tue das nicht, und ich möchte auch haben, daß man die Türen nicht vorzeitig zuschlägt, da doch die Profis – es sind genug hier im Saal – genau wissen, was auf uns zukommen wird.

Das ist auch notwendig. Wenn Europa insgesamt eine Rolle spielen will, dann brauchen wir alle Bereiche: die Politik genauso wie die Wirtschaft, die Währung, aber auch die Sicherheit und Verteidigung. (Beifall bei der ÖVP und bei Bundesräten der SPÖ.)

Präsident Gottfried Jaud: Zu einer weiteren Zusatzfrage hat sich Herr Bundesrat Friedrich Hensler gemeldet. – Bitte.

Bundesrat Friedrich Hensler (ÖVP, Niederösterreich): Sehr geehrter Herr Vizekanzler! Was kann Österreich bilateral tun, um die von der Flüchtlingskatastrophe betroffenen Staaten zu stützen?

Präsident Gottfried Jaud: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Ich habe – ich finde es jetzt in der Geschwindigkeit nicht, aber ich werde das allen zur Verfügung stellen – eine Zusammenfassung mit Datum 5. Mai gesehen, die belegt, was eigentlich die EU-Staaten im Rahmen der ECHO-Programme alles tun, und dabei ist wirklich beeindruckend, daß Österreich an erster Stelle – jetzt habe ich es gefunden – sämtlicher EU-Staaten liegt.

Österreich hat mit Stand 5. Mai bereits 36,3 Millionen Euro notifiziert – das ist immer mit 14 zu multiplizieren, das ist eine ordentliche Summe –, an zweiter Stelle liegt Italien mit fast gleich viel, nämlich mit 36,32, dann kommt United Kingdom mit 31,8, dann Dänemark mit 27,5 – auch interessant, ein kleines Land so wie wir –, danach sinkt es ziemlich stark ab.

Wir sind also die Nummer eins in humanitärer Hilfe, sowohl was die NGOs betrifft als auch was auch die Bundesregierung betrifft. Wir haben in Albanien ein Camp eingerichtet. Es wurde nicht offiziell eröffnet, sondern es läuft sozusagen by doing. Bis jetzt wurden ungefähr 3 000 Flüchtlinge aufgenommen, Ende nächster Woche sollen es an die 4 000 sein, und wir sind übereingekommen, daß wir auf zirka 7 000 aufstocken werden.

Wir haben zusätzlich vor, über die Caritas den Bereich der Anwendung der "Nachbar in Not"-Gelder – wofür schon zwischen 400 und 500 Millionen Schilling gesammelt wurden – auf die gesamte Region Shkodra im Norden Albaniens auszudehnen, wo es schon sehr viele Kontakte mit Österreich gibt. Die Österreicher haben dort die Trinkwasserversorgung erneuert und durchgeführt, die Universität Graz hat mit der Universität Shkodra eine hervorragende Kooperation. Wir werden jetzt nach Trinkwasser in allen Dörfern in der Umgebung bohren. Wir bauen dort die einzige Kläranlage von ganz Albanien, und unsere Idee ist es, auch die anderen Dörfern so eine Art Lebenstechnik zu lehren, sie quasi miteinzubinden und ihnen zu zeigen, wie so etwas funktionieren kann.

Wir haben ein Superfeldspital dort, das, so glaube ich, einen Standard hat, wie er sonst in Albanien nicht wirklich bekannt ist, und wir helfen auch massiv, allerdings über NGOs, in Mazedonien und in Montenegro, wo es derzeit am schwierigsten ist, weil wir dort nicht so einfach


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hineinkommen, weil die jugoslawische Armee immer noch partiell die Grenzen blockiert hat. Aber das ist sozusagen die Idee, die wir umsetzen.

Eine zweite Sache, die interessant ist: Der Österreichische Rundfunk hat in der vorigen Woche ein Radio "Nachbar in Not" gestartet. Ich war selbst Anfang der Woche dort. Da wird in fünf Sprachen gesendet, vor allem in albanisch, serbisch, englisch, deutsch und bosnisch, und das Interessante ist, daß dort demokratische, dissidente, oppositionelle Journalisten aus allen Teilen zusammenarbeiten, um ein objektives, transparentes Radioprogramm auf Mittelwelle auszustrahlen. Ich habe auch schon ein Echo, ein Feedback gehört. Das wird gehört – der ORF hat die Reichweite deutlich angehoben –, das kann bis Albanien empfangen werden und ist eine ganz interessante Informationsquelle für die ganze Region geworden.

Das Spannende ist, daß wir dort – dafür möchte ich auch ausdrücklich dem ORF, Gerhard Weis und dem Radiochef Jochum danken – jene drei oder vier Journalisten von B 92, dem Belgrader Oppositionssender, aufgenommen haben. Dieser Sender wurde einfach zugesperrt, und die Journalisten durften dort nicht mehr arbeiten. Das sind lauter junge Journalistinnen und Journalisten, die von hier aus vielleicht sogar ein demokratischeres Serbien mitaufbauen helfen.

Wir können viel tun, und ich bin eigentlich stolz darauf, daß das wirklich gut klappt. (Beifall bei der ÖVP und bei Bundesräten der SPÖ.)

Präsident Gottfried Jaud: Wir gelangen nunmehr zur 9. Anfrage, 1046/M, an den Herrn Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten. Ich bitte Herrn Bundesrat Mag. Harald Himmer um die Verlesung der Anfrage.

Bundesrat Mag. Harald Himmer (ÖVP, Wien): Herr Präsident! Herr Vizekanzler! Es ist einiges schon vorweggenommen durch die Beantwortung der Fragen und der Versuche, Fragen zu stellen. Ich frage dennoch:

1046/M-BR/99

Welche außenpolitischen Aktivitäten hat Österreich bisher im Zusammenhang mit der Kosovo-Krise gesetzt?

Präsident Gottfried Jaud: Herr Bundesminister, bitte.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Das Wichtigste war sicher die Einsetzung eines EU-Sonderbeauftragten für den Kosovo, Wolfgang Petritsch, das zweite war die erste Befassung der EU-Außenminister mit einer Kosovo-Strategie im Rahmen der österreichischen Präsidentschaft, die Koordination der humanitären Hilfe, vor allem der Flüchtlingszusammenarbeit und der Erleichterung des Elends im Kosovo. Wir haben im Dezember 1998 erstmals eine Konferenz zur Unterstützung der unabhängigen Medien in Wien abgehalten, eine zweite war in Belgrad. Wir haben im Dezember 1998 die Vertreter der demokratischen Opposition “Allianz für den Wechsel” Djindjić, Pesić, Avramović, Obradović, Panić nach Wien eingeladen.

Wir haben jetzt eine Vorbereitungskonferenz, die heute und morgen in Wien abgehalten wird, eine Balkankonferenz, die zum ersten Mal alle regionalen Institutionen einbindet: die Zentraleuropäische Initiative, die Europäische Kommission, SECI mit dem Vorsitzenden Erhard Busek, Royaumont Initiative mit dem Griechen Roumeliotis als Vorsitzenden, die deutsche Präsidentschaft, wir selbst, alle relevanten Institutionen und die Länder aus der Region kommen morgen in Wien zusammen, um sozusagen die erste Balkankonferenz für den Wiederaufbau, für den "day after", für den "Tag danach" zu starten. Das wird dann am 27. Mai in Bonn auf der Ebene der politischen Direktoren weitergehen.

Wir haben außerdem die Sanktionen gegenüber Belgrad verschärft. Es sind die Konten eingefroren worden. Es sind Flugverbote eingeführt worden. Es ist eine Visasperre für jugoslawische Politiker verhängt worden, die für das restriktive Mediengesetz verantwortlich sind. Wir haben ein Investitionsverbot erlassen. Die Auslandsguthaben der Bundesrepublik Jugoslawien und der


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serbischen Regierung sind eingefroren worden. Wir haben vor allem jene Texte, die dann in Paris und Rambouillet verhandelt worden sind, intensivst vorbereitet. Unter österreichischer Präsidentschaft war ich Teilnehmer der Kontaktgruppensitzung. Wir haben da einige sehr wichtige Impulse geben können, und ich bin überzeugt davon, daß man am "Tag danach", wenn es zu einer Verhandlungssituation kommt, auf diese Punkte wieder zurückgreifen wird.

Präsident Gottfried Jaud: Wird eine Zusatzfrage gewünscht? – Bitte.

Bundesrat Mag. Harald Himmer (ÖVP, Wien): Welche Lösungsansätze werden von der Internationalen Staatengemeinschaft ausgearbeitet?

Präsident Gottfried Jaud: Bitte, Herr Bundesminister.


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654. Sitzung / Seite 30

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel:
Es gibt dieses Fünf-Punkte-Programm, also Rückzug der Armee und der Spezialpolizei, volle Rückkehr der Flüchtlinge mit Garantien, eine internationale Militärpräsenz in der Region zur Absicherung sowohl der Kosovo-Albaner, der Flüchtlinge, aber auch der serbischen Minderheiten, weiters die Bereitschaft zu einer politischen Rahmenvereinbarung mit dem Ausgangspunkt Rambouillet und natürlich vollständige Beseitigung der Unterdrückungs- und Vertreibungsaktionen sowie Aufklärung der Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die geschehen sind.

Das sind die fünf Punkte, die sowohl Kofi Annan, die EU-Außenminister, aber auch der NATO-Rat beschlossen haben. Es gab einige Vermittlungsversuche von Lukaschenko bis Tschernomyrdin, vom zypriotischen Parlamentspräsidenten bis zum ukrainischen Außenminister. Es gab eine ganze Reihe von weniger hochrangigen Besuchern und Vermittlern, vom Vatikan bis zu einer katholischen Gruppierung aus Italien. Primakow ist sogar selbst einmal nach Belgrad gefahren. Bisher hat alles nichts genützt. Es wird gepokert. Belgrad versucht immer wieder, Testballons steigen zu lassen. Zuerst war es eine unbewaffnete militärische Truppe. Da wären wir dort, wo wir schon gewesen sind mit den unbewaffneten Verifiers. Das ist Kanonenfutter, das kann man nicht verantworten, da würden wir auch nicht teilnehmen. Jetzt kommt leicht bewaffnet, also nur mit Pistolen. Ich glaube, daß das angesichts dessen, was geschehen ist, keine wirkliche Option sein kann.

Es stellt sich auch die Frage: Sollen nur Russen, sollen nur Länder der Region daran teilnehmen? – Die jüngste Idee, die mir berichtet wurde, ist, daß zum Beispiel serbische Soldaten und albanische Soldaten an einer solchen gemeinsamen Truppenpräsenz mitwirken könnten, was ich für ganz schlecht hielte. Da wären die Konflikte, so glaube ich, vorprogrammiert.

Man kann darüber diskutieren, unter welcher Flagge so etwas abläuft. Da, würde ich meinen, sollte man jede Flexibilität haben – UNO-Flagge wäre das beste –, aber darunter müßte natürlich alles, was in der Kontaktgruppe wichtig ist und natürlich auch militärische Kapazitäten hat, eingebunden sein: die Amerikaner, die Russen, die Kontaktgruppenmitglieder, natürlich auch andere. Man wird wahrscheinlich eine gewaltige militärische Präsenz brauchen, denn nach all dem, was geschehen ist, und nach all dem, was noch an ziviler Hilfe, an Wiederaufbauhilfe und Wirtschaftshilfe notwendig ist, wird eine beachtliche und auf sehr lange Zeit angelegte Präsenz notwendig sein.

Präsident Gottfried Jaud: Zu einer weiteren Zusatzfrage hat sich Herr Bundesrat Herbert Thumpser gemeldet. – Bitte.

Bundesrat Herbert Thumpser (SPÖ, Niederösterreich): Herr Vizekanzler! Wurden im Vorfeld der Kosovo-Krise, also auch noch zu Zeiten der Verhandlungen von Rambouillet, auch wirtschaftliche Sanktionen seitens der EU gegenüber Jugoslawien ins Spiel gebracht? Wenn ja, welche?

Präsident Gottfried Jaud: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Wie ich schon gesagt habe, waren dies eine ganze Reihe von wirtschaftlichen Sanktionen. Erstens gibt es ein fast lückenloses Handelsembargo. Es gab jetzt neu das Ölembargo, das es aber auch schon früher einmal gegeben hat. Weitere Maßnahmen sind das Einfrieren der Auslandsguthaben, das Investitionsverbot, die Flugverbote, die Visaverbote.

Es hat also ein ganzes Bündel von Sanktionsmaßnahmen gegeben, die natürlich erstens einmal nicht ganz so einfach zu kontrollieren sind, wie man sie beschließt. Zweitens haben wir auch immer wieder den Verdacht gehabt, daß sie nicht von allen gleich intensiv umgesetzt wurden wie etwa von uns oder auch von den meisten EU-Staaten. Das heißt, über wirtschaftliche Sanktionen alleine – das war ganz klar – ist es nicht gegangen.

Präsident Gottfried Jaud: Zu einer weiteren Zusatzfrage hat sich Frau Bundesrätin Monika Mühlwerth gemeldet. – Bitte.

Bundesrätin Monika Mühlwerth (Freiheitliche, Wien): Sehr geehrter Herr Bundesminister! Sie haben es schon angeschnitten, die EU-Außenminister waren sich darüber einig, daß die Verantwortlichen für Deportationen, Folter und Mord an Kosovo-Albanern vor das Kriegstribunal von Den Haag gestellt werden sollten. Welche Personen, Herr Bundesminister, würden Ihrer Meinung nach darunterfallen?

Präsident Gottfried Jaud: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Die OSZE führt zum Beispiel – übrigens auch mit vielen anderen NGOs, Amnesty beispielsweise – in allen Flüchtlingscamps derzeit – und das finde ich ganz wichtig –, sobald die Flüchtlinge kommen, eine Befragung der erwachsenen Personen durch, um festzustellen und auch mündliches Beweismaterial darüber zu sammeln, was geschehen ist. Das wird aufgenommen, das wird auf Bänder überspielt. Dieses Beweismaterial wird gesichert.

Die Erzählungen sind zum Teil entsetzlich. Ich habe mit ein, zwei solchen Experten gesprochen, die in den Lagern selbst solche Gespräche führen. Ich bin aber überzeugt davon, daß wir nur einen kleinen Bruchteil von dem wissen, was wirklich geschehen ist. Das wird alles schrittweise herauskommen, so wie es auch beim Bosnien-Krieg war, als alle noch auf die Belagerung von Sarajewo geschaut haben, über die man einfach die Fernsehbilder gehabt hat, aber die wirklichen Kriegsverbrechen, die viel erschütternder sind, sind im Nordosten oder im Nordwesten geschehen, Dinge, über die man – damals jedenfalls – überhaupt keine Kenntnis gehabt hat. Genauso ist es hier.

Daher will ich jetzt nicht – das kann ich auch gar nicht – einzelne Namen nennen, sondern aufgrund dieser Beweisführung wird das Material zur Gänze an das Kriegsverbrechertribunal übergeben werden. Dieses ist völlig unabhängig, und es wird die Anklagen erheben, so wie es das auch im Bosnien-Krieg gemacht hat. Es wird dann natürlich eine Frage der Durchsetzbarkeit und der Durchsetzung sein.

Schauen Sie, ich glaube, daß die Mühlen der Gerechtigkeit zwar manchmal sehr langsam mahlen, aber sie mahlen. Ich bin überzeugt davon, daß am Ende niemand seiner gerechten Strafe entkommen wird, oder jedenfalls die überwältigende Anzahl ihr nicht entkommen wird. Ich finde das auch richtig.

Präsident Gottfried Jaud: Wir gelangen nunmehr zur 10. Anfrage, 1040/M, an den Herrn Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten. Ich bitte Frau Bundesrätin Hedda Kainz um die Verlesung der Anfrage.

Bundesrätin Hedda Kainz (SPÖ, Oberösterreich): Herr Bundesminister! Sie sind zwar in Ihrer Beantwortung von Fragen schon teilweise auf diesen Problemkreis eingegangen, aber trotzdem möchte ich Sie in einer eigenständigen Fragen mit folgendem konfrontieren:


Bundesrat
Stenographisches Protokoll
654. Sitzung / Seite 31

1040/M-BR/99

Wie beurteilen Sie die humanitären Leistungen Österreichs in der Kosovo-Krise im internationalen Vergleich?

Präsident Gottfried Jaud: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Frau Bundesrätin! Ich habe nicht genau gewußt, wann das Thema kommen wird, und ich kann nur wiederholen: Wir sind im internationalen Schnitt – pro Kopf sowieso, aber auch in absoluten Summen, was Bürger gesammelt haben und was auch die Regierung selbst noch aus Steuerzahlergeld beigesteuert hat – absolute Spitze. Ich sage das nicht mit einem Gefühl der Freude oder des Triumphs, sondern ich finde das eigentlich selbstverständlich, denn uns ist auch geholfen worden, als es uns schlecht ging. Es zeigt auch, daß die österreichische Bevölkerung wirklich solidarisch mitfühlt und mitlebt.

Wir dürften jetzt zwischen 400 Millionen und 500 Millionen Schilling an privaten Spenden gesammelt haben, und die Bundesregierung hat etwa 500 Millionen Schilling aus Steuerzahlergeld beigestellt. Das heißt, insgesamt wurde innerhalb von weniger als drei Wochen 1 Milliarde Schilling zur Verfügung gestellt – das ist gewaltig! –, und dafür möchte ich allen Spendern und allen Steuerzahlern ein sehr herzliches Dankeschön sagen.

Der zweite Punkt ist, daß die Österreicher eigentlich ein sehr beachtliches Tempo hingelegt haben. Ich war selbst, wie schon erwähnt, in Albanien und habe mir das Österreich-Camp angesehen. Es steht fix und fertig und weist einen Standard auf, der wirklich beeindruckend ist. Neben dem Österreich-Camp haben etwa Malteser eines anderen Landes, die den Grund schon vor uns hatten, mit dem Bau von Zelten begonnen – auch schon vor uns –, aber es steht noch kein einziges Zelt.

Das österreichische Bundesheer hat – das möchte ich hier auch einmal mit großer Freude und auch mit großem Stolz sagen – in weniger als zweieinhalb Wochen ein fix und fertiges Flüchtlingscamp mit einer Kläranlage, mit Duschen, mit einem Feldspital und mit täglich drei warmen Mahlzeiten auf die Beine gestellt. Das gibt es sonst in ganz Albanien und in ganz Mazedonien nicht. An dieser Stelle möchte ich daher wirklich dem Bundesheer danken, aber auch dem Roten Kreuz und allen NGOs, die dort mitarbeiten. (Allgemeiner Beifall.)

Wie schon erwähnt: Wir werden das jetzt ausweiten. Ich glaube nicht, daß man nur das Österreich-Camp allein sehen kann – man soll es ausdehnen auf etwa 7 000, 8 000 Flüchtlinge, die dort sind. In Shkodra – ein paar hundert Meter vom Camp entfernt beginnt diese Stadt mit 100 000 Menschen – sind noch einmal 30 000 Flüchtlinge, die zum Teil elendiglich untergebracht sind. Die Caritas hat es übernommen, diese Flüchtlinge in das Netzwerk miteinzubeziehen.

10 Kilometer von diesem Österreich-Lager entfernt liegt die montenegrinische Grenze, wo noch immer jede Nacht Dörfer brennen oder auch Luftangriffe geflogen werden. Man muß jetzt schon – das haben wir auch schon angeordnet – über den Wiederaufbau des Kosovo und auch der albanischen Dörfer in Montenegro nachdenken. Wir planen also jetzt schon für den Tag danach. Ich meine, das ist auch sehr wichtig.

Präsident Gottfried Jaud: Wird eine Zusatzfrage gewünscht? – Bitte.

Bundesrätin Hedda Kainz (SPÖ, Oberösterreich): Herr Bundesminister! Was ist aus Ihrer Sicht – Sie haben Ihren Albanienbesuch erwähnt – die nächste unabdingbare Maßnahme, die gesetzt werden muß, um diese positive Bilanz für Österreich weiterführen zu können?

Präsident Gottfried Jaud: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Ich glaube, für Albanien ist es sehr wichtig, daß man versucht, die albanische Regierung, die eines der ärmsten Länder Europas regiert, nicht hängenzulassen, da allein in Albanien im Moment


Bundesrat
Stenographisches Protokoll
654. Sitzung / Seite 32

400 000 Flüchtlinge sind. Neben der Hilfe im Camp und der Hilfe für Shkodra bemühen sich viele NGOs jetzt vor allem auch darum, die albanischen Familien zu unterstützen, die eigentlich die größte Zahl an Flüchtlingen in ihre Häuser aufgenommen haben.

Wir helfen den Albanern auch, wenn es um die Zahlung von Schulden geht. Sie werden gestundet, da man wirklich nicht erwarten kann, daß ein so armes Land in der derzeitigen Situation auch noch seine internationalen Finanzverpflichtungen erfüllen kann.

Die Union hat etwa 250 Millionen Euro, also immerhin 3 Milliarden Schilling, zur Verfügung gestellt, um Albanien, Mazedonien und Montenegro zu helfen.

Wir arbeiten schon jetzt an einem Wiederaufbauplan für den Kosovo und werden dabei auch Albanien und Mazedonien nicht allein lassen können. Wir müssen aber andererseits auch darauf drängen – das war auch der Sinn meiner politischen Gespräche in Albanien, in Tirana –, daß die albanische Regierung auch versucht, uns zu unterstützen, indem alle Gruppierungen der Kosovo-Albaner gleichberechtigt gesehen werden und nicht nur die UÇK.

Mir ist es wichtig, daß man auch die Moderaten, die LDK-Mitglieder, etwa Rugova oder Bukoshi, nicht auf einmal hängenläßt und nur auf die militärisch Agierenden setzt, sondern es sollte wirklich, wie es in Rambouillet vorgesehen war, eine Koalitionsregierung der Kosovo-Albaner für diese Provinz oder für die Interimperiode gebildet und nicht nur die UÇK gefördert werden.

Präsident Gottfried Jaud: Zu einer weiteren Zusatzfrage hat sich Herr Bundesrat Mag. Christof Neuner gemeldet. – Bitte.

Bundesrat Mag. Christof Neuner (Freiheitliche, Kärnten): Verehrter Herr Präsident! Verehrter Herr Bundesminister! Die österreichische Bevölkerung hat bewiesen, daß sie in höchstem Maße für humanitäre Anliegen offen ist. Meine Frage an Sie lautet: Haben Sie eine Übersicht beziehungsweise Zahlen darüber, wie viele Flüchtlinge die anderen europäischen Staaten bis jetzt aufgenommen haben?

Präsident Gottfried Jaud: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Ich lasse das, wenn Sie damit einverstanden sind, ablichten, dann muß ich es jetzt nicht vorlesen. Ich lasse für die Klubs diese Information ablichten, und damit haben Sie alle relevanten Informationen.

Präsident Gottfried Jaud: Zu einer weiteren Zusatzfrage hat sich Frau Bundesrätin Maria Grander gemeldet. – Bitte.

Bundesrätin Maria Grander (ÖVP, Tirol): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Wie lassen sich die gemeinschaftlichen Hilfsmaßnahmen der Europäischen Union skizzieren?

Präsident Gottfried Jaud: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Wie ich zuerst schon gesagt habe: 250 Millionen Euro stehen jetzt einmal insgesamt zur Verfügung – das wurde am 8. April bei einem Sonderrat der Außenminister beschlossen –, davon 150 Millionen Euro für humanitäre Maßnahmen im Zusammenhang mit der Flüchtlingskatastrophe und 100 Millionen für sogenannte makroökonomische Hilfen, also Budgetstabilisierung und Hilfe für die Länder in der Region. Davon sind 63 Millionen Euro für Albanien und 13 Millionen für Montenegro zweckgebunden gegeben worden.

Präsident Gottfried Jaud: Wir gelangen nunmehr zur 11. Anfrage, 1047/M, an den Herrn Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten. Ich bitte Herrn


Bundesrat
Stenographisches Protokoll
654. Sitzung / Seite 33

Bundesrat Engelbert Schaufler um die Verlesung der Anfrage.

Bundesrat Engelbert Schaufler (ÖVP, Niederösterreich): Geschätzter Herr Präsident! Geschätzter Herr Vizekanzler! Meine Frage lautet:

1047/M-BR/99

Welche Maßnahmen plant nach Ihrer Information die Europäische Union, um zur langfristigen Stabilisierung zum Wiederaufbau der Region nach einem Waffenstillstand beziehungsweise nach einem Friedensübereinkommen beizutragen?

Präsident Gottfried Jaud: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Herr Bundesrat! Kurzfristig, wie schon erwähnt, die 250 Millionen Euro; die sind schon beschlossen und werden zum Teil bereits ausbezahlt.

Zweitens: Bilateral hat die Union jetzt die Maßnahmen der verschiedenen Länder koordiniert – alle Fraktionen bekommen die entsprechende Aufstellung darüber, wie das läuft.

Drittens: Es werden Maßnahmen der NGOs unterstützt und koordiniert.

Viertens: Wir arbeiten bereits an einer Art Balkankonferenzen – die erste beginnt jetzt in Wien und dient der Vorbereitung vor allem der Hilfs- und Koordinationsinstitutionen. Am 27. Mai findet eine auf dem Petersberg bei Bonn statt, und nach einem Waffenstillstand wird es dann eine Art internationale "Geber"-Konferenz geben, zu der nicht nur die Union, sondern auch die USA, Rußland und viele andere Länder eingeladen werden.

Präsident Gottfried Jaud: Wird eine Zusatzfrage gewünscht? – Bitte.

Bundesrat Engelbert Schaufler (ÖVP, Niederösterreich): Welche zusätzlichen konkreten Wiederaufbaumaßnahmen sind derzeit seitens Ihres Ministeriums in Überlegung?

Präsident Gottfried Jaud: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Zuerst ist einmal eine Schadensbilanz aufzustellen – das kann man aber erst machen, wenn man in den Kosovo hineinkann. Wir wissen nicht genau, wie stark die Dörfer, die Städte wirklich zerstört sind, muß man dort bei Null anfangen, oder kann man mit einfacheren Reparaturen etwas bewegen. Wir überlegen, ob man nicht das Österreich-Camp als Idee für eine Österreich-Stadt oder ein größeres Österreich-Dorf übernehmen kann. Die Landeshauptleute sind bereit, so etwas zu übernehmen. Jedes Land könnte einen Häuserkomplex übernehmen. Große Städte wären bereit, dabei mitzutun. Der Städtebund und Gemeindebund könnten mittun.

Das Bundesheer arbeitet jetzt auch schon an logistischen Vorplanungen, wo man so etwas eventuell machen könnte.

Wir werden versuchen müssen, wirtschaftliche Hilfe zu leisten, vor allem Arbeitsplatzbeschaffungsmaßnahmen zu entwickeln, die in Richtung Reparatur von teilweise zerstörten Häusern gehen.

Wir werden zusätzlich – das haben sich die Frauenministerin und die Unterrichtsministerin vorgenommen – ein ganz spezifisches Betreuungsprogramm für Frauen, für die überlebenden vergewaltigten Frauen und Mädchen beziehungsweise auch für die Kriegerwitwen übernehmen. Zusätzlich wollen wir – das hat der Familienminister angekündigt und angedeutet – ein eigenes Betreuungsprogramm für kriegsgeschädigte Kinder vorsehen. Die Kinder sind eine Gruppe, die sehr wichtig ist und die von diesen Ereignissen in einer Art und Weise hergenommen werden, wie man sich das als Erwachsener gar nicht vorstellen kann.

Präsident Gottfried Jaud: Zu einer weiteren Zusatzfrage hat sich Herr


Bundesrat
Stenographisches Protokoll
654. Sitzung / Seite 34

Bundesrat Herbert Thumpser gemeldet. – Bitte.

Bundesrat Herbert Thumpser (SPÖ, Niederösterreich): Herr Vizekanzler! Welche wirtschaftliche Unterstützung wird es seitens der EU beziehungsweise auch Österreichs für den wirtschaftlichen Wiederauf- und Ausbau von Albanien und Mazedonien geben?

Präsident Gottfried Jaud: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Die Soforthilfe habe ich schon erwähnt. Was längerfristig notwendig sein wird, kann man, so glaube ich, erst nach einer objektiven Schadensbilanz feststellen, wobei ich dazusage: Man muß das dann wirklich in einem größeren regionalen Zusammenhang sehen. Wir werden uns sicher auch für Serbien, wenn es dort eine demokratischere Alternative gibt als heute, verantwortlich fühlen müssen. Ich halte nichts davon, daß man Serbien dauerhaft ausgrenzt. Ich weiß, daß es dort viele Menschen, Intellektuelle und auch andere, gibt, einfache Leute, die mit diesem Regime überhaupt nicht zufrieden sind.

Übersehen Sie nicht, daß zum Beispiel die Studenten zwangshaft an der Universität vorgeführt werden oder hinkommen müssen und dann von dort aus – das war das "zwangshaft" – zu Demonstrationen abkommandiert werden. Das Militär kontrolliert das. Es ist also nicht so, daß allgemeine Akzeptanz gegeben ist. Milošević und sein Kurs haben weit weniger Unterstützung, als heute international bekannt ist. Aber muß man natürlich auf diesen “Tag danach” warten. Im Augenblick, in diesen kriegerischen Zeiten ist auch nicht zu erwarten, daß sich jene mit einer abweichenden Meinung überhaupt trauen, den Mund aufzumachen. – Das sollte man auch mit im Kopf haben.

Präsident Gottfried Jaud: Zu einer weiteren Zusatzfrage hat sich Herr Bundesrat Mag. John Gudenus gemeldet. – Bitte.


Bundesrat
Stenographisches Protokoll
654. Sitzung / Seite 35

Bundesrat Mag. John Gudenus
(Freiheitliche, Wien): Herr Bundesminister! Welche Zahlen liegen über die Wiederaufbauhilfen, die die Europäische Union im Bereiche Bosniens, Afrikas oder Palästinas in den letzten Jahren geleistet hat, vor?


Bundesrat
Stenographisches Protokoll
654. Sitzung / Seite 36

Präsident Gottfried Jaud:
Bitte, Herr Bundesminister.


Bundesrat
Stenographisches Protokoll
654. Sitzung / Seite 37

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel:
Es wäre lieb gewesen, Herr Bundesrat, wenn Sie es mir vorher gesagt hätten, daß Sie eine detaillierte Frage stellen, bei der Zahlen gefordert werden. Ich hätte sie gerne mitgebracht. Sie werden verstehen, daß ich genau sein muß bei einer Beantwortung in der Fragestunde und Ihnen daher die Zahlen schriftlich geben werde.

Präsident Gottfried Jaud: Wir gelangen nunmehr zur 12. Anfrage, 1052/M, an den Herrn Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten. Ich bitte Herrn Bundesrat Mag. John Gudenus um die Verlesung der Anfrage.

Bundesrat Mag. John Gudenus (Freiheitliche, Wien): Herr Bundesminister! Sie sprachen einleitend bei einer Beantwortung von mehr Solidarität und weniger Neutralität. Meine Frage lautet:

1052/M-BR/99

Inwieweit erfüllt Österreich den völkerrechtlichen Status eines dauernd neutralen Staates?

Präsident Gottfried Jaud: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Herr Bundesrat! Wir erfüllen vollinhaltlich unsere Verpflichtungen, die wir im Rahmen unserer Verfassungslage eingegangen sind.

Präsident Gottfried Jaud: Wird eine Zusatzfrage gewünscht? – Bitte.

Bundesrat Mag. John Gudenus (Freiheitliche, Wien): Die Zusatzfrage lautet: Herr Bundesminister! Österreichische Truppen sind im Rahmen des SFOR-Kontingents in Bosnien so wie in Albanien jeweils zwei NATO-Kommanden unterstellt beziehungsweise diesen weisungsgebunden. Inwieweit verträgt sich dies mit der Neutralität?

Präsident Gottfried Jaud: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Da ist überhaupt kein Problem gegeben, denn es gibt für den Bosnieneinsatz oder überhaupt für die von Ihnen angesprochenen Einsätze einen ganz klaren Beschluß des UNO-Sicherheitsrates, der ausdrücklich auch die Kommandostruktur anspricht. Es ist überhaupt kein Problem für uns, an einem solch friedenssichernden und friedenschaffenden Einsatz mitzuwirken, bei dem in der Kommandostruktur NATO-Institutionen eingebunden sind. Die NATO ist eine friedenssichernde und friedenschaffende Allianz. Ich sehe überhaupt kein Problem in diesem Zusammenhang.

Präsident Gottfried Jaud: Zu einer weiteren Zusatzfrage hat sich Herr Bundesrat Alfred Schöls gemeldet. – Bitte.

Bundesrat Alfred Schöls (ÖVP, Niederösterreich): Herr Präsident! Herr Bundesminister! Hat es bei der Beurteilung des Kosovo-Konflikts durch die EU einen Unterschied in der Haltung der Alliierten und der neutralen EU-Mitgliedstaaten gegeben?

Präsident Gottfried Jaud: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Herr Bundesrat! Es hat überhaupt keine politisch abweichende oder politisch andere Linie gegeben. Alle 15 haben von Anfang an die gleiche klare Position vertreten, und das ist, so glaube ich, sehr wichtig und ein Zeichen der Hoffnung, weil es doch zeigt, daß eine gemeinsame Außenpolitik im Entstehen ist – viel besser als etwa am Beginn des Kroatien- oder ab Beginn des Bosnienkrieges. Damals waren tatsächlich inhaltliche Unterschiede gegeben, das ist aber heute beim Kosovo-Konflikt überhaupt nicht der Fall.

Präsident Gottfried Jaud: Zu einer weiteren Zusatzfrage hat sich Herr Bundesrat Albrecht Konecny gemeldet. – Bitte.

Bundesrat Albrecht Konecny (SPÖ, Wien): Ausgehend von Ihrer letzten Antwort: Wir haben immer darauf gedrängt, daß wir den Inhalt unserer Neutralität selbst definieren. Würden Sie das, was im Verband der EU, des EU-Rates, an Beschlußfassung erfolgt ist, als solche Eigeninterpretation unserer Neutralität sehen?

Präsident Gottfried Jaud: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Absolut, aber indirekt sozusagen, weil es eben keine Interpretation von Neutralität ist, sondern eigentlich ein Zeichen einer europäischen Solidarität. Aber Sie haben 100prozentig recht.

Präsident Gottfried Jaud: Wir gelangen nunmehr zur 13. Anfrage, 1048/M, an den Herrn Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten. Ich bitte Herrn Bundesrat Johann Ledolter um die Verlesung der Anfrage.

Bundesrat Johann Ledolter (ÖVP, Niederösterreich): Herr Präsident! Herr Vizekanzler! Über lange Jahre gibt es schon das Bemühen der Zuerkennung eines eigenen Statutes für den auswärtigen Dienst. Meine Frage lautet:

1048/M-BR/99

Welche vorrangigen Ziele sollen mit der Verabschiedung eines eigenen Statutes für den auswärtigen Dienst erreicht werden?

Präsident Gottfried Jaud: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Herr Bundesrat! Eigentlich hat jedes vergleichbare EU-Land, aber auch die Schweiz, die kein EU-Land ist, ein solches Gesetz, das die besonderen Erfordernisse der Mobilität, der Rotation, der Dienstpflichten des auswärtigen Amtes regelt. Die Bemühungen gehen zwei Jahrzehnte zurück, bis ins Jahr 1977, als das Beamten-Dienstrecht wieder einmal reformiert wurde.

Der Unterschied zu anderen Formen des öffentlichen Dienstes ist, daß eben die Mitarbeiter des auswärtigen Amtes verpflichtet sind, sich in einer bestimmten Form mobil zu verhalten, eben durchaus dort eingesetzt zu werden, wo man sie braucht – zwischen Klammern: etwas, was unter Umständen auch für andere Bereiche vielleicht einmal diskutiert werden sollte. Ich verstehe nicht ganz, warum man als Dienstgeber nicht etwa auch bei Auslandseinsätzen des Bundesheeres – man kann dann definieren, in welchem Bereich – auf bestimmte Ressourcen zurückgreifen können soll. Aber das ist ein anderes Thema.

Wir müssen diese Möglichkeit jedenfalls haben. Diese Mobilität gilt auch nicht nur für bestimmte Leitungsfunktionen, sondern für alle Funktions-, Verwendungs- und Entlohnungsgruppen. Es ist eine Art generelle Mobilität verlangt. Sie bezieht sich nicht nur auf den Beamten, sondern auch auf seine Familienmitglieder, sie erstreckt sich auf sämtliche Dienststellen im In- und im Ausland, und sie erfolgt regelmäßig in Form der Rotation. Daraus leiten sich besondere Dienstpflichten ab, die bisher in bestimmten Weisungen kodifiziert sind.

Wir meinen, es ist absolut notwendig, das einmal – transparent – auf eine Gesetzesstufe zu stellen. Wir sind, so hoffe ich, so weit – ich hatte gehofft, daß wir es schon am Dienstag durch den Ministerrat bringen; es ist aber leider durch den Finanzstaatssekretär um eine Woche zu-rückgestellt worden –, daß wir es in der nächsten Woche durchbringen, weil es einfach eine absolute Voraussetzung ist, damit der auswärtige Dienst im 21. Jahrhundert wirklich gut und klaglos funktioniert.

Präsident Gottfried Jaud: Wird eine Zusatzfrage gewünscht? – Bitte.

Bundesrat Johann Ledolter (ÖVP, Niederösterreich): Ich hätte gerne noch gewußt, ob es wirklich notwendig ist, eine solch umfassende Regelung zu treffen, wie sie im vorliegenden Entwurf angedacht ist.

Präsident Gottfried Jaud: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Ja! Natürlich ist das absolut notwendig, denn es ist zum Beispiel zurzeit überhaupt nicht gesetzlich geregelt, wie lange eine vorübergehende Auslandsverwendung in Form einer Zuteilung an einen ausländischen Dienstort dauern darf und ab welcher ununterbrochenen Verwendungszeit eine Versetzung zu verfügen ist. Das Beamten-Dienstrecht ist diesbezüglich absolut unzureichend, denn die Frage des Familiennachzugs ist ungeklärt, die Frage der Umzugskosten ist nicht geklärt, und eine verfassungsrechtliche Grundlage für derartige befristete Ernennungen gibt es zwar schon, aber die im Verfassungsgesetz vorgesehene einfach gesetzliche Umsetzung und Durchführung soll jetzt durch dieses Statut vereinbart werden.

Präsident Gottfried Jaud: Zu einer weiteren Zusatzfrage hat sich Herr Bundesrat Dr. Paul Tremmel gemeldet. – Bitte.

Bundesrat Dr. Paul Tremmel (Freiheitliche, Steiermark): Ist dieses Statut den diesbezüglichen Regeln der EU-Staaten im Sinne der Bestimmungen des Amsterdamer Vertrages über eine Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik angepaßt?

Präsident Gottfried Jaud: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: An sich wird das nicht von der Union geregelt, denn es ist eine rein nationale Angelegenheit. Aber ich würde überhaupt kein Problem darin sehen! Im Gegenteil: Alle EU-Länder haben – wie ich bereits vorhin gesagt habe – ganz ähnliche Statute.

Präsident Gottfried Jaud: Wir gelangen nunmehr zur 14. Anfrage, 1041/M, an den Herrn Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten. Ich bitte Herrn Bundesrat Klaus Gasteiger um die Verlesung der Anfrage.

Bundesrat Klaus Gasteiger (SPÖ, Tirol): Herr Präsident! Herr Vizekanzler! Meine Frage lautet:

1041/M-BR/99

Welche Position vertritt Österreich hinsichtlich des Papiers der deutschen EU-Präsidentschaft zur Entwicklung einer gemeinsamen europäischen Sicherheits- und Verteidigungsidentität für den Europäischen Rat in Köln?

Präsident Gottfried Jaud: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Erstens ist dieses Diskussionspapier der deutschen Präsidentschaft auf politischer Ebene noch nicht diskutiert worden, und außerdem sind auch noch einige organisatorische Fragen offen, auf die ich vielleicht noch eingehen kann, aber im Prinzip zeichnet sich ab, daß die Westeuropäische Union weitgehend in die Union integriert werden wird. Aus diesem Papier läßt sich weiters schließen, daß die EU und die NATO im Bereich des europäischen Krisenmanagements direkt zusammenarbeiten werden. Für uns gilt es natürlich sicherzustellen, daß Österreich entsprechend den Amsterdamer Regelungen an der Vorbereitung und Durchführung von EU-geführten Missionen gleichberechtigt teilnehmen kann.

Im technischen Bereich "spielt" es sich im Moment noch ab, dort gibt es noch einige Auffassungsunterschiede, vor allem zwischen den Exponenten der beiden unterschiedlichen Linien, nämlich den Briten und den Franzosen. Die Frage der Personenidentität künftiger EU-Strukturen mit jenen der NATO – also die Frage: Sollen der EU-Militärausschuß und die entsprechende NATO-Instanz personenidentisch besetzt sein, also das "double heading"? – ist ebenso umstritten wie der britische Vorschlag eines ständigen GASP-Komitees in Brüssel. Aber im Prinzip ist es, so glaube ich, ein gutes Papier, auf das man aufbauen kann. Politisch ist es, wie gesagt, noch nicht wirklich diskutiert. – Wir hoffen sehr darauf, daß Köln ein ermutigendes Signal geben wird.

Strittig ist natürlich auch der Zugang der Europäer zu den NATO-Kapazitäten, wozu jedoch zu sagen ist, daß die Washingtoner Erklärung des NATO-Gipfels diesbezüglich substantielle Fortschritte gebracht hat. Interessant ist auch, daß die Franzosen dieses Ergebnis von Washington sehr begrüßt haben, sie nennen es sogar einen Triumph französischer Diplomatie! Es dürfte also ein Ergebnis sein, das durchaus ermutigend ist.

Präsident Gottfried Jaud: Zu einer weiteren Zusatzfrage hat sich Herr Bundesrat Engelbert Weilharter gemeldet. – Bitte.

Bundesrat Engelbert Weilharter (Freiheitliche, Steiermark): Herr Präsident! Herr Bundesminister! Inwieweit stehen die von Ihnen genannten Ziele, im besonderen die Integration der WEU in die EU, im Einklang mit unserer Neutralität?

Präsident Gottfried Jaud: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Ich habe das eigentlich schon in der Diskussion über den Amsterdamer Vertrag gesagt: Im Amsterdamer Vertrag ist bereits das Ziel einer möglichen Verschmelzung von EU und Westeuropäischer Union angesprochen, zwar nicht mit einem Zeitplan, auch nicht mit organisatorischen Details, sondern als eine Art Grundsatzbeschluß, und auch die Form steht drinnen. Wenn dieser


Bundesrat
Stenographisches Protokoll
654. Sitzung / Seite 38

Beschluß gefaßt wird, ist keine neue Ratifizierung, also keine Vertragsänderung, notwendig, sondern eigentlich nur ein Beschluß des Rates. Theoretisch würde sogar ein Beschluß des Allgemeinen Rates genügen, aber vermutlich wird man einen Beschluß des höchsten Gremiums, nämlich des Europäischen Rates, vorziehen.

Wir haben auch im Lichte dieser Bestimmungen hier berichtet, sowohl im Bundesrat als auch im Nationalrat. Jeder, der an der Ratifizierung des Amsterdamer Vertrages mitgewirkt hat, weiß, daß Österreich an einer möglichen Verschmelzung der EU mit der WEU mitwirken würde und daß das nicht im Gegensatz zu unserer Neutralität steht. Im Gegenteil: Es ist wichtig, denn andernfalls wird es nie zu einer gemeinsamen europäischen Außen-, Sicherheits- und Verteidigungsdimension kommen – das muß man ehrlich sagen!

Präsident Gottfried Jaud: Wir kommen nun zur 15. Anfrage, Nummer 1049/M, an den Herrn Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten. Ich bitte Herrn Bundesrat Dipl.-Ing. Hannes Missethon um die Verlesung der Anfrage.

Bundesrat Dipl.-Ing. Hannes Missethon (ÖVP, Steiermark): Herr Präsident! Herr Bundesminister! Meine Frage lautet:

1049/M-BR/99

Welche wichtigen institutionellen Neuerungen bringt der Amsterdamer Vertrag?

Präsident Gottfried Jaud: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Der Amsterdamer Vertrag bringt den Hohen Vertreter der Außenpolitik, er bringt die gemeinsamen Strategien, er bringt die Perspektive der künftigen Integration der WEU in die EU – wobei ich hinzufügen muß, daß das vorhin vielleicht ein bißchen unscharf formuliert wurde: Dafür muß keine Vertragsänderung mehr gemacht werden, es genügt ein Beschluß des Europäischen Rates, dieser Beschluß aber muß danach national auch auf der Ebene der nationalen Gesetzgebung sozusagen beschlossen werden. Das ist klar! Nur eine Vertragsänderung ist nicht erforderlich.

Dazu kommen eben jene gemeinsamen Strategien und ähnliche Dinge, die wir, so glaube ich, im Laufe dieser zwei Fragestunden bereits ausführlich besprochen haben.

Präsident Gottfried Jaud: Wird eine Zusatzfrage gewünscht? – Bitte.

Bundesrat Dipl.-Ing. Hannes Missethon (ÖVP, Steiermark): Welche institutionellen Reformen sind darüber hinaus angezeigt, um eine seit dem Rücktritt der Europäischen Kommission im Raum stehende institutionelle Krise der Union abzuwehren?

Präsident Gottfried Jaud: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Wir haben im Moment eine sehr ungewöhnliche Situation: Wir nehmen eigentlich die Bestellung der neuen Kommission vorweg! Prodi ist gerade vom Europäischen Parlament mit Vierfünftelmehrheit der Zahl der Anwesenden – was nicht immer identisch ist mit der Zahl der Abgeordneten – bestätigt worden. Damit hat er nun aufgrund des Amsterdam-Vertrages das Mandat, sich mit den Mitgliedsländern ins Benehmen zu setzen, um eine gute Kommission zusammenzustellen.

Der Zeitplan sieht also so aus, daß man nach den Wahlen zum Europäischen Parlament am 13. Juni sehr schnell die nationalen Kandidaten nominieren muß, und danach wird es Schlag auf Schlag gehen. Wir hoffen sehr, daß die Zusammensetzung der Kommission möglichst Anfang oder Mitte September feststeht, damit wir wieder eine handlungsfähige, schlagkräftige Kommission haben. Denn wir brauchen sie: Denken Sie nur an die Handelsprobleme mit den Vereinigten Staaten, denken Sie an die humanitäre Katastrophe am Balkan, an die Wiederaufbaukonferenz! – Wir brauchen eine handlungsfähige Kommission, und gerade kleine Länder müssen sehr daran interessiert sein.


Bundesrat
Stenographisches Protokoll
654. Sitzung / Seite 39

Dann muß das neue unabhängige Betrugsbekämpfungsbüro OLAF sehr schnell zu arbeiten beginnen, und auch die interne Reform der Kommission sollte Prodi sehr rasch vorwärtsbringen. – Das wären, glaube ich, jene Punkte, die aus unserer Sicht entscheidend sind.

Präsident Gottfried Jaud: Zu einer weiteren Zusatzfrage hat sich Herr Mag. Walter Scherb gemeldet. – Bitte.

Bundesrat Mag. Walter Scherb (Freiheitliche, Oberösterreich): Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Bundesminister! Zeigt das unterzeichnete Subsidiaritätsprotokoll schon konkrete Auswirkungen im Hinblick auf die Kompetenzverlagerung weg von der EU-Ebene hin zu den einzelnen Staaten, Ländern und Gemeinden?

Präsident Gottfried Jaud: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Noch nicht im unmittelbaren Sinn, da sich jeder auf die akuten Dinge, nämlich die Ratifizierung des Amsterdamer Vertrages, konzentriert hat und daher viele Punkte natürlich noch nicht ihre volle Wirkung entfaltet haben. Der Vertrag gilt seit 1. Mai dieses Jahres. Die Kommission hat zwar einige erfreuliche Schritte zur vorzeitigen Anwendung des Subsidiaritätsprotokolls gemacht, aufgrund ihres Rücktrittes und ihrer dadurch quasi verringerten Ambition – sie betrachtet sich nur mehr als Caretaker-Kommission, als Übergangsverwaltung – sind jedoch noch keine konkreten Erfolge zu vermelden.

Präsident Gottfried Jaud: Wir gelangen nunmehr zur 16. Anfrage, Nummer 1053/M, an den Herrn Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten. Ich bitte Frau


Bundesrat
Stenographisches Protokoll
654. Sitzung / Seite 40

Bundesrätin Monika Mühlwerth, die Anfrage zu verlesen.

Bundesrätin Monika Mühlwerth (Freiheitliche, Wien): Sehr geehrter Herr Minister! Meine Frage lautet:

1053/M-BR/99

Ist für Sie so wie für Kommissar Fischler die Vetomöglichkeit eines Mitgliedstaates gegen die Osterweiterung ein zusätzliches Argument, vom Einstimmigkeitsprinzip innerhalb der EU abzugehen?

Präsident Gottfried Jaud: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Ehrlich gesagt ist mir eine solche Erklärung von Kommissär Fischler überhaupt nicht bekannt. Also ich habe davon, ehrlich gesagt – und deswegen habe ich jetzt auch etwas verblüfft meine Mitarbeiter gefragt –, nichts gehört.

Eine Erweiterung wird im Rahmen einer Regierungskonferenz abgewickelt. Nach der Verfassung, nach dem Vertrag der Union ist das ein intergouvernementaler Vertrag. Dieser wird zwar gemeinsam verhandelt, aber dabei sind alle gleichberechtigt, und es ist völlig undenkbar, daß etwas Derartiges Gemeinschaftsrecht wird und daher dem Mehrstimmigkeitsprinzip unterliegen könnte.

Es kann sein, daß man, wie zum Beispiel bei der Türkei-Strategie, überlegt, ob eine "Heranführungsstrategie" oder ein bestimmtes Finanzprotokoll – das ist ein Problem gewesen – mit Mehrstimmigkeit beschlossen werden kann, um sozusagen eine Blockade zu verhindern, aber die Erweiterung als solche ist nicht Gemeinschaftsrecht, sie ist rein intergouvernemental, wird in einer Regierungskonferenz abgewickelt und könnte niemals durch das Mehrstimmigkeitsprinzip ausgelöst werden. Ich kann mir, ehrlich gesagt, auch nicht vorstellen, daß Kommissär Fischler, der ein sehr guter Kenner der Vertragssituation und der Verfassung der Union ist, so etwas gesagt haben könnte.

Präsident Gottfried Jaud: Wird eine Zusatzfrage gewünscht? – Bitte sehr.

Bundesrätin Monika Mühlwerth (Freiheitliche, Wien): Herr Minister! Werden Sie sich weiter dafür einsetzen, daß das Einstimmigkeitsprinzip bleibt, wie ich das Ihrer Antwort entnehme?

Präsident Gottfried Jaud: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Das halte ich für absolut wichtig! Selbstverständlich muß bei Vertragsänderungen oder bei Regierungskonferenzen, bei denen es um die wichtigsten Fragen überhaupt geht, das Einstimmigkeitsprinzip gelten. Aber ich wiederhole: Mir ist keine wie immer geartete Erklärung bekannt, derzufolge irgendein maßgeblicher Politiker von diesem Prinzip abgewichen wäre oder abweichen wollte.

Präsident Gottfried Jaud: Zu einer weiteren Zusatzfrage hat sich Herr Bundesrat Friedrich Hensler gemeldet. – Bitte.

Bundesrat Friedrich Hensler (ÖVP, Niederösterreich): Sehr geehrter Herr Vizekanzler! Ist im Bereich der Bewirtschaftung der Wasserressourcen mit dem Abgehen vom Einstimmigkeitsprinzip zu rechnen?

Präsident Gottfried Jaud: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Die Antwort lautet: Nein! Wir haben im Amsterdamer Vertrag auch klar darauf bestanden, daß die Frage der Wasserressourcen der Einstimmigkeitsregel unterworfen bleibt, weil das eben wichtige nationale Ressourcen sind, deren Verwendung genauso wie Erdöl und andere Bodenschätze selbstverständlich niemals einer anderen Jurisdiktion oder dem Mehrstimmigkeitsprinzip unterworfen werden dürfen.

Präsident Gottfried Jaud: Auf die letzte Zusatzfrage wurde verzichtet.

Sehr geehrter Herr Bundesminister! Ich bedanke mich, vor allem für die exakte Einhaltung der Zeit bei höchster Information. (Beifall bei der ÖVP und bei Bundesräten der SPÖ.)

Einlauf und Zuweisungen

Präsident Gottfried Jaud: Eingelangt sind sechs Anfragebeantwortungen, 1462/AB bis 1467/AB, die den Anfragestellern übermittelt wurden.

Die Anfragebeantwortungen wurden vervielfältigt und sind bereits allen Mitgliedern des Bundesrates zugegangen.

In diesem Zusammenhang verweise ich auf die im Saal verteilte Liste der eingelangten Anfragebeantwortungen.

Eingelangt sind weiters Schreiben des Bundeskanzleramtes betreffend Ministervertretungen.

Ich ersuche die Schriftführung um Verlesung dieser Schreiben.

Schriftführerin Ilse Giesinger: "Der Herr Bundespräsident hat am 23. April 1999, Zl. 300.100/27-BEV, folgende Entschließung gefaßt:

Auf Vorschlag des Bundeskanzlers betraue ich für die Dauer der Verhinderung des Bundesministers für Inneres Mag. Karl Schlögl innerhalb des Zeitraumes vom 2. bis 6. Mai 1999 den Bundesminister für Wissenschaft und Verkehr Dr. Caspar Einem mit der Vertretung.

Hievon beehre ich mich, mit dem Ersuchen um gefällige Kenntnisnahme Mitteilung zu machen.

Für den Bundeskanzler:


Bundesrat
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Dr. Wiesmüller"

Das zweite Schreiben lautet:

"Der Herr Bundespräsident hat am 23. April 1999, Zl. 300.100/28-BEV, folgende Entschließung gefaßt:

Auf Vorschlag des Bundeskanzlers betraue ich für die Dauer der Verhinderung des Bundesministers für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel am 6. und 7. Mai 1999 den Bundesminister für Landesverteidigung Dr. Werner Fasslabend mit der Vertretung.

Hievon beehre ich mich, mit dem Ersuchen um gefällige Kenntnisnahme Mitteilung zu machen.

Für den Bundeskanzler:

Dr. Wiesmüller"

Das dritte Schreiben an den Präsidenten des Bundesrates lautet:

"Sehr geehrter Herr Präsident! Ich beehre mich, Ihnen mitzuteilen, daß ich mich am 6. Mai 1999 in Griechenland aufhalten werde.

Der Bundeskanzler"

Präsident Gottfried Jaud: Dient zur Kenntnis.

Eingelangt sind weiters jene Beschlüsse des Nationalrates, die Gegenstand der heutigen Tagesordnung sind.

Ich habe diese Beschlüsse den in Betracht kommenden Ausschüssen zur Vorberatung zugewiesen. Die Ausschüsse haben ihre Vorberatungen darüber sowie über den bereits am 15. April 1999 eingelangten und zugewiesenen Selbständigen Antrag 116/A-BR/99 abgeschlossen und schriftliche Ausschußberichte erstattet.

Ich habe alle diese Vorlagen sowie die Wahl eines Ordners für den Rest des 1. Halbjahres 1999 auf die Tagesordnung der heutigen Sitzung gestellt.

Behandlung der Tagesordnung

Präsident Gottfried Jaud: Ich beabsichtige, die Debatte über die Punkte 4 bis 6 sowie 7 und 8 der Tagesordnung unter einem abzuführen.

Wird dagegen ein Einwand erhoben? – Das ist nicht der Fall. Wir werden daher in diesem Sinne vorgehen.

Wird zur Tagesordnung das Wort gewünscht? – Dies ist auch nicht der Fall.

Bevor wir in die Tagesordnung eingehen, möchte ich aus Anlaß des 50. Jahrestages der Gründung des Europarates einige Gedanken hiezu zum Ausdruck bringen.

Ich möchte ausdrücklich darauf hinweisen, daß es für uns in der Präsidialkonferenz eine Selbstverständlichkeit war, die Gründung des Europarates entsprechend zu würdigen.

Es werden daher nach meinen Ausführungen jene Mitglieder des Bundesrates, die vom Bundesrat in den Europarat entsandt sind, ebenfalls das Wort nehmen.


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Erklärung des Präsidenten Gottfried Jaud anläßlich des 50. Jahrestages der Gründung des Europarates

Präsident Gottfried Jaud: Meine sehr geehrten Damen und Herren! Gestern feierte der Europarat sein 50jähriges Bestehen. Dieses Datum soll auch im Bundesrat zum Anlaß genommen werden, die Tätigkeiten und Errungenschaften des Europarates entsprechend zu würdigen. Die gemeinsame Vision, einen ganzen Kontinent auf der Grundlage pluralistischer Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zu vereinen, hat am 5. Mai 1949 zehn europäische Staaten dazu veranlaßt, den Vertrag zur Bildung des Europarates zu unterzeichnen.

In 50jähriger Zusammenarbeit zwischen Regierungen, Parlamenten, Ländern und Gemeinden – unterstützt von privaten Vereinigungen – wurde so ein Raum der Stärkung von Freiheit und Gerechtigkeit für beinahe 850 Millionen Menschen geschaffen. Heute vereinigt der Europarat 41 Staaten Europas unter einem Dach. Während sich die Mitglieder zunächst auf Westeuropa beschränkten, gehören ihm seit 1989 auch die meisten Länder Mittel- und Osteuropas an.

Österreich hat seit seinem Beitritt im April 1956 als besonders aktives Mitglied an dem Aufbauwerk des Europarates mitgewirkt, und es war besonders und ist auch heute noch wie kein anderes Land in höchsten Positionen vertreten. 25 Bundesräte waren seither für den Europarat tätig. Derzeit sind die Bundesräte Dr. Milan Linzer, Johanna Schicker und Dr. Reinhard Eugen Bösch Ersatzmitglieder des Europarates.

Bei der Vorbereitung dieser Rede wurde mir berichtet, daß Bundesrat Dr. Josef Reichl gemeinsam mit Karl Ahrens, dem späteren Präsidenten des Europarates, angeregt hat, das Vorspiel zur "Ode an die Freude" aus der neunten Symphonie von Beethoven zur Europahymne zu erklären. Das Ministerkomitee des Europarates hat dies im Jahre 1972 beschlossen. Die musikalische Bearbeitung übernahm damals Herbert von Karajan.

Ich möchte schließlich auch daran erinnern, daß in Wien anläßlich des ersten Gipfels der Staats- und Regierungschefs des Europarates im Jahre 1993 die damalige Konferenz der Gemeinden und Regionen Europas zum Kongreß der Gemeinden und Regionen Europas, einem beratenden Organ des Europarates, aufgewertet wurde. Indem der Kongreß der Gemeinden und Regionen Europas der Parlamentarischen Versammlung und dem Ministerkomitee gleichgestellt wurde, wurde die Bedeutung, die der Europarat der Teilnahme der Gemeinden und Regionen am europäischen Einigungsprozeß beimißt, im besonderen unterstrichen. Als älteste europäische Organisation kann der Europarat mit Recht von einer erfolgreichen politischen Integration des Kontinents sprechen, und er kann stolz sein auf seine größte Errungenschaft, die Europäische Menschenrechtskonvention.

Jedoch am Beginn des dritten Jahrtausends muß auch er sich der dynamischen Entwicklung unserer Zeit stellen und seine Strukturen ändern, um besonders für neue Länder eine demokratische Plattform bleiben zu können. Nur wenn die Regierungen der Mitgliedsländer zu einer weitreichenden Unterstützung bereit sind, wird der Europarat auch in Zukunft seine Aufgabe erfüllen können und weiterhin das demokratische Gewissen Europas sein.

Als erstem Redner erteile ich nun Herrn Bundesrat Dr. Milan Linzer das Wort. – Bitte.

11.12

Bundesrat Dr. Milan Linzer (ÖVP, Burgenland): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Hoher Bundesrat! Nach dem Zweiten Weltkrieg lag Europa in Trümmern, Millionen Menschen waren umgekommen, und es entstand das Bewußtsein des Zusammenlebens und der Einigung miteinander, anstatt Krieg zu führen.

Männer wie Schuman, Spaak und De Gasperi waren beherzte Männer, die die Initiatoren der Gründung des Europarates am 5. Mai 1949 waren. Die Zielsetzungen des Europarates waren und sind auch heute noch der Schutz der Demokratien, der politischen Systeme mit freien Wahlen und im besonderen der Schutz der Menschenrechte, vor allem der Rechte der Freiheit, Gleichheit, Gedankenfreiheit und der freien Meinungsäußerung, ferner die Vielfalt der Gemein


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samkeiten der Kulturgüter und insbesondere auch der Gedanke der sozialen Lebensbedingungen in Europa. (Vizepräsidentin Haselbach übernimmt den Vorsitz.)

Meine Damen und Herren! Vor dem Hintergrund der entsetzlichen kriegerischen Auseinandersetzungen, der geradezu mittelalterlichen Barbarei zum einen gegen den Schutz und die Verteidigung der Menschen- und Bürgerrechte und der Vertreibungen im Kosovo zum anderen, steht der Europarat heute, vor dem Eintritt in das dritte Jahrtausend, vor bedeutenden Herausforderungen.

Als älteste europäische Organisation, die fast alle Staaten Europas vereint, kann der Europarat mit Recht eine Bestandsaufnahme der politischen Integration des Kontinents durchführen und die erforderlichen Lehren daraus ziehen – mit dem Ziel, die Bande zu stärken, die seine Völker verbinden. Nach dem Ende des Kalten Krieges, der die Vision überschattete, die von einigen Gründervätern in bezug auf die Aufgabe der Organisation zum Ausdruck gebracht worden war, und zwar eine weiter gefaßte und stärker einigende Vision als die derzeitige, muß nun erneut das gesamte europäische Ideal der Gründerväter von einer transnationalen politischen Macht auf der Grundlage einer europäische Gesamtverfassung aufgegriffen werden.

Der Europarat, insbesondere dessen Parlamentarische Versammlung, erkennt die Fortschritte der Europäischen Union an, stellt aber gleichzeitig fest, daß die Schwierigkeiten bei dem Verfahren der Erweiterung um die Staaten, die derzeit eine Mitgliedschaft anstreben, bedeuten, daß weitere Kandidaturen über viele Jahre hinweg nicht vorgesehen werden.

Ohne einen Rahmen, innerhalb dessen alle europäische Staaten einen Dialog führen und institutionalisierte politische Verbindungen knüpfen können, wird die Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Union einerseits und dem Europarat andererseits bedauerlicherweise in gewisser Hinsicht vom Zufall bestimmt sein.

Meine Damen und Herren! Diese für die Zukunft Europas entscheidende Zusammenarbeit muß der Identität beider Institutionen Rechnung tragen, auch wenn das bedeutet, daß eine Verdoppelung der Bemühungen unvermeidlich ist, und zwar betreffend Wirtschaft, Industrie und Finanzen im Falle der Union einerseits, demokratische Werte, sozialer Zusammenhalt, Bekämpfung der Armut, Landschaftsschutz, Vielfalt der Kulturgüter, Verteidigung vor allem der Minderheitenkulturen im Falle des Europarates andererseits.

Ich darf an dieser Stelle einen persönlichen Geburtstagswunsch anführen und wäre dankbar, wenn Österreich die Ratifikation der Charta des Europarates über Regional- und Minderheitensprachen ehestens vornehmen könnte.

Meine Damen und Herren! Die Parlamentarische Versammlung des Europarates, der ich die Ehre anzugehören habe, hat mehrfach betont, daß der Europarat, dessen politisches Ziel in seiner Satzung festgelegt ist, den Rahmen bietet, der in der auf dem ersten Gipfel in Wien, am 9. Oktober 1993, verabschiedeten Erklärung bestätigt wurde, nämlich: Der Europarat ist die herausragende politische Institution Europas, welche die neuen, von der kommunistischen Unterdrückungsherrschaft befreiten Demokratien Europas auf der Grundlage der Gleichberechtigung und der dauerhaften Strukturen aufnehmen kann. – Aus diesem Grund ist der Beitritt dieser Länder zum Europarat ein zentraler Faktor des europäischen Aufbauwerks.

Die auf dem zweiten Gipfel in Straßburg, 1997, verabschiedete Erklärung beschränkte sich im Gegensatz dazu darauf, die wichtigsten Aufgaben des Europarates zu präzisieren. Wenn der Europarat nicht lediglich eine Fachbehörde für bestimmte Bereiche werden möchte, muß die Rationalisierung, deren Wirksamkeit wohl sehr lobenswert ist, der entscheidenden politischen Rolle Rechnung tragen, die die Organisation im Prozeß des europäischen Aufbauwerks spielt.

Meine Damen und Herren! Die innerhalb des Europarates entdeckte neue Einheit des Kontinents Europa als Teil des Prozesses einer Europäischen Integration kann nur erreicht werden, wenn die Völker eine europäische Identität, die ihre nationale Identität ergänzt – nicht ersetzt, sondern ergänzt! –, anerkennen und durch die ethischen Grundsätze in das Zentrum der politischen Tätigkeit gerückt werden. Ohne diese grundlegende Idee werden die Völker Europas


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nicht in der Lage sein, die Bande, die sie zu einer einzigen europäischen Einheit verbinden, wahrzunehmen.

Meine Damen und Herren! Zum Schluß kommend darf ich feststellen, daß Österreich in den letzten Jahren und Jahrzehnten durch bedeutende Vertreter im Europarat ausgezeichnete Arbeit geleistet hat. Ich nenne Namen wie Karl Czernetz, Lujo Toncić, Franz Karasek, Hermann Withalm, Bruno Pittermann und viele andere mehr.

Ich möchte an dieser Stelle auch betonen, daß uns die beiden Damen der Parlamentsdirektion, Frau Mag. Humula und Frau Hauke, in aufopfernder Art und Weise im Europarat bestens betreuen, beinahe für ein familiäres Ambiente sorgen und damit die Grundlage dafür schaffen, daß wir österreichische Vertreter dort unsere Arbeit in bester Weise verrichten können. Dafür möchte ich mich bei diesen beiden Damen sehr herzlich bedanken.

In diesem Sinne möchte ich namens meiner Fraktion, wie gesagt, dem Europarat einen Glückwunsch zum 50. Jahrestag seiner Gründung entbieten. Mögen die Wünsche, mögen die Visionen, die sich der Europarat selbst gemeinsam mit uns gesetzt hat, in Erfüllung gehen! – Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. (Allgemeiner Beifall.)

11.20

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Als nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Schicker. – Bitte.

11.20

Bundesrätin Johanna Schicker (SPÖ, Steiermark): Geschätzte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das 50jährige Bestehen des Europarates gibt uns heute Anlaß, die Verdienste des Europarates im Hinblick auf die Entwicklung der Menschenrechte und der Demokratien in Europa aufzuzeigen.

Im Jahre 1949 beschlossen zehn westeuropäische Länder, gemeinsam ein neues Europa zu gründen, das für neue Werte stehen sollte. Das war die Geburtsstunde des Europarates, und ihm fiel die Aufgabe zu, diese Werte zu sichern. Es handelte sich dabei um drei große Bereiche.

Erstens: die Politik. Dabei ging es darum, die Demokratie, die Menschenrechte sowie die Rechtsstaatlichkeit zu schützen und zu stärken.

Zweitens: die Kultur. Hier sollten die Vielfalt und die Gemeinsamkeit der Kulturgüter zur Geltung kommen.

Drittens: der soziale Bereich. Der Bevölkerung sollten angemessene Lebensbedingungen gesichert werden.

In Erfüllung seines Auftrages hat der Europarat in den letzten fünf Jahrzehnten eine Reihe von Rechtsinstrumenten, Einrichtungen und Programmen geschaffen, die sich nach und nach auf den gesamten Kontinent auswirken. Die größte Errungenschaft ist zweifellos die Europäische Menschenrechtskonvention.

Aber auch beim Aufbau demokratischer Strukturen in Europa – und hier insbesondere in den Staaten Osteuropas – leistete der Europarat in den vergangenen Jahren wertvolle Arbeit. Diese Aufbauarbeit gilt es, auch in den kommenden Jahren fortzusetzen, denn es gibt noch mehrere – ich möchte fast sagen: viele – weiße Flecken in Europa; es gibt Staaten, die zwar beitrittswillig, deren Rechtssysteme aber erst mit den grundlegenden Prinzipien einer Demokratie in Einklang zu bringen sind.

Doch auch in der europäischen Kulturarbeit stand und steht der Europarat im Vordergrund. Vielfalt und Gemeinsamkeit der Kulturgüter sollen zur Geltung kommen. Die praktische Umsetzung dieser Ziele erfolgt unter anderem auch im Kongreß der Gemeinden und Regionen Europas. Die Gemeinde- und Städtepartnerschaften leisten einen wesentlichen Beitrag zur Verwirklichung eines bürgernahen Europas. Besonders Städte und Gemeinden aus unterschied


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lichen Kulturkreisen tragen dazu bei, daß durch gelebte Partnerschaften Ängste in der Bevölkerung gegenüber allem, was fremd ist, abgebaut werden.

Als Mitglied des Ausschusses für Umwelt, Regionen und Gemeinden, zuständig für die Verleihung und Übergaben von Europadiplomen, Europaplaketten und Europafahnen, habe ich in den letzten Jahren die Bedeutung dieser Partnerschaften kennen- und schätzengelernt. Durch die vielen diversesten Partnerschaftstreffen kommen sich Bürger verschiedenster Nationalitäten mit verschiedensten Sprachen näher und tragen damit wesentlich zur Stabilität, dem Dialog und der Kooperation in Europa bei.

Die Europäische Charta der Regional- und Minderheitensprache – sie wurde schon vom Kollegen Dr. Linzer angesprochen – soll ebenfalls dabei helfen, die regionalen und sprachlichen Besonderheiten als Teil des europäischen Kulturerbes zu schützen und zu fördern. Durch sie soll der Gebrauch von Regional- und Minderheitensprachen im Bildungswesen und in den Medien gesichert sein und im gesellschaftlichen und kulturellen Leben erlaubt werden.

Leider ist auch Österreich bei der Ratifizierung dieser Charta säumig. Es wäre wünschenswert – auch das wurde schon gesagt –, wenn wir uns selbst anläßlich des 50. Geburtstages des Europarates dieses Geschenk machen würden.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr oft wird die Sinnhaftigkeit des Europarates in Zeiten einer immer schneller wachsenden Europäischen Union sowie einer gewissen Parallelität mit der OSZE in Frage gestellt. Auch wir haben Sorge, daß die Effektivität des Europarates ohne Erneuerung mit der Zeit verlorengehen könnte. Ich bin mir aber trotzdem sicher, daß der Europarat auch in den nächsten Jahren und Jahrzehnten das Gewissen Europas sein wird.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Auch ich möchte meine Ausführungen nicht schließen, ohne mich bei den beiden Damen, Frau Mag. Humula und Frau Hauke – sie ist anwesend –, dafür zu bedanken, daß sie uns Abgeordnete nicht nur während der Plenarsitzungen in Straßburg, sondern auch hier in Wien bestens betreuen und uns in unserer Arbeit zum Wohle Europas immer mit viel Engagement unterstützen. – Ein herzliches Dankeschön! (Allgemeiner Beifall.)

11.25

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Als nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Dr. Bösch. – Bitte.

11.26

Bundesrat Dr. Reinhard Eugen Bösch (Freiheitliche, Vorarlberg): Frau Vizepräsidentin! Meine Damen und Herren! Dem Dank meiner Vorredner an den parlamentarischen Dienst schließe ich mich sehr gerne an. Ich darf Sie, Frau Hauke, ersuchen, diese Anerkennung und diesen Dank von uns allen hier entgegenzunehmen und Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu überbringen. (Beifall bei den Freiheitlichen sowie bei Bundesräten der ÖVP und SPÖ.)

Meine Damen und Herren! 1949 wurde der Europarat von zehn europäischen Ländern gegründet, 1956 ist unsere Republik beigetreten. Der Europarat arbeitet im wesentlichen im Ministerkomitee, das die Außenminister der mittlerweile 41 Mitgliedstaaten umfaßt. Sie legen das Arbeitsprogramm des Europarates fest und verabschieden den Haushalt. Sie beschließen auch, welche Maßnahmen aufgrund von Beschlüssen der Parlamentarischen Versammlung ergriffen werden sollen. Sie sehen also, es herrscht auch im Europarat ein sehr starkes Übergewicht der exekutiven Ebene vor.

Die Parlamentarische Versammlung selbst zählt 286 Mitglieder und ebenso viele Stellvertreter, die aus den Parlamenten der Mitgliedsländer hervorgehen. Wir Bundesräte stellen dort deshalb auch für die Republik Österreich Parlamentarier, und wir sollten darauf achten, daß das auch so bleibt.


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Die Parlamentarische Versammlung hält neben Ausschüssen und verschiedenen anderen Terminen viermal jährlich Plenarsitzungen ab, in denen über verschiedene gesellschaftliche Probleme debattiert wird und Empfehlungen an das Ministerkomitee beschlossen werden.

Der Kongreß der Gemeinden und Regionen Europas ist neben anderen Einrichtungen, wie dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, auch sehr bedeutend. Er soll die demokratischen Strukturen vor Ort stärken helfen. Über 165 Konventionen des Europarates, allen voran die Europäische Menschenrechtskonvention, haben unseren Kontinent in den vergangenen 50 Jahren entscheidend geprägt und seine demokratische Entwicklung mitbestimmt. Das ist das bleibende Verdienst des Europarates, welches es ungeschmälert anzuerkennen gilt.

Dennoch, meine Damen und Herren, entbindet uns diese Anerkennung nicht der Aufgabe, die europäischen Strukturen vor allem in Hinblick auf die jüngsten Entwicklungen in ihrer Effizienz neu zu überprüfen. Das Spannungsfeld in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates, das von den Schweizer Freisinnigen bis zu den russischen Kommunisten, von Island über Albanien bis zur Türkei und seit kurzem auch bis nach Georgien reicht, hat durch diese Weitläufigkeit zugegebenermaßen seinen besonderen Charme, aber – das sollten wir ebenfalls erkennen – auch seine besondere Tücke.

Mit dem Ziel, all das unter einen Hut zu bringen, wird, meine Damen und Herren, eine lahme Ente herangezogen. Selbst in seinem bisherigen Monopol als Hüter der Menschenrechte drückt der Europarat mittlerweile beide Augen zu, und zwar sowohl in bezug auf Mitgliedsländer wie die Türkei als auch bei Neubeitritten wie jene der Slowakei und Kroatien. Das Aufgeben dieses Arbeitsfeldes und die Hinwendung zur halbherzigen Kompromißlösung wirken sich – dieser Auffassung bin ich – auf die Entwicklung des Europarates deswegen verheerend aus, weil er nämlich auf diesem Kontinent nicht ohne Konkurrenz ist, denn die Europäische Union ist jene Einrichtung, die die Politik Europas zentralistisch besetzt hat und auch wesentlich bestimmt. Als Gegengewicht gegen diese zentrale wäre eine weitläufige – ich habe sie schon skizziert –, den gesamten Kontinent umfassende Einrichtung natürlich wünschenswert. Umso bedauerlicher ist der Glaubwürdigkeitsverlust des Europarates in diesen zentralen Fragen.

Meine Damen und Herren! Der Europarat diskutiert, aber die EU handelt. Die OSZE verhandelt, aber die NATO setzt Maßnahmen.

Meine Damen und Herren! Wir werden auf europäischer Ebene an einer institutionellen Flurbereinigung nicht vorbeikommen. Im Sinne von Effizienzsteigerung, mehr Sparsamkeit und Beseitigung von Doppelgleisigkeiten sind europäische Einrichtungen hinkünftig mit klaren Aufgaben zu versehen oder zusammenzulegen. Der Europarat steht da in einem scharfen Konkurrenzverhältnis, in dem er in den nächsten Jahren nur dann bestehen wird, wenn es ihm gelingt, einen wichtigen Bereich der europäischen Politik glaubwürdig zu besetzen.

Dem Erreichen dieses Zieles gilt das Bestreben von uns Freiheitlichen. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

11.30

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Ich danke den Rednern für ihre Debattenbeiträge.

Weiters teile ich Ihnen mit, daß der Herr Präsident das Protokoll dieser Debattenbeiträge dem Präsidenten des Europarates übermitteln wird.

Ankündigung einer dringlichen Anfrage

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Bevor wir in die Tagesordnung eingehen, gebe ich bekannt, daß ein Verlangen im Sinne des § 61 Abs. 3 der Geschäftsordnung des Bundesrates auf dringliche Behandlung der schriftlichen Anfrage der Bundesräte Dr. Bösch und Kollegen betreffend "Neutralitäts-Lüge" des Bundeskanzlers an den Herrn Bundeskanzler vorliegt.


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Im Sinne des § 61 Abs. 4 der Geschäftsordnung verlege ich die Behandlung an den Schluß der Sitzung, aber nicht über 16 Uhr hinaus.

Wir gehen nunmehr in die Tagesordnung ein.

1. Punkt

Selbständiger Antrag der Bundesräte Gottfried Jaud, Anna Elisabeth Haselbach, Dr. Reinhard Eugen Bösch und Kollegen betreffend Änderung der Geschäftsordnung des Bundesrates (116/A-BR/99 und 5924/BR der Beilagen)

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Wir gelangen zum 1. Punkt: Selbständiger Antrag der Bundesräte Gottfried Jaud, Anna Elisabeth Haselbach, Dr. Reinhard Eugen Bösch und Kollegen betreffend Änderung der Geschäftsordnung des Bundesrates.

Die Berichterstattung hat Herr Bundesrat Dr. Böhm übernommen. Ich darf ihn um den Bericht bitten.

Berichterstatter Dr. Peter Böhm: Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren des Hohen Hauses! Ich erstatte den Bericht des Geschäftsordnungsausschusses zum Tagesordnungspunkt 1.

"Aufgrund der B-VG-Novelle BGBl. I Nr. 87/1997 werden die Berichte der Volksanwaltschaft auch dem Bundesrat vorgelegt. Damit hat die Länderkammer die Gelegenheit erhalten, sich mit den von der Volksanwaltschaft angesprochenen Fragen – insbesondere auch mit den in den Berichten enthaltenen Anregungen – auseinanderzusetzen. Dem Artikel 148d B-VG soll nun in der Geschäftsordnung des Bundesrates entsprochen werden.

In einem neu einzufügenden § 29a wird die Teilnahme der Mitglieder der Volksanwaltschaft an den Verhandlungen des Tätigkeitsberichtes im Ausschuß und in einem ebenfalls neu einzufügenden § 37a ihre Teilnahme an den Verhandlungen im Plenum des Bundesrates geregelt.

Gleichzeitig wird – ohne inhaltliche Änderung – § 29 ,Teilnahme von Mitgliedern der Bundesregierung an den Ausschußverhandlungen verständlicher gefaßt."

Der Geschäftsordnungsausschuß hat diesen Antrag in seiner Sitzung am 4. Mai 1999 in Verhandlung genommen.

Bei der Abstimmung wurde mit Stimmeneinhelligkeit beschlossen, dem Hohen Hause die Annahme des gegenständlichen Antrages zu empfehlen.

Als Ergebnis seiner Beratung stellt der Geschäftsordnungsausschuß somit den Antrag, der Bundesrat wolle beschließen:

Der diesem Ausschußbericht angeschlossenen Änderung der Geschäftsordnung des Bundesrates wird die verfassungsmäßige Zustimmung erteilt.

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Ich danke für den Bericht.

Wir gehen in die Debatte ein.

Zu Wort gemeldet hat sich Herr Präsident Jaud. Ich darf ihn um seinen Redebeitrag bitten.

11.34

Bundesrat Gottfried Jaud (ÖVP, Tirol): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Hoher Bundesrat! Die verfassungsmäßigen Voraussetzungen für die Schaffung einer Volksanwaltschaft wurden 1981 beschlossen. Das Bundesverfassungsgesetz über die Volksanwaltschaft greift auf den von Kelsen bereits 1929 in die Diskussion geworfenen Gedanken eines Anwalts öffentlichen Rechts zurück. 1982 wurde dann die Volksanwaltschaft eingerichtet.


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Aufgrund der Verfassungsnovelle von 1997 hatten die Volksanwälte schon bisher die Möglichkeit, das Wort im Bundesrat zu ergreifen. Von heute an wird diese Verfassungsbestimmung in der Geschäftsordnung des Bundesrates Berücksichtigung finden.

Der Bundesrat will aber mit der Volksanwaltschaft in eine engere Zusammenarbeit eintreten. Die Volksanwaltschaft ist in die Begutachtung der Bundesgesetzgebung eingebunden. Durch die ständige Behandlung von Beschwerden aus der Bevölkerung ist die Volksanwaltschaft für Unzulänglichkeiten in der Gesetzgebung besonders sensibilisiert. Damit hat die Volksanwaltschaft selbstverständlich auch eine besondere inhaltliche Kompetenz zur Beurteilung von Bundesgesetzen.

Über die Geschäftsordnungsänderung hinaus soll den Volksanwälten in Hinkunft die Möglichkeit eröffnet werden, auch in den Ausschüssen entweder selbst oder über ihre Beamten ihre Meinung zu äußern.

In der Präsidialkonferenz haben alle Fraktionen darin übereingestimmt, daß von den Ausschüssen ein Beschluß auf Beiziehung von Volksanwälten als Auskunftspersonen ad hoc beschlossen wird, wenn von der Volksanwaltschaft die Teilnahme gewünscht wird.

Wir im Bundesrat erwarten uns durch eine engere Verbindung mit der Volksanwaltschaft eine Belebung der Kontrolle des Bundesrates über Bundesgesetze. Davon erwarten wir uns eine Stärkung der Volksanwaltschaft und natürlich auch eine Stärkung des Bundesrates.

Letztlich dient selbstverständlich alles dem gemeinsamen Bemühen um die Interessen der Bürger. Die sehr effizienten und komplizierten Gesetze in Österreich werden immer wieder kritisiert. Sie sollen daher lesbarer, überschaubarer und damit auch durchschaubarer, mit einem Wort: verständlicher werden.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir beschließen heute nur eine sogenannte kleine Geschäftsordnungsnovelle. Wir wissen aber, daß die Fragen des Stellungnahmerechtes des Bundesrates, jedoch auch die Fragen der Erledigung von Anträgen bereits jahrelang zurückliegen und längst unaktuell geworden sind, daß sie offen sind und daß Bemühungen für eine Realisierung im Gange sind.

Ein ganz besonders großer Brocken, nämlich die Bundesstaatsreform, steht uns noch bevor. Es hat jedoch den Anschein, als würde die Bundesstaatsreform nun endgültig ad acta gelegt. Nach langen Jahren der Diskussion mit hohem Zeit- und Geldaufwand steht für mich fest, daß der in der Vergangenheit beschrittene Weg zu keinem Ergebnis führt, vielleicht auch zu keinem Ergebnis führen kann. Daß aber der Föderalismus in Österreich einer dringenden Reform bedarf, steht eigentlich für alle außer Zweifel. Nur "wie nehmen wir ihn denn"? – Das weiß offenbar noch niemand.

Ich wende mich deshalb an alle drei im Bundesrat vertretenen Fraktionen mit der Einladung, eine dringend notwendige Bundesstaatsreform in Angriff zu nehmen. (Demonstrativer Beifall bei den Freiheitlichen.) Nicht alles auf einmal, sondern Punkt für Punkt mit Gesetzesanträgen die Bundesstaatsreform verwirklichen! Es gibt genügend Ideen und Vorschläge, wie eine Bundesstaatsreform letztlich aussehen soll. Diese Vorschläge sollten vom Bundesrat überprüft, mit wissenschaftlicher Unterstützung des Föderalismusinstituts untermauert und dann verwirklicht werden.

Ich weiß, das klingt kühn, meine Damen und Herren! Es ist für uns Bundesräte eigentlich völlig neu und ungewohnt, daß wir nicht nur das, was der Nationalrat beschließt, kontrollieren und nachvollziehen, sondern eigene Aktivitäten entwickeln.

Andere Staaten wie Italien versuchen, ihre Staatsordnung nach föderalen Grundsätzen umzustellen. Manche dort beneiden Österreich – wie wir anläßlich eines Besuches des Bundesratspräsidiums mit den Tiroler Bundesräten im Trentino erfahren konnten – um die Einrichtung des Bundesrates. Sie sagten zu uns: Ihr seid uns hier weit voraus! Wir haben noch den Senat, eine – wie uns berichtet wurde – eher ineffiziente Einrichtung. – Im Trentino sagten sie uns


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weiters: Wir möchten gerne den Senat so verändern, wie der österreichische Bundesrat heute ist.

Ich glaube deshalb, es wird für den Bundesrat eine ganz bedeutende Aufgabe in der Zukunft sein, die föderale Entwicklung in Österreich mit aller ihm zur Verfügung stehenden Kraft eigenständig voranzutreiben.

Meine Damen und Herren! Ich kann nur sagen: Laßt uns die Ärmel aufkrempeln und frisch an die Arbeit gehen! – Ich danke Ihnen. (Beifall bei der ÖVP, bei Bundesräten der Freiheitlichen sowie Beifall des Bundesrates Kraml. )

11.40

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Als nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Prähauser. – Bitte.

11.40

Bundesrat Stefan Prähauser (SPÖ, Salzburg): Frau Präsidentin! Geschätzte Damen und Herren des Bundesrates! Ich freue mich immer, wenn es um gemeinsame Anträge und über Parteigrenzen hinweg formulierte Novellierungen geht, die zu beschließen sind, weil das die einzige Möglichkeit ist, effizientes Vorwärtskommen zu signalisieren, aber auch zu bewältigen.

Ich freue mich auch über kleine Schritte. Ich halte es da nicht mit Ludwig Bieringer, der gesagt hat: Kleine Schritte sind ihm zuwenig, er möchte lieber einen Satz machen! – Ich verstehe das, aber wenn man nicht die Voraussetzungen für die kleinen Schritte hat, wird man auch mit dem Wegspringen große Probleme bekommen.

Daher glaube ich, daß das heute wieder ein kleines Mosaiksteinchen in der Bewältigung unserer Strecke zur Akzeptanz des Bundesrates ist. Das Rederecht – ich würde sogar sagen: auch die Berichtspflicht der Volksanwälte – hier im Plenum uns gegenüber ist geradezu notwendig und eine gute Möglichkeit, die Arbeit zu intensivieren.

Ich glaube aber auch, daß wir es gemeinsam angehen sollten, mehrere kleine Schritte zu formulieren und in der nächsten Zeit Zeichen zu setzen, daß es uns wirklich damit ernst ist, den Bundesrat in seiner Bedeutung vorwärtszubringen. Wenn ich sage, daß das Rederecht für Volksanwälte in diesem Plenum geradezu notwendig ist, dann meine ich aber auch: Das Rederecht für Bundesräte in den Landtagen ist längst überfällig – dort, wo es bis heute nicht stattgefunden hat! (Beifall bei der SPÖ sowie bei den Freiheitlichen. – Bundesrat Dr. Tremmel: Richtig!)

Ich bin nicht so vermessen, zu sagen, daß die Bundesräte ausschließlich legitimiert sein sollten, in den Landtagen das große Wort zu führen. Ich meine aber, es ist eine Grundvoraussetzung der Auffassung dieses Amtes, daß man jenem Landtag, der einen wählt und entsendet, auch zu berichten hat, was man mit Gesetzen, die das Land betreffen, tut, wie man mit ihnen umgeht und wie man sich letztlich darüber entscheidet.

Ich stelle mir das ganz einfach so vor – ich weiß natürlich nur zu gut, daß dafür Verfassungsänderungen notwendig sind, aber gemeinsam sollte man das in die richtigen Bahnen bekommen –: Der Bund schickt Gesetze zur Begutachtung an die Länder, und das Land installiert einen gemeinsamen Ausschuß aus Bundesrat und Landtag. Es müssen nicht 20 Personen sein, weil Bundesräte dann entsprechend zu berücksichtigen sind. Dort wird man gemeinsam die Ge-setzesinitiativen diskutieren, zu Gewissensentscheidungen kommen und entsprechend in den Ausschüssen und im Plenum in der Diskussion herausfinden, wie man sich letztlich entscheidet, so oder so.

Darüber hinaus sollte man, wenn die Diskussion stattgefunden hat und die Gesetzwerdung in Kraft getreten ist, die Berichtspflicht für Bundesräte im Plenum dazu nützen, daß der Landtag erfährt, was mit den Gesetzen geschehen ist, wie sich die Bundesräte, die aus den diversen Ländern kommen, verhalten haben und warum sie dafür oder dagegen waren. Man kann sowohl das eine als auch das andere sehr gut erläutern, aber dadurch auch die Arbeit des Bundesrates


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vielen Menschen vor Augen führen und die Geringschätzigkeit, die manchmal in Bemerkungen zu hören ist, hintanstellen.

Das wäre meiner Ansicht nach nur dann möglich, wenn wir hier gemeinsam in einer Arbeitsgruppe entsprechend kleine Schritte vorbereiten. Wenn wir alle hier einer Meinung sind, werden wir das auch zuwege bringen. Das ist für mich ein erster wirklicher Schritt auf dem Weg, die Akzeptanz des Bundesrates in seiner Bedeutung zu erhöhen.

Diese Novelle werden wir selbstverständlich unterstützen. (Beifall bei der SPÖ, bei Bundesräten der Freiheitlichen sowie Beifall des Bundesrates Rodek. )

11.44

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Als nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Dr. Tremmel. – Bitte.

11.44

Bundesrat Dr. Paul Tremmel (Freiheitliche, Steiermark): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Geschätzte Vorredner! Ich habe mir auf einem Zettel aufgeschrieben: Eigentlich tut es mir leid, daß wir intern, nur im Bereich des Bundesrates – ich gebe dir recht, Stefan, es ist nur ein kleiner Schritt –, einen Antrag abhandeln, der noch dazu eine Initiative des Bundesrates ist, die aber ausgesprochen demokratiefördernd ist und die den Bürger näher zum Recht bringt.

Ich hätte mir erwartet, daß diese Initiative, die wir hier nach langen Schritten gesetzt haben, auch im Nationalrat auf fruchtbaren Boden gefallen wäre! Vielleicht trägt dieses gute Beispiel des Bundesrates dazu bei, daß sich die andere wichtige Kammer unseres Landes ebenso dazu bereit findet, hier der Kontrolle – letztlich ist die Volksanwaltschaft das auch, wenn sich der Bürger, der von unzähligen Rechtsvorschriften gequält ist, in letzter Instanz an die Volksanwaltschaft wendet – und der Volksanwaltschaft Raum zu geben, wie man es etwa gegenüber dem Rechnungshof macht. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Meine Damen und Herren! Darüber hinaus möchte ich – wenn ich die Worte der Vorredner Revue passieren lasse – sagen: Wir sollten durchaus nicht so bescheiden tun bezüglich der zweiten Kammer, der wichtigen föderalistischen Kammer, bezüglich des Bundesrates! Alle maßgeblichen Demokratien Europas und natürlich auch der Neuen Welt haben das Zweikammernsystem.

Meine Damen und Herren! Wenn wir uns den Amsterdamer Vertrag, der am 1. Mai gültig geworden ist, anschauen, dann wissen wir, daß dort bereits Samenkörner des Föderalismus vorhanden sind. Wir sind nicht nur ein Samenkorn, sondern wir sind bereits eine Saat, die, wenn wir hier gemeinsame Linien finden, auch in Europa aufgehen könnte. Das ist unsere wichtige Aufgabe!

Deswegen begrüße ich es, daß hier dieser Schritt gesetzt wird und daß die Volksanwaltschaft die Möglichkeit bekommt, bei eigenen Anträgen – es ist ohnehin noch immer nur sehr eingeschränkt möglich – in den Ausschüssen Stellung zu nehmen. Das ist eigentlich der Kern.

Stefan Prähauser hat gesagt – ich glaube, er hat das sehr ernst gesagt –, das Rederecht der Bundesräte im Landtag müsse endlich durchgesetzt werden. Meine Damen und Herren! Das wäre die Möglichkeit einer gemeinsamen Initiative des Bundesrates, über den Präsidenten in Richtung Länder: daß sich die Landesparlamente, die das Rederecht noch nicht eingeführt haben, endlich dazu bereit finden, es in den Landtagen zuzulassen. Das könnte eine gemeinsame Initiative sein! (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Denn es ist doch unglaubwürdig, meine Damen und Herren, wenn wir – quasi als Kardanwelle – von den Landesparlamenten hierher in den Bundesrat gestellt werden, dort aber stumm wie die Fische sitzen – wenngleich die Fische schwimmen. Aber wir können dort höchstens den Mund aufmachen, dürfen uns jedoch nicht artikulieren. – In der Steiermark ist das allerdings nicht so, wir haben dieses Rederecht bereits durchgesetzt. (Bundesrat Jaud: In Tirol gibt es das!) Na


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klar, von den Tirolern habe ich mir das erwartet! (Bundesrat Prähauser: Und wir sind daran!) Und ihr seid daran, ja!

Meine Damen und Herren! Ein solcher Debattenpunkt darf aber nicht vorübergehen, ohne daß hier – nicht, weil wir so brav waren und das immer wieder gesagt haben – auf den historischen Werdegang hingewiesen wird und ohne daß man die Geschichte ein bißchen Revue passieren läßt. Das ist notwendig.

Erinnern Sie sich, meine Damen und Herren: Zum Bericht der Volksanwaltschaft hatten wir schon am 20. November 1997 einen fertigen Entschließungsantrag, den nicht einmal wir gemacht hatten, sondern den die Volksanwaltschaft in ihren Bericht aufgenommen hatte: Die Bundesregierung wird ersucht – ein sehr höflicher Tenor! –, folgende Punkte umzusetzen: Erweiterung der Kontrollzuständigkeit der Volksanwaltschaft auf ausgegliederte Rechtsträger analog der Zuständigkeit des Rechnungshofes.

Das ist doch ganz klar: Es gibt heute riesige ausgegliederte Bereiche, etwa die ÖBB, die Post und so weiter, in denen der einzelne, wenn der Instanzenzug erschöpft ist – egal, ob das ein Disziplinarverfahren oder etwas anderes betrifft –, sein Recht nur mehr bei der Volksanwaltschaft suchen kann.

Oder – dies hätte man eigentlich beschließen können –: die Aufnahme einer entsprechenden Frist von vier Wochen für die Behörden zur Erteilung der erforderlichen Auskünfte an die Volksanwaltschaft. Dies wäre gut, damit nicht mehr Briefe in der Art geschrieben werden, wie sie etwa vom Finanzministerium verfaßt wurden, nach dem Motto: "Da kann man sich ohnehin auf dem Zivilrechtsweg schadlos halten!", wo wir doch wissen, daß derartige Zivilverfahren oft drei, vier oder fünf Jahre dauern!

Eine solche Frist hätte man ruhig hineinnehmen können. Ich finde, das verletzt keine Parteiinteressen. Es verletzt auch nicht die Interessen der Koalition, wenn man auf eine rasche Auskunfterteilung an die Volksanwaltschaft besteht.

Oder: Teilnahme der Volksanwälte an den Verhandlungen der Ausschüsse und Unterausschüsse des Nationalrates und des Bundesrates. – Ich möchte sagen, ich bin wirklich beinahe freudig darüber erregt, daß diese "unendliche Geschichte" der Bundesrats- und Bundesstaatsreform und der Reform der Geschäftsordnung damit ein kleines Teilziel erreicht hat.

Ich bin auch durchaus einer Meinung mit dir, Stefan Prähauser, und mit Ihnen, Herr Präsident Jaud, daß wir verschiedene Schritte setzen sollten. Meine Damen und Herren! Einer dieser Schritte sollte unter anderem auch sein, daß wir diesen Unterausschuß oder diese Kommission, die wir im Bereich des Bundesrates hatten und bei der es um die Bundesstaats-, um die Bundesratsreform und um die Reform der Geschäftsordnung ging, wieder reaktivieren.

Ich weiß, daß es hier sehr divergierende Vorstellungen zur Geschäftsordnung gibt. Aber wenn schon die entsprechende Erledigung der Anträge, das Beeinspruchungsrecht des Bundesrates und so weiter in den Mund genommen werden und darüber Einvernehmen erzielt ist, dann setzen wir es doch um! Dann versuchen wir es doch!

Ich weiß schon, daß die Wünsche nach etwaigen Geschäftsordnungsänderungen möglicherweise in verschiedene Richtungen gehen. Auf der einen Seite versuchen wir, die Bestimmungen ein bißchen einzuschränken. Auf der anderen Seite wiederum stellen wir uns – ich habe dies am Anfang meiner Ausführungen schon gesagt – einen schnelleren Zugang des Bürgers zum Recht vor. Unter diesem Prätext, unter diesem Titel muß die Geschäftsordnungsreform des Bundesrates stehen.

Es ist aber ein schlechter Zwischenton, wenn etwa Herr Klubobmann Kostelka sagt: "Bundesstaatsreform und Bundesratsreform – zurück an den Start!" – Ich meine, wir sollten weiterarbeiten. Wir sollten durch sanfte Maßnahmen – so, wie es im internationalen Bereich üblich ist – das andere maßgebliche Gremium, den Nationalrat, dazu verhalten, diese Schritte nachzuvollziehen.


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Die Komplexität unserer Verwaltung und unserer Rechtsmaterien ist bereits enorm. Allein in einem Jahr gibt es 6 000 oder 7 000 Seiten an Bundesgesetzblatt-Texten. Da kann sich der einfache Bürger kaum mehr zurechtfinden, daher müssen wir ihm das Ventil der Volksanwaltschaft schaffen oder dieses Ventil vergrößern, sozusagen die Einflugschneisen verbreitern, damit diese Tausenden Vorgänge, die bereits jetzt bei der Volksanwaltschaft liegen – es sind 60 000 neue pro Jahr –, entsprechend effizient erledigt werden können.

Unter diesem Gesichtspunkt werden wir Freiheitlichen dieser Initiative des Bundesrates gerne unsere Zustimmung geben. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

11.55

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Weitere Wortmeldungen dazu liegen nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Es ist dies nicht der Fall.

Die Debatte ist daher geschlossen.

Wird von der Berichterstattung ein Schlußwort gewünscht? – Auch das ist nicht der Fall.

Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag des Geschäftsordnungsausschusses betreffend Änderung der Geschäftsordnung des Bundesrates.

Im Sinne des Artikels 37 Abs. 2 des Bundes-Verfassungsgesetzes beziehungsweise § 58 Abs. 5 der Geschäftsordnung sind für einen Beschluß, mit dem die Geschäftsordnung geändert werden soll, die Anwesenheit von mindestens der Hälfte der Mitglieder des Bundesrates und eine Mehrheit von mindestens zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen erforderlich.

Ich stelle zunächst die erforderliche Anwesenheit von mindestens der Hälfte der Mitglieder des Bundesrates fest und bitte jene Mitglieder des Bundesrates, die dem Antrag des Geschäftsordnungsausschusses zustimmen, der dem Ausschußbericht in 5924 der Beilagen angeschlossenen Änderung der Geschäftsordnung des Bundesrates die verfassungsmäßige Zustimmung zu erteilen, um ein Handzeichen. – Es ist dies Stimmeneinhelligkeit.

Der Antrag auf Änderung der Geschäftsordnung des Bundesrates ist somit mit der erforderlichen Mehrheit von mindestens zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen bei Anwesenheit der Hälfte der Mitglieder des Bundesrates angenommen.

2. Punkt

Beschluß des Nationalrates vom 21. April 1999 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Bundesvergabegesetz 1977 geändert wird (1650 und 1716/NR sowie 5923 und 5925/BR der Beilagen)

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Wir gelangen nun zum 2. Punkt der Tagesordnung: Bundesgesetz, mit dem das Bundesvergabegesetz 1977 geändert wird.

Die Berichterstattung hat Herr Bundesrat Wilfing übernommen. Ich darf ihn um den Bericht bitten.

Berichterstatter Mag. Karl Wilfing: Frau Präsidentin! Geschätztes Plenum des Bundesrates! Der Bericht liegt Ihnen in schriftlicher Form vor. Ich komme daher zur Antragsverlesung.

Der Ausschuß für Verfassung und Föderalismus stellt nach Beratung der Vorlage am 4. Mai 1999 mit Stimmeneinhelligkeit den Antrag, keinen Einspruch zu erheben.

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Ich danke für den Bericht und die Antragstellung.

Wir gehen in die Debatte ein.

Zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesrat Mag. Repar. – Bitte.


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11.57

Bundesrat Mag. Harald Repar (SPÖ, Kärnten): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Herr Staatssekretär Wittmann! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn wir heute die Änderung des Bundesvergabegesetzes 1977 diskutieren, dann beschäftigen wir uns mit einer durchaus sehr komplexen Materie. Formell handelt es sich um die Anpassung des Bundesvergaberechtes an EU-Richtlinien, basierend auf Änderungen im EU-Wettbewerbsrecht. Grundsätzlich geht es bei den Spielregeln des öffentlichen Vergaberechtes immer darum, welche Kriterien mit welcher Gewichtung berücksichtigt werden.

Wir Sozialdemokraten haben uns immer dafür ausgesprochen, Vergaberichtlinien auch zur Durchsetzung wünschenswerter sozialer und ökologischer Bedingungen einzusetzen. Aber selbstverständlich steht gerade in Zeiten enger budgetärer Spielräume das Kostenprinzip im Zentrum der Überlegungen. Selbstverständlich muß die öffentliche Hand darauf achten, ihre Aufträge zu möglichst günstigen Preisen zu vergeben, um so Steuergeld effizient und sparsam einzusetzen. Gleichzeitig bin ich jedoch der Meinung, daß die öffentliche Auftragsvergabe auch dazu dienen soll, soziale und ökologische Komponenten in die Konkurrenz des freien Marktes einfließen zu lassen. Die Auftragsvergabe ist nun einmal das wohl stärkste Druckmittel der Politik, um einen schrankenlosen Wettbewerb einigermaßen zu begrenzen und zu zügeln.

Wettbewerb und Konkurrenz sind grundsätzlich positive Komponenten einer Marktwirtschaft, um hohe Qualität und günstige Preise sicherzustellen. Gleichzeitig braucht jedoch jeder Wettbewerb auch gewisse Spielregeln, um zu verhindern, daß bei diesem ungebremsten Wettbewerb Menschen, aber auch Unternehmen auf der Strecke bleiben und gewisse Standards sozialer und ökologischer Natur völlig untergehen.

In diesem Zusammenhang möchte ich darauf hinweisen, daß wir beispielsweise die berechtigten Ansprüche behinderter Menschen in das neue Gesetzeswerk eingebaut haben. Nunmehr müssen die Interessen und Bedürfnisse der Behinderten bei Bauten, Umbauten, Erneuerungen und Renovierungen im Bereich des Bundes gehört und berücksichtigt werden. Damit ist ein wichtiger Schritt gesetzt worden, um öffentliche Einrichtungen so zu gestalten, daß sie auch mit Fug und Recht als behindertenfreundlich apostrophiert werden können.

Natürlich wird man immer darüber diskutieren können, welche Kriterien in Vergaberichtlinien Aufnahme finden sollen und können. Ich bin der Meinung, daß durchaus gewisse soziale und ökologische Bedingungen zu formulieren sind, ohne aber die Vergaberichtlinien derart mit Kriterien zu überfrachten, daß sie nicht mehr praktikabel sind.

Ich glaube, Österreich sollte im Rahmen der EU durchaus eine Vorreiterrolle spielen, wenn es darum geht, dem freien Markt soziale und ökologische Fesseln anzulegen. Denn das billigste Angebot muß vor allem unter mittel- und langfristigen Perspektiven nicht immer das beste sein.

Ich begrüße die vorliegende Novelle des Bundesvergabegesetzes, wünsche mir aber gleichzeitig, daß Österreich seine Vorreiterrolle bezüglich sozialer und ökologischer Kriterien bei der öffentlichen Auftragsvergabe auf europäischer Ebene noch stärker wahrnimmt.

Unsere Frauenministerin Prammer – mit ihren Richtlinien zur Frauenförderung bei der Vergabe – bemüht sich derzeit in diese Richtung. Österreich spielt damit in Europa eine begrüßenswerte Vorreiterrolle bei der notwendigen Aufgabe, der freien Konkurrenz soziale Grenzen zu setzen.

Meine Fraktion wird aus diesen Gründen dem Gesetz ihre Zustimmung erteilen. (Beifall bei der SPÖ.)

12.01

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Nächster Redner ist Herr Bundesrat Ledolter. – Bitte.

12.01

Bundesrat Johann Ledolter (ÖVP, Niederösterreich): Geschätzte Frau Präsidentin! Herr Staatssekretär Wittmann! Hoher Bundesrat! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zur


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Behandlung steht heute mit diesem Beschluß des Nationalrates vom April 1999 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Vergabegesetz geändert wird, eine Materie, die die Übernahme einer EU-Richtlinie darstellt, wie mein Vorredner bereits ausgeführt hat.

Es geht dabei um das Government Procurement Agreement, das seitens der Gemeinschaft genehmigt wurde und mit Jänner 1996 in Kraft getreten ist. In den Prozeß der Gesetzwerdung dieser Novellierung sind bundesweit alle Interessenvertretungen, die Wirtschaftskammer, aber auch Städtebund und Gemeindevertretungen eingebunden gewesen, und zwar einfach deshalb, weil damit einvernehmliche und generelle Kriterien für das Vergabewesen geschaffen wurden.

Letztendlich sind aber hierbei auch Probleme hinsichtlich der Organisation der vergaberechtlichen Kontrollinstanzen aufgetreten, wobei durch den gegenständlichen Entwurf die zwingend vorgesehene Schlichtung auf die Zeit vor Anbotseröffnung beziehungsweise vor Legung öffentlicher Anbote bei Vergabeverfahren eingeschränkt wird. Nach dem Anbotseröffnungsverfahren steht den Streitparteien der Weg zur Bundesvergabestelle natürlich sofort offen. Eine freiwillige Schlichtung nach Anbotseröffnung ist für die Verfahrensbeteiligten aber auch weiterhin möglich.

Ich sage das deshalb, weil ich glaube, daß sich vielleicht manche so wie ich mit Wehmut an schlichte Regelungen erinnern, wie sie etwa die ÖNORM 2050 dargestellt hat – eine Regelung, die dem örtlichen, dem regionalen Anbieter noch Wettbewerbsvorteile eingeräumt hat. Ich bin nämlich nicht ganz der Meinung meines Vorredners, daß wir uns ausschließlich an den erwähnten Zuschlagskriterien zu orientieren hätten. Es soll schon dem ökonomischen Prinzip der Vorrang eingeräumt bleiben. Ich bin auch der Überzeugung, daß der Bestbieter, der aber nicht immer der Billigstbieter sein muß, den Zuschlag erhalten sollte.

Ich finde es daher sehr positiv, daß bestimmte Zuschlagskriterien in diese Regelung keinen Eingang gefunden haben, wie etwa Wertungen über das ökologische Wohlverhalten der Betriebe, der anbietenden Firmen, oder auch Wertungen über die Erfüllung von Frauenquoten oder ähnliche Dinge, die meiner Meinung nach in einer Wettbewerbsregelung, einer Auftragsvergaberegel, nicht unbedingt vertreten sein sollen. Ich meine, daß wir diesem Grundsatz auch weiterhin anhängen sollten.

Außerdem sieht dieser Antrag eine umfassende Informationsmöglichkeit der Bieter über Merkmale und Vorteile des erfolgreichen Anbotes vor, was auch sehr wichtig ist. Auch dabei wird den Geschäftsinteressen absolut Vorrang gegeben und auf sie Rücksicht genommen. Dieser Informationsfluß hat außerdem ohne Störung der Interessen der anbietenden Firmen zu erfolgen.

Im Nationalrat ist auch das behindertengerechte Bauen diskutiert worden. § 34 Abs. 2 stellt klar, daß bestimmte Teile von Gebäuden oder auch ganze Gebäude nur dann von diesen Vorschriften über die Darlegung von Gebäuden in einer Form, in der auch mobilitätsbehinderten Menschen die Benutzung ermöglicht wird, auszunehmen sind, wenn eine bundesweit die Interessen mobilitätsbehinderter Menschen vertretende Organisation feststellt, daß diese Gebäude nicht gebraucht werden. Das heißt, es wird in Zukunft möglich sein, daß behinderte Menschen Stellungnahmen dazu abgeben, ob öffentliche Gebäude in behindertengerechter Weise zu errichten sind. (Vizepräsident Weiss übernimmt den Vorsitz.)

Insgesamt meine ich, daß dies eine Regelung darstellt, die von der Wirtschaft zu akzeptieren ist und die der Wirtschaft das Bauen auch in Zukunft letztendlich ohne allzu große bürokratische Hemmnisse ermöglichen wird. Daher bin ich davon überzeugt, daß die ÖVP-Fraktion dieser Novelle die Zustimmung erteilen wird. (Beifall bei der ÖVP.)

12.07

Vizepräsident Jürgen Weiss: Nächster Redner ist Herr Bundesrat Dr. Paul Tremmel. – Bitte.

12.07

Bundesrat Dr. Paul Tremmel (Freiheitliche, Steiermark): Herr Präsident! Herr Staatssekretär! Meine Damen und Herren! Der materielle Kernbereich wurde bereits genannt. Es geht um eine Anpassung an eine EU-Bestimmung, eine Vermeidung von Diskriminierungen von Gemeinschaftsunternehmen, eine Stärkung und eine Erweiterung der Zuständigkeit der Bundesver


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gabekontrollkommission und letztlich um eine zwingende Befassung der Bundesvergabekontrollkommission. Dies wird auch zu einer Verringerung der Anzahl der Verfahren führen.

Meine Herren Vorredner haben hier einige Bereiche angeführt, die durchaus zu unterstreichen sind. Wenn etwa Herr Kollege Repar sagt, soziale und ökologische Spielregeln sollten ebenfalls Eingang in die Vergabekriterien finden, dann gebe ich ihm recht. Ich muß allerdings dazu anmerken, daß das zu Beginn der EU-Verhandlungen etwas anders geklungen hat. Ich kann mich gut daran erinnern, wie die damalige Frau Staatssekretärin Brigitte Ederer gesagt hat: "Wir können unsere ökologischen Standards erhalten, wenn das am Anfang auch für die anderen gegolten hätte und wenn diese und jene Standards" – das war ihr Nachsatz – "auch angenommen werden."

Ich gebe Herrn Kollegen Ledolter dahin gehend recht, daß auch noch andere Bereiche besonders zu befassen wären. Er hat das allerdings nicht ganz ausgeführt. Er hat nur gesagt, daß die Wirtschaft dazu Stellung genommen hat, daß der Gemeindebund dazu Stellung genommen hat und daß auch der Städtebund dazu Stellung genommen hat.

Wichtig ist vor allem, wenn wir diese sozialen und ökologischen Komponenten erfüllen wollen, daß die Betriebe leben können! Ein gravierender Nachteil für die Betriebe ist aber nach wie vor bei uns in Österreich wie auch in der EU generell gegeben, nämlich die verzögerte Zahlung für Leistungen, die Wirtschaftsbetriebe bereits erbracht haben.

Ich habe im Ausschuß den zuständigen Beamten dazu befragt, und er hat gesagt, es wäre eine Richtlinie in Ausarbeitung, die EU-weit eine schnellere Zahlung an Unternehmen, die den Zuschlag erhalten haben, vorsieht. Allerdings sei man sich über die Regeln noch nicht ganz einig, etwa darüber, ob der Betrag bei Rechnungslegung zu bezahlen sei. Die Franzosen haben eigene Fristen, hier gelten andere Fristen. Man möchte vorgehen, ohne das EU-Recht zu verletzen oder diese Richtlinie, die zu dieser Anpassung geführt hat, zu diskriminieren.

Wäre es möglich, Herr Staatssekretär, daß wir das in diese Vorlage hineinnehmen würden? Ich gebe Ihnen als Anregung mit, daß die Zahlungen nach erbrachter Leistung bei Rechnungslegung prompt zu erfolgen haben und daß nicht wie bisher drei, vier oder fünf Monate lang zugewartet wird, nur weil der entsprechende Budgetteil schon ausgeschöpft ist und man erst im nachhinein bezahlen will.

Meine Damen und Herren! Daran leiden unsere Betriebe, unsere Wirtschaft wirklich! Das hätten wir einbauen sollen.

Ich bitte Sie, dafür zu sorgen, daß diese Richtlinie im Bereich der EU, die hier in Ausarbeitung ist und einen schnelleren Zahlungsvorgang vorsieht, endlich zur Richtlinie für die einzelnen Mitglieder wird und daß auch bei uns entsprechende Vorkehrungen getroffen werden.

Unter diesem Prätext wird die freiheitliche Fraktion hier gerne ihre Zustimmung geben. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

12.10

Vizepräsident Jürgen Weiss: Als nächstem Redner erteile ich Herrn Bundesrat Wolfgang Hager das Wort.

12.11

Bundesrat Wolfgang Hager (SPÖ, Steiermark): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Staatssekretär! Meine Damen und Herren! Zum vorliegenden Bundesvergabegesetz, das eine Anpassung des Bundesvergaberechts an EU-Richtlinien, die durch verschiedene Änderungen der Bestimmungen des Wettbewerbsrechts der EU notwendig wurden, beinhaltet, ist nahezu alles gesagt.

Gestatten Sie mir nur den Versuch, die nicht unkomplizierten Gründe für diese Gesetzesnovelle in Kürze darzustellen. Das österreichische Vergabesystem war ursprünglich durch die ÖNORM 2050 geregelt. Nach dem Beitritt zur Europäischen Union wurde die Anpassung an die Gemein


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schaftsrichtlinien notwendig. 1997 wurden vom österreichischen Parlament mit dem Bundesvergabegesetz die Vorgaben der EU umgesetzt.

Durch den Beschluß des EG-Rates von Dezember 1994 wurde das im Rahmen der WTO abgeschlossene Abkommen über das öffentliche Auftragswesen – mit dem Kürzel GPA – seitens der EG genehmigt. Mit 1. Jänner 1996 ist es in Kraft getreten. Das GPA ist nun ein Teil der gemeinschaftlichen Rechtsordnung. Daher haben Auftraggeber, die dem GPA und den Gemeinschaftsrichtlinien unterliegen, zwei Rechtssysteme anzuwenden, die in einigen Bereichen differieren. Wo die Vorschriften des GPA günstiger als die Gemeinschaftsvorschriften sind, wird die Funktionsweise des Gemeinschaftsrechtes beeinflußt. Und neben Unterschieden im Geltungsbereich bestehen im GPA Bestimmungen, die dem GPA unterliegende Gemeinschaftsauftraggeber gegenüber Auftraggebern aus anderen Vertragsparteien benachteiligen würden. Obwohl das GPA im wesentlichen nach dem Vorbild der EG-Richtlinien gestaltet wurde, bestehen diese Differenzen, die nachteilige Effekte im Binnenmarkt bewirken würden. Und eben diese Differenzen werden nunmehr mit der vorliegenden Gesetzesnovelle beseitigt.

Abschließend sei nochmals besonders und anerkennend hervorgehoben, daß der Nationalrat mittels Abänderungsantrags aller fünf Parteien beschlossen hat, ganz besonders auf die Anliegen von Behinderten einzugehen. In Zukunft wird es möglich sein, daß behinderte Menschen Stellungnahmen dazu abgeben, wenn es im Bereich des Bundes Umbauten, Erneuerungen und Renovierungen gibt, und es wird dann auf die Bedürfnisse behinderter Menschen einzugehen sein. Ich glaube, mit diesen nunmehr im Bundesvergabegesetz festgelegten Maßnahmen, aber auch mit der Einbeziehung von Umwelt- und Ausbildungsaspekten nimmt Österreich eine Vorreiterrolle in der EU ein.

Kollege Repar hat bereits gesagt, daß meine Fraktion dieser Vorlage gerne die Zustimmung erteilen wird. (Beifall bei der SPÖ.)

12.13

Vizepräsident Jürgen Weiss: Es hat sich Herr Staatssekretär Dr. Wittmann zu Wort gemeldet. Ich erteile es ihm.

12.13

Staatssekretär im Bundeskanzleramt Dr. Peter Wittmann: Sehr geehrter Herr Präsident! Hohes Haus! Sehr geehrte Damen und Herren! Im wesentlichen sind alle Punkte, die hier angeführt wurden, zutreffend. Ich möchte nur zwei kurze Bemerkungen dazu machen: Einerseits haben wir EU-Richtlinien umzusetzen gehabt. Diese EU-Richtlinien wurden deswegen verändert, um dem erwähnten Government Procurement Agreement beitreten zu können, das im Rahmen der WTO ausgehandelt wurde. Der wesentlichste Grund für die Umsetzung war, zu den Beschaffungsmärkten der USA und Japans einen erleichterten Zugang zu bekommen. Dieser erleichterte Zugang bedeutet den Zugang zu einem Beschaffungsvolumen von etwa 350 Milliarden Euro. Ich meine, in diesem Falle sollte man diese Regelungen natürlich übernehmen. Wir haben das gemacht. Wir sind damit Teil dieses Konzepts. Ich glaube, diese Änderung des Bundesvergabegesetzes bedeutet eine wesentliche Erleichterung für die Wirtschaft.

Weiters ist anzumerken, daß das Rechtschutzverfahren an sich sehr vereinfacht wurde, worauf in den Ausführungen einiger Redner schon hingewiesen wurde. Ich glaube, daß es also im wesentlichen eine sehr positive Initiative für die Wirtschaft Österreichs sein kann. Es ist den Ausführungen im positiven Sinne nichts mehr hinzuzufügen. (Allgemeiner Beifall.)

12.15

Vizepräsident Jürgen Weiss: Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Es ist dies nicht der Fall.

Wird von der Berichterstattung ein Schlußwort gewünscht? – Das ist ebenfalls nicht der Fall.

Wir kommen zur Abstimmung.


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Ich bitte jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den vorliegenden Beschluß des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Es ist dies Stimmeneinhelligkeit.

Der Antrag ist somit angenommen.

3. Punkt

Beschluß des Nationalrates vom 21. April 1999 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Forschungsförderungsgesetz 1982 geändert wird (1671 und 1711/NR sowie 5926/BR der Beilagen)

Vizepräsident Jürgen Weiss: Wir gelangen nun zum 3. Punkt der Tagesordnung: Bundesgesetz, mit dem das Forschungsförderungsgesetz 1982 geändert wird.

Die Berichterstattung hat Frau Bundesrätin Ulrike Haunschmid übernommen. Ich bitte um den Bericht.

Berichterstatterin Ulrike Haunschmid: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Um sein Förderungsvolumen im Zuge der Technologieoffensive der Bundesregierung ausdehnen zu können, muß der Forschungsförderungsfonds verstärkt das Instrument des Zinsenzuschusses verbunden mit einer Haftungsübernahme für den bezuschußten Kredit einsetzen. Als Deckungsstock für die Haftungen dienten bisher die aushaftenden Eigendarlehen. Diese Eigendarlehen werden einerseits laufend reduziert, andererseits müssen die Rückflüsse auch für neue Förderungszusagen eingesetzt werden. Dies reduziert den Deckungsstock. Durch diese Gegeben-heiten wäre eine offensive Förderungstätigkeit des Fonds eingeschränkt.

Der gegenständliche Beschluß des Nationalrates hat folgende Ziele:

Schaffung einer dem Determinierungsgebot entsprechenden Regelung für die Haftungsübernahmen des Fonds,

Absicherung von Bonität und Liquidität des Fonds durch eine Bundeshaftung für künftige Förderungsfälle bis zur Höhe von 2 Milliarden Schilling sowie

zusätzlich die Möglichkeit, weiter Haftungen ohne Schadloshaltung des Bundes bis in Höhe von 1,5 Milliarden Schilling einzugehen.

§ 11a Abs. 1, 2 und 5, § 11b und § 11c des gegenständlichen Beschlusses unterliegen gemäß Artikel 42 Abs. 5 B-VG nicht dem Einspruchsrecht des Bundesrates.

Der Ausschuß für wirtschaftliche Angelegenheiten stellt nach Beratung der Vorlage am 4. Mai 1999 mit Stimmeneinhelligkeit den Antrag, gegen den vorliegenden Beschluß des Nationalrates – soweit dieser dem Einspruchsrecht des Bundesrates unterliegt – keinen Einspruch zu erheben.

Vizepräsident Jürgen Weiss: Danke.

Wir gehen in die Debatte ein.

Zum Wort gemeldet hat sich Herr Bundesrat Dipl.-Ing. Hannes Missethon. Ich erteile es ihm.

12.18

Bundesrat Dipl.-Ing. Hannes Missethon (ÖVP, Steiermark): Herr Präsident! Herr Bundesminister! Geschätzte Damen und Herren! Der heutigen Änderung des Forschungsförderungsgesetzes 1982 ging ein Prozeß im Hinblick auf die Technologiepolitik in diesem Lande voran, der mehrere Monate, ja mehrere Jahre gedauert hat. Im Zuge dieser Diskussion ist immer wieder darauf hingewiesen worden, daß bei uns in Österreich die F & E-Quote weit geringer ist als in vergleichbaren anderen industrialisierten Ländern. Ich meine, daß wir, wenn wir die Diskussion


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über Technologiepolitik auf die F & E-Quote verkürzen, nicht wirklich den Kern der Technologiepolitik treffen. Ich möchte das in meinen Ausführungen etwas erläutern.

Im Bericht über die Situation der kleinen und mittleren Unternehmungen der gewerblichen Wirtschaft 1998/99 steht auf Seite 47 unter "Initiativen der Bundesregierung":

"Technologieoffensive

Ziel der von der Bundesregierung gestarteten Technologieoffensive ist es, durch einen Ausbau der öffentlichen Forschungs- und Entwicklungsausgaben ... eine überproportionale Anhebung der F & E-Aktivitäten in den Unternehmen zu bewirken."

Man konzentriert sich auf fünf besondere Ziele. Das erste Ziel ist "eine wesentliche Verbesserung strategisch wichtiger Bereiche des österreichischen Innovationssystems, beispielsweise durch Förderung von industriellen Kompetenzzentren und Kompetenznetzwerken". Der zweite Punkt ist "eine Verstärkung von Vorhaben mit ausgeprägter Multiplikatorwirkung". Der dritte Punkt ist "die Setzung maßgeblicher Impulse für die außeruniversitäre wirtschaftsorientierte Forschung". Das halte ich für einen wesentlichen Aspekt. Der vierte Punkt sind "zusätzliche Anreize für Multiplikatoren im Transferbereich (durch Förderung des Technologietransfers)". Und der fünfte Punkt ist "eine Steigerung der Gründungsrate von High Tech-Unternehmen"

"Mit dem Forschungsförderungsfonds für die gewerbliche Wirtschaft ... steht darüber hinaus ein Instrument zur Forschungs- und Technologieförderung zur Verfügung, von dem wesentliche Impulse für F & E-Tätigkeiten in den Unternehmen ausgehen. Seit dem Beginn der Technologieoffensive (1996) hat der FFF sein Förderungsvolumen von öS 1,8 Mrd. auf öS 2,6 Mrd. (1998) erhöht und damit Forschungsaufwendungen in österreichischen Unternehmen in rund zehnfacher Höhe stimuliert."

Ich möchte mich auf zwei Punkte konzentrieren. Der erste Punkt sind insbesondere die kleineren und mittleren Unternehmen, die speziell in Österreich eine ganz wesentliche Bedeutung haben. Ich möchte eine Beobachtung, die ich vor allem im Rahmen meiner Beratungstätigkeit in kleineren und mittleren Unternehmen gemacht habe, hier in die Debatte mit einbringen. Ich stelle fest, daß es nicht einen Mangel an Kreativität bei unseren kleineren und mittleren Unternehmen gibt, sondern ich sehe viel eher das Problem darin, daß es beim Output, bei der Überleitung in Serienprodukte große Mängel gibt. Ein Beweis dafür ist, daß wir bei den Patentanmeldungen in Europa an, wie ich meine, dritter Stelle liegen, aber in dem weiter folgenden Prozeß der Serienfertigung – daran hängen auch die Arbeitsplätze – offensichtlich noch Entwicklungsbedarf haben.

Der zweite Punkt, der für KMUs besonders wichtig ist – ich glaube, wir haben in der Steiermark mit dem Automobil-Cluster durchaus ein Vorzeigemodell entwickelt –, sind die Kooperationen zwischen kleineren und mittleren Unternehmen. Da ist schon auch festzustellen – ich sage das auch mit aller Vorsicht –, daß speziell das Kooperationsverhalten von KMUs und der Unternehmen ein wesentliches Erfolgskriterium für die Bildung der Netzwerke ist. Das hat nichts mit finanziellen Rahmenbedingungen zu tun. Wir haben in der Steiermark, soweit ich informiert bin, mittlerweile 170 Firmen, die in diesen Automobil-Cluster mit eingebunden sind. Ganz vorne stehen natürlich namhafte Firmen wie AVL List, die auch die entsprechende Entwicklungskompetenz haben. Das heißt, neben der Frage der Finanzierung ist für F & E auch die Frage des Führungsverhaltens und der Organisationsentwicklung in Richtung Überleitung in Serienprodukte sehr wichtig.

Ein wesentlicher Punkt, der speziell auch für kleinere und mittlere Unternehmen interessant ist, ist der im Zuge der Steuerreform geplante Forschungsfreibetrag. Ich meine, daß das ein wesentlicher Anreiz auch für kleinere und mittlere Unternehmen sein wird, mehr in Forschung und Entwicklung zu investieren.

Der zweite wichtige Punkt – hier möchte ich wieder zwei Projekte mit einbringen, die unmittelbar in der Umgebung der Montanuniversität angesiedelt sind – ist die Verbindung zwischen Wissenschaft und Wirtschaft. Ich glaube, daß mit dem Modell der Kompetenzzentren eine sehr interes


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sante Variante gefunden worden ist. Es gibt mittlerweile eine Förderzusage für ein Kompetenzzentrum, woran die Montanuniversität Leoben beteiligt ist. Dieses Kompetenzzentrum hat die Aufgabe, auf einem hohen Niveau langfristig international konkurrenzfähige und zielgerichtete Forschung zu betreiben. Ganz konkret wird Werkstoffentwicklung für 18 namhafte österreichische Unternehmen in Leoben konzentriert in diesem Kompetenzzentrum betrieben. Das Forschungsvolumen für das Werkstoffkompetenzzentrum in Leoben beträgt für vier Jahre knapp 168 Millionen Schilling, somit ist es eigentlich eindeutig das größte Projekt in der Pilotphase. Die Bundesförderung liegt bei 35 Prozent, der Anteil des Landes, unter Einrechnung der geplanten Förderungen der Montanuniversität und der Stadtgemeinde Leoben, beträgt 42 Millionen Schilling.

Ich habe auch gestern weitere Erfolgsmeldungen von Kompetenzzentren aus Oberösterreich gehört. Wirtschaftslandesrat Leitl hat in einem Interview gesagt, daß die Kompetenzzentren eigentlich die Nuggets der Industriepolitik in Oberösterreich sind und daß besonders viele Arbeitsplätze geschaffen worden sind. Ich halte das Modell der Kompetenzzentren für ein außerordentlich interessantes und erfolgversprechendes.

Das zweite Projekt, das in Leoben angesiedelt ist – auch das halte ich für entsprechend notwendig und für ein interessantes Experiment –, ist, daß wir ein Gründerzentrum mit Angestellten der Montanuniversität entwickelt haben, um hier einen Übergang ich sage jetzt aus dem Mittelbau in den Universitäten in Richtung einer neuen Gründeroffensive zu finden. Ich bin sehr neugierig, wie erfolgreich der Verlauf dieses Modells sein wird.

Wir haben im Rahmen einer sehr interessanten Enquete zum Thema "Qualitätssicherung für Lehre und Forschung an den heimischen Universitäten" erfahren, daß gerade im Mittelbau die Plätze derzeit besetzt sind und auch noch in den nächsten Jahren besetzt sein werden. Ich glaube, daß durch solche Gründerzentren vor allem junge Wissenschafter auch die Möglichkeit haben, auf der einen Seite zu forschen, aber auf der anderen Seite auch dafür zu sorgen, daß es zu einem geordneten Übergang in die Wirtschaft kommt.

Der letzte Punkt ist die Finanzierungsschleife bei F & E, und um diese geht es bei diesem Gesetz. Ich habe schon betont, es ist aus meiner Sicht zuwenig, wenn wir die Diskussion nur auf den Input reduzieren, das heißt auf die angestrebte 2,5 Prozent-Quote. Es ist auch wichtig, daß man sich die Ergebnisse anschaut und auch, wie effizient die Überleitung in die Produktionen und Fertigungsindustrien ist. Auch unter dem Aspekt der Schaffung neuer Arbeitsplätze ist dies meiner Ansicht nach ein ganz wesentlicher Punkt.

Ich glaube, daß wir auch einen stärkeren Fokus in der anwendungsorientierten Forschung brauchen und daß nicht die gesamten Mittel in der Grundlagenforschung konzentriert werden sollten. Für die Verbesserung der Handelsbilanz, aber auch für einen Erfolg auf dem Weltmarkt und für die Sicherung von Arbeitsplätzen brauchen wir diese Weiterentwicklung des Know-how.

Wir von der ÖVP werden diesem Entwurf natürlich zustimmen. Ich möchte schließen mit einem Zitat von Landesrat Paierl: Helle Köpfe mit Hirnschmalz haben wir genug. Wir müssen ihnen nur die Chance geben, auch gut zu arbeiten. – Danke. (Beifall bei der ÖVP.)

12.29

Vizepräsident Jürgen Weiss: Als nächstem Redner erteile ich Herrn Bundesrat Horst Freiberger das Wort.

12.29

Bundesrat Horst Freiberger (SPÖ, Steiermark): Herr Präsident! Herr Bundesminister! Herr Staatssekretär! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Die Novelle zum Forschungsförderungsgesetz unterstützt die von der Bundesregierung ausgerufene Technologieoffensive. Das Fördervolumen des Forschungsförderungsfonds wird dadurch verstärkt, daß der FFF in Zukunft das Instrument des Zinsenzuschusses, verbunden mit einer Haftungsübernahme, einsetzen kann.


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Durch diese legistische Maßnahme wird der FFF in die Lage versetzt, die Unterstützungen von Forschungsvorhaben noch auszuweiten. Dadurch wird auch eine positive Entwicklung bei der Beschäftigungssituation gewährleistet.

Bei den F & E-Investitionen ist eindeutig nachgewiesen, daß ein vielfacher wirtschaftlicher Rückfluß der aufgewendeten Mittel gegeben ist.

Anzumerken wäre noch, daß Förderungen und Investitionen in Forschung und Entwicklung ein wichtiges Argument für die Standortsicherung sind. Darüber hinaus wird der Wirtschaftsstandort Österreich attraktiver, und es ist dies ein wirksames Gegensteuern, daß Produktionen in Billiglohnländer verlagert werden. Dies soll ein wirksamer Anreiz für die Wirtschaft sein, daß in Forschung und Entwicklung investiert wird, denn im internationalen Vergleich haben wir diesbezüglich durchaus noch Aufholbedarf.

Meine Damen und Herren! Erlauben Sie mir in diesem Zusammenhang einige grundsätzliche Bemerkungen über den Bereich Forschung und Entwicklung. Die Verstärkung der Innovationskraft der Wirtschaft, im speziellen auch der Klein- und Mittelbetriebe, ist der einzige Garant dafür, daß Betriebe nicht zu sogenannten verlängerten Werkbänken werden. Dies hätte darüber hinaus eine Absenkung des Lohnniveaus zur Folge.

Ein wesentlicher Bereich ist auch die angewandte Forschung, das heißt, daß es zwischen den Universitäten und öffentlichen Forschungseinrichtungen Kooperationen und Zusammenschlüsse mit der Wirtschaft geben muß. Da es für Klein- und Mittelbetriebe kaum möglich ist, selbständige Forschungs- und Entwicklungsprojekte zu betreiben, sind von der öffentlichen Hand Rahmenbedingungen für die Einrichtung von Forschungsverbänden beziehungsweise kooperativen Forschungsprojekten zu schaffen. Damit ist gewährleistet, daß auch Klein- und Mittelbetriebe einen Innovationsgrad erreichen können, der sie im Wettbewerb der Regionen wieder konkurrenzfähig macht.

Diese außeruniversitäre, anwendungsbezogene betriebliche Forschung und Entwicklung hat einen bedeutenden Stellenwert in Österreich. Gerade die gestiegenen Anforderungen des internationalen Wettbewerbs erfordern eine Forcierung der hochtechnologischen Produktentwicklung, die eine längerfristige Marktfähigkeit aufweist.

Als steirischer Bundesrat möchte ich in diesem Zusammenhang die Forschungseinrichtung Joanneum Research GmbH erwähnen. Diese Gesellschaft spannt ein Netz über die Steiermark und betreibt so einen Wissenschaftstransfer, von dem auch Klein- und Mittelbetriebe profitieren. Darüber hinaus werden diese Aktivitäten in sämtlichen Regionen der Steiermark durchgeführt und konzentrieren sich nicht ausschließlich auf den Zentralraum, der ohnehin wirtschaftlich begünstigt ist.

Meine Damen und Herren! Daß die Bundesregierung verstärkt Anstrengungen in diesem Bereich unternimmt, wird auch durch die Steuerreform bestätigt. Es soll nicht unerwähnt bleiben, daß die steuerliche Förderung von Forschungsaufwendungen deutlich erhöht wird. – Es ist dies als eine weitere Maßnahme zur Anhebung der F & E-Quote auf 2,5 Prozent des BIP bis zum Jahr 2005 zu sehen. Der Forschungsfreibetrag wird auf 25 Prozent der Forschungsaufwendungen angehoben. Als besonderen Anreiz gibt es in Zukunft für Neueinsteiger und für die Ausweitung von bestehenden Forschungstätigkeiten einen höheren Freibetrag, nämlich in der Höhe von 35 Prozent.

Meine Damen und Herren! Zur Ausweitung der Fördertätigkeit des Forschungsförderungsfonds ist es im Zuge der Technologieoffensive der Bundesregierung notwendig, das Instrument der Haftungsübernahme entsprechend gesetzlich abzusichern. Die Haftungsübernahme hat für den Begünstigten den gleichen wirtschaftlichen Wert wie etwa ein direkter Kredit, sie belastet aber den Fonds beziehungsweise den Bund nicht unmittelbar, sondern nur im Ausmaß etwaiger abzudeckender Ausfälle. Es ist daher der richtige Weg, diese Möglichkeit für den Forschungsförderungsfonds zu schaffen, um die angestrebten Ziele zu erreichen. – Die SPÖ-Bundesräte werden dieser Vorlage selbstverständlich zustimmen. (Beifall bei der SPÖ.)

12.35


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Vizepräsident Jürgen Weiss:
Nächster Redner ist Herr Bundesrat Ing. Kurt Scheuch. Ich erteile ihm das Wort.

12.35

Bundesrat Ing. Kurt Scheuch (Freiheitliche, Kärnten): Meine sehr geehrten Damen und Herren! Hoher Bundesrat! Sehr geehrter Herr Präsident! Wenn man sich den Beschluß des Nationalrates vom 21. April 1999 betreffend das Forschungsförderungsgesetz durchliest, wenn man sich mit der Materie vertraut macht und jetzt meine Vorredner gehört hat, dann erinnert man sich sofort an die Worte von Oliver Goldsmith, der gesagt hat: Wenn man kleinen Fischen das Sprechen beibringen könnte, würden sie reden wie Walfische.

Diesen Vorwurf, meine sehr geehrten Damen und Herren von den Regierungsparteien, muß ich Ihnen in diesem Zusammenhang schon machen. Sie sprechen wohl wie Walfische ... (Bundesrat Mag. Leichtfried: Es gibt keine Walfische! Es gibt nur Wale!) – Ja, aber das Sprechen geht in diese Richtung. Sie können sich aber, nachdem Sie aus meiner Sicht maximal ein kleiner Goldfisch sind ... (Bundesrat Mag. Leichtfried: Keine Frechheiten!) – Ja, diese erlauben Sie sich auch, daher bekommen Sie diese auch zurück.

Sie handeln also wie kleine Fische, meine sehr geehrten Damen und Herren! Diesen meinen Vorwurf werde ich auch in meiner Rede konkretisieren, denn es gibt nämlich auch eine andere Sprache, und zwar die Sprache der Zahlen. (Bundesrätin Schicker: Wechseln Sie in die andere Sprache!) – Ja, in diese Sprache der Zahlen wechsle ich jetzt.

Obwohl ich als Freiheitlicher natürlich ein Anhänger des Slogans "Österreich zuerst" bin, muß ich leider zuerst Bayern erwähnen, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich muß dabei auf die F & E-Quote eingehen, die in Bayern bei 3 Prozent liegt und in Österreich 1,5 Prozent beträgt. – Eine Erhöhung dieser hat schon Ministerin Leodolter vor Jahre Schnee gefordert, und erst jetzt wurde es erreicht! In Bayern hat es nämlich tatsächlich eine Innovations- und Technologieoffensive gegeben, es wurde also nicht nur darüber geredet.

10,5 Milliarden Schilling wurden in den Ausbau von Universitäten und Hochschulen gesteckt, es wurde eine Technologie-Infrastruktur geschaffen, es wurde Risikokapital für Newcomer geschaffen, die wenig Geld zur Verfügung haben. Es wurden Technologie-Leitprojekte entwickelt, wie zum Beispiel Bayern Online und so weiter und so fort. Wir könnten diese Liste ewig fortsetzen. Das geht sogar soweit, daß in Bayern letztendlich 33 000 Arbeitsplätze geschaffen worden sind. Ich frage Sie: Wo sind diese neu geschaffenen 33 000 Arbeitsplätze in Österreich? – Das ist meines Erachtens nach eine beschämende Geschichte. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Das Wirtschaftswachstum in Bayern beträgt immerhin 3,4 Prozent – Daten, von denen wir nur träumen können.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich muß Ihnen schon noch etwas dazu sagen: Das österreichische Ergebnis, welches hier so hochgelobt wird, wird auch von anderer Seite beleuchtet, nämlich von der Presse. Da schreibt zum Beispiel "Die Presse": Chaos rund um die Gründung des Technologiebüros! Die "Wiener Zeitung" schreibt: Die herrschenden Unsicherheiten über Struktur- und Finanzpolitik können den Aufschwung der Technologieoffensive gefährden! Der "Kurier" schreibt in einer seiner Ausgaben: Die Technologieoffensive läßt weiter auf sich warten! "Die Presse" titelt: Hürdenlauf zum Technologiekonzept! "Der Standard" schreibt: Laut Farnleitner hängt die Forschungsoffensive noch an Kompetenzstreitigkeiten!

Es gibt in diesem Bereich – das sei lustigerweise auch erwähnt – natürlich auch Zeitungsenten. In der APA vom 17. 12. 1997 steht nämlich zu lesen: Um den Jahreswechsel wird das Technologieförderungsgesetz in die Begutachtung geschickt. (Bundesrat Dipl.-Ing. Missethon: Sagen Sie etwas zum Inhalt!) Im März wird es den Ministerrat und den Nationalrat passieren und im Sommer 1988 beschlossen werden. – War wohl nichts, meine Herren! (Bundesrat Dipl.-Ing. Missethon: Informieren Sie sich über den Inhalt!)


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Meine Damen und Herren! "Die Presse" spricht eine klare Sprache hinsichtlich Ihres Technologiekonzeptes. (Bundesrätin Haunschmid: Das ist die Jungfernrede! Da unterbricht man nicht!) Sie schreibt nämlich: Technologiekonzept endgültig gescheitert! "Der Standard" bringt es in seiner letzten Ausgabe auf den Punkt: Es fehlt an strategischer Planung, meine sehr geehrten Damen und Herren! (Beifall bei den Freiheitlichen. – Bundesrat Dipl.-Ing. Missethon: Sagen Sie etwas zum Inhalt!)

Von Österreich aus könnte man, um wieder in die Tierwelt zu schweifen, das Ganze nur so dokumentieren, indem man sagt: Hier ist eben das Schweigen der Walfische angesagt.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir von der Freiheitlichen Partei werden diesem Gesetzentwurf zustimmen, aber nur aus diesem Grund – deswegen sollten Sie sich am Riemen reißen und in der Zukunft mehr für dieses Land arbeiten, vor allem in diesem Bereich –, weil man einer vernachlässigten und vertrockneten Balkonpflanze nicht den letzten Tropfen Wasser entziehen kann, den sie zum Überleben braucht. (Bundesrat Dipl.-Ing. Missethon: Das ist eine Haider-Schulung!) – Das ist ein guter Einstand.

Seid doch froh, daß euch ein Kärntner aus dem verschlafenen Zustand, in dem sich einige von euch gerade im Technologiebereich befinden, ein bißchen aufweckt. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

12.41

Vizepräsident Jürgen Weiss: Als nächstem Redner erteile ich Herrn Bundesrat Karl Drochter das Wort. – Bitte.

12.41

Bundesrat Karl Drochter (SPÖ, Wien): Geschätzter Herr Präsident! Herr Bundesminister! Geschätzte Kolleginnen und liebe Kollegen des Bundesrates! Herr Ing. Scheuch! Ich kann Ihnen versichern, daß es Ihnen gelungen ist, die Tradition der Kärntner FPÖ-Bundesräte fortzusetzen. (Bundesrat Dr. Bösch: Das stimmt!) Ich kann das auch ganz kurz auf den Punkt bringen: sehr laut, dafür aber umso inhaltsloser. (Bundesrat Ing. Scheuch: Das Wahlergebnis in Kärnten spricht eine sehr deutliche Sprache!)

Herr Ing. Scheuch! Dank der EU, dank der Europäischen Union, gegen die Sie ebenfalls Stellung beziehen (Bundesrat Dr. Tremmel: Sie unterstellen den Wählern schon einiges! Dummheit unterstellen Sie den Wählern, Herr Kollege! Das können Sie nicht machen!), können Sie, ohne Ihre Herkunft an der Grenze nachweisen zu müssen, in Bayern besser, leichter und öfter im Trüben fischen. (Bundesrat Dr. Tremmel: Wenn die Gewerkschaften so erfolgreich wären wie die Freiheitliche Partei, hättet ihr schon 2 Millionen Mitglieder! – Weitere Zwischenrufe bei den Freiheitlichen.) Dort könnten Sie vielleicht auch die Enten, die Sie uns soeben aufgetischt haben, mit dem geistigen Brot der Freiheitlichen Partei füttern.

Zu Ihrer Kritik an der Entwicklung der Arbeitsplatzsituation möchte ich Ihnen folgendes sagen: Sehen Sie sich doch einmal die Entwicklung des Arbeitsmarktes Ende April an! (Rufe und Gegenrufe zwischen der ÖVP und den Freiheitlichen.) Ich gehe auch gerne auf Ihre Zwischenrufe ein. Ich kann Ihnen nur sagen, es hat schon Tage gegeben, an denen ich besser gelacht habe. (Bundesrat Dr. Tremmel: Das glaube ich eh!) Wenn das zu Ihrer Befriedigung beiträgt, bin ich gerne bereit, diese Anmerkung zu machen. (Bundesrat Dr. Bösch: Das war auch kein Witz, Herr Kollege!)

Ich kann Ihnen aber versichern, daß sich die Bundesregierung, die Sozialdemokratie und die ÖVP weit höhere Ziele gesetzt haben. (Bundesrat Ing. Scheuch: Die Wahlergebnisse sprechen!) Würden Sie sich mit dem nationalen Beschäftigungsprogramm auseinandersetzen und würden Sie die heutige Situation am Arbeitsmarkt trotz aller Probleme mitberücksichtigen, dann würden Sie feststellen – wenn Sie überhaupt imstande sind, realistisch zu denken und zu argumentieren –, daß wir zwar das Ziel noch nicht erreicht haben, aber im ersten Jahr viel weiter gekommen sind, als wir eigentlich erwartet haben. (Bundesrat Weilharter: Herr Kollege! Mit einem Schritt vor und zwei zurück kommen Sie nie zum Ziel!)


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Ich bin eigentlich sehr optimistisch. Die heute zu beschließende Gesetzesnovellierung trägt wesentlich zu einer gedeihlichen Entwicklung bei. Ich kann Ihnen versichern, daß wir Sozialdemokraten schon immer ein sehr glaubwürdiges und offenes Verhältnis zu Wissenschaft und Forschung gehabt haben, sodaß wir im Gegensatz zu Ihnen dieser Novellierung positiv und aufgeschlossen gegenüberstehen. Wir treten auch in Zukunft – das kann ich für meine gesamte Fraktion sagen – für eine sehr effiziente, gezielte und verantwortungsvolle Förderung der Wissenschaft und insbesondere der Forschung ein.

Ich bin davon überzeugt – ich bin kein Nestbeschmutzer –, daß Österreich weiterhin in die internationale Dynamik der Wissenschaft und Forschung eingebunden bleibt, und wir die wirtschaftliche, soziale und auch die geistige Dynamik unseres Landes aufrechterhalten und auch ständig weiterentwickeln werden können. Das kann man aber nur mit einer konstruktiven, offenen Einstellung, die Ihnen in der Freiheitlichen Partei abhanden gekommen ist. (Bundesrat Ing. Scheuch: Gas geben, Gas geben!)

Wir betrachten die mit der Novelle ermöglichten Maßnahmen als eine Investition in die Zukunft. Es ist sicherlich notwendig und von großer Bedeutung, vor allem die internationale Zusammenarbeit, aber auch die Zusammenarbeit mit der Wirtschaft besonders zu fördern und zu unterstützen. Als ganz wichtig erscheint mir, den betriebs- und grenzüberschreitenden Austausch auf der Ebene der einzelnen Betriebe zu unterstützen und noch mehr Anreize dafür zu schaffen.

Meine Damen und Herren! Wir alle sind damit konfrontiert, daß in der gesellschaftlichen Entwicklung, in der wir uns befinden, Wissen immer mehr zu einem Standortfaktor wird. Bildung und Information sind zu unverzichtbaren gesellschaftlichen Werten geworden. Wir sind daher täglich dazu aufgerufen, dieser Entwicklung Rechnung zu tragen. Es gilt ohne Zweifel auch für Österreich, den Wandel von der Produktions- und Industriegesellschaft hin zur Informations- und hochwertigen Dienstleistungsgesellschaft rechtzeitig und noch rascher als bisher mitzumachen.

Trotz aller Sachzwänge – auch das sei sehr klar gesagt – dürfen Wissenschaft und Forschung kein Selbstzweck sein oder sich in diese Richtung entwickeln. Wissenschaft und Forschung sind mit Sicherheit wesentliche Voraussetzungen, um eine dynamische Entwicklung in Richtung Höherwertigkeit im Produktions- und Dienstleistungsbereich voranzutreiben. Förderungen von Forschung und Wissenschaft müssen in der Folge aber auch einen Beitrag dazu leisten, ein noch höheres Beschäftigungsniveau zu erreichen beziehungsweise ein hohes Beschäftigungsniveau nicht nur zu festigen, sondern auch weiter zu steigern.

Ebenso erwarten wir, daß die Forschung dazu beiträgt, die hohen Ausbildungs- und Weiterbildungsstandards und -systeme vor allem für die Jugend in unserem Lande sicherzustellen, damit sie in der Gegenwart, aber auch künftig den großen Anforderungen des permanenten technologischen Fortschrittes, aber auch des Strukturwandels ohne wirtschaftliche oder soziale Abstriche gerecht werden können. Das ist ein wesentliches Anliegen der Sozialdemokratie und vor allem der Gewerkschaftsbewegung.

Eine gezielte Forschungsförderung, aber auch die Technologiepolitik – Kollege Dipl.-Ing. Missethon hat das in seinen Ausführungen besonders unterstrichen – sollen neben der Absicherung der wirtschaftlichen Standards auch wesentliche Beiträge dazu erbringen, soziale, ethische, aber auch die hohen ökologischen Standards in unserem Lande weiterzuentwickeln.

Kollege Freiberger hat bereits gesagt, daß die sozialdemokratische Bundesratsfraktion der Novellierung des Forschungsförderungsgesetzes gerne die Zustimmung geben wird. (Beifall bei der SPÖ.)

12.49

Vizepräsident Jürgen Weiss: Als nächstem Redner erteile ich Herrn Bundesrat Mag. Walter Scherb das Wort. – Bitte.

12.49

Bundesrat Mag. Walter Scherb (Freiheitliche, Oberösterreich): Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Bundesminister! Hoher Bundesrat! Die Bedeutung von Forschung und Entwicklung wird im


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Hinblick auf eine nachhaltige Standortsicherung, auf die Erhöhung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit Österreichs sowie die Stärkung der Wirtschaftskraft immer wichtiger. Bei der Forschungsförderung gibt es Multiplikatoreffekte. Diese Multiplikatoreffekte sind für die Umsatzentwicklung der heimischen Unternehmen und damit verbunden natürlich für die Schaffung zusätzlicher Arbeitsplätze, die von Investitionen und Aufwendungen im Bereich Forschung und Technologie ausgehen, unbestritten.

Der sogenannte Förderungsmultiplikator zeigt an, wie hoch die durch ein Forschungsprojekt zusätzlich akquirierten Umsätze im Verhältnis zu den eingesetzten Forschungskosten sind. Der Forschungsförderungsfonds hat in diesem Bereich Studien angestellt und festgestellt, daß 1 S Förderung bei FFF-Projekten rund 23 zusätzliche Schilling an Umsatz bringt.

74 Prozent dieser zusätzlichen Umsätze gehen in den Export. Der Multiplikator im Export beträgt ungefähr neun. Das heißt, daß ein mit 1 Milliarde Schilling gefördertes Projekt Exporte in der Höhe von 9 Milliarden Schilling auslöst, was wiederum zu positiven Beschäftigungseffekten im Inland führt.

Die Situation von Forschung und Entwicklung in Österreich ist, wie mein Kollege Scheuch bereits ausgeführt hat, leider nicht gerade berauschend gut. Derzeit investiert Österreich zirka 1,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts in diesem Bereich. Der Schnitt der europäischen Länder liegt bei 2 Prozent; Frankreich und Deutschland liegen bei 2,4, die USA bei 2,5, Japan bei 2,8 und Schweden bei 3,6 Prozent.

Es steht außer Frage, daß der Anteil der Forschungs- und Entwicklungsausgaben in Österreich im Vergleich zu den anderen hochentwickelten Staaten bei weitem zu gering ist und daß Österreich in diesem Bereich einen starken Nachholbedarf hat und den Anschluß finden muß. In einem Bereich, nämlich der Genforschung, die von Experten als eine Schlüsseltechnologie des 21. Jahrhunderts angesehen wird, ist aufgrund der negativen Berichterstattung und der negativen und forschungshemmenden Einstellung in Österreich der Zug ohnehin schon abgefahren. Wir werden auf den Zug im Bereich der Genforschung sicherlich nicht mehr aufspringen können. Umso wichtiger ist, daß wir in anderen Technologien, in der Kommunikation, in der Telekommunikation den Anschluß halten.

Die österreichische Regierung reagiert auf solche Feststellungen und Berechnungen leider nur mit Ankündigungen. Von der medial hochgepushten Technologiemillarde sind nur 700 Millionen Schilling übriggeblieben. Statt endlich effektive Maßnahmen einzuleiten, läßt die Bundesregierung neuerlich wertvolle Zeit ungenützt und kündigt nunmehr die Erstellung eines neuerlichen Papiers, nämlich eines Grünbuchs zur österreichischen Forschungspolitik, an, welches im Frühsommer dieses Jahres dem Nationalrat vorgelegt werden soll. – Also keine konkreten Maßnahmen, sondern nur Ankündigungspolitik.

Sehr geehrter Herr Minister! Ich möchte noch einmal betonen, daß die Forschungsquote zumindest auf den europäischen Schnitt von 2 Prozent herangeführt werden müßte. Hiezu brauchen wir konkrete Maßnahmen und Handlungen und keine Absichtserklärungen!

Der vorliegende Beschluß des Nationalrates soll nun die Haftungsübernahmen bei der Gewährung von Zinszuschüssen durch den Fonds gesetzlich absichern. Diese Vorlage ist leider nur eine Legalisierung der seit einiger Zeit gelebten Praxis. Der Barwert der Förderungen wird dadurch nicht gesteigert, das wurde mir auch im Ausschuß bestätigt. Der Förderungsumfang wird zwar auf dem Papier gesteigert, nicht aber in Wirklichkeit, weil der Forschungsförderungsfonds, der sehr effizient arbeitet, diese Mittel und Haftungen in der Vergangenheit schon halboffiziell bereitgestellt hat. Es wäre zu wünschen, daß wir in Zukunft gute Gesetze verabschieden würden, die eine rasche, effiziente und tatsächliche Erhöhung der Forschungsmittel mit sich bringen würden. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Im Februar haben wir im Nationalrat einen Antrag für eine sinnvolle Förderpolitik eingebracht. Dort hat man uns die Zustimmung verweigert und uns wieder einmal gezeigt, daß dieses Thema den Regierungsparteien nicht wirklich am Herzen liegt. Man bekommt den Eindruck, daß sie sich dieses Thema für eine Ankündigungspolitik warmhalten wollen und kein Interesse an einer


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nachhaltigen Lösung unseres Hinterbänklerdaseins im Forschungs- und Entwicklungsbereich haben.

Wir werden dieser Vorlage zustimmen, merken aber an, daß in diesem Bereich noch viel zu wenig getan worden ist, und fordern weitere konkrete Maßnahmen. – Danke. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

12.56

Vizepräsident Jürgen Weiss: Als nächstem erteile ich Herrn Bundesminister Dr. Hannes Farnleitner das Wort. – Bitte.

12.56

Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten Dr. Hannes Farnleitner: Herr Präsident! Hoher Bundesrat! Es bleibt folgendes festzustellen: Mit dieser Novelle werden dem Forschungsförderungsfonds erstmals 2 Milliarden Schilling zur Verfügung gestellt, erstmals mit Bundeshaftung versehen, und darüber hinaus die bisher vom Fonds vorgenommenen Haftungen in der Höhe von 1,5 Milliarden im eigenen Bereich quasi legalisiert, im Sinne von gesetzmäßig gedeckt. Das sind zwei verschiedene Paar Schuhe, es geht um 2 Milliarden Schilling mehr. Der Fonds kann sich dank Bundeshaftung in einer völlig anderen Dimension der Risikoabdeckung bewegen. Das nur zur Richtigstellung, damit wir das Gesetz gleich lesen. (Bundesrat Ing. Scheuch: Im Ausschuß hat der Beamte gesagt, daß das in Wirklichkeit auch schon davor gezahlt worden ist!) – Nein, das haben Sie mißverstanden. Das tut mir leid!

1,5 Milliarden Schilling hat der FFF bis jetzt gewährt. Dieser Teil wird legalisiert, weil es Fragen gab, ob man angesichts des berühmten Legalitätsprinzips dazu eine Legalisierung braucht. Darüber hinaus gibt es extra 2 Milliarden Schilling mit Bundeshaftung. Das ist ein qualitatives und quantitatives Mehr! – Damit Sie wenigstens wissen, welchem Gesetz Sie zustimmen. (Beifall bei der ÖVP.)

Ich freue mich sehr, daß alle Ländervertreter, alle Fraktionen diesem Gesetz zustimmen. (Bundesrat Dr. Tremmel: Für uns ist es trotzdem zu wenig, im Vergleich zu Bayern!) Zwei Dinge gestatten Sie mir zu sagen: Ich habe heute hier gelernt, daß man unter Forschung versteht, wenn man forsch über etwas redet. – Das glaube ich nicht! Wer sein Wissen über Forschungspolitik nur aus Zeitungsartikeln bezieht, ist nicht kompetent genug. Das muß ich sagen! (Beifall bei der ÖVP. – Bundesrat Dr. Bösch: Da wird sich die Presse bei Ihnen bedanken!) Das weiß ich! Die Presse ist mir freundlich gesinnt, das wissen Sie, aber das ändert nichts an meiner Politik. (Zwischenruf des Bundesrates Ing. Scheuch.  – Bundesrat Dr. Bösch: Herr Minister! Sie sollten auf sich aufpassen!) – Das ist für Sie wichtiger als für mich!

Das werden Sie ohnehin weiter behaupten, ich bleibe auch bei meiner Meinung. Aber lassen Sie mich einige Feststellungen machen: Das gebetsmühlenartige Wiederholen von Standardformeln bringt uns in der Forschung überhaupt nicht weiter. Sie beten die 2,5 Prozent vom Bruttoinlandsprodukt immer wieder wie eine tibetanische Gebetsmühle herunter. Ich wiederhole: Egal, ob wir das, was von der Regierung angekündigt worden ist, in nächster Zeit erreichen oder nicht: Vergleichen Sie doch unsere Ergebnisse einmal mit den Zahlen jener Länder, die Sie uns als Beispiele nennen! Länder wie Schweden mit einer weit höheren Forschungsquote haben eine dreimal höhere Arbeitslosigkeit, haben eine Deindustrialisierung. Wenn Sie mir das als Beispiel nennen wollen, dann bitte schön. (Bundesrat Dr. Tremmel: Unsere Arbeitslosigkeit ist auch nicht gerade gering!)

Man muß das in der Gesamtheit sehen! Wir haben im Augenblick keine abgelehnten sinnvollen Forschungsanträge. Daher kann die Input-Seite nicht so falsch sein. Schauen Sie sich die Output-Seite an: Wir liegen beim Output, wenn ich gemeldete Patente in Österreich plus Gebrauchsmuster zusammenzähle, mit Deutschland und den Niederlanden an den drei ersten Stellen in Europa, das heißt, wir machen aus relativ weniger eingesetztem Kapital einen weit höheren Nutzeffekt.

Nochmals: Ich rede hier als Minister für Ökonomie und nicht für Traumdeutung. (Beifall bei ÖVP und SPÖ.) Wir könnten 2,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts hineinpushen, aber wenn unten


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nicht mehr herauskommt, ist das Geld trotzdem "verforscht", und wir hätten schon wieder Durst. Das wäre ein Satz mit hinreichender Begründung.

Ich sollte friedlicher sein! Gestatten Sie mir nochmals einige Bemerkungen: Da ich im Bundesrat bin, hätte ich mir erwartet, daß wir hier heute eine Diskussion darüber führen – das ist etwas, das mir große Sorgen macht –, daß der Innovations-Spread, die Streuung von Innovationen in Österreich, die Zentralisierung von Innovationspolitik an manchen Bundesländern erstaunlicherweise vorbeigeht. Ich glaube, es sollte nicht so sein, daß, wenn ich im Bundesrat als Bundesminister rede, nur von Bundeskennzahlen die Rede ist. Ich würde das im Bundesrat erwarten – entschuldigen Sie, Herr Präsident, das ist keine Kritik, sondern nur eine Anregung für ein Hearing vielleicht bei anderer Gelegenheit. Denn es wäre schon wichtig, herauszuarbeiten, in welchen Bundesländern sich die Innovationskapazitäten konzentrieren. Stellt es sich tatsächlich so einfach dar, daß sich im Augenblick in drei Wirtschaftsräumen praktisch alles agglomeriert: Linzer Raum, Wiener Raum, Grazer Raum, und wir ansonsten mühselig versuchen, Schritt zu halten? Ist es so einfach, herauszufinden, warum das passiert?

Wir befinden uns am Ende der größten Schulbau-, Hochschulbauwelle seit Franz Joseph Ende des vorigen Jahrhunderts. Schauen wir uns einmal die R&F-Quoten regional an. Der Punkt ist, manche Bundesländer laufen Gefahr, nur Dienstleistungen, nur Tourismus anzubieten. Sie sagen nicht: Bei Neuprodukten sind wir eine Großmacht! – Entschuldigung, ich will nicht stänkern, aber das würde meiner Ansicht nach zu einer Diskussion gehören. Das andere haben wir schon im Ausschuß gehört.

Ich möchte noch zwei Dinge in den Raum stellen: Es darf nicht übersehen werden, daß dieses kleine Land nach der jüngsten Studie des Außenministeriums, die wir gemeinsam mit dem Wifi durchgeführt haben, in 52 Industriesparten der Technologieführer in der Welt ist. Darf ein Land auf so etwas nicht stolz sein? – Ein Land mit 8 Millionen Einwohnern schafft es, in 52 Industriesparten die Nummer eins in der Welt zu sein. Ich nenne ein Beispiel, weil die Steiermark angesprochen wurde. Ich weiß, es heißt immer: Der Bund zahlt, das Land prahlt. – Den Autocluster haben wir in Wien erfunden, bildet euch nichts ein, aber jetzt ist er halt steirisch – soll so sein; wichtig ist, es ist österreichisch.

Wir brauchen mehr Initiativen, die sich regional verfestigen, das ist das gute steirische Beispiel. Daher lebt der Cluster von sich aus und bekommt eine Streuweite. Es gibt in einigen Bundesländern nicht mehr die notwendige Dichte der Kapazität, um diese Streueffekte zu erzielen. Da könnte ich einige nennen, ich bleibe allerdings bei den positiven Beispielen. Daher könnten wir über die Strategie, die von einigen Bundesräten angesprochen worden ist, über die Kompetenzzentren etwas Unglaubliches schaffen.

Ich denke an Graz, wo wir dieser Tage das akustische Kompetenzzentrum eröffnen. Wir werden das CD-Labor für Mechatronics Linz/Graz eröffnen, aber es konzentriert sich fatal. Es wurde über den sogenannten Anschlußverlust in der Biotechnik geredet. Bitte trennen wir uns doch von diesem Vorurteil! Ich habe letztens mit dem Cheftechnologen der Firma Baxter-IMMUNO gesprochen. Baxter ist eine der größten US-Chemiekonzerne. Dieser sagte: Was diese in Wien bei IMMUNO vorgefunden haben, führt dazu, daß in Österreich weiter ausgebaut wird – wenn wir nur nicht täglich in der Zeitung beschimpft würden, wenn wir neue Produkte erzeugen. Das muß man am Rande dazusagen. Aber Gott sei Dank sind sie englischsprechend und können daher diese kritischen Zeitungen nicht lesen.

Ich bleibe dabei: Es wird eine Biotechnik-Region Wien und eine Biotechnik-Region Tirol rund um Kundl geben. Aber trotzdem stellt sich die Frage, wo einige Regionsbegriffe bleiben. In Wiener Neustadt wird jetzt auch ein Biozentrum errichtet. Aber wir müssen diese Art von Zentren doch so regional dislozieren, um nicht Löcher in der Innovation zu bekommen.

Eine letzte Bemerkung: Die moderne Vernetzung mit modernsten Mitteln würde auch dazu führen, daß auch weiter entfernt liegende Gegenden an Forschungsprozessen teilhaben können. Wir entwickeln zum Beispiel in unserem Haus neue Software-Programme; dabei kommt es vor, daß von unseren Angestellten einer in Güssing und der andere in Zwettl sitzt. Das sind neue


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Möglichkeiten, auf die wir hinweisen müssen. Es muß nicht alles ... (Bundesrätin Mühlwerth: Diese neue Möglichkeit gibt es schon lange!) – Zufällig nützen wir es in unserem Haus, gnädige Frau! Sie können bei anderen fragen, ob sie das tun.

Der Punkt ist, wir tun relativ viel Neues. Daher kann auch bei einem kritischen Check unserer Entwicklungspolitik nicht davon abgesehen werden, ob das seinerzeitige Programm der beiden Herren Schmidt und Hochleitner umgesetzt wurde. – Mit allem Respekt darf ich das auch einmal sagen, weil Ihnen das sonst ohnehin keiner sagt.

Wir haben dieses Konzept auch deshalb abgelehnt, weil es geheißen hätte, daß sich die Großindustrie die Mittelverteilung über das Büro selbst unter den Nagel reißt. Die Kleinen hätten weniger Chancen gehabt. In der Frage der Hochschulrestrukturierung hätten wir weiterhin keine Schritte getan. Angesichts dessen haben wir gesagt, es ist uns lieber, bei Ministerverantwortlichkeiten als bei anonymen Büros zu bleiben. Das ist einer der Gründe, mit dem zumindest Kollege Einem und ich argumentieren.

Hoher Bundesrat! Sehr verehrter Herr Präsident! Ich würde es bei anderer Gelegenheit begrüßen, eine bundesländerweite Diskussion zu folgenden Fragen zu führen: Was tut sich in Forschung und Entwicklung? Wie kann man das aneinander bench-marken? Welche Perspektiven ergeben sich aus dieser Einschätzung? – Danke. (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)

13.04

Vizepräsident Jürgen Weiss: Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall.

Die Debatte ist geschlossen.

Wird von der Berichterstattung ein Schlußwort gewünscht? – Danke.

Wir kommen zur Abstimmung.

Ich bitte jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den vorliegenden Beschluß des Nationalrates, soweit dieser dem Einspruchsrecht des Bundesrates unterliegt, keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Es ist dies Stimmeneinhelligkeit.

Der Antrag, gegen den vorliegenden Beschluß des Nationalrates, soweit er dem Einspruchsrecht unterliegt, keinen Einspruch zu erheben, ist somit angenommen.

4. Punkt

Beschluß des Nationalrates vom 21. April 1999 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Bundeshaushaltsgesetz geändert wird (1036/A und 1713/NR sowie 5927/BR der Beilagen)

5. Punkt

Beschluß des Nationalrates vom 21. April 1999 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Katastrophenfondsgesetz 1996 geändert wird (1035/A und 1714/NR sowie 5928/BR der Beilagen)

6. Punkt

Beschluß des Nationalrates vom 21. April 1999 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Ausfuhrerstattungsgesetz geändert wird (1655 und 1715/NR sowie 5929/BR der Beilagen)

Vizepräsident Jürgen Weiss: Wir gelangen nunmehr zu den Punkten 4 bis 6 der Tagesordnung, über welche die Debatte unter einem abgeführt wird.


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Es sind dies:

ein Bundesgesetz, mit dem das Bundeshaushaltsgesetz geändert wird,

ein Bundesgesetz, mit dem das Katastrophenfondsgesetz 1996 geändert wird, sowie

ein Bundesgesetz, mit dem das Ausfuhrerstattungsgesetz geändert wird.

Die Berichterstattung über die Punkte 4 bis 6 hat Herr Bundesrat Johann Kraml übernommen. Ich bitte ihn um den Bericht.

Berichterstatter Johann Kraml: Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Staatssekretär! Meine Damen und Herren! Ich bringe die Berichte des Finanzausschusses:

Zuerst zum Bundeshaushaltsgesetz:

Eine der Voraussetzungen für entgeltliche Verfügungen über Bundesvermögen ist nach der geltenden Rechtslage, daß der Bestandteil des Bundesvermögens zum Zeitpunkt der Verfügung überhaupt nicht mehr oder innerhalb absehbarer Zeit nicht mehr benötigt wird.

Es soll nunmehr insoweit eine haushaltsrechtliche Vereinfachung erfolgen, als eine Verfügung getroffen werden kann, wenn das den Bestandteil des Bundesvermögens verwaltende haushaltsleitende Organ diesen dem Bundesminister für Finanzen als nicht benötigt bekanntgibt.

Überdies erscheint es im Interesse einer wirtschaftlichen Haushaltsführung zweckmäßig, die unentgeltliche Übereignung von Bestandteilen des unbeweglichen Bundesvermögens von bestimmten Voraussetzungen abhängig zu machen.

Um eine rasche Umsetzung zu bewirken, soll eine entsprechende Übergangsregelung die Anwendung der neuen Regelungen auch bei Verfügungen ermöglichen, bei denen bereits Bedarfserhebungen eingeleitet oder durchgeführt wurden.

Der Finanzausschuß stellt nach Beratung der Vorlage am 4. Mai 1999 mit Stimmeneinhelligkeit den Antrag , keinen Einspruch zu erheben.

Bericht des Finanzausschusses über den Beschluß des Nationalrates vom 21. April 1999 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Katastrophenfondsgesetz 1996 geändert wird:

Der Katastrophenfonds des Bundes beteiligt sich unter anderem an den finanziellen Hilfen eines Landes, die zur Beseitigung außergewöhnlicher Schäden durch Naturkatastrophen im Vermögen physischer und juristischer Personen gewährt werden. Berücksichtigt wird dabei nur der unmittelbare Sachschaden, nicht hingegen der entgangene Gewinn, wie zum Beispiel der Verdienstentgang durch Betriebsstörungen. Weiters werden nur die Kosten der Beseitigung derartiger Schäden berücksichtigt, nicht hingegen andere Aufwendungen im Zusammenhang mit Naturkatastrophen, wie etwa für Bergungen, Evakuierungen oder Überführungen von Leichen.

Das außergewöhnliche Ausmaß der Lawinenkatastrophen im Westen Österreichs läßt es geboten erscheinen, eine zusätzliche, in ihrem Anwendungsbereich eingeschränkte Leistung des Katastrophenfonds für finanzielle Hilfen des Landes zu den Kosten der Überführungen von Leichen und die Überstellungen von Kraftfahrzeugen vorzusehen.

Der Finanzausschuß stellt nach Beratung der Vorlage am 4. Mai 1999 mit Stimmeneinhelligkeit den Antrag , keinen Einspruch zu erheben.

Bericht des Finanzausschusses über den Beschluß des Nationalrates vom 21. April 1999 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Ausfuhrerstattungsgesetz geändert wird:

Der gegenständliche Beschluß des Nationalrates hat im wesentlichen zum Ziel, die Regelungen über die Zuständigkeit zur Vornahme der in der EU-Verordnung zwingend vorgeschriebenen amtstierärztlichen Kontrollen an den Ausgangsstellen festzulegen. Gleichzeitig soll dem Bun


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654. Sitzung / Seite 69

desminister für Finanzen durch die enthaltene Verordnungsermächtigung die Möglichkeit eingeräumt werden, nähere Bestimmungen über die zu erhebenden Gebühren sowie über die Voranmeldung der Lieferung bei der Ausgangsstelle zu erlassen.

Der Finanzausschuß stellt nach Beratung der Vorlage am 4. Mai 1999 mit Stimmeneinhelligkeit den Antrag , keinen Einspruch zu erheben.

Vizepräsident Jürgen Weiss: Ich danke für die Berichte.

Wir gehen in die Debatte ein, die über die zusammengezogenen Punkte unter einem abgeführt wird.

Zu Wort gemeldet hat sich als erster Herr Bundesrat Friedrich Hensler. Ich erteile es ihm.

13.09

Bundesrat Friedrich Hensler (ÖVP, Niederösterreich): Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Staatssekretär! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Hohes Haus! Heute stehen drei wichtige Gesetzesbeschlüsse auf der Tagesordnung: das Bundeshaushaltsgesetz, das Ausfuhrerstattungsgesetz und das Katastrophenfondsgesetz.

Gestatten Sie mir, einige Sätze zum Katastrophenfondsgesetz zu sagen, und zwar als einer, der vor einigen Jahren selbst unmittelbar von einer verheerenden Katastrophe betroffen war. Ich glaube, dieses Gesetz ist für die Bürger, sprich für jeden einzelnen von uns, unheimlich wichtig, denn außergewöhnliche Naturereignisse lassen sich ganz einfach nicht von heute auf morgen vorhersagen, und da kann es in keiner Weise eine Möglichkeit einer Versicherung oder sonst irgend etwas Derartiges geben.

Im abgelaufenen Jahr hatten wir eine verheerende Lawinenkatastrophe in Galtür, wobei es leider 39 Tote gab. Hier hat dieses Gesetz sicher wesentlich dazu beigetragen, zu helfen, ganz einfach nur zu helfen. Mit dem neuen Gesetz haben wir nun die Möglichkeit, daß auch die Bergung in finanzieller Hinsicht unterstützt werden kann.

Meine sehr geehrten Damen und Herren des Bundesrates! Naturkatastrophen wird es immer wieder geben, das ist ganz einfach ein Faktum. Hochwasserkatastrophen oder Dammbrüche können in jedem Bundesland Realität werden und sind es zweifelsohne auch. Daher ist es unheimlich wichtig, daß die finanzielle Grundlage der Existenzsicherung wenigstens gewährleistet ist.

Ich denke an meine Gemeinde. 1991 war mein Ort aufgrund eines Dammbruchs binnen einer Viertelstunde total überflutet, zwei Meter hoch. 80 Prozent unserer Flächen waren überschwemmt. Gott sei Dank hat es keine Toten gegeben. Damals hat man erfahren, was es heißt, wenn der Gesetzgeber die entsprechenden Rahmenbedingungen schafft, wenn der Gesetzgeber einem die Möglichkeit gibt, hier aktiv den Menschen zu helfen. Ich bin wirklich sehr dankbar dafür.

Was mir persönlich sehr wichtig erscheint: Es ist wichtig, daß nur der unmittelbare Sachschaden abgegolten wird, daß es von seiten der Gemeinde eine Kommission dafür gibt und Richtlinien und Grundvoraussetzungen in diesem Bereich geschaffen werden, die dafür sorgen, daß der Sachschaden herangezogen wird und in keiner Weise der Gewinn. Eine Abdeckung durch Versicherungen soll in keiner Weise vorgenommen werden. Das ist mir sehr wichtig.

Bei diesem Gesetz ist das Land zweifelsohne der erste Ansprechpartner, das ist unbestritten: Der Betroffene wendet sich an das Land, und das Land hat dann die Möglichkeit, einen 60prozentigen Anteil vom Bund zurückzufordern. Ich bin wirklich sehr froh, Herr Staatssekretär, daß es hier eine konstruktive und zielführende Zusammenarbeit für die Menschen in unserem Land gibt, egal, in welchem Bundesland sie leben. Der Zeitraum wird jetzt auf drei Jahre erweitert. Drei Jahre hat man die Möglichkeit, Ansprüche beim Finanzminister geltend zu machen.


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Abschließend, meine sehr geehrten Damen und Herren des Bundesrates: Die Bundesregierung hilft den Bürgern, wenn sie in Not sind. Danke schön dafür. Die ÖVP wird gerne dem Katastrophenfondsgesetz die Zustimmung erteilen. (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)

13.13

Vizepräsident Jürgen Weiss: Als nächstem Redner erteile ich Herrn Bundesrat Johann Grillenberger das Wort.

13.14

Bundesrat Johann Grillenberger (SPÖ, Burgenland): Sehr verehrter Herr Präsident! Herr Staatssekretär! Meine Damen und Herren! Die zur Beschlußfassung vorgelegte Novelle zum Bundeshaushaltsgesetz ermöglicht in der Zukunft eine leichtere und meiner Meinung nach eine wesentlich unbürokratischere Handhabung bei der Veräußerung und Verwaltung von Liegenschaften des Bundes. Wenn mit der einfacheren Verwaltung zusätzlich noch weitere Kosteneinsparungen erreicht werden, ist mit der vorgelegten Novelle der Weg in Richtung professionelles Management eingeschlagen.

Eine der Voraussetzungen für die entgeltliche Verfügung über Bundesvermögen ist nach der geltenden Rechtslage, daß der Bestandteil des Bundesvermögens zum Zeitpunkt der Verfügung überhaupt nicht mehr oder in absehbarer Zeit nicht mehr benötigt wird.

Ich glaube, daß diese Verwaltungsvereinfachung nur positive Auswirkungen haben kann.

Eine weitere Abänderung resultiert aus der Lawinenkatastrophe im Westen Österreichs in diesem Winter. Mein Vorredner hat sehr ausführlich darüber berichtet. Als Burgenländer und aus der pannonischen Ebene Kommender kann ich nur aufgrund der Berichterstattung der Medien urteilen.

Meine Damen und Herren! Das außergewöhnliche Ausmaß der Lawinenkatastrophen im Westen Österreichs in diesem Winter macht es nun erforderlich, eine zusätzliche Leistung des Katastrophenfonds für finanzielle Hilfen des Landes zur Abdeckung der Kosten für die Überführung von Leichen und Überstellung von Kraftfahrzeugen vorzusehen. Die Kosten werden auf zirka 1,5 Millionen Schilling geschätzt. Bei einem vollen Ersatz dieser Kosten durch die Länder leistet der Bund aus dem Katastrophenfonds, soweit mir bekannt ist, einen Beitrag in der Höhe von 900 000 S.

Wie man heute Medienberichten entnehmen kann, werden die Gesamtkosten dieser ganzen Katastrophe auf zirka 126 Millionen Schilling geschätzt. Ich glaube, bei jeder Katastrophe, insbesondere bei der Lawinenkatastrophe in diesem Winter, nimmt der materielle und finanzielle Wert einen unbeachtlichen Stellenwert gegenüber dem menschlichen Leid ein, das den Menschen dadurch zugefügt wird.

Zu danken ist allen Helfern, die mit ihrem Einsatz noch größeres Leid verhindern konnten. Ich glaube, wir alle waren sehr beeindruckt von der spontanen Hilfe bei dieser großen Katastrophe.

Meine Damen und Herren! Zum Ausfuhrerstattungsgesetz nur einige Worte: Hier geht es um eine EU-Anpassung, nämlich die Gebühren über eine Verordnung festzulegen und über die Voranmeldung von Tiertransporten eine Liste zu erstellen.

Meine Fraktion wird diesen Gesetzesvorlagen die Zustimmung geben. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei SPÖ und ÖVP.)

13.17

Vizepräsident Jürgen Weiss: Als nächstem Redner erteile ich Herrn Bundesrat Dr. Paul Tremmel das Wort.

13.17

Bundesrat Dr. Paul Tremmel (Freiheitliche, Steiermark): Herr Präsident! Herr Staatssekretär! Meine Damen und Herren! Auch wir werden den vorliegenden Materien die Zustimmung geben, das heißt, keinen Einspruch dagegen erheben. Bitte fassen Sie ergo dessen, Herr Staats


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sekretär, die vorgebrachten, nicht Einwände, sondern möglichen Verbesserungsvorschläge als solche auf, und sehen Sie sie nicht gleich als Kritik.

Ich komme zum Bundesgesetz, mit dem das Bundeshaushaltsgesetz geändert wird. Grundsätzlich ist es zu begrüßen, daß hier eine Verwaltungsvereinfachung durch Meldung an den Finanzminister bei Verfügung über Bundesvermögen erfolgt. Wir hätten gerne – und ich habe das auch im Ausschuß angeregt –, daß wir, die Nationalräte wie auch die Bundesräte – wir sind zwar ein föderalistisches Organ der Länder, aber es gibt ja Bundesvermögen, das überlappend in die Länder hineingreift –, diesbezüglich Informationen bekommen, was quartalsweise erfolgen könnte.

Mir wurde darauf entgegnet: Ja, diese bekommt ihr dann, wenn ausgegliedert oder sonst irgend etwas in diese Richtung unternommen worden ist. Es liegt hier quartalsweise eine Liste vor, und in diese Liste hätten wir gerne Einsicht genommen. Es wurde dann von der zuständigen Dame gesagt, es gebe ja sehr gute Verbindungen zwischen Finanzministerium einerseits und Mandataren andererseits. Das glaube ich schon, in manchen Fällen funktioniert es auch, aber ich hätte es ganz gerne, daß wir als Vertreter des Souveräns über diese Möglichkeiten informiert werden. Das zum einen.

Zum Ausfuhrerstattungsgesetz. In diesem Zusammenhang sind die wichtigsten materiellen Bereiche bereits von meinen Vorrednern ausgeführt worden. Es handelt sich um eine EU-Anpassung in Form einer Richtlinie, die uns zugekommen ist und die wir zu vollziehen haben. Wir vollziehen sie, weil sie vernünftig ist.

Zum dritten, zum Katastrophenfondsgesetz: Es wurde sehr gelobt. Ich lobe es auch, bin allerdings nicht der Meinung, meine Damen und Herren, daß es zeitgerecht beschlossen wird. Es handelt sich um ein Anlaßgesetz, wobei hier durchaus das Wort "Anlaß" als positiv zu sehen ist. Aber eigentlich hätten wir dieses Gesetz schon vorher gebraucht. Es hat Katastrophen gegeben, bei denen man dann durch verschiedene Finanzierungsarten eingreifen mußte. Jetzt haben wir dieses Katastrophenfondsgesetz – Anlaß dafür war die Katastrophe in Galtür.

Wenn Kollege Hensler von seinem Heimatort spricht und sagt, bei dieser seinerzeitigen Katastrophe war der verwaltungsmäßige Weg zur Vergütung der aufgetretenen Schäden, die nicht versicherungsmäßig gedeckt waren, ein noch wesentlich schwierigerer, dann ist das auch ein Beweis dafür.

Es haben bei diesen Katastrophen immer wieder freiwillige Helfer, Rettung, Bergrettung, alle möglichen Bereiche, aber vor allem das Bundesheer geholfen, und es hat in äußerst professioneller Art und Weise geholfen. Der Ausbildungsstand der Mannschaften, die in Galtür tätig waren, vor allem der Hubschrauberpiloten, ist Weltklasse. Nur sind sie mit einem Gerät behaftet, das 30 oder 40 Jahre alt ist und das in anderen Armeen vielleicht bereits antiquarischen Wert hätte. Und das stört mich im Zusammenhang mit dieser Materie ganz besonders.

Jetzt könnte eingewendet werden, es werden ja jetzt diese zwölf Hubschrauber angeschafft. Faktum ist – und das ist der Kernpunkt meiner Ausführungen –, daß das Bundesheer in diesem Fall nichts zurückerstattet erhält. Ich weiß, 30 Millionen Schilling sind für Sprit und so weiter geleistet worden, die die ausländischen Freunde und Gäste aus dem Bereich der NATO und der neutralen Länder ersetzt bekommen haben. Es sind auch die Personalkosten übernommen worden, aber das Gerät, das das Bundesheer hier zur Verfügung gestellt hat, ist teilweise völlig überaltert. Ich hörte von einem nicht mehr gebrauchsfähigen Hubschrauber. Darüber hinaus sind diese Hubschrauber zum Teil wieder ins Ausland zu friedenschaffenden Missionen in das Kosovo verlegt worden.

Derzeit stehen dem Bundesheer zwei Hubschrauber für die Ausbildung zur Verfügung – nicht mehr und nicht weniger. Und ich frage mich, wie der Standard der Ausbildung der Piloten gewahrt werden kann, wenn sie alle im Ausland tätig sind. Wie sollen hier die Leute ausgebildet werden? Es bildet sich hier eine riesige Lücke, und richtigerweise haben die Vorredner ausgeführt – von der Hochwasserkatastrophe hat Kollege Hensler gesprochen –: Fast das gesamte


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Pioniergerät des Bundesheeres befindet sich derzeit im Ausland. Ich wurde seinerzeit, als ich das hier gesagt habe, belächelt.

Katastrophen kann man nicht planen, es ist eine Gewalt, gegen die wir uns nicht wehren können. Aber vorsorgen könnten wir, und die wichtigste Einrichtung, die uns bei diesen Katastrophen hilft, ist das österreichische Bundesheer, und das muß mit entsprechendem Gerät ausgestattet sein (Beifall bei den Freiheitlichen), und es muß gewährleistet sein, daß die Ausbildung unserer Soldaten den besten Stand erreicht. Derzeit ist das nicht der Fall.

Meine Damen und Herren! Bei der Heeresgliederung-Neu hat man gesagt – das ist dem Situationsbericht 1996 zu entnehmen –, daß diese dann erfolgreich ist, wenn zumindest 1 Prozent des Bruttoinlandsproduktes für die Landesverteidigung aufgewendet wird. Derzeit sind es meines Wissens 0,78 Prozent; Slowenien hat doppelt soviel, die Schweiz hat fast dreimal soviel. Ich komme wieder auf die Hubschrauber-Situation zu sprechen: Wir haben von den vorgesehenen Spritmengen für die Ausbildung nur mehr 30 Prozent zur Verfügung, 70 Prozent brauchen wir für andere Einsatzvorbereitungen, für Aufgaben, die das Bundesheer aufgetragen bekommen hat: Grenzsicherung, EU-Angelegenheiten, Luftaufnahmen für Ministerien, Institute, Museen et cetera. Für die Ausbildung verbleibt nichts mehr.

Was bedeuten meine relativ langen Ausführungen dazu? Daß dem Bundesheer, wie es schon oftmals zugesagt wurde, diese außerordentlichen Einsätze zu erstatten sind. Nach unserer Durchrechnung fehlen dem Heer derzeit an solchen Erstattungskosten bereits 2 Milliarden Schilling.

Meine Damen und Herren! Wir wollen doch, daß dieses Instrument, daß diese Menschen, die als erste bei Katastrophen immer zur Hand sind und die auch angefordert werden, nicht ausgehungert werden.

Ergo dessen erlaube ich mir namens der Freiheitlichen Partei folgenden Entschließungsantrag zu Tagesordnungspunkt 5 einzubringen:

Entschließungsantrag

der Bundesräte Dr. Tremmel, Dr. Bösch, Dr. d'Aron, Mag. Gudenus, Weilharter betreffend Erhöhung des Landesverteidigungsbudgets zur Aufrechterhaltung der Einsatzbereitschaft des österreichischen Bundesheeres gemäß § 2 Wehrgesetz

Der Bundesrat wolle beschließen:

"Die Bundesregierung wird aufgefordert, budgetäre Maßnahmen vorzubereiten, die es ermöglichen, dem Bundesministerium für Landesverteidigung alle zusätzlichen Kosten der Assistenz- und Auslandseinsätze des Bundesheeres aus dem Jahr 1998 und des ersten Quartals 1999 noch heuer zu refundieren."

*****

Meine Damen und Herren! Es handelt sich nicht um eine Notlage unseres Landes, aber es könnte daraus eine Notlage des Landes werden, wenn wir dieses Instrument, das wir alle haben wollen, nicht entsprechend finanziell fördern, und vor allem, wenn wir ihm nicht die nötige geistige Unterstützung geben. Ich bitte, nehmen Sie diesen Entschließungsantrag an! (Beifall bei den Freiheitlichen.)

13.26

Vizepräsident Jürgen Weiss: Der von den Bundesräten Dr. Paul Tremmel und Kollegen eingebrachte Entschließungsantrag betreffend Erhöhung des Landesverteidigungsbudgets zur Aufrechterhaltung der Einsatzbereitschaft des österreichischen Bundesheeres gemäß § 2 Wehrgesetz ist genügend unterstützt und steht demnach mit in Verhandlung.


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Als nächster zu Wort gemeldet hat sich Herr Staatssekretär Dr. Wolfgang Ruttenstorfer.

13.27

Staatssekretär im Bundesministerium für Finanzen Dr. Wolfgang Ruttenstorfer: Herr Präsident! Hoher Bundesrat! Ich freue mich sehr, daß alle drei Gesetzesmaterien hier Zustimmung finden. Ich freue mich besonders, daß sie allgemein angenommen werden, denn das gibt mir immer wieder Unterstützung hinsichtlich Maßnahmen zur Verwaltungsreform, die es uns ermöglichen, die Leistungen des Staates effizienter, als dies bisher der Fall war, zu erbringen. Hier sehe ich ein hohes Maß an Übereinstimmung, und das erleichtert diese Maßnahmen.

Ich freue mich natürlich auch darüber, daß die Novelle zum Katastrophenfondsgesetz hier Zustimmung findet. Es ist in solchen Katastrophenfällen absolut notwendig, daß der Staat einspringt und das Risiko für die notleidenden Menschen reduziert oder beseitigt. Ich kann insbesondere in diesem Fall sagen, daß der Bund der Landesverteidigung zusätzlich insgesamt 30 Millionen für Hubschraubereinsätze, für Personaleinsätze, Material und Treibstoff, für all dies, zur Verfügung stellt. (Bundesrat Dr. Tremmel: Für die ausländischen Hubschraubereinsätze!)

Generell zur Frage der Finanzierung des Bundesheeres, weil diese Frage in diesem Zusammenhang aufgegriffen wurde, einige Bemerkungen. Wir haben – das ist richtig – ein Budget, das etwa bei 0,8 Prozent des Bruttoinlandsproduktes liegt, das sind etwa 20,5 Milliarden Schilling für das Verteidigungsbudget. Ich gebe allerdings zu bedenken, daß dieser Wert mit jenen anderer Länder nicht direkt vergleichbar ist, weil wir aufgrund der Eigenheit unserer Ausgabenzurechnung nicht alle Ausgaben des Bundesheeres wirklich in diesem Kapitel haben. Denken Sie an die Pensionen für ehemalige Mitarbeiter der Landesverteidigung, die aus dem Budget des Finanzministeriums bezahlt werden. Es gibt aber auch einige andere größere Kostenpositionen, die beim Sozialministerium oder bei anderen Ressorts angesiedelt sind.

Würde man all diese Positionen zusammenfügen, dann wäre man wahrscheinlich sehr bald bei dem von Ihnen genannten einem Prozent, das kann ich Ihnen versichern. Und ich kann Ihnen auch ankündigen, daß wir derzeit dabei sind, eine Studie in Auftrag zu geben, die eine größere Kostenwahrheit, Ausgabenwahrheit auch im Bundesbudget sicherstellen soll, damit wir von den richtigen Zahlen reden, wenn man in Richtung internationaler Vergleiche geht.

Zweiter Punkt: Diese über 20 Milliarden Schilling, die der Verteidigungsminister Jahr für Jahr zur Verfügung hat, sind ein riesiger Betrag. Ich komme aus der Wirtschaft und bin gewöhnt, mit kleineren Beträgen zu rechnen, aber jeder von Ihnen, glaube ich, kann sich vorstellen, daß 20 Milliarden Schilling für alle praktischen Verhältnisse ein riesiger Betrag sind. Davon geht etwa die Hälfte, als rund 10,5 Milliarden, für Personal auf, und die anderen 10 Milliarden stehen Jahr für Jahr für Investitionen und Instandhaltung, Treibstoff und Material zur Verfügung.

4 Milliarden Schilling sind doch ein gewaltiger Betrag, der für Investitionen im engeren Sinn bestimmt ist, also für neue Projekte, nicht für Instandhaltung. 4 Milliarden Schilling pro Jahr ist ein signifikanter Betrag.

Es ist natürlich eine Frage der absoluten Beträge, aber es ist auch eine Frage der Setzung von Prioritäten. Ich glaube, daß wir alle mit Geld vorsichtig umgehen müssen. Wir müssen versuchen, Prioritäten zu setzen. Wir müssen dies auch im Bereich der Landesverteidigung tun. Daher begrüße ich es sehr – ich habe an der Entscheidungsfindung auch mitgewirkt –, daß wir jetzt relativ kurzfristig Transporthubschrauber, die sich als fehlend herausgestellt haben, kaufen. Das Luftkonzept der Verteidigung hat zuerst andere Prioritäten gesetzt. Es hat sich aber – in Galtür bei der bedauernswerten Katastrophe, aber auch jetzt in bezug auf Albanien – deutlich gezeigt, daß Transporthubschrauber, die auch im Katastropheneinsatz für uns sehr wichtig sind, fehlen. Daher begrüße ich es sehr, daß der zur Verfügung stehende Betrag von 4 Milliarden Schilling, der übrigens vom nächsten Jahr an angehoben wird, auch dazu verwendet wird, unsere Transporthubschrauberflotte auf den neuesten internationalen Stand zu bringen. – Danke. (Beifall bei der SPÖ.)

13.32

Vizepräsident Jürgen Weiss: Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.


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654. Sitzung / Seite 74

Wünscht noch jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall.

Die Debatte ist geschlossen.

Wird von der Berichterstattung ein Schlußwort gewünscht? – Das ist offensichtlich auch nicht der Fall.

Die Abstimmung über die vorliegenden Beschlüsse des Nationalrates erfolgt getrennt.

Wir kommen zunächst zur Abstimmung über den Beschluß des Nationalrates vom 21. April 1999 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Bundeshaushaltsgesetz geändert wird.

Ich bitte jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den vorliegenden Beschluß des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Es ist dies Stimmeneinhelligkeit.

Der Antrag ist angenommen.

Wir kommen weiters zur Abstimmung über den Beschluß des Nationalrates vom 21. April 1999 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Katastrophenfondsgesetz 1996 geändert wird.

Ich bitte jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den vorliegenden Beschluß des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Es ist dies Stimmeneinhelligkeit.

Der Antrag ist angenommen.

Es liegt zu diesem Tagesordnungspunkt ein Antrag der Bundesräte Dr. Paul Tremmel und Kollegen auf Fassung einer Entschließung betreffend Erhöhung des Landesverteidigungsbudgets zur Aufrechterhaltung der Einsatzbereitschaft des österreichischen Bundesheeres gemäß § 2 Wehrgesetz vor.

Ich lasse nun über diesen Entschließungsantrag abstimmen.

Ich bitte jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die diesem Antrag zustimmen, um ein Handzeichen. – Es ist dies Stimmenminderheit.

Der Antrag ist abgelehnt.

Wir kommen schließlich zur Abstimmung über den Beschluß des Nationalrates vom 21. April 1999 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Ausfuhrerstattungsgesetz geändert wird.

Ich bitte jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den vorliegenden Beschluß des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Es ist dies Stimmeneinhelligkeit.

Der Antrag ist angenommen.

7. Punkt

Beschluß des Nationalrates vom 21. April 1999 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Hochleistungsstreckengesetz und das Bundesgesetz zur Errichtung einer "Brenner-Eisenbahn-Gesellschaft" geändert werden und Regelungen über die Einhebung und Festsetzung von Benützungsentgelt für bestimmte Hochleistungsstrecken festgelegt werden (1644 und 1732/NR sowie 5930/BR der Beilagen)


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654. Sitzung / Seite 75

8. Punkt

Beschluß des Nationalrates vom 21. April 1999 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Privatbahnunterstützungsgesetz 1988 geändert wird (1645 und 1733/NR sowie 5931/BR der Beilagen)


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654. Sitzung / Seite 76

Vizepräsident Jürgen Weiss:
Wir gelangen nun zu den Punkten 7 und 8 der Tagesordnung, über welche die Debatte ebenfalls unter einem abgeführt wird.

Es sind dies:

Bundesgesetz, mit dem das Hochleistungsstreckengesetz und das Bundesgesetz zur Errichtung einer "Brenner-Eisenbahn-Gesellschaft" geändert werden und Regelungen über die Einhebung und Festsetzung von Benützungsentgelt für bestimmte Hochleistungsstrecken festgelegt werden sowie

Bundesgesetz, mit dem das Privatbahnunterstützungsgesetz 1988 geändert wird.

Die Berichterstattung über diese Punkte hat Frau Bundesrätin Mag. Melitta Trunk übernommen. Ich bitte Sie um die Berichte.

Berichterstatterin Mag. Melitta Trunk: Herr Präsident! Wirklich geschätzter Herr Minister! Geschätzte Kollegen und Kolleginnen! Der vorliegende Bericht des Ausschusses für Wissenschaft und Verkehr befaßt sich inhaltlich mit folgenden Schwerpunkten:

1. Möglichkeit zur Verhängung einer vorläufigen Sicherung (Bauverbot) im voraussichtlichen Geländestreifen ab Einleitung des Trassenverordnungsverfahrens.

2. Möglichkeit, daß sich die Eisenbahn-Hochleistungs-AG und Brenner-Eisenbahn-Gesellschaft an einer europäischen, wirtschaftlichen Interessenvereinigung beteiligen.

3. Möglichkeit per Verordnung, die Eisenbahn-Hochleistungs-AG und Brenner-Eisenbahn-Gesellschaft zur Durchführung von Hochleistungsstreckenvorhaben für Dritte zu ermächtigen.

4. Klarstellung des Kostenersatzes an die Brenner-Eisenbahn-Gesellschaft.

5. Ergänzung der bestehenden Regelung, daß im Rahmen der Schieneninfrastrukturfinanzierung dieser Gesellschaft das Benützungsentgelt für ÖBB-Strecken zukommt, hinsichtlich aller für den Bund von der Eisenbahn-Hochleistungs-AG und Brenner-Eisenbahn-Gesellschaft zu bauender Strecken.

Der Ausschuß für Wissenschaft und Verkehr stellt nach Beratung der Vorlage am 4. Mai 1999 mit Stimmenmehrheit den Antrag, keinen Einspruch zu erheben.

Der zweite Bericht des Ausschusses für Wissenschaft und Verkehr befaßt sich mit dem Beschluß des Nationalrates vom 21. April 1999 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Privatbahnunterstützungsgesetz 1988 geändert wird.

Das bisher geltende Privatbahnunterstützungsgesetz, welches in der Vergangenheit mehrmals verlängert wurde, war mit 31. Dezember 1998 befristet. Mit der vorliegenden Novellierung ist eine weitere Verlängerung, mit Modifikationen, vorgesehen, da es weiterhin verkehrspolitisches Ziel ist, Leistungen des Eisenbahnverkehrs der Privatbahnen abzugelten und Finanzierungsbeiträge zu ihrer Sicherung und Modernisierung zu leisten. Bezüglich der finanziellen Auswirkungen ist festzuhalten, daß sich durch die Novellierung keine finanziellen Auswirkungen über die bisherigen Anforderungen hinausgehend ergeben. Die Konformität mit dem EG-Recht ist gegeben.

Der Ausschuß für Wissenschaft und Verkehr stellt nach Beratung der Vorlage am 4. Mai 1999 mit Stimmeneinhelligkeit den Antrag, keinen Einspruch zu erheben.

Vizepräsident Jürgen Weiss: Ich danke für die Berichterstattung.

Wir gehen in die Debatte ein, die über die zusammengezogenen Punkte unter einem abgeführt wird.

Zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesrat Dr. André d'Aron. Ich erteile es ihm.

13.37

Bundesrat Dr. André d'Aron (Freiheitliche, Wien): Sehr geehrter Herr Vizepräsident! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Sehr geehrte Damen und Herren! Die vorliegenden Novellen zu den Bundesgesetzen betreffend Hochleistungsstreckengesetz, Brenner-Eisenbahn-Gesellschaft und Regelungen über die Einhebung und Festsetzung von Benützungsentgelt für bestimmte Hochleistungsstrecken sowie zum Privatbahnunterstützungsgesetz zwingen zunächst zu einer kurzen Betrachtung der Situation der Eisenbahn in Österreich.

Im wesentlichen geht es, was die Eisenbahn in Österreich anbelangt, um vier Kernbereiche. Das ist einerseits der Bereich Bau und Erhaltung, zweitens der Bereich Betrieb, drittens der Bereich Markt, und zwar einerseits hinsichtlich der Kunden und Gebietskörperschaften und andererseits zwischen den Eisenbahnunternehmen in Österreich, und viertens der Bereich Finanzierung.

Wenn man diese Gesetze genauer behandeln will, muß man sich natürlich auch die Gesamtzusammenhänge anschauen. Wie ist derzeit der Bestand?

Für Bau und Erhaltung haben wir in Österreich die Hochleistungsstrecken-Aktiengesellschaft, die Brenner-Eisenbahn-Gesellschaft, den Infrastrukturbereich der ÖBB und auch Private, die wiederum die entsprechenden Unterstützungen nach dem Privatbahnunterstützungsgesetz genießen können beziehungsweise auch regionale Unterstützungen haben.

Für den Bereich "Betrieb der Bahn" haben wir in Österreich die ÖBB und auch diverse Privatbahnen, und es gibt auch entsprechende Vorgaben der EU, die wir nunmehr umsetzen, was letztlich dazu führen wird, daß internationale Eisenbahnunternehmen nach Österreich kommen werden. Da gilt jedoch der Grundsatz, daß ein internationaler Schienenverkehr niemals an einer Grenze aufhören kann. Das ist auch international zu betrachten. Daher haben die EU-Regelungen, die vorliegen, natürlich ihre Berechtigung.

Dies wird natürlich auch noch dadurch angeheizt, daß den Österreichischen Bundesbahnen als nahezu Monopolist auf dem Eisenbahnsektor ein ständiger Marktanteilsverlust im Personenverkehr in den letzten Jahren passiert ist. Das fordert geradezu internationale Eisenbahnunternehmen, vor allem deutsche und französische – letztere sind auch schon in Deutschland tätig – heraus, nach Österreich zu kommen.

Zum Bereich Infrastruktur: Es ist evident, daß es einen deutlichen Rückstau von Eisenbahninfrastruktur in Österreich gibt. De facto gibt es in Österreich nach wie vor die Eisenbahninfrastruktur aus der Zeit der Monarchie – mit nur geringen Verbesserungen, vor allem in den letzten Jahren.

Nun zu einzelnen Kritikpunkten, die wir im Zusammenhang mit den vorliegenden Gesetzentwürfen sehen und die auch ein bißchen unsere Wünsche für die Zukunft darstellen. Da ist, wie ich es zunächst schon ausgeführt habe, die Vielzahl der Gesellschaften im Bereich der Schieneninfrastruktur.

Herr Bundesminister! Ist diese Vielzahl wirklich notwendig? Sie selbst planen nunmehr gemäß einem Artikel in der Zeitung "Die Presse" – da steht: "Konkurrenz für die ÖBB. Österreich als Vorreiter bei der Liberalisierung der Bahn." – die Schaffung eines Rail-Regulators. Da muß man sich als Jurist schon fragen: Haben Sie so wenig Vertrauen in die Kartellgerichtsbarkeit Österreichs, oder geht es darum, daß der Rail-Regulator nicht nur eine Entscheidungsfunktion haben soll, daß Bahnen auf das Infrastrukturnetz kommen, sondern vielmehr die Funktion hat, daß sie kommen. Das wäre sozusagen ein Akquisitionsinstrumentarium.


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654. Sitzung / Seite 77

Dieser Rail-Regulator ist als Behörde geplant, und ich gehe davon aus, daß diesbezüglich das AVG gelten wird, was bedeutet, daß er voraussichtlich dieser Entscheidungsfunktion, auch wenn man ein richterliches Organ hinzuzieht, nicht so nachkommen können wird, wie das die Kartellgerichtsbarkeit tun kann.

Aber zurück zur Vielzahl der Gesellschaften, die ich schon angesprochen habe. Wir haben heute im Bundesrat eine Anfrage bezüglich Wetterdienste eingebracht. In diesem Bereich gibt es eine ähnliche Situation, nämlich eine Vielzahl von Wetterdiensten. Es gibt eine Aussage des Bundeskanzlers zur Verwaltungsreform, in welcher das als Beispiel angeführt wurde.

Wir sehen das schon in einem Zusammenhang. Wir wollen haben, daß die Institutionen in Österreich auf ein Minimum reduziert werden, Verwaltungssynergien genutzt werden. Wozu so viele Personal- und Budgetabteilungen?

Unser zweiter Kritikpunkt, den wir im Zusammenhang mit diesen Gesetzesvorlagen sehen, ist die parteipolitische Einflußnahme und die Postenbesetzung bei den Gesellschaften, die ich schon genannt habe.

In der letzten Bundesratssitzung haben wir eine dringliche Anfrage bezüglich Postenschacher in Österreich eingebracht und haben darin auch ausgeführt, daß proporzmäßige Aufteilungen erfahrungsgemäß nicht zu einer Qualitätsverbesserung und schon gar nicht zur Schlagkraft eines Managements führen, und zwar ganz einfach deshalb, weil sich die notwendige Gruppendynamik, die heute in einem modernen Management gefordert ist, letztlich nicht ergeben kann.

Herr Bundesminister! Ich frage Sie: Planen Sie in diesem Zusammenhang Maßnahmen in jene Richtung, daß Parteipolitik zugunsten sachlicher Qualifikation zurückgedrängt wird, und werden Sie somit den Tenor des Postenbesetzungsgesetzes stärker hervorstreichen?

Ein weiterer Kritikpunkt, der von vielen hier im Bundesrat geäußert wird – auch von Bundesräten der ÖVP und der SPÖ –, ist die fehlende bestmögliche Behandlung des Kunden von seiten der Eisenbahnen. Es hat im Parlament eine Sitzung gegeben, in welcher es um die Tarifreform gegangen ist, und dabei wurde von allen Fraktionen festgestellt, daß deutliche Mängel bestehen, was die Behandlung des Kunden anbelangt. Wir glauben daran, daß jedes Unternehmen – und ein Eisenbahnunternehmen soll auch ein Unternehmen sein – den Kunden in den Vordergrund zu stellen hat und nicht die eigenen Produkte. Nicht die Nabelschau soll stattfinden, sondern der Kunde soll im Vordergrund stehen! (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Erfreulich ist natürlich der Umstand, daß in der vorliegenden Novelle zum Brenner-Eisenbahn-Gesetz vorgesehen ist, daß mit dem Kunden "Ausland" ebenso eine Beteiligung möglich ist.

Nächster Kritikpunkt: Wir sind schon Vorreiter in der Umsetzung der EU-Richtlinien zu unserem Nachteil. Ich frage Sie, Herr Bundesminister: Welche Maßnahmen werden Sie ergreifen, damit Länder, wie zum Beispiel Frankreich, die vorliegenden EU-Richtlinien entsprechend rasch umsetzen? Was bedeutet nämlich die Nichtumsetzung der EU-Richtlinien zum Beispiel durch Frankreich? Das bedeutet, daß auf der einen Seite französische Schienenverkehrsunternehmen nach Deutschland gehen und deutsche Schienenverkehrsunternehmen wiederum nach Österreich wollen, auf der anderen Seite aber österreichische Schienenverkehrsunternehmen keine Chancen haben.

Wie sieht im Rahmen dieser Gesetzgebung das Verhältnis zu den Bürgern aus? – Gemäß § 5 des vorliegenden Entwurfes zum Brenner-Eisenbahn-Gesetz dürfen Neu-, Zu- und Umbauten nicht vorgenommen werden – und zwar gilt das für eine bestimmte Zeit –, wenn ein Trassenverlauf bestimmt wurde. Daraus ergeben sich keinerlei Entschädigungsansprüche. Das bedeutet die Wegnahme von Rechten ohne Entschädigung, eine Art Konfiskation, und das wiederum öffnet doch in Wirklichkeit für planende Gesellschaften Tür und Tor, möglichst großdimensionierte Planungen durchzuführen.

Weiterer Punkt: Es erfolgt eine Verschiebung der budgetären Belastung – das ist eine Art Schönung des Bundesbudgets – in Subgesellschaften.


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Im § 7 des zitierten Entwurfes kommt auch ein gewisses Mißtrauen den ÖBB gegenüber zum Ausdruck. Demnach sind notwendige Kooperationsverträge zwischen der Brenner-Eisenbahn-Gesellschaft und den Österreichischen Bundesbahnen abzuschließen. Man hat den Eindruck, daß den Österreichischen Bundesbahnen oder der Brenner-Eisenbahn-Gesellschaft nicht zugetraut wird, daß sie privatwirtschaftliche Abkommen abschließen können.

Nun einige Bemerkungen auch zum Privatbahnunterstützungsgesetz. Gott sei Dank haben die österreichischen Privatbahnen eine gewisse Chance, auf ihren regional sehr beschränkten Märkten im Interesse der Kunden tätig zu werden. Aber in diesem Zusammenhang hätten wir natürlich gerne eine Förderung nach stärker objektivierbaren Gesichtspunkten.

Wir Freiheitliche wollen ein gut funktionierendes, entpolitisiertes Schienenverkehrssystem in Österreich, welches auch eine internationale Ausrichtung hat und bei welchem die Steuermittel effizient eingesetzt werden. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Herr Bundesminister! Die freiheitliche Fraktion sieht zwar den Nachholbedarf bei den österreichischen Privatbahnen ein und wird diesem Gesetzentwurf deshalb auch zustimmen, unverständlich ist ihr aber die Aufsplitterung von Infrastrukturverkehrsbereichen in Gesellschaften und Institutionen.

Genauso wie wir das im Nationalrat getan haben, bringen wir jetzt auch im Bundesrat einen Entschließungsantrag ein. Dieser lautet:

Entschließungsantrag

der Bundesräte Dr. d'Aron und Kollegen betreffend die Schaffung einer einheitlichen Bahninfrastrukturgesellschaft

Der Bundesrat wolle beschließen:

"Der Bundesminister für Wissenschaft und Verkehr wird aufgefordert, durch Zusammenlegung aller im Staatsbesitz befindlichen Bahninfrastrukturgesellschaften, also insbesondere der HL-AG und der BEG, mit dem zu verselbständigenden Infrastrukturunternehmensbereich der ÖBB" – wir gehen davon aus, daß das auf Sicht gesehen stattfinden wird – "und der Finanzierungsgesellschaft SCHIG für eine klare Organisationsstruktur im Bereich der Bahninfrastruktur zu sorgen."

*****

Danke. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

13.47

Vizepräsident Jürgen Weiss: Der von den Bundesräten Dr. d'Aron und Kollegen soeben eingebrachte Entschließungsantrag betreffend die Schaffung einer einheitlichen Bahninfrastrukturgesellschaft ist genügend unterstützt und steht demnach mit in Verhandlung.

Nächster Redner ist Herr Bundesrat Georg Keuschnigg. – Bitte.

13.47

Bundesrat Georg Keuschnigg (ÖVP, Tirol): Sehr geehrter Herr Präsident! Geschätzter Herr Bundesminister! Meine Damen und Herren! Da ich heute zum erstenmal vor diesem Mikrophon stehe, darf ich ein herzliches Grüß Gott sagen und meiner Hoffnung Ausdruck verleihen, daß wir miteinander in diesem Hause einige Dinge für unser Land weiterbringen können. (Beifall bei der ÖVP und bei Bundesräten der SPÖ und der Freiheitlichen.)

Ich möchte heute zur Novellierung des Bundesgesetzes zur Errichtung einer Brenner-Eisenbahn-Gesellschaft reden. Sie ist gerade für das Bundesland, aus welchem ich komme, von großer Bedeutung. Die Errichtung einer neuen alpenquerenden Eisenbahntransversale von


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München nach Verona, mit den Kernbereichen der Zubringerstrecke durch das Tiroler Unterinntal und dem Brenner-Basistunnel ist ein Tiroler, ist ein österreichisches, ist ein europäisches Großprojekt, über das seit mehr als 20 Jahren gesprochen und das seit 10 Jahren intensiv betrieben wird.

Bis jetzt ist es gelungen, die neue Brennerstrecke auf die Liste der vorrangigen europäischen Verkehrsinfrastrukturprojekte zu bringen sowie die erforderlichen dreistelligen Millionenbeträge für die Planung von europäischer Seite freizubekommen. Das Projekt ist auf der Teilstrecke Inntalzubringer inzwischen soweit gediehen, daß vor wenigen Tagen der Probestollen für die Hangtunneltrasse angeschlagen werden konnte.

Das vorliegende Gesetz ist ein Beitrag dazu, dieses Großprojekt in mehrfacher Hinsicht weiterzutreiben. Erstens wird damit die Möglichkeit geschaffen, per Verordnung die voraussichtlichen Trassen freizuhalten. Das ist notwendig. Es sind aber noch viele Details offen, die zu verhandeln sind. Ich denke da an die Entschädigungen für Grundeigentümer, aber auch an die Eingriffe in die regionalen und lokalen Raumordnungen.

Zweitens wird damit die Möglichkeit geschaffen, daß die Planungs- und Errichtungsgesellschaft zweckgerichteten europäischen Interessenvertretungen beitreten kann.

Meine Damen und Herren! Sie alle wissen, daß ein Projekt in dieser Größenordnung nur realisiert werden kann, wenn europaweit das entsprechende Lobbying betrieben wird. Ohne daß man bei der Europäischen Union, ohne daß man bei den Nachbarstaaten, ohne daß man bei den Wirtschaftsverbänden und bei den Umweltvereinigungen aktiv wird, sind die Widerstände gegen solche Projekte in der Regel nicht zu beseitigen.

Der dritte Aspekt behandelt Fragen der Finanzierung. Wenn wir ein so großes Projekt verwirklichen wollen, müssen alle Chancen, das Geld aufzubringen, die Finanzierung sicherzustellen, genützt werden. Die Klarstellungen, die hier getroffen werden, sind Teil eines sich fortentwickelnden Konzeptes. Auch wenn die sogenannte Private Public Partnership bisher wenige erkennbare Spuren hinterlassen hat und in Europa kaum ein brauchbares positives Beispiel auftreibbar ist, sollte man für solche Formen der Zusammenarbeit und der Finanzierung offen sein. Das Gesetz, über das wir hier reden, löst kein Finanzierungsproblem, es schafft aber die rechtlichen Möglichkeiten für solche sinnvollen Partnerschaften.

In Summe werden mit diesem Gesetz einige weitere Mosaiksteinchen gesetzt, die letztlich ein wichtiger Beitrag für das Gesamtbild sein werden.

Hohes Haus! Lassen Sie mich noch ein paar Sätze zu dem Gesamtkonzept sagen. Die Notwendigkeit einer neuen alpenquerenden Eisenbahninfrastruktur steht für mich völlig außer Streit. Der alpenquerende Güterverkehr nimmt weiter rasant zu, und wenn nach der Osterweiterung noch zusätzliche Tonnagen anfallen werden, stößt man im ökologisch sensiblen und tourismusintensiven Alpenraum endgültig an die Grenzen – an die Grenzen der Natur, vor allem aber auch an die Grenzen der Menschen. Der Ausweg kann nur in der Verlagerung des Güterverkehrs auf die Schiene liegen. Deshalb müssen sehr rasch die erforderlichen zukunftsfähigen Infrastrukturen geschaffen werden.

Das nächste sensible Thema, das für Diskussionen sorgen wird, ist, ob dann, wenn die Infrastruktur gebaut ist, die Verlagerung tatsächlich stattfinden wird.

Auch dazu ein offenes Wort. In erster Linie wird der Erfolg davon abhängen, ob der Gütertransport mit der Bahn optimal funktioniert. Da ist das internationale Bahnmanagement in erster Linie gefordert. Ob es betriebswirtschaftlich interessant ist, mit der Bahn zu transportieren, hängt von den Tarifen ab, viel mehr aber noch von einer funktionierenden Logistik bei der Beladung und bei der Entladung und beim Weitertransport der Waren. Es kann der Tarif noch so günstig sein, wenn sich die Waren irgendwo in Oberitalien befinden und tagelang liegenblieben, dann wird dieses Konzept keinen Erfolg haben.


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Ich sage dazu nur eines: Es gibt keine dauerhafte Alternative zur Aufrüstung der Bahn. Die Bahnverwaltungen haben aber die Verpflichtung, Lösungen anzubieten, die sich für die Wirtschaft rechnen, sodaß die Verlagerung auf die Bahn mit einem Minimum an Dirigismus zuwege gebracht werden kann. Der Druck der Alpenländer wird die Verlagerung jedenfalls erzwingen. Bis dahin sind die notwendigen Weichen zu stellen. – Danke für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei ÖVP und SPÖ.)

13.54

Vizepräsident Jürgen Weiss: Nächster Redner ist Herr Bundesrat Erich Farthofer. Ich erteile ihm das Wort.

13.54

Bundesrat Erich Farthofer (SPÖ, Niederösterreich): Sehr verehrter Herr Präsident! Herr Bundesminister! Meine Damen und Herren! Ich will mich zu den Inhalten der gesetzlichen Neuerung nicht äußern – das haben meine Vorredner gemacht –, aber ein paar persönliche Bemerkungen zu den Äußerungen des Eisenbahners und ÖBB-Bediensteten Kollegen d'Aron machen.

Ich darf einmal festhalten – und ich glaube, das müßten Sie wissen –, daß der Herr Bundesminister für Verkehr für den Betrieb der ÖBB nicht verantwortlich ist. Und wenn Sie hier das eigene Nest beschmutzen, ich meine die ÖBB, dann sollten Sie "mea culpa" betreiben, denn soweit ich informiert bin, sind Sie im Management der Österreichischen Bundesbahnen tätig. (Bundesrat Schöls: Ach, so ist das!) Und was das Akquirieren von Personenverkehr anbelangt, so ist das, glaube ich, ganz alleine die Aufgabe des Vorstandes, der Bediensteten und der Verantwortlichen der Österreichischen Bundesbahnen. Der Verkehrsminister ist für die Verkehrspolitik zuständig. (Beifall bei der SPÖ sowie des Bundesrates Schöls. )

Sie waren noch nicht im Haus, Herr Kollege, aber wir haben 1993 dieses Gesetz beschlossen, und wenn ich mich richtig erinnere, waren es gerade die freiheitlichen Mandatarinnen und Mandatare, die eben dieses Gesetz verlangt haben.

Nun einige Bemerkungen zur Kritik des Jungfernredners: Ich begrüße Ihren Willen zur Solidarität und Ihr Bestreben, daß wir gemeinsam in diesem Haus etwas weiterbringen, aber ich bitte Sie, daß in Ihrer eigenen Partei zu forcieren und zu verlangen. Denn Sie dürfen eines nicht vergessen: Da Sie den Alpentransit angesprochen haben und die daraus resultierende Problematik, darf ich Sie als Niederösterreicher daran erinnern, daß wir in Niederösterreich ein ganz großes Problem haben, nämlich den Semmering-Basistunnel. Und niemand anderer als der erste Repräsentant des Landes Niederösterreich hat alles darangesetzt, dieses Projekt zu verhindern. Ich bin davon überzeugt, er wird es nicht verhindern. Das wird ihm nicht gelingen! (Beifall bei der SPÖ. – Zwischenrufe bei der ÖVP. – Bundesrat Ledolter: Nicht nur die Niederösterreicher! Auch die Wienerinnen und Wiener haben sich dagegen ausgesprochen!) Schauen Sie, das sind "Kronen Zeitung"-Umfragen. Darauf lege ich keinen wesentlichen Wert.

Aber, meine Damen und Herren, auf eines möchte ich schon aufmerksam machen, und das mit aller Klarheit. Jetzt bekommen wir den Koralm-Tunnel. Das ist eine wesentliche Verbesserung für die internationale Verbindung vom hohen Norden in den Süden. Da gibt es keine Einwände; von den Steirern nicht, von den Kärntner nicht. Jetzt wird diese Koralm-Bahn fertig, und das ist wirklich eine Bombenverbindung, eine Hochleistungsstrecke, wie wir sie hier besprechen und wie wir sie wollen.

Daneben, meine Damen und Herren, haben wir den Semmering, und dazu möchte ich folgendes sagen: An der Schwelle zum dritten Jahrtausend über einen tausend Meter hohen Berg auf einer Strecke von 25 Kilometern Länge drüberzufahren ist nicht nur politisch ein Humbug, sondern auch technischer Schwachsinn. Glauben Sie mir das! (Bundesrat Ledolter: Sagen Sie das dem Verkehrsminister! – Weitere lebhafte Zwischenrufe bei der ÖVP. – Bundesrat Schöls: Beleidigen Sie nicht die Niederösterreicher!)

Meine Damen und Herren! Wenn diese Strecke, wenn diese verbesserte Südbahn fertig ist, dann ist es nämlich möglich, daß man von Wien über Graz in drei Stunden in Klagenfurt beziehungsweise Villach ist. Und wenn das keine wesentliche Verbesserung der österreichischen


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Verkehrsinfrastruktur ist, dann weiß ich nicht. Aber ich bin davon überzeugt, der VGH wird im Juni entsprechend entscheiden, und der Herr Bundesminister wird die entsprechenden Schritte unternehmen, daß eben dieser unbedingt notwendige Semmering-Basistunnel speziell für Österreich – nicht nur für die Niederösterreicher, die Steirer und die Kärntner – und für ganz Europa gebaut wird. (Beifall bei der SPÖ. – Weitere Zwischenrufe bei der ÖVP.)

Kollege d'Aron! Eine weitere Kritik bezüglich Bürgerbeteiligung. Ich darf Sie am Beispiel des Semmering-Basistunnels, aber auch am Beispiel des Ausbaues der Westbahn oder am Beispiel der Koralm-Strecke daran erinnern, daß hier Hervorragendes von der Hochleistungsstrecken AG geleistet wird. Sie können das mitverfolgen. Es gibt Bürgerinitiativen, die angehört werden, und zwar schon in der Vorlaufphase. Sie können sich da nicht herstellen und sagen, daß die Verantwortlichen das Ohr nicht beim Volk haben. Sie können das wirklich mitverfolgen. Das sei festgehalten. (Bundesrat Dr. d′Aron: Das ist die falsche Taktik!)

Und noch eines – und darauf bin ich sehr stolz, meine Damen und Herren –: Wenige wissen es, aber ich habe die ehrenvolle Aufgabe gehabt, Österreich zwei Jahre lang im Europaparlament zu vertreten, und es war kein Geringerer als der Verkehrskommissar Kinnock und manche andere politisch Denkende, die die Österreicher immer wieder hervorgehoben und gesagt haben, hier wird wirklich hervorragende Verkehrspolitik gemacht.

Nehmen Sie die Zahlen im Güterverkehr! Wir sind europaweit Spitze. Und noch einmal, Herr Kollege d'Aron: Das sollte Sie als Eisenbahner wissen und das speziell immer wieder, wo Sie die Möglichkeit dazu haben, auch hervorheben.

Grundsätzlich wurden – das habe ich mir auch aufgeschrieben – die PPP-Modelle kritisiert, aber, meine Damen und Herren, Werndorf ist ein Paradebeispiel für Private Public Partnership. 900 Millionen Schilling werden investiert! Das wird europaweit ein Pilotprojekt, und es ist zu hoffen, daß es in Zukunft vermehrt solche Beispiele geben wird. Also das ist nicht so, daß es nur eine Idee von irgend jemandem ist, sondern das hat sehr wohl Hand und Fuß.

Meine Damen und Herren! Da mich Herr Kollege Schöls emotional bezüglich Niederösterreich und Herrn Pröll kritisiert hat, darf ich abschließend folgendes bemerken, lieber Fredi: Die Solidarität der ÖVP, speziell der niederösterreichischen ÖVP, habe ich vor wenigen Tagen präsentiert bekommen. Wir haben im Vorjahr hier in diesem Hohen Haus beschlossen, die Franz-Josef-Bahn – diese geht in meine Heimat, das ist die Verbindung von Wien über Gmünd, Budweis, Prag, Berlin – zur Hochleistungsstrecke zu erheben. Es waren im speziellen die SPÖ-Mandatare des Waldviertels, an der Spitze unser Verkehrsausschuß-Obmann des Nationalrates, Rudi Parnigoni, die bestrebt waren, sinnvolle Verbindungen für die Pendler herzustellen. Es ist uns gelungen – sehr geehrter Herr Bundesminister, Sie haben mit dazu beigetragen –, daß wir einen Paradezug bekommen haben, nämlich den Waldviertel-Express. Dieser bleibt nur im Waldviertel stehen und fährt dann im Weinviertel und im Wiener Raum durch.

Niemand Geringerer als die ÖVP-Niederösterreich – gemeinsam mit der ÖVP-Klosterneuburg – versucht jetzt, diesen Paradezug als einen Pimperlzug hinzustellen, indem sie sich den Halt in Klosterneuburg erkauft.

Lieber Fredi! Ich fordere dich auf, deine Parteifreunde darauf hinzuweisen, daß das für mich ein Separatistendasein darstellt – ich sage das mit aller Deutlichkeit –, denn da gibt es keine Solidarität innerhalb der ÖVP, wenn solch ein Paradezug stückerlweise abgeschnitten wird und wieder eine relativ schlechte Verbindung in den Wiener Raum entsteht. Ich bitte dich wirklich – du hast doch Verständnis für die Waldviertler (Bundesrat Schöls: Ich kenne das Waldviertel!)  –, den Herrn Verkehrssprecher, der in Gmünd zu Hause ist, darauf hinzuweisen, daß diese Aktivitäten vielleicht in Zukunft unterlassen werden.

Meine Damen und Herren! Grundsätzlich: Meine Fraktion wird dieser Gesetzesvorlage die Zustimmung geben. (Beifall bei der SPÖ.)

14.02


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654. Sitzung / Seite 82

Vizepräsident Jürgen Weiss:
Zu einer tatsächlichen Berichtigung hat sich Herr Bundesrat Dr. d'Aron zu Wort gemeldet.

Ich weise darauf hin, daß eine tatsächliche Berichtigung die Dauer von 5 Minuten nicht überschreiten darf. Sie hat sich überdies auf die Wiedergabe der zu berichtigenden Behauptung und die Darstellung des berichtigten Sachverhalts zu beschränken.

Ich erteile Herrn Bundesrat d'Aron das Wort.

14.02

Bundesrat Dr. André d'Aron (Freiheitliche, Wien): Herr Vizepräsident! Herr Kollege Farthofer! Wissen Sie, was das Management eines Unternehmens ist, wenn Sie mir vorwerfen, ich sei Mitglied des Managements der ÖBB? – Das würde bedeuten, ich bin Mitglied des Vorstandes der Österreichischen Bundesbahnen, oder ich bin vielleicht auch noch in der nächsten Ebene. (Bundesrat Farthofer: Es gibt auch ein darunterliegendes Management!) Das ist nicht der Fall. Erkundigen Sie ein bißchen, und werfen Sie mir nicht etwas Falsches vor, oder stellen Sie etwas Falsches dar! (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Zweitens: Sie haben hier dargestellt und mir gegenüber vorgeworfen, daß ich etwas über die Bürgerbeteiligung zum Beispiel Semmering gesagt haben soll. Das war nicht Bestandteil meiner Rede. Bitte hören Sie mir in Zukunft mehr zu! (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Drittens: Sie haben erklärt, daß ich die Österreichischen Bundesbahnen beschmutzt habe. Wie Sie das aus der Rede entnehmen konnten, ist mir unklar. Ich habe mich nämlich dafür eingesetzt, daß diese internationalisiert werden. Sie haben das nicht gemacht. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Viertens: Herr Kollege Farthofer! Ich würde Ihnen, wenn Sie außerhalb der Bundesratssitzungen Zeit haben, empfehlen, einmal das Bundesbahngesetz und auch über die Aufsichtsrechte des Bundesministers zu lesen. (Bundesrat Farthofer: Das habe ich schon gelesen, da waren Sie noch gar nicht im Bundesrat!) Wenn Sie es schon gelesen haben, lesen Sie es bitte noch einmal, damit es wieder in Ihre Erinnerung kommt. Dann werden Sie sehen, welche Kompetenzen der Herr Bundesminister hat. Genau auf diese Kompetenzen bin ich in meiner Rede eingegangen. – Danke. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

14.04

Vizepräsident Jürgen Weiss: Nächster Redner ist Herr Bundesrat Willi Grissemann. Ich erteile ihm das Wort.

14.04

Bundesrat Wilhelm Grissemann (Freiheitliche, Tirol): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Hoher Bundesrat! Geschätzte Damen und Herren! Dies ist meine erste Rede im Hohen Haus, und ich freue mich schon auf die Arbeit und hoffentlich gelegentlich auch auf die Zusammen arbeit. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Ich beziehe mich mit meiner Wortmeldung auf die Novellierung des Bundesgesetzes betreffend die Brenner-Eisenbahn-Gesellschaft, wobei die Namensgebung etwas irreführend ist, bezieht sich doch die Tätigkeit dieser Gesellschaft zunächst auf die Planung, auf die Bestimmung des Trassenverlaufes und, wie gesagt, zunächst auf den Bau der Trasse durch das Tiroler Unterland.

Niemand, meine Damen und Herren, wird ernsthaft glauben, daß eine prosperierende Wirtschaft und damit die Sicherung von Arbeitsplätzen ohne Verkehr auf Straße und Schiene möglich ist. Außer Streit steht auch, daß unser ganzes Sinnen und Trachten darauf ausgerichtet sein muß, jede nur mögliche Tonne von der Straße weg auf die Schiene zu bringen.

Hoher Bundesrat! Uns Freiheitlichen ist auch klar, daß durch dieses Gesetz für die Zukunft die Voraussetzung geschaffen wird, daß endlich auch Wettbewerb auf die Schiene kommt und möglich wird. Gesellschaften wie zum Beispiel die DB Cargo oder die Bayerische Trailergesell


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schaft warten nur auf den Startschuß für den Schienen-Freeway und eine fahrplanmäßige Trassenfreigabe auch für Konkurrenzunternehmen der ÖBB. Möge durch diesen Startschuß auch unsere leider etwas verschlafene ÖBB aufwachen.

Warum wir Freiheitlichen dieser Vorlage, Punkt 7 der heutigen Tagesordnung, unsere Zustimmung nicht geben, ist rasch gesagt. Die Regierungsparteien SPÖ und ÖVP haben uns folgendes versprochen:

Erstens: Die Substanz des Transitvertrages bleibt erhalten. – Tatsächlich kann von einer Öko-Punkte-Knappheit, die den Transit beschränken würde, keine Rede mehr sein. Österreich beanspruchte damals im Rahmen der EU-Beitrittsverhandlungen für seine Frächter über 2,3 Millionen Öko-Punkte. Tatsächlich werden jedoch nur 1,5 Millionen von Österreich benötigt. Die restlichen 800 000 Öko-Punkte müssen gemäß Verhandlungsergebnis an Brüssel zurückgegeben werden. Diese Öko-Punkte werden nun von anderen Ländern genützt, womit natürlich die Transitwelle weiter ansteigt.

Zweitens: Die EU hat die Mitfinanzierung des Brenner-Basistunnels zugesichert. – Klima, 12. 4. 1994; ein Zitat. Tatsächlich ist die Finanzierung des Brenner-Basistunnels geplatzt. EU-Kommissar Neil Kinnock sagte im Jänner 1995 in Brüssel wörtlich: Jeder, der glaubt, die EU finanziert den Brenner-Tunnel, ist ein Narr. 

Weiter meinte Kinnock am 18. Oktober 1995 in Brüssel wörtlich: Für die Finanzierung der Verbindung München – Verona, beinhaltend den Brenner-Basistunnel, sind weiterhin die drei Mitgliedstaaten Deutschland, Österreich und Italien zuständig. 

Drittens: Die erzwungene Senkung der Schwerverkehrsabgabe soll durch Mauten kompensiert werden, um die Bahn konkurrenzfähig zu halten. – Europavertrag SPÖ – ÖVP. – Tatsächlich schädigt die von der EU erzwungene vorgesehene Ausdehnung der Brenner Mautstrecke bis Kufstein Tirols Wirtschaft aufs schwerste.

Meine Damen und Herren! Trotz der zweifellos vorhandenen Bemühungen Italiens, auch die Zulaufstrecken rasch in Angriff zu nehmen, ist der Anschluß an die Unterlandtrasse auf lange Sicht noch nicht gegeben. Ganz abgesehen davon gibt es schon viele Zweifler, ob der Brenner-Basistunnel überhaupt notwendig ist und ob nicht der optimale Ausbau der vorhandenen Strecke ökonomisch zielführender wäre, zumal die Trasse derzeit überhaupt nicht ausgelastet ist. Daran ändert auch die Tatsache nichts, daß in Radfeld die Anschlagsfeiern für den Erkundungsstollen für die Hangtunneltrasse für die Zulaufstrecke zum Brenner-Basistunnel bereits stattgefunden haben.

Die versprochenen EU-Mittel werden gerade noch für die Planung und für diesen Erkundungsstollen reichen; wenn überhaupt.

Wir Freiheitlichen sind für einen sinnvollen Ausbau des Schienennetzes – Herr Minister, da spreche ich Sie direkt an –, für die Wiederherstellung beziehungsweise bessere Bedienung kleinerer Bahnhöfe und für eine Wiedereröffnung der vielen geschlossenen Güterkassen für den Stückgutverkehr. All dies würde enorm viel Güterverkehr von der Straße nehmen. Freilich, solange die ÖBB täglich Hunderte LKWs auf die Straße bringen und laufend Frächter aufkaufen, macht man quasi den Bock zum Gärtner.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ohne Verlagerungsgarantie oder zumindest Verlagerungsmechanismen werden wir keine Tonne mehr auf die Schiene bringen. Deshalb ist von unserer Seite auch keine Zustimmung zu dieser Vorlage Punkt 7 zu erwarten. (Beifall bei den Freiheitlichen.)


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654. Sitzung / Seite 84

14.09

Vizepräsident Jürgen Weiss: Als nächstem Redner erteile ich Herrn Bundesrat Engelbert Weilharter das Wort. – Bitte.

14.09

Bundesrat Engelbert Weilharter (Freiheitliche, Steiermark): Herr Vizepräsident! Herr Bundesminister! Meine Damen und Herren! Die Regierungsvorlage zur Änderung des Privatbahnunterstützungsgesetzes zielt, so glaube ich, auf drei Bereiche ab.

Erstens geht es um eine Titeländerung des Gesetzes, in Hinkunft soll das Wort "Unterstützung" entfallen – wahrscheinlich deshalb, weil der Begriff "Unterstützung" unpopulär ist. In Hinkunft soll es nur noch "Privatbahngesetz" heißen.

Zweites Ziel dieser Novelle wird eine Verlängerung mit den Betreibern im Hinblick auf die Konzessionen sein, um weiterhin eine Abgeltung der gemeinwirtschaftlichen Leistungen, wie Tarife und Schieneninvestitionen von Haupt- und Nebenbahnen, die nicht vom Bund betrieben werden, zu ermöglichen – wenn auch der Betreiber, das muß auch gesagt werden, in vielen Bereichen die öffentliche Hand ist, wie die Länder; aber es sind auch Privatunternehmungen gemeint.

Das dritte Ziel dieser Novelle ist, daß es zu einer steuerrechtlichen Gleichstellung zwischen den Privatbahnen und den ÖBB kommt. Es geht auch um die Befreiung von der Körperschaftsteuer der im Gesetz definierten Privatbahnen, die selbstverständlich den eisenbahnrechtlichen Bestimmungen unterliegen.

Dies, meine Damen und Herren, sind in Summe die einzigen positiven Auswirkungen dieser Gesetzesvorlage, und sie finden – weil es sich eben um durchaus positive Punkte handelt – unsere Zustimmung.

Meine Damen und Herren! Daß aber dieses Privatbahngesetz wie viele Gesetze rückwirkend per 1. 1. 1999 beschlossen wird, ist sicher nicht nur ein Wermutstropfen, sondern, wie ich meine, symptomatisch für die Koalition und für die Regierung.

Meine Damen und Herren! Diesen Wermutstropfen könnte man bei Nachsicht aller Taxen akzeptieren, wenn das vorliegende Gesetz zumindest eine inhaltliche Aussage über objektive Vergabekriterien für Förderungsmittel treffen würde. Dem ist aber in diesem Gesetz nicht so, denn in § 4 Abs. 1 ist nach wie vor eine Kann-Bestimmung hinsichtlich der Vergabe von Förderungen festgeschrieben. Allein dieses Faktum, meine Damen und Herren, legt ein Zeugnis über eine schlampige Gesetzgebung ab, oder anders gesehen: Es wird damit dem Verkehrsminister die Möglichkeit eingeräumt, parteipolitisch vorzugehen. Dies wird mittels dieses Gesetzes legitimiert. (Präsident Jaud übernimmt den Vorsitz.)

Das heißt: Privatbahnen, die dem Minister parteipolitisch nahestehen oder sich im sozialistischen, roten Einflußbereich befinden, bekommen Geld im Überfluß (Zwischenruf bei der SPÖ), während andere finanziell ausgehungert werden. Meine Damen und Herren! Dieses parteipolitische Förderungssystem wird mittels Gesetz legitimiert, und das sehe ich und das sieht meine Fraktion als problematisch an. (Bundesrat Farthofer: Von der Presseförderung in Kärnten, habe ich da etwas gehört?)

Herr Kollege Farthofer! Es gibt genügend Beispiele, die diese von mir gemachten Aussagen belegen. Ich nenne nur ein Beispiel, das Ihnen sicher bekannt ist: die Graz-Köflacher-Bahn. Sie erschließt den roten Zentralraum innerhalb der Steiermark, den Bereich Köflach-Voitsberg. (Bundesrat Payer: Ich habe geglaubt, die Steiermark ist grün!) Wir haben in der Steiermark noch ein etwa gleich großes Unternehmen, die Steirische Landesbahn, die eher den nicht-roten Bereich, also eher die ländlichen Strukturen, erschließt. Die Graz-Köflacher-Bahn bekommt zur Verlustabdeckung 176,5 Millionen, demgegenüber erhält die Steirische Landesbahn klägliche 15 Millionen zur Verlustabdeckung. (Bundesrat Farthofer: Da muß man die Frequenz sehen!)

Herr Kollege! Die Graz-Köflacher-Bahn erhält für die Investitionen 29,4 Millionen Schilling, demgegenüber erhält die Steirische Landesbahn 9 Millionen. Die Graz-Köflacher-Bahn erhält insgesamt für Verlustabdeckung, Investitionen und Tarifausgleich rund 300 Millionen Schilling, während die Landesbahn für Investitionsmaßnahmen, Verlustabdeckung und Tarifausgleich lediglich 34 Millionen bekommt.


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654. Sitzung / Seite 85

Meine Damen und Herren! Zur Verdeutlichung dieses krassen Mißverhältnisses nenne ich jetzt die Streckenlängen: Die Graz-Köflacher-Bahn hat eine Streckenlänge von 92 Kilometern, während die Landesbahn eine Streckenlänge von 126 Kilometern betreibt.

Herr Kollege Farthofer! Sie können alles verneinen, aber vielleicht ist der nächste Punkt der wirkliche Grund: Die Steirische Landesbahn hat einen nicht-sozialistischen Vorsitzenden der Personalvertretung (Bundesrat Farthofer: Das ist ein Fehler!), während die Graz-Köflacher-Bahn einen Sozialisten als Vorsitzenden der Personalvertretung hat. Bekommt deshalb die Graz-Köflacher-Bahn 300 Millionen Schilling und die Steirischen Landesbahnen nur 34 Millionen? – Das ist parteipolitisches Vorgehen! Da steht eindeutig sozialistisches Denken und Handeln im Vordergrund.

Meine Damen und Herren! Bei SPÖ-dominierten Privatbahnen zahlt der Bund – das sei auch gesagt –, wo es im sozialistischen Interesse liegt, natürlich auch die Zusatzpensionen und die Beiträge für Pensionsrücklagen in Milliardenhöhe – in Milliardenhöhe!; auch bei der von mir genannten Bahn –, während – auch wieder als Vergleich – in nicht SPÖ-dominierten Bereichen die Bahnunternehmungen selbst dafür aufkommen müssen.

Es ist daher im vorliegenden Gesetzentwurf weder ein Ansatz zur Gleichbehandlung gegeben, noch ist beim vorliegenden Gesetzentwurf die Rede von Objektivierung. Der vorliegende Entwurf enthält keine Regelung über objektive Vergabekriterien und keinen fairen Bedarfskatalog, also keinen Katalog darüber, nach welchen Kriterien die Förderungsmittel vergeben werden sollen.

Meine Damen und Herren! Der vorliegende Beschluß des Nationalrates geht daher an den logischen Zielen und Erfordernissen vorbei, und daher darf ich namens meiner Fraktion folgenden Entschließungsantrag einbringen:

Entschließungsantrag

der Bundesräte Engelbert Weilharter und Kollegen betreffend Objektivierung der Förderungsvergabe an Privatbahnen

Der Bundesrat wolle beschließen:

"Der Bundesminister für Wissenschaft und Verkehr wird aufgefordert, für die Vergabe der Unterstützungen gemäß dem Privatbahnunterstützungsgesetz eine objektive, nachvollziehbare und gerechte Basis zu schaffen.

Der Bundesminister für Wissenschaft und Verkehr wird weiters aufgefordert, dem Parlament alljährlich einen Bericht über die Verwendung der Mittel im Detail und die beantragten, aber nicht unterstützten Projekte zu legen."

*****

Meine Damen und Herren von der sozialdemokratischen Fraktion! Wenn dem von mir Gesagten nicht so ist, werden Sie mit Freude unserer Entschließung Ihre Zustimmung geben. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

14.18

Präsident Gottfried Jaud: Der von den Bundesräten Weilharter und Kollegen eingebrachte Entschließungsantrag betreffend Objektivierung der Förderungsvergabe an Privatbahnen ist genügend unterstützt und steht demnach in Verhandlung.

Weiters zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesrat Ing. Kurt Scheuch. Ich erteile ihm dieses.

14.18

Bundesrat Ing. Kurt Scheuch (Freiheitliche, Kärnten): Meine sehr geehrten Damen und Herren! Hochgeschätzter Bundesrat! Sehr geehrter Herr Präsident! Wie Sie alle wissen, stamme ich


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654. Sitzung / Seite 86

aus einem Land, dessen Bevölkerung sich durch besondere Freiheits- und Gerechtigkeitsliebe auszeichnet. Wahrscheinlich ist das auch der Grund dafür, daß ich über einen Teil dieser Regierungsvorlage ganz besonders zornig und auch ein wenig beschämt bin; denn es kann nur zwei Möglichkeiten geben: Entweder haben die Mitglieder des Bundesrates nicht die gesamte Regierungsvorlage genau und gewissenhaft durchgelesen, oder es herrscht bei einigen Mitgliedern ein getrübtes Gerechtigkeitsverständnis.

Warum mache ich diese starke und auch sehr provokante Behauptung? – Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte Sie auffordern, die schriftliche Regierungsvorlage aufzublättern und § 5 durchzulesen. Im § 5 ist zu lesen:

"Nach Bestimmung des Trassenverlaufes ... dürfen auf den von der künftigen Hochleistungsstreckentrasse betroffenen Grundstücksteilen ... Neu-, Zu- und Umbauten nicht vorgenommen werden". – Und jetzt kommt der entscheidende Satz, meine sehr geehrten Damen und Herren: "Ein Entschädigungsanspruch kann hieraus nicht abgeleitet werden." (Bundesrat Dr. Böhm: Das ist ja verfassungswidrig!)

Wer glaubt, daß das nicht steigerungsfähig ist, der lese § 5a der Regierungsvorlage:

Ist "die Bestimmung eines Trassenverlaufes in einer Trassenverordnung in absehbarer Zeit zu erwarten, so kann der Bundesminister für Wissenschaft und Verkehr" – er sitzt hier neben mir – "einen Geländestreifen ... für den geplanten Trassenverlauf vorläufig mit Verordnung bestimmen." "Ein Entschädigungsanspruch kann hieraus" – wiederum – "nicht abgeleitet werden." (Zwischenruf des Bundesrates Dr. Tremmel. )

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das sind kommunistische Vorgangsweisen, schwere Eingriffe in das Privatrecht von Privatpersonen. Gerade Sie von der Fraktion der ÖVP müßten in diesem Fall auf meiner Seite stehen und diesen Mißstand beseitigen! – Sie können den Kopf schütteln, so viel Sie wollen, Sie gehören anscheinend auch zu jenen, die es nicht gelesen haben.

Ich finde mich mit meiner Meinung in guter Gesellschaft, meine sehr geehrten Damen und Herren, denn es gibt diesbezüglich ein Schreiben der Republik Österreich, nämlich des Bundesministeriums für Justiz an das Bundesministerium für Verkehr. In diesem Schreiben heißt es – ich zitiere wörtlich –: Im § 5a Abs. 2 wird bestimmt, daß aus der Erlassung einer Verordnung nach Abs. 1 ein Entschädigungsanspruch nicht abgeleitet werden kann. Diese Regelung ist im Licht des Artikels 1 des Zusatzprotokolls der Europäischen Menschenrechtskonvention – ich hoffe, Sie haben dieses Wort gehört – äußerst bedenklich.

Weiters kommen in diesem Schriftstück Sätze vor wie: Dies erscheint aus der Sicht des Bundesministeriums für Justiz nicht akzeptabel.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sie werden heute mit Ihrer Abstimmung Ihren Sinn für Gerechtigkeit in diesem Land unter Beweis stellen und sich hier deklarieren müssen. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Eines sei abschließend gesagt: Die Freiheitliche Partei wird auf der Seite der betroffenen Grundeigentümer stehen und deren Interessen sehr wohl nach wie vor wahrnehmen. – Danke. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

14.22

Präsident Gottfried Jaud: Weiters zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesrat John Gudenus. Ich erteile es ihm.

14.23

Bundesrat Mag. John Gudenus (Freiheitliche, Wien): Herr Präsident! Herr Bundesminister! Meine Damen und Herren! Es stimmt mich traurig, wenn der Herr Bundesminister die Ausführungen meines Vorredners wohlwollend, zustimmend und stillschweigend kommentiert, denn ich


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halte die von Kollegen Scheuch vorgebrachten vorgesehenen Regelungen betreffend die Enteignung schlichtweg für verfassungswidrig. (Bundesrat Dr. Tremmel: So ist es!)

Herr Bundesminister! Sehr verehrte Kollegen und Kolleginnen! Eine Enteignung kann nur aufgrund von Gesetzen – nun, das hätten wir damit – vorgenommen werden plus  – das ist die österreichische Form der Enteignung – Entschädigung, sonst wäre es, wie Kollege Scheuch gesagt hat, eine kommunistische Vorgangsweise, und eine solche wollen wir doch in unserem Staat nicht haben.

Herr Bundesminister! Es wäre erfreulich, wenn Sie heute hier zu diesem Thema einige Erläuterungen abgeben könnten. Vielleicht haben wir alle uns geirrt, vielleicht hat Kollege Scheuch aus einem falschen Papier zitiert, und Sie wissen es besser – das tun Minister immer, sie sind die ersten Diener des Staates. Ich hoffe, Sie dienen hiemit auch dem österreichischen Volk und der Bevölkerung insgesamt.

Betroffen sind nur selektive Gruppen der Bevölkerung, nämlich jene Personen, über deren Grund oder unter deren Grund eine solche Eisenbahn geplant ist. Wenn es die gesamte Bevölkerung träfe, könnte man sagen: Es trifft jeden zu einem gewissen Teil!, aber aus persönlichen Erfahrungen weiß ich, auch im Straßenbau, daß es immer nur einzelne trifft und nicht alle. Und diejenigen, die es trifft, sind dann jene, die für die Volksgemeinschaft alles geben müssen, damit dem Fortschritt gedient wird. Dieser Fortschritt, Herr Bundesminister, ist aber nicht jener, den ich mir vorstelle, obwohl ich Ihnen in manchen Bereichen recht gebe.

Wie Sie beim "Straßen-Tag" vor einer Woche verlauten ließen, hat die Schiene einen akuten Nachholbedarf von mehr als 35 Jahren, denn es wurde viermal mehr in die Straße investiert als in die Schiene. Das mag zutreffen. Sie erwähnten auch die Prognosen darüber, welche große Verkehrszuwächse voraussagen. Sie erklärten auch, daß es bedauerlich sei, daß das starke Wachstum zuungunsten der Schiene verläuft. Das ist ein Punkt, den ich später noch kurz anreißen möchte, weil ich mich frage, warum es bedauerlich ist, daß es zuungunsten der Schiene verläuft.

Sie meinen, Mensch und Umwelt müssen geschützt werden, ohne den Wirtschaftskreislauf zu stören. Darin gebe ich Ihnen recht, nur: Wird durch diese Art, die Sie meinten, nämlich Enteignung ohne Entschädigung, nicht der Wirtschaftskreislauf gestört? Wird nicht der Mensch, der davon betroffen ist, in seiner privatwirtschaftlichen Entfaltung beeinträchtigt zum Vorteil all jener, die diese Beeinträchtigungen nicht hinnehmen müssen?

Sie erwähnten in Ihren Ausführungen zum "Straßen-Tag" auch, daß Österreich seit 1995 aus dem EU-Haushalt 1 Milliarde Schilling an Zuschüssen bekommen hat. Nun ja: 1 Milliarde Schilling österreichisches Steuergeld, Herr Bundesminister, kam zurück nach Österreich. Das hätten wir auch ohne den Umweg machen können. Man sollte sich daher nicht immer über EU-Zuschüsse so sehr freuen, da das Geld schon einmal von hier nach Brüssel geschickt wurde. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Sie meinen auch, daß der Master-Plan notwendig und die Verlagerung des Verkehrs auf umweltfreundliche Verkehrsträger ein Ziel sei. Dem widersprach am "Straßen-Tag" unter anderem Ministerialrat Estermann vom Handelsministerium, der meinte, daß die verkehrspolitisch erhofften Vermeidungs- und Verlagerungseffekte auf die Schiene nicht eintreten würden. Es ist daher zu hinterfragen, ob der Master-Plan des Verkehrsministers, das geplante drastische Übergewicht von Schienenausbauten noch gerechtfertigt ist. Diese Frage stelle ich bei diesem Thema, welches das heute gar nicht so akkurat festlegt, auch: Ist es noch gerechtfertigt, den Schienenausbau in diesem Maße zu fördern? – Es ist dabei nicht in Frage gestellt, daß von den 12 Milliarden Schilling, die in den nächsten Jahren verwendet werden, 2,5 Milliarden für die Straße aufgebracht werden sollen und 0,5 Milliarden für den Ausbau der Donau vorzusehen sind.

Der Master-Plan weist insgesamt eine Größenordnung von ungefähr 300 Milliarden Schilling auf. Der österreichische Steuerzahler muß sich in diesem Zusammenhang, wenn er das erfährt, fragen: Wie soll das jemals finanziert werden?


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Unter anderem kommt man deshalb auf diese Größenordnung, weil der Master-Plan besonders teuer ist. Er sieht eine Aneinanderreihung von extrem langen und kostenintensiven Tunnelprojekten beziehungsweise Tunnelketten, welche dominieren, vor. Er dient damit einer kleinen, aber sehr einflußreichen Lobby, der sogenannten Tunnellobby. Dieser Master-Plan verzichtet auf kostengünstige Überlegungen wie artreine Streckenführung, zum Beispiel beim Brenner-Basistunnel, oder kürzeste Verbindungen im topographisch günstigen Gelände.

Es ist verkehrspolitisch nicht zu verantworten, praktisch alle verfügbaren Finanzmittel nur in einen Verkehrsträger zu investieren. Es wird von Ressourcenschonung und Schadstoffminimierung gesprochen, Herr Bundesminister! Nun ja, die Eco-Bilanz müßte man von beiden Seiten aus anschauen oder wie bei einem Würfel vielleicht von allen sieben Seiten, oder hat er nur sechs?

Wärmekraftwerke werden mit fossilen Brennstoffen beschickt. Sie befördern sehr viel Kohlendioxid in die Atmosphäre. Diese Wärmekraftwerke sollen die Bahn speisen. Auch die Oberleitungsverluste der Bahn sind nicht zu marginalisieren. Wird das berücksichtigt? Oder die Schallemission: Da scheint die Bahn an die Grenzen der technischen Machbarkeit geraten zu sein. Die Maßnahmen zur Geräuschminderung im Schienensystem halten der Entwicklung, wie sie im Straßenverkehr möglich ist, nicht stand.

Der Landverbrauch ist bei Schienenprojekten entschieden größer als bei Straßenprojekten. Durch den relativ großen Abstand zwischen den Zügen liegt die Kapazität der Schiene auch bei moderner Signaltechnik hinter jener der Straße. So benötigt die Bahn bei vier Minuten Zeitabstand und 90 Stundenkilometern Fahrgeschwindigkeit für den Transport von 25 LKWs oder vergleichbaren Transporteinheiten sechs Kilometer Streckenlänge. Auf einer ebenso langen Autobahnfahrspur könnten 100 LKWs mit entsprechenden Sicherheitsabständen fahren – also vier Mal soviel!

Oder etwa die Gewichtsverhältnisse: Sie werden immer als besonders für die Eisenbahn sprechend angeführt. – Im Personenverkehr müssen in verkehrsarmen Zeiten vielfach fast leere Züge geführt werden, wodurch oft ein Gewichtsverhältnis von 100 bis 200 Tonnen Zuggewicht für fünf bis zehn beförderte Personen entsteht.

Auch die Staukosten: Wie oft haben Züge Verspätung, weil nicht alles so läuft, wie es vorgesehen ist, etwa bei Aufenthalten in Verschiebebahnhöfen!

Also kurz gesagt: Überlegen Sie sich, Herr Bundesminister, diesen Master-Plan genau! Es ist der Schienentransport für den Fernverkehr sicherlich von Vorteil für die Güter, im städtischen Nahverkehr ist er ein Vorteil für die Personen, aber die Überlappung dieser beiden Gruppen, nämlich Lastverkehr und Personenverkehr, in diesen Master-Plan zu integrieren, scheint Ihnen weder kostengünstig noch bürgerfreundlich gelungen zu sein. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

14.32

Präsident Gottfried Jaud: Weiters zu Wort gemeldet hat sich Herr Bundesminister für Wissenschaft und Verkehr Dr. Caspar Einem. Ich erteile ihm dieses.

14.32

Bundesminister für Wissenschaft und Verkehr Dr. Caspar Einem: Herr Präsident! Hoher Bundesrat! Erlauben Sie mir, daß ich zu einigen der angesprochenen Themen Stellung nehme.

Zunächst vielleicht zu der von Herrn Bundesrat d'Aron aufgeworfenen Frage: Was soll der Rail-Regulator? – Es ist zwar nicht das Thema, das heute den Hohen Bundesrat beschäftigt, denn wie Sie wissen, ist der entsprechende Vorschlag erst in Begutachtung, die Antwort darauf ist allerdings relativ leicht: Es geht nicht darum, daß er Wettbewerb akquirieren soll, das ist Aufgabe der Marketing-Abteilung oder von wem auch immer, aber nicht die des Regulators. Der Regulator soll dafür sorgen, daß es faire Bedingungen gibt. Wenn Sie sagen, das Kartellgericht könne das besser, so werden Sie als Jurist auch selbst beurteilen können, wofür dieses zuständig ist, jedenfalls nicht für das Wettbewerbsverhalten gegenüber unterschiedlichen Wettbewerbern auf einer Strecke.


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Im übrigen sprechen ganz eindeutige Erfahrungen dafür, diesen Weg zu wählen, nämlich jene, die wir, und zwar europaweit, im Zuge der Regulierung des Telekommunikationsbereiches gemacht haben. Überall dort, wo es um die Frage des Netzzugangs, der fairen Behandlung auch neuer, vielfach kleinerer Wettbewerber durch den sogenannten "incumbent operator", den großen, ehemaligen Monopolisten geht, haben sich diese Formen von Regulierungsbehörden als außerordentlich zweckmäßig erwiesen, selbst dann, wenn sie ein, wie ich zugebe, das Verfahren nicht gerade beschleunigendes Verfahrensrecht anzuwenden haben. Es sichert andererseits allerdings die Rechtsstaatlichkeit des Verfahrens, und daher soll es auch angewendet werden.

Ich denke, daß wir auch in Österreich genügend und mittlerweile überwiegend positive Erfahrung mit einer derartigen Einrichtung, nämlich der Telekom-Kontrollkommission, gemacht haben, daher wäre es meiner Meinung nach durchaus sinnvoll, dieses Modell auf den Bereich des Eisenbahnverkehrs zu übertragen, zumal vernetzte internationale Systeme wie das Schienensystem oder die Telekommunikationssysteme von ihrer Problemstellung und daher auch von ihrer Regelungsnotwendigkeit her relativ vergleichbar sind.

Es ist von mehreren Rednern der Freiheitlichen Partei behauptet worden, daß viele dieser Maßnahmen, seien sie nun gesetzlich oder tatsächlicher Art, ausschließlich dem "roten Postenschacher" dienen und Entscheidungen nicht nach Sachkompetenz gefällt werden. Ich darf Sie herzlich dazu einladen, mir Beispiele, in denen nicht die Sachkompetenz an vorderster Stelle gestanden ist, zu nennen und mich andernfalls mit derartigen Vorwürfen nicht zu behelligen.

Es ist für Sie zwar "nett", immer zu sagen, das geschehe andauernd, aber es wäre ganz gut, gelegentlich auch einen Beweis auf den Tisch zu legen. Wenn Sie mir nachweisen können, daß ich sachinkompetente Personen ausschließlich deshalb, weil sie meiner oder der anderen Regierungspartei angehören, bestellt habe, dann bitte ich um einen entsprechenden Nachweis, ansonsten würde ich darum bitten, auf derartige Äußerungen zu verzichten. (Beifall bei der SPÖ.)

Was die Frage des Wettbewerbs betrifft, haben Sie richtigerweise angesprochen, daß darauf zu achten ist, daß zumindest Gegenseitigkeit gegeben ist. Man sollte nicht den Wettbewerb einerseits im eigenen Land vermeiden, andererseits aber selbst aktiv betreiben! Sie haben Frankreich als Beispiel angeführt. Das sehe ich auch so! Eben weil wir das so sehen, haben wir bereits im Dezember 1997 mit dem Eisenbahnrechtsanpassungsgesetz – kurz EIRAG genannt – die Voraussetzungen für den Wettbewerb auf der Schienenstraße geschaffen, und zwar unter der Bedingung der Gegenseitigkeit. Wir haben damit also den österreichischen Schienenverkehrsmarkt für ausländische Unternehmen unter der Bedingung, daß die österreichischen Eisenbahnverkehrsunternehmen unter gleichen Bedingungen in deren Ländern fahren können, geöffnet.

Tatsache ist jedoch, daß dieser Wettbewerb bis jetzt nicht zustande gekommen ist, weil sich kleine wie größere Tiere in der Regel scheuen, in der Höhle des gegnerischen Löwen zu spielen. Das ist im Grunde genommen nicht besonders überraschend, daher geht es uns darum, nicht nur klare, rechtliche Voraussetzungen durch einen entsprechenden Gesetzesrahmen zu schaffen, sondern gleichzeitig auch eine Wettbewerbsbehörde einzurichten, die sicherstellt, daß Fairneß herrscht. Ohne diese ist ein Wettbewerb nicht denkbar und meines Erachtens weder den Konsumenten noch den Bediensteten der Eisenbahnverkehrsunternehmen zuzumuten. Es geht um faire Bedingungen, sodaß nicht Dumping an vorderster Stelle steht, sondern eine größere Flexibilität und letztlich eine bessere Leistung im Interesse der Kunden das Ziel sind. – In diesem Punkt scheinen wir sogar vergleichbare Interessen zu haben.

Lassen Sie mich ein Wort zur Frage der behaupteten Vielzahl von Eisenbahnverkehrsunternehmen beziehungsweise Unternehmen, die in diesem Sektor tätig sind, sagen. In meiner Kindheit war es viel, wenn die Zahl der Finger einer Hand überschritten war. Bei den Eisenbahnunternehmen haben wir noch nicht einmal die Zahl der Finger einer Hand erreicht: Die SCHIG, die Brenner-Eisenbahn-Gesellschaft, die HL-AG und die ÖBB sind zusammen nur vier. (Bundesrat


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Ing. Scheuch: Drei zuviel!) Das würde ich noch nicht wirklich eine überwältigende Vielzahl nennen.

Ein zweiter Aspekt ist, daß die Aufgaben dieser vier Gesellschaften – mit einer Ausnahme – auch präzise voneinander unterscheidbar sind. Die Ausnahme ist die Brenner-Eisenbahn-AG, die sich von der HL-AG in Wirklichkeit nicht sehr unterscheidet, außer dadurch, daß sie ausschließlich in Tirol tätig ist. Die Begründung für diese beiden Unternehmen ist einfach: Es hat den deutlichen Wunsch des Landes Tirol gegeben, für diese Fragen eine eigenständige Gesellschaft einzurichten, und es hat auch gar keinen Grund gegeben, der dagegen gesprochen hätte, da der dadurch entstehende Mehraufwand zu vernachlässigen ist. Das, worum es geht, ist, eine Gesellschaft in Tirol mit der Planung und letztlich auch mit der Errichtung nicht nur der Unterinntal-Trasse, sondern dann auch mit den weiterführenden Bauarbeiten zu betrauen, von der zu erwarten ist, daß sie diese Planungsaufgaben so durchführen kann, daß der Widerstand der Bevölkerung möglichst gering ist.

Bekanntlich spielt, um es bildlich zu sagen, auch die Frage, ob man die gleiche Sprache spricht, eine Rolle. Es hat im Bewilligungsverfahren und im Umweltverträglichkeitsprüfungsverfahren in Tirol eine Rolle gespielt, daß es Tiroler waren, die dieses Verfahren vorangetrieben haben, und wenn das hilft, Mittel zu sparen und zu einer vernünftigen, auch von den Bürgern akzeptierten Lösung zu kommen, dann bin ich für eine zusätzliche Gesellschaft, das sage ich ganz deutlich! (Beifall bei der SPÖ.)

Die Zusammenlegung all dieser Gesellschaften in der ÖBB-Infrastruktur halte ich unter den gegebenen Bedingungen weder für wünschenswert noch für wahrscheinlich. Ich halte es hingegen für sinnvoll, daß sich die ÖBB-Infrastruktur um die Vermietung von Trassen, was also die Betriebsseite betrifft, und um die Erhaltung und Bewirtschaftung ihres Systems zu kümmern hat.

Andererseits finde ich es sehr zweckmäßig, mit dem Ausbau neuer Strecken eine andere Gesellschaft zu betrauen, weil das eine ganz andere Aufgabe ist. Beide Aufgabenbereiche können durchaus getrennt wahrgenommen werden. Ich halte nicht allzuviel von der Führbarkeit allzu großer Wirtschaftsunternehmen und -einheiten. Ein "Gesamtmantschker" bringt meiner Ansicht nach keine wirklichen Vorteile, die Trennung, soweit sie funktionell nachvollziehbar ist – also hie Finanzierung, hie Ausbau neuer Strecken, hie Betrieb –, halte ich für zweckmäßig, und ich habe daher vor, sie in dieser Form aufrechtzuerhalten.

Vielleicht ein Wort zum Private Public Partnership im Eisenbahnwesen. Es ist richtig, daß bis jetzt noch nicht allzu viele große europäische Projekte erkennbar sind, die sich dieses Finanzierungsmodells bedienen. Das hat einen sehr einfachen Grund: Es gibt nur relativ wenige Konstellationen, in denen sich PPP lohnt. Welche sind das? – Es sind solche Konstellationen, in denen ein Privater aus einer Beteiligung eigene Geschäftsvorteile ziehen kann. Das ist bei Infrastrukturprojekten, die Schienenausbaumaßnahmen zum Gegenstand haben, selten der Fall.

Es gibt solche Beispiele aber sehr wohl! Das ist insbesondere dann der Fall, wenn etwa Flughäfen, die in der Nähe von Hauptstädten liegen, mittels einer speziellen Schnellbahn mit der Hauptstadt verbunden werden sollen. Derartige Projekte sind auch schon erfolgreich realisiert worden, vor allem wenn der Flughafen ein Interesse daran hat, die Abfertigung seiner Flugpassagiere unter Umständen an den Beginn der Reise, nämlich den Einstieg in die Bahn, zu verlagern, anstatt sie erst am Flughafen durchzuführen, und weil das durchaus auch im Interesse der Reisenden ist.

Wir haben in Österreich inzwischen nicht nur das Projekt des Güterverkehrsterminals Werndorf laufen, das sich sehr gut entwickelt und das private Betreiber gemeinsam mit der HL-AG und der SCHIG vorantreiben, sondern auch eine ganze Reihe anderer Projekte, die weniger bekannt sind. Sie betreffen etwa den Ausbau von Bahnhöfen, der durchwegs im Wege des PPP angegangen wird. Es sind dies vor allem Großbahnhöfe, ob das jetzt Salzburg, Innsbruck oder ein anderer Bahnhof ist, da das der Ansatzpunkt für private Interessenten ist, die – sei es, daß sie dort Geschäftslokale einmieten, Büroräumlichkeiten errichten wollen oder eine andere Tätig


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keit planen – mit der Eisenbahn kooperieren und dadurch zum gemeinsamen Nutzen eine vernünftige Finanzierungsform finden.

Weiters sei mir ein Wort zur Frage der wünschbaren und erfolgenden oder nicht erfolgenden Verlagerung von Güterverkehr auf die Schiene gestattet. Hoher Bundesrat! Die Frage, ob das gelingt, ist einerseits eine Frage, ob das Angebot der Bahn paßt, das ist wahr! Dieses Angebot der Bahn muß nicht nur auf die Bedürfnisse der Kunden eingehen, sondern es muß auch preislich oder vom Preis-Leistungs-Verhältnis her wettbewerbsfähig sein. Das ist ein Punkt, an dem gearbeitet werden muß und bei dem im übrigen die Österreichischen Bundesbahnen in den vergangenen Jahren beträchtliche Erfolge erzielt haben. Das wiederum ist auch der Grund dafür, warum sie nun für manche bedeutende Produzenten im In- und Ausland als der Hauptpartner auftreten können, ob das im Bereich der Papierindustrie oder in manchen Bereichen der Stahlindustrie der Fall ist, in denen mit sehr spezifischen Angeboten für diese Kunden Kunden akquiriert und auch gehalten werden können.

Andererseits ist es natürlich auch – das sollte man bei dieser Gelegenheit dazusagen, und da es heute bisher niemand gesagt hat, muß ich es dazusagen – eine Frage, ob das Verhältnis zwischen Straße und Schiene insgesamt stimmt. Wenn wir ein System haben, in dem es in der Praxis für Eisenbahnzüge grundsätzlich eine Schienenverkehrsmaut gibt, die es auf der Straße in dieser Form nicht gibt, dann heißt das, daß die Bahn einen Kostennachteil hat, der jedenfalls politisch zu verantworten ist. Daher geht es auch darum, möglichst rasch ein Road-pricing für LKWs, also eine fahrleistungsabhängige Maut, auch auf der Straße einzuführen und diese nicht nur auf der Schiene zu haben, weil andernfalls die Verhältnisse nicht stimmen. Die Bahn kann nicht gewinnen, wenn sie nicht die gleichen Wettbewerbsvoraussetzungen hat. Wir wollen aber, daß sie gewinnt! (Beifall bei der SPÖ.)

Herr Bundesrat Grissemann hat gesagt, die ausländischen Unternehmen, die bayrischen und andere, warten nur auf die Freigabe von Trassen. – Nein, sie warten nicht! Die Trassen sind bereits frei, und wenn jemand danach gefragt hätte, hätte er sie bekommen. Die Behauptung, daß irgend jemand schon dringlich darauf wartet, ist einfach falsch, Herr Bundesrat! Es wartet niemand dringlich! Es ist auch nicht so, daß alles verstopft wäre, es ist derzeit niemand besonders daran interessiert zu fahren. Dies gilt übrigens auch für die österreichischen Bahnen im Ausland. Auch die Unsrigen fahren nicht sehr gerne hinaus, aber es fährt auch niemand gerne herein. Derzeit gibt es leider noch in ganz Europa die Einstellung, daß Eisenbahnen an der Grenze enden und auf der anderen Seite neue, andere Eisenbahnen beginnen – am besten mit einer anderen Spurweite, einem anderen Stromsystem und natürlich mit anderen Sicherheitsvorschriften, die auch einen neuen Lokführer notwendig machen.

Das gilt es zu ändern, und dafür ist eine europäische Politik notwendig. Aber auch die österreichische Politik ist dafür erforderlich, und all die Schritte, die wir in den letzten beiden Jahren unternommen haben, die wir mit dem Rail-Regulator unternehmen werden, gehen in diese Richtung, nämlich ein leistungsfähiges europäisches Verkehrssystem zu schaffen, Hoher Bundesrat! (Bundesrat Dr. Tremmel: Warum ist das nicht geschehen bis jetzt?)

Zu den Sorgen, die Herr Bundesrat Grissemann zum Brenner-Basistunnel artikuliert hat, ist zu sagen: Es ist zwar durchaus recht, sich um diese Frage jetzt schon Sorgen zu machen, ich denke nur, es ist ein wenig verfrüht. Wir haben jetzt die Situation, daß sich die EU – Herr Bundesrat Gudenus hat schon darauf hingewiesen – an den Planungskosten für den Ausbau der Brennerstrecke, also der Zulaufstrecke zum Brenner, beteiligt, wir haben von der EU in den letzten Jahren insgesamt etwa 1 Milliarde Schilling Zuschüsse aus TEN-Mitteln bekommen.

Herr Bundesrat Gudenus! Wenn Sie der EU feindselig gegenüberstehen, können Sie es auch kürzer sagen: Wir hätten nicht beitreten sollen! Dafür brauchen wir nicht im Detail zu diskutieren. (Bundesrat Mag. Gudenus: Kritisch! Ich bin niemandes Feind!)

Wenn Sie nicht bei der EU sein wollen, dann bräuchten Sie nur dagegenzustimmen. (Zwischenruf des Bundesrates Dr. Tremmel. ) Wir sind jedoch mit Zustimmung einer großer Mehrheit der EU beigetreten – 65 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher haben das richtig gefun


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den. Nun sind wir also dabei, und das bedeutet zwar Kosten, hat aber auch einen beträchtlichen Nutzen. (Bundesrat Mag. Gudenus: Ich bin nicht feindselig!) Ja, Herr General, ist recht! (Heiterkeit. – Bundesrat Mag. Gudenus: Danke! – Weitere Zwischenrufe bei den Freiheitlichen.)

Zur Frage des Entschädigungsanspruches für den Fall von Sicherungsmaßnahmen, den sowohl Gudenus als auch Scheuch angesprochen haben: Sie haben hier "kommunistische Enteignung" gemutmaßt. – Herr Bundesrat! Schön, daß Sie es glauben. (Zwischenruf des Bundesrates Ing. Scheuch.  – Bundesrat Schaufler: Jetzt horchen Sie einmal zu!) Ich denke auch, daß das ganz zweckmäßig wäre! Sie haben vorhin geredet, jetzt rede ich! Sie können nachher darauf antworten. Machen wir uns also einen netten Nachmittag!

Herr Bundesrat! Sie können das natürlich nur von einer Seite aus betrachten und es als Enteignung bezeichnen. Ich halte das aber für Unsinn, weil es natürlich nicht darum geht, Eigentum entschädigungslos und auf Dauer wegzunehmen, sondern es geht dabei um eine Sicherungsmaßnahme, das heißt, die Nutzungsmöglichkeit wird für eine bestimmte Zeit, unter konkreten, zu umschreibenden Bedingungen beschränkt. Und dann, wenn diese zeitlich befristete Beschränkung in eine unbefristete übergeht, soll es eine Entschädigung geben.

Das ist Gegenstand der Regelung, um die es heute geht. Warum ist das vielleicht besser zu rechtfertigen, als Sie es erkennen können? (Bundesrat Weilharter: Das Justizministerium hat aber in seiner Stellungnahme ...!) – Herr Bundesrat! Machen Sie sich mit der Stellungnahme nicht lächerlich! Dies ist eine Regierungsvorlage, der der Herr Justizminister zugestimmt hat. Offensichtlich ist es uns also gelungen, seine Argumente zu entkräften, sonst hätte er nicht zugestimmt. (Bundesrat Mag. Gudenus: So sicher ist das nicht!) Das Begutachtungsverfahren ist der Regierungsentscheidung voran gegangen. Der Herr Justizminister hat ein eigenständiges Vetorecht, weil nur einstimmige Entscheidungen möglich sind. (Bundesrat Dr. Tremmel: Es ist unglaublich, daß Sie sagen, wir machen uns lächerlich, wenn wir ein Schreiben des ...!) Wenn Sie sich auf Stellungnahmen beziehen, die deutlich vor dem Regierungsbeschluß abgegeben wurden und so tun, als ob damit die Stimme des Justizministers "herbeigerufen" werden könnte, so ist das, um mich ganz zurückhaltend auszudrücken, ein nicht besonders überzeugendes Argument, Herr Bundesrat! (Beifall bei der SPÖ und bei Bundesräten der ÖVP. – Bundesrat Dr. Tremmel: Diese Überheblichkeit ist wirklich unglaublich!)

Im übrigen lassen Sie mich noch ein konkretes Gegenbeispiel anführen und dann die Begründung dafür geben, warum ich glaube, daß derartige Sicherungsmaßnahmen durchaus gerechtfertigt sind. Es gibt sowohl die Konstellation, daß ein einzelner für die Gesamtheit Lasten zu übernehmen hat, wie Gudenus das gesagt hat, und dieser eine sozusagen die Kosten hat, als auch jene, daß dieser eine relativ geschickt darin ist, zu hören, wo Projekte geplant werden könnten, und dort rechtzeitig Grund und Boden erwirbt, um beispielsweise an einer Stelle, an der eine Hochleistungsstrecke gebaut werden kann, eine Schottergrube zu betreiben. Diese rechtzeitige Verfügung dessen führt jedenfalls dazu, daß dann alle ordentlich dafür zahlen müssen, daß der gemeinsame Nutzen erzielt werden kann. Die Frage ist, ob Sie das wirklich wünschen, weil das das Gegenstück dazu ist.

Der Grund, warum wir vorläufige Sicherungsmaßnahmen in jenen Fällen ermöglichen wollen, in denen konkrete Projekte unmittelbar vor der Realisierung stehen, ist, daß wir derartige Kosten für die Gemeinschaft, die nämlich alle für einen Spekulanten zu zahlen haben, im Interesse des Gemeinwohls vermeiden wollen und müssen. Und dafür, so denke ich, sollten auch Sie Verständnis haben.

Sollte sich erweisen, daß in solchen Fällen – das wird zweifellos nicht leichtfertig verordnet werden – nachher nicht gebaut wird, dann haben Sie recht. (Bundesrat Ing. Scheuch: ... ist zu zahlen! So einfach ist das!) Aber wenn danach gebaut wird, gibt es nachher eine Entschädigung! In diesen Fällen soll nicht vorher ein einzelner ein gemeinschaftsorientiertes Projekt torpedieren oder sich daran – wie man so schön sagt – "g’sundstoßen" können.

In diesem Sinne ist es, so glaube ich, eine durchaus begründete Maßnahme. (Beifall bei der SPÖ und bei Bundesräten der ÖVP.)

14.50


Bundesrat
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654. Sitzung / Seite 93

Präsident Gottfried Jaud:
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Es ist dies nicht der Fall.

Die Debatte ist geschlossen.

Wird von der Berichterstattung ein Schlußwort gewünscht? – Das ist auch nicht der Fall.

Die Abstimmung über die vorliegenden Beschlüsse des Nationalrates erfolgt getrennt.

Wir kommen zur Abstimmung über den Beschluß des Nationalrates vom 21. April 1999 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Hochleistungsstreckengesetz und das Bundesgesetz zur Errichtung einer "Brenner-Eisenbahn-Gesellschaft" geändert werden und Regelungen über die Einhebung und Festsetzung von Benützungsentgelt für bestimmte Hochleistungsstrecken festgelegt werden.

Ich bitte nun jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den vorliegenden Beschluß des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Es ist dies Stimmenmehrheit.

Der Antrag, keinen Einspruch zu erheben, ist somit angenommen.

Es liegt ein Antrag der Bundesräte Dr. d'Aron und Kollegen auf Fassung einer Entschließung betreffend die Schaffung einer einheitlichen Bahninfrastrukturgesellschaft vor.

Ich lasse über diesen Entschließungsantrag abstimmen.

Ich bitte jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die diesem Antrag zustimmen, um ein Handzeichen. – Es ist dies Stimmenminderheit .

Der Antrag auf Fassung einer Entschließung betreffend die Schaffung einer einheitlichen Bahninfrastrukturgesellschaft ist daher abgelehnt.

Wir kommen zur Abstimmung über den Beschluß des Nationalrates vom 21. April 1999 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Privatbahnunterstützungsgesetz 1988 geändert wird.

Ich bitte jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den vorliegenden Beschluß des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Das ist Stimmeneinhelligkeit.

Der Antrag, keinen Einspruch zu erheben, ist somit angenommen.

Es liegt ein Antrag der Bundesräte Weilharter und Kollegen auf Fassung einer Entschließung betreffend Objektivierung der Förderungsvergabe an Privatbahnen vor.

Ich lasse über diesen Entschließungsantrag abstimmen.

Ich bitte jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die diesem Antrag zustimmen, um ein Handzeichen. – Es ist dies Stimmenminderheit.

Der Antrag auf Fassung einer Entschließung betreffend Objektivierung der Förderungsvergabe an Privatbahnen ist daher abgelehnt.

9. Punkt

Wahl eines Ordners für den Rest des 1. Halbjahres 1999

Präsident Gottfried Jaud: Wir gelangen nun zum 9. Punkt der Tagesordnung: Wahl eines Ordners für den Rest des 1. Halbjahres 1999.


Bundesrat
Stenographisches Protokoll
654. Sitzung / Seite 94

Die Wahl eines neuen Ordners ist durch das Ausscheiden des Herrn Bundesrates Andreas Eisl notwendig geworden.

Es liegt mir der Vorschlag vor, Herrn Bundesrat Engelbert Weilharter für den Rest des 1. Halbjahres 1999 zum Ordner zu wählen.

Da nur ein Wahlvorschlag vorliegt, werde ich die Wahl durch Handzeichen vornehmen lassen.

Ich bitte jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die diesem Wahlvorschlag ihre Zustimmung geben, um ein Handzeichen. – Es ist dies Stimmeneinhelligkeit.

Der Wahlvorschlag ist somit angenommen.

Herr Bundesrat Engelbert Weilharter ist somit für den Rest des 1. Halbjahres 1999 zum Ordner gewählt.

Ich frage den Gewählten, ob er die Wahl annimmt.

Bundesrat Engelbert Weilharter (Freiheitliche, Steiermark): Herr Präsident! Ich nehme die Wahl an. (Beifall bei den Freiheitlichen und bei Bundesräten der ÖVP.)

Präsident Gottfried Jaud: Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Tagesordnung ist erschöpft.

Ich unterbreche nun die Sitzung bis 16 Uhr. Die Sitzung ist unterbrochen.

(Die Sitzung wird um 14.55 Uhr unterbrochen und um 16.03 Uhr wiederaufgenommen. )

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Ich nehme die unterbrochene Sitzung wieder auf.

Dringliche Anfrage

der Bundesräte Dr. Reinhard Eugen Bösch, Dr. André d'Aron, Dr. Peter Böhm, Mag. John Gudenus, Dr. Paul Tremmel und Kollegen an den Bundeskanzler betreffend "Neutralitäts-Lüge" des Bundeskanzlers (1610/J-BR/99)

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Wir gelangen nunmehr zur Verhandlung über die dringliche Anfrage der Bundesräte Dr. Bösch und Kollegen an den Herrn Bundeskanzler.

Da diese inzwischen allen Bundesräten zugegangen ist, erübrigt sich eine Verlesung durch die Schriftführung.

Ich erteile Herrn Dr. Bösch als erstem Anfragesteller zur Begründung der Anfrage das Wort. – Bitte.

16.03

Bundesrat Dr. Reinhard Eugen Bösch (Freiheitliche, Vorarlberg): Frau Vizepräsidentin! Herr Staatssekretär! Meine Damen und Herren! Die "Neutralitäts-Lüge" betitelte die Zeitschrift "FORMAT" ihre Ausgabe vom 26. April 1999 und bezog sich dabei offensichtlich auf die Widersprüchlichkeiten in der österreichischen Sicherheitspolitik im Laufe der vergangenen Wochen und Jahre.

Während der Bundeskanzler unserer Republik beim Europäischen Rat in Berlin im vergangenen März den Einsatz der NATO im Kosovo befürwortete und die Bundesregierung diesen nunmehr durch die EU-Embargo-Maßnahmen gegen Jugoslawien auch unterstützt, versuchten er und seine Partei, die SPÖ, in Österreich die Neutralität zu propagieren und zum Wahlkampfschlager zu machen. Die Neutralität sollte nach seiner Sicht für fünf Jahre außer Streit gestellt und aus dem Wahlkampf herausgehalten werden. (Bundesrat Konecny: Was jetzt: Wahlkampfschlager oder herausgehalten?)


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654. Sitzung / Seite 95

Wenige Tage darauf, Herr Kollege Konecny, konnten die Menschen dieses Landes nur staunen, denn die SPÖ affichierte Plakate für die EU-Wahl, in denen als Punkt 2 von Ihnen postuliert wird: “Das neu
trale Österreich hat die wichtige Aufgabe, als Vermittler zu einer friedlichen Lösung im Balkan beizutragen. Wir setzen" – so sagen Sie dort – "darum unsere aktive Neutralitätspolitik fort." – Wie Ihre Neutralitätspolitik, die Sie nämlich fortsetzen wollen, in den vergangenen Jahren ausgesehen hat, meine Damen und Herren, sind wir gespannt, heute vom Herrn Staatssekretär in der Beantwortung zu erfahren.

Nach Brüssel aber an den Tisch der großen sozialdemokratischen Europäer zu seinen Freunden Tony und Gerhard zurückgekehrt bekräftigte Viktor Klima seine Äußerungen von Berlin und erklärte mit den anderen Staats- und Regierungschefs, "daß der Einsatz schärfster Maßnahmen – einschließlich militärischer Aktionen – notwendig und gerechtfertigt war".

Meine Damen und Herren! Solche Widersprüchlichkeiten muß eine Opposition zum Anlaß nehmen, um die Regierungspolitik zu hinterfragen und von der Regierung eine klare Linie zu verlangen. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Meine Damen und Herren! In dieser Phase der Umwälzungen, in dieser Phase des ersten Krieges Gesamteuropas seit 1945, die wir derzeit erleben, und der Entwicklung eines gemeinsamen europäischen Sicherheitssystems hätte nämlich unsere Republik erstmals seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs die Chance, ihre Sicherheitspolitik frei zu gestalten und einen Beitrag zum Aufbau dieser neuen Ordnung zu leisten. Die Bundesregierung wäre daher in dieser Phase des Umbruchs nach unserer Auffassung gefordert, die entscheidenden sicherheitspolitischen Weichenstellungen zum Wohle unserer Heimat zu treffen. Sie ist aber wie in vielen anderen Fragen uneinig und nicht handlungsfähig. Nahezu jeden Tag wird nämlich von den Mitgliedern der Regierungsparteien ein anderer Standpunkt in Fragen der Sicherheitspolitik vertreten. Aus diesem Grund kommt es auch von seiten der Koalitionsfraktionen zu keiner umfassenden und ehrlichen Diskussion der Sicherheitspolitik im Hohen Hause.

Den vorläufigen Schlußpunkt sahen viele Kommentatoren im Versagen dieser Bundesregierung, den gemeinsam in der Regierungserklärung sogar in Aussicht genommenen Optionenbericht, wie vereinbart, bis zum 31. März 1998 dem Nationalrat vorzulegen.

Meine Damen und Herren! Sowohl die Entscheidungsschwäche der Regierung als auch der Versuch der Diskussionsverhinderung im Parlament und nunmehr durch den Bundeskanzler via Medien haben dazu geführt, daß die Geschichte Österreich zu überholen droht. Die Entwicklung der europäischen Sicherheitsarchitektur schreitet mit schnellen Schritten voran, während die Debatte hier bei uns in Österreich auf der Stelle tritt.

Die Regierungsparteien versuchen, diese rasante Entwicklung immer mehr zu negieren, und verwickeln sich dabei – ich habe es schon erwähnt – in erhebliche Widersprüche. Man gaukelt der Bevölkerung ein Konzept der österreichischen Sicherheit vor, das einerseits aus dem Aspekt der Beibehaltung der Neutralität bei gleichbleibend zu geringen Aufwendungen für die Landesverteidigung besteht und andererseits die Vertiefung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik im Rahmen der EU-Mitgliedschaft – nach dem Amsterdamer Vertrag die Teilnahme an den sogenannten Petersberg-Missionen – vorsieht. Dies bedeutet in der Praxis auch die Übernahme einer Vielzahl von politischen und militärischen Verpflichtungen wie etwa die Bereitschaft zu Kampfeinsätzen, aber keinerlei unmittelbaren Sicherheitsgewinn für Österreich durch den Schutz eines Bündnisses. In kurzen Worten: viele Pflichten und wenig Rechte.

Mit dem Amsterdamer Vertrag und den damit zusammenhängenden Verfassungsänderungen haben Sie, meine Damen und Herren von den Regierungsparteien, die Neutralität endgültig abgeschafft. Sagen Sie nicht, Sie hätten bei Kampfeinsätzen die Möglichkeit zur konstruktiven Enthaltung – wir haben darüber hier an dieser Stelle schon debattiert –, denn der Charakter der immerwährenden Neutralität ist es nämlich, keine Wahlmöglichkeit zu haben, sondern sich völkerrechtlich verpflichtend weder für die eine noch für die andere Seite entscheiden zu können, eben a priori neutral zu sein. Das sind Sie ab jetzt nicht mehr! (Beifall bei den Freiheitlichen.)


Bundesrat
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654. Sitzung / Seite 96

Der Herr Vizekanzler und Außenminister hat die Position seiner Partei heute in der Fragestunde hier vor uns, vor dem Bundesrat, geklärt. Es gibt keine Position. Die ÖVP hat keine klare Linie. (Bundesrat Dr. Tremmel: So ist es! – Beifall bei den Freiheitlichen.)

Während Ihr Verteidigungsminister bis zum Juni 1997 noch für eine Entscheidung über einen NATO-Beitritt im laufenden Jahr eintrat (Zwischenrufe), kündigte er im Oktober deren Verschiebung auf den Herbst 1999 an, auch wenn sich – man höre und staune! – daraus seiner Ansicht nach gravierende Nachteile für Österreich ergeben würden.

Vizekanzler Schüssel legte sich im Laufe des Jahres 1998 auf insgesamt fünf verschiedene Zeitpunkte für die Entscheidung fest und ist sich nun nicht immer ganz sicher, ob er für oder gegen einen Beitritt sein soll, und falls doch, komme dieser aus seiner Sicht heute oder morgen – wir haben es heute früh gehört – sowieso nicht in Frage. (Bundesrat Dr. Linzer: Das ist ein völliger Unsinn! Das war für jedermann klar verständlich! – Bundesrat Dr. Tremmel: Seid ihr jetzt für einen Beitritt oder nicht?)

Die Entwicklungen rund um den Optionenbericht – meine Damen und Herren von der ÖVP, erinnern Sie sich an den Optionenbericht ... (Bundesrat Dr. Tremmel  – in Richtung ÖVP-Fraktion –: Seid ihr für einen Beitritt oder nicht?)

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Am Wort ist Herr Dr. Bösch. – Bitte. (Zwischenruf des Bundesrates Konecny. )

Bundesrat Dr. Reinhard Eugen Bösch (fortsetzend): Frau Vizepräsidentin! Herr Kollege Konecny! Sie haben recht, diese Anfrage gehört eigentlich Ihnen, aber ich schweife etwas auf Ihren Koalitionspartner ab. (Heiterkeit und Beifall bei den Freiheitlichen. – Bundesrat Dr. Linzer: Bleiben Sie bei der Wahrheit!)

Die Entwicklung rund um den Optionenbericht, Herr Kollege, aber vor allem auch das jüngste Verhalten Ihres Klubobmannes im Nationalrat Khol und Ihrer Spitzenkandidatin zur EU-Wahl Stenzel haben gezeigt, daß es der ÖVP mit einer seriösen NATO-Debatte nicht ernst ist. Oder wollen Sie das bestreiten, meine Damen und Herren? (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Die österreichische Bundesregierung ist daher nach unserer Auffassung nicht nur gut beraten, sich nicht nur rasch von Konzepten der Vergangenheit zu trennen, sondern auch an der Entwicklung in Europa vollberechtigt mitzuwirken. Es wäre Ihre Pflicht, den Bürgern mitzuteilen, daß wir zwar als Neutraler in die EU gegangen sind, aber dort vorläufig höchstens als "Bündnisfreier" angekommen sind.

Es wäre auch dringend an der Zeit, die Bürger über den wahren Status Österreichs in den Fragen der Sicherheitspolitik aufzuklären, vor allem auch deshalb, da dieser schleichend und unter Umgehung des Parlaments eingenommen wird. Dies bedeutet, daß die Regierung von ihrer Politik der Verschleierung und Verschweigung sowie der ungesetzlichen Maßnahmen und Schritte ohne Einbindung des Parlaments und der Bevölkerung abzugehen und rasch die nötigen Entscheidungsgrundlagen für die anstehenden Probleme vorzulegen hat.

Der Klärung des sicherheitspolitischen Weges dieser Bundesregierung, meine Damen und Herren, dient die heutige dringliche Anfrage von uns Freiheitlichen an den Herrn Bundeskanzler. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

16.13

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Zur Beantwortung hat sich Herr Staatssekretär Dr. Wittmann zu Wort gemeldet. – Bitte, Herr Staatssekretär.

16.13

Staatssekretär im Bundeskanzleramt Dr. Peter Wittmann: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! In weiten Teilen Ihrer Anfrage beziehen Sie sich auf die Situation im Kosovo. Lassen Sie mich dazu einleitend folgendes grundsätzlich festhalten:


Bundesrat
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654. Sitzung / Seite 97

Österreich hat sich stets aktiv für eine Verhandlungslösung eingesetzt. Der EU-Sonderbeauftragte Wolfgang Petritsch war maßgeblich an den Bemühungen für eine friedliche Lösung beteiligt, die aber am Widerstand Belgrads scheiterten. Österreich unterstützt auch jetzt alle Bemühungen für eine politische Lösung, insbesondere jene des UNO-Generalsekretärs. Es liegt in den Händen von Präsidenten Miloševi
ć, die Vertreibungen zu beenden, die Bedingungen der internationalen Staatengemeinschaft zu akzeptieren und den Weg für Verhandlungen freizugeben.

Nun zur Beantwortung Ihrer Fragen:

Zu den Fragen 1, 9 und 11:

Die Krise im Kosovo hat angesichts der unbeschreiblichen Menschenrechtsverletzungen seitens der Belgrader Führung gewaltige humanitäre Konsequenzen. Laut UNHCR gibt es bereits 1 Million Flüchtlinge und Vertriebene aus dem Kosovo. Bis zu 300 000 intern Vertriebene werden an den Grenzen des Kosovo in allernächster Zukunft noch erwartet. Die Flüchtlinge berichten von massiven Übergriffen, Vertreibung und Mord.

Die Position der internationalen Gemeinschaft dazu ist sehr klar: Diesem unbeschreiblichen menschlichen Elend muß ein Ende gesetzt werden. Die massiven Menschenrechtsverletzungen können nicht geduldet werden. Die internationale Gemeinschaft hat im Rahmen monatelanger Verhandlungen nichts unversucht gelassen, um eine friedliche Lösung zu finden. Zuletzt haben Verhandlungen in Rambouillet und Paris stattgefunden. Präsident Milošević hat sich jedoch einer politischen Lösung verschlossen. Dies haben die Staats- und Regierungschefs der EU auch ganz eindeutig anläßlich des Europäischen Rates von Berlin zum Ausdruck gebracht.

Es liegen nunmehr fünf Forderungen auf dem Tisch, die Präsident Milošević erfüllen muß. Diese fünf Punkte wurden mehr oder weniger gleichlautend von mehreren internationalen Einrichtungen formuliert, nämlich von der Kontaktgruppe am 7. 4., von den EU-Außenministern am 8. 4., von UN-Generalsekretär Annan am 9. 4. und auch von den NATO-Außenministern am 12. 4.

Allein Präsident Milošević hat es jetzt in der Hand, den Weg zu einer zukünftigen politischen Lösung freizumachen. Sein Verhalten ist Ursache dafür, daß die Menschen im Kosovo ihre Heimat verlassen und in die Flucht getrieben werden. Darüber ist sich die internationale Gemeinschaft einig.

Eine zukünftige Lösung der Kosovo-Krise wird sich auf Seite der internationalen Gemeinschaft auf ein gemeinsames Zusammenwirken der verschiedenen internationalen Organisationen stützen müssen. Die Vereinten Nationen sollten die Federführung übernehmen und sich dabei auf die Erfahrungen der verschiedenen Regionalorganisationen vor Ort stützen. Eine solche politische Lösung wird in einen größeren geographischen Kontext passen müssen. Diesbezüglich hat bekanntlich die deutsche EU-Präsidentschaft eine Initiative hinsichtlich eines Stabilitätspaktes für Südosteuropa präsentiert, die von Österreich unterstützt wird.

Oberstes Ziel der internationalen Gemeinschaft muß es sein, den Menschen vor Ort, die derzeit unermeßliches Leid zu erdulden haben, in Zukunft ein Leben in Frieden und Sicherheit zu ermöglichen.

In formaler Hinsicht ist auszuführen, daß die in Österreich geltende Rechtslage der Bewilligung von Überflügen sowie der Durchfuhr von Kriegsmaterial entgegensteht, da kein entsprechendes UN-Mandat vorliegt. Unsere europäischen und auch transatlantischen Partner respektieren diese Haltung.

Zu den Fragen 2, 3 und 4:

Transit- und Überflugsrechte zur Unterstützung der vom UN-Sicherheitsrat autorisierten SFOR werden von den zuständigen Behörden nur dann erteilt, wenn aufgrund des Ermittlungsverfahrens sichergestellt erscheint, daß dies tatsächlich eine Maßnahme zur Durchführung der einschlägigen Beschlüsse des UN-Sicherheitsrates nach Kapitel 7 der UN-Satzung darstellt.


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Bewilligungsbescheide zur Durchfuhr von Kriegsmaterial gelten jeweils nur für den vom Antragsteller angegebenen Zweck, der auch im Bescheid selbst spezifiziert wird. Im übrigen können wir aufgrund des völkerrechtlichen Grundsatzes von Treue und Glauben davon ausgehen, daß die gewährten Transitrechte von den betroffenen Staaten nicht mißbräuchlich verwendet werden. (Bundesrat Dr. Tremmel: Das war schon im Irak so, als die Panzer durchgefahren sind!)

Österreich hat im Kosovo-Konflikt eine humanitäre und auch politische Aufgabe, jedoch keine militärische. Bekanntlich ist Österreich als neutraler Staat nicht in die NATO-Militäraktion involviert.

Zu Frage 5:

Die österreichischen Truppen des SFOR-Kontingents und die in Albanien sind nicht NATO-Kommandos unterstellt. (Bundesrat Mag. Gudenus: O ja!) Sie arbeiten mit der NATO im humanitären Bereich eng zusammen, um eine bestmögliche Koordination sicherzustellen.

Was SFOR betrifft, so wurde im Participation Agreement mit der NATO festgelegt, daß den österreichischen SFOR-Angehörigen keine Handlungen abverlangt werden, die gegen österreichische Gesetze verstoßen, und daß das österreichische Kontingent an gewaltsamen Maßnahmen der Friedensdurchsetzung keinesfalls teilnimmt. Die österreichischen Truppen bleiben somit weiterhin unter nationaler Kommandoführung.

Zu den Fragen 6 und 7:

Die humanitäre NATO-PfP-Aktion Allied Harbour ist von der Militäraktion Allied Force, an der Österreich nicht teilnimmt, strikt getrennt.

Zu Frage 8:

Die Glaubwürdigkeit der österreichischen Sicherheitspolitik darf nicht in Zweifel gezogen werden. Wir folgen in Entsprechung der Verfassungslage dem bewährten Konzept der österreichischen Neutralität in Kombination mit gelebter internationaler Solidarität. Dies ist das gültige sicherheitspolitische Konzept unseres Landes, das uns in der Vergangenheit gute Dienste geleistet hat und auch heute noch leistet.

Zu Frage 10:

Der politische Hintergrund für die Betonung der Kooperation zwischen EU und NATO in der Washingtoner Erklärung liegt darin, die Geschlossenheit der Staatengemeinschaft in ihrer Haltung gegenüber Präsident Milošević zu demonstrieren. Es ist jedoch eine Tatsache, daß es keine institutionalisierte Zusammenarbeit zwischen EU und NATO gibt.

Zu Frage 12:

Österreich ist seit Gründung des Euro-Atlantischen Partnerschaftsrates EAPC am 30. Mai 1997 Mitglied in diesen Gremien. Der EAPC ist ein wichtiges multilaterales Konsultationsforum über Fragen der Sicherheit in der Euro-Atlantischen Region und eröffnet insbesondere die Möglichkeit der Zusammenarbeit auch im Umwelt-, Wirtschafts- und Wissenschaftsbereich sowie bei der Krisenbewältigung.

Im Rahmen des EAPC-Gipfeltreffens in Washington wurde die Situation im Kosovo einschließlich der Frage einer politischen Lösung eingehend diskutiert.

Zu Frage 13:

Der Euro-Atlantische Partnerschaftsrat ist ein wichtiges Dialogforum über euroatlantische Sicherheit, in dem die Zusammenarbeit im Rahmen der Partnerschaft für den Frieden einen multinationalen Rahmen erhält. Der Herr Bundeskanzler hat in den bisherigen zwei Sitzungen dieses Gremiums auf Ebene der Staats- und Regierungschefs darauf hingewiesen, daß es darum geht, das Potential des Euro-Atlantischen Partnerschaftsrates so weiterzuentwickeln, daß


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es noch mehr als bisher die Stabilität und Sicherheit fördert und so auch einen Beitrag zur Stärkung der europäischen Sicherheitsstrukturen leisten kann.

Darüber hinaus hat der Herr Bundeskanzler die Anstrengungen im EAPC begrüßt, eine weitere Intensivierung der Zusammenarbeit in der Partnerschaft für den Frieden herbeizuführen.

Zu Frage 14:

Ich möchte vorausschicken, daß derzeit kein abstimmungsreifes Papier der deutschen Präsidentschaft vorliegt. Das von Ihnen zitierte Diskussionspapier der deutschen Präsidentschaft wird von Ihnen selektiv und damit verzerrend wiedergegeben. Das Papier behandelt Möglichkeiten einer verbesserten Zusammenarbeit im Rahmen des gültigen Amsterdam-Vertrages, jedoch keine darüber hinausgehenden Schritte.

Zu den Fragen 15 und 16:

Der Herr Bundeskanzler hält den Vorschlag der deutschen Präsidentschaft grundsätzlich für interessant. Die Frage einer allfälligen Personalunion zwischen dem Hohen Vertreter der GASP und dem WEU-Generalsekretär sollte jedoch nicht am Ausgangspunkt stehen, sondern zum Endpunkt der Herausbildung einer europäischen Sicherheitsstruktur beantwortet werden. Im Sinne des Vertrages von Amsterdam wird Österreich die Weiterentwicklung einer europäischen Sicherheitsarchitektur solidarisch mitgestalten.

Zu Frage 17:

Die britisch-französische Erklärung von St. Malo wurde vom Europäischen Rat von Wien begrüßt. Dabei handelt es sich um einen interessanten Beitrag zur laufenden sicherheitspolitischen Diskussion. Auch er stellt auf die Verfassungslage bestimmter Mitgliedstaaten ab und sieht keine militärische Beistandsverpflichtung für alle EU-Mitgliedstaaten vor.

Zu den Fragen 18 und 19:

Das Bundesverfassungsgesetz vom 26. 10. 1955 über die Neutralität Österreichs ist Bestandteil der österreichischen Verfassungsordnung und bildet die verbindliche Grundlage unserer bewährten Sicherheitspolitik. Auf dieser Basis verfolgt Österreich eine klare sicherheitspolitische Linie, nämlich Neutralität in Kombination mit einer engagierten internationalen Solidarität. Damit hat sich Österreich auch eine international anerkannte und auch geschätzte Position erworben. Die Teilnahme an den im Amsterdamer Vertrag vorgesehenen sogenannten Petersberg-Aufgaben steht mit diesem österreichischen Konzept voll im Einklang. Wir werden auch in Zukunft autonom, und zwar von Fall zu Fall, entscheiden können, ob wir uns an bestimmten Maßnahmen beteiligen oder nicht.

Zu Frage 20:

Das österreichische Bundesheer hat ausreichend budgetäre Mittel, um seine gesetzlich gestellten Aufgaben erfüllen zu können. Die Jahrhundertkatastrophe in Tirol hat aber gezeigt, daß bei Katastrophen eines solchen Ausmaßes jedenfalls auf Nachbarschaftshilfe zurückgegriffen werden muß.

Aus diesem Grund hat Österreich in der Vergangenheit bereits eine Reihe gegenseitiger Katastrophenhilfe-Abkommen abgeschlossen. Auch Österreich hat in der Vergangenheit bei verschiedenen Gelegenheiten Katastrophenhilfe im Ausland geleistet, wie etwa anläßlich der Flutkatastrophe in Polen oder in Zusammenhang mit den Waldbränden auf den kroatischen Inseln.

Was das laufende Landesverteidigungsbudget betrifft, so hat die Bundesregierung beschlossen, dem Bundesminister für Landesverteidigung zirka 260 Millionen Schilling für die tatsächlich nachgewiesenen und abgerechneten Aufwendungen für die humanitäre Hilfsoperation in Albanien zusätzlich zur Verfügung zu stellen. Hiebei werden insbesondere Transport-, Material- und Personalkosten abgedeckt.


Bundesrat
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Die Bundesregierung wird auch weiterhin sicherstellen, daß unseren Soldaten jenes moderne Gerät zur Verfügung steht, das ihnen eine effiziente Erfüllung ihrer Aufgaben ermöglicht. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPÖ.)

16.25

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Wir gehen in die Debatte ein.

Ich mache darauf aufmerksam, daß gemäß § 61 Abs. 7 der Geschäftsordnung die Redezeit jedes Bundesrates mit insgesamt 20 Minuten begrenzt ist.

Als erster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Dr. d'Aron. – Bitte.

16.26

Bundesrat Dr. André d'Aron (Freiheitliche, Wien): Sehr geehrte Frau Vizepräsidentin! Sehr geehrter Herr Staatssekretär! Sehr geehrte Damen und Herren! Bevor ich auf diese Beantwortung unserer dringlichen Anfrage eingehen will, möchte ich zunächst ein bißchen die Neutralität, wie sie für uns besteht, wie sie vom Bundeskanzler im Rahmen des Wahlkampfes diskutiert wurde, behandeln.

Da haben wir zunächst das Neutralitätsgesetz aus 1955, welches sich im Bewußtsein der Staatsbürger mit seinem historischen Inhalt verfestigt hat. Es sieht vor, daß Österreich aus freien Stücken seine immerwährende Neutralität zum Zwecke der dauernden Behauptung seiner Unabhängigkeit nach außen und zum Zwecke der Unverletzlichkeit seines Gebietes erklärt; Österreich wird diese Neutralität mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln aufrechterhalten und verteidigen.

Österreich wird zur Sicherung dieser Zwecke in alle Zukunft keinen militärischen Bündnissen beitreten und die Errichtung militärischer Stützpunkte fremder Staaten auf seinem Gebiete nicht zulassen. – Das sieht die Mehrheit der Österreicher als gültig an, weil die Mehrheit der Österreicher über die Realität, über die Änderungen unserer Rechtsordnung, die zuletzt stattgefunden haben, nicht ausreichend informiert ist. Die immerwährende Neutralität betrifft unter anderem die Unabhängigkeit nach außen und das Nichtbeitreten zu militärischen Bündnissen.

Da wir den Titel unserer dringlichen Anfrage dementsprechend gewählt haben, sind wir sehr wohl davon ausgegangen, daß dem Bundeskanzler der österreichische Rechtsbestand durch den Beitritt zur EU, durch den per 1. 5. in Kraft getretenen Amsterdamer Vertrag und durch Mitwirkung bei Einsätzen der SFOR-Truppe, zum Beispiel durch Erteilung von Durchfuhrgenehmigungen, bekannt ist.

Was steht im Amsterdamer Vertrag? – Darin steht, daß eine schrittweise gemeinsame Verteidigungspolitik festgelegt werden soll, daß operative Kapazitäten geschaffen werden sollen, daß eine rüstungspolitische Zusammenarbeit in Aussicht gestellt wird und vor allem daß auch Kampfeinsätze bei der Krisenbewältigung getätigt werden können. – All das sind die Bekenntnisse der EU.

Somit ist die Restneutralität Österreichs, die uns von unseren Völkerrechtlern immer wieder bekundet wurde – die Neutralität hat sich seit 1955 immer mehr verdünnt, das muß man richtigerweise auch zugeben –, nicht mehr vorhanden. Wenn die SPÖ daher im Rahmen des EU-Wahlkampfes überall affichiert, daß sie der Gralshüter der Neutralität in Österreich sei (Bundesrat Prähauser: Dann spricht sie die Wahrheit!), dann frage ich mich, wer das noch glauben soll. Das erinnert mich ein bißchen an die vor der letzten Nationalratswahl ergangene Briefaussendung der SPÖ an die Pensionisten, in der diesen weisgemacht wurde, daß sie keine Kürzung ihrer Pensionen fürchten müssen. (Beifall bei den Freiheitlichen. – Bundesrat Meier: In der Substanz hat es aber gestimmt!) Prompt ist nach der Nationalratswahl natürlich eine Kürzung der Pensionen eingetreten! Sie werden nach der Nationalratswahl natürlich weitere Schritte unternehmen, um unsere Neutralität und somit auch unsere Völkerrechtssouveränität zu reduzieren! (Bundesrat Konecny: Nein!)


Bundesrat
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Es ist nun einmal so, daß außenpolitische Standpunkte – hören Sie zu, Herr Kollege Konecny!
(Bundesrat Konecny: Jawohl, auch wenn es mühevoll und schmerzhaft ist!)  – mittelfristig immer wieder neu überdacht werden müssen. Schon die Griechen – das wissen Sie als gebildeter Mann auch, Herr Kollege Konecny – haben zum Ausdruck gebracht, daß alles fließt und daher eine ständige Anpassung an Situationen erforderlich ist. Glauben Sie doch nicht immer nur Ihren Meinungsumfragen, sondern vertreten Sie als SPÖ doch eine ehrliche, langfristig vertretbare Politik! – Das ist auch in Richtung ÖVP gemeint. (Heiterkeit.)

Trotz dem sich der ÖVP-Vorstand bereits im Sommer 1997 einstimmig für einen NATO-Beitritt ausspricht und sich auch der letzte ÖVP-Parteitag dazu bekannt hat, wird völlig entgegengesetzt nunmehr von der ÖVP-EU-Spitzenkandidatin Stenzel nachhaltig zum Ausdruck gebracht, daß die Neutralität nicht zur Disposition steht. Mit diesen Bekundungen Ihrer Spitzenkandidatin werden aber die Parteibeschlüsse der ÖVP kaum außer Kraft gesetzt werden können, und das entspricht auch nicht den heutigen Bekenntnissen des Außenministers und Vizekanzlers bezüglich Verschmelzung EU-WEU und bezüglich ständiger Reduzierung der Neutralität.

Nun zu Ihrer Anfragebeantwortung, Herr Staatssekretär! Wir durften schon bei der letzten Bundesratssitzung im Zusammenhang mit dem Postenschacher feststellen, daß Sie unsere Fragen in Vertretung des Bundeskanzlers eigentlich substantiell nicht erledigen beziehungsweise eher sehr gering erledigen und auch zu einigen Fragen ... (Bundesrat Payer: Wenn Sie keine substantiellen Fragen stellen!)  – Hören Sie zu! Sie werden dann hören, wo sie nicht beantwortet sind.

Herr Staatssekretär! Der Bundeskanzler ist in Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik sowie des Neutralitäts- und Kriegsmaterialiengesetzes Verantwortlicher hinsichtlich der Vollziehungs- und Mitwirkungskompetenzen. Sie haben dargestellt, daß die Neutralität Österreichs nach wie vor besteht. (Zwischenrufe bei der SPÖ.) Ich frage Sie jetzt noch einmal – ich möchte von Ihnen diese Auskunft hier im Bundesrat haben, die kein Völkerrechtler verstehen wird –: Wie ist es möglich, daß ein Staat auf der einen Seite neutral ist, auf der anderen Seite sich aber derselbe Staat, der behauptet, neutral zu sein, politisch, außenpolitisch mit jemandem solidarisch erklärt? Wie können Sie das völkerrechtlich vertreten? – Ich bitte Sie noch um Aufklärung dazu, weil Sie das mehrmals behauptet haben.

Zu einigen Fragen: Wir haben Sie gefragt, Herr Staatssekretär: Sind Sie wie Ihr Klubobmann Kostelka der Ansicht, daß "der Militärschlag gegen die Serben die Eskalation der Gewalt beschleunigt habe", ja oder nein? Teilen Sie die Ansicht – fragten wir Sie in Frage 11 – des SPÖ-Klubobmannes im Wiener Landtag, Hatzl, daß der amerikanische Präsident, Bill Clinton, ein Kriegstreiber ist, ja oder nein?

Begrüßen Sie – Frage 16 – eine Verschmelzung der WEU mit der EU, wie sie von Premierminister Tony Blair vorgeschlagen wurde, ja oder nein?

Zu Frage 20: Wie können Sie es in Ihrer Anfragebeantwortung vertreten, daß Sie auf der einen Seite Waldbrände oder Flugkatastrophen mit einem derartigen Vorfall, wie er jetzt im Kosovo gegeben ist, vergleichen? – Das sind doch völlig andere Wertigkeiten. (Staatssekretär Dr. Wittmann: Galtür darf ich schon vergleichen – oder?) Ja, aber Sie sind auch auf einen Waldbrand und eine Flugkatastrophe eingegangen. Ist das zutreffend? (Staatssekretär Dr. Wittmann: Eine Lawinenkatastrophe darf ich schon mit einer Flugkatastrophe vergleichen!) Ja, aber die Kosovo-Geschichte wird deutlich mehr sein als die Galtür-Katastrophe.

Aber Sie, Herr Staatssekretär, haben dementsprechend geantwortet. Ich möchte Sie daher bitten (Bundesrat Konecny: Herr Kollege! Die Antworten bekommen Sie schon von ihm, die können Sie sich nicht aussuchen!)  – Herr Kollege Konecny, lassen Sie mich bitte ausreden! –, Herr Staatssekretär, daß Sie insbesondere die Frage: Wie können Sie vertreten, daß sich ein Staat, der sich neutral nennt, auf der anderen Seite zu Bündnissen bekennt?" entsprechend erklären. – Danke. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

16.35


Bundesrat
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654. Sitzung / Seite 102

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach:
Als nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Dr. Liechtenstein. – Bitte.

16.35

Bundesrat Dr. Vincenz Liechtenstein (ÖVP, Steiermark): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Staatssekretär! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die dringliche Anfrage der Freiheitlichen ist offensichtlich darauf gerichtet, nicht nur die innerhalb der sozialdemokratischen Regierungspartei in Fragen der Sicherheitspolitik vorherrschenden Spannungen und Unsicherheiten deutlich zu machen und zu verstärken, sondern auch zwischen den Koalitionspartnern in Vorwahlzeiten Zwietracht zu säen. (Beifall des Bundesrates Mag. Gudenus. )

Letzteres wird nicht gelingen, da ich glaube, sagen zu können, daß zumindest die Haltung meiner Fraktion offen und berechenbar bleibt. Es wurde heute auch hier schon Vizekanzler Schüssel des öfteren zitiert. (Beifall bei der ÖVP.)

Wir haben nichts zu verbergen, auch nicht, daß wir auch in unseren eigenen Reihen den Nachdenkprozeß über die für Österreich optimale Sicherheitspolitik auch in den kommenden Wochen und Monaten am Leben erhalten werden, auch wenn wir keinen Wert darauf legen, durch ein Hinaustragen dieses Nachdenkprozesses über unsere Grenzen hinaus gerade in einer sicherheitspolitisch so sensiblen Situation wie jetzt zusätzlich Unsicherheit und Verwirrung vor allem bei unseren Partnern in der EU und in der euro-atlantischen Kooperation zu stiften.

Zu Neutralitätsaussagen des Herrn Bundeskanzlers darf ich nur einen Kommentar aus den "Salzburger Nachrichten" vorlesen, und zwar von Alexander Burger, 3. 5. 1999. Der Kommentar heißt "Das doppelte Viktorchen". Darin heißt es: Viktor Klima existiert offenbar in zweifacher Ausfertigung. Der eine Viktor Klima hat unlängst beim EU-Gipfel in Berlin die NATO-Schläge gegen Serbien begrüßt und als notwendig bezeichnet. Der andere Viktor Klima teilt nun in Wien mit, daß Österreich, falls in der EU darüber abgestimmt worden wäre, die NATO-Schläge gegen Serbien blockiert hätte, da es für sie kein UNO-Mandat gibt. Der eine Viktor Klima fordert den Aufbau eines europäischen Sicherheitssystems, der andere Viktor Klima läßt seinen Klubobmann sagen, daß Österreich dieses sich abzeichnende Sicherheitssystem, nämlich Verschmelzung EU-WEU und die Möglichkeit von EU-geführten Militäraktionen und Nutzung von NATO-Strukturen, verhindern wird. Der eine Viktor Klima läßt im EU-Wahlkampf nicht etwa seinen Spitzenkandidaten plakatieren, sondern sich selbst mit seinem Freund Tony Blair. (Heiterkeit bei den Freiheitlichen.) Der andere Viktor Klima will von den sicherheitspolitischen Vorstellungen Tony Blairs nichts wissen. Der eine Viktor Klima hat zugestimmt, daß Österreich mit der EU ein Handelsembargo gegen Serbien verhängt. Der andere Viktor Klima behauptet, daß Österreich neutral sei. Damit ist klar, warum die beiden Viktor Klimas eine fünfjährige Nachdenkpause über die Neutralität verlangen. (Heiterkeit und demonstrativer Beifall bei den Freiheitlichen.)

Um daraufzukommen, was die zwei in der Sicherheitspolitik tatsächlich wollen, muß man mindestens fünf Jahre nachdenken. – So die "Salzburger Nachrichten" vom 3. 5. 1999, Alexander Burger.

Ich persönlich kann natürlich – jetzt bin nicht mehr bei den "Salzburger Nachrichten" – nicht verhehlen, daß sich einige Elemente der Anfrage durchaus mit meinen Ansichten decken. Meine Präferenz für eine ehestmögliche Integration unseres Landes in eine Euro-Atlantische Partnerschaft sind bekannt und haben sich nicht geändert. Mir ist aber auch klar und bewußt, daß unsere Landsleute in vielen Jahren unsere Neutralität und ihre vermeintlich bequemen Auswirkungen liebgewonnen haben. Man glaubt, für die eigene Sicherheit nach außen nur ein Minimum an Belastungen auf sich nehmen zu müssen (demonstrativer Beifall bei den Freiheitlichen) – dies oft, ohne sich selbst über ihren Inhalt und vor allem die in den letzten Jahren eingetretenen Wandlungen gänzlich im klaren zu sein. Daher wird es weiterhin erforderlich sein, die Öffentlichkeit über diesen Inhalt der Neutralität im Verhältnis zu anderen sicherheitspolitischen Optionen für unser Land zu informieren, allerdings in Form einer ruhigen und sachlichen Diskussion und nicht mit schrillen Wahlkampftönen.


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654. Sitzung / Seite 103

Die von den Freiheitlichen in ihrer Anfrage angesprochenen, teilweise vermeintlichen Widersprüche haben ihren Ursprung nicht nur in der innerparteilichen Auseinandersetzung zwischen fundamentalistischen Neutralisten und fortschrittlichen Anhängern einer solidarischen Öffnung Richtung euroatlantische Integration, sondern sie erklären sich vor allem auch daraus, daß die Neutralität sowohl als völkerrechtliches Institut als auch als sicherheitspolitisches Instrument ihren Inhalt weitgehend verloren oder zumindest soweit geändert hat, daß man je nach Standpunkt viel und wenig hineininterpretieren kann.

Andererseits sind Elemente unseres teilweise überkommenen klassischen Neutralitätsverständnisses aus der Zeit vor den großen Veränderungen in Europa in gesetzlichen und verfassungsgesetzlichen Bestimmungen festgeschrieben und lassen der Regierung und den vollziehenden Beamten etwa bei der Genehmigung von Überflügen und der Durchfuhr von Truppenteilen und militärischen Versorgungsgütern bei Androhung von strafrechtlicher Verfolgung nur wenige Möglichkeiten. Das sollte natürlich geändert werden.

Zum unsicheren internationalen Status Österreichs als Neutraler sagt etwa der bekannte Verfassungsrechtler Theo Öhlinger, der eher zur sozialdemokratischen Seite gehört, in seinem neuen Verfassungskommentar zum Neutralitätsgesetz und zu den durch den Beitritt zur EU bis zum nunmehrigen Inkrafttreten des Amsterdamer Vertrages verfassungs- und völkerrechtlich eingetretenen Veränderungen und Entwicklungen: In Anlehnung an eine Schweizer Terminologie der Zwischenkriegszeit läßt sich sagen, daß sich die österreichische Neutralität von einer integralen zu einer differentiellen Neutralität entwickelt hat. Präziser wäre es allerdings, von einer bloßen Bündnislosigkeit zu sprechen. Insofern deckt sich der Text der Bundesverfassung, der von immerwährender Neutralität spricht, nicht mit der Realität. Neutralität ist juristisch gesehen kein zutreffendes Etikett der Stellung Österreichs in der Staatengemeinschaft mehr.

Der somit angesprochenen unsicheren Determinierung des Neutralitätsstatus in seinem gegenwärtigen Zustand stehen die bereits von den Vorrednern erwähnten einfachgesetzlichen Regelungen gegenüber, insbesondere das Kriegsmaterialiengesetz aus dem Jahr 1977, § 2 Luftfahrtsgesetz betreffend die Grenzüberflugsverordnung aus dem Jahr 1968 und § 320 Strafgesetzbuch, Neutralitätsgefährdung.

Seit dem Inkrafttreten dieser Bestimmungen haben sich die geopolitische Lage Österreichs sowie die internationalen Rahmenbedingungen für die Neutralität nachhaltig verändert: Wegfall des West-Ost-Konflikts, Beitritt Österreichs zur EU, Inkrafttreten des Vertrages von Amsterdam.

Einen wesentlichen Anstoß für diese Veränderung auf weltweiter sowie europäischer Ebene war der Golfkrieg im Jahr 1991, bei dem es zu einer solidarischen Anwendung der Maßnahmen bei Bedrohung oder Bruch des Friedens und bei Angriffshandlungen kam.

Diese Maßnahmen, die auf Beschlüsse des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen nach Kapitel 7 der Vereinten Nationen – Djakarta – gründen, sind seit dem Golfkrieg mehrmals angewendet worden, so insbesondere in Angola, Libyen, Sierra Leone und im ehemaligen Jugoslawien sowie dessen Nachfolgestaaten.

In Europa können bekanntlich der Vertrag über die Europäische Union, Vertrag von Maastricht 1992, sowie der seit 1. Mai 1999 in Kraft stehende Vertrag von Amsterdam als Marksteine angesehen werden. Diesen historischen Veränderungen wurde bereits, aber nur zum Teil Rechnung getragen, so etwa durch Artikel 23f B-VG in seiner neuen am 1. Mai gemeinsam mit dem Vertrag von Amsterdam in Kraft getretenen Verfassung, also eine Vereinbarung der Neutralität mit der Gemeinsamen Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU durch die Einfügung des § 3 Abs. 1 des Kriegsmaterialiengesetzes beziehungsweise der Novellierung des § 320 StGB, wodurch die Berücksichtigung von völkerrechtlich verbindlichen Kapitel 7-Beschlüssen der Vereinten Nationen und im Fall des § 320 StGB auch von Friedenssicherungsmaßnahmen der OSZE und Maßnahmen nach dem EU-Vertrag ermöglicht wurden.

Weiterer Anpassungsbedarf besteht aber noch und ergibt sich aus Artikel 23 der Bundesverfassung in seiner seit 1. Mai gültigen Fassung. Dies gilt vor allem noch für das Kriegsmaterialgesetz und für die Anpassung der gesetzlichen Bestimmungen, die bei der Gewährung von


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Übergangsgenehmigungen und Truppentransiten zu beachten sind. So lange der Gesetzgeber diese Änderungen insbesondere des Kriegsmaterialiengesetzes nicht erlassen hat, solange können nicht einmal die verfassungsgesetzlich geforderten Anpassungen umgesetzt werden. Es ist zu hoffen, daß diese einfachgesetzlichen Anpassungen so aussehen werden, daß die gesetzliche Umsetzung nicht weiterhin der notwendigen Anpassung Österreichs an die internationalen Gegebenheiten nachhinkt und sich Österreich weiterhin durch einzelne, von diesen Gesetzen erzwungene Entscheidungen bei Transiten und Überflügen in Gefahr bringt, international auf größtes Unverständnis zu stoßen oder sich gar der Lächerlichkeit preiszugeben.

Diese erforderlichen gesetzlichen Anpassungen wären wohl schon längst vollständig erlassen, wenn es bei uns möglich wäre, ruhig über die sicherheitspolitischen Notwendigkeiten zu diskutieren, und sich nicht alle Augenblicke irgendeine Partei bemüßigt fühlt, aus einer solchen Diskussion kurzfristig politisches Kleingeld schlagen zu wollen.

Die Anfrage der Freiheitlichen ist dieser Kategorie von Aktionen zuzurechnen; so sehe ich es. Ich hoffe aber, daß wir sehr bald den richtigen Schritt setzen, der heute schon von Vizekanzler und Außenminister Schüssel angedeutet wurde: EU, europäische Wirtschaft, Euro, Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, was natürlich in Richtung WEU und NATO geht. – Ich danke sehr. (Beifall bei der ÖVP.)

16.48

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Als nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Konecny. – Bitte.

16.48

Bundesrat Albrecht Konecny (SPÖ, Wien): Frau Präsidentin! Herr Staatssekretär! Meine Damen und Herren! Sie werden das nicht oft von mir hören, aber manchmal bin ich der freiheitlichen Opposition für Anfragen dankbar, und zwar dann, wenn sie politische Realitäten aufzeigen.

Ich finde es sehr charmant, Kollege Liechtenstein, daß Sie – richtigerweise – gemeint haben, der Sinn dieser Anfrage sei es, Unterschiede zwischen den Regierungsparteien zu akzentuieren, und dann dankbar apportierten und diese Unterschiede herausstellten. Genau das ist der Punkt.

Meine Herren von der ÖVP! Sie werden sich entscheiden müssen, ob Sie glauben, einen, wie wir meinen, verhängnisvollen sicherheitspolitischen Kurs verfolgen zu müssen, und glauben, daß wir Ihnen dabei folgen, oder ob Sie so wie manche – so liest man, so hört man aus Ihren Diskussionen – ein anderes Bündnis anstreben, um diese verhängnisvolle Konzeption verwirklichen zu können. Es gibt einen Schönheitsfehler dabei: Um das Neutralitätsgesetz zu ändern, würden Sie eine Zweidrittelmehrheit brauchen, die Ihnen jetzt nicht und auch in Zukunft nicht zur Verfügung stehen wird. (Bundesrat Mag. Himmer: Den Amsterdamer Vertrag haben wir schon gemeinsam beschlossen! – Zwischenrufe bei den Freiheitlichen.)

Herr Kollege! Habe ich irgendwelche Vertraulichkeiten ausgeplaudert, daß Sie so aufgeregt reagieren? – Sie amüsieren mich, Herr Kollege Himmer, und zwar nicht nur jetzt, aber jetzt auch.

Herr Kollege! Meine Damen und Herren! Wer so über die Neutralität spricht, wie Sie, Herr Kollege Liechtenstein, das getan haben und wie es manche Mitglieder der Bundesregierung von seiten der ÖVP tun, macht sich tatsächlich dessen schuldig, was die Anfrage in einem anderen Zusammenhang unterstellt, nämlich daß unsere Neutralität in Frage gestellt wird und daß es tatsächlich eine internationale Diskussion darüber gibt, wie ernst dieses Land seine Gesetze nimmt.

Wer so über die Neutralität spricht, muß ignorieren, was diese Neutralität seit dem Jahr 1955 geleistet, ermöglicht und bewerkstelligt hat. Wenn Herr Kollege d'Aron so nett meint, sie habe sich seit 1955 immer mehr verdünnt, dann ist das eine historische Unwahrheit – nicht im Sinne von böswillig, sondern sie ignoriert, daß wir ein Jahr nach der Erklärung der immerwährenden Neutralität der vermutlich härtesten Bewährungsprobe dieser Neutralität ausgesetzt waren und


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sie damals so angewendet haben, wie wir sie auch heute anwenden. Herr Kollege! Ich rede vom Ungarn-Aufstand 1956. (Zwischenruf des Bundesrates Dr. d′Aron. )

Warten Sie einmal, Sie können dann schon noch irgendwelche Philippiken gegen den Bundeskanzler loswerden – aber bitte wenigstens in der passenden Rubrik! (Bundesrat Ing. Scheuch: Nicht so aufgeregt!) – Ich bin überhaupt nicht aufgeregt, Herr Kollege!

1956, in der heißesten Phase des sogenannten kalten Krieges, als niemand in diesem Lande in der Lage war, neutral zu bleiben – im Herzen, in der Überzeugung, im Mitfiebern mit einer politischen Auseinandersetzung; nicht anders, als es heute ist –, hat dieses Land seine Verpflichtung der staatsrechtlichen Neutralität erfüllt und gleichzeitig ein beispielloses Werk der Hilfe für – in diesem Fall – die ungarische Nation, die ein Opfer des sowjetischen Imperialismus war, geleistet. Diese zwar nicht Stunde Null, aber dieses Jahr Eins der Neutralität hat in Wirklichkeit die Weichen für das gestellt, was wir unter Neutralität verstehen. (Beifall bei der SPÖ.)

Es hat mich sehr angenehm berührt – vielleicht war das ein Irrtum, oder vielleicht haben Sie da nicht aufgepaßt, Herr Kollege Himmer –, als der Herr Außenminister heute in der Früh auf eine diesbezügliche Anfrage von mir gesagt hat: Ja, was wir jetzt tun, ist – so wie viele andere Entscheidungen in diesen langen Jahren – die eigenständige Interpretation unserer Neutralität unter ganz bestimmten Rahmenbedingungen.

Das ist nämlich die Leistungsfähigkeit der Neutralität, daß sie kein starres Schema ist, sondern sich politisch mit dem Wegfall des Ost-West-Konfliktes entwickelt hat und heute weiterhin – natürlich in neuer Gestalt – anwendbar bleibt. (Beifall bei der SPÖ.)

Es gehört zu jenen Sternstunden des Parlamentarismus – derentwegen ich immer sage, eigentlich sollte man in dem Saal Eintritt fürs Zuhören verlangen –, wenn es Herr Kollege d'Aron zuwege bringt, im gleichen Satz der SPÖ, dem Bundeskanzler vorzuwerfen, aus der Neutralität einen Wahlkampfschlager machen zu wollen und deshalb vorzuschlagen, die Neutralität fünf Jahre aus den Wahlkämpfen herauszuhalten. (Bundesrat Dr. d′Aron: Hat er das gesagt oder nicht?)

Sie haben das gesagt, er nicht! Er hat das genau deshalb vorgeschlagen, damit niemand – auch nicht wir – aus der Neutralität oder aus der Auseinandersetzung um sie – auch auf unserer Seite – billiges Wahlkampfkapital schlägt. (Heiterkeit des Bundesrates Mag. Himmer. ) Sie haben nein gesagt – Kollege Himmer, Sie nicht, weil Sie niemand gefragt hat. Aber Ihre Partei hat nein gesagt. (In Richtung Freiheitliche:) Sie haben nein gesagt. Und damit werden wir das Gegenteil von dem tun, was Sie sagen! (Beifall bei der SPÖ. – Bundesrat Dr. d′Aron: Und Sie machen das Gegenteil des Vertrags von Amsterdam?)

Ausgerechnet Sie haben uns gesagt: Glauben Sie nicht den Meinungsumfragen! – O ja, wir glauben ihnen! Drei Viertel der Österreicher sind für die Neutralität. Wir werden diese Österreicher nicht von Ihnen als dumm und rückständig mißachten lassen, sondern wir werden als gute Demokraten dieser Überzeugung politisch zum Durchbruch verhelfen. (Beifall bei der SPÖ. – Bundesrat Prähauser: Bravo! – Weitere Zwischenrufe.)

Bitte? (Bundesrat Dr. Tremmel: Das letzte Ergebnis ist immer das Wahlergebnis!) Herr Kollege! Das Gute am Parlamentarismus ist, daß man vom Wähler und nicht vom Koalitionspartner die Noten bekommt. (Heiterkeit bei der SPÖ und bei den Freiheitlichen. – Beifall bei der SPÖ und des Bundesrates Mag. Himmer. )

Meine Damen und Herren! Wir alle können uns auf der verbalen Ebene darauf einigen – sogar Sie, Herr Kollege –, daß wir an einer entstehenden europäischen Sicherheitsarchitektur teilnehmen werden. (Bundesrat Dr. Tremmel: Das ist schon was!) Nur, Herr Kollege, wenn irgend jemand gesagt hat – eine Meinung, die ich nicht teile –, Neutralität ist nur ein Wort, dann ist erst recht diese europäische Sicherheitsarchitektur ein Wort. Denn die konkreten Inhalte – die Baumaterialien, um beim Wort "Architektur" zu bleiben – sind erst zu finden.


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Ich sage sehr offen, daß unsere Rolle auch in der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union nicht und nicht in erster Linie darin bestehen kann, eine weitere im Strom mitschwimmende Stimme zu sein, sondern daß wir wie auch in den vergangenen 40 Jahren, in mehr als 40 Jahren, eine wichtige Rolle dort spielen wollen, wo wir ohne Paktbindung, ohne militärische Bedrohung, ohne Androhung von Gewalt, aber denselben humanitären und demokratischen Zielen verpflichtet in der internationalen Arena auftreten. (Beifall bei der SPÖ.)

Herr Kollege! Die Aufregung um den angeblichen Widerspruch zwischen den Auffassungen des Bundeskanzlers kann ich nicht nur nicht teilen, weil ich seiner Partei angehöre, sondern ich kann sie auch deshalb nicht teilen, weil sie ein absolutes Mißverständnis über das Wesen internationaler Politik verrät. Gerade dann, wenn man gegen diese Vertreibungen im Kosovo ist, gerade dann, wenn man gegen diesen Völkermord ist, muß es mehr als einen Zugang auf der internationalen Ebene geben! (Bundesrat Dipl.-Ing. Missethon: Den gibt es eh! Aber da sind keine Österreicher dabei!) Was ist der andere? (Bundesrat Dipl.-Ing. Missethon: Da verhandelt Tschernomyrdin ...!)

Herr Kollege! Sie wissen – nein, Sie wissen wahrscheinlich nicht, wieviel über Wien läuft. Ich werde es auch nicht sagen, weil das der Sache nicht guttut. (Heiterkeit des Bundesrates Mag. Himmer. ) Herr Kollege! Verzeihen Sie, wegen "dumm" würde ich jetzt einen Ordnungsruf bekommen, also lasse ich es weg. Aber Sie können ruhig lachen. Sie wissen nichts. Es tut der Sache wahrscheinlich gut, daß Sie es nicht wissen. (Bundesrätin Haunschmid: Gut, daß Sie es wissen!) Was an Verhandlungen über Wien läuft, ist vielleicht nicht entscheidend – das kann ich nicht sagen –, aber es ist in höchstem Maße bedeutsam. Herr Kollege! Aus kurzsichtigen Parteimotiven einer Initiative, die der Sache dient, Gelächter hinterherzuschicken, ist ein betrübliches Zeugnis von Niedrigkeit. (Beifall bei der SPÖ.)

Meine Damen und Herren! Ich bin ... (Bundesrat Mag. Himmer: Sie wissen überhaupt nicht, worüber ich gelacht habe! Das ist der Wunschtraum!) Es interessiert mich auch nicht. Darf ich weiterreden, Herr Kollege? – Sie haben gelacht, als ich sagte: Es bewegt sich in der Vermittlung des Kosovo eine Menge über die Wiener Drehscheibe. (Zwischenrufe.) Der Punkt ist: Es muß einfach außer den Bomben noch eine andere Ebene der Auseinandersetzung geben! (Beifall bei der SPÖ und des Bundesrates Mag. Gudenus. )

Wir müssen in der Lage sein, mit Menschen zu reden, die von anderen mit Recht militärisch bedroht werden. Wenn Sie wollen, ist es eine Doppelstrategie, zu deren Teil ich hier solche Initiativen erkläre, aber es ist notwendig, daß jemand sprechen kann. Dazu ist ein neutrales Land sehr viel besser in der Lage als ein Mitglied des Militärbündnisses NATO, selbst dann, wenn es an den unmittelbaren Angriffen auf Serbien nicht beteiligt ist.

Die österreichische Verfassungsordnung erlegt uns mit der Neutralität eine klare politische Zielrichtung auf. Sie ist verfassungsrechtlich abgesichert, und sie wird, solange sich nicht eine große Mehrheit der Österreicherinnen und Österreicher sowie selbstverständlich auch der österreichischen politischen Parteien dazu entschließen, diese Grundlage bleiben. Was ein in einer Werbeaktion begriffenes Wochenmagazin dazu schreibt, interessiert mich in diesem Zusammenhang als Meinungsäußerung, aber es ist kein Argument.

Die Mehrheit der Österreicher hat mit diesem System gute Erfahrungen gemacht. Sie hängt an ihm, nicht aus einer Sentimentalität, nicht aus einem Mangel an Information, sondern deshalb, weil es das für unser Land erfolgreiche Modell ist. Es kann – theoretisch gedacht – andere und bessere Modelle als die Neutralität geben, aber sie liegen von niemandem auf dem Tisch. Als Revanche an der Geschichte – posthum, möchte ich fast sagen – noch der NATO beizutreten, ist mit Sicherheit keine sicherheitspolitische Alternative zur Neutralität.

Konstruktiv darüber mitzudiskutieren, wie die Neutralität – wenn wir an dem Wort hängen – der Zukunft aussehen kann und welche Rolle wir in einer europäischen Sicherheitsarchitektur spielen können, dazu ist der Bundeskanzler, dazu ist die Sozialdemokratie aus vollem Herzen bereit. Aber die Neutralität durch tägliche Nadelstiche – durch Debatten und Anfragen wie diese, durch Meinungsäußerungen wie diese – ein Stückchen – sozusagen zizerlweise, wie der Wiener


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sagt – außer Kraft zu setzen, ist mit Sicherheit der falsche Weg. (Bundesrat Dr. Tremmel: Das hat aber Cap auch ein bißchen getan!)

Wir – und mit uns drei Viertel der Österreicher – stehen auf dem Grund der Randbedingungen, die wir heute vorfinden, zu der Neutralität, wie sie sich in unserem Land entwickelt hat. Wir wer-den sie gegen alle Angriffe – sei es unseres Koalitionspartners oder sei es der Opposition – herzhaft und entschlossen verteidigen! (Beifall bei der SPÖ.)

17.02

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Als nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Dr. Böhm. – Bitte.

17.02

Bundesrat Dr. Peter Böhm (Freiheitliche, Wien): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Staatssekretär! Werte Damen und Herren des Hohen Hauses! Ich hoffe, einleitend etwas zum seelischen Wohlbefinden des Kollegen Konecny beitragen zu können, indem ich verspreche, daß ich die historischen Verdienste der Neutralität nicht bestreiten will und daß ich jetzt keine Liste möglicher Vorteile eines NATO-Beitritts erstellen möchte.

Denn in der heutigen Debatte geht es einzig und allein um die zentrale Frage: Sind wir überhaupt noch neutral? – Der Bundeskanzler – ihm hat heute der Herr Staatssekretär seine Stimme geliehen – bejaht das uneingeschränkt und will daher alle Regierungsmitglieder, insbesondere jene widerspenstigen der ÖVP, auf die "Rückkehr zu einer verfassungsmäßigen Neutralitätspolitik" verpflichten. Rein formell ist er dabei wohl durch das äußerlich unverändert in Kraft gebliebene Neutralitätsgesetz gedeckt. Der Sache nach ist jedoch der regierungsamtliche Standpunkt ganz entschieden in Zweifel zu ziehen. Lassen Sie mich das näher begründen.

Wovon ist bei einer korrekten rechtlichen und politischen Analyse auszugehen? – Zum einen von den bis heute gültigen Regeln des Haager Landkriegsabkommens, in denen der völkerrechtliche Status der Neutralität klar definiert ist. Zum anderen von der politischen Festlegung im Moskauer Memorandum, Österreich verpflichte sich zur immerwährenden Neutralität nach dem Vorbild der Schweiz. In der Folge haben wir uns freilich keineswegs an diesem Modell orientiert. Denn wir haben in der Ära Kreisky einerseits eine aktive neutralitätspolitische, mitunter nahezu schon neutralistische Rolle gespielt, und wir haben andererseits unsere Verpflichtung zur militärischen Absicherung unserer bewaffneten Neutralität niemals ausreichend ernst genommen.

Aber selbst davon abgesehen, haben "wir" – das heißt: nicht kritische Zwischenrufer, sondern die politischen Kräfte, die dafür verantwortlich waren – diesen rechtlichen Status im Laufe der Zeit sukzessive abgebaut. Das gilt bereits für den ersten Schritt, unseren 1955 vollzogenen Beitritt zu den Vereinten Nationen, den die Schweiz bis heute wohlweislich unterlassen hat. Immerhin waren wir ja seit damals verpflichtet, an militärischen Sanktionen, die der Sicherheitsrat beschlossen hat, teilzunehmen, falls er uns dazu verhält. An friedenserhaltenden Aktionen der UNO haben wir uns seither auch schon mehrmals beteiligt. Dasselbe gilt für vergleichbare Maßnahmen der früheren KSZE und gegenwärtigen OSZE.

Vor allem aber war unser Beitritt zur Europäischen Union von Anfang an als zumindest tendenzielle Aufgabe der Neutralität einzustufen, hat sich doch Österreich damit bewußt an die bereits im Vertrag von Maastricht verankerte Zielvorstellung einer Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik gebunden. Österreich hat anläßlich seines Beitritts weder einen Neutralitätsvorbehalt erklärt, noch war die Europäische Union dazu bereit, neutralen Mitgliedstaaten einen Sonderstatus einzuräumen. Und heute ist sie weiter denn je davon entfernt.

Schon damals war übrigens absehbar, daß die Vertiefung der GASP über eine Verschmelzung von EU und WEU erreicht werden sollte. Über welche Kapazitäten die WEU außerhalb der NATO verfügt – nämlich über gar keine –, das wissen kundige Außenpolitiker wie Kollege Konecny bestens, und auch, daß solcherart ein europäischer Arm der Sicherheitspolitik durchaus im Rahmen der NATO projektiert ist.


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Demgegenüber verfängt auch der Rekurs auf den innerstaatlichen Verfassungsrang des Neutralitätsgesetzes nicht. Denn dem EU-Recht kommt unbestritten Anwendungsvorrang gegenüber nationalem Recht, grundsätzlich also auch gegenüber dem Verfassungsrecht der Mitgliedstaaten, zu. Zum allenfalls integrationsfesten Kernbestand der österreichischen Bundesverfassung selbst zählt indes die Neutralität durchaus nicht; ist sie doch kein Baugesetz beziehungsweise kein Grundprinzip derselben. Deshalb wäre auch für eine eventuelle Aufhebung der Neutralität – eine formelle Aufhebung, betone ich! –, im Gegensatz zur demokratiepolitisch begründeten Forderung gerade meiner Fraktion, vom Bundes-Verfassungsgesetz her nicht einmal eine Volksabstimmung geboten. Die Neutralität wurde auch nicht nach einem entsprechenden Referendum eingeführt.

Mit dem Vertrag von Amsterdam hat jetzt aber die von der EU angestrebte Sicherheitsstruktur eine neue Qualität und Dimension gewonnen. Artikel J.7 schafft nämlich die Grundlage für die Verknüpfung zwischen Europäischer Union und Westeuropäischer Union, heißt es doch dort wörtlich: "Die Westeuropäische Union (WEU) ist integraler Bestandteil der Entwicklung der Union".

Zudem hat Österreich, wie auch durch den Beitritt zur NATO-Partnerschaft für den Frieden, seine Bereitschaft erklärt, sich an "Petersberger Missionen – das heißt: nicht nur an friedenserhaltenden, sondern auch sogar an friedensschaffenden Aktionen – zu beteiligen. Letztgenannte sind bloß die euphemistische Umschreibung von Angriffskriegen wie etwa der derzeitigen NATO-Aktion gegen Serbien.

Damit ist der Kern bereich der Neutralität, die Nichtteilnahme an kriegerischen Konflikten, unmittelbar und substantiell berührt. Weder die Möglichkeit, die Zustimmung zu solchen Beschlüssen zu verweigern, noch jene der "konstruktiven Enthaltung" wird uns von der grundsätzlichen Verpflichtung entbinden, kollektive Entscheidungen der Europäischen Union im Regelfall mitzutragen. Man kann sich nämlich nicht nur die Rosinen aus dem Kuchen heraussuchen. Das kann auch dieser autonome Nachvollzug nicht sein. Demnach stellt der Amsterdamer Vertrag unverkennbar die Weichen für eine europäische Verteidigungsgemeinschaft , die mit einer echten Neutralität eines Mitgliedstaates nicht länger vereinbar ist.

Meine Damen und Herren von den Koalitionsparteien! Sie erinnern sich gewiß daran, daß ich nicht erst heute, anläßlich dieser dringlichen Anfrage, sondern bereits anläßlich der Ratifikation der Neufassung des EU-Vertrages betont habe, daß wir uns – ob wir es bedauern oder begrüßen mögen – nicht erst an diesem Tag, aber spätestens an ihm von der Neutralität der Sache nach endgültig verabschiedet haben. Wir haben diesem Abschied sogar in unserer Bundesverfassung, nämlich im Artikel 23 lit f, ausdrücklich Rechnung getragen und dort direkt auf den Vertrag von Amsterdam sowie die darin vorgesehenen Maßnahmen Bezug genommen.

All das widerlegt die wohlgemeinten Sonntagsreden über unsere angeblich noch bestehende und auch weiterhin strikt aufrechtzuerhaltende Neutralität! (Beifall bei den Freiheitlichen.) Wir sind der Sache nach nicht mehr neutral, und wir dürfen es aufgrund unserer vertraglichen Bindungen im Grunde auch gar nicht mehr sein! Meine Damen und Herren von den Regierungsparteien und insbesondere von der Sozialdemokratischen Partei! Sie sollten daher die intellektuelle Redlichkeit und den Mut aufbringen, das der Bevölkerung endlich klarzumachen! Denn diese hat den Anspruch darauf, über den wahren völkerrechtlichen und sicherheitspolitischen Status unseres Landes unterrichtet zu werden! (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Sie hätte demokratiepolitisch ein Anrecht darauf gehabt, daß über solch weitreichende Veränderungen ein breiter öffentlicher Diskurs und eine echte politische Willensbildung stattgefunden hätte. Wenden Sie nicht ein, daß der EU-Beitritt ohnehin einer Volksabstimmung unterzogen worden ist! – Statt der gebotenen Offenlegung des von der EU erklärtermaßen verfolgten sicherheitspolitischen Zieles haben Sie nämlich damals und bis heute den Weg der Verschleierung vorgezogen und die dem Gesetzesbuchstaben nach beibehaltene Neutralität Schritt für Schritt ausgehöhlt. Daß von dieser bloß eine leere Hülse übriggeblieben ist, haben Sie mittels politischer Semantik und Rhetorik verdeckt. Ist doch seit dem EU-Beitritt immer von der sogenannten Solidarität – mehrfach heute auch vom Herrn Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten –


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als neuem leitenden Grundsatz unserer Außen- und Sicherheitspolitik die Rede. In dieser Bedeutung sei nunmehr die Neutralität zu verstehen.

Das heißt im Klartext, Sie definieren lieber eine klassische Institution des Völkerrechts in einer geradezu selbstwidersprüchlichen Weise um, als ehrlich zuzugeben, daß Österreich diesen völkerrechtlichen Status eben mehr oder weniger preisgegeben hat. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Der emotional und sozialethisch positiv besetzte Begriff der Solidarität soll das dem Bürger lediglich schmackhaft machen. Staats- und völkerrechtlich kommt diesem so unscharfen wie ideologieanfälligen Begriff jedoch keinerlei Relevanz zu.

All das ist übrigens für unsere Glaubwürdigkeit auf außenpolitischer Ebene höchst abträglich – sind wir doch für die übrigen EU-Mitglieder kein berechenbarer Partner mehr.

Beteiligen wir uns das eine Mal aktiv an militärischen Einsätzen – wenngleich, ich räume das ein, unter der Schirmherrschaft der Vereinten Nationen oder der OSZE –, so verhalten wir uns eben "solidarisch" und haben mit der Neutralität nicht das geringste Problem. Lehnen wir aber das andere Mal den Transit von Militärpersonen oder von militärischem Material durch Österreich ab, selbst wenn dies reinen Übungen der NATO-Partnerschaft für den Frieden dient, so berufen wir uns darauf, daß uns das Kriegsmaterialiengesetz oder ähnliche Randbestimmungen und (Bundesrat Meier: Das ist ein Gesetz, nicht Bestimmung! Das ist ein Gesetz!) – das wäre dann längst zu ändern, wenn man verfassungskonform agieren wollte – das formal aufrechterhaltene Neutralitätsgesetz, dem weitestgehend materiell derogiert ist – daher brauchen wir gar keine Zweidrittelmehrheit zu seiner Beseitigung, denn es ist ihm materiell weithin ohnehin derogiert –, eben derartiges verbieten.

Jüngst mußte uns sogar Premierminister Tony Blair, also der Freund unseres Bundeskanzlers, vor dem britischen Unterhaus gegen den Vorwurf verteidigen, daß sich Österreich in der Kosovo-Krise unsolidarisch und nicht wie ein echter EU-Partner verhalte. Ich verstehe diese herbe Kritik durchaus, hält man sich vor Augen, daß derselbe Bundeskanzler Klima ... (Bundesrat Konecny: Die aber nicht seine war! Er hat eine Antwort dazu gegeben!) – Er hat auf die österreichische Verfassung verwiesen, hinter der wir uns formal verschanzen. (Bundesrat Konecny: Nein, das hat er nicht gesagt!) – Das sage ich, das ist meine Interpretation, die Sie mir zugestehen werden. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Ich verstehe das, hält man sich vor Augen, daß derselbe Bundeskanzler Klima – es ist heute mehrfach angesprochen worden – noch kurz zuvor beim EU-Rat in Berlin ausdrücklich erklärt hatte, der NATO-Einsatz sei "notwendig und gerechtfertigt". Eine solche Neutralitätspolitik kann man nicht machen, wenn man wirklich neutral ist.

Aber jetzt im Zuge des EU-Wahlkampfes fordert Klima wieder, die Frage der Neutralität für fünf Jahre außer Streit zu stellen. Auch das ist heute mehrfach schon von Debattenrednern angesprochen worden. Das hat ihm nicht nur seitens der Opposition, der bösen Opposition, sondern auch vom Koalitionspartner den Vorwurf eingetragen, ein Diskussionsverbot verhängen zu wollen. Kritikwürdig daran ist aber nicht minder, daß Klima diese Außerstreitstellung im vollen Bewußtsein dessen fordert, daß die grundlegenden Entscheidungen, die Weichenstellungen für die europäische Sicherheitsarchitektur gerade in den nächsten ein bis zwei Jahren getroffen werden.

Soll das etwa ohne aktiven politischen Beitrag Österreichs geschehen, oder gilt es nur einmal mehr, diese politische Richtungsentscheidung am Parlament und an der eigenen Bevölkerung vorbeizuschwindeln? – Jedenfalls lehnen wir Freiheitlichen es scharf ab, daß der Bundeskanzler in Österreich die Beibehaltung der Neutralität beschwört und sie zugleich in Brüssel laufend preisgibt. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Diese doppelbödige Haltung ist weder unseren Bürgern noch unseren EU-Partnern zumutbar. Sie trägt sogar den gefährlichen Keim in sich, in Zukunft ein Sicherheitsrisiko für Österreich auszulösen. Wir fordern daher den Bundeskanzler dazu auf, dieses innen- wie auch außenpolitisch unwürdige Doppelspiel zu beenden und sich noch rechtzeitig zu einem klaren Sicherheits


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konzept durchzuringen, das durch demokratische Willensbildung des Volkes legitimiert ist. – Ich danke Ihnen. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

17.17

Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Als nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Meier. – Bitte.

17.17

Bundesrat Erhard Meier (SPÖ, Steiermark): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Herr Staatssekretär! Hohes Haus! Wir behandeln heute die dringliche Anfrage der FPÖ betreffend "Neutralitäts-Lüge" des Bundeskanzlers. Sie haben hiezu auch die erste Seite einer Wochenzeitschrift fotokopiert, auf der das Bild des Bundeskanzlers mit einer langen Nase abgebildet ist. Man muß sich natürlich als Politiker auch Karikaturen gefallen lassen. Das geschieht des öfteren, aber das ist eben eine Karikatur, und ich glaube, wenn Sie fordern, daß wir dieses Thema sachlich und ernst behandeln sollen, dann sollte man nicht auf Karikaturen als Ausgangspunkt zurückgreifen. Ich meine nicht nur die bildliche Karikatur, sondern auch die Überschrift, die Sie von diesem Format übernommen haben. (Beifall bei Bundesräten der SPÖ.)

Dies war die Aufmachung einer Zeitschrift. Meine Damen und Herren! Das Wort "Lüge" – wir wissen das vom Rechtlichen her – sollte man vor allem dann nicht verwenden, wenn man fordert, etwas ernstlich zu diskutieren. Die Zeitschrift verwendet dies aus aufmacherischen und reißerischen Gründen, und Sie haben das mit dem Titel dieser Anfrage nachgeahmt.

Ich würde meinen, daß – das hat Herr Dr. Böhm auch gesagt – eine Fragestellung in folgender Form besser gewesen wäre: Sind wir heute noch neutral? Stimmt die realpolitische Tatsache mit der Verfassung überein? – Das wären meiner Ansicht nach sachliche Titel für eine Diskussion gewesen. (Bundesrat Dr. Bösch: Glauben Sie, dann wären die Anworten klarer gewesen? – Bundesrat Ing. Scheuch: Hätten Sie uns beigepflichtet?)

Nun einige Worte zu Ihrem Text in der dringlichen Anfrage: Es wird "für fünf Jahre außer Streit" zitiert. Als Bundeskanzler Klima das gesagt hat, hat er nur darauf reagiert, weil andere gemeint haben, man sollte dies nicht zu einem Wahlkampfthema machen. Ich war anderer Meinung und sagte, man könne schon auch in Zeiten einer Wahl darüber reden, denn die Bürger sollen wissen, worin sich politische Parteien in Österreich unterscheiden. Die Antwort darauf ist natürlich, da man das auch zum Thema der Wahl gemacht hat, daß jetzt auch die SPÖ ihre Ansicht dazu bekanntgibt und auf Plakaten druckt.

Ich bin der Meinung, daß es richtig ist: Das neutrale Österreich hat die wichtige Aufgabe, als Vermittler zu einer friedlichen Lösung auf dem Balkan beizutragen. – Nichts anderes. (Beifall bei der SPÖ.)

Die Standpunkte der österreichischen Parteienlandschaft sind eigentlich klar formuliert, und jeden dieser Standpunkte könnte man jetzt diskutieren. Die FPÖ ist für einen NATO-Beitritt und für die Aufgabe der Neutralität. Ich glaube, es hat sich mittlerweile schon die Einsicht durchgesetzt, daß beides vollwertig nebeneinander nicht möglich ist. Auch die Österreichische Volkspartei ist eher für die Aufgabe der Neutralität. Die Grünen sind strikt dagegen, und die SPÖ ist auch für die Beibehaltung der Neutralität. Es gibt SPÖ-Mitglieder – ich weiß nicht, wie viele –, die anderer Meinung sind, aber die überwiegende Mehrheit der Sozialdemokraten Österreichs ist dieser Meinung.

Ich möchte Ihnen sagen, was ich dazu denke. Ich war persönlich immer für die Beibehaltung der Neutralität, unabhängig von dieser Diskussion – ich werde dann vielleicht noch einige Worte dazu sagen –, aus tiefster Überzeugung, aber nicht deshalb, weil ich geglaubt habe, daß uns die Neutralität in der Vergangenheit – Gott sei Dank ist es nicht dazu gekommen – vor einer echten militärischen Auseinandersetzung, wenn es zu einem Ost-West-Konflikt oder zu einem größeren Konflikt in Europa gekommen wäre, gerettet hätte oder daß wir in der Lage gewesen wären, sie allein zu verteidigen. Welchen Aufwand müßte ein Land leisten, um einer überwältigenden Militärmacht des Ostens oder des Westens, des Nordens oder des Südens trotzen zu können, wenn man sieht, welche Mittel heute in einem Krieg einsetzbar sind?


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Ich habe nie geglaubt, daß die Neutralität expressis verbis die Sicherheit für Österreich gewährleistet, wohl aber diese Grundhaltung, die man auch für eine Vermittlertätigkeit nützen konnte, und vor allem die Friedensidee, die dahintersteckt. Denn von einem wirklich Neutralen kann jeder annehmen, daß keine Gewalt von ihm ausgeht, und ich glaube, es gibt auf der ganzen Welt keinen Staat, der glaubt, daß Österreich irgendwo aggressiv werden würde.

Ich glaube auch, daß in erster Linie kleinere Staaten neutral sein können, denn es wird nicht bei den Großmächten beginnen. Wir haben innerhalb der Europäischen Union neutrale Staaten wie Schweden, Finnland und Irland, wenn auch mit etwas anderer Positionierung, anderer Auslegung dieser Neutralität.

Meine Damen und Herren! Auch was die NATO betrifft, gibt es die verschiedensten Haltungen. Es werden zwar Jets in Italien gestartet, die in den Kosovo und nach Serbien (Bundesrat Dr. Tremmel: Über Radkersburg fliegen!) fliegen, aber die italienische Regierung tut sich schwer, alle NATO-Beschlüsse mitzuvollziehen, ebenso tut sich der EU- und NATO-Partner Griechenland schwer, diese Handlungen mitzuvollziehen. Also kann man doch nicht sagen, daß das neutrale Österreich hier nicht richtig gehandelt habe. Und Österreich ist laut Verfassung neutral, und ich glaube, daß auch die realpolitische Situation, auch wenn sich die Neutralität geändert hat, mit der Verfassung konform ist. Ansonsten müßte man es beim Verfassungsgerichtshof an konkreten Beispielen klären, ob wir gegen die Verfassung verstoßen haben. (Vizepräsident Weiss übernimmt den Vorsitz.)

Es hat heute Herr Außenminister Schüssel in der Fragestunde gesagt, daß wir auch als NATO-Mitglied im Kosovo nicht mehr hätten tun können. Das wird auch anerkannt. Das hat er wortwörtlich gesagt, und er hat gesagt, das habe mit Neutralität nichts zu tun. Das beweist doch, daß man, um diese Hilfsmaßnahmen durchführen zu können, nicht NATO-Mitglied sein muß. Und daß wir Hilfe in jeder Richtung anbieten können, das haben wir bewiesen, das hat die österreichische Bevölkerung mit "Nachbar in Not" und vielen anderen Aktionen bewiesen, und das beweisen auch jene Rot-Kreuz-Mitarbeiter und Soldaten, die wir nach Albanien geschickt haben, um dort mitzuhelfen. Dazu brauchen wir nicht die NATO.

Ich möchte zu Bundesrat Dr. Liechtenstein noch eines sagen – ich glaube, es kommt auch in der Begründung des FPÖ-Antrages vor –, und zwar geht es mir um den Unterschied zwischen neutral und neutralistisch.

Herr Bundesrat Dr. Liechtenstein! Du hast "neutralistisch" gesagt, und ich stimme dir diesbezüglich völlig zu. Aber es sollte sich jeder erkundigen – und ich glaube, du stimmst mir zu –, welch großer Unterschied zwischen neutralistisch und neutral ist. Ich bin gegen Neutralismus, aber für Neutralität. (Beifall bei der SPÖ.)

Ich würde darum ersuchen, im Zusammenhang mit der Neutralität nicht das Wort "neutralistisch" zu verwenden oder "neutralistisch" zu meinen und es mit "neutral" gleichzusetzen.

Unter diesen Voraussetzungen bin ich eigentlich sehr froh darüber, daß sich meine Meinung und Haltung zur Neutralität, die sich nicht nach meiner Partei richtet, der ich angehöre, mit der meiner Partei deckt und die SPÖ diese Haltung mit überwiegender Mehrheit einnimmt. Ich glaube, daß ein Großteil der Österreicher diese Haltung hat. Wir sollten schon tun, was die Leute wünschen, in diesem Fall besonders, aber man sollte nicht immer alles nachreden. Wenn sich nun die Haltung und Meinung eines Politikers mit dem deckt, was die Bevölkerung wahrscheinlich mit Mehrheit auch meint, dann finde ich das sehr positiv. Ich glaube, das darf man auch der Bevölkerung sagen, und ich wäre der letzte, der sich einem Mehrheitsbeschluß im Rahmen einer Volksabstimmung nicht beugen würde, wenn das Ergebnis ein anderes als meine persönliche Meinung ist. Dies ist aber hier nicht der Fall.

Meine Damen und Herren! Ich glaube, daß wir dieses Thema weiterhin diskutieren müssen. So wie sich die Neutralität zweifellos den heutigen Bedingungen angepaßt und auch geändert hat, wird es weitere Entwicklungen geben. Sie schreiben in Ihrer dringlichen Anfrage, die EU sollte sich mit der WEU verschmelzen, und das sei dann das Sicherheitssystem Europas. Wir wissen aber ganz genau, daß das Sicherheitssystem der WEU noch nicht ausgearbeitet, noch nicht vor


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handen ist. Nehmen wir innerhalb der Europäischen Union als deren Vollmitglied auch unsere Möglichkeiten wahr, am Aufbau dieses europäischen Sicherheitssystems mitzuwirken. Es hat sich auch die SPÖ in keiner Weise dagegen verwahrt, an dieser Diskussion teilzunehmen.

Weiters schreiben Sie, daß "sich 9 von 19 NATO-Mitgliedern nicht an den Einsätzen zur Rettung der Kosovaren" mit Truppen beteiligen. Richtig, das können wir, meine Damen und Herren, auch außerhalb der NATO und auch als Neutrale. Gleich weiter schreiben Sie, daß "die NATO-Staaten Dänemark und Norwegen keine Atomwaffen und Frankreich keine NATO-Truppen auf ihrem Territorium dulden". Sie wissen aber schon, daß Frankreich längere Zeit der NATO überhaupt sehr abseits gestanden ist und sich ihr erst in letzter Zeit wieder angenähert hat. Meine Damen und Herren! Das ist anerkennenswert, aber das können wir auch als Neutrale und Nicht-NATO-Mitglieder in der gleichen Weise tun.

Das heißt also, daß sich sogar NATO-Staaten und Mitgliedstaaten der EU in mancher Weise so verhalten, wie wir es eigentlich mit unserer Neutralität vereinbaren können. Darum glaube ich, den umgekehrten Schluß ziehen zu können, daß sich auch die Mitgliedschaft in der NATO und der Europäischen Union mit der österreichischen Neutralität vereinbaren läßt. Ich weiß es aus eigener Erfahrung, auch aus dem Europäischen Parlament: Wir hatten dort keine großen Probleme, daß wir immer darauf angesprochen worden wären, Österreich müsse endlich zur NATO gehen und seine Neutralität aufgeben. (Vizepräsident Weiss übernimmt wieder den Vorsitz.)

Wenn Sie sagen, mit dem Abschluß des EU-Vertrages und dem Beitritt Österreichs zur Europäischen Union und insbesondere mit der Unterzeichnung des Amsterdamer Vertrages hätten wir die Neutralität aufgegeben, so ziehe ich wieder den Umkehrschluß, die gesamte EU hat den österreichischen neutralen Status gekannt, als wir beigetreten sind, und niemand hat uns damals aufgefordert, diesen Status zu beenden, bevor wir beitreten, weil wir so nicht beitreten könnten. An dieser beiderseitigen Rücksichtnahme ist zu erkennen, daß auch die Europäische Union diesen Status der Neutralität anerkennt.

Zum Schluß möchte ich sagen, daß es eine Diskussion geben kann, geben soll und auch geben wird. Wir verschließen uns keiner ... (Bundesrat Dr. Tremmel: Also kein Diskussionsverbot?) Es gab auch kein Diskussionsverbot! (Bundesrat Dr. Tremmel: "Außerstreitstellen" ist der charmante Ausdruck dafür!) Herr Dr. Tremmel! Auch wenn der Bundeskanzler dies vorschlägt, kein Bundeskanzler in Österreich – ganz gleich, welcher politischen Richtung er angehört – kann dem Volk, den Parteien, den Österreichern vorschreiben, was sie diskutieren und was sie sagen dürfen. Das kann auch Herr Bundeskanzler Klima nicht. Er wollte dies auch gar nicht ausdrücken, sondern er hat den Vorschlag gemacht: Wenn uns vorgeworfen wird, daß man dieses Thema jetzt zu einem Wahlkampfthema mache, dann lassen wir es gemeinsam aus dieser Wahlauseinandersetzung draußen. (Bundesrat Dr. Tremmel: Also doch ein Diskussionsverbot!)

Wenn aber dieses Thema zu einem Wahlkampfthema gemacht wird, meine Damen und Herren, werden Sie doch einsehen, daß es nicht einer allein zu einem Wahlkampfthema machen kann und der andere, der eine konträre Meinung diesbezüglich hat, dazu schweigt. Das ist die Botschaft, die dahintersteckt, und sonst gar nichts.

Meine Damen und Herren! Nehmen wir die unterschiedlichen Standpunkte zur Kenntnis, diskutieren wir mit den Österreichern über die Zukunft! Ich bin für diese offene Diskussion. Wir werden diese Entwicklung in den nächsten Jahren sehen.

Ich glaube, zum Abschluß sagen zu dürfen, daß wir, um doch noch zu etwas Gemeinsamem zu kommen, alle das Leiden der Menschen gerade im Kosovo auf das tiefste bedauern, daß es uns unsäglich leid tut, daß dort unschuldige Menschen auf beiden Seiten, die keinerlei Befehle geben, die nichts verbrochen haben, schwer in Mitleidenschaft gezogen werden. Ich bin kein Freund des Regimes Milošević, um das dreimal zu unterstreichen, ich bin auch nicht Moskau-freundlich, wie es in Ihrer Anfrage Dr. Kostelka und Dr. Fischer vorgeworfen wird, aber es ist notwendig, daß man andere Instrumente der Politik findet, um diese Auseinandersetzung zu beenden und für die Menschen in der Zukunft das bestmögliche an Menschlichkeit, an Menschen


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rechten zustande zu bringen und wieder Frieden zu schaffen. (Beifall bei der SPÖ sowie Beifall des Bundesrates Dr. Tremmel. )

17.32

Vizepräsident Jürgen Weiss: Als nächster Redner zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Mag. John Gudenus. Ich erteile ihm das Wort.

17.32

Bundesrat Mag. John Gudenus (Freiheitliche, Wien): Herr Präsident! Herr Staatssekretär! Kollegen und Kolleginnen! Mein Vorredner, Kollege Meier, hat darauf hingewiesen, daß sich das Institut der Neutralität gewandelt hat. Das Institut der Neutralität hat sich nicht gewandelt, die politische Einstellung zur Neutralität hat sich gewandelt. – Aus diesem Grund gibt es heute auch diese Diskussion.

Natürlich mag es einer Regierungspartei lästig erscheinen, auf der Titelseite einer Zeitung ihren Bundeskanzler mit einer langen Nase abgebildet zu finden und der "Neutralitäts-Lüge" geziehen zu werden.

Sind wir noch neutral? – Diese Diskussion wurde heute sehr ergiebig geführt, und es wurde unterstellt, daß die Freiheitliche Partei für die NATO und für die Aufgabe der Neutralität sei. So einfach hat sich die Freiheitliche Partei diese Sache nicht gemacht: Wir treten für eine Volksabstimmung ein, die die Aufgabe der Neutralität und den Beitritt zu einem Bündnis, NATO genannt, zum Gegenstand hat. Es sei auch hier ganz klar gesagt: Wir sind für eine NATO, aber für eine sehr europäisierte NATO. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Wir wollen kein Anhängsel einer atlantischen Beziehung sein, die vielleicht großteils aus militärökonomischen Gründen eingegangen wird. Wir meinen, Europa ist ein Wert für sich, der die Hilfe der Vereinigten Staaten, sofern notwendig, erhalten soll und kann. Ich meine – jetzt betone ich ausgesprochen: ich meine –, daß es patriotischer sein kann, für die Neutralität einzutreten, wenn die Alternative eine NATO ohne Wenn und Aber ist. Wir fordern aber eine NATO mit Wenn und Aber. Österreich kann nicht einfach nur ein "landgebundener Flugzeugträger" für die den Pakt umgebenden Staaten sein. Wir sind ein Wert für uns mit Österreichern, die weiterhin eigene politische Überlegungen vertreten wollen.

Der Primat der Politik ist eine unserer Zielsetzungen, die erhalten werden muß, aber die Durchführung im Rahmen des Neutralitätsrechtes hat das Militär über. Das Militär und die Angehörigen des Militärs haben es schwer, wenn die führenden Politiker des Staates, die Regierungspolitiker des Staates unklare Ansichten über den Einsatz eines Militärs in einem nicht geklärten politischen Zustand – sind wir neutral, sind wir nur paktfrei, oder sind wir schon Mitglied eines Paktes? – haben. Ich meine, wir sind nicht mehr neutral – das wurde von Kollegen Böhm sehr klar dargestellt –, aber wir sind bündnisfrei. Wir sind noch keinem Paktverhältnis beigetreten, weil wir die Volksabstimmung dazu fordern.

Jetzt als Soldat gesprochen: Egal, ob neutral oder bündnisfrei oder schon einem Bündnis beigetreten, es fehlt das "Schmalz". Montecuccoli hat gesagt, zum Militär gehören drei Dinge: Geld, Geld und noch einmal Geld. – Und dieses dreimal Geld hat man uns in den letzten 40 Jahren immer verweigert, aber die Aufgaben wurden immer mehr. (Bundesrat Dr. Tremmel: Zuungunsten der Europäischen Gemeinschaft unterschlagen!)

Die Aufgaben für die österreichischen Soldaten wurden immer mehr. Früher war es sehr einfach: Verteidigung der Staatsgrenzen der Republik nach außen. Das war eigentlich die Hauptaufgabe. Heutzutage steht das Militär für die Verteidigung der Staatsgrenzen – die Verteidigung bezieht sich natürlich auf das ganze Bundesgebiet –, für die Sicherung der Staatsgrenzen im Rahmen des Assistenzeinsatzes für das Innenministerium zur Verfügung. Außerdem leistet das Bundesheer seit 30 Jahren einen ungeheuerlichen Aufwand an Friedenssicherungen im Mittelmeerraum und in anderen Staaten. Und der Aufwand für diese Aufgaben wurde nicht finanziell budgetiert und in den wenigsten Fällen abgegolten.

Wenn Sie, Herr Staatssekretär, meinen, wir seien neutral, lasse ich es gelten, aber geben Sie das Geld dafür her! Wir brauchen es, auch wenn wir nicht neutral sind! Wir können nicht Solda


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ten, schlecht ausgerüstet, zuwenig ausgerüstet, in irgendwelche Einsätze – welcher Art auch immer – schicken und dann, wenn man bei Wind und Nebel wie in Galtür nicht fliegen kann, sagen: Wir haben alte "Schachteln" zum Fliegen, diese sind ungeeignet! – Da kann man wirklich sagen, wir sind selbst schuld, wenn wir uns die Finger abfrieren, weil wir schlechte Handschuhe haben. Versorgen Sie uns einmal mit den richtigen Ausrüstungsgegenständen, dann können wir auch den Einsatz, den wir meinen, wahrnehmen zu müssen – egal, kraft welcher politischen Idee: Neutralität oder Bündnisfreiheit oder schon angeschlossen –, ordnungsgemäß durchführen. Wir brauchen ein Militär, welches die geeignete Ausrüstung hat und nicht Bittsteller bei Nachbarstaaten sein muß. Wir wollen nicht ständig Bittsteller sein! (Bundesrat Meier: Es mußten auch die deutschen Hubschrauber die Wetterbesserung abwarten! Das hat nicht nur mit dem Material zu tun gehabt!)

Wir warten die ganze Zeit, sehr geehrter Herr Kollege! Das österreichische Bundesheer lebt von der Hoffnung, die in den letzten 40 Jahren in den wenigsten Fällen materialgemäß erfüllt worden ist. Ich habe es eigentlich satt, weil manche Parlamentarier meinen, wir müssen warten, ständig warten zu müssen! Ich habe genug gewartet, und die Soldaten des österreichischen Bundesheeres haben auch genug gewartet! (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Die ÖVP muß entscheiden, ob sie neutral sein will oder zur NATO will. Bundesrat Liechtenstein hat sich einige Male – zumindest einmal – sehr deutlich in der "Kronen-Zeitung" in einem Kommentar "Von außen" für die NATO sehr stark ausgesprochen. – Es ist erfreulich, daß ein Politiker klare Aussagen macht, seien wir froh darüber! Sein Kollege Khol, der eher dem Verfassungsbogen anhängt, als etwas von der Neutralität zu verstehen, meint auf einmal, die ÖVP müsse neutral bleiben. Ich weiß nicht, das soll sich die ÖVP selbst ausmachen. Dr. Liechtenstein und Professor Khol werden sich schon irgendwo finden. Zumindest in der gleichen Partei bleiben sie, das ist doch schon sehr erfreulich. (Bundesrat Prähauser: Da ist Habsburg jetzt eine Alternative!)

Wenn drei Viertel der Österreicher für die Neutralität sind, wie Herr Bundesrat Konecny ausge-führt hat, dann muß ich sagen, ich glaube, die Österreicher wissen gar nicht mehr, was Neutralität ist.

Es wird diese Sprechblase ständig produziert, und die Leute meinen, daß das, was wir sind, Neutralität wäre. Das, was wir sind, ist in Anbetracht der Behauptung, wir wären neutral, schon fast ein verbrecherischer Zustand. Wir sind nicht neutral, wir können es gar nicht sein, wir haben unsere Neutralität, wie es Kollege Böhm schon erläutert hat, schon längst schrittweise sehr relativiert. Aber das völkerrechtliche Institut der Neutralität ist gleichgeblieben.

Ich stimme Herrn Kollegen Konecny, nur um ein tagespolitisches Problem aufzugreifen, völlig zu, wenn er meint, daß es andere Mittel als Bombardieren geben muß, um diesen Kriegsschauplatz, der uns alle sehr bewegt und von dem uns täglich televisionsmäßig das Grauen vor Augen geführt wird, zu befrieden. Sicherlich ist durch Bombardieren keinem einzigen Albaner die Heimat erhalten geblieben. Wenn man meint, das politische Recht und die moralische Verpflichtung zu haben, da zu helfen, dann muß mehr getan werden, als nur zu bombardieren.

Das kommt mir so ähnlich vor, als ob in einem Haus zwei Streitparteien – nennen wir den einen Serben und den anderen Albaner – fürchterlich streiten würden und der Serbe den Albaner fürchterlich unterdrücken würde. Dann rücken die Feuerwehr und die Polizei aus und stecken das Dach in Brand. Das findet bei uns so nicht statt. Wenn solche Dinge bei uns stattfinden, schreitet die Polizei unter Mißachtung ihres eigenen Lebens ein, geht in das Haus und trennt die Streitparteien. Wie oft verlieren Exekutivbeamte in Aufopferung bei der Verrichtung ihres Dienstes ihr Leben? – Das ist kein Wunsch, sondern es ist Realität, daß das stattfindet. Der Wunsch ist, daß so etwas nicht stattfindet. Aber das ist die Aufgabe, wenn man meint, man müsse helfen.

Doch das, was geschieht, ist keine Hilfe. Die Pazifisten müssen sich in diesem Fall folgendes sagen lassen – ein Dichterwort –: Es ist besser, daß Unrecht geschieht, als daß es auf unrechte


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Weise behoben wird. Aber das ist edel und weltfremd, so kann es nicht gehen. Wir wollen nicht nur edel und weltfremd sein, sondern es muß richtig geholfen werden.

Jene, die für die Intervention eintreten, sprechen, weil das Wort Krieg bei manchen verpönt ist, von Polizeiaktion. Das darf es aber auch nicht sein, denn es geht um ein fremdes Staatsgebiet. Keiner, der dort eingreift, kann sagen, es stünde unter seiner Souveränität. Also fällt der Vorschlag mit der Polizeiaktion weg. Aber so wird es oftmals benannt.

Oder es handelt sich um ein Bombardement gegen ein terroristisches Regime. Das Bombardement, das jetzt stattfindet, ist ein terroristischer Akt in Friedenszeiten. Das ist auch eine gefährliche Angelegenheit, denn wenn unsere Soldaten in diesem Fall in die Hände der Jugoslawischen Republik fallen, dann haben sie gar kein Kriegsgericht zu erwarten, sondern sie können eigentlich als Freischärler, so möchte ich fast sagen, hingerichtet werden.

Man muß sich dazu bekennen, daß in diesem Gebiet Europas derzeit, im ausgehenden 20. Jahrhundert, Kriegshandlungen stattfinden. Nur dann, wenn es Kriegshandlungen sind, kann man auch kriegsvölkerrechtliche Positionen einnehmen. Diese kriegsvölkerrechtlichen Positionen, dieser Rechtszustand des Krieges, ob er uns paßt oder nicht, gibt auch der Neutralität Platz. Nur im Rahmen des Kriegsrechtes kann die Neutralität wirksam werden.

Österreich hat derzeit Soldaten im Einsatz auf diesem Kriegsschauplatz, und wir wissen eigentlich nicht, welchen Status sie haben. Wir meinen, daß sie der NATO unterstellt sind. Doch hier wird gesagt – auch der Außenminister sagt das –, daß sie der NATO nicht unterstehen. Bitte, was muß geschehen, damit wir feststellen können, was tatsächlich die Wahrheit ist? Muß wirklich erst ein österreichischer Soldat in Gefangenschaft geraten, damit ausjudiziert werden kann, ob er als neutraler hilfegebender Soldat auf diesem Kriegsschauplatz ist oder ob er einem NATO-Kommando neutralitätswidrig – weil er laut Papier noch immer völkerrechtlich neutral ist – unterstellt ist und an Kriegshandlungen teilgenommen hat?

Ich meine, daß wir diese Form für uns nicht gelten lassen können. Die österreichische Regierung trägt nicht dazu bei, den österreichischen Soldaten Sicherheit in ihrem Einsatz zu gewähren.

Ein weiteres: Wenn wir Soldaten in den Einsatz schicken, dann wollen wir auch wissen, ob es ein gerechter Krieg ist. Ist es ein gerechter Krieg? – Die Merkmale des gerechten Krieges sind nach eigenem Urteil eine gerechte Sache. Das ist schön. Aber es gehören zwei weitere dazu: die begründete Aussicht, den Krieg zu gewinnen. Ob der Krieg gewonnen werden kann, steht außer Zweifel. Früher oder später ist Jugoslawien kaputtgebombt. Das dritte wesentliche Merkmal ist die moralische Gewißheit, daß die zu beseitigenden Übel nicht überwogen werden durch die Übel, die der Krieg verursacht. Da habe ich meine Zweifel. Bei diesem Krieg überwiegen schon die Übel, die zur Beseitigung der Übel eingesetzt werden. Das ist eine Aufgabe, von der ich froh bin, daß österreichische Soldaten daran noch nicht teilnehmen.

Meine Damen und Herren! Grundsätzlich erwarte ich mir jetzt nicht, daß der Herr Staatssekretär auftritt und sagt, der Herr Bundeskanzler habe sich geirrt, er sei auch der Meinung, daß wir nicht mehr neutral sind, und es werde Zeit, daß wir eine Volksabstimmung durchführen. Aber geben Sie dem Herrn Bundeskanzler doch den Rat, er soll sie doch möglichst schnell machen. Fünf Jahre Denkverbot zum Thema Neutralität sind eine lange Zeit. Vielleicht kommt er drauf, daß es noch vor dem Wahlkampf Zeit ist, diese Materie zu thematisieren. Mit Herrn Martin allein und anderen Personen werden sie die nächsten Wahlen nicht gewinnen können, Herr Staatssekretär! (Beifall bei den Freiheitlichen.)

17.47

Vizepräsident Jürgen Weiss: Als nächstem Redner erteile ich Herrn Bundesrat Dipl.-Ing. Hannes Missethon das Wort. – Bitte.

17.47

Bundesrat Dipl.-Ing. Hannes Missethon (ÖVP, Steiermark): Ich möchte doch noch ein paar Dinge zu den Ausführungen des Herrn Kollegen Konecny sagen und um ein paar Richtigstellun


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gen bitten. Ich wollte nicht in Abrede stellen, daß diplomatische Bemühungen weiterlaufen sollten, aber wenn wir ehrlich sind, Herr Kollege Konecny, dann müssen wir zugeben, daß nicht nur der Fall Kosovo gezeigt hat, daß wir mit diplomatischen Bemühungen am Ende sind. Es ist dies der vierte Krieg, den Slobodan Milošević angezettelt hat. Im Vorjahr hat es 200 000 Vertreibungen aus dem Kosovo gegeben. Es hat Massenvergewaltigungen und Massenexekutionen gegeben. Weil wir auf diplomatischer Ebene keine Möglichkeiten mehr hatten, hat sich die Europäische Union schlußendlich dafür entschlossen, einen Militärschlag der NATO zu initiieren. Das war der eigentliche Grund!

Ich glaube, daß es auch keine Entweder-Oder-Position sein sollte, sondern daß es in diesem Fall eine Sowohl-Als-auch-Position sein muß. (Zwischenruf des Bundesrates Konecny . )

Ich möchte aber auch auf die Position des Herrn Bundeskanzlers Klima noch eingehen. Ich bin nicht Ihrer Meinung, Herr Dr. Böhm, wenn Sie sagen, er sei für die EU nicht berechenbar. (Bun-desrat Konecny: Sie werden doch nicht widersprechen!)

Dieser Meinung bin ich nicht! Bundeskanzler Klima ist für die EU sehr wohl berechenbar, und zwar ein ganz berechenbarer Partner, weil er die Entscheidungen der EU sehr wohl mitträgt. Nicht mehr berechenbar ist er für die eigene Bevölkerung, und er ist auch für dieses Parlament nicht mehr berechenbar. (Beifall des Bundesrates Schöls.  – Zwischenrufe bei der SPÖ.)

Dieser Meinung bin ich, weil ich den Eindruck habe, daß die Politik in Österreich nicht mehr Herr Klima macht, sondern daß die Politik in Österreich, was die Neutralität betrifft, ein Herr Rudas, ein Herr Kostelka und ein Herr Fischer machen. (Bundesrat Freiberger: Na schlecht?) – Das halte ich für nicht gut, und zwar deshalb, weil wir damit politisches Führungsverhalten aus der Hand geben.

Gerade im Kosovo-Konflikt hat die Europäische Union Leadership bewiesen. Das kann man im Hinblick auf die Neutralitätsdebatte von Herrn Bundeskanzler Klima in Österreich nicht behaupten. Da entsteht ein Führungsvakuum, und das halte ich für sehr bedenklich. (Bundesrat Payer: Lieber Bomben!)

Zwei Punkte noch zur NATO: Ich glaube, daß wir beim Kosovo sehr genau hinschauen sollten. Ich habe nämlich den Eindruck, daß die Flüchtlinge nicht vor der NATO, sondern zur NATO fliehen. Ich halte das für sehr bedenklich.

Es kommt bei uns in Österreich langsam, aber sicher zu einer Täter-Opfer-Umkehr. Ich möchte das mit aller Deutlichkeit sagen. Schön langsam bekommt man dieses Gefühl. Wenn man die Medienberichte und Äußerungen von politischen Führungskräften in diesem Lande verfolgt, dann gewinnt man immer mehr den Eindruck, bei der NATO seien die Bösen und der Herr Milošević sei der Arme. Und gegen dieses Reinwaschen des Herrn Milošević durch einen Herrn Fischer, durch einen Herrn Kostelka möchte ich mich mit aller Deutlichkeit verwahren! – Ich danke schön. (Beifall bei der ÖVP und bei Bundesräten der Freiheitlichen.)

17.51

Vizepräsident Jürgen Weiss: Nächster Redner ist Herr Bundesrat Dr. Paul Tremmel. Ich erteile ihm das Wort.

17.51

Bundesrat Dr. Paul Tremmel (Freiheitliche, Steiermark): Herr Präsident! Herr Staatssekretär! Die Ausführungen, denen ich aufmerksam gefolgt bin, veranlassen mich als verfassungstreuen Menschen dazu – da es mehrere Interpretationen unseres Neutralitätsgesetzes gegeben hat –, das Neutralitätsgesetz zu zitieren.

Artikel 1 lautet wie folgt:

"Zum Zwecke der dauernden Behauptung seiner Unabhängigkeit nach außen und zum Zwecke der Unverletzlichkeit seines Gebietes erklärt Österreich aus freien Stücken seine immerwähren


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de Neutralität. Österreich wird diese mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln aufrechterhalten und verteidigen." – Ende des Zitats.

Meine Damen und Herren! Was ich heute hier erlebt habe, ist enttäuschend: Es wurde ein bestehendes Verfassungsgesetz nach jeder Richtung hin interpretiert, und man hatte nicht den Mut, die Realität, die Wahrheit auszusprechen. Es gibt nämlich Gesetze, die diesem Verfassungsgesetz widersprechen, und man sollte den Mut haben, das auszusprechen.

Herr Staatssekretär! Ich darf zur Gegenwart kommen. Ich muß Ihnen leider vorhalten, daß Sie in Ihrer Beantwortung der Anfrage bezüglich des Oberkommandos über die österreichischen Kontingente in Bosnien hier nicht die Wahrheit gesagt haben. Sie haben gesagt, diese Kontingente würden der NATO nicht unterstehen. Ich halte Ihnen dazu den Bericht des Hauptausschusses des Nationalrates vor, in dem es heißt – ich zitiere –:

"Der UNHCR" – das ist die UNO-Flüchtlingshilfeorganisation – "hat die NATO ersucht" – ohne UNO-Mandat wohlgemerkt! –, "die logistische Koordinierung eines humanitären Einsatzes in Albanien zu übernehmen. In diesem Zusammenhang hat sich die NATO am 5. April 1999 auch an die Partnership for Peace mit dem Ersuchen um einen Beitrag gewandt." – Wörtliches Zitat aus dem Bericht des Hauptausschusses.

Weiter heißt es darin auf Seite 2: "Die entsendeten Personen haben nach § 4 Abs. 3 des Kooperations- und Solidaritätspaktes" – der bei uns ein Bundesverfassungsgesetz ist – "hinsichtlich des Einsatzes die Weisungen des vorhin zitierten Kommandos, soferne und so lange auf dessen Ersuchung zur Leitung der Hilfsmaßnahmen ein Kommando der NATO eingerichtet wird, zu befolgen." – Zitatende.

Daraus geht eindeutig hervor, daß die österreichischen Truppen dort der NATO unterstellt sind. Sollten Sie das noch immer nicht glauben, dann kann ich Ihnen aus dem Handbuch bezüglich der NATO-Kooperation und der Vorgänge bei der NATO zitieren, und zwar aus dem Abschnitt, in dem die einzelnen Bereiche der NATO dargelegt sind. Darin heißt es – ich zitiere –:

"Diese Organisation, die schnelle Eingreiftruppe, die das Kommando in Heidelberg hat, untersteht direkt der NATO. Folgende Stäbe und Kommandos, die dem obersten alliierten Befehlshaber in Europa" – so heißt es hier – "unterstehen, befassen sich hauptsächlich mit Krisenreaktionskräften." – Zitatende. Darin wird also dieses Kommando genannt. Also es steht eindeutig fest, daß die österreichischen Truppen im Kosovo unter dem Kommando der NATO tätig sind.

Warum sagen Sie das nicht? – Sie haben diesbezüglich nicht die Wahrheit gesagt! (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Leider, meine Damen und Herren, geht es in dieser Folge weiter. Ich glaube, daß Österreich im Sinne des Völkerrechts nie 100prozentig dauernd neutral gehandelt und so die Neutralität schrittweise ausgehöhlt hat. Beispiele dafür wurden bereits genannt. Ein weiteres Beispiel: Bewaffnete militärische Kräfte, Panzer, haben in einem Zug Österreich anläßlich des Golfkrieges durchquert. Bei genauerer Auslegung unserer Neutralität wäre dies unmöglich gewesen. Ich habe vorhin dargetan, daß wir, was dem innersten Kern des Neutralitätsgesetzes völlig widerspricht, bereits in einem Militärbündnis tätig sind. (Zwischenruf des Bundesrates Konecny. )

O ja! Hätten wir es doch dazu gebracht, Herr Kollege Konecny! Hätten wir diese Maßnahmen doch eingesetzt! (Bundesrat Konecny: Hat es da keinen Beschluß der UNO gegeben?) Nein, es hat damals keinen Beschluß des UNO-Sicherheitsrates gegeben. Es hat ein Ersuchen gegeben. (Bundesrat Konecny: Beim Irak nicht?) Hätten Sie genau zugehört! Aber ich stelle Ihnen das Protokoll des Hauptausschusses gerne zur Verfügung, dann werden Sie genau wissen, wie die ganze Sache abgelaufen ist. (Bundesrat Konecny: Das Beispiel, das Sie genannt haben, stammt aus diesem Kontext?) – Ja, aber trotzdem ist ein militärischer Bereich durch dieses Land ... (Bundesrat Konecny: Wenn es ein UNO-Mandat gibt, ist die Rechtssituation eine andere!) Ich habe Ihnen das Neutralitätsgesetz zitiert. Ich weiß, daß Sie der größte Interpret sind,


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um da aus dieser Bredouille herauszukommen. (Bundesrat Konecny: Sie haben Birnen mit Äpfeln gemischt und dann geglaubt, daß wir dieses Kompott essen!

Die immerwährende Neutralität verpflichtet zur Gleichbehandlung der Streitparteien. Das ist doch eine klare Sache, Herr Kollege! (Bundesrat Konecny: Nein!) Wir haben die Streitparteien nicht gleich behandelt. (Bundesrat Konecny: Nein!) Wir haben das nicht getan! Da ist die österreichische Bevölkerung getäuscht worden. Wir haben das nicht gemacht. Wir haben sie da getäuscht.

Am 26. Mai 1998 ... (Bundesrat Konecny: Das stimmt einmal: Die haben Sie getäuscht! Das ist wahr!) Nein, das habe ich nicht gesagt.

Herr Kollege! Jetzt sage ich Ihnen einmal, was Ihr Klubobmann Kostelka gesagt hat. – Den Vertrag von Amsterdam, der am 1. Mai 1999 in Kraft getreten ist, haben SPÖ, ÖVP und Liberales Forum und auch wir zur Kenntnis genommen. Damit haben Sie einer weiteren Änderung der Bundesverfassung zugestimmt, sind dafür eingetreten. Es wurde der Artikel 23f aus dem Amsterdamer Vertrag herausgenommen, und da ist ganz eindeutig fixiert (Bundesrat Konecny lacht)  – da können Sie lachen oder nicht (Bundesrat Konecny : Ich kenne ihn!)  –, daß wir unterstützend tätig sein werden und daß wir die EU und letztlich auch die WEU bei Maßnahmen unterstützen. (Bundesrat Konecny: Letztlich die WEU – ja!)

Da heißt es unter anderem: Österreich wirkt an der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union (Bundesrat Konecny: Der Europäischen Union – jawohl!) in der Fassung des Vertrages von Amsterdam mit – da sind militärische Aktionen genannt –, und dies schließt die Mitwirkung an Maßnahmen ein, mit denen die Wirtschaftsbeziehungen zu einem oder zu mehreren Drittländern ausgesetzt, eingeschränkt oder vollständig eingestellt werden. (Bundesrat Konecny: Ja!)  – Wir sind also nicht mehr neutral. Das kann man als Wirtschaftskrieg oder als sonst irgend etwas bezeichnen. Bitte nehmen Sie das doch endlich einmal zur Kenntnis! (Heiterkeit des Bundesrates Konecny. )

Ihr Kollege Cap – ich sage das, weil Sie so lachen – hat am 15. 7. 1996 gesagt, wir sollten immer ernsthafter prüfen, ob die Mitgestaltungsmöglichkeiten nicht größer sind, wenn wir der WEU und in der Folge der NATO beitreten. (Bundesrat Prähauser: Nachzudenken wird doch noch erlaubt sein!) Das soll man ja, aber Sie müssen ... (Bundesrat Prähauser: ... ein Problem, hat der Außenminister heute gesagt!) – Lieber Stefan Prähauser! Du mußt auch die Realität sehen! Du mußt dir den Artikel 23f ansehen! Du mußt die Petersberger Beschlüsse kennen! Du mußt dir den Vertrag von Amsterdam ansehen, der mit 1. Mai wirksam wurde!

Du mußt auch sehen, was Swoboda – vielleicht ist er deshalb als Leiter der SPÖ-Europadelegation abgelöst worden – am 29. April gesagt hat: "Swoboda legt neuerlich ein Bekenntnis zur NATO ab."

Oder was sagt sogar Ihr Bundeskanzler Viktor Klima in der "Kleinen Zeitung" am 8. 7. 1997? – "So deutlich wie nie zuvor hat gestern Bundeskanzler Klima erkennen lassen, daß auch der Beitritt zur NATO eine Möglichkeit bei der künftigen sicherheitspolitischen Entscheidung Österreichs sein kann." – Dann haben Sie offensichtlich ein Befragungsergebnis bekommen, und dann ist das Gespaltene, das Vincenz Liechtenstein hier richtig angeführt hat, zutage getreten, meine Damen und Herren!

Ich muß aber auch – ich nehme dich, Vincenz, aus (Heiterkeit des Bundesrates Konecny  – Bundesrat Prähauser droht Bundesrat Liechtenstein scherzhaft mit dem Finger)  – der ÖVP vorhalten, was etwa Ursula Stenzel am 16. 5. 1998 gesagt hat: "Die Neutralität hat sich durch die Veränderung der politischen Situation überlebt." – Lassen Sie die letzte Fernsehdiskussion mit Frau Stenzel Revue passieren! Da hat sie wieder ganz anders gesprochen.

Oder Herr Außenminister Wolfgang Schüssel hat am 31. 12. 1998 ... (Zwischenruf des Bundesrates Steinbichler. ) – Du mußt lauter reden, bitte. (Bundesrat Steinbichler: Ich glaube, das solltest du der anderen Partei sagen!) Nein, du wirst es gleich merken. Du darfst nicht nach


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machen, was er euch vorgemacht wird. Es wird immer Slalom gefahren, aber du fädelst immer wieder ein. (Weitere Zwischenrufe bei der ÖVP.)

Ich darf euch noch einmal vorhalten, was euer Außenminister Dr. Wolfgang Schüssel am 31. 12. 1998 gesagt hat: "In der Frage der Sicherheitspolitik will Schüssel inhaltlich von einem NATO-Beitritt keinen Zentimeter abrücken." – Und jetzt hat er gesagt: Na ja gut – wahrscheinlich war das der Koalitionsbefehl –, fünf Jahre ist diese Verfassungsaufweichung – ich sage Verfassungsbruch – nicht zu diskutieren. Jetzt hat er halt eine andere Meinung.

Ich könnte Ihnen noch Khol zitieren, ich könnte Ihnen noch Amon zitieren. Aber weil hier bezüglich der "Pressestunde" von Kanzler Klima bestritten wurde, wie er das gesagt hat, nur noch folgendes: Neutralität außer Streit stellen. Stellen wir die Neutralität fünf Jahre außer Streit. Halten wir sie aus dem Wahlkampf heraus. Machen wir statt dessen in dieser Zeit aktive Neutralitätspolitik. – So weit, so gut.

Das hätte er vorher sagen müssen. Das hätte er sagen müssen, als es zur Beschlußfassung des Artikels 23f unserer Bundesverfassung gekommen ist, denn da hat er sich bereits selbst geteilt, wie es Vincenz Liechtenstein bereits hier dargestellt hat.

Meine Damen und Herren! An die ÖVP: Das (der Redner hält ein Blatt Papier in die Höhe) ist von Ihrer Neutralität übriggeblieben: ein leeres Blatt. (Bundesrat Meier: Eine lange Nase!) Meine Damen und Herren von der SPÖ! Das (der Redner wendet das Blatt, das nun die Kopie einer "FORMAT"-Titelseite zeigt) ist von Ihrer Neutralität übriggeblieben: daß Sie Hohn und Spott in einer Zeitschrift ernten. "Die Neutralitäts-Lüge" heißt es hier, und Ihr Bundeskanzler ist mit einer Pinocchio-Nase versehen.

So urteilt die Presse, und jetzt darf ich Ihnen sagen, wie die Öffentlichkeit bereits seinerzeit geurteilt hat. (Bundesrat Konecny: Und was ist von Ihnen übriggeblieben? –  Bundesrat Meier: Von Ihnen war gar nichts da! – Bundesrat Konecny: Die Schmalseite des Papiers! Nein, das ist bei Ihnen ein schlechter Vergleich!) – Ja, ja, Herr Kollege.

Ich darf zitieren, was der von Ihnen seinerzeit so hochgelobte Jacques Santer, den Sie auch verteidigt haben, gesagt hat, als Österreich der EU beigetreten ist: Den Unterzeichnern muß klar sein, daß die gemeinsame Verteidigung Kernelement des Vertrages ist. Wenn man einer Gemeinschaft angehört, die die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik beinhaltet, muß man sich legitimerweise fragen, welchen Inhalt die Neutralität für die Zukunft hat. – Brüssel, 3. Mai 1995. (Bundesrat Konecny: Darum mußten alle zurücktreten!) Diese Frage ist x-mal an die Österreicher gestellt worden, aber Sie haben gesagt: Nein, über die Neutralität ist nicht diskutiert worden.

Meine Damen und Herren! In Brüssel kursiert seit Jahren ein Gerücht, das wie folgt lautet: Haider ist für den NATO-Beitritt – Anmerkung: Wir wollen aber eine Volksabstimmung –, die ÖVP ist für die WEU und dann den leichten Umweg, die SPÖ ist das Problem. (Bundesrat Konecny: Diese Rolle bei der Verteidigung der Neutralität übernehmen wir gerne!)

So empfiehlt ein angesehener EU-Parlamentarier, Otto von Habsburg, wie sehr viele andere auch (ironische Heiterkeit bei der SPÖ) – der alte Habsburg ist durchaus angesehen (Bundesrat Konecny: Das sag‘ ich ihm, daß Sie ihn zitieren! Das hat er sich nicht verdient!), mein Gott, Herr Kollege Konecny – Österreich umgehend den Beitritt zur NATO. Das war bereits im Jahr 1995. Da haben wir alle taube Ohren gehabt.

Jetzt haben Sie die Verpflichtung, meine Damen und Herren! Heute haben Sie wieder einmal einen Entschließungsantrag, in dem es um die finanzielle Besserstellung des Bundesheeres ging, abgelehnt. Sie sind weder bereit, für eine ordnungsgemäße innere Sicherheit zu sorgen, noch sind Sie bereit, die Aufträge des Wehrgesetzes, insbesondere § 2 dieses Wehrgesetzes, zu erfüllen. Sie hungern dieses Heer aus! Anderswo ist dieses Material, das bei uns das Bundesheer zur Verfügung hat, bereits an den Alteisenhändler überliefert. Sie gefährden die Ausbildung. Sie gefährden damit die Soldaten, die irgendwo im Einsatz sind, weil Sie das Bundesheer


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materiell aushöhlen. Österreich leistet mit 0,75 Prozent des Bruttoinlandsproduktes den geringsten Beitrag zur Landesverteidigung in Europa!

Andererseits wollen Sie dahinschwimmen und hoffen, daß die anderen europäischen Partner – Sie zitieren immer wieder die Solidarität – endlich zu einer europäischen Verteidigungsgemeinschaft kommen, wollen aber dazu letztlich nichts beitragen. Nicht einmal das wollen Sie beitragen, daß bei uns die innere Sicherheit gewährleistet ist.

Sie haben den Auftrag, die Bevölkerung darüber zu informieren, wie es derzeit mit unserem Denken über die Neutralität, wie es mit der Sicherheitspolitik steht. Wo ist Ihr gemeinsamer Bericht bezüglich der Sicherheit dieses Landes, auf den wir schon lange warten?

Wir Freiheitlichen treten für eine Volksabstimmung ein, bevor wir diese Neutralität aufheben, um wirklich die Meinung der Bevölkerung dazu einzuholen. Machen Sie das auch endlich! Schenken Sie reinen Wein ein! Sorgen Sie dafür, daß unsere Sicherheitspolitik nicht gefährdet ist! (Beifall bei den Freiheitlichen.)

18.07

Vizepräsident Jürgen Weiss: Nächster Redner ist Herr Bundesrat Dr. Milan Linzer. Ich erteile ihm das Wort.

18.07

Bundesrat Dr. Milan Linzer (ÖVP, Burgenland): Herr Präsident! Herr Staatssekretär! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Hoher Bundesrat! Ich habe mich bemüht, die ganze Debatte über die dringliche Anfrage einigermaßen ohne Emotion zu verfolgen. Mitunter ist das schwergefallen, denn man gewinnt doch unwillkürlich den Eindruck, daß es sich in Zeiten einer Vorwahl um ein Wahlgeplänkel handelt.

Ich möchte ausnahmsweise Kollegen Tremmel recht geben. In einem seiner Schlußsätze hat er gemeint, daß unsere Bevölkerung, unser Volk in dieser sensiblen Frage der Sicherheitspolitik – Neutralität ja oder nein? – zweifellos Anspruch auf Wahrheit hat. Wenn ich die heutige Debatte hier verfolgt habe, dann muß ich sagen, das changiert so zwischen Wahrheit und Dichtung. Manche wollen sich um die Wahrheit herumstehlen, um nicht aufgrund irgendwelcher mehr oder weniger dubiosen Umfragen dem Volk diametral gegenüberzustehen.

Ich meine, daß wir hier zweifellos ernsthafter diskutieren sollten, denn es ist eine sehr sensible Frage. Diese Frage ruft Ängste und Besorgnisse hervor, gerade vor dem Hintergrund dieses barbarischen Krieges, dieser Auseinandersetzung im Süden unseres Landes.

Ich bin der Meinung, daß Vizekanzler Schüssel in der heutigen Fragestunde die Position der Österreichischen Volkspartei in dieser Frage durchaus klar und eindeutig definiert hat, ungeachtet irgendwelcher anderer Scharmützel, die es da gegeben hat.

Kollege Tremmel hat einige Medienberichte zitiert. Ich kann den Wahrheitsgehalt nicht überprüfen, und er läßt sich auch nicht überprüfen. Tatsache ist, Faktum ist, daß Vizekanzler Schüssel heute seine Position als Außenminister dargestellt hat, und diese Position ist in dieser Diskussion auch völlig unwidersprochen geblieben.

Ich wiederhole nur in Stichworten: So hat er etwa gemeint, daß die Neutralität selbstverständlich als eine Neutralität zu sehen ist, die sich dem Inhalt nach verändert hat. Das hat er offen zugegeben. Kollege Konecny definiert das etwas anders. Er meint, sie hätte sich weiterentwickelt. Dazu möchte ich gleich vorweg sagen, daß ich nicht ganz den Standpunkt beziehungsweise den Gegensatz verstehe, der zwischen Ihnen – weniger Ihnen als vielleicht anderen Exponenten Ihrer Partei – und meiner Fraktion, vor allem Vizekanzler Schüssel, besteht.

Der Vizekanzler hat dann weiters von der "Troika der Neutralität" gesprochen – also UNO-Beitritt, EU-Beitritt mit all den dazugehörigen Fakten, Amsterdamer Vertrag, NATO-Einsatz und so weiter und so fort –, und er wies darauf hin, daß die Neutralität auch legistisch – Artikel 23f


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wurde schon genannt – entsprechend ergänzt worden sei. Es handelt sich also in der Tat um eine laufend geänderte Neutralität.

Kollege Liechtenstein hat hier auch erwähnt, Professor Öhlinger hätte sich dahin gehend geäußert, es gebe eine sogenannte pragmatische Neutralität, daher sei durchaus auch eine Auslegung in einer bestimmten Flexibilität zulässig.

Vizekanzler Schüssel hat sich eindeutig zu einer Weiterentwicklung der Außen- und Sicherheitspolitik im Rahmen der Europäischen Union bekannt, und er sprach sich, ebenso wie Sie, Herr Kollege Konecny, und, ich glaube, auch der Herr Staatssekretär ... (Bundesrat Konecny: Ich mache einen Vorschlag: Ich mache mit Kollegen Schüssel eine Koalition, aber wir lassen Kollegen Liechtenstein draußen! – Heiterkeit.) Er sprach von der sogenannten Solidarität, die notwendig ist, wenn man sich zu einem Beitritt zur Union entschlossen hat.

Was mir nicht gefällt – damit wir nicht so ganz konform sind, Kollege Konecny (Heiterkeit)  –, ist, gerade weil wir inhaltlich keine besonderen Differenzen haben – ich sehe es zumindest so, es gibt vielleicht gewisse Nuancen, und man drückt sich halt anders aus –, die Tatsache, daß nunmehr, sozusagen als Abschiedsgeschenk nach einer vierjährigen Tätigkeit in der Koalition, das Thema Neutralität so sehr differenziert dargestellt wird. "Neutralität unbedingt bewahren", so die SPÖ, andererseits sei die ÖVP, wie es Kollege Meier hier ausgesprochen hat, "eher für die NATO". (Bundesrat Meier: Richtig!) Diese Diktion, bitte, lehne ich absolut ab. Es ist sachlich unrichtig. (Bundesrat Prähauser: Es ist in Teilen richtig!) Der Vizekanzler hat, wie gesagt (Bundesrat Konecny: Ich war heute sehr zufrieden mit ihm!), heute eindeutig die Haltung meiner Fraktion definiert. Insofern ist das sachlich nicht richtig.

Um das Ganze sozusagen auf den Punkt zu bringen, gipfelte diese Diskussion in der Sendung "Zur Sache", in der sich die beiden Klubobmänner Khol und Kostelka diese scheinbar differenzierten Standpunkte an den Kopf geworfen haben. (Bundesrat Dr. Böhm: Was heißt "scheinbar differenziert"?) Kostelka hat gemeint, es müsse selbstverständlich bei der Neutralität in diesem pragmatischen alten Sinne bleiben, ohne einen Beistrich zu ändern und ohne Wenn und Aber, während unser Klubobmann Khol die geänderte, aufgrund der Fakten weiterentwickelte Neutralität, die auch Professor Böhm überzeugend hier dargestellt hat, beschrieben hat.

Herr Kollege Konecny! Ich habe mit manchen Leuten an der Basis gesprochen, und die Leute haben sich überhaupt nicht ausgekannt. Sie haben sich gefragt: Was hat Kostelka gemeint? Was ist jetzt mit der Neutralität wirklich? Was hat Khol gemeint? – Ich muß vor der Opposition hier ehrlich gestehen: Die Opposition hat sich vernünftiger verhalten. (Bundesrat Mag. Gudenus  – Beifall spendend –: So ist es!) Unsere beiden Herren haben sich bekriegt, obwohl – wie gesagt – meiner Ansicht nach materiell, inhaltlich keine Unterschiede bestehen. (Bundesrat Meier: Es gibt schon Unterschiede!) Es war also eher ein taktisches Geplänkel, und das lehne ich ab! (Bundesrat Meier: Es bestehen schon Unterschiede, Herr Kollege!) Das haben sich auch beide nicht verdient, denn es wurde innerhalb der letzten vier Jahre – damit möchte ich schon zum Schluß kommen – ausgezeichnete Arbeit geleistet, eine Arbeit und eine Leistung, um die uns viele andere Länder tatsächlich beneiden.

Ich glaube, wir sollten unserer Bevölkerung bezüglich dieses Themas nicht irgend etwas vormachen, sondern sagen, wie es ist. Noch einmal sei klar gesagt: Die Neutralität ist selbstverständlich zu bewahren, wenn auch in der geänderten Form. (Bundesrat Meier: Bravo!) Wir ha-ben noch nichts anderes. (Bundesrat Meier: Richtig! Das sagen wir ja immer! Genau das sagen wir immer!) Wir haben noch keine andere Sicherheits- oder Verteidigungspolitik. (Bundesrat Meier: Genau das sagen wir!) Was sollen wir jetzt aufgeben, wenn wir noch nicht einmal eine Alternative haben? (Beifall bei der SPÖ. – Bundesrat Payer: Kollege Missethon wird damit nicht einverstanden sein!)

Ich glaube, Herr Vizekanzler Schüssel hat das deutlich dargestellt. (Bundesrat Dr. Bösch: Er hat etwas ganz anderes gesagt!) Nein, nein. Er hat nichts anderes gesagt. Sie werden mir jetzt nichts unterlegen. (Bundesrat Dr. Bösch: Sie müssen ihn jetzt verteidigen) Nein, Kollege Bösch, ich habe zur Sicherheit mitgeschrieben. – Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. Es gibt


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keine Unklarheit! (Heiterkeit und Beifall bei ÖVP und SPÖ sowie Beifall des Bundesrates Mag. Gudenus. )

18.17

Vizepräsident Jürgen Weiss: Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. 

Wünscht noch jemand das Wort? – Es wünscht das Wort noch Herr Bundesrat Stefan Prähauser. Ich erteile es ihm.

18.17

Bundesrat Stefan Prähauser (SPÖ, Salzburg): Herr Präsident! Herr Staatssekretär! Hoher Bundesrat! Gleich zu Beginn: Herr Kollege Tremmel! Der Amsterdamer Vertrag und dessen Umsetzung sind durch die Neutralität in keinster Weise belastet oder gefährdet. Das war heute in der Früh die Auskunft des Vizekanzlers und Außenministers.

Meine Damen und Herren! Ich bin den Freiheitlichen wirklich dankbar, daß sie durch ihre dringlichen Anfragen immer wieder auch uns, der Koalition, Gelegenheit geben, zu diskutieren, scheinbare Unterschiede miteinander erörtern (Bundesrat Dr. Tremmel: Denn in der Partei habt ihr Redeverbot!), letztendlich aber dann doch festzustellen, daß wir in der Lage sind, an einem Strang zu ziehen – zum Wohle dieses Landes Österreich.

Ich glaube, meine Damen und Herren, daß Österreich in der Vergangenheit mit seiner Neutralität große Leistungen vollbracht hat. Wir haben gehört: Ungarn 1956, auch bei der Tschechen-Krise 1968 war Österreich nicht ganz unbeteiligt an der friedlichen und letztendlich aus unserer Sicht gut ausgegangenen Sache, wenngleich allerdings zuletzt das Unangenehme für die Tschechoslowakei nicht abgewendet werden konnte. Wir haben aber auch andere Dinge kennenlernen dürfen, wie zum Beispiel 1989 den Fall des Eisernen Vorhanges. Auch damals ist die Neutralität Österreichs vielen Tausenden Flüchtlingen zugute gekommen, die ohne grobe Probleme aus einer Diktatur fliehen konnten, was letztendlich dann auch zum Fall des Vorhanges geführt hat.

Wir haben aber in der letzten Zeit bei der Katastrophe in Galtür feststellen müssen, daß auch Österreich auf fremde Hilfe angewiesen ist. Meine Damen und Herren! Es ist legitim, wenn man selbst mangels technischer Ausrüstung nicht in der Lage ist, mit einem Problem zu Rande zu kommen, um Hilfe zu bitten, die nicht gratis ist, sondern von Österreich bezahlt wird. Wir haben das auch hier in der Debatte schon gehört. Und letztendlich sind auch wir, wenn wir gerufen werden, bereit, bei Katastrophen zu helfen.

Im übrigen wissen wir alle, daß im Kosovo oder in Serbien oder in Jugoslawien – wie man es ausdrücken könnte – in den ersten Wochen auch mit modernstem Fluggerät wenig auszurichten war, weil die Witterungsverhältnisse nicht so waren, wie man es für eine – ich sage es jetzt auch deutlich – Kriegsführung aus der Luft braucht.

Meine Damen und Herren! Ich bin dem Bundeskanzler dankbar, daß er eine berechenbare Politik macht, eine berechenbare Europapolitik. Ich bin ihm auch dankbar, daß er in Österreich vor der Bevölkerung, die er in erster Linie zu vertreten hat, mit seiner Meinung nicht hinter dem Berg hält. Solidarität auf der einen Seite, auf der europäischen Ebene, und Meinungen des österreichischen Volkes zu transportieren, mag nicht immer leicht sein, aber er hat das in einer guten Art und Weise gekonnt.

Ich sage Kollegen Missethon, weil er gesagt hat, er orte Führungsschwäche, folgendes: Bei den Sozialdemokraten, Herr Kollege Missethon, bei der SPÖ ist es so, daß Demokratie an vorderster Front steht (Bundesrat Bieringer: Hört! Hört!), Diskussion in unseren Reihen zur Meinungsbildung führt und die Meinung letztendlich vom Bundeskanzler und den Regierungsmitgliedern umgesetzt wird. Ich möchte es nicht anders haben, das darf ich Ihnen sagen! (Beifall bei der SPÖ. – Bundesrat Dr. Tremmel: Jetzt verstehe ich es: Deshalb ist die Meinung des Herrn Bundeskanzlers zweigeteilt!)


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Herr Kollege Tremmel! Ich glaube, wir stimmen darin überein, daß Kriege generell eine Katastrophe und fürchterlich sind und daß es gilt, Kriege, wo immer es geht, zu verhindern, und zwar mit aller Kraft, die uns zur Verfügung steht.

Ich erinnere auch an Staaten, die neutral waren und in der Vergangenheit Großes geleistet haben. Ich denke dabei zum Beispiel an Schweden, in einem anderen Sinne auch an die Schweiz, die nicht immer das gemacht hat, was man von einem neutralen Staat hätte erwarten können – wir wissen das, und Sie wissen, was ich damit meine.

Herr Kollege Liechtenstein! Ich verstehe deine NATO-Euphorie nicht und auch nicht das Verlangen, dort sofort beizutreten. Ich habe schon sehr viele Kommentare von dir gelesen, ich habe periodisch, so alle zwei Monate, von dir hier vernehmen dürfen: Österreich muß in die NATO, besser heute als morgen!, aber bis heute weiß ich nicht, warum du dieser Meinung bist. Das hast du noch nie gesagt, du sagst immer nur, daß wir beitreten sollen. Ich weiß nicht, ob das aus der Vergangenheit deiner Familie, der tausendjährigen Geschichte resultiert, daraus, daß in der Kaiserzeit das Heer einen großen Stellenwert hatte. Aber ich darf dich an folgendes erinnern: In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts konnten wir den letzten Sieg bei irgendeiner militärischen Aktion landen. Wir haben gegen Preußen verloren, weil sie Repetiergewehre hatten – und das in einer Zeit, als Österreich-Ungarn einen großen Teil des Bruttosozialproduktes in die Rüstung gesteckt hat, also eigentlich auf dem neuesten Stand hätte sein müssen. Ich sage das nur deshalb, damit die 0,7 Prozent, die heute ausgegeben werden, nicht so negativ dastehen.

Meine Damen und Herren! Wenn man so klar sagt – die Freiheitlichen sagen das, genauso, glaube ich, auch Herr Kollege Liechtenstein –, daß wir in die NATO wollen, dann muß man auch die Konsequenzen bedenken. Allerdings habe ich heute neue Töne gehört, nämlich daß eine Volksabstimmung, eine Volksbefragung durchgeführt werden soll. Wir haben uns nie dagegen gesträubt, darüber zu diskutieren, nur: Beantragt hat das bisher noch niemand! (Bundesrat Dr. Tremmel: Ihr wollt nicht hinhören auf uns!) Über die Neutralität – auch das ist eine klare Aussage unseres Bundeskanzlers – lassen wir nur über den Weg der Bevölkerung mit uns reden. Das ist für uns kein Problem. Wir werden zum geeigneten Zeitpunkt dieses Instrument sicher in Anspruch nehmen.

Meine Damen und Herren! Niemand von uns kann wirklich ernsthaft wollen, daß unsere Kinder in Kriegsgebiete geschickt, entsandt werden. Wir haben feststellen müssen, daß die ersten zwei Soldaten gestorben sind, wenn auch beim Üben, also noch nicht in Feindesland. Es macht aber keinen Unterschied, ob mein Sohn oder der Sohn von jemand anderem beim Üben zehn Kilometer vor Feindesland abstürzt und umkommt oder bei Kampfhandlungen. Wir haben Verantwortung zu tragen, und wir haben in erster Linie dafür zu sorgen, daß es nicht zu solchen Dingen kommt. (Beifall bei der SPÖ.)

Ich meine, die Solidarität Österreichs geht so weit, wie wir im Fall Shkodra sehen, wo das Spital aufgebaut wurde, daß wir nicht daran denken, nicht dorthin zu gehen, weil vielleicht irgend jemand in Gefangenschaft geraten könnte. Da geht die Hilfe für andere allem anderen vor, und Österreich ist an vorderster Front dabei, ohne die Neutralität aufgeben zu müssen.

Meine Damen und Herren! Dem, was Österreich unter dem UNO-Mandat in Zypern, in Bosnien, auf den Golanhöhen gezeigt hat (Bundesrat Dr. Tremmel: Das war ein UNO-Mandat!), der Leistung seiner Soldaten gebührt wirklich Anerkennung, und das würdigt Österreich, auch das neutrale Österreich.

Ich glaube, es ist nicht nur patriotisch, zu glauben, daß Österreich als neutrales Land wesentlich mehr zur Friedensstiftung beitragen kann als als Mitglied der NATO oder eines anderen Verteidigungsbündnisses.

Ich erinnere an folgendes: Einen Monat, bevor die Kampfhandlungen im Kosovo und in Jugoslawien begonnen haben, hat es Volksfeste gegeben; Volksfeste in Tschechien, in Ungarn und auch in Polen, weil sie die NATO endlich aufgenommen hat. Die Realität war eine andere. Nach einem Monat wurden schon die ersten Konflikte klar, und heute ist die Volksmeinung dort eine


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ganz andere. Allein durch die Überflugsgenehmigungen haben sich Ungarn und Tschechien außer die Verhandlungsbasis gestellt. Wenn noch jemand etwas erreichen kann, wird es Vranitzky, die UNO oder ein neutrales Land wie Österreich sein. Daran halte ich fest, daran glaube ich, und die Neutralität ist das Instrument dazu. (Beifall bei der SPÖ.)

18.25

Vizepräsident Jürgen Weiss: Es liegt eine weitere Wortmeldung von Herrn Bundesrat Alfred Schöls vor. Ich erteile ihm das Wort.

18.25

Bundesrat Alfred Schöls (ÖVP, Niederösterreich): Herr Präsident! Herr Staatssekretär! Hohes Haus! Ich möchte die Debatte nicht noch künstlich verlängern, aber Kollege Prähauser hat mich doch dazu veranlaßt, ausnahmsweise einmal Anleihe beim Deckblatt der FPÖ für die heutige dringliche Anfrage zu nehmen, auf dem die Pinoccio-Nase dargestellt war.

Es wird immer wieder versucht, Angst zu erzeugen, indem gesagt wird, daß angeblich alle müssen. Daher möchte ich festhalten, daß die Einsätze auf Freiwilligkeit beruhen. – Das nur zur Klarstellung, damit die Pinoccio-Nase nicht noch länger wird. (Beifall bei der ÖVP.)

18.26

Vizepräsident Jürgen Weiss: Wünscht noch jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall.

Die Debatte ist geschlossen.

Ich gebe noch bekannt, daß seit der letzten beziehungsweise in der heutigen Sitzung insgesamt neun Anfragen, 1607/J bis 1615/J, eingebracht wurden.

Die Einberufung der nächsten Sitzung des Bundesrates wird auf schriftlichem Wege erfolgen. Als Sitzungstermin ist Mittwoch, der 2. Juni 1999, 9 Uhr in Aussicht genommen.

Für die Tagesordnung dieser Sitzung kommen jene Vorlagen in Betracht, die der Nationalrat bis dahin verabschiedet haben wird, soweit sie dem Einspruchsrecht beziehungsweise dem Zustimmungsrecht des Bundesrates unterliegen.

Die Ausschußvorberatungen sind für Montag, den 31. Mai 1999, ab 14 Uhr vorgesehen.

Die Sitzung ist geschlossen.

Schluß der Sitzung: 18.27 Uhr